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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Drei Ketzer und ein kleines Geschenk

Den ganzen Tag darauf über ließ man mich in Ruhe. Ich saß im Zimmer herum und langweilte mich. Die Langeweile ließ etliche Gedankengänge zu und diese wiederum sorgten für meine Melancholie und so saß ich auf der Pritsche und wartete auf den Tod, denn zum Abend hin war mir ganz klar: Mich konnte nur der Tod ereilen. Ich war hin und her gerissen. Je nachdem wie es mir ging, verfluchte ich mich für meine Tat oder lachte den Priester aus. Aber so, oder so: Ich musste sterben.

Dann kam Jack. Wie froh ich war, ihn zu sehen! Aber zeigen tat ich es nicht. Ich rührte mich nicht einmal, als der Junge hinein kam, eine Schüssel in der Hand und die Tür schloss. Schweigend nahm er den Schemel, setzte sich zu mir und hielt mir den Brei entgegen. Wir sahen uns an. Beide mit ernsten Mienen, Masken und beide ganz normal. Doch dann begann er zu schmunzeln. Ich tat es ihm gleich, dann grinsten wir und am Ende brachen wir zwei in schallendes Gelächter aus.

„Sein Gesicht!“, prustete Jack. „Als O’Hagan ihn fragte, wie der Unfall passiert ist!“

Ein Gleichgesinnter, dachte ich.

An diesem Abend sprachen wir viel. Über den Priester und mein gelungenes Attentat. Offiziell war es natürlich beabsichtigt gewesen und das schenkte mir noch mehr Bewunderung von Jack. Der Junge schwärmte für meine Geschichte und beneidete mich um meine Abenteuer. Ich berichtete ihm von Black, wie ich es zuvor bei Käse tat. Von der Insel, von der geheimnisvollen roten Truhe und vielem mehr. Wie bei wohl jedem normalen Jungen entfachte ich Abenteuerlust und Neid. Auch er wollte Abenteuer erleben, zur See fahren, deswegen hatte er sich bei der Marine gemeldet und einen Zehnjahresvertrag unterschrieben. Doch statt auf den Schiffen zu arbeiten, musste er nun drei Jahre lang die Kerkerinsassen verpflegen. Er erzählte mir, dass er ein Wirtssohn sei. Sein Vater war der Wirt des schwarzen Katers, seine Mutter dort eine Prostituierte. Er hatte vorgehabt Geld zu verdienen, damit die Frau mit ihrer Arbeit aufhören konnte. Stattdessen, erklärte er traurig, verführte sie die Rotröcke, mit denen er was trinken ging. Aus diesem Grund nannten ihn die Soldaten des Gefängnisses Hurenbock und steckten ihm Geld zu, als Dank für seine Dienste als Vermittler. Dabei hatte er das so nie geplant. Jack hasste sich dafür. Er kam sich vor, als würde er seine Mutter verkaufen, dabei hatte er sie von ihrer Schande befreien wollen. Sie hasste ihn dafür und schlug ihn, wenn sie betrunken war. Aus diesem Grund war er zudem kaum noch Zuhause. Er vertrödelte seine Zeit mit manchen der Soldaten oder spazierte in der Stadt umher, wenn er nicht gerade im Wirtshaus aushelfen musste. Er verriet mir, dass er das Geld der Rotröcke heimlich beiseite legte, um sich aus dem Vertrag frei zu kaufen und mit dem Dienst so schnell wie möglich aufzuhören.

„Fünfhundert Goldmünzen wollen diese Mistkerle!“

Seit er bei den Rotröcken war, ging alles drunter und drüber. Man hatte heraus bekommen, dass sein Vater Geschäfte mit Ächat machte. Ächat war eine Insel weit im Norden, welche unter der Krone St. Katherines stand. Dort lebten Barbaren, die Ächaten, eigentlich Jakobiten genannt. Ich wusste damals nicht viel über dieses heidnische Land, nur jenes, was ich heimlich in der Bibliothek gelesen hatte, in der verbotenen und nur für die Priester gedachten Abteilung: Selbst die Männer trugen Röcke und man sagte, sie können nicht einmal richtig sprechen. Sie glaubten an Feen und andere, blasphemische Dinge. Die Königin unterjochte das Volk. Auch wenn die Insel Ächat nun zu unserem Land gehörte, nannte das niemand beim Namen. Auf Ächat gab es mehrere kleinere und größere Dörfer. Manche zahlten regelmäßig Beträge für ihr Leben, ihren Lebensraum und ihr Essen in Form Steuern in großer Menge. Andere, die das nicht mehr konnten, zahlten in Form von Sklaven aus ihren eigenen Reihen.

Doch niemand wollte etwas mit diesen Barbaren zu tun haben, sie galten nicht einmal als Menschen. Auf den Straßen von Annonce durften sie nicht herum laufen, außer in Begleitung ihrer Herren – aber wer wollte einen Ächaten als Sklave haben? Niemand.

Mir kam es verquer und unchristlich vor und ich fragte mich, wieso man sie nicht einfach allesamt verbrannte.

Die Antwort lag auf der Hand: Ale.

Der Alkohol aus Ächat wurde allgemein verboten, aber jeder wusste, dass es unter den Reichen zum Inventar gehörte – wenn auch nur heimlich. Es schmeckte weitaus besser als jenes Bier vom großen Kontinent, aber das konnten die Katholiken unmöglich genehmigen. Und mit eben diesem geschmuggelten Alkohol, genannt Jakobiten-Bier, verdiente Jacks Vater sein Geld.

Langsam verstand ich, wieso Jack mir das alles erzählte. In seinen Augen war ich ein Rebelle, ein freier Mann, eine Art kleiner Held. Eben das, was er sein wollte. Es war begeistert von dem Verhör, begeistert von der Feuerprobe und begeistert von dem verstümmelten Pater Johannes.

Und vor allem von unserem Gesang.

Er hatte uns gesehen, die Piraten, auf dem Weg vom Gefängnis zum Richtergebäude und er hatte unser Lied gehört. Die Wirkung, die wir auf ihn hatten, hatte in ihm einen Drang nach Freiheit geweckt. Er würde lieber sterben, als sein Leben lang Soldat der Krone zu sein und das sagte er auch, wortwörtlich.

Meinen Plan, ihn für eine eventuelle Flucht zu missbrauchen, schob ich beiseite. Dieser Junge hatte Pläne, Ideen, Intelligenz. Ich hätte es mir niemals verzeihen können, wäre er wegen mir in noch mehr Schwierigkeiten geraten. Sicherlich hätte er sich abgewendet, hätte ich das Wort Flucht auch nur erwähnt. Selbst wenn wir uns jahrelang gekannt hätten, wäre er einfach verschwunden. Es war einfach zu riskant. Er konnte keinen Gefangenen frei lassen, das wäre das Ende seiner gesamten Familie, sein Ruin. Er sah es als seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Probleme seiner Eltern ein Ende nahmen.

Bevor er ging, gab er mir ein Buch. Ich musste versprechen, es niemandem zu zeigen und es ihm zurück zu geben. Notfalls, wenn ich zum Tode verurteilt wurde, sollte ich es einfach verstecken, er würde es schon finden.

Das Buch war klein, rot und in Leder gebunden Es war sehr alt und die Seiten bröselten leicht. Als ich allein war, machte ich es mir einigermaßen bequem und schlug es vorsichtig auf. Es handelte sich um eine Art Notizbuch. Weder stand ein Name darauf, noch, worum es wirklich gehen sollte. Ich blätterte es mir durch um zu sehen, wie viel darin stand. Etwa fünfzig Seiten, gefüllt mit Sprüchen, Gedanken, kleinen Zeichnungen und vielem mehr. An einer Stelle lag ein gepresstes Gänseblümchen, an einer anderen eine winzige, weiße Feder.

Es gehörte Jack, das sah man an der unbeholfenen Schrift und ich war sehr dankbar für diese Beschäftigung.

Das Ergebnis des Gottesurteils sollte erst am Abend bekannt werden und so hatte ich einen weiteren, langen Tag in der Zelle vor mir. Ein Tag voller Langeweile und Melancholie.

Ein Besuch von Jack blieb aus. Sollte die Verurteilung negativ für mich aussehen – und das würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit – dann müsste ich sein Notizbuch verstecken, damit er es finden könnte. Doch ich tat es nicht. Fast die ganze Nacht lenkte ich mich damit ab, es zu lesen. Es war schwer. Teils war die Schrift krakelig und kaum lesbar, teils verschwommen, als wären einige Seiten nass geworden. Zudem gab es kein Licht im Gefängnis, außer jenes von der Hauptstraße, das durch das winzige Fenster hinein fiel.

Ein Großteil des Geschriebenen bestand aus kleinen Nebenbei-Anmerkungen. Er hatte sich für einige Sekunden hingesetzt und sie quer über das Blatt verteilt notiert. Gedichte, Reime und Gedankengänge. Viele Gedankengänge. Ich war erstaunt in welche Richtungen dieser Junge teils dachte. Er sinnierte über die Inquisition, ihren Aufbau, ihre Ansichten und über die Bibel, aber auch über andere Dinge, wie den großen Kontinent. Er dachte darüber nach, was geschehen würde, wäre der Große Kontinent nicht der einzige seiner Art. Hinter der Endlosen See lag das Weltende. Aber was, wenn nicht? Und was, wenn die Wesen dort viel mehr, viel stärker, gar viel intelligenter wären, als wir? Dann wäre die endlose See gar nicht endlos.

Auch dachte Jack viel darüber nach, dass, würden mehr Menschen gebildet sein, könnte St. Katherine sich viel schneller und besser entwickeln. Aber wohin entwickeln? In eine bessere Welt? In ein Land der Zukunft!

Es war ein Ketzers-Buch, von Anfang bis Ende. Ein Buch gegen die Kirche, gegen die Gesetze, gegen die Einteilung der Menschen in ihre Kasten, gegen alles. Ich begann mich zu fragen, wieso er es mir zum Lesen gegeben hatte. Unmöglich nur deswegen, damit ich es las, weil ich eine Art Idol für ihn geworden war. Gab es etwas, was er mir sagen wollte, es aber laut nicht konnte? Und wenn ja, was? Ich suchte und suchte, aber fündig wurde ich nicht. Was wollte Jack mir mitteilen? Was war es?

Irgendwann schlief ich ein. Das Buch hatte ich im Halbschlaf unter mein Hemd geschoben, aber sobald ich wach wurde, las ich weiter. Ich war es schnell durch. Viel darin stand nicht.

Mir fielen drei Stellen auf, die nicht ins Thema passten. Die erste war eine über seine Mutter, wie ich glaubte. Dort stand:

Wenn ich anheuern würde, könnte ich genug Geld verdienen, um sie heraus zu holen. Aber sie möchte es glaube ich nicht. Warum nicht? Sie könnte aufhören, aber wieso möchte sie nicht?

Die zweite Stelle war eine Art Tagebucheintrag, der einzige lange Eintrag im gesamten Werk. Ich erinnere mich nicht mehr an jeden seiner Sätze genau. Er hatte einen Tag im Wirtshaus gearbeitet und Brot gekauft, im Auftrag seines Vaters. Dabei war er einer Kutsche begegnet, in jener saß ein reich aussehender Mann. Er hatte geschäftlich im Laden nebenan zu tun und Jack wurde aufmerksam. Jenes, was er schrieb, als er abends zu seinem Buch zurückkehrte, war in etwa:

Ich habe gestern einen Lord gesehen. Ich glaube, dass es ein Lord war. Er war ganz in schwarz und wirkte wie ein Rabe auf mich. Er trug einen langen, schwarzen Frack und hatte einen Gehstock, so wie schwarze, glatte Haare. Ich habe noch nie einen Reichen in unserem Viertel gesehen. Alle sind stehen geblieben und haben ihn angestarrt. Als er mich gesehen hat, nickte er mir zu. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ob er mich für einen Adligen hielt? Ich glaube nicht, ich war barfuss. Ich wollte es Mutter erzählen, aber sie interessiert es nicht. Sie hat mich raus geschickt und deswegen schreibe ich es mir auf. Wenn man Dinge erzählt, vergisst man sie nie. Aber wenn man sie nicht erzählt, dann schon. Ich hoffe, wenn ich sie aufschreibe, vergesse ich sie nicht Ich möchte den Mann nicht vergessen. Ich wünschte ich wäre er. Er sah wirklich überwältigend aus, wie ein König. Das muss toll sein… Ich hoffe, ich sehe ihn eines Tages wieder. Dann sage ich ihm auch Hallo und bin nicht wieder zu feige, bestimmt. Sein Gesicht war ziemlich seltsam. Total weiß, aber es sah gar nicht so gepudert aus, wie ich mir die Reichen immer vorstelle. Ob er der Teufel war? Der alte McBeth, der Ladenbesitzer, ist heute Morgen gestorben. Ich glaube, der Lord hat sich seine Seele geholt.

Und dann gab es einen dritten Text. Dieser verwirrte mich. Er passte nicht annähernd ins Konzept. Jack hatte ihn in aller Ruhe verfasst und auf der letzten Seite. Wie auch alle anderen ohne Datum und nähere Details, jedoch gab es zu diesem Text ein Bild. Auf der linken Seite hatte er eine Frau gezeichnet. Sie hatte keine Pupillen, ein langes Nachthemd an und große, weiße Flügel. Es erinnerte an eine Engels-Statue. Man konnte Jack nicht gerade als Meister der Kunst bezeichnen und viele Details passten nicht zu anderen. Ein Arm war wesentlich größer, als ein anderer und ihre Augen sehr weit auseinander, dennoch hatte das Bild etwas Faszinierendes. Er hatte sich Mühe gegeben. Wesentlich mehr, als bei anderen Zeichnungen.

Der Engel streckte seine beiden Arme in die Luft und hatte den Kopf scheinbar erhoben. Rechts hielt er ein langes, großes Kreuz, links eine Art Wanderstab, der bis hinter seinen Rücken reichte. Viele Striche und Schnörkel sollten wohl so etwas wie einen Faltenwurf darstellen und an den Füßen waren Gras und Blumen. Rechts daneben stand in etwa folgendes:

Gestern schien die Sonne hell, gelb und strahlend weiß,

so grub ich neben Hundgebell in kaltem, kaltem Eis.

Erfror’n die Finger und die Haut, erfror’n sind sie zu Stein,

doch wenn’s im Sonnenlicht dann taut, das darf doch gar nicht sein!

Der Finger ab, er ist gefallen, zeigt mir den Weg den rechten,

Ach wär’s nicht schön, wenn Tote mir mein Glück nach Hause brächten?

So liegt er da, allein und tot, erfroren wie die Gräser,

ach hätt’ ich nur gehört in Not, auf die Trompetenbläser.

Diese Verse sprach ich immer und immer wieder durch in meinem Kopf, doch ich kam zu keinerlei Ergebnis. Weder war es ein altes Volkslied, noch eine alte Weisheit – zumindest mir nicht bekannt. Es machte mich unruhig, dass ich mir keinen Reim daraus machen konnte. Teilweise wurde ich durch meine Unwissenheit sogar so aggressiv, dass ich mich aufsetzte, mit den Beinen wippte oder auf und ab lief. Als würde das mein Wissen steigern sprach ich es mal langsam, mal schnell, mal leise und mal völlig tonlos vor mich hin, doch es half alles nichts. Auf der anderen Seite gefiel es mir von Mal zu Mal mehr und ich beschloss, es auswendig zu lernen. Ob er es wirklich selbst geschrieben hatte?

Das Licht in meiner Zelle verschwand wieder allmählich und das Essen blieb aus. Die Zeilen hatten sich in meinem Kopf eingebrannt wie ein Fluch. Immer wieder begann mein Kopf, es zu wiederholen, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. Teilweise hatte ich sogar vergessen, wo ich war und als man die Zellentür aufschloss, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Schnell versteckte ich das Buch hinter meinem Rücken und schob es unbeholfen in meinen Hosenbund. In Gedanken verfluchte ich mich für meine Unaufmerksamkeit.

Der erste, der eintrat, war Pater Johannes, direkt hinter ihm jene zwei Wachen, die ihn hinaus gezerrt hatten. Der junge Mann war blass, fast weiß und hatte tiefe Augenränder. Er wirkte fiebrig auf mich und geschwächt. Ich gab mir keine Bemühe, ihn zu begrüßen.

Man schloss die Tür und schloss ab, zu meinem Erstaunen jedoch von außen. Der Priester hatte die zwei Männer hinaus geschickt. Dann wandte er sich an mich.

„Ich bin hier, um Eure Wunden zu untersuchen.“, erklärte er leise und heiser. Ich musste schmunzeln und registrierte nur nebenbei, dass er diesmal auf die richtige Anrede achtete.

„Ist Eure nicht viel schlimmer?“

Diese Bemerkung ließ seine Ohren rot anlaufen. Johannes bemühte sich, meinem schadenfrohen Blick auszuweichen. „Nun? Wie geht es Eren Verletzungen?“

„Bestens. Wollt Ihr sehen?“, log ich. Ich ließ mich auf das Gestell sinken und lehnte mich lässig auf meine Oberschenkel. In Wahrheit hatten sich einige Stellen entzündet und eiterten nun leicht.

Johannes schüttelt den Kopf. „Nein, nein. Es geht schon.“, er räusperte sich erneut. „Ich glaube Euch.“, dann sah er mich an. Für eine Sekunde schien es, als würde er sich neben mich setzen wollen. Durch das Fenster drangen Kinderrufe zu uns hinunter und er sah nach oben. Eine unsinnige Handlung – er konnte nichts von der Straße sehen und gab mir für einige Sekunden freie Sicht. Ich betrachtete ihn eingehender und stellte fest, dass er nervös war, gar ängstlich. Aber diese Angst galt nicht mir.

„Nun? Dann war’s das wohl?“, fragte ich etwas patzig. Er sah mich wieder an.

„Wie meinen?“

„Ihr werdet mich schuldig sprechen oder nicht? Deswegen seid Ihr doch hier? Um zu sagen, dass Gott mich gestraft hat?“

Der Pater schüttelte erschrocken den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“, er kam unbeholfen und sehr langsam einige Schritte auf mich zu. Allem Anschein nach hatte er Schmerzen. Als der Gottesdiener meine Hände greifen wollte, zog ich sie jedoch weg und stand auf. „Ich habe Euch geschworen, dass, wenn ihr-... Also-…“, er fuhr sich verlegen durch die kurzen Haare und suchte auf dem Boden nach den passenden Worten. „Ich meine-… Dass, wenn Ihr-…“

„Dass Ihr mich freisprecht, wenn ich vor Euch in die Knie sinke.“, unterbrach ich ihn gespielt freundlich. Er wurde knallrot und lächelte mich verlegen an.

„Genau.“

„Mit anderen Worten…“, ich nahm mir die Zeit und sah kurz zum Fenster hinauf, dann wieder ihn an und schob meine Hände in meine Hosentaschen. In aller Ruhe ging ich an ihm vorbei, in einem so großen Bogen, wie die winzige Zelle zuließ und murmelte gedankenverloren: „Ihr habt mich erpresst. Mich gezwungen Euch zu helfen, sexuelle Befriedigung zu finden. Ich habe Euch gebissen – man könnte es als Strafe des Herrn sehen, aber so weit will ich nicht gehen. Ihr habt daraufhin geschrieen…“, dann hielt ich und sah ihn wieder an. „Und nun hat man gemerkt, was Ihr mit den Angeklagten treibt und Ihr hofft, wenn Ihr mich freisprecht, halte ich den Mund… Richtig?“

Er rang empört nach Luft. „Wie könnt Ihr es wagen-…?! Mich-…?!“

Ich stellte den Kopf schief. „Nun, wenn dem nicht so ist, bin ich Euch natürlich überaus dankbar. Und es wird Euch sicherlich nichts ausmachen, wenn ich noch heute gleich nach meiner Freilassung zum ehrenwerten Richter Fulligan gehe, um Euer Vergehen für Euch zu beichten, nicht wahr?“, Johannes erstarrte zu Stein, ihm fehlten die Worte. Ein erbärmlicher Anblick.

„A-aber ich spreche Euch frei!“, jappste er hilflos. „Ich spreche Euch doch frei!“

„Sicher.“, gab ich nachdenklich zu. „Aber es ist eine Sünde und auch ich sollt Beichte tun. Aber nicht nur das: Ich sollte Euch helfen, mit diesem Treiben aufzuhören! Ich weiß, wie es ist, seinen Trieben folgen zu wollen.“, ich tat einen Schritt nach vorn und legte meine Hände auf seine Schultern. Eindringlich sah ich ihm in die Augen und meine Stimme wurde fast mitfühlend. „Pater Johannes, Vater! Es ist Sünde, was Ihr tut, man muss Euch helfen! Und das werde ich, habt keine Angst. Und wenn man mich dafür hinrichtet…ich sterbe gern, wenn ich weiß, dass ich Euch geholfen habe. Was wäre mein Leben wert, wenn ich Euer ehrwürdiges einfach so kaputt gehen ließe? Ich werde gleich nach meiner Freilassung zur Kirche gehen und beichten!“

Johannes schüttelt den Kopf und hielt meine Arme, doch ich ließ ihn nicht los.

„Nein! Sullivan, ich spreche Euch frei, Ihr müsst es niemandem sagen!“

„Aber Pater…“, sprach ich freundlich. „Nicht doch… Ihr wisst doch selbst, was Gottes Wille ist, oder nicht? Denkt nur, was in der heiligen Schrift steht:

Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Greuel ist, und sollen beide des Todes sterben. Blutschuld lastet auf ihnen.

Daran glaubt Ihr doch?“

„I-ich… Ich-…“

„Ihr glaubt doch an Gott?“, ich griff seine Schultern fester und tat schockiert. „Seid Ihr etwa ein Ketzer, Pater?“

„N-Natürlich nicht!“

„Also glaubt Ihr an Gott?“

„Ja…!“, jammerte er verzweifelt und verwirrt. „Ja doch…!“

Ich nickte kurz. „Und auch an Gottes Wort?“

„Selbstverständlich…!“

Seine Augen starrten mich an und in ihren lag Panik. Angst vor dem Scheiterhaufen, Angst vor der Buße die er tun müsste und Angst vor dem Tod, vor der Hölle. Ich zwang ihn, mich anzusehen und registrierte im Winkelblick, dass ein Schweißtropfen seine Schläfe hinunterlief und in seinen schwarzen Haaren verschwand.

„Dann wollt Ihr doch für Eure Sünden büßen, nicht wahr? Zusammen mit mir?“

„Ja… Nein… Nein!“, er riss sich los und wich zurück. „Das könnt Ihr nicht machen!“, schrie er mich fast schon weinend an. „Ich spreche Euch doch frei, verflucht noch mal! Ich habe doch aus meinen Fehler gelernt!“

Ich hingegen blieb ruhig. „Aber Pater… Fluchen ist eine Sünde, sagtet Ihr das nicht?“, er war fassungslos und begann zu zittern. Schwer seufzend ging ich wieder auf ihn zu und legte erneut meine Hände auf seine Schultern. Sie bebten. „Wie verdorben Ihr seid… Lasst mich Euch helfen…“

Johannes schüttelte den Kopf und hielt sich an mir fest. Er hatte den Kopf sinken lassen, aber ich glaubte, ihn schluchzen zu hören. „Ich spreche Euch frei! Ich spreche Euch doch frei! Nun hört doch bitte auf von der Hölle zu sprechen...! Ich werde es ja nie wieder tun, ich habe es doch begriffen...!“

„Aber Pater, darum geht es nicht…“, dann legte ich meine Hand an seinen Hinterkopf. Es musste mitleidig wirken, aber in Wahrheit lachte ich ihn innerlich aus. Diese Tatsache jagte mir Angst ein, aber zugleich gab sie mir ein unheimliches Gefühl der Überlegenheit. Tröstend streichelte ich sein filziges Haar. „Lasst mich Euch helfen. Lasst mich Euch helfen, Eure Seele zu reinigen. Die heilige Kirche wird Eure Seele läutern, Ihr werdet in den Himmel kommen. Das wollt Ihr doch?“, er antwortete nicht. Ich zwang ihn, mich anzusehen. „Das wollt Ihr doch? Pater? Ihr wisst, ich war Mönch... Ich kann unmöglich gehen, ohne zu wissen, dass Ihr gerettet seid.“

„J-ja… Natürlich… Aber-…“

„Oder wollt Ihr in die Hölle, Pater?“

„N-Nein…!“

„Dann tut Buße.“

„Das werde ich!“, versicherte er mir und packte nun heulend meine Schultern. Ich ließ ihn gewähren. Er war verrückt, er war krank. Das sah man nun. Die Inquisition hatte ihn, wie mich, fest im Griff. „Aber bitte sagt es niemandem! Ich kann anders büßen, auch ohne den Tod, das versichere ich Euch! Ich spreche Euch frei, ich tue was immer Ihr wollt, aber sagt es keinem! Ich bitte Euch, ich flehe Euch an!“

Sanft löste ich mich und lächelte: „Aber ich würde mich damit selbst belasten. Ich war Mönch. Ich muss Euch beistehen, den rechten Weg zu finden.“, Stille. Für den Mann muss die Welt mit einem Mal ausweglos gewesen sein. Ihm fehlten die Worte und er stand einfach nur da und glotzte mich hilflos an. Ich ließ ihn einfach stehen, mehrere Sekunden lang. Es wirkte in diesem Moment wie Minuten. In dieser Zeit setzte ich mich wieder auf das Gestellt und beachtete ihn nicht weiter. Das Ignorieren quälte ihn. Er wollte weinen, schreien, auf sich aufmerksam machen, aber er wusste nicht wie. Es war fast, als hinge er an einer Angel und dutzende Fische würden um ihn herum schwimmen. Bisher hatte er wohl jeden freigesprochen und niemand hatte etwas gesagt, aus Angst, selbst angeklagt zu werden. Ich war anders: Ich drohte damit, zu einem anderen Priester zu gehen und Beweise für mein Gesagtes gab es unter seiner Robe wohl auch. Dann überlegte ich laut: „Aber vielleicht wäre es Buße, wenn Ihr jenen, die Ihr geschädigt habt, nun helft?“

„Ja!“, er stürzte vor und ging in die Knie. Flehend starrte er mich an. „Ja, ich helfe Euch! Ich spreche Euch frei!“

„Das ist keine Buße.“, stellte ich unheimlich kühl fest. „Damit werdet Ihr lediglich Eure Beichte los.“

„Dann sagt mir, wie ich büßen kann! Was kann ich tun, damit Ihr nicht redet?“

„Bestecht Ihr mich etwa?“, ich lachte.

„Nein!“, entfuhr es ihm und er stockte kurz. „Ich will Euch helfen! Ich will meine Taten bereinigen!“

Ich sah ihn prüfend an. Eine längere Zeit lang starrte ich ihm unbewegt in die Augen, bis auch sein letztes bisschen Kraft gebrochen war. Als ich dann zu sprechen begann, hätte er sich zu Boden geworfen, wenn ich das verlangt hätte. Kalt erklärte ich ihm, wie einem Idioten:

„Erstens: Ihr sprecht mich frei. Ihr behauptet, meine Wunden wären geheilt.“, ich wartete, dass er reagierte und wie ein Kind nickte er zum Zeichen seines Verständnisses. „Zweitens: Ihr sorgt dafür, dass Robert McGohonnay stirbt…“

„Das kann ich nicht!“, unterbrach er mich schockiert, doch ich deutete ihm zu schweigen.

„Ich verlange keinen Mord. Ich will lediglich, dass Ihr sicher geht, dass er wirklich hingerichtet wird. Ihr sollt Zeuge sein und Acht geben, dass er nicht flieht. Ihr sollte dafür sorgen, dass er Gottes gerechte Strafe erhält. Das ist doch auch Euer Wille oder nicht?“

„J-Ja, natürlich.“

„Sehr gut.“, dann fuhr ich desinteressiert fort: „Und als drittes werdet Ihr mir Geld geben.“

Nun war Johannes völlig geschockt. „G-Geld? Aber woher…? Ich besitze nichts!“

„Ihr nicht… Aber die Kirche.“, es kam völlig selbstverständlich über meine Lippen.

Der Priester rief entsetzt: „Das könnt Ihr unmöglich verlangen!“

Ich packte ihn und zischte: „Doch, das kann ich! Denkt nur, was Ihr mir angetan habt! Ihr habt mich befleckt! Mich, einen Mönch! Ich war stets fromm, stets gottesfürchtig, stets gehörig! Fragt den Abt des Klosters! Und Ihr, Ihr habt mich verdorben! In die Hölle gestoßen habt Ihr mich! Selbst die Feuerprobe habe ich mit Gottes Hilfe überlebt, ist es nicht so? ich war rein!“

„Nein!“, murmelte er. „Nein, das stimmt nicht, nein!“

„Oh doch, Johannes, das stimmt! Und das wisst Ihr so gut, wie ich es weiß…! Wenn ich diese Zelle verlasse, habe ich weder Hab noch Gut! Ich besitze nichts, bis auf dieses Hemd und diese Hose. Wollt Ihr, dass ich stehle? Gar morde vor Hunger? Ist das Euer Wille? Ich habe nicht mit der Hilfe des Herrn überlebt, um mich danach in die Hölle zu stürzen!“

„Natürlich will ich das nicht…!“

„Dann ist Geld das Mindeste, was Ihr für mich tun könnt.“, ich stand auf und zog ihn mit mir nach oben. „Pater, ich bitte Euch, bewahrt mich vor weiteren Sündtaten…! Gebt mir ein wenig Geld.“

„U-und wie viel…?“, stotterte der Priester heiser.

„Genug, um Mathew Hullingtan Black freizukaufen.“

„Was?!“

„Er ist unschuldig! Er ist vom rechten Wege abgekommen, so wie ich. Helft ihm!“

„I-ich werde sehen, was sich machen lässt…“, er suchte ein Tuch aus seinem Ärmel heraus, dann wischte er sich blass den Schweiß von der Stirn. „Aber versprechen kann ich nichts. Er soll schließlich noch heute Abend gehängt werden!“

„Dann verhindert das.“, sagte ich kühl. „Oder wollt Ihr, dass ich dem Richter etwas gestehen gehe? Und ihm einen Wink gebe, mal unter Eure Robe zu gucken?“

Pater Johannes verschluckte sich und schüttelte nur den Kopf. Dann machte er sich wie ein geschlagener Hund daran, die Zelle zu verlassen. Er klopfte drei Mal gegen die Tür. Das Schiebefenster ging auf, ein düsterer Wachmann erkannte ihn und dann öffnete man ihm.

Gerade hatte er die Zelle verlassen, da verschränkte ich die Arme und grinste:

„Ach…Und Pater?“, unsicher drehte er sich noch einmal herum. „Gott sei mit Euch.“



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