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Asylum

Die Wahrheit über den Wahnsinn
von

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I.I

Akt I: Welcome to the Asylum

Szene I
 

Es ist Frühling. Oder Sommer. In diesem Teil des Landes sind die Bäume immer grün, die Sonne auf azurblauen Grund strahlend. Ein Paradies auf Erden.
 

Sie fahren Landstraße. Vorbei an Wiesen und Feldern, trübsinnigen Kühen auf saftigem Grün, einem kleinen See. Falls so etwas wie eine Stimmung existiert, drückt sie nicht nur aufs Gemüt.
 

Die Konversation, ein einziger Krampf. Wenn jemand etwas sagt, dann nur in seiner eigenen Sprache. Farin ist es schon lange leid, zu übersetzen. Einzig sein Vater, Stiefvater, versucht das, was schon lange gestorben ist, wiederzubeleben.
 

„Tja… haben wir ja noch mal gutes Wetter erwischt.“
 

Krankheiten und Wetter. Die todsicheren Themen.
 

Farin lehnt sein Kopf müde gegen das Beifahrerfenster. Alles zieht an ihm vorbei. Der Himmel, die Landschaft, das Grau des Asphalts. Es verschwimmt zu einem trostlosen Schleier, der ihn kurz schwindlig werden lässt. Doch auch das geht vorbei.
 

Die Frau am Steuer wechselt einen raschen Blick mit seinem Stiefvater. Farin sieht es nicht. Muss er auch nicht. Er kennt ihre Blicke zur Genüge. Als er seine Arbeit verloren hatte, hat es ausreichend davon gegeben, um sie im Schlaf zu erkennen. Diese ‚Was machen wir, wenn die Leute davon erfahren?‘-Blicke. Teilweise richtiggehend verzweifelt. Er selbst ist nie im Fokus gewesen, auch wenn sie alles getan haben, damit es so aussah.
 

Es ging nie um ihn. Es ging immer nur um die Leute. Diese nicht mundtoten Leute, die Farin noch nie ausstehen konnte. Weniger sogar noch als seine Familie.
 

Mittlerweile kann er eigentlich gar keine Leute mehr ausstehen.
 

Der Wagen hält. Farin bemerkt es, weil sein Kopf gegen das Seitenfenster des Wagens schlägt. Zu sagen, dass es ihn aus der Trance reißt, ist übertrieben. Es reicht lediglich aus, um ihn aus dem Auto steigen und blind der Familie folgen zu lassen.
 

Die Stimmung scheint mit jedem Schritt leichter zu werden. Noch gibt es keine fröhlichen Gespräche, aber vermutlich auch nur, weil es für nicht angemessen gehalten wird.

Das große, zusätzlich vergitterte Tor öffnet sich, als sie klingeln.
 

In der Eingangshalle der Klinik kommt ihnen eine Gruppe von Patienten entgegen, die vermutlich gerade Ausgang haben.
 

Einer von ihnen zieht sofort alle Blicke auf sich. Nicht seines Äußeren wegen. Nein, der kleine Schwarzhaarige redet und redet in einem fort, zeigt sich begeistert von allem und jedem und tut das auch mit großen Gesten kund. Der Rest der Gruppe hängt an seinen Lippen, verfolgt gebannt jede Bewegung. Selbst der leitende Arzt hat Schwierigkeiten, sich dieser übersprudelnden Begeisterung zu entziehen.
 

Beinahe berührt es Farin, dass der Kleine, sobald er ihn entdeckt, auf ihn zukommt. Aber nur beinahe. Wahrscheinlich gehört das herzliche, begeisterte Gehabe zu dem Grund, weshalb der Kerl hier ist.
 

„Ein Neuer! Hallo, herzlich Willkommen! Sicher alles ganz bedrückend für Sie, aber das wird schon, da bin ich mir sicher! Warum sind Sie hier?“ Eigentlich dachte Farin immer, das Leuchten in den Augen sei eine Erfindung, eine Sache, die es nur in Büchern gibt. Aber die grünen Augen des seltsamen Kauzes, der sich da vor ihm aufbaut und ihm die Hand hinhält, scheinen tatsächlich zu strahlen vor Glück.
 

„Burnout.“ Farin wendet sich halb ab, unangenehm berührt ob der wortreichen Kontaktaufnahme.
 

Die Dame am Empfang wendet sich lächelnd seinen Eltern zu. „Manisch-Depressiv. Von so einem kann man immer nur einen in der Gruppe haben, der reißt alle anderen mit. Egal, wie er gelaunt ist.“
 

Verständnisvolles Nicken allenthalben.
 

Farin sieht zu, wie die Eltern vergnügt plaudernd die Formalitäten regeln, erlöst von der Last eines Sohnes, der nicht ganz richtig im Kopf ist.
 

Ein Band findet seinen Weg um Farins Handgelenk, nebenbei wird ihm dessen Funktion erklärt. „Das ist ein Erkennungsarmband, ein Patientenband, auf dem sich sämtliche Daten von Ihnen befinden.“ Farin nickt, schaut den Leuten hinterher, die durch das Tor verschwinden und lässt seine Gedanken kreisen, während er das Gespräch seiner Familie mit der Empfangsdame völlig ausblendet.
 

Burnout. Mit vierundzwanzig. Fast könnte das als Witz durchgehen. Bloß jemanden zum Lachen darüber zu finden, das wird schwierig. Passt doch alles ZU perfekt.
 

Es fing alles ganz harmlos an. Ein wenig zu viel Eifer im Job. Übermäßiges Engagement bei Reportagen. Er schrie immer „Hier!“ wenn es um irgendwelche neue Artikel ging, egal welcher Art. Oder Auslandsreisen. Sogar in Krisengebiete.
 

Wobei das ja eigentlich ganz gern gesehen wird.
 

Irgendwann jedoch übermannte es Farin. Musste er einsehen, dass er sich zuviel zugemutet hatte.
 

Er verpasste Termine, konnte Deathlines nicht einhalten. Der Frust wuchs. Er versuchte, es zu kompensieren, mit Arbeit. Und schon war er im altbekannten Teufelskreis.
 

Als die Magenkrämpfe kamen, war es eigentlich schon zu spät. Die Bestätigung kam vom Hausarzt, der nach unzähliges Tests und Magenspiegelungen eine psychosomatische Erkrankung diagnostizierte. Farin konnte gar nicht so schnell sehen, wie ihm die Überweisung in die Hand gedrückt wurde.
 

Oder seine Familie entschied, dass ein, wie nannten sie es?, „Kuraufenthalt“ das Beste für ihn war.
 

Aber da war Farin schon alles egal.
 

Genau wie nun der Abschied, der ihm entsprechend leicht fällt. Dem Rest der Familie weniger. Schließlich haben sie nicht das Vorrecht der Verrückten, seltsam und unhöflich sein und ihn einfach stehen lassen zu dürfen, also drucksen sie eine Zeit lang herum, bewerfen ihn mit Phrasen und lassen ihn dann einfach stehen. Farin ist erleichtert, soweit er das noch sein kann, und wünscht sich eigentlich nur noch seine Ruhe für heute.
 

Allerdings ist das leider unmöglich, wie ihm ein freundlich-bestimmter Pfleger, der sich ihm als ‚Herr Kleine, aber es nennen mich sowieso alle nur Kleine‘ vorstellt, ihm mitteilt, der ihm die Anstalt gerne zeigen möchte.
 

Farin fügt sich und hält so viel Abstand wie möglich, um so wenig Energie wie möglich darauf verwenden zu müssen, sich darauf zu besinnen, wie man höflich, freundlich und offen ist. Eigentlich wäre es ihm am liebsten, er würde mehr wie eine Maschine behandelt, wie ein Produkt unter Tausenden, aber der Kleine ist erschreckend menschlich.
 

Glücklicherweise versucht er nicht, Farin zum Reden zu bringen, sondern verfällt, sobald ihm klar wird, dass dem Patienten nichts an Konversation liegt, in eine sehr präzise und distanzierte Sprechweise. Farin weiß das zu schätzen. Vielleicht wird er sich morgen bei ihm bedanken.
 

„Der Essenssaal befindet sich neben der Eingangshalle“, Kleine deutet auf eine zweiflüglige Tür, „Sie müssen Ihr Armband an das Gerät neben der Tür halten – so wie die Kassiererinnen das mit der Ware machen – und damit Ihre Anwesenheit bestätigen. Wenn Sie drei Mahlzeiten in Folge oder fünf Mahlzeiten in einer Woche verpassen, wird das Personal Sie zu dem Grund befragen, Ihnen gegebenenfalls Essen aufs Zimmer bringen und Sie beaufsichtigen, bis Sie es gegessen haben. Bei Weigerung werden Sie zwangsernährt.“ Er hat einen schwer zu entdeckenden und noch schwerer zu verstehenden Humor, der weniger in seinen Worten als in seinem Tonfall mitschwingt und der Farin irgendwie gefällt. Er ist nüchtern und klar, aber mit Sicherheit kann er auch sehr herzhaft lachen. (Eine Vorstellung, die Farin weniger gefällt.)
 

„Der Aufenthaltsraum befindet sich am Ende des Flurs jeder Station, das heißt jeder Etage“, der Pfleger deutet in den gelb tapezierten Gang mit den weißen Türen und auf eine große Tür ganz am Ende. „Ihr Zimmer ist im dritten Stock. Es gibt vier Stock, aber der Vierte ist die geschlossene Station, und die Leute aus dieser Station werden Sie vermutlich nicht kennenlernen.“
 

Er ruft den Aufzug herunter, während er sich beiläufig erkundigt: „Leiden Sie an Klaustrophobie oder ist es Ihnen aus einem anderen Grund lieber, die Treppe zu benutzen?“
 

Farin schüttelt den Kopf. Gründe wie seine persönliche Fitness wird der Pfleger kaum gemeint haben.
 

„Wir haben Einzelzimmer“, erklärt dieser freundlich, als sie bei Farins Zimmer angekommen sind und vor der weißen Tür stehen, „eine Sache, die wenige Kliniken haben, zumeist sind es mindestens Zweibettzimmer, aber Ihre Familie hat sich für die kostenintensivere Variante entschieden, um Ihnen möglichst viel Privatsphäre zu gönnen.“ Wenn Farin nicht wüsste, dass es die Art und Weise seiner Eltern ist, ihr Gewissen zu befriedigen – mit möglichst viel Geld – wäre er ihnen vielleicht sogar dankbar. Vielleicht.
 

Kleine öffnet die Tür. „Alle Pfleger und Schwestern besitzen einen Schlüssel, der ihnen den Zugang zu sämtlichen Zimmern ermöglicht. Sie haben die Möglichkeit, Ihr Zimmer von innen abzuschließen, sodass andere Patienten nicht hinein können. Das Personal wird allerdings immer Zutritt haben“, erklärt er nebenbei. Farin öffnet die Tür und schaut in das Zimmer hinein. Es sieht ein wenig aus wie ein Hotelzimmer, es gibt einen Schreibtisch mit Stuhl, ein Bett, einen Nachttisch und einen Kleiderschrank. Die Lampe ist direkt an der Decke befestigt, darum herum ein Glaskasten.
 

Die Fenster sind vergittert. Der Pfleger bemerkt seinen Blick. „Eine Notwendigkeit, um Selbstmord vorzubeugen. Oder auch schlafwandelnden Patienten.“ Farin lächelt. Es fühlt sich an wie eine aufbrechende Kruste auf einer Wunde, und so lässt er es rasch wieder sein.
 

„Ihr Koffer wird auf Drogen und scharfe oder spitze Gegenstände untersucht, danach wird er auf Ihr Zimmer gebracht. Rasieren dürfen Sie sich nur unter Aufsicht, damit Sie die Klingen des Rasierapparats nicht anderweitig nutzen können.“ Farin schenkt ihm ein halbes Nicken als Zeichen dafür, dass er verstanden hat, und lässt sich auf seinem Stuhl nieder.
 

„Das Badezimmer finden Sie sicherlich selbst“, eine kleine Handbewegung in Richtung einer zweiten Tür, „wenn Sie etwas brauchen, an das Sie beim Packen nicht gedacht haben, melden Sie sich beim Personal. Frühstück gibt es um halb zehn Uhr, geweckt wird um neun. Wenn Sie andere Weckwünsche haben, müssen Sie sich einen Wecker stellen. Mittagessen ist um vierzehn Uhr und Abendessen um neunzehn Uhr. Die Essenszeiten kamen übrigens durch eine Patientenumfrage zustande“, fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu und beantwortet damit Farins stumme Frage nach den erstaunlich menschenfreundlichen Uhrzeiten.
 

„Die Therapieräume liegen in dem anderen Gebäude, ebenso wie die Kursräume“, Herr Kleine wendet sich zum Gehen und lässt Farin damit auf Ruhe hoffen, „Bitte folgen Sie mir wieder in den Gemeinschaftsraum, wo Sie sich mit anderen Patienten bekannt machen können.“
 

„Ich wäre lieber allein.“
 

„Das wären hier einige, glauben Sie mir. Aber auch wenn das bis jetzt so ausgesehen hat, man ist hier immer noch mehr auf Ihre Genesung bedacht als auf Ihre größtmögliche Entspannung“, sagt er mit einer Bestimmtheit, die Farin wieder resignieren lässt. Einen Versuch war es wert gewesen.
 

„Ausgang haben Sie diese Woche noch nicht“, Kleinen ruft wieder den Fahrstuhl, „Wir warten noch auf den Bericht Ihres Therapeuten. Wenn Sie zu gefährdet – oder gefährlich – wirken, werden Sie hier bleiben müssen. Ich bezweifle aber, dass dem so sein wird. Ansonsten können Sie sich frei auf dem Klinikgelände bewegen, jedenfalls an den für Patienten zulässigen Orten.“ Er begleitet Farin noch zu dem ebenso gelben wie lauten Gemeinschaftsraum und lässt ihn dann mit den Worten „Gewöhnen Sie sich gut ein“ stehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-08-11T20:13:10+00:00 11.08.2009 22:13
ich finde das thema super =) erinnert mich ein wenig an 'die anstalt'^^
bin mal sehr gespannt, was da noch so kommen wird, wie bela im depressiven zustand so drauf ist und was rod für eine rolle einnimmt!^^
find also sehr interessant und gut geschrieben, und auch ich gebe schon mal eine lesebescheinigung ab =)
lg jenny
Von: abgemeldet
2009-08-11T18:15:24+00:00 11.08.2009 20:15
also das nenn ich mal interessant wirklich!! das ist mal was ganz anderes. ich stimme dem letzten satz meiner vorschreiberin zu :) auch ich werde es lesen und sehr gespannt verfolgen! Mal sehen was das so wird.

glg gräfin
Von:  YouKnowNothing
2009-08-11T16:40:05+00:00 11.08.2009 18:40
sooo~... Ein Blick darauf hat nicht weh getan - ;) - es zu lesen auch nicht, zumindest noch nicht oo'
ich bin echt mal gespannt wo das hier hingeht, aber bisher... ahhh~, ich sag mal, ich bin gespaltener meinung (jahaaa~ XD)
einerseits bin ich wie immer absolut begeistert über euren schreibstil und die kleinen anmerkungen immer wieder, wie es den entsprechenden personen geht, das alles. große klasse.
andererseits mag ich das thema jetzt schon nicht *lacht* fürchterlich... was gibt es traurigeres als eine irrenanstalt??

deshalb... ich werd' mal sehen, auch wenn ich jetzt schon mit großer wahrscheinlichkeit sagen kann: ich werd's lesen...

LG S-M


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