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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Das Angebot

Es dauerte Tage, bis ich wieder auf den Beinen war. Am liebsten hätte ich mich beim Feldscher verkrochen, aber Wilkinson jagte mich mit seiner donnernden Stimme im hohen Bogen hinaus, denn er wünschte keine Faulpelze an Bord. Ich empfand tiefste Abscheu für ihn und mehr als nur Zorn. Ich schenkte ihm den nötigen Respekt, aber auch nicht mehr. Wenn er mich passierte, salutierte ich, aber ansehen tat ich ihn nicht. Dies war meine Art, meiner Wut über meine ungerechte Behandlung Luft zu machen. Jedoch war ich nicht der einzige, der gewisse Abneigungen gegen andere an Bord hegte.

Ich musste feststellen, dass der Umgang mit mir sich um einiges verschlimmert hatte. Ich hatte an Fieber gelitten, nur knapp entkam ich mit dem Leben und anscheinend hatte ich das eine, oder andere gesprochen in meinen Träumen – laut. Als ich das erste Mal den Fuß wieder über Deck setzte erntete ich missbilligende Blicke der Extraklasse, einige spuckten aus und ein anderer rempelte mich an, als er vorüber ging. Oder aber sie schimpften mich einen Pfaffen. Nach den lauten Beleidigungen herrschte Totenstille, als würde jeder darauf warten, dass ich anfing zu schreien und zu wüten, wie ich es vor meiner Strafe getan hatte. Stattdessen ging ich schweigend unter Deck, um mein Hemd zu holen und mit Ekel sah ich, dass meine Hängematte zusammen geknüllt in der hintersten Ecke des Raumes lag, nach Urin stinkend und triefend nass – mein Hemd ebenso. Einige Männer standen abseits an die Wand gelehnt und grinsten mich triumphierend an. Aber meine Wut sollte sich noch mehr steigern, bis hin zur Hilflosigkeit.

Nachdem ich mein Hab und Gut gereinigt hatte und mich abends zum Schlafen legte wurde ich ununterbrochen angestoßen, so dass ich fast hinaus fiel, rein zu fällig natürlich. Als ich in den Abortbereich ging, um mich zu erleichtern, klemmte die Tür und ich kam stundenlang nicht mehr hinaus und schon fast täglich musste ich meine Segeltuch-Hängematte zum Waschen hinaus tragen, ehe ich mich hinein legen konnte. Am liebsten wollte ich sie nie mehr aus den Augen lassen, aber ich konnte schlecht mein Bett mit mir herum tragen.

Ich schluckte all die Schikanen und Demütigungen runter, in der Hoffnung, sie würden den Spaß verlieren und aufhören, aber das geschah nicht.

Black hatte Recht gehabt, die Mannschaft stand auf Ians Seite und nun war ich ihre Zielscheibe geworden. So lange Ian lebte und mich hasste, für das, was ich ihm angetan hatte, würde dieses Treiben sich fortsetzen. Ich wusste weder ein nach aus und es gab Abende an denen ich mich im Lagerraum verkroch und es hätte nicht mehr viel gefehlt, ich hätte meine Tränen in einem der Mehlsäcke ersticken müssen.

Auch Black hatte seine Art verändert mit mir umzugehen. Er war schroff geworden, kurz angebunden und zurückhaltender. Ich verstand sein Handeln, aber gutheißen tat ich es nicht. Natürlich konnte er sich unmöglich die Beziehungen mit der Mannschaft verderben wegen jemandem wie mir. Es reichte mir aus, dass er mich regelmäßig in die Kombüse rief zum spülen, kochen, oder schälen und mich dort allein ließ, damit ich Atem holen konnte. Wenn wir allein waren, legte er mir die Hand auf die Schulter, klopfte mir auf den Rücken oder lächelte mir aufmunternd entgegen. Dennoch war es kaum Trost und meine Melancholie setzte sich fester als ohnehin schon. Unendlich müde fühlte ich mich, meine Reaktionen wurden langsamer und vieles musste man mir mehrmals erklären, ehe ich es begriff. Ich fürchtete schon, ich hätte mich noch immer nicht vom Fieber erholt, denn trotz Hitze war mir ununterbrochen kalt, es fröstelte mich und kalter Schweiß rann mir von der Stirn. Mein Appetit ließ nach. Black begann zu witzeln, dass ich blass sei und ein Geist wäre, den verschollene Seeleute uns als Fluch gesandt haben, aber lustig fand ich es nicht, im Gegenteil. Ich begann das Schiff zu hassen und das Meer zu verfluchen. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als eine Heimkehr ins Kloster, oder wenigstens an Land.

Nach zwei Wochen auf See war ich nicht einmal mehr sicher, ob wir überhaupt vorwärts kamen, denn nie sah ich eine Küste und mein Zorn auf meine eigene Dummheit wuchs. Nur die Wolken veränderten sich, die Sonnenuntergänge und die Winde. Als mich dann noch Übelkeit überfiel, als die See etwas rauer wurde und diese auch noch anhielt, Tage danach, versank ich in meinem Elend und wurde völlig unbrauchbar.

„Aye, ohne Frage, da bist du die Geißel der See geworden, Son.“, hatte der Feldscher gesagt, als er mich auf Anweisung des Maats untersuchte. „Seekrank bist du, kein Zweifel.“ Aber Rücksicht nehmen darauf tat man nicht. Ich hatte mir scheinbar zu viel geleistet, jedenfalls hatte Wilkinson kein Erbarmen und prügelte mich eines Tages sogar höchstpersönlich an Deck. Mir war schwindelig, ich konnte kaum laufen und sie hatten wenigstens so viel Mitleid mit mir, dass ich die meiste Zeit in der Kombüse arbeiten durfte. Aber es half alles nichts. Mein Kopf dröhnte unwahrscheinlich und sobald Black auch nur ansatzweise zu kochen begann brach ich so lange in einen der Eimer, bis es nichts mehr zu brechen gab, und selbst noch minutenlang danach die Galle. Nur mit Ingwerwurzeln gelang es mir,dem allem ein Ende zu setzen, jedoch machte mich der Geschmack fast noch kranker, als das Erbrechen selbst. Die Müdigkeit nahm kein Ende und der Schlafmangel machte mich fast schon unberechenbar. Selbst als Wilkinson mir erlaubte einen ganzen Tag in meiner Hängematte zu verbringen, brachte mir das keine Erleichterung und mein Zorn und meine Aggressionen übernahmen bald die Überhand. Nach einer weiteren Woche erkannte ich mich nicht mehr wieder.

Ich begann mich gegen die Pöbeleien zu wehren. Rempelte mich jemand an, stieß ich ihn von mir und spuckte mir jemand vor die Füße, begann ich ihn zu beschimpfen und rang die Hände dabei, dass mein Gesicht puterrot wurde. Black versuchte mich zu beruhigen und sprach fast jeden Abend mit mir, aber nichts davon erreichte mich und dann wurde es so schlimm, dass ich nicht mehr konnte. Ich war gefangen in einem Strudel, welcher nicht mehr aufhören wollte. Mal war ich wütend, dann tieftraurig, dann wieder wütend und so weiter… Ich war wie im Wahn und es wurde von Tag zu Tag schlimmer.

Endlich begriffen auch die Matrosen was mit mir los war und einige, wenige, nahmen Rücksicht und wichen mir aus. Aber jene, welche noch immer Hass gegen mich hegten trieben mich in den Wahnsinn, denn sie wussten genau, was die Folgen von Seekrankheit sind - Man bricht zusammen vor Verzweiflung.

Und so geschah es, dass ich in einer Nacht in Streit mit einem von ihnen geriet. Wir standen an Deck, ich hatte Wache und er rempelte mich mit voller Absicht beim Vorbeigehen an, so stark, dass ich fast fiel. Ich folgte ihm und mit einem Tritt ins Hinterteil lag er blank.

Wütend fuhr der Matrose herum. Tom hieß er, eigentlich Thedore O’Mathew. Aber da wir bereits einen Mathew hatten und Theodore zu vornehm klang, nannte man ihn, wie mich, bei den Initialen: TOM.

Tom und ich waren bereits öfters aneinander geraten. Er war einer der besten Freunde von Ian und seit unserem Zusammenstoß ließ er regelmäßig seine Launen an mir aus. Das Anrempeln hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Den ganzen Tag schon war ich gepöbelt worden und nun auch noch nachts?

„Du wagst es, mich zu treten, Pfaffe?!“, schrie er mir entgegen und ehe wir uns versahen begannen wir eine Prügelei. Die meisten der Mannschaft sammelten sich auf Deck, feuerten an, oder jubelten. Dann erschien der Maat und sofort packte man uns, um uns auseinander zu reißen. Ich wehrte mich nach Leibeskräften, um zu ihm zu kommen, aber selbstverständlich war ich weitaus schwächer und als sich die Lage endlich beruhigt hatte übermannte mich der Zorn. Ich begann zu schreien und zu fluchen, beschimpfte ihn, Ian und seine Leute und spuckte vor ihnen aus. Jeden einzelnen der Mannschaft schrie ich an und mit jedem grinsenden Blick sah ich mehr Rot, bis ich fast zusammen brach vor unbändiger Verzweiflung. Ich bekam kaum mit, was ich tat, so außer mir war ich. Als der Maat mich beruhigen wollte wehrte ich sogar ihn ab und wollte springen. „Lieber ertrinke ich!“, schrie ich und kletterte unbeholfen in die Wanden. „Als dass ich länger auf diesem verfluchten Schiff bleibe!“

„Die Seekrankheit hat ihn nun ganz und gar!“, jammerte der Feldscher und auch ihn begann ich zu verfluchen. Dass er keine Ahnung hätte, was mich besaß und dass er zum Teufel gehen solle, mit seinen vermaledeiten Diagnosen.

„So haltet ihn doch!“, brüllte der Maat wie von Sinnen und verteilte Tritte und Schläge an die Matrosen, welche mich wie gebannt anstarrten. Es hatte nicht wenig gefehlt, dann wäre ich ins Meer gesprungen. Zwei Männer packten mich und rissen mich unsanft zurück auf Deck, wo ich laut krachend zu Boden gedrückt wurde. „Los lassen, Ihr gottverfluchten Bastarde, los lassen sage ich! Der Teufel soll euch holen, euch alle!“

Dem heiligen Vater mussten die Ohren abgefallen sein, als er mich hörte. Ich zappelte wie ein Fisch im Netz, schrie, spie Flüche der schlimmsten Art und biss einem von ihnen sogar in den Arm. Nach wenigen Minuten war die Lage wieder unter Kontrolle. Sie hatten mich gefesselt und an den Großmast in der Mitte des Schiffes gebunden, aber selbst dort wehrte ich mich noch, zappelte und schrie. „Macht mich los!“, forderte ich. „Sofort, ich will von Bord! Los machen, ihr Schweinehunde! Elende! Verdammte Mistkerle!“

„Beruhige dich, Son!“, forderte der Maat, Robert, streng, aber es half alles nichts und so befahl er zwei Männern mich zu bewachen und dem Rest unter Deck zu gehen. Keiner sollte mich ansprechen und keiner mich ansehen, bis er es erlaubte.

Es dauerte gut eine Stunde, bis ich mich einigermaßen fing und den Kopf hinunter hängen ließ. Hilflos wie ich war begann ich zu schluchzen und zu jammern, doch keiner beachtete es. Die zwei Männer taten ihre Pflicht, setzten sich auf zwei Fässer und glotzten mich teilnahmslos an.

Am nächsten Tag ging es mir immer noch nicht besser. Ich erbrach mich im Stehen, ein Mann musste den Eimer halten und mein Gesicht nahm eine weißgrünliche Färbung an. Die Ingwerwurzeln verweigerte ich, bis man sie mir hinein zwang und ich sprach selbst mit dem Kapitän kein Wort. Noch nie war es mir so schlecht ergangen. Ich wollte sterben, oder wenigstens an Land kommen, irgendwie, egal wie. Aber natürlich ging das nicht. Jeden Tag kam der Feldscher zu mir und musterte mich von oben bis unten, ohne mich los zu machen und ich brachte ihm meine Verachtung entgegen. Ich stellte sie öffentlich zur Schau. Jeden, der vorüberging und sein Sprüchlein bei mir ließ, verfluchte ich bis zur ohnmächtigen Wut. Und dann zerrte und schrie ich erneut, gefolgt von Weinkrämpfen bis spät ich die Nacht. Es dauerte etliche Tage, bis sie mich los machten und ich durfte nicht meiner Arbeit nachgehen, sondern wurde unter Arrest gestellt. Ich kam in einen kleinen Raum neben dem Ankerspill und dort saß ich dann gefesselt und trübsinnig. Allmählich kehrte Ruhe in meinen Geist ein. Die Übelkeit schwand, aber die Schwerfälligkeit und Melancholie hielt stand. Ich sinnierte über Gott und Teufel, über Bibel und Kirche, ja sogar über den Sinn des Lebens. Dass ich nun an Festgesetzter Melancholie, oder auch „Schwarzer Galle“ erkrankt war erkannte ein Blinder. Ich zwang mich, normal zu wirken, wenn ein Matrose mir Essen brachte, oder mich zum Abort. Es grauste mir davor, dass der Feldscher vielleicht auf die Idee kommen könnte, er müsste mich mit Drogen, oder meine Depression mit Hilfe von Lobotomie zu behandeln. Es grauste mir beim Gedanken daran, dass er mich betäubte und dann mit einem scharfen Skalpell meinen Schädel aufschnitt, um Teile meines Gehirns zu entfernen.

Wie erleichtert war ich, als mir klar wurde, dass ich an Bord war und nicht im Kloster. Denn Melancholie und Lebensunlust galten als Todsünde und den Verlust des christlichen Glaubens konnte man nur mit dem Scheiterhaufen bereinigen. Dennoch, dass der Feldscher in meinem Hirn herum dokterte erschien mir fast noch schlimmer!

Als ich den Arrestraum wieder verlassen durfte herrschte betretendes Schweigen an Bord. Keiner sprach mich an, pöbelte mich, oder sah mir nur ansatzweise entgegen. Man behandelte mich wie einen schwer Erkrankten und wich zurück, wenn ich vorbei ging. Ich weiß noch, wie ich dachte: So muss sich ein Schwachsinniger fühlen, der an der Wutkrankheit leidet.

Ich bekam einfache Arbeiten in der Kombüse wie Spülen, oder Kochen. Messer und andere scharfe Dinge hielt man von mir fern. Ob es zur Sicherheit war, oder um mir den letzten Stolz zu nehmen, wusste ich nicht. Aber ich verstand es als Demütigung nur die geringsten Arbeiten wie Putzen und Waschen erledigen zu dürfen und empfand die Ignoranz der Matrosen als Verletzung und Missgunst ihrerseits. Scheinbar hatte ich den niedrigsten Rang an Bord bekommen und dementsprechend wurde ich auch behandelt: Wie Luft.

Nur Black sprach ab und an mit mir, heimlich, in der Kombüse. Auch an diesem Abend, welchen ich wie folgt beschreiben möchte:

Ich saß am Tisch in der Schiffsküche und schrubbte einen Topf, welcher aufs übelste beschmutzt war, da kam Black herein und sah sich um. Er ließ den Blick schweifen und hinkte um den Ofen herum.

„Sehr gut, Son, ganze Arbeit, bei meinem Holzbein, so sauber war die Kombüse noch nie!“, grinste er dann und lehnte sich an eine Ablage. Ich reagierte nicht, sondern blieb auf meinem Schemel und kratzte weiter am Grund des Silberbehälters herum. Ich war schweigsamer geworden, als ohnehin schon und sprach eher selten ein Wort. Da bemerkte ich eine angespannte Stille. Black starrte mich an, das spürte ich und als ich aufsah, wurde mein Verdacht bestätigt.

„Was ist?“

„Aye…“, er brummte und fuhr sich bescheiden über den Nacken. Dann brummte er erneut. „Aye, der Käpt’n ist zufrieden mit ihm, ab morgen darf er wieder an Deck arbeiten.“

Verwirrt tat ich weiter meine Arbeit.

„Ihr jedoch scheint nicht zufrieden damit, Black.“, stellte ich leicht desinteressiert fest.

„Doch, doch…“, erneut fuhr er sich durch den Nacken, dann lehnte er die Krücke in ihre Ecke, zog einen Schemel und ließ sich schwerfällig neben mich sinken. Er stöhnte und streckte sein Holzbein aus. Mir wurde ein wenig Unwohl bei dem Anblick und ich starrte konzentriert in den Topf. „Nun, die Sache ist die, Son, mein Junge… Nicht mehr lange, zwei, drei Wochen, weiß der Teufel wie lange genau, dann erreichen wir Land.“

Ich sah auf. „Land? Ich kann das Schiff endlich verlassen?“

„Aye, Land. Nun, Wilkinson ist nicht begeistert von ihm, dass kann er mir glauben und der alte Black ist in Zweifel, ob der Sir ihn von Bord gehen lassen wird.“

„Ich…verstehe nicht.“, als ich den Topf sinken ließ und ihn anstarrte schnalzte er mit der Zunge und seufzte.

„Nun, der Ankerplatz ist kein Hafen und gewiss bekommen einige Freigang und ohne Frage werde ich, der Alte Mathew Hullingtan Black, unter ihnen sein. Aber ob der Sir auch ihn…? Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Er hat sich viel zuschulden kommen lassen die letzte Zeit, die Arbeit nur mit Murren getan und gewiss hat der Sir kein Interesse daran, dies zu entlohnen.“

„Aber ich sollte doch von Bord!“, protestierte ich, wenn auch ruhig und sah Black weiterhin völlig verwirrt an. „Wilkinson meinte doch zu Beginn, ich sei ohnehin nicht zu gebrauchen, liege ich falsch? Wieso mich nicht absetzen und ohne mich weiter fahren?“

„Aye…“, sein Brummen machte mich wütend. Black wich mir aus und seine herzliche Art verwirrte mich. Es war mir lieber, er gab mir Befehle und Schläge auf den Hinterkopf, als herum zu drucksen wie ein alter Mann.

„Erklärt es mir.“, forderte ich kühl. „Ihr wisst, ich bin kein Matrose, ganz und gar nicht. Ich kann spülen und schrubben, mehr nicht! Wieso nicht mich absetzen?“

„Aussetzen.“, korrigierte er mich.

„Ich verstehe nicht.“, sagte ich abermals. Der alte Seebär wiegte den Kopf, als wäre er einer seiner Pfannen, welche mit der Krängung des Schiffes schwankten.

„Die Insel ist leer, Son und wir würden ihn nicht nur absetzen, sondern aussetzen.“

Nun war ich verblüfft. „Eine unbewohnte Insel?“

„Aye und er würde gewiss dort verhungern oder verdursten.“

„Aber wieso legen wir dort an?“, fragte ich verwirrt. Black zog seinen Hut und warf ihn achtlos auf den Tisch. Ich sah, dass seine zwei Kopftücher schweißgetränkt waren von der Hitze über Deck und fragte mich, wieso er seinen Mantel nicht auszog, wenn ihm so warm war.

„Nun, das hat ihn, Son, vorerst nicht zu interessieren. Worum es hier geht, ist: Er wird wohl nicht mit an Land können. Und der alte Black redet nicht aus Langeweile mit ihm, das kann er mir glauben. Guter Wille ist es, der mich zu ihm führt, denn ich kann es schon vor mir sehen!“, Black hob die Hand, als würde er das Gemeinte wahrhaftig vor sich in der Luft erkennen. „Wir, die arme Mannschaft, kaputt und erschöpft von langer Fahrt, endlich an Land und er…“, und dabei deutete er auf mich. „…allein an Deck, schimpfend, protestierend und ehe er sich versieht wieder unter Arrest.“, ernst drehte Black sich zu mir und beugte sich ein Stück vor. Ich roch, dass er bereits seine erste Ration Rum verbraucht hatte, als er weiter sprach: „Und das wollen wir nicht, aye? Er und ich?“

„Nein…“, antwortete ich, unsicher, worauf er hinaus wollte und zufrieden fuhr er fort.

„Aye, das dachte sich der alte Black. Und bei meinem Holzbein, auf eines kann er sich verlassen: Er will ihm nichts Böses! Bei Gott, wenn es ihn denn gibt, im Gegenteil: Tag und Nacht zu ihm gehalten hat der alte Black. Sogar, als es ganz arg um ihn stand und er unter ging wie eine Kanonenkugel! Selbst da habe ich zu ihm gehalten und seine Flagge niemals eingeholt, oder nicht? War es nicht so? Son?“

Ich zögerte ein wenig. „Doch… Ich denke schon…“

„Aber mit Sicherheit!“, entgegnete er eifrig nickend und legte mir väterlich die Hand auf die Schulter. „Und deswegen wird der alte Black ihm helfen an Land zu kommen!“

Nun war ich verwirrt. „Aber Black, ich verstehe nichts von dem, was Ihr redet…“

„Schoten dicht und Ohren auf, Junge. Zuhören soll er, dann erst reden!“, aber seine Strenge wich sofort wieder Offenherzigkeit und erneut legte er seine Hand auf meine Schulter und grinste mir freundschaftlich entgegen. „Wilkinson wird ihn nicht an Land gehen lassen, oh nein. Er war die letzten Wochen alles andere als eine Bereicherung an Bord und der Sir ist ein zu harter Käpt’n, als dass er ihn zur Belohnung einen Abend Freigang gäbe. Und wir alle werden an Land gehen und dort feiern und trinken. Uns in den Sand werfen, wie es eben unsere Art ist, oh ja. Aber er, Son, wird hier bleiben, allein an Bord und Wache haben. Das versichere ich ihm, so wahr ich hier sitze und dem ist ja wohl so, oder nicht? Oder nicht?“

Ich nickte unsicher. „Doch, sicher, Ihr sitzt hier, aber-…“

Black nickte ebenfalls. „Aye, das will ich ja wohl meinen und da kommen wir auch schon zum Punkt, er und ich:

Sitzen. Während wir alle an Land sind, sitzt er hier fest, beim Klabautermann, wie ein Windjammer, der bei Ebbe in einer Gezeitenbucht ankern wollte! Keine Jolle, keine Gig in Reichweite und das Wasser so kalt, dass ihm die Ohren abfrieren, mein Wort darauf. Dabei wäre es doch sicherlich schön für ihn an Land zu gehen, oder nicht? Ein wenig umher laufen, ein Spaziergang im Mondschein, Musik und Tanz, Vögel, Pflanzen. All jener Plunder, welchen die Landratten so besingen. Und denke er nur wie erleichternd es wäre, endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Kein Geschaukel, kein Geknarre: Sand und Kies, mein Freund, so weit das Auge reicht! Frisches Obst und Ziegenfleisch – denn Ziegen gibt es dort genug zum schießen, mein Wort darauf – kein Gepökeltes mehr tagein, tagaus. Zart und kross und ordentlich gewürzt mit Rum und vielleicht sogar Käse dazu! Wäre das nichts für ihn?“

Tatsächlich lief mir leicht das Wasser im Mund zusammen, als er begann von frischem Essen zu sprechen und mein Magen zog sich ungewollt zusammen. Ich nickte. „Doch, natürlich, aber-..“

„Aye, das dachte sich der alte Black.“, unterbrach er mich abermals und packte mich am Hemdkragen. Er zog mich zu sich heran, ganz dicht, so dass ich durch den Mund atmen musste, um seiner Fahne zu entkommen. Geheimnistuerisch begann er zu zischen, nachdem er einen kurzen Blick zur Tür geworfen hatte: „Und nun das letzte, mein Freund, er soll gut zuhören:

Alles davon soll er bekommen, Hand ins Feuer, wenn er so will, alles davon. Wenn er dem alten Black hilft, dann will der alte Black ihm helfen.“, In meinem Kopf schlug es Alarm und ich wollte mich lösen, aber er ließ mich nicht und ein harter Ruck brachte mich zum erstarren. Er fuhr bedrohlich fort: „Zuhören, Son, gut zuhören:

Der alte Black ist kein Meuterer, beim Allmächtigen – wenn es ihn denn gibt -, das weiß er so gut wie ich, oder nicht? Oder, Son? Bin ich ein Meuterer?“

„N-Nein, Black, Sir…“, stotterte ich und starrte in seine zwei verschiedenen Augen.

Er nickte.

„Aye, das dachte ich mir, dass wir da gleicher Meinung sind. Der Black hat nichts Großes vor, Son, kein Verbrechen, da sei er sich gewiss. War der alte Black nicht immer gut zu ihm? Hat ihn aufgeheitert und mit ihm gesprochen, wo alle anderen sich abwandten? Nun, Son, es ist an der Zeit zurückzuzahlen und dies ist kein Böses Wort von mir, darauf verlasse er sich.“, er ließ mich los und unsicher starrte ich ihn an. Blacks Blick war unheimlich ernst und ich erinnerte mich an jenen Tag, als er mich gegen die Reling gestoßen und mir in den Rücken geschlagen hatte. Mir schien es, als säße vor mir ein anderer, zweiter Mathew Hullingtan. Ein ernster, finsterer. Gefährlicher… „Black und ein paar andere, Namen sind einerlei mein Freund, wir haben große Pläne. Nichts Boshaftes, darauf sei Verlass, aber es wäre gelogen zu behaupten, der Käpt’n hieße es gut.“

„Meute-…?!“

„Nein, warte, er soll mich nicht unterbrechen. Erst einmal will ich fort fahren:

Ich will ihm helfen, wenn er uns hilft, ohne Frage und gewiss würde sich sein Leben hier verändern, da sei er sich sicher. Wenn er uns beisteht bei unserem Vorhaben wird er beliebt werden wie jeder andere hier an Bord. Kein ignorieren mehr, Son, kein Pöbeln. Er wäre willkommen und Teil der Mannschaft und ist das nicht sein Wunsch?“

„Doch, aber-…“

„Er sollte zu Ende zuhören, also:

Der Alte Black und die anderen die brauchen einen Schlüssel. Einen Schlüssel aus der Kajüte des Käptn’s. Und ich weiß, er hat Pfiff und weiß, dies ist eine heikle Sache. Aber wenn alle an Land sind, bis auf er und einige anderen, dann ist es ein leichtes – auch Wilkinson wird ohne Frage von Bord gehen für einige Stunden. Und wenn er in dieser Zeit den Schlüssel aus seinem Schreibtisch-…“

„Genug jetzt!“, fuhr ich Black an und er schwieg. Ruhig und düster sah er mir in die Augen, während ich um Fassung rang. „Ihr redet ohne Sinn und Verstand und wollt mich verwirren, aber ich bin kein Idiot! Ich verstehe Eure Lockrufe und ich sehe, womit Ihr mich blenden wollt, aber ich verstehe sehr gut, was hier vor sich geht, Black! Ihr wollt mich zur Meuterei anstiften!“

Bei dem Wort Meuterei fuhr er zusammen, packte mich und laut krachend stürzten mein Schemel zur Seite. Er hatte mich gepackt und auf den Tisch geworfen, seine behandschuhte Hand auf meinem Mund und sah zur Tür. Aber keiner war zu sehen, also fuhr er mich zischend an:

„Hat er denn den Verstand verloren, so laut das Wort der Verdammten in den Mund zu nehmen?!“, er ließ mich nicht los und ich war erstaunt, wie viel Kraft der alte Mann hatte. Mit einem Ruck riss er mich hoch, nur um mich erneut auf den Tisch zu knallen und fast panisch starrte ich ihn an. „Nun höre er mir mal ganz genau zu, Son! Dies hier war eine angenehme Sache, für wahr, aber er musste widerspenstig sein und nun wird es unangenehmer, mein Freund! Der Alte Black hat ihm kein Angebot gemacht, wenn man so sagen will! Und sollte er es noch einmal wagen es als verruchte Tat zu umschreiben, dann fliegt er, so wahr ich hier stehe, im hohen Bogen über die Reling! Aye?!“, ich starrte ihn noch immer an, dann nickte ich und zögernd löste er seinen Griff.

Ich fuhr hoch und wich zurück bis zur Wand, wo ich mir keuchend über den Mund wischte.

„Das nehme ich Euch übel, Black…!“, zischte ich dabei hasserfüllt. Aber er blieb ruhig und stellte den Schemel hin.

„Er sollte mir erst einmal zuhören, ehe er brave und unschuldige Männer wie mich solcher Taten beschuldigt.“, Black deutete auf den Schemel, aber ich rührte mich nicht und so seufzte er, nahm seine Krücke und stand unter Anstrengungen auf. „Aye, nun gut… Es tut mir leid, Son, aber wenn er der Meinung ist, mich, den alten Hullingtan, so abzuweisen, wird er mit den Konsequenzen leben müssen…“, und er nahm seinen Hut und klopfte ihn ab vom Mehl. Dann drehte er sich zu mir herum und setzte ihn sich auf.

Niemals werde ich seinen eiskalten Blick vergessen, wie Black da stand, mit seiner Krücke, seinem Hut und so kühl, wie aus Eis. „Ich gebe ihm noch drei Tage zu entscheiden. Drei Tage, Son, so leid es mir tut, ich habe keine andere Wahl. Er merke sich gut: Drei Tage. Und bis dahin...Schweigen.“ Und mit diesen Worten hinkte er schwerfällig zur Treppe und dann diese hinauf.

Kurz war es leicht dämmrig in der Kombüse, durch seinen Schatten, welcher das Sonnenlicht behinderte. Aber dann wurde es wieder hell. Ich sah die Staubteilchen im Licht herum wirbeln und spürte, wie meine Knie weich wurden. Langsam beruhigte sich mein Herz wieder und unsicher sank ich auf den Schemel zurück. Als wäre nichts passiert und wie in Trance nahm ich den Topf und fuhr mit meiner Arbeit fort, aber nach ein paar Sekunden wurde mir bewusst, was geschehen war. Ich hielt inne und sah zur Tür, doch Black war nicht mehr da. Das Schiff knarrte, die Pfannen klimperten, wenn sie gegen die Wand fielen und eine Erbse rollte hin und her, bis sie zwischen zwei Dielen verschwand.

Was sollte ich tun?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momachita
2012-08-14T07:01:41+00:00 14.08.2012 09:01
Oh. Mein. Gott.
Dieser Dialog, der sich ja dann doch bestimmt auf mindestens 4 oder 5 (Animexx-)Seiten gezogen hat, war so was von d e r m a ß e n spannend, dass ich, selbst wenn ich gemusst hätte, z.B. durch ein einbrechendes Weltenende, niemals davon hätte ablassen können!
Wie der Black schon fast im Wahn zu Son gesprochen hat... und wie du seinem unglaublich charakteristischem Sprachstil durch die Bank weg so treu bleiben kannst..! Einfach nur der Hammer!
Und ganz ehrlich, ich dachte die ganze Zeit: "Man, Son, lass den Mann doch wenigstens ausreden, damit ich erfahre, was er mit diesem vermaledeiten Schlüssel anfangen will!". Wirklich, diese Frage frisst mich innerlich gerade auf!
Nun denn, dagegen hilft auch keine Ingwerwurzel (wusste ich auch noch nicht, dass das 'antiemetisch' wirkt. Schon wieder was gelernt! :) Außerdem sei gesagt, dass ich Sons Abneigung dagegen vollstens verstehen kann, mir schmeckt Ingwer auch kein bisschen), sondern nur eins: Weiterlesen!


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