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Schreibübungen & Co.

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#11: Lipogramm - Darf ich bitten?

Die Idee hierzu kam mir, als ich im Autoren-Zirkel über das Schreiben von Lipogrammen diskutierte. Ich hab mir überlegt, man könnte ja eine alte Geschichte so umschreiben, dass ein bestimmter Buchstabe nicht mehr vorkommt. So wird viel deutlicher, wie schwierig diese Angelegenheit eigentlich ist.

Diesen One Shot findet ihr - mit allen Buchstaben - hier: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/145464/181203/531805/default/

Zuerst habe ich mich jetzt daran versucht, das D wegzulassen. Hauptprobleme sind dabei das Fehlen von bestimmten Artikeln, Relativsätzen und Konjunktionen wie und, dann, da, denn... Ich hoffe, es klingt nicht allzu merkwürdig U.U
 

~~~
 

Percy war ratlos, was schon etwas heißen musste. Er war immerhin Jahrgangsbester, langjähriger Vertrauensschüler, seit einigen Monaten sogar Schülersprecher. Aber bei seinem aktuellen Problem half ihm kein Titel weiter; ganz im Gegenteil: letzterer hatte es sogar erst verursacht!

In wenigen Wochen war Weihnachten. An sich war ein Fest noch kein Problem, aber ihr Schulleiter hatte heute einen Ball angesprochen, eröffnet – natürlich! - vom Schulsprecher samt Partnerin.

Percys erstes Problem hierbei war seine Partnerin. Er kannte einige Schülerinnen, aber keine von ihnen erschien ihm im ersten Moment glamourös genug für solch ein wichtiges Ereignis. Weiterhin konnte er sich gut vorstellen, wie alle Schüler sich beim Anblick seines gebrauchten Festumhangs so schnell es ging entfernten. Am schlimmsten waren aber seine fast nicht gegebenen Kenntnisse im Tanz.

Trotz aller Schwierigkeiten war er sich sicher, am Weihnachtstag einen Höhepunkt seiner Karriere erleben zu können. Er war schließlich Percy Weasley, also konnte gar nichts schief gehen.

Zuerst einmal musste er sich um einen Festumhang kümmern. Jener in seinem Besitz war schon beim Kauf längst nicht mehr schön gewesen, zusätzlich war er ihm viel zu kurz.

Percy hatte schon einen Plan, wie er Problem Nummer zwei lösen konnte: er konnte bei seiner Mitschülerin Samantha Jolie anfragen. Wenn er erwähnte, wie hässlich sein Festumhang war, bat Miss Schönheit – wie man sie auch manchmal nannte – sicherlich ihre Mutter, eine Nähexpertin, ihm einen neuen zu nähen, um nicht mit einer hässlichen Person tanzen zu müssen. Somit wäre Problem Nummer zwei auch gelöst.

Nun blieb also nur noch sein Tanzproblem. Es half nur eins: üben. Also gab Percy seine letzten Sickel für ein altes Lehrbuch aus. In ihm waren alle wichtigen Tänze aufgeführt, also fing er gleich an zu lernen.
 

Einige Nächte lang prägte er sich Tanzschritte ein, statt zu schlafen. Aber Theorie allein reichte nicht aus, also setzte er an einem freien Nachmittag seinen ersten Praxisunterricht an.

Sein Stolz ließ es nicht zu, einen Mitschüler um Hilfe zu bitten, also musste er wohl alleine üben. Gut genug, um es hinzubekommen, war er allemal.

Als er ein leeres Klassenzimmer betrat, fiel ihm ein alter Besen auf, eingestaubt, aber immer noch intakt.

Mit einem Schlenker seines Zauberstabs hatte er ihn von Spinnenweben befreit. Schon lag sein schlanker Holzstiel in Percys Fingern.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er ihn mit einem weiteren Zauberspruch zum Leben erweckte. Er fühlte sich an einen Text über einen Zauberlehrling erinnert, besprochen bei ihrer Einheit über Muggelkunst.

Sogleich legte er voller Elan los.
 

Als schließlich Weihnachten gekommen war, fegte Percy mit Samantha nur so übers Parkett. Eins musste er sich aber eingestehen: sein Besen war ein viel besserer Tanzpartner gewesen als seine Mitschülerin...

#15: Gefühlswahrnehmung (Einsamkeit) - La Solitude Française

Schreibübung zum Thema Gefühlswahrnehmung. Ich weiß nicht, ob es direkt zum Thema passt, weil ich es nicht direkt dazu geschrieben habe. Es kam mir so in den Sinn und wenn es für euch keinen Sinn ergibt, dann sagt es einfach ^^"
 

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„A demain“, verabschiede ich mich, wie jeden Nachmittag ein schmales Lächeln aufgesetzt. Dann wende ich mich ab und sofort erstarrt mein Gesicht wieder zum üblichen steinernen Ausdruck ohne jegliches Gefühl.

Ich steige in den Bus, der gerade vor dem Gelände meiner Universität anhält, und zeige kurz mein Ticket vor, bevor ich mich auf einem Sitz gegenüber der hinteren Tür niederlasse. Routinemäßig ziehe ich meinen mp3-Player aus dem Rucksack hervor und stöpsle ihn mir in die Ohren. Es dauert eine Weile, bis ich mich für ein Lied entschieden habe. Die einen sind zu laut, die anderen zu nervig, zu fröhlich oder zu langweilig.

Am Place Albert Camus steige ich aus und trotte zu dem Gebäude, in dem ich seit ein paar Monaten wohne. Ich nehme die Treppe hinauf in den vierten Stock – keine Lust, auf den Fahrstuhl zu warten.

In meiner Wohnung angekommen, stelle ich meinen Rucksack in meinem Zimmer ab und gehe in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen.

Ein Blick in den Kühlschrank lässt mich seufzen. Es ist noch einiges da, das ich aufwärmen könnte, aber wenn ich ehrlich bin, verspüre ich gar keinen wirklichen Hunger. Beim genaueren Hineinhorchen in mich selbst stelle ich fest, dass ich im Moment eigentlich gar nichts so richtig fühle.

Ich gehe in mein Zimmer und setze mich an den Computer. Da ist eine Mail von meiner Schwester mit dem Betreff „Re: Frankreich“. Mir fällt jetzt erst auf, dass wir ihn seit ich hier bin nicht geändert haben.

Sie schreibt kurz von einer wichtigen Prüfung, die ansteht, erzählt dann aber von einer fantastischen neuen Serie, die sie gerade entdeckt hat und von der sie am vergangenen Wochenende schon sechs oder sieben Folgen im Internet gesehen hat. Wie immer ist sie Feuer und Flamme, beschreibt ausführlich, inwiefern diese Serie etwas absolut Neues ist und warum es sich so sehr lohnt, sie zu gucken.

Abwesend starre ich auf den Bildschirm. Ich frage mich, wann ich zum letzten Mal Fernsehen geschaut habe – abgesehen von den Nachrichten, für die ich meistens doch noch irgendwie Zeit finde. Selbst meine Lieblingsmangas, von denen ich nie genug kriegen konnte, habe ich seit Wochen nicht mehr verfolgt.

Ist es nicht unfair, dass sie dauernd Zeit für so was findet und ich nicht mal jeden Tag dazu komme, kurz ins Internet zu gehen? Ich habe mich schon immer gefragt, wie sie das eigentlich macht. Wenn ich nach Hause komme, esse ich meist kurz etwas und setze mich dann an meine Wiederholungen, Hausaufgaben und alles andere, was so zu tun ist. Und wenn ich fertig bin, ist der Tag dann auch schon zu Ende. So geht das jeden Tag, manchmal komme ich selbst am Wochenende nicht dazu, meine Freizeit zu genießen. Jeder scheint Freizeit zu haben, nur ich bin tagein, tagaus am Ackern...

Ich schalte ICQ an und sehe, dass Gina online ist. Ich schreibe sie an und lasse mir von ihr erzählen, dass sie heute auf der Arbeit viel Spaß hatte, weil ihre Kollegen so nett sind, und dass sie am Wochenende eine große Sauftour mit ihnen plant.

„Spaß...“, murmle ich und denke darüber nach, wann ich zum letzten Mal wirklich Spaß in der Uni hatte. Habe ich, seit ich hier bin, überhaupt ein einziges Mal so herzlich gelacht, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte? Ich kann mich nicht erinnern.

Schweren Herzens verabschiede ich mich – ein Blick auf die Uhr hat mich an meine Pflichten erinnert – und schalte den Computer wieder aus.

Ich hole meine Mitschriften aus der heutigen Vorlesung über Organische Chemie hervor und starre auf all die dort aufgezeichneten Molekülstrukturen, ein Gewirr aus irgendwie miteinander verknüpften Cs und Hs. Ich atme tief durch und gehe alles von der ersten Zeile an durch. Etwa in der Mitte halte ich inne, schaue mir die Struktur noch einmal an. Ich weiß noch, dass es einer meiner Kommilitonen war, der erklärt hatte, weshalb sie so aussehen muss – natürlich aus dem Stegreif – aber an die Erklärung kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich bin mir sicher, es zu dem Zeitpunkt verstanden zu haben, doch in diesem Moment ist mein Kopf leer. Vielleicht werden nun auch meine Gedanken von dem alles zermahlenden Monster gefressen, das seit meiner Ankunft Tag für Tag an meinen Gefühlen genagt hat. Und da es mein Herz inzwischen leergefressen hat, muss nun der Kopf dran sein.

Ich schließe die Augen, atme tief durch. Es kann doch nicht so schlimm sein. Ich sollte mich wirklich nicht beschweren. Ich studiere an einer renommierten Universität, komme meistens gut mit und habe, wenn ich irgendwann fertig bin, große Chancen, einen gut bezahlten Job zu finden – wo immer ich will.

Ironischweise muss ich jetzt daran denken, wie ich einmal in einer Englischklausur schrieb: „Living in a country with big problems such as lack of job opportunities is much worse than being a bit lonely somewhere else but having a job.“

Doch die Realität sieht anders aus. Vielleicht hätte ich doch nicht weggehen sollen. Vielleicht hätte ich zu Hause bleiben sollen. Ich hätte an einer Uni ganz in der Nähe meines Heimatortes studieren können und trotzdem später einen guten Job bekommen können. Die Frage dabei ist nur: War ich dort nicht einsam?

Ich erinnere mich an all die Nächte, in denen ich heulend in meinem Bett lag, darum bemüht, die Schluchzer zu unterdrücken, damit niemand es hörte. All die Zeit habe ich auf Liebe gewartet und als ich sie nicht bekam, kehrte ich ihnen allen den Rücken.

Welch eine Ironie, dass mich die Suche nach Liebe hierher führte, in die Stadt der Liebe, und vor allem, dass sie in einer Einsamkeit endet, die ich mir niemals hätte träumen lassen.

Mir ist kalt. Mir ist furchtbar kalt. Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper, um mich ein wenig zu wärmen, doch es hilft nichts, denn die Kälte kommt von innen. Die Heizung läuft, aber die Wärme erreicht mein Herz nicht. Es ist zu Eis geworden, ein gefühlloser Brocken aus Eis, und ich glaube nicht, dass es sich jemals davon erholen wird, selbst wenn es eines Tages wieder tauen sollte.
 

Ich will nicht, dass mir in meinem ganzen Leben noch einmal so kalt ist wie an diesem Tag.

#18 Euer Zimmer - Home

Der große Schrank stand schon immer in meinem Zimmer, auch, als wir noch in einer anderen Stadt gewohnt haben, auch als ich mir noch ein Zimmer mit meinen Schwestern geteilt habe. Komisch... damals müssen all unsere Sachen hineingepasst haben und heute fällt es mir schwer, meine ganze Kleidung darin unterzubringen. Dabei hab ich doch im Gegensatz zu den anderen Mädchen aus meiner Bekanntschaft nur so wenig Sachen, dauernd ärgere ich mich darüber, nur so eine geringe Auswahl zu haben. Überhaupt, warum muss es überhaupt so ein großer Schrank sein? Nur in einem Drittel davon liegen tatsächlich meine Klamotten, die anderen zwei Drittel sind mit an Kleiderbügeln aufgehängten Kleidern gefüllt. Und was für Kleider! Da hängen Sachen drin, die ich vor zehn Jahren getragen habe! Direkt neben irgendwelchen Konfirmationsröcken, Blusen und meinem letzten Cosplay. Und der ganze Boden des Schrankes ist voll von allen möglichen Dingen, die sich dort im Laufe der Zeit angesammelt haben. Darunter meine Kuscheltiersammlung. Ha, oh ja, die ist wirklich gar nicht so klein. Ich wollte schließlich mal alle Tiere der Welt als Kuscheltiere besitzen. Kuscheltiere waren mir sowieso immer wichtig. Immer war ich so ängstlich, wenn ich nicht meinen großen Muffel – eigentlich Mufasa, aber so nenne ich ihn nie – gehabt hätte, hätte ich mich wohl nie getraut, überhaupt mit jemandem zu sprechen.

Er sitzt jetzt an meinem Bettende, die zerkratzten schwarzen Augen in die Leere starrend. Aus der Ferne scheint er leblos, eben wie ein Kuscheltier, doch wenn ich mein Gesicht in seiner Mähne vergrabe, die schon längst nicht mehr so glänzt, wie sie es wohl mal getan hat, und seinen etwas staubigen Geruch inhaliere, weiß ich, dass er bei mir ist. Er ist der einzige, der immer da ist, wenn ich weine. Ich weiß nicht, wie oft sein Fell schon von meinen salzigen Tränen benetzt wurde.

Neben ihm sitzt – oder besser liegt, denn sie ist schon wieder auf den Schnabel gefallen – die noch äußerst glänzende Ente. Und es ist nicht irgendeine Ente – ganz und gar nicht! - es ist die aus der Sendung mit der Maus, für die ich immer noch jeden Sonntag um halb zwölf aufstehe. Meine kleine Schwester schenkte sie mir, bevor ich nach Frankreich fuhr. Die Erinnerung an diese drei Monate lässt mich immer noch erschaudern, doch die Ente mag ich. Sie steht für meinen Traum. Es ist eine merkwürdige Geschichte, wie ich ausgerechnet zu ihr gekommen bin... Einmal beim Spielen von Stadt-Land-Fluss, dem wir die Kategorie „Berufe“ hinzugefügt hatten, fiel mir beim Buchstaben E nur Entenpsychologe ein. Meine kleine Schwester hat das nicht vergessen, deshalb konnte sie an dieser Ente nicht vorbeilaufen, ohne sie zu kaufen. Richte dich auf, meine Liebe, und lass die Flügel nicht hängen – mit ihrem schelmischen Lächeln gelingt es ihr fast immer, mich aufzumuntern.

Meine Bücherregale! Ein ganz wichtiger Teil meines Zimmers. Ich verstehe bis heute nicht, wie es Menschen geben kann, die in ihrem Zimmer kein Bücherregal haben. Wie kann man denn leben ohne Bücher? In fast jedem Raum in unserem Haus gibt es Bücherregale, vollgestopft bis oben hin, andauernd müssen wir welche in den Keller tragen, damit wir überhaupt noch Platz haben.

Das Regal ist sortiert, auch wenn die Ordnung schon ein wenig durcheinander geraten ist. Ganz oben stehen die Kinderbücher. Einige habe ich schon in den Keller gebracht, aber von diesen konnte ich mich nicht trennen. Jim Knopf, Der Löwe ist los, Der Herr der Diebe... Das ist meine Kindheit.

In der obersten Reihe steht auch noch mein Papierfächer mit den fünf Pretty Cures aus der vierten Staffel. Ich habe ihn auf der AnimagiC in Bonn gekauft, weil es so heiß war. Damals trug ich selbst mein Cure-White-Outfit, das jetzt im Schrank hängt.

In der Mitte des Regals steht mein Spiegel. Irgendein altes Ding, das ich im Keller gefunden habe. War wohl mal ein Badezimmerspiegel. Davor steht meine bescheidene Kosmetikabteilung. Ein paar Sorten Nagellack, Wimperntusche, Kajal und ein paar Cremes, die ich geschenkt bekommen habe, aber nie benutze. Oh, und der Kamm von Walter. Ein Kamm im asiatischen Stil, ich glaube, er hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Ich weiß gar nicht, warum Walter an meinem Geburtstag... - ach, doch! Das war kurz bevor meine Schwester zu ihrem Auslandsjahr in Japan aufgebrochen ist! Das war kurz nach meinem Geburtstag, darum haben mir alle Geschenke mitgebracht. Sonst hätte ich wohl nie etwas von Walter bekommen, er hat mir ja kaum Beachtung geschenkt. Ich glaube, es ist ihm nicht einmal aufgefallen... Männer eben. Unsensibel bis zum Geht-nicht-mehr und die Gefühlswelt eines Teelöffels.

Ach, und dort, an der Lampe, hängt noch dieser unglaublich niedliche Fisch, der immer auf- und abspringt. Ich habe ihn im Aquarium auf Kreta gekauft, letzten Sommer.

Die anderen Bücher... vor allem Fantasy. Ich weiß gar nicht, warum ich so viele Fantasy-Bücher habe. Meine Schwester mochte Fantasy und irgendwie hat sie mich wohl angesteckt. Vielleicht sind auch einfach die Fantasy-Bücher so dick, dass man die anderen kaum sieht. Ich habe auch tolle andere Bücher.

Dort natürlich meine Harry Potter-Sammlung... Diese Bücher hatten einen unglaublichen Einfluss auf mich, auch wenn das ein wenig nachgelassen hat. Das sechste Buch fängt an mit: It was nearing midnight and the Prime Minister was reading a long memo that was slipping through his mind... Oder so ähnlich. Ich kann es immer noch auswendig. Bei den anderen weiß ich es nicht so genau, der sechste Band hat sich mir am meisten eingeprägt.

Neben den Büchern steht dort noch der Korb, in dem mein selbstgenähter Salamander liegt. Es sind nur zwei zusammengenähte Stoffteile in Salamanderform – oben blau, unten weiß. Auf dem Bauch trägt er das chinesische Zeichen für Drache – Ryû. Ich habe ihn in der sechsten Klasse genäht und die anderen haben mich gefragt, warum ich ihn Ryû-chan genannt habe. Ich denke mal, ich habe nichts gesagt, ich habe ja nie ein Wort mit ihnen gesprochen. Ryû war der Geliebte von Megumi – einer abgewandelten Form von mir in der Geschichte meiner Schwester: Heart Seekers. Ich weiß gar nicht, ob sie eigentlich vorhat, das auch noch mal wieder hervorzukramen.

Unten erstmal mein Don-Rosa-Ordner! Don Rosa, der beste Dagobert-Zeichner aller Zeiten! Bei allen anderen ist Dagobert einfach nur ein knausriger alter Mann, aber bei Don Rosa bekommt er einen Charakter, eine Geschichte, Tiefe. Diese Ente ist zum einen bemitleidenswert – zum anderen mein größtes Vorbild. Leute, die Geld ausgeben, verstehen nichts von den wahren Freuden eines Kapitalisten.

Ach, und da oben, neben dem Spiegel, hängt ja noch die Zeichnung, die Mandy für mich angefertigt hat. War das auch vor Japan...? Ich glaube schon. Ich im Fangirl-Modus, wie ich Ren anspringe. Sie hat mich so gut getroffen!

In dem anderen Regal steht meine Mangasammlung. Mann, die ist ja inzwischen ganz schön groß geworden! Shaman King habe ich fast vollständig, Skip Beat und Special A werden auch immer mehr. Ich liebe diese Serien. Ich mit meinem Romantik-Fimmel, nur weil es bei mir nicht so gut läuft...

Oben auf dem Schrank steht das blaue Plakat, das Jessi und Maike für mich gebastelt haben, bevor ich nach Frankreich gefahren bin. Einfach ein paar Sachen, die sie mit mir assoziieren. Es ist schön, so etwas zu haben! Schade eigentlich, dass ich immer weniger mit den beiden zu tun habe, seit sie auf dem Fachgymnasium sind... Dabei sind die Schulen direkt nebeneinander. Aber ich war noch nie besonders gut darin, Kontakt zu anderen zu halten. Gott sei Dank gibt es immerhin das Internet.

Dort oben sitzt noch Kisu, das Daisuki-Maskottchen. Ich habe es zum Geburtstag bekommen, bevor wir vor fünf Jahren in den Sommerferien nach Frankreich gefahren sind, ins Elsass. An meinem Geburtstag selbst waren wir noch bei Oma, in dem Haus, das Papa verkauft hat, nachdem sie gestorben ist. Es kommt mir vor wie gestern, dass ich das letzte Mal drin war, aber es ist nun bestimmt schon zwei oder drei Jahre her. Wie doch die Zeit vergeht...

Am Schrankpfeiler (das Wort klingt falsch... ich bin nicht gut darin, die richtigen Bezeichnungen zu finden...) hängt meine Kon-Handytasche, in der ich meine Kronkorken sammle. Ich glaube, es sind noch nicht besonders viele. Ich sammle aber auch nicht besonders leidenschaftlich, es war nur so eine fixe Idee. James sammelt sie auch, und James ist cool.

Mein CD-Player und meine CD-Sammlung... Für die würde mich jeder auslachen, glaube ich. Die Bambus-Bären-Bande! Die haben wir ja früher rauf und runter gehört. Wenn die Fledermäuse tanzen, dann ist Geisterstunde da! Oder? War das überhaupt die CD...? Ich weiß es gar nicht mehr. Dann eine Candy-Girl-CD. Ich hatte mal drei davon, aber zwei sind mir irgendwie abhanden gekommen. Tobias Regner. Ein DSDS-Sieger! Aber zwei seiner Lieder habe ich immer noch auf meinem mp3-Player, einfach, weil die Texte mich an bestimmte Dinge erinnern, die in der Vergangenheit waren. Ich bin sehr nostalgisch.

Dann natürlich noch Roger Cicero. Ich liebe diesen Mann und die Texte, auch wenn die Musik irgendwie immer gleich klingt. Ich seh dein gebrochnes Herz, es grinst von Ohr zu Ohr! Ach, und da auf meinem CD-Ständer liegen ja immer noch die Nick-Hornby-CDs, irgendein englisches Hörbuch. Ich habe mir einmal fünf Minuten angehört, kaum etwas verstanden und es dann wieder weggelegt. Ist bestimmt schon drei oder vier Jahre her, ich weiß gar nicht mehr, von wem ich die überhaupt habe. Das Radio steht da sehr einsam und ich wette, es ist ordentlich verstaubt. Manchmal höre ich mir CDs an (das letzte waren die französischen Hörtexte für die DELF-Prüfung), das Radio an sich benutze ich fast nie. Wann denn auch, wenn ich nie in meinem Zimmer bin?

Mein Schreibtisch ist schon wieder ein komplettes Chaos! Da ich meine Hausaufgaben entweder im Wohnzimmer oder in meinem Bett mache, lege ich dort immer alles ab, was ich woanders wegräumen musste. Meine ganzen Zeichensachen liegen da sowieso immer rum – ziemlich unberührt. Meine letzte Zeichnung ist auch schon wieder ein oder zwei Monate her. Ich kann es ja sowieso nicht.

Tja, und dort mein Daruma. Sein rechtes Auge trägt einen dicken schwarzen Kullerpunkt, das andere ist weiß. Ich bin ganz froh, dass die Lehne von meinem Stuhl ihn halb verdeckt, sonst könnte ich seinen auffordernden Blick sehen, der sagt: Los! Schreib! Sonst werde ich für immer einäugig bleiben!

#17: Abschiedsnachricht - An Mama

Wie immer hab ich auch diesmal die Aufgabe gesehen, einfach losgeschrieben und erst nachher genau hingeguckt... Eigentlich sollte es um das Verfassen einer Abschiedsnachricht gehen. Na ja, ich hoffe, es ist trotzdem in Ordnung so ^^"
 

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Ruth saß auf ihrem Fernsehsessel, als das Telefon klingelte.

Mühsam richtete sie sich auf; sie war kurz davor gewesen, einzuschlafen. Zum Glück lag der Apparat neben ihr auf dem Tisch, sonst hätte sie ihn wohl nicht rechtzeitig erreicht. Sie brauchte in letzter Zeit so furchtbar lange, um aus ihrem Sessel aufzustehen...

„Ruth Winter, guten Tag“, meldete sie sich mit kratziger Stimme. Sie räusperte sich leise.

„Hallo, Mama“, hörte sie am anderen Ende die sanfte Stimme ihrer Tochter Josephine sagen. Früher hatte Ruth am Telefon nie zwischen ihrer Stimme und der ihrer Schwester Janina unterscheiden können, doch das Problem hatte sich vor zwei Wochen gelöst.

„Hallo, Josephine.“

„Wie geht es dir, Mama?“

„Eigentlich wollte ich gerade ein Nickerchen halten“, grummelte Ruth mürrisch. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Tochter zu reden. Überhaupt hatte es in letzter Zeit wenig gegeben, zu dem sie Lust hatte.

„Oh, das tut mir leid...“ Es war nicht zu überhören, wie schwer es der Tochter fiel, mit ihrer Mutter zu reden. Dies war kein Wunder, da sie bis vor zwei Wochen nur äußerst selten ein Wort gewechselt hatten und sich nun dauernd unterhalten mussten, weil es so viele Dinge zu regeln gab.

„Weshalb rufst du an?“, fragte Ruth.

„Ich habe etwas in ihrer Wohnung gefunden“, sagte Josephine.

Bisher hatte Ruth sich jedes Mal darüber beschwert, dass sie Janinas Namen nicht aussprach, doch sie war es leid geworden, deshalb blieb sie einfach stumm und wartete darauf, dass ihre Tochter fortfuhr.

„Scheinbar hat sie so eine Art... Abschiedsbrief verfasst. Der Briefumschlag ist an dich adressiert, darum habe ich ihn nicht geöffnet. Wenn du möchtest, sage ich Gerd bescheid und er bringt ihn dir heute Abend vorbei.“

Ruth schwieg einen Moment. Ein Abschiedsbrief also... Das überraschte sie ziemlich, immerhin war Janina sehr plötzlich gestorben. Oder war es etwa kein Unfall gewesen?

Ruths altes Herz zog sich krampfhaft zusammen.

„Ja, bitte“, sagte sie dennoch. Sie bemerkte gar nicht, wie ihre sonst so kräftige und raue Stimme sehr leise geworden war.
 

Gegen sieben Uhr abends klingelte es an der Tür. Ruth quälte sich auf die Füße und ging so schnell sie konnte zum Eingang, wo Gerd auf sie wartete. Den ganzen Nachmittag hatte sie sich Gedanken gemacht – und was für welche. Sie hoffte, dass ihr Schwiegersohn keinen Kommentar darüber verlor, wie elend sie aussah.

„Bitteschön“, sagte er und überreichte ihr mit einem freundlichen Lächeln den weißen Briefumschlag. Sie nahm ihn mit zitternden Fingern entgegen.

Auch Gerd schien dies zu merken, denn er fragte vorsichtig: „Soll ich einen Moment hier bleiben? Ich könnte dir einen Kaffee machen, während -“

„Ach was“, winkte Ruth ab. Sie war froh, dass wenigstens ihre Stimme nicht zitterte. „Geh nach Hause.“

Er warf ihr noch einen beunruhigten Blick zu, dann verabschiedete er sich aber und ging. Ruth schloss die Tür. Sie mochte Gerd und wusste, dass er sich nur Sorgen machte, trotzdem wollte sie nicht, dass er sie sah, wenn sie den Brief las.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, stolperte sie fast über die Teppichkante, weil sie so damit beschäftigt war, den Briefumschlag zu öffnen, was sich mit den noch immer unruhigen Händen als nicht gerade einfach herausstellte.

Schließlich hielt sie das schmucklose, blütenweiße Papier in ihrer Hand. Sie ließ sich auf ihrem Sessel nieder, der sie mit seinen weichen Polstern empfing und begann zu lesen.
 

Liebe Mama,
 

ich hoffe, dass du diesen Brief nie lesen wirst, aber wenn dem so ist, bin ich wohl tot. Dann bin ich froh, dass du ihn gefunden hast, obwohl ich ihn hinter meinem Schreibtisch versteckt habe. Wenn du alles gelesen hast, wirst du dir denken können, warum das nötig war.
 

Es gibt einiges, was ich dir nie gesagt habe, einfach, weil ich es nicht kann. Darum tue ich es nun so, weil ich dir dann danach nie wieder in die Augen schauen muss. Es tut mir leid, ich weiß, dass das feige ist...

Aber du hast ja sowieso nie viel von mir gehalten. Schon in der Schulzeit habe ich dir oft Anlass zum Ärger gegeben. Ich habe nicht viel getan, weil ich die Schule so sehr gehasst habe. Du dachtest, ich wäre faul, aber es gab Dinge, die ich dir nicht erzählen konnte. Ich hatte mich in ein Mädchen verliebt und es ihr gestanden, geblendet von der Vorstellung, sie würde wenigstens meine Ehrlichkeit zu schätzen wissen. Doch am nächsten Tag schien es die ganze Schule zu wissen und niemand wollte mehr etwas mit mir zu tun haben.

Deshalb habe ich erkannt, dass ich meine Andersartigkeit verbergen musste, um erfolgreich zu sein. Meine erste Stelle war zwar nicht sehr gut bezahlt, aber da ich mein Geheimnis wahrte, wurde ich wenigstens akzeptiert. Es gab sogar Männer, die mit mir ausgehen wollten.

Aber genau diese waren mein Problem. Zu Beginn dachte ich noch, dass ich mich ändern konnte, dass ich vielleicht einfach noch nicht den richtigen Mann gefunden hatte. Doch diese Hoffnung löste sich bald in Luft auf. Ich ging mit allen möglichen Männern aus und bei einigen von ihnen war ich mir sicher, dass andere Frauen sich um ihn gerissen hätten. Aber ich gehörte und gehöre immer noch nicht zu diesen Frauen. In den bisher 45 Jahren meines Lebens habe ich keinem Mann gegenüber das empfunden, was man Liebe nennt.
 

Du fragst dich, warum ich trotzdem dreimal geheiratet habe?

Das ist ganz einfach: deinetwegen. Ich weiß, dass du es niemals akzeptiert hättest, wenn ich alleine geblieben oder mir gar eine Frau gesucht hätte. Und obwohl du ständig mit mir geschimpft und dich über mich beschwert hast, war mir deine Meinung immer noch wichtig. Ich wollte einfach normal sein.

Arne und Hans haben sich zwar von mir scheiden lassen, aber sie sind nie dahinter gekommen, dass meine Gefühle ihnen gegenüber nur Zuneigung und Pflichtbewusstsein waren – niemals Liebe. Die Gründe für meine beiden Scheidungen waren identisch: Ich sollte ein Kind mit einem Mann bekommen, den ich nicht liebte. Es wäre nur schief gegangen. Deshalb bin ich froh, dass Gerd keine Kinder bekommen kann. Vielleicht war dies sogar der Grund, weshalb ich ihn geheiratet habe.

Um seinetwillen bitte ich dich auch, ihm nichts davon zu erzählen. Er ist ein sehr liebevoller Mann und trotz allem hatte ich ihn sehr gern, selbst wenn das wohl nicht das Gefühl ist, das er sich gewünscht hat.
 

Du fragst dich, warum ich dir das alles nie erzählt habe? Du hättest es nicht verstanden. Ich weiß nicht, ob du es jetzt verstehst, aber ich möchte trotzdem, dass du es weißt. Eine Tochter sollte keine Geheimnisse vor ihrer Mutter haben.
 

Und eines möchte ich noch sagen: Ich war nicht unglücklich. Es gab natürlich Tage und auch Wochen, in denen ich mich wie Dreck gefühlt habe und am liebsten gestorben wäre, aber ich hatte trotzdem ein gutes Leben.

Mach dir bitte keine Vorwürfe, du kannst jetzt sowieso nichts mehr ändern.
 

Leb wohl, Mama, und vielen Dank für alles.

Ich liebe dich.
 

Janina
 

Eine einzelne Träne tropfte auf das Papier und ließ die Tinte verschwimmen.

Die angelehnte Tür

Stella starrte aus dem Fenster. Die Blätter der Bäume schaukelten im Wind hin und her, auf und ab... Sie taten dies immer, wenn das Mädchen sie betrachtete, und trotzdem wurde sie dieses Anblicks nie überdrüssig. Ganz im Gegensatz zum Anblick des Textdokuments, das sie pflichtbewusst geöffnet hatte, als sie den Computer auf ihrem Schreibtisch hochgefahren hatte.

Dabei war es ja nicht einmal etwas, zu dem sie gezwungen war. Sie wollte diese Geschichte schreiben, ja, aber sie musste es nicht. Aber gerade dieser Wille, all das, was in ihrem Kopf herumschwirrte, niederzuschreiben, brachte sie dazu, sich jeden Tag wieder an den Schreibtisch zu setzen. Und jedes Mal endete es wieder so wie heute: Nachdem sie ein paar Sätze geschrieben hatte, wanderte ihr Blick zum Fenster, nach irgendetwas suchend, das sie inspirieren könnte. Aber es geschah nie etwas.

Es war inzwischen über zwei Wochen her, dass sie sich vorgenommen hatte, die Geschichte der Charaktere, die in ihrem Kopf schon allgegenwärtig waren, endlich aufzuschreiben. Und in dieser Zeit hatte sie gerade mal drei Seiten zustande gebracht.

Die junge Frau stieß einen tiefen Seufzer aus und klickte dann auf das rote X in der oberen rechten Ecke des Computerbildschirms. Es hatte doch keinen Zweck. Je mehr sie sich anstrengte, die richtigen Formulierungen zu finden, desto weniger wollte es ihr gelingen. Es schien ihr fast so, als ob ihr Wortschatz mit jeder Minute, in der sie auf den Bildschirm starrte, rapide abnahm. Und dann auch noch das aufdringliche Blinken des Cursors im Textfeld, das nur Ruhe gab, wenn sie zu tippen begann! Als würde es ihr sagen wollen: Nun schreib schon, so schwer ist das doch wirklich nicht!

Doch es war schwer. Stella stand von ihrem Schreibtischstuhl auf und ging ein wenig in ihrem kleinen Zimmer herum. Sie zog ein Buch aus ihrem Schrank hervor und blätterte ein wenig darin herum. All diese Sätze, sie waren so gewandt formuliert, so direkt, so treffend, als wäre es überhaupt kein Problem, einfach das aufzuschreiben, was man dachte! Wieso gelang es all diesen Menschen, deren Bücher ihre Regale füllten, ihr aber nicht?

Stella ließ sich auf ihr Bett fallen und starrte zur Zimmertür, die in der Zugluft des geöffneten Fensters ein wenig hin- und herschwang und dabei leise knarrte.

Geschichten zu schreiben, das war wie eine Tür. Manche konnten einfach hindurch spazieren, ohne überhaupt zu bemerken, dass sie existierte. Sie konnten einfach schreiben, bis sie all ihre Ideen zu Papier gebracht hatten. Dann gab es natürlich noch die, die eine verschlossene Tür vorfanden und schulterzuckend daran vorbeigingen. Aber am schlimmsten war es, so fand Stella, für diejenigen, die genau wussten, welche Wunder sich hinter der Tür verbargen und nichts anderes wünschten, als sie zu erblicken und endlich schreiben zu können, denen der Einlass aber dennoch nicht gewährt wurde. Denn was war schon frustrierender als so kurz vor dem Ort seiner Träume aufgeben zu müssen?

Stella beobachtete weiterhin die Tür, die auf einmal von einem kräftigen Windstoß schwungvoll aufgestoßen wurde. Wie vom Donner gerührt sprang die junge Frau auf. Wer sagte denn, dass die Tür tatsächlich verschlossen war? Die wenigen Sätze, die sie bisher zustande gebracht hatte, konnte man doch wohl kaum als einen Versuch werten, die Tür zu öffnen!

Schnell ließ sie sich wieder an ihrem Arbeitsplatz nieder und sah ungeduldig zu, wie das Textdokument langsam geladen wurde. Als es dann schließlich erschien, gab es kein Halten mehr. Kurzerhand löschte Stella alles, was sie bisher geschrieben hatte und fing erneut an. Und mit einem Mal schienen all ihre Probleme sich in Luft aufzulösen.

Von weitem hatte die Tür zwar ausgesehen, als wäre sie verschlossen gewesen, doch wissen konnte man es doch erst, wenn man näher heranging. Nachdem Stella diesen Schritt gewagt hatte, hatte sie entdeckt, dass die Tür, hinter der ihre Welt lag, nur angelehnt war. Und eine angelehnte Tür zu öffnen, das war wirklich kein Ding der Unmöglichkeit.

Erinnerungen

„Oh!“

Dr. Zurbas hielt inne und ließ den Teller, den er gerade in die Hand hielt, ins Waschbecken fallen. Nachdem er einen Moment in die Leere gestarrt hatte, drehte er sich herum und eilte mit einer Geschwindigkeit, die wohl niemand einem Mann seines Alters zugetraut hätte, ins benachbarte Arbeitszimmer.

Auf dem Schreibtisch lag noch die Arbeit eines seiner Studenten, die er vor der Mittagspause bearbeitet hatte. Das erste, was an der aufgeschlagenen Seite ins Auge fiel, war die Formel am unteren Ende, die vom Professor mit einer dicken Bleistiftlinie umrandet worden war. Er hatte die Seite und insbesondere den Absatz, der diese Gleichung erklären sollte, mehrere Male aufmerksam gelesen, doch es wollte ihm einfach nicht klar werden, wie der junge Mann, der immer durch seine brillanten, wenn auch etwas chaotischen Ideen aus der Menge hervorstach, sich diese hergeleitet hatte.

„Ein Stift... wo hab ich den denn nun schon wieder liegen lassen?“, murmelte er vor sich hin und wühlte in dem Haufen an Akten, Büchern und losen Zetteln, der sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte. Beim Abwaschen war ihm plötzlich ein Gedanken gekommen, der nicht nur erklärte, wie sein Schützling auf die neue Formel gekommen war, sondern auch offen legte, wie weitgreifend diese Entdeckung war – aber er merkte schon, wie der Gedanke drohte, ihm wieder zu entwischen, wenn er ihn nicht sofort in seinen eigenen Worten niederschrieb.

Der Professor zog eine der vielen Schubladen auf und entdeckte darin, im hintersten Winkel, endlich einen kleinen Bleistiftstummel. Gerade wollte er ihn herausnehmen, um seinem von den Bemühungen, bloß nichts zu vergessen, strapazierten Gehirn Erleichterung zu verschaffen, als der Blick durch seine golden umrandete Brille auf etwas anderes fiel...

Schlaff ließ er sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen, der unter seinem Gewicht leise ächzte. Zurbas nahm das Foto in die Hand und pustete vorsichtig darüber, um es von der Staubschicht zu befreien, die sich darauf angesammelt hatte. Er hatte gar nicht gewusst, dass es noch hier war. Kein Wunder – ein besonders ordentlicher Mensch war er nie gewesen.

Dieses Bild weckte alte Erinnerungen – Erinnerungen an eine Zeit, die er fast vergessen hatte.

Es zeigte ihn in einem schwarzen Anzug, der an seinem spindeldürren Körper mehr als seltsam aussah. Seine damals noch blonden Haare, die für gewöhnlich in alle Himmelsrichtungen abstanden, waren mit viel Mühe geordnet worden und dort, wo inzwischen ein dichter, grauer Bart wuchs, glänzte das frisch rasierte Kinn eines 17-jährigen Jungen.

Dr. Zurbas erinnerte sich genau an diesen Tag.
 

Er war auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch in der Druckerei eines entfernten Verwandten, bei dem sein Vater ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte. Wenn er die Schule abgeschlossen hatte – was etwa in einem halben Jahr der Fall war – sollte er dort eine Lehre anfangen. Er selbst war sich nicht so ganz sicher, ob es das richtige für ihn war, aber da er in Bücher vernarrt war, hatten seine Eltern ihn davon überzeugt, es dort zu versuchen.

Natürlich war er viel zu früh dran; als er das Druckereigebäude erreichte, blieb ihm noch fast eine Stunde bis zum Beginn des Gesprächs. Also beschloss er, sich noch für eine Weile auf einer Bank am Rande des nahe gelegenen Marktplatzes niederzulassen. Da kein Markttag war, war dort nicht besonders viel los und der Junge hatte freie Sicht auf den Springbrunnen in der Mitte des Platzes, der fröhlich vor sich hinplätscherte.

Es war faszinierend, in was für symmetrischen Bahnen die Wasserfontänen aus der niedrigen Säule in der Mitte heraussprangen und wie gleichmäßig die kleinen Wellen, die sie hervorriefen, in alle Richtungen auseinanderliefen.Eine Taube flog darüber hinweg, drehte einen weiten Bogen und kehrte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Sie sah so dick aus, so schwerfällig und trotzdem konnte sie sich mit ein paar gezielten Schlägen ihrer dünnen Flügel in der Luft halten.

Dass es zu regnen begonnen hatte, bemerkte der junge Zurbas erst, als seine Kleidung fast zur Gänze durchnässt war. Er sah auf und bemerkte einen Regenbogen am Himmel über der Stadt, perfekt geformt und so deutlich, dass man jede einzelne der sechs Farben ausmachen konnte. Da leuchtete er, als wäre überhaupt nichts Wundersames daran, dass sich am blauen Himmel ein bunter, perfekt symmetrischer Bogen bildete.

Lachend stand Zurbas auf, drehte sich im Kreis herum und streckte dabei die Arme aus, so als wolle er all die kleinen Tropfen, die vom Himmel fielen, damit auffangen. Sie fielen herab, bildeten Pfützen und bei Sonnenschein würden sie wieder verdunsten, zu neuen Wolken werden und irgendwann, irgendwo, wieder auf die Erde zurückfallen, in einem ewigen Kreis, auf einer nicht enden wollenden Reise um die ganze Welt.

Als der Schüler bemerkte, wie eine vorbeigehende Frau ihn missbilligend ansah, besann er sich und blieb stehen, mit der Hand durch sein klitschnasses Haar fahrend. So konnte er unmöglich beim Vorstellungsgespräch auftauchen. Aber wenn er recht darüber nachdachte, wollte er auch gar nicht mehr dorthin. Sein ganzes Leben in einer Druckerei verbringen, während es dort draußen die Geheimnisse einer solch fantastischen Welt zu entdecken gab?! Da konnte er sich eindeutig Besseres vorstellen.
 

Der alte Zurbas lachte leise. Er erinnerte sich noch genau an das Gesicht seiner Mutter, als er – von oben bis unten durchnässt – nach Hause gekommen war und verkündet hatte, dass er Physik studieren wollte.

Schmunzelnd blickte er auf das Schwarz-Weiß-Foto, das er noch immer in der Hand hielt. Dieser junge Mann dort war kurz nach Aufnahme des Bildes gestorben – und als anderer Mensch zu neuem Leben erwacht.

Als der Professor aufsah, fiel sein Blick auf die aufgeschlagene Studentenarbeit und die von ihm eingekreiste Formel. Er wurde ein wenig bleich im Gesicht. Ihm war doch etwas dazu eingefallen! Aber was war es nur gewesen...?

Mit einem tiefen Seufzer legte er das Foto zurück in die Schublade und schloss sie wieder. Aber es war nur das Bild, dass er aus seinem Blickfeld entfernte; die Erinnerung würde verbleiben.

#25: Wortassoziation - Die Gegenstimme

Ein bisschen aufgeregt war Janine inzwischen schon. Fast schon so aufgeregt, dass „ein bisschen“ nicht mehr ausreichte, um das Ausmaß ihrer Aufregung zu beschreiben. Aber nur fast.

Sie warf einen schnellen Blick hinüber zu Marc. Er war völlig entspannt, daran ließen sein breites Grinsen und seine lockere Haltung keinen Zweifel. War er sich der Bedeutung des Momentes gar nicht bewusst? Immerhin liefen gerade die Abstimmungen für das Amt des Schülersprechers, beziehungsweise der Schülersprecherin. Und er war einer der zur Auswahl stehenden Kandidaten. Auch Lukas, neben Marc und Janine der dritte dieser Kandidaten, schien sich nicht allzu viele Gedanken zu machen. Vielltieicht war es kein Wunder: Die beiden waren beliebt in der Schülervertretung, und die Mitglieder derselben waren es immerhin, die heute über das höchste Schüleramt entschieden.

Nun trat Janines Freundin Lara als letzte hinter dem Betttuch hervor, das aufgehängt worden war, um wenigstens den Anschein einer Wahlkabine zu erzeugen. Sie grinste der Kandidatin aufmunternd zu. Immerhin eine Stimme, die ihr sicher war.

Herr Schröder, der als unparteiischer Lehrer der Wahl beisaß, schüttelte die Wahlzettel aus der Schuhkarton-Urne, auf einen Tisch und begann, die Stimmen auszuzählen und auf einem Blatt zu notieren.

Schließlich legte er den letzten Zettel beiseite und hob mit feierlicher Miene den Blick. Er ließ ihn über die versammelten Mitglieder schweifen und blieb schließlich bei Janine hängen. Er lächelte herzlich. „Alles Gute, Janine. Ab heute bist du offiziell Schülersprecherin der Max-Born-Schule. Und das mit einer überwältigenden Mehrheit, es gab nur eine Gegenstimme.“

Janine konnte nicht anders, als zu grinsen, als alle Köpfe sich zu ihr drehten. „Vielen Dank!“, sagte sie. „Damit hätte ich nicht gerechnet!“

Während die anderen nach und nach aufstanden, um ihr zu gratulieren, verdeutlichte sie sich selbst noch einmal, was dieses Wahlergebnis bedeutete. Obwohl Marc und Lukas so beliebt waren, waren alle bis auf eine einzige Person der Meinung, sie könnte der Interessen der Schülerschaft besser vertreten als die beiden. Nur ein einziger Schüler von den zwanzig, die hier versammelt waren, traute ihr diese große Aufgabe nicht zu. Nur ein einziger!

Auf einmal kam in ihr die Frage auf: Wer war das? Wer war es, der nicht daran glaubte, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war? Eigentlich war ihr klar, dass diese Frage undankbar war, dass sie vor der Verkündigung des Ergebnis nicht einmal mit der Hälfte der Stimmen gerechnet hatte und dass es auf keinen Fall etwas bedeuten musste, dass einer dieser Leute hier vielleicht einen der beiden anderen als ein wenig geeigneter empfunden hatte. Dennoch beschäftigte es sie.

Sie hatte zwei Konkurrenten gehabt, also musste zumindest einer von ihnen ebenfalls für sie gestimmt haben, auch wenn es in einer geheimen Wahl keinesfalls eine Schande war, seinen eigenen Namen aufzuschreiben. Sie hätte das auch von beiden ohne nachzudenken erwartet, doch wenn einer es nicht getan hatte, war Janine sich fast sicher, dass es beim anderen ebenso war. Und die anderen? Mit einigen war Janine besser befreundet, mit einigen weniger. Einige waren manchmal nicht so begeistert von den Vorschlägen, die sie in der Schülervertretung machte, doch da sie in solchen Fällen ihre Konzepte mit den Ideen der anderen überarbeitete, hatte dies noch nie zu einer wirklichen Meinungsverschiedenheit oder gar einem Streit geführt. Wer konnte also diese eine einzige Gegenstimme abgegeben haben?
 

Die Frage ließ Janine keine Ruhe. In der Nacht träumte sie davon, von einem Mann mit schwarzer Maske verfolgt zu werden, der sie töten wollte, damit sie als Schülersprecherin kein Unheil anrichtete. An diesem Morgen wachte sie schweißgebadet und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf. Ob die Gegenstimme wirklich dieser Natur gewesen war? Also nicht nur eine Nicht-Dafür-Stimme, sondern eine richtige, überzeugte Dagegen-Stimme? Was, wenn diese Person eine Eigenschaft an ihr bemerkt hatte, die eine Schülersprecherin nicht haben sollte, vielleicht dass sie manchmal viel lieber shoppen ging als ihren Pflichten nachzugehen? Die anderen würden es auch herausfinden und schon bald würden sie alle bereuen, sie gewählt zu haben. Würden sie es ihr wohl wenigstens offen sagen? Oder würden sie versuchen, sie durch irgendwelche hinterhältigen Aktionen dazu zu bringen, das Amt selbst aufzugeben?

Eine ganze Woche lang quälte Janine sich mit diesen Fragen. Manchmal war sie sich absolut sicher, dass die meisten wirklich zu ihr standen und es auch weiterhin tun würden und dass diese Gegenstimme eigentlich gar nichts zu bedeuten hatte, aber dann kamen doch immer wieder die Zweifel in ihr auf.

Schließlich stand sie dann vor der versammelten Schülervertretung und eröffnete die Sitzung: ihre erste offizielle Amtshandlung. Während sie sprach, war sie unsicherer als sonst, kam mit den Wörtern durcheinander und brachte manches überhaupt nicht so heraus, dass jemand sie verstand. Sie sah ein wenig Erstaunen in den Augen ihrer Zuhörer und meinte, hier und da auch Unzufriedenheit zu erkennen. Zuerst war es nur einer gewesen, der durch seine Gegenstimme seinen Unmut ausgedrückt hatte, doch ihre Gegner mehrten sich schneller als sie gedacht hatte.
 

„Was ist los?“, fragte Lara ihre Freundin besorgt, als die Versammlung vorüber war. „Geht's dir nicht gut?“

Janine stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich weiß es auch nicht. Vielleicht haben die anderen mich auch einfach überschätzt und ich bin eigentlich gar nicht geeignet als Schülersprecherin.“

Lara sah sie empört an: „Was soll das denn? So ein engagiertes, überzeugendes und redegewandtes Mitglied wie dich hat die Schülervertretung lange nicht gesehen. Wenn du keine gute Schülersprecherin bist, dann ist es keiner. Vielleicht war das ja einfach die Aufregung, immerhin war das ja die erste Sitzung, die du alleine geleitet hast.“

Einen Moment lang musterte Janine ihre Freundin skeptisch, doch dann musste sie lächeln. Vielleicht waren es ja wirklich alles nur Hirngespinste.
 

Eine Weile war alles gut und Janine dachte fast nicht mehr an ihre Befürchtungen. Sie warf sich in die Arbeit und tat alles, was sie nur konnte, um den Anforderungen an ihr Amt gerecht zu werden. Doch dann stand bald die zweite Sitzung bevor und auf einmal war die Angst zurück. In der Nacht vor dem entscheidenden Tag tat die Schülersprecherin kein Auge zu. Sie war sich sicher, dass sie wieder alles durcheinander bringen würde, dass sie niemanden von ihrem Plan, einen Teil des Schulhofs als Bolzplatz für die Kleinen abzugrenzen, würde begeistern können. Wahrscheinlich würde es ihre letzte Sitzung werden, denn sie wusste, dass einige der Schülervertreter ziemlich schnell ungeduldig wurden. Sie würden ihren Putsch so schnell wie möglich in die Tat umsetzen.

Am Morgen, noch vor Beginn der ersten Stunde, klopfte Janine an die Tür des Lehrerzimmers. Sie ließ Herrn Schröder rufen, den Lehrer, der auch bei der Wahl zugegen gewesen war. Dieser war überrascht, als sie ihn bat, ihn unter vier Augen sprechen zu dürfen, doch er folgte ihr in den SV-Raum.

„Ich möchte als Schülersprecherin zurücktreten“, sagte sie ohne Umschweife, aber ohne dem Lehrer mittleren Alters dabei in die Augen sehen zu können.

Er war einen Moment still, doch dann fragte er: „Wie kommst du denn zu diesem absurden Wunsch?“

„Ich fühle mich von den anderen nicht akzeptiert. Ich glaube, ich bin für diesen Posten nicht geeignet.“ Erst jetzt, als sie es laut aussprach, wurde ihr bewusst, wie seltsam dies für ihn klingen musste.

„Wie kommst du darauf? Du wurdest fast einstimmig gewählt und das will schon was heißen, immerhin waren deine Gegner auch nicht gerade Idioten. Auch ich halte dich für mehr als geeignet für diese Position. Du bist da genau in deinem Element.“

Obwohl Janine ihn nicht anschaute, war sie sich sicher, dass er sie gerade freundlich und gleichzeitig verständnislos anschaute. Er war der Typ, der niemals die schlechten, sondern immer nur die guten Eigenschaften anderer hervorhob. Außerdem war er bei der letzten Sitzung nicht dabei gewesen, er konnte es gar nicht beurteilen...

„Es gab eine Gegenstimme“, sagte Janine, noch leiser als zuvor. Sie wusste, dass es töricht klang, aber andererseits konnte sie diesen Mann auch mit nichts anderem als der Wahrheit abspeisen.

„Ja, eine unter zwanzig“, sagte Herr Schröder verblüfft. „Und das beschäftigt dich so sehr? Meinst du nicht, dass vielleicht Marc oder Lukas sich selbst gewählt hat, ohne groß darüber nachzudenken? Oder dass jemand -“

Ja, das kann ja alles sein“, unterbrach Janine ihn ein wenig gereizt. „Aber was, wenn es nicht so ist? Ich kann nicht einfach so weitermachen wie zuvor, wenn es in der SV – und vielleicht noch bei anderen Schülern! – Leute gibt, die an mir zweifeln und die nicht daran glauben, dass das, was ich tue, dem Wohl der Schüler dient! Vielleicht haben sie ja recht und ich steuere in eine völlig falsche Richtung, und die anderen haben es nur noch nicht bemerkt!“

Der Lehrer legte ihr die Hand auf die Schulter. „Weißt du eigentlich, dass gerade all diese Befürchtungen dich zur besten Schülersprecherin der Welt machen? Du machst nicht einfach das, was dir am besten gefällt, nur weil die anderen dich gewählt haben, sondern du bist dir deiner Pflichten voll und ganz bewusst. Und du entscheidest doch nie etwas ganz alleine, es ist immer eine Entscheidung der ganzen SV und da ist auch dein angeblicher Gegner eingeschlossen. Wenn ihm etwas auf dem Herzen liegt, dann kann er es vorbringen und wird dabei sowohl bei dir als auch bei allen anderen sicherlich auf Verständnis stoßen. Meinst du nicht?“

Janine blieb stumm. Normalerweise ließ sie sich von anderen überzeugen und ließ auch von ihrer ursprünglichen Überzeugung ab, wenn ihr klar wurde, dass es bessere Möglichkeiten gab, doch in diesem Fall konnte sie das nicht.

„Ich wüsste nur gerne, wer es war...“, murmelte sie so leise, dass sie kaum noch zu hören war. Dieses Gespräch wurde ihr immer peinlicher, da sie Seiten von sich offenbarte, die keiner je zuvor bei ihr gesehen hatte. Aber trotzdem konnte sie nicht anders, als weiterzumachen.

„Wenn du das willst, dann versuchen wir, es herauszufinden.“

„Wie das?“, wollte Janine fragen, doch ihr Lehrer stand schon an der Kiste mit dem Papiermüll und zog einen Zettel nach dem anderen daraus hervor. Er zwinkerte ihr zu. „Das zerstört zwar das Wahlgeheimnis, aber ich nehme an, wenn wir es nicht tun, wird uns etwas viel Bedeutenderes genommen.“

Herr Schröder breitete die Zettelchen auf dem Tisch aus und sie begannen gemeinsam, einen nach dem anderen durchzusehen. Jeder hatte nur eine der Zahlen 1, 2 oder 3 für die Kandidaten aufgeschrieben, damit aus der Handschrift nicht zu schnell ersichtlich wurde, von wem die Wahl kam, doch wenn sie Glück hatten, hatte der einzige, der keine 2 darauf geschrieben hatte, eine besonders charakteristische Schrift.

„Hier ist er“, sagte Herr Schröder schließlich beim vorletzten Zettel. Janine nahm ihm den Zettel aus der Hand und starrte darauf. Einen Moment lang verstand sie nicht, was sie dort sah, doch als es ihren Kopf erreicht hatte, begann sie auf einmal zu lachen – mit einem Mal befreit von allem Druck der letzten Wochen.

„Was ist so lustig?“, fragte der verwirrte Lehrer.

„Das ist Lukas' Zettel“, erklärte Janine und wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Er schreibt immer so schlampig, darum könnte man das hier für eine Eins halten, aber ich weiß, dass er Einsen immer als einen senkrechten Strich ohne Häkchen schreibt.“

Nun begann auch Herr Schröder zu lachen. „Dann gibt es also gar keine Gegenstimme?“

Janine schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich sollte den Guten wirklich mal darauf hinweisen, was für fürchterliche Folgen so eine Sauklaue haben kann!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  Gasoline
2012-07-23T08:16:50+00:00 23.07.2012 10:16
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen - respektable Leistung :)
Gerade die Artikel hast du geschickt umschifft - hätte ich jetzt nicht gewusst dass er sich um ein Lipogramm gehandelt hätte, wäre mir daa fehlende D wahrscheinlich gar nicht aufgefallen.
Die Geschichte an sich ist auch ganz knuffig. :)
Lg, Mori
Von:  ChasingCars
2010-10-17T12:46:33+00:00 17.10.2010 14:46
Ich kann mich Chimiko nur anschließen - Eine schöne kleine Geschichte. :) Die Erinnerungen waren ja sogar in zweierlei Hinsicht eingebracht.
Irgendwelche Fehler konnte ich nicht entdecken, ließ sich angenehm lesen, schönes Thema. Und auch ich kann da beim besten Willen nichts beantstanden. :)
Von:  Chimi-mimi
2010-10-08T09:28:58+00:00 08.10.2010 11:28
Was soll ich groß sagen? Dass ich deinen Schreibstil gut finde, weißt du ja allmählich und auch hier kann ich dazu nichts Gegenteiliges behaupten.
Ansonsten: Eine süße kleine Story, mir gefällt der Schluss, der Anfang... und die Mitte. Ja, ich mag die Geschichte und ich habe für mich persönlich eigentlich nichts auszusetzen ♥
Von:  Evaleska
2010-09-15T17:11:02+00:00 15.09.2010 19:11
Wow, das ist klasse. Du hättest noch zwanzig Seiten weiter schreiben können, und es wäre doch nicht langweilig geworden. Ich finde, du hast aus der Aufgabe alles rausgeholt, was ging.
An manchen Stellen habe ich mich nur gefragt: Wovon zum Teufel erzählt die da? Einige Sachen erklärten sich im Folgesatz, aber z.B. zum Schluss... Wer oder was ist Daruma?? Dieses aus-dem-Schlauch-stehen stört aber kaum. Kann man halt ein wenig knobeln :-P

Wirklich interessant, wo du schon alles gewesen bist. Ich bleib nur stut im nahen Umkreis von Deutschland.......
Ich finde das echt toll, dass du mit deinen ganzen Sachen noch etwas verbinden kannst. Viele vergessen ja irgendwann warum und woher sie etwas haben. Mit einigen Dingen konnte ich mich auch super identifizieren. Die Sache mit den Büchern z.B. Für mich auch absolut unverständlich, wie jemand nicht lesen kann. Oder die Stofftiere, stumme Zeugen jedweder Gefühle, die man im Zimmer lässt. Ich saß nur vorm Bildschirm und dachte mir: "Trifft auch auf dich zu, das auch und das auch..."
Die Bambusbären habe ich früher auch gehört. Ich glaub, die Passage, die du geschrieben hast, gehört wirklich da rein.

Summa summarum ein Text, den ich mir zehnmal hintereinander durchlesen könnte - und so was kommt nicht oft bei mir vor. Du schreibst schön locker und angenehm lesbar. Dein Zimmer kann man sich auch gut vorstellen (fehlt nur noch die Tapetenfarbe).

LG Lianora
Von:  Tijana
2010-09-12T15:18:35+00:00 12.09.2010 17:18
Hi Hi ^^

Ahhhh! Man bekommt irgendwie den Eindruck, als ob die Hauptfigur neben sich selbst steht und sich selbst beobachtet! :) Mit dem Thema "Einsamkeit" hast du so also in Schwarze getroffen! Und wenn du jetzt noch mehr Absätze einbauen würdest, dann wäre deine Story auch flüssiger zu lesen!

lg
Tijana ^^
Von: abgemeldet
2010-08-21T08:27:52+00:00 21.08.2010 10:27
Hey.

Eine sehr schöne, rührende Geschichte, auch wenn ich mich frage, was ihre Mutter ihr erzählt hatte, wie ihr Verhältnis zueinander war, dass sie sich nicht traute die Wahrheit zu sagen. Oder wenigstens nach der zweiten Scheidung mal das Gespräch gesucht hätte. Wie du merkst, bleiben einige Frage offen, was der Story nur gering schadet. Eine Kurzgeschichte eben mit offenem Anfang und Ende, die eine wichtige Botschaft enthält: Toleranz.
Dein Schreibstil ist schön und es war wirklich sehr angenehm zu lesen.

Mach weiter so.

Lg,

Koike
Von:  Vandra
2010-06-30T21:11:40+00:00 30.06.2010 23:11
Schwierigkeiten mit dem Beginnen...hast du offenbar nicht.
Ich fand den Einstieg in die Geschichte eigentlich gut gelungen und effektiv wurde auch sehr schnell klar, dass eine Tochter verstorben sein musste.
Wunderbar fand ich deine Beschreibungen von der Mutter, ihren Interaktionen mit der Umgebung (zittrige Finger etc.). Das war plastisch und so etwas liebe ich. Man fühlt förmlich, was vorgeht. Dialoge (besonders der mit Gerd) fand ich auch sehr fliessend.

Was mich etwas gestört hat (und frag mich nicht warum), waren eigentlich "dies" oder "diese". Hatte einen leicht fehlplatzierten Ton für mich.
Der Brief war seltsam - was durchaus realistisch sein könnte. Aber ich zweifelte bei dem Brief ernsthaft am Geisteszustand der Verfasserin. Und da fehlt einfach Information über die Reaktion der Mutter.
Sie soll es sich nicht zu Herzen nehmen, aber sie reibt es ihr trotzdem unter die Nase und behauptet, ihre Mutter hätte das nie akzeptiert? Und streckenweise wirkte der Brief ziemlich "geredet" - was ich ungewöhnlich finde.
Aber das ist alles sehr geschmacksabhängig...und die Geschichte war gut.

Also...ja...jetzt habe ich den Faden verloren.

Ciao
Vandra
Von:  Lily_Toyama
2010-06-29T15:40:10+00:00 29.06.2010 17:40
Ein wirklich traurig Brief.
Sehr gut rübergebracht, aber der Punkt wo du mich wirklich sehr berührt hast, war ganz am Schluss, als sie ihrer Mutter gesagt, dass sie trotz allem nicht unglücklich war und das sie sich keine Vorwürfe machen soll.
Es ist ein passender Schluss und irgendwie ein beruhigender, denn man hofft das sie auf ihrer Tochter hört.
Lg Lily
Von:  Lily_Toyama
2010-06-29T15:32:24+00:00 29.06.2010 17:32
Eine wirklich tolle Idee.
Welcher Schreiber kennt das nicht? Aber darüber zu schreiben, dass habe ich noch nie gelesen. Klasse
Der Vergleich ist schlüssig und macht Mut (und mir fällt ein, dass ich noch etwas schreiben sollte -.-')
Lg Lily
Von:  ChasingCars
2010-06-29T10:30:03+00:00 29.06.2010 12:30
Eine tolle Metapher!
Zwar nur ein kurzer Text, aber ich finde, du hast den Vergleich zwischen dem Schreiben und der Tür treffend angebracht. Besonders die "angelehnte Tür" erst im letzten Satz einzubringen, war genau richtig.
Mir geht's ehrlich gesagt oft genauso wie Stella. Eine Freundin von mir setzt sich an den PC und schreibt drauflos, bis die Geschichte fertig ist. Und ich... Ich brauche zehn Anläufe, um überhaupt eine Seite zusammenzubekommen und dann bin ich doch wieder unzufrieden und verwerfe sie. Oft.
Aber dein Text macht irgendwie Mut. ;)
Auch wenn einen der Geistesblitz wohl seltener in Form einer Tür trifft. :D


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