Wolfswege

Verwirrung

Lugh Akhtar blieb für eine Sekunde stehen, blickte ganz kurz zu Tariq und Nea zurück und sprang dann übermütig weiter. Seitdem sie Altena verlassen hatten, war er aufgeblüht wie eine Blume im Sonnenlicht.

»Und jetzt wollt ihr zu diesem Zauberer? Weil er ihm vielleicht weiterhelfen kann?«, fragte Tariq.

»Genau. Nachdem wir dich in Lanta abgesetzt haben, werden wir dorthin weiter gehen«, nickte sie.

»Wie heißt die Stadt?«, erkundigte sich der Junge, während er und Nea den Wolf beobachteten, der übermütig einem Schmetterling hinterher jagte.

»Forea. Sie liegt sehr weit im Norden«, erklärte sie.

»Forea. Ich habe von ihr gehört, dort soll es nicht mit rechten Dingen zugehen«, überlegte der Junge zögernd.

»Wie sollte es auch anders sein, in einer Stadt, in der der mächtigste Zauberer der letzten tausend Jahre lebt?«, fragte sie und lächelte ein wenig.

»Ist er wirklich so mächtig?«

»Ich weiß es nicht, aber es geht das Gerücht um.«

Sie blieb stehen, denn Lugh Akhtar kam ihr in einem solchen Tempo entgegen, dass sie Angst hatte, sonst vielleicht nicht ausweichen zu können. Doch der Wolf lief einen Bogen um die Beiden herum um dann zwischen ihnen stehen zu bleiben.

»Jetzt geht es nach Lanta, stimmt’s?«, fragte er aufgeregt und lief in einem schwebenden Trab zwischen ihnen her.

»So war es geplant, ja«, lachte Nea.

»Oh, ich freu mich! Lanta ist zwar riesengroß, aber es ist nicht so voll gestopft, und das Schloss ist so wunderschön! Ich habe niemals einen Ort gesehen, an dem man so gut Verstecken spielen konnte!«, rief er und fegte wieder los, einem Hasen hinterher.

Nea indes blickte ihm stirnrunzelnd nach. Woher kannte er das Schloss? Kaum einer war jemals drinnen gewesen, auch sie selbst nicht, obwohl sie schon oft als Abgesandte der Zauberergilde in Lanta gewesen war. Doch Tariq ließ ihr keine Gelegenheit darüber nachzudenken, denn er holte sie schnell aus ihren Gedanken.

»Er tut ihm doch nichts, oder?«, fragte er und schaute dem weißen Wolf nach.

»Wer?«

Einen Moment wusste Nea nicht, was er meinte, doch dann lachte sie und schüttelte den Kopf.

»Nein, dazu ist er viel zu sehr Mensch. Er wird es auch nicht fangen, das Jagen reicht ihm. Aber sag mal Tariq... wenn du in Lanta lebst und dort in einem guten Hause wohnst, dann hast du doch gewiss auch schon einmal mit der Königsfamilie zu tun gehabt, oder?«

Sie schaute ihn neugierig an. Der Junge zögerte einen Moment, blickte sie misstrauisch an, nickte dann aber.

»Weißt du, wie der Prinz aussieht?«

Ihr Blick wurde durchdringend.

»Der Prinz? Wieso willst du das wissen?«, fragte er unwillig und auch ein wenig misstrauisch.

»Als Nikolai gestern Abend versuchte, Lugh Akhtar seine wahre Gestalt wieder zu geben, da ist etwas Seltsames geschehen. Es war ein wenig so, als hätte ich den Schatten seines wahren Wesens erkannt und gesehen. Und vielleicht, wenn ich nur weiß, wie die aussehen, die verschwunden sind, vielleicht weiß ich dann, ob mein Wolf einer von ihnen ist. Und auch, was mit den anderen geschah«, erklärte sie.

»Und weil du weißt, dass der Prinz verschollen ist, glaubst du, er könnte es sein?«, fragte der Junge vorsichtig.

»Genau. Diese Idee hatte ich schon einmal, als ich das erste Mal davon hörte, dass der Prinz verschwunden sein soll. Aber Lugh Akhtar hat gemeint, dass er seinen eigenen Namen gewiss erkennen würde und hat nur gelacht, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass ausgerechnet er ein Prinz sein soll«, antwortete sie. Tariq dachte einen Moment darüber nach.

»Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass er es ist. Dann müsste er doch bestimmt ein schwarzer Wolf sein, denn der Prinz hat schwarze Haare«, antwortete er.

»Und ganz traurige braune Augen, stimmt's? Und er hat in etwa mein Alter, oder? Und die Haare sind nicht so ganz kurz, sondern sogar etwas länger als deines, nicht wahr?«

Sie schaute ihn so erwartungsvoll an, dass es ihm schwer fiel, den Kopf zu schütteln.

»Nicht ganz. Er hat braune Augen, ja, aber ich fand eigentlich nicht, dass sie traurig wirkten. Haarlänge wiederum stimmt, aber er ist jünger als du.«

Nea seufzte unwillig, schüttelte dann aber den Kopf.

»Vielleicht hat er nur älter gewirkt, als er war. Und vielleicht ist er nur so traurig, weil er eben verwandelt ist oder so«, überlegte sie.

»Ja, das könnte sein«, nickte Tariq abwesend. Nea schaute ihn stirnrunzelnd an.

»Du weißt doch etwas, oder?«, fragte sie misstrauisch. Tariq blinzelte verblüfft.

»Was, ich?«

Er lachte.

»Was soll ich denn wissen? Ich habe doch von Magie keine Ahnung.«

Das Mädchen schaute ihn weiter durchdringend an. Sie glaubte ihm nicht, doch sie sagte nichts mehr dazu, doch Tariq sprach nach einer Weile von sich aus.

»Ich weiß wirklich nichts, aber ich ahne etwas. Ich glaube, dass er doch der Wolf ist, für den ich ihn auf den ersten Blick schon gehalten habe. Aber wenn er es wirklich ist, dann werdet ihr vergeblich nach Forea laufen, denn der Zauberer hat bereits versucht, ihm seine Gestalt wieder zu geben, und es ist ihm nicht geglückt. Natürlich, es war kein ernst gemeinter Versuch, denn er ist nicht bei der Sache gewesen, aber er hat gesagt, dass es auch so hätte klappen müssen«, erklärte der Junge nachdenklich.

»Du kennst den Zauberer?«, fragte sie verblüfft.

»Ja. Ich...«

Tariq lächelte gequält.

»Bei allem was du sagst ist es sozusagen so, als wäre er hier.«

Nea atmete tief ein, wollte etwas sagen, doch allein diese Idee kam ihr so absonderlich vor, dass sie es nicht tat, sondern nur langsam den Kopf schüttelte. Sie musterte den Jungen, der sie gequält anlächelte und schaute dann zu dem Wolf hinüber, der eifrig etwas am Wegesrand beschnüffelte.

»Ich habe das Gefühl, hier ist Magie im Spiel, die nicht ganz so geklappt hat, wie sie sollte, kann das sein?«, fragte sie den Jungen und beobachtete ihn dabei genau.

»Auch dem Mächtigsten kann einmal ein Zauber daneben gehen.«

Er grinste schief, als er das sagte, dann zögerte er einen Moment, bevor er fragte: »Darf ich euch weiterhin begleiten? Nach Hause komme ich noch früh genug, aber es ist auch meine Schuld, dass er ist, was er ist und ich möchte ihm helfen.«

Nea schaute ihm lange in die braunen Augen, dann nickte sie.
 

Na, immer noch die gleiche Vermutung, wer Lugh Akhtar ist? Und wer Tariq sein könnte? :D