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Die Schandsage

Von Wahren Helden und anderen Halunken
von

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Königin

Weiß wie Schnee und rot wie Blut

ihre Haut, die Lippen sind.

Schwarz wie Ebenholz das Haar,

so wie's beim Kind im Märchen war.
 

Rhow erwachte am nächsten Tag mit dröhnendem Schädel, weil ihn jemand beharrlich in die Seite knuffte. „Steh auf!“, hörte er Flints Stimme wie durch einen dichten Nebel. „Na los!“ „Lass mich“, brummte Rhow und drehte sich auf die andere Seite. Der Riese schnaufte leise, versetzte ihm einen Tritt in den Allerwertesten und rief: „Jetzt steh endlich auf, du alte Saufnase!“ Missmutig öffnete der Vagabund die Augen und knurrte: „Saufnase? Heute schon mal deine Fahne gerochen?“ Flint lachte laut auf. „Die ist bestimmt nicht schlimmer als deine. Was hab ich gestern noch verpasst? Bevor meine Erinnerungen im Nebel versinken, warst du noch recht nüchtern, meine ich…“ Rhow fuhr sich durch die Haare, während er ungeniert gähnte. „Keine Ahnung… gab wohl Grund zum Feiern…“

Cen beobachtete ihn mit einem skeptischen Stirnrunzeln. Die Euphorie des vorherigen Abends hatte den Vagabund letztendlich doch erfasst und er hatte sich genau wie Irima vollends die Kante gegeben, wie es so schön hieß. Der Schütze seufzte. Bei Rhows letztem Lied hatte er schon fast geglaubt, die Beiden hätten einander endlich ihre wahren Gefühle offenbart. Denn dass sie einander wollten, stand für Cen außer Frage.

Doch zu viel Glück, beziehungsweise daraus resultierend übertriebenes Feiern war eben noch nie die beste Idee gewesen und so erinnerte an Rhows letztes Lied nur noch der zweite Ring, den Irima nun an ihrem Finger trug und den sie bisher noch nicht einmal bemerkt hatte.

Flint zog Rhow auf die Füße und klopfte ihm so fest auf die Schulter, dass der Vagabund beinahe wieder zu Boden gegangen wäre. „Ich hoffe, du hast deinen Rausch ausgeschlafen, wir haben schließlich noch einen weiten Weg vor uns!“ Als Rhow ihm einen fragenden Blick zuwarf, antwortete der Riese nur: „Unsere Diebin, schon vergessen? Während du gepennt hast“, er kratzte sich kurz am Hinterkopf, als er das Stirnrunzeln auf Rhows Gesicht sah, „während wir gepennt haben, hat unser Bogenschütze sich noch mal ein wenig umgehört… die fremde Frau soll hier durchgekommen sein.“ Da wurde der Vagabund hellhörig. „Tatsächlich? Dann sollten wir ein paar Vorräte zusammensuchen und –“

„Zu spät, wie immer.“ Mit gewohnt hochmütigem Blick trat Irima heran, fuhr sich durch die braunen Locken, die im Licht fast kupferfarben schimmerten, und meinte: „Der Wirt hat uns Vorräte für eine ganze Weile eingepackt… deine Vorstellung und sein damit verbundener Verdienst hat ihn äußerst großzügig werden lassen.“ Wie um ihre Worte zu unterstreichen warf sich Cen breit grinsend einen ganzen Sack mit Lebensmitteln über die Schulter. Rhow blinzelte einen Moment lang überrascht, dann lachte er auf. „Schön. Verhungern werden wir also nicht. Das ist doch wenigstens mal eine gute Nachricht am Morgen.“ Mit einem donnernden Lachen schob Flint ihn ans Fenster. „Sieh hinaus und weine. Es ist nach Mittag.“ Rhow schnitt eine Grimasse. „Es hat wohl niemand von euch für besonders wichtig gehalten, mich zu wecken, wie?“ Als Antwort erhielt er nur ein weiteres breites Grinsen seiner Kameraden.
 

Sie brachen so bald wie möglich auf, weiter nach Westen, der vagen Spur ihrer geheimnisvollen Diebin folgend. Die Fremde fiel auf, soviel war sicher, denn in jedem Dorf erinnerte man sich an sie. Das Haar schwarz wie Ebenholz, eine zarte, blasse Haut und Lippen rot wie Blut, genau wie eine Prinzessin im Märchen, so beschrieben die Menschen sie. Die vier Reisenden fragten sich bald, ob die geheimnisvolle Frau nicht nur das Ergebnis der Fantasie vieler Bauern war. Konnte ein Mensch wirklich so schön sein, wie die Leute behaupteten?

Sie sollten bald die Wahrheit erfahren, denn nach drei Tagen Wanderung hörten sie von einem fahrenden Händler, dass die Fremde im nächsten Dorf Rast machte. Die Vier tauschten aufgeregte Blicke aus, bedankten sich hastig und machten sich eiligen Schrittes auf den Weg dorthin.

Als sie schließlich im hiesigen Gasthof nach der Frau fragten, wurden sie erneut enttäuscht – sie hatten sie knapp verpasst. Rhow hätte am liebsten laut aufgeheult vor Wut und Enttäuschung, da sagte der Wirt: „Sie ist erst vor etwa einer halben Stunde aufgebrochen. Weit kann sie noch nicht sein.“ Er deutete der bereits untergehenden Sonne entgegen. „Sie verließ das Dorf in dieser Richtung. Wenn ihr euch beeilt, holt ihr sie vielleicht noch ein?“
 

„Ist sie hier gewesen?“, fragte Irima mit einem skeptischen Blick auf den Vagabunden, der am Boden kniete und scheinbar sinnlos mit den Fingerspitzen durch den Staub fuhr. Er stand auf. „Zumindest ist diese Spur noch nicht allzu alt. Beeilen wir uns.“

Die Sonne berührte bereits die oberen Gipfel der weiten Hügelkette im Westen und tauchte den Horizont in schimmerndes Gold, als Cen mit vielsagendem Blick nach vorne deutete. Rhow nickte und auch Flint und Irima sahen nun die Gestalt, die sich als schwarzer Schatten gegen die Dämmerung abzeichnete. Sie verfielen in eine schnellere Gangart und der Abstand zu ihrer vermeintlichen Diebin schmolz zusehends dahin.

Bis die Fremde ihre Verfolger bemerkte. Irima fluchte wenig damenhaft, als die Frau zu laufen begann, und beschleunigte ebenfalls ihre Schritte. Die Männer folgten ihr, dann gab Rhow ihnen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie sich trennen sollten, um der Frau den Weg abzuschneiden. Als die erkannte, was ihre Verfolger vorhatten, versuchte sie einen verzweifelten Ausbruchversuch, indem sie Haken schlagend nach rechts auswich.

Und Cen genau in die Arme lief. Sie schrie, als er sie hart an den Handgelenken ergriff und zu umklammern versuchte. Doch sie war wehrhaft. Mit einem wütenden Schrei trat sie nach dem Bogenschützen und schaffte es schließlich, ihm gegen die verletzte Schulter zu schlagen, so dass er sie mit schmerzverzerrtem Gesicht losließ.

Im selben Moment war Irima neben ihr und riss sie zu Boden. Ineinander verkeilt und laut fluchend wälzten sich die beiden Frauen im Staub und schließlich gewann die Schwarzhaarige die Oberhand. Sie drückte Irima auf die kalte Erde und schlug ihr zweimal mit der Faust ins Gesicht, ehe Flints starke Arme sie von hinten umschlangen und von der Brünette wegzerrten. Noch immer wehrte sich die Frau nach Leibeskräften, doch Flints Stärke hatte sie nichts entgegenzusetzen und so erlahmten ihre Bewegungen schließlich und sie sackte seufzend zusammen. Sofort war Irima über ihr und band ihr die Hände, wobei sie grober vorging, als nötig gewesen wäre. Sie strich sich triumphierend die staubigen Haare aus dem Gesicht und versetzte der Frau einen Stoß, der sie zu Boden warf. „Endlich haben wir dich!“

Cen sah zu Rhow herüber, der in einigen Schritten Entfernung wie erstarrt stehen geblieben war und nun gebannt auf die Schwarzhaarige herabstarrte. Erst, als Irima dazu ansetzte, ihr weiter zuzusetzen, erwachte er aus seiner Trance und legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter. „Nicht!“ Er blickte auf die Frau herab und beugte sich schließlich zu ihr herunter. Ich muss mich irren!, dachte er bei sich, während er die Frau mit zitternden Fingern auf den Rücken drehte.

Er zog scharf die Luft ein, als er ihr wirklich unsagbar schönes Gesicht erblickte. „Prinzessin Aryana?!“ Die Frau öffnete resignierend die Augen und flüsterte: „Er hat mich also gefunden…“ Augenblicklich begann Rhow in seinen Taschen zu kramen, bis er schließlich fand, was er suchte – sein Messer. „Was tut Ihr hier?“, fragte er verstört und löste ihre Fesseln unter den ungläubigen Augen seiner Kameraden. „Was tut Ihr hier?“, wiederholte er, während er ihr half, sich aufzusetzen.

Flint fragte: „Prinzessin?? Was zur Hölle geht hier eigentlich vor?“ Die Frau warf ihm einen finsteren Blick zu, in dem sich Stolz mit Verachtung mischte. „Königin, um genau zu sein.“ Sie wandte sich wieder an Rhow. „Ich bin Königin von Ahrlanden!“ „Königin…?“ Rhow stutzte. „Ihr seid die Gemahlin des Königs? Seit wann…“ Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Das ändert einiges…“ „Was ändert das?“, fragte die Königin sichtlich verärgert. „Ich –“ Sie stockte und Rhow fühlte sich unter ihrem Blick mit einem Mal sehr unwohl. „Ich kenne Euch…?“ Der Vagabund wandte das Gesicht ab und murmelte: „Bestimmt nicht.“

„Was soll das heißen, Königin von Ahrlanden?“, rief Irima nun und beanspruchte Rhows Aufmerksamkeit für sich. „Wie kann sie unsere Diebin sein?“ „Diebin?“, begehrte Lady Aryana auf. „Was erlaubst du dir?“ „Sie ist keine Diebin“, fiel Rhow ihr ins Wort und blickte Irima fest an. „Verstehst du nicht? Sie ist der Schatz. Der König hat uns zum Narren gehalten, sein Schatz wurde nicht gestohlen, er ist ihm davongelaufen.“ Er wandte sich wieder an die Königin. „Lady Aryana… was ist geschehen?“ Einen Moment lang musterte sie ihn noch immer mit diesem fragenden Blick, dann begann sie zu erzählen. Sie erzählte von ihrem Gemahl, der von Treue nicht sehr viel hielt, sondern sich lieber mit Mätressen vergnügte und dabei seine Königin völlig vernachlässigte. Bis diese schließlich die Nase voll hatte und davonlief.

Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor und während sie erzählte, traten ihr die Tränen in die Augen, als ihr all die schrecklichen Begegnungen auf ihrer Flucht wieder in den Sinn kamen.

Als sie schließlich geendet hatte, herrschte betretenes Schweigen unter den Gefährten. „Und was machen wir nun?“, fragte Flint schließlich in die Stille hinein und die anderen sahen sich fragend an. Cen zuckte nur mit den Schultern und so meinte Rhow: „Wir sollten ins nächste Dorf gehen, uns eine Bleibe suchen und eine Nacht darüber schlafen. Morgen können wir weiter beraten.“
 

Die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt, doch Rhow saß schon seit einer Stunde hinter dem Gasthaus und sah mit wehmütigem Gesicht dabei zu, wie sich der Horizont langsam erhellte.
 

„Die Sonne, die Sterne tragen Kunde von dir,

jeder Lufthauch erzählt mir von dir.

Jeder Atemzug, jeder Schritt

trägt deinen Namen weit mit sich mit...“
 

Er sang leise vor sich hin, ehe er in sanftes Summen verfiel und schließlich wieder verstummte. Traurig dachte er an Melissas Ring, den er seit Jahren um seinen Hals trug. Vor zwei Tagen jedoch hatte er erschrocken festgestellt, dass er fehlte, und schließlich resignierend eingesehen, dass er ihm wohl gestohlen worden war – vermutlich, als er im Vollrausch in der Gaststube geschlafen hatte, nachdem er dort die Kundschaft vortrefflich unterhalten hatte. Undankbares Pack!, dachte er bitter und lehnte sich etwas zurück, als er merkte, dass er nicht mehr allein war. Überrascht drehte er sich um, nur um noch überraschter zu sein, als er Lady Aryana erkannte, die ihn wieder mit diesem durchdringenden Blick musterte. „Ich wusste es“, murmelte sie und trat an ihn heran. „Ihr habt Euch verändert.“ Rhow sah sie fragend an. „Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen, Euer Majestät.“ Sie schnaubte verächtlich. „Tut nicht so unwissend! So wie Ihr mich erkannt habt, habe ich auch Euch erkannt, trotz der Jahre, die ins Land gegangen sind.“ Sie setzte sich neben ihn. „Als ich Euch das letzte Mal sah, habt Ihr für meinen Vater gesungen. Ihr hattet die schönste Stimme im ganzen Reich und das ist noch immer so. Doch Eure Lieder sind traurig geworden, Sir Darenstein.“

Rhow sah lächelnd zum Horizont, wo sich ein schmaler Streifen hellen Lichts seinen Platz erkämpft hatte. „Darenstein? Diesen Namen trage ich schon lange nicht mehr, Hoheit…“ Er seufzte. „Mein Gut wurde im Krieg zerstört und mit ihm mein damaliges Leben. Sir Darenstein ist tot, Lady Aryana, es gibt nur noch Rhow, den Vagabunden.“ Ein leises Lachen entfuhr der Königin. „Ihr seid schon immer gerne gereist. Gibt es einen Ort auf dieser Welt, an dem ihr noch nicht wart?“ Rhow zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Aber an einigen Orten war ich mehrmals…“ Er dachte an die Meerenge an der Grenze Ahrlandens zurück. Sein Weg hatte nun schon zweimal den Kurs des verwünschten Schiffes gekreuzt, doch seine erste Reise hatte er nicht halb so sehr genossen wie die zweite – es war zu Beginn jenes Krieges gewesen, den er noch heute mit jeder Faser seines Körpers verfluchte.

„Was werdet Ihr nun tun?“, riss ihn Königin Aryanas Stimme aus seinen Gedanken und er antwortete nach einigen Sekunden: „Ihr meint wegen Eures Gemahls?“ Er seufzte. „Was sollen wir schon tun? Nach allem, was Ihr berichtet habt, könnt Ihr nicht zurück zu Eurem Gemahl. Aber auch wir können nicht zurück nach Ahrlanden. Der König hat uns deutlich zu verstehen gegeben, dass wir ohne seinen Schatz dort gar nicht erst auftauchen müssen.“ Leise ächzend ließ er sich ins feuchte Gras sinken und blickte zu den verblassenden Sternen empor. „Es wird für mich wohl wieder Zeit, dem Ruf der Freiheit zu folgen.“
 

Mit klopfendem Herzen stand Irima am Fenster und starrte mit weiten Augen auf den dunklen Holzboden. Er geht!, dachte sie bitter und versuchte gleichzeitig ihr Herz zu beruhigen. Soll er doch! Trotzig zog sie die Vorhänge zu und trat mit weit ausgreifenden Schritten auf die Kommode zu, die auf der anderen Seite des Zimmers den Raum zierte. Sie warf einen Blick in den Spiegel und erschrak. Sie war blass, doch gleichzeitig glühten ihre Wangen. Still, dummes Herz!, schalt sie sich in Gedanken und spritzte sich von dem kalten Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht. Vornüber gebeugt verweilte sie einen Augenblick, ehe sie sich zitternd auf den Boden sinken ließ und leise zu schluchzen begann. Sie hatte gewusst, dass er ihr nur Kummer bereiten würde, vom ersten Augenblick an. Sie war darauf gefasst gewesen! Warum also?, dachte sie. Warum tut es dennoch so weh?
 

Lieder:

- Königin

- Der Schatz

- Dein Anblick



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