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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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14. Kapitel

Das Erste, was Nataniel auffiel, als er bei der heruntergekommenen Farm angekommen war, war die fehlende Leiche.

Sie war weg. Die Spuren deuteten daraufhin, dass sie um das Haus herum, zur Einfahrt getragen worden sein musste. Denn die menschlichen Fußabdrücke – barfuß – die zur Leiche hin führten, waren nicht so tief, wie jene die wieder weggingen.

Die Schuhgröße musste er raten, aber unter 50 kam der Fuß sicherlich nicht. Ein großer Mann mit großen Füßen. Keine Frage.

Da Nataniel jedoch keinen Geruch mehr wahrnehmen konnte, der darauf hinwies, dass die Leiche erst vor kurzem weggebracht worden war, ging er noch einmal ins Haus, um es dieses Mal einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Währenddessen zog er sein Handy aus dem Gurt und wählte eine Nummer.

Er ließ es läuten, während er sich auf den Boden begab, um die Spuren der Verwüstung zu analysieren, denn auch wenn immer wieder Blut zu finden war, so gab es auch jetzt noch keinen Hinweis auf die Leichen der Luchsfamilie.

„Nate? Sag träume ich, oder bist du es wirklich?“

Nataniel hielt inne und konzentrierte sich auf den Anruf. Sein leises Knurren war alles an Begrüßung, was er für seinen alten Kumpel übrig hatte.

„Svenilein, hack dich doch mal in den Computer und sieh dich mal um, ob du was über einen Tiger namens Nicolai herausfinden kannst. Davon kann es ja nicht so viele geben.“

„Ja klar, Nataniel. Wenn du mich nie wieder ‚Svenilein‘ nennst“, knurrte der andere zurück.

Nataniel lächelte.

„Dann sind wir uns ja einig. Ruf mich zurück, wenn du was hast.“

Mit diesen Worten legte er wieder auf, um der Neugier seines Freundes zu entgehen, die im Augenblick bestimmt schon auf Hochtouren lief, während er sich noch in Ruhe umsah.

Gerade als Nataniel sich das Wohnzimmer vorknöpfte, vibrierte sein Oberarm. Er nahm das Handy wieder in die Hand und blieb in gespannter Erwartung reglos stehen.

„Also?“

„Nope. In unserer Datenbank haben wir zwar ein paar Tiger, aber keiner der Nicolai oder Nick heißt. Hast du denn keine näheren Informationen für mich, dann könnte ich die Suche eingrenzen.“

Wenn er das hätte, dann hätte er es ihm schon längst gesagt. Immerhin war die Datenbank der Gestaltwandler ebenso unvollkommen wie die der Organisation. Was daran lag, dass es schon immer ein paar Leuten gelungen war, sich bei der Moonleague einzuhacken.

Ein Grund mehr, wieso Nataniel sich ebenfalls gegen die Registrierung einsetzte. Es waren vielleicht nur wenige Computerfreaks, denen es gelang, das Sicherheitssystem der Moonleague zu überbrücken, aber diese wenigen reichten schon. Wenn auch nur einer von ihnen finstere Zwecke verfolgte, waren die Folgen meistens tödlich.

Aber nicht alle Daten basierten auf denen der Moonleague.

Straftäter, welche von ihrer eigenen Rasse erwischt und in den Knast gebracht worden waren, waren ebenfalls in ihrer eigenen Datenbank registriert.

„Nein, habe ich nicht. Aber du kannst mir noch alle Daten über William Hunter zusammensuchen, die du finden kannst. Er war ein Jaguar.“

Schweigen am Ende der Leitung, nur das Klappern einer Tastatur war zu hören.

Nataniel war bis gerade eben gar nicht auf die Idee gekommen, dass er auf diese Weise mehr Informationen über seinen wirklichen Vater hätte finden können. Immerhin hatte er immer geglaubt, dieser wäre nicht registriert, da er anderen so erfolgreich geholfen hatte, genau das zu verhindern. Aber Amanda hatte ihm das Gegenteil bewiesen.

„Sag mal, bist du mit ihm verwandt oder so? Du weißt schon, der Nachname, die Rasse … oh und die Ähnlichkeit. Jetzt weiß ich, dass du deine Augen schon mal nicht von deiner Mutter hast.“

Nataniel schloss einen Moment lang die Augen und schluckte, ehe er ruhig fortfuhr: „Schick mir einfach die Daten, okay? Und danke. Ich melde mich bald mal wieder.“

„Kein Problem. Du weißt ja, wo du mich findest.“

Sven legte auf und kurze Zeit später bekam Nataniel die Daten auf sein Handy übermittelt.

Zum ersten Mal in seinem Leben blickte er in das Gesicht seines leiblichen Vaters und es war fast ein Schock, tatsächlich die gleichen Augen wieder zu erkennen.

Sven hatte ihm auch noch eine lange Nachricht angehängt, die den Lebenslauf seines Vaters umfasste. Ein Bild seiner Mutter und seines einjährigen Bruders war auch dabei.

Nataniel schaffte es gerade noch, sich auf die zerfetzte Couch fallen zu lassen, ehe seine Füße nachgaben. Es war nicht wie erwartet Wut, die in ihm aufwallte, als er das kleine Bild auf seinem Handy anstarrte, sondern Trauer.

Das war sie also, die Familie, die er nicht hatte haben dürfen.

 
 

***

 

Das Klopfen an der Tür war sehr leise.

Amanda war sofort klar, dass es nicht Nataniel sein konnte. Er klopfte normalerweise gar nicht an und wenn, dann nicht derart zurückhaltend.

Weil er es also nicht sein konnte, ging Amanda zur Tür und öffnete, anstatt den Besucher einfach hereinzubitten. Erst nach wenigen Sekunden Verblüffung sah sie weiter nach unten und traf auf Mrs. Cauleys grauen Haarschopf.

„Miss Johnson.“

Das Lächeln der älteren Dame ergriff wie immer auch ihre Augen, und es bildeten sich kleine Lachfältchen in ihrer Haut.

„Ich habe eine Nachricht für Sie.“

Sie hielt Amanda eine weiße Klappkarte entgegen und blieb weiterhin in der Tür stehen, während Amanda die bekannte Handschrift las und sich ihre Augen vor Erstaunen immer weiter weiteten.

Als sie die Worte dreimal durchgelesen hatte, sah sie wieder auf Mrs. Cauley hinunter und konnte sich ein tadelndes Lächeln nicht verkneifen.

„Von Ihnen hätte ich das als Letztes erwartet, Mrs. Cauley.“

Ohne ein weiteres Wort schnappte Amanda sich ihre Tasche und die Jacke, die über dem Stuhl hing und verließ mit ihrer Gastgeberin das B&B durch den Nebeneingang. Als sie draußen in der Sonne standen, dachte Amanda kurz an Nataniel. Unwillkürlich blickte sie zurück.

„Keine Sorge, ich werde Mr. Hunter sagen, wo sie sind.“

„Ich hab gar nicht …“

Ach, wem versuchte sie, etwas vorzumachen. Der wissende Blick der Dame hätte alles Lügen gestraft, was Amanda ihr aufgetischt hätte. Also nickte sie nur und folgte ihrer Gastgeberin über den Hof, ein Stück in den Wald hinein und dann immer weiter, bis sie die Orientierung darüber verlor, wo sie sich eigentlich befanden.

 
 

***

 

Palia hatte auf ihn gewartet. Schon seit über 36 Stunden schlich sie auf ihren Samtpfoten auf dem Gebiet der Farm herum, in der Hoffnung, dass er wiederkommen würde. Man hatte ihr zwar aufgetragen hier auf ihn zu warten, aber sie tat es auch freiwillig. Immerhin wollte sie ihn so gern kennen lernen. William hatte ihr so viel von ihm erzählt. Und das, obwohl er ihn selbst kaum gekannt hatte.

William war wohl so weit informiert gewesen, dass er Palia seinen Sohn gut beschreiben konnte. Aber diese Augen hätte sie auch so erkannt.

Sie legte ihren Kopf ein wenig schief und ihre karamellfarbenen Augen leuchteten in der Sonne, während sie seinen Bewegungen folgte. Schon seltsam, dass er hier in seiner schwachen Form auftauchte. Aber zumindest musste sie sich so keine Sorgen darüber machen, dass er sie zu früh entdeckte.

Im Moment war die Windrichtung sowieso auf ihrer Seite und sie bleckte leicht die Zähne, um seinen Geruch einzufangen. Mit ihrer weichen Zunge schleckte sie über ihre Nase und schloss genießerisch die Augen. Ein leckeres Bürschchen.

Eine Weile ließ sie ihn allein, bevor sie sich aus dem Unterholz wagte und auf die Tür der Farm zulief. Nachdem jemand von Nicolais Leuten den Leoparden geholt hatte, war niemand mehr hier gewesen. Palia machte sich also keine Sorgen, dass irgendjemand auf sie lauern könnte.

Der helle Puma landete mit einem eleganten Sprung auf der Terrasse und schnaubte verächtlich in Richtung Blutspuren, die sie schon so oft gesehen hatte. An den Anblick würde sie sich nie gewöhnen und auch die Tatsache, dass der Mörder bekommen hatte, was er verdiente, machte es nicht leichter.

Hier war der Geruch von Williams Sohn stärker und Palia schnurrte vor Aufregung, bevor sie sich zusammenriss und die Tür mit der Schnauze aufschob.

Fast geräuschlos glitt sie in den Raum und blieb im Zwielicht stehen. Nataniel hatte sie natürlich gesehen. Aber genau das war ja auch ihre Absicht.

„Hallo“, begrüßte sie ihn mit honigwarmer Stimme, als sie in ihrer menschlichen Form vor ihm stand.

„Du musst Nataniel sein. William hat mir viel von dir erzählt.“

 

Ein Geräusch auf der Terrasse ließ ihn zusammenzucken und sofort auf die Beine springen. Sein Handy verstaute er rasch im Armgurt, ehe er seine Krallen ausfuhr und Witterung aufzunehmen versuchte, aber da trat auch schon eine nackte Frau durch die Tür. Ihr Geruch sagte ihm alles, was er wissen musste. Eine Gestaltwandlerin.

Seine Nackenhaare stellten sich auf, genauso wie sein Körper von einer Gänsehaut überzogen wurde, als sie ihn bei seinem Namen ansprach und auch noch den Namen seines toten Vaters im selben Atemzug nannte.

Seine Haltung versteifte sich noch mehr und seine Muskeln spannten sich deutlich an, während sich seine Finger angriffsbereit krümmten.

Eine falsche Bewegung und er würde sie angreifen. Darauf konnte sie sich gefasst machen, während Nataniel keinen Hehl aus dieser Tatsache machte.

„Wer bist du und was willst du von mir? Woher kennst du überhaupt William?“, knurrte er kehlig und duckte sich noch mehr, während er seinen Stand festigte.

Hätte ihn diese Frau nicht gerade aus einer sehr persönlichen Situation gerissen, er hätte vielleicht weniger gereizt reagiert, aber dem war nun einmal nicht so, weshalb er gerade alles andere als gut gelaunt war.

Die Tatsache, dass diese Frau nackt vor ihm stand, kümmerte ihn dabei am Wenigsten.

Gestaltwandler waren Nacktheit gewohnt. Ein Grund, wieso er immer ohne Kleider schlief und auch so gut, wie keine Scham kannte, sollte er keine andere Wahl haben. Das war einfach natürlich.

„Ich schwöre dir, wenn du zu diesem Nicolai gehörst, kannst du dir alles Weitere sparen“, drohte er noch einmal deutlich, damit die Botschaft auch wirklich ankam. Er würde sie nicht umbringen, aber sie mit allem Mitteln dazu bringen, dass sie redete, falls sie eine von den Leuten des Tigers war. Darauf konnte sie Gift nehmen!

 

“Nein.”

Palia schüttelte mit einem warmen Lächeln den Kopf, so dass ihr sandfarbenes, glattes Haar, das bis zu ihrem Po hinunter reichte, sich in sanften Wellen bewegte.

„Ich gehöre nicht zu Nicolais Rudel.“

Sie sah auf seine Hände und die ausgefahrenen Krallen hinab, bevor sie immer noch lächelnd wieder den Blick hob.

„Mein Name ist Palia. Es ist schön, dich endlich kennenzulernen. Ich kannte deinen Vater gut.“

Ihr Lächeln wurde traurig, genauso wie ihr Herz schwer wurde, als sie an William dachte. Wäre er auf natürliche Weise zu Tode gekommen, hätte sie ebenfalls getrauert, aber so mischte sich immer noch der bittere Geschmack von Wut und Rachedurst in ihre Gefühle.

Ohne Furcht ging sie einen Schritt auf seinen Sohn zu.

„Wir sind nur ein paar, aber wir haben uns vor Nicolai und den anderen retten und verstecken können. Der Rabe kam von uns. Wir haben auf dich gewartet.“

Sie hatte sich ihm so weit genähert, dass sie mit ihrer Hand über seinen Unterarm streicheln und seine Hand nehmen konnte.

Palia bemerkte durchaus, dass er die Krallen immer noch nicht einfuhr. Aber vielleicht würde sich das bald ändern. Wenn er William auch nur ein wenig ähnlich war, vertraute Palia darauf, dass er sie nicht aus Grausamkeit töten würde.

„Würdest du mit mir kommen? Die Anderen würden dich sicher auch gern sehen.“

Sie drehte sich schon wieder um und zog ein wenig an seiner Hand, bevor sie sich verwandelte und ihm mit ihren hellen Katzenaugen einen warmen Blick zuwarf.

 

Es waren nicht wirklich Palias Worte, die ihn daran hinderten, nach ihr zu schnappen, als sie sich ihm näherte. Da war etwas anderes. Etwas, das er bisher noch nie gespürt hatte und ihn, wie ein elektrisierender Impuls durchfuhr, als ihre Hand seinen Arm berührte.

Da war Erkennen. Vertrautheit und der unbeschreibliche Drang zu ihr zu gehören. Ihre Berührung hatte nichts, was ihn im Normalfall beunruhigt hätte, außer, dass er sich nicht gerne von Fremden anfassen ließ. Dennoch löste sie in ihm totale Gefühlsverwirrung aus.

Nataniel konnte sich nicht erklären, wieso er diese Frau beschützen wollte, anstatt ihr an die Kehle zu gehen, weil sie ihn ungefragt berührte. Noch dazu fühlte es sich unglaublich gut und beruhigend an. Als würde ein Familienmitglied ihm Trost spenden, ganz ohne Worte.

Kein Wunder, dass diese seltsamen Empfindungen ihn dazu brachten, sich zu entkleiden. Die Jeans und das Shirt knüllte er zu einem Bündel zusammen. Die Schuhe ließ er zurück. Der Gurt mit dem Handy um seinen Oberarm hatte ein elastisches Band, weshalb er ihn anbehielt.

In der Form des Jaguars verstärkte sich das absolut absurde Gefühl der Vertrautheit noch mehr. Doch ohne weiter nachzufragen, nahm er seine Kleider ins Maul und folgte dem Puma nach draußen. Palia war nicht nur deshalb um ein gutes Stück kleiner als er, weil sie ein Weibchen war, sondern weil sie einer wesentlich schwächeren Raubkatzenart angehörte. Dennoch war sie auch als Tier wirklich eine Augenweide.

Dennoch konnte ihr Aussehen nicht die Wirkung auf ihn erklären. Es reizte ihn überhaupt nicht. Nicht so, wie Amandas goldene Locken ihn anzogen oder der Duft ihrer Haut.

Mit dem verwirrenden Gefühlsknoten im Bauch folgte er ihr schließlich auf Samtpfoten in den Wald hinein, ohne auch nur einmal nachgefragt zu haben, wo sie ihn hinführte.

Sie war schwächer als er und daher sicher kein Gegner für ihn, aber das war es nicht, wieso er ihr so blind folgte, sondern der Instinkt in ihm, der nun ausgeprägter war. Er sagte ihm, dass sie auf eine für ihn nicht nachvollziehbare Weise zu ihm gehörte. Nicht als Gefährtin, sondern … ja, als was eigentlich?

Die ganze Strecke über grübelte er darüber nach, während er wachsam die Gegend beäugte und sich von Palia führen ließ. Aber er kam einfach zu keinem Ergebnis.

 
 

***

 

Amanda hatte das Gefühl schon stundenlang unterwegs zu sein. Mrs. Cauley führte sie durch unwegsames Gelände. Wurzelüberwachsene Pfade hinauf und wieder hinunter. Es war zu vermuten, dass sie sich immer ziemlich nah an der Grenze des Nationalparks bewegten, um nicht in das Revier dieses Tigers und seiner Gruppe einzudringen.

Wäre da nicht der Brief in ihrer Hosentasche, Amanda hätte selbst Mrs. Cauley nicht so weit über den Weg getraut, ihr unvorbereitet einfach in die Höhle des Löwen zu folgen.

Der Vergleich entlockte ihr ein kleines Murren und sie blickte gerade rechtzeitig wieder auf den Boden, um nicht über einen kleinen Farn mitten auf dem Trampelpfad zu stolpern.

Wie die alte Dame so schnell vorankam, ohne auch nur Ermüdungserscheinungen zu zeigen, fand Amanda mehr als bewundernswert. Aber zumindest war sie immer noch die alte Dame und nicht das Tier, das in ihr wohnte. Denn dem Insekt hätte Amanda unter Garantie nicht folgen können, ohne Mrs. Cauley irgendwo auf dem Weg aus den Augen zu verlieren.

Sie war immer noch leicht überrascht über diese Offenbarung.



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