Zum Inhalt der Seite

Tempted to touch

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hallo und allen noch ein gesundes neues Jahr.

Es geht endlich weiter. Meine letzte von acht Prüfungen im Staatsexamen für Veterinärmedizin liegt morgen (Montag) an und da ich nun seit fünf Monaten (gefühlt, seit einer halben Ewigkeit) nur pauken musste, hab ich mir kurz vorher die Freiheit genommen, noch ein wenig was nieder zu schreiben. Ich hoffe das wirkt sich nicht negativ auf meine geistige Kondition am morgigen Tag aus.

Nun ja... ich wünsch jedenfalls viel Spaß beim Lesen und verspreche, dass es bis zum nächsten Kapitelupdate nicht allzu lange dauern wird ^^
 

***Tempted to touch XVI***
 


 

Mit großen Augen starrte Yume zur Tür und ihm wurde ganz mulmig im Bauch, als er Davons grimmiges Gesicht erblickte. Unbewusst trat der Kleine einen Schritt zurück, weil es ihm Angst machte, wie der Mann mit stampfenden Schritten auf ihn zukam. Irgendwie verspürte er Schuldgefühle. Woher diese kamen, wusste er selber nicht, doch Davon sah nicht so aus, als ob er hergekommen wäre, um sich nett mit ihm zu unterhalten.

Ängstlich zog er die Schultern hoch und presste die Lider aufeinander, als der Mann schließlich vor ihn trat, doch statt harschen Worten, fühlte er nur warme Arme um sich und wie er fest an Davons breite Brust gezogen wurde.

Yume verstand zwar nicht, was hier gerade passierte, doch er entspannte sich sofort und lehnte sich mit einem leisen Seufzer an den anderen. Er hatte Davon so vermisst, den ganzen Tag schon und nun war er einfach glücklich, dass der Mann zu ihm gekommen war.

Dann löste der Dämon jedoch seine Umarmung, die dem Kleinen viel zu kurz vorgekommen war, umfasste Yumes Oberarme und drückte ihn ein Stück von sich. Irritiert schaute der Junge zu ihm auf und es spiegelte sich sofort wieder Unsicherheit in den goldenen Augen.
 

Davon sah immer noch ziemlich grimmig aus und er war es auch. Dennoch konnte er Yume irgendwie nicht böse sein, obwohl er es eigentlich wollte.

»Verdammt noch mal, Yume… Warum bist du allein rausgegangen?«, stieß er dann durch zusammengebissene Zähne hervor. Wenn man ihn gut genug kannte, wusste man, dass sein Ärger nur aus seiner Sorge um den Jungen herrührte.

Die Frage überraschte den Kleinen, das konnte er deutlich an dessen Gesicht ablesen. Verständnislos sah Yume zu ihm auf, bis er plötzlich Nahi und Lano erblickte, die ihm anscheinend hinterhergelaufen waren. Davon verdrehte die Augen und hätte die beiden am liebsten sofort wieder rausgeworfen, aber Yume wirkte plötzlich so niedergeschlagen, dass er seine Aufmerksamkeit erst mal auf dem Jungen ruhen ließ.

Davon atmete einmal tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen. Er wollte Yume gegenüber nicht laut werden, schon gar nicht, nachdem Nahi ihm vor ein paar Stunden erst die Wahrheit über sein Volk offenbart hatte.
 

»Mist…«, murmelte er, zog den Kleinen dann wieder an sich und strich ihm behutsam über den Kopf. »Mach das bitte nicht noch mal…«, bat er nach einer Weile des Schweigens mit ruhiger Stimme. »Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht, als ich gehört hab, du wärst weg«, gestand Davon leise, sodass nur Yume es hören konnte.

Es störte ihn ungemein, dass Nahi praktisch hinter ihm stand und ihn beobachtete. Diese Frau raubte ihm durch ihre bloße Anwesenheit den letzten Nerv. Deswegen dehnte er die Umarmung auch nicht weiter aus, sondern löste sich schließlich von dem Kleinen, auch wenn er spürte, dass dieser darüber sehr enttäuscht war.

Trotzdem drehte er sich zu den beiden anderen um und sah die blonde Frau abschätzend an.

»Du kannst dann gehen… wir kommen auch ohne dich klar…«, sagte er kühl und wartete, dass sie wirklich ging. Doch Nahi wäre nicht Nahi, wenn sie sich von so etwas beeindrucken ließ. Sie hatte ihn früher immer schon gern geärgert und ließ sich weder von Davons Größe, noch von seiner gefährlichen Ausstrahlung einschüchtern.

Lächelnd erwiderte sie den grimmigen Blick und schüttelte langsam den Kopf, sodass ihre hellen Locken leicht wippten.

»Hm… Ich weiß nicht. Mir hat diese nette Seite, die du gezeigt hast sehr gefallen. Davon würde ich gern mehr sehen.«

Herausfordernd sah sie ihn an, bevor ihr Blick plötzlich durch ihn hindurch zu gehen schien.

Lano, der neben ihr stand, hatte den Blick ebenfalls auf einen Punkt hinter ihm gerichtet, sodass Davon sich schließlich auch umdrehte und vergaß, was er hatte erwidern wollen. Es verschlug ihm regelrecht die Sprache.

Da prangte ein riesiger schwarzer Fleck an der Wand!

Für einen Moment starrte er die verkohlte Wand nur an, bevor um das Bett herumging, darauf zutrat und mit den Fingern über den unteren Teil strich. Und tatsächlich, es handelte sich um einen Feuerschaden. Seine Finger waren schwarz vom Ruß. Unwirsch wischte er sie an seiner dunklen Hose ab. Wie war das nur passiert?

Diese Frage geisterte in seinem Kopf herum, seitdem er den Fleck entdeckt hatte. Musternd glitt sein Blick über Yume. Der Kleine stand mit gesenktem Blick da und kaute auf seiner Unterlippe herum. Davon wollte ihn gerade ansprechen, als er eine Bewegung unter der Bettdecke bemerkte. Kurz darauf krabbelte der kleine Drache, den er dem Jungen damals geschenkt hatte darunter hervor. Verwirrt sah Davon das Tier an.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Diesen Störenfried hatten sie doch in seiner Festung gelassen. Wie kam der denn hierher?

Erneut richtete er seinen Blick auf Yume, doch diesmal war er richtig wütend.

»Hast du den Drachen mit hierher gebracht?«, fragte er gefährlich ruhig, zeigte auf den Drachen und versuchte sich zu beherrschen. Für ihn stand fest, dass der Drache etwas mit dem Brandfleck zu tun hatte. Wie sollte es auch anders sein? Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Silberschopf mit Feuer spielen würde, zudem er dazu gar nicht die Möglichkeit gehabt hatte.

Yume sah ihn mit großen Augen an und schüttelte dann langsam den Kopf. Ungehalten knurrte Davon und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er wollte dem Kleinen gerne glauben, tat es aber nicht, konnte es nicht. Denn wie sonst sollte das Tier hierher gekommen sein? Allein bestimmt nicht. Jedenfalls schloss er das aus. Wieso war Yume also nicht ehrlich zu ihm?

Ungehalten trat er auf den Jungen zu, packte ihn am Arm und zog ihn unsanft zu einem kleinen Tischchen, wo er ihm Papier hinlegte und einen Stift in die Hand drückte.

»Schreib auf, was passiert ist!«, befahl er mit autoritärer Stimme, ließ den Kleinen jedoch los, als er merkte, wie fest sein Griff eigentlich gewesen war und es tat ihm sofort leid, dass er Yume schon wieder grob behandelt hatte. Das war nicht seine Absicht gewesen, aber wenn er aufgebracht war, passierte es einfach, dass er zu fest zupackte.

Ungeduldig wartete er ab, was der Kleine aufschreiben würde, doch Yume schrieb nicht, sondern legte den Stift wieder auf den Tisch und schüttelte den Kopf.

Er wusste nicht, was er aufschreiben sollte… immerhin hatte er den Mann nicht angelogen. Unsicher schaute er zu Davon auf und versuchte ihm mit Blicken klar zu machen, dass er auch nicht wusste, wie der Drache hergekommen war. Dabei rieb er sich unbewusst die Stelle, die der andere so fest gepackt hatte.

Lano und Nahi, die immer noch mit im Zimmer standen, hatten alles still beobachtet. Als die blonde Frau jedoch sah, wie grob Davon auf einmal wieder wurde, platzte ihr der Kragen.

»Du siehst doch, dass du ihn einschüchterst. Wieso bist du jetzt wieder so grob zu ihm? Das hat er ja wohl nicht verdient!«, wies sie ihn schneidend zurecht, nachdem sie auf Davon zugetreten war. Dieser verdrehte die Augen und verfluchte sich dafür, dass er Nahi noch nicht rausgeschmissen hatte. Es ärgerte ihn ungemein, dass sie ihn auf etwas hinwies, was er selbst schon gemerkt hatte, und was ihm ja auch Leid tat.

»Was geht es dich an? Verschwinde lieber und such dir jemand anderen mit dem du meckern kannst«, knurrte er sie über die Schulter hinweg ab, aber davon ließ sich Nahi nicht von ihrem Vorhaben Yume zu verteidigen abbringen.

»Er weiß auch nicht, wie der Drache hierher gekommen ist…«, erklärte sie anstelle von Yume und versuchte nicht ganz so anklagend zu klingen wie eben, denn Davon wirkte ziemlich aufgebracht. Allerdings stand dahinter wieder mehr die Sorge, dass dem Jungen etwas passierte und Nahi seufzte.

»Ach ja? Und wie soll das Tier sonst hergekommen sein?«, fragte Davon zähneknirschend.

»Große Drachen schaffen die Strecke vielleicht in zwei Tagen, aber so ein Kleiner…«

Ärgerlich musterte er das Tier, das mit eingezogenem Kopf immer noch am Fußende des Bettes hockte. Prinzipiell hatte er nichts gegen die Tatsache, dass der Drache hier war und Yume Gesellschaft leistete. Aber es gab eine Menge Gründe die nach den frisch zurückliegenden Geschehnissen dagegen sprachen Yume mit dem Tier allein zu lassen. Er musste einfach davon ausgehen, dass der Drache eine Bedrohung für den Jungen war, so komisch sich das auch anhörte.

Auf der anderen Seite befanden sie sich im Mittelreich, wo Drachen nicht erwünscht waren. Das verkomplizierte die Angelegenheit, denn es gab kaum die Möglichkeit das Tier irgendwo anders unterzubringen.

Da Nahi schwieg, weil sie auf die Frage auch keine Antwort wusste, sah sie ihn nur böse an. Aber das störte Davon weniger. Er überlegte kurz, dann wandte er sich wieder Yume zu und sah ihn ernst an, denn er hatte eine Entscheidung getroffen.

»Der Drache wird nicht bei dir bleiben. Ich weiß zwar noch nicht wo wir ihn unterbringen, aber er kommt woanders hin.«

Yumes Augen weiteten sich, als er die bestimmenden Worte vernahm und er blickte verständnislos zu dem Mann auf. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Laut kam heraus. Als Davon sich umdrehen wollte, griff er nach dessen Arm und sah ihn flehendlich an. Er wollte nicht, dass sein Freund woanders hinkam. Der andere hatte ihm das Tier doch geschenkt, da konnte er es ihm doch jetzt nicht wieder wegnehmen…

Der Kleine hatte noch nie irgendwelche Ansprüche gehabt, geschweige denn sich etwas gewünscht, aber nun tat er es und legte alle seine Emotionen in seinen Blick. Das war die einzige Möglichkeit mit Davon zu kommunizieren und in den meisten Situationen verstand der andere ihn auch auf diese Weise.

Diesmal schien Davon es jedoch nicht zu wollen. Dessen Gesichtsausdruck blieb unnachgiebig. Der Mann wandte ihm den Rücken zu und ging entschlossen zur Tür.

Traurig schaute der Kleine ihm hinterher. Warum war der andere nur auf einmal so herzlos? Yume verstand das nicht, senkte enttäuscht den Kopf und tapste mit eingesunkenen Schultern zum Bett, während er versuchte seine Tränen zurück zu halten. Lano hatte den kleinen Drachen inzwischen gefangen und verließ ebenfalls den Raum, nicht jedoch ohne vorher einen mitleidvollen Blick zurück zu werfen.

Yume wollte sich gerade aufs Bett fallen lassen und sein Gesicht in eines der großes Kissen drücken, als er eine sanfte Berührung auf seinem Kopf spürte. Mit Tränengefüllten Augen blickte er auf und erkannte Nahi, die ihn mitfühlend anschaute. Sofort schämte er sich für seine Tränen und wollte sie wegwischen, doch die Frau schüttelte leicht den Kopf.

»Du brauchst deine Tränen nicht zu verstecken, Yume. Wenn man traurig ist, dann weint man…«, erklärte sie sanft und seufzte schwer. »Verurteile Davon nicht allzu sehr dafür, ja? Er meint es nur gut, macht sich Sorgen um dich, aber leider ist er nicht sehr geschickt darin, wenn es um die Durchführung seiner Vorhaben geht…«, sprach sie leise weiter und zog den Jungen kurz in eine tröstlich gemeinte Umarmung.

Ein wenig tröstlich war es schon in den Arm genommen zu werden, doch Yume hätte es lieber gehabt, wenn es Davon gewesen wäre. Trotz allem mochte er den Mann nämlich sehr und die Tatsache, dass der andere ihn nicht an sich heran ließ machte ihn noch betrübter.

Er war ganz froh, als die blonde Frau ebenfalls ging und er schließlich wieder allein war. Die Stille in dem riesigen Raum wirkte nahezu erdrückend, weswegen der Kleine zum Fenster ging und es weit öffnete. Es war erst Nachmittag. Und schon wieder war er allein. Schwer seufzend lehnte Yume die Arme auf die Balustrade und stützte seinen Kopf in eine Hand, während seine Augen am Horizont hingen.

Warum hatte Davon ihn überhaupt mitgenommen?

Yume wusste nicht, wie oft er sich diese Frage schon gestellt hatte. Aber eine Antwort darauf hatte er auch noch nicht. Ratlos betrachtete er weiter den Himmel. Überall war dieser von einem strahlenden Blau. Nur ganz weit weg, wo sich wahrscheinlich Berge befanden, da gab es dicke Wolken.
 

Ein paar Tage vergingen, doch der Ablauf änderte sich kein bisschen. Davon hatte nach wie vor wenig Zeit für Yume. Lano hingegen versuchte sein Möglichstes um den Silberschopf aufzumuntern, doch die Stimmung wurde immer gedrückter. Der kleine Dämon konnte Yume gut verstehen, aber es stand ihm einfach nicht zu, sich in die Angelegenheiten seines Vorgesetzten einzumischen. Ihm war bereits vor der Reise klar gewesen, dass Davon sehr eingespannt sein würde. Nur, dass es Yume derartig bedrücken würde… das hatte er nicht gedacht. Aber vielleicht sah er selbst die Dinge ein wenig entspannter, weil Heron bisher jeden Abend zu ihm gekommen war. Davon hatte er Yume natürlich nichts erzählt, denn er glaubte nicht, dass es den Kleinen aufmuntern würde. Eher das Gegenteil wäre wohl der Fall.

»Hey.. nicht träumen!«, beschwerte er sich, denn Yume und er spielten Karten und der andere starrte schon eine ganze Weile nur nichtssagend auf sein Blatt. Sie befanden sich in den Räumlichkeiten des Kleinen, weil Yume nicht rauswollte. Lano hatte zwar die Fenster alle geöffnet, doch das war kein Vergleich als wenn sie im Garten unten saßen. Dann legte Yume eine Karte, doch Lano schüttelte resigniert den Kopf.

»Yume, du musst schon aufpassen. Das ist die falsche Karte…«, wies er ihn freundlich darauf hin und erklärte noch einmal kurz die Regeln. Aber der andere schien ihm gar nicht zuzuhören. In der nächsten Runde passte Yume wieder nicht auf und legte erneut falsch, sodass Lano seine Karten seufzend sinken ließ.

»Lass uns aufhören… das hat echt keinen Sinn…«, meinte er mit enttäuschter Stimme. Mehr als Mühe geben konnte er sich auch nicht. Yume wollte anscheinend nicht und deswegen machte es auch keinen Sinn, wenn er sich ein Bein mit Beschäftigungstherapie ausriss.

Er sah ja ein, wie deprimierend das alles für den anderen war. In diesem Zimmer zu hocken, nur raus zu dürfen, wenn Davon oder Lano da waren. Und wenn er raus durfte, war es Lanos Aufgabe darauf zu achten, dass auch seine hellen Haare gut versteckt waren. Kein Wunder warum Yume darauf auch keine Lust mehr hatte. Es war dem Kleinen deutlich anzusehen, wie sehr er Davon vermisste.

Alle schienen das zu merken, nur Davon selbst nicht.

Und weil der Mann eh schon so selten da war, durfte Yume auch den Drachen nicht sehen. Das durfte er nur unter Davons Aufsicht… also fast nie!

Lano wusste… Es musste sich an der ganzen Situation etwas ändern, sonst verging der Kleine noch vor Kummer. Ihm kamen schon fast selbst die Tränen, als er sah, wie der Silberschopf sich wieder unter den Decken vergrub. Jeden Morgen wurde es schwerer Yume aus dem Bett zu bekommen. Anfangs hatte er ja wenigstens noch geschaut, wer das Zimmer betrat, aber weil Davon sich eh kaum sehen ließ, tat er das auch nicht mehr.

Der kleine Dämon verstand eigentlich überhaupt nicht, wieso Davon sich derartig rar machte. Heron kam jeden Abend zu ihm und blieb für ein paar Stunden, wenn es ging auch die ganze Nacht hindurch. Eigentlich müsste Davon sich um jede freie Minute mit Yume reißen… aber leider war das nicht so…

Eine Weile stand Lano nachdenklich rum, räumte dann die Karten weg und machte ein bisschen Ordnung. Dann ging er zum Bett.

»Hey.. Yume. Nahi hat uns doch gestern zu Tee und Keksen eingeladen. Hast du das vergessen?«

Schwungvoll zog er die schweren Decken zurück und grub den Silberschopf somit aus. Der zierliche Körper war zu einer Kugel zusammengerollt und Yume murrte nur leise und blieb als Antwort auf seine Bemerkung einfach liegen.

»Du weißt, dass sie sehr enttäuscht ist, wenn wir nicht kommen. Also hopp hopp. Schwing deinen Hintern aus den Laken und mach dich frisch«, befahl der kleine Dämon, denn anders war dieser trübseligen Stimmung einfach nicht beizukommen. Dafür erntete er einen genervten Blick, doch zumindest erhob sich der Junge und tapste lustlos ins angrenzende Badezimmer. Kaum war Yume verschwunden, klopfte es an der Tür. Verwirrt öffnete Lano und ließ die strahlende blonde Frau herein.

»Ach, ihr beiden Süßen. Ich konnte es einfach nicht abwarten. Hier..« Sie drückte Lano die Schachtel mit den Keksen in die Hand und schwebte regelrecht zur Sitzecke, die sie etwas in Ordnung brachte, bevor sie sich in einen der Sessel fallen ließ.

»Hach… und? Was habt ihr so den ganzen Vormittag angestellt, hm?« Neugierig musterte sie Lano, der kurz den Kopf über Nahi schüttelte und dann die Süßigkeiten in eine Schale sortierte, die er auf den Tisch stellte.

»Naja.. wir haben versucht Karten zu spielen«, gab er niedergeschlagen zu. »Aber das wird auch immer anstrengender…« Sie tauschten ein paar vielsagende Blicke, mehr brauchte es nicht, um die Lage bei Nahi auf den aktuellen Stand zu bringen. Sie seufzte ebenfalls schwer, doch als Yume aus dem Bad trat, war ihr Gesicht wieder von einem strahlenden Lächeln eingenommen und sie stand auf und umarmte den Kleinen herzlich.

Das war ihr schon zur Gewohnheit geworden die letzten paar Tage und damit hatte sie es bisher auch immer geschafft wenigstens ein kleines Lächeln auf Yumes traurige Züge zu zaubern.

So auch diesmal, nur hielt dieses Lächeln leider nicht lange an. Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch. Lano reichte die Kekse herum und Yume nahm sich notgedrungen einen. Hunger, geschweige denn Appetit verspürte er überhaupt nicht, aber er wusste wie enttäuscht die blonde Frau war, wenn er nicht wenigstens einen Keks kostete. Gedankenverloren nagte er daran herum, während Lano und Nahi sich irgendwas erzählten. Yume hätte sich ebenfalls daran beteiligen können, doch er hatte keine Lust. Es machte ihm überhaupt nichts mehr Spaß. Er fühlte sich nur noch wie ein Gefangener in einem goldenen Käfig. Was ja an und für sich nicht ganz so schlimm gewesen wäre, nur ließ Davon sich auch kaum sehen. Dabei vermisste er den Mann doch so sehr…

Lautlos seufzte der Kleine, wurde aber dann doch ein wenig aufmerksamer, als er Davons Namen im Gespräch aufschnappte.

»Morgen Abend ist doch das Bankett, nicht wahr?«

Nahi nickte. Dabei wippten ihre blonden Locken im Takt und sie schob sich den Rest des Kekses in den Mund. »Ja, da hast du Recht.« Sie merkte, dass Yume wieder zuhörte und wählte ihre Worte mit Bedacht.

»Es wird ein langer Abend werden, bei dem die Anwesenheit von allen Namensträgern vorausgesetzt wird. Außerdem wird Achitos persönlich das Bankett eröffnen.«

Das es ebenfalls Voraussetzung war, dass alle Namensträger in Begleitung erscheinen sollten, ließ sie lieber außen vor. Yume tat ihr so schon leid genug. Nicht, dass sich der Kleine nachher noch Hoffnung machte und dann wieder enttäuscht wurde. Denn so, wie sie Davon kannte, würde er den Kleinen garantiert nicht vor aller Nase lang rumzeigen, schon gar nicht, wenn Achitos persönlich anwesend war.

Yume hatte bald wieder das Interesse an dem Kaffeeklatsch verloren und zupfte an den Ärmeln seines Oberteils herum. Aber auch das wurde ihm bald zu langweilig, sodass er aufstand und auf den Balkon ging, um ein wenig die Natur zu beobachten und vor sich hinzuträumen.

Er bekam auch nicht mit, wie Nahi schließlich ging. Erst als Lano an ihn heran trat und meinte er würde auch kurz weggehen nickte der Kleine. Er konnte von dem anderen Jungen ja auch schlecht erwarten hier die ganze Zeit bei ihm zu hocken. Immerhin war es schon mehr als genug, dass Lano sich immer solche Mühe mit ihm gab.
 

Davon hingegen hatte keine Zeit zu träumen. Entgegen seiner Hoffnungen, heute vielleicht etwas mehr Zeit zu haben, damit er sich wieder einmal etwas um Yume kümmern konnte, hatte Achitos ein zusätzliches Treffen anberaumt. Mürrisch stapfte er zu seinen Räumlichkeiten und nahm sich vor, wenigstens einmal kurz bei Yume reinzuschauen. Viel mehr Zeit blieb ihm schon gar nicht mehr, wenn er sich noch umziehen wollte.

Gehetzt stürmte er in sein Zimmer, schälte sich aus den vornehmen Sachen, die er für die Sitzung getragen hatte und schlüpfte in ein paar lockere dunkle Reithosen und ein legeres Hemd mit dazu passender Weste. Die neuen Stiefel tauschte er ebenfalls gegen seine Alten, Bequemen. Ein altes Cape stopfte Davon sich sicherheitshalber noch unter den Arm. Aus zuverlässiger Quelle wusste er, dass es in die Berge ging, wo Achitos anscheinend etwas entdeckt hatte. Obwohl hier noch strahlend blauer Himmel war, konnte es in der Bergen schon wieder ganz anders aussehen.
 

Im Eilschritt verließ er seine Räumlichkeiten wieder, schloss ab und stand schließlich unschlüssig vor Yumes Tür. Sollte er wirklich noch reingehen? Nach einem kurzen Seufzen drückte er jedoch bestimmt die Klinke herunter und trat ein. Sie hatten sich schon so lange nicht gesehen… jedenfalls empfand er es als lange. Er vermisste den Kleinen richtig und sein schlechtes Gewissen war auch schon riesengroß. Da wäre es wirklich gemein gewesen, einfach vorbei zu gehen und den Jungen nicht zu besuchen.

Suchend schaute Davon sich um. Die Vorhänge waren teilweise geschlossen, wodurch es in dem Raum recht dunkel wirkte. Nur die Tür zum Balkon stand offen. Der Wind spielte leicht mit den halb durchsichtigen hellen Überhängen, die den Durchgang zum Balkon umwehten. Durch diese sanfte Bewegung entdeckte Davon den schlanken Körper, der an dem Geländer lehnte.
 

Yume hatte niemanden herein kommen gehört, doch er spürte einen Blick auf sich und wandte sich seufzend um, weil er Lano erwartete, der bestimmt wieder darauf aus war ihn zu beschäftigen. Doch zu seiner großen Überraschung war es nicht der kleine Dämon, sondern Davon. Sofort wallte Freude in ihm auf und seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, als er langsam auf den Mann zutrat. Er fürchtete, dass er halluzinierte, und dass Davons Gestalt sich jeden Moment auflösen würde, doch sie tat es nicht. Stattdessen kam Davon ihm nun entgegen und dicht vor einander blieben sie stehen.

Der liebevolle Ausdruck in Davons Augen ließ sein Herz höher schlagen und ohne länger zu zögern überwandt Yume den letzten Abstand und schmiegte sich an den anderen. Er konnte nicht sprechen, aber auf diese Weise teilte er Davon mit, wie sehr er ihn vermisst hatte.
 

Und Davon verstand die Geste richtig. Sanft schlangen sich seine Arme um den zierlichen Körper des Jungen und er drückte ihn fest an sich, sodass er ihn mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte. Genießerisch vergrub er sein Gesicht in den hellen Haaren und sog Yumes unbeschreiblichen Duft ein. Auch er sehnte sich nach dem Kleinen und am liebsten wäre er geblieben und hätte Zeit mit ihm verbracht. Doch leider war das nicht möglich.

Achitos versetzte man nicht. Es war seine Pflicht mit ihm zu reiten. Der Fürst mochte es zwar als Einladung ausgesprochen haben, allerdings verbarg sich dahinter ein Befehl, den er nicht verweigern konnte.

»Yume, Liebling…«, begann er leise zu sprechen.

»So gerne ich auch bei dir bleiben würde, aber ich kann nicht. Ich werde für ein paar Tage weg sein…«

Er spürte, wie Yume in seinen Armen leicht zusammen sackte und die Schultern hängen ließ.

»Ich weiß, es ist nicht leicht für dich, so lange allein zu sein«, meinte er verständnisvoll, bevor er mit einem Finger sanft Yumes Kinn anhob, sodass der Junge ihn ansehen musste.

»Es dauert nicht mehr lange, und dann können wir wieder zurück in mein Schloss, hm? Dort werde ich wieder mehr Zeit haben«, versprach er ruhig, während es in Yumes Augen hoffnungsvoll flackerte. Kurz schilderte er ihm, wohin er gehen musste, und wieso das so wichtig war.

»Versuch die letzten Tage noch durchzuhalten, ja?«
 

Schwer seufzte Yume auf. Er hatte es ja gewusst. Davon kam nur, um sich schon wieder zu verabschieden. Allmählich kam er sich wirklich völlig überflüssig vor.

Doch die sanften Worte gaben ihm trotz all seiner Mutlosigkeit wieder ein bisschen Zuversicht.

Die sanfte Berührung an seinem Kinn fühlte sich wundervoll an und der Kleine schmiegte seine Wange in Davons große Hand. War es denn wirklich zu viel verlangt, wenn er ein wenig mehr Nähe und Aufmerksamkeit wollte? Es musste ja nicht viel sein. Aber wenigstens so wie jetzt ein paar Minuten, in denen er spürte, dass er dem anderen etwas bedeutete. Nachdenklich schaute er hoch in Davons Augen. Einen kurzen Moment zögerte er noch, bevor er sich auf die Zehenspitzen stellte und einen flüchtigen Kuss auf dessen Lippen hauchte.

Für eine Sekunde geschah gar nichts, doch dann umschlangen ihn die starken Arme des anderen plötzlich wieder fester. Fast schon brutal wurde er an Davons kraftvollen Körper gepresst. Die Zunge des Mannes bewegte sich leidenschaftlich gegen seine Lippen und Yume war so überrascht über den plötzlichen Gegenangriff, dass er sie atemlos in sein Reich eindringen ließ.
 

Davon küsste ihn wild und ungezügelt, als wäre er am verhungern. Stöhnend klammerte sich Yume an den starken Schultern fest und genoss, was der andere mit ihm anstellte. Diese Küsse lösten ein Feuerwerk der Gefühle in ihm aus. Er war weit davon entfernt Angst zu haben, sondern kostete es voll aus. Dann spürte er eine Hand fordernd über seinen Po streichen und presste seine Hüfte näher an Davon heran. Dort spürte er etwas Hartes, das gegen seinen Bauch drückte. Im gleichen Moment löste der Mann stöhnend den leidenschaftlichen Kuss und drückte ihn ruckartig auf Armeslänge von sich weg.
 

Oh verdammt! Wieso ließ er sich schon wieder so gehen? Das hätte nicht passieren dürfen! Doch dieser süße, unschuldige Kuss des Kleinen war einfach zu viel gewesen und hatte die letzten Barrikaden seiner sowieso schon bröckelnden Selbstbeherrschung eingerissen. Scheiße!

Er wollte Yume… Gott, wie sehr er ihn wollte!!!

Leider gab es keinen denkbar ungünstigeren Zeitpunkt, als diesen Moment, um zu dieser verdammten Einsicht zu gelangen. Er begehrte den Kleinen schon viel zu lange, ohne sich je genommen zu haben, was ihm eh zustand… und was Yume ihm nun so freiwillig anbot.

Als ihm bewusst wurde, dass seine Hände immer noch auf dessen Schultern lagen, zog er sie jäh zurück und versuchte sich einigermaßen zu beruhigen. Wenigstens äußerlich.

Doch sein Körper zeigte deutlich, was er von diesem Vorhaben hielt. Nämlich gar nichts!

»Lass uns das alles verschieben, bis wir wieder zu Hause sind…«, meinte Davon mit rauer Stimme. Er konnte sich gerade noch dazu durchringen Yume sanft durch die Haare zu streichen und ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn zu geben, bevor er fluchtartig das Zimmer verließ.
 

Verdattert und enttäuscht zugleich starrte Yume dem anderen hinterher, wie er wieder verschwand. Davons Verhalten war ihm wirklich langsam ein Rätsel. Dieser Gefühlsausbruch eben… begehrte ihn der Mann wirklich so sehr? Aber wieso durfte er dann nicht mit ihm in einem Raum schlafen? Dann hätten sie das doch schon öfter machen können und Davon hätte sich nicht so sehr zurückhalten brauchen…

Kopfschüttelnd kehrte er auf den Balkon zurück und versuchte sich nicht allzu viele Gedanken über dieses Erlebnis gerade zu machen.

Doch er bekam es einfach nicht aus dem Kopf.

Bedächtig berührte er mit einem Finger seine Lippen, die immer noch von der Leidenschaftlichkeit des anderen kribbelten. Die Heftigkeit, mit der Davon auf seine zarte Berührung reagiert hatte, war unglaublich. Für einen Moment schloss Yume die Augen und fühlte das Erlebnis gedanklich noch einmal nach.
 

Durch Davons unverhofften Besucht, hatte Yume wieder ein bisschen Mut geschöpft. Es zeigte ihm, dass er dem Mann doch nicht ganz gleichgültig war. Außerdem hatte er das Gefühl gehabt, der andere würde viel lieber bei ihm bleiben, aber da konnte er sich auch täuschen. Auf ihrer Reise ins Mittelreich war Yume sich noch Davons Gefühlen sicher gewesen, doch jetzt verschwamm das alles irgendwie. Manchmal glaubte er sogar für den anderen nur eine zusätzliche Belastung zu sein…

Yume seufzte und richtete seinen Blick wieder auf den Horizont.

Vielleicht hätte er dieser Reise nie zustimmen sollen. Nach allem was er bisher erfahren hatte, war er auf Grund seiner Herkunft nicht mal erwünscht und dieses ständige verkleiden und vorsichtig sein, wenn er aus diesem Zimmer, das ihm mit jedem Tag kleiner vorkam nur kurz raus wollte. Yume fühlte sich beengt und eingesperrt und auch wenn er Lano sehr mochte, so mochte er es mit jedem Tag weniger bei jedem kleinen Ausflug nach draußen ununterbrochen beobachtet zu werden. Nirgendwo, außer in seinem Zimmer, war er ungestört oder hatte seine Ruhe.
 

Er sehnte sich wirklich zurück in Davons Festung, sehnte sich nach Davon selbst, nach dessen Nähe und Zärtlichkeiten. Von kleinen Dingen, wie liebevollen Gesten, einem sanften Streicheln oder einfach nur einem zärtlichen Blick hatte er seit ihrer Ankunft in diesem Reich kaum etwas bekommen. Gleich am ersten Tag war er ausgesperrt worden, ohne Erklärung und aus seiner Sicht auch ohne Grund.

Das hatte eine Menge Zweifel in ihm wachgerufen, die immer weiter wuchsen, je weniger sich der andere um ihn kümmerte. Diese Gleichgültigkeit tat ihm weh, denn er sah ja, dass es auch anders ging. Bei Lano und Heron war die Situation mit der wenigen Zeit ähnlich, aber er hatte mitbekommen, dass Heron trotz all seiner Pflichten jeden Abend für wenigstens ein paar Minuten zu Lano aufs Zimmer kam, wenn nicht sogar die ganze Nacht blieb. Davon tat das nie, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Und gerade das machte ihn unendlich traurig.
 

Abermals seufzte er schwer, drehte sich jedoch um, als er hörte, wie erneut jemand den Raum betrat.

Diesmal war es Lano, der sich ein wenig verlegen für sein langes Wegbleiben entschuldigte. Nach der Röte auf dessen Wangen zu urteilen, war er Heron wohl über den Weg gelaufen. Naja… dann war ja wenigstens einer von ihnen glücklich. Yume gönnte es dem anderen, obwohl er zugeben musste, dass er schon ein bisschen neidisch war.

Dennoch setzte Yume ein schmales Lächeln auf, denn er wollte dem anderen Jungen nicht die Laune verderben.

Lano trat neben ihn und begann dann auch gleich zu erzählen, was er in Erfahrung gebracht hatte.

»Achitos hat wohl in den Bergen irgendwas entdeckt. Deswegen müssen jetzt alle mit ihm dorthin reiten und das kann dauern. Heron und Davon sind auch dabei. Aber Heron hat gemeint, dass sie wohl in drei vier Tagen wieder zurück sein würden.«
 

Verstehend nickte Yume, als Lano geendet hatte und versuchte wenigstens überrascht auszusehen.

Doch es gelang ihm nicht.

»Hey.. sei nicht so desinteressiert!«, beschwerte sich Lano und zog eine Schnute. Das entlockte Yume dann doch noch ein echtes kleines Lächeln und er musterte den anderen mit schief gelegtem Kopf.

/Ich bin nicht desinteressiert… ich weiß es nur schon…/, gab er gedanklich zurück und kicherte, weil Lano nun überrascht aus der Wäsche guckte.

»Woher…? Ahhh.. lass mich raten! Davon hat dich mal besucht?«

Yume nickte zustimmend. /Hm.. aber nur ganz kurz…/

Die Traurigkeit darüber war ihm deutlich anzuhören und Lano streichelte ihm tröstend über die Schulter.

»Aber hey… er hat zumindest mal wieder an dich gedacht…«

Mal wieder, wiederholte Yume im Geiste und konnte dem nicht gerade etwas Positives abgewinnen.

Bestimmt entwand er sich dem trostspendenden Streicheln und verließ den Balkon.

/Können wir noch ein bisschen raus gehen? Achitos ist doch jetzt nicht da, oder?/, fragte Yume und hoffte inständig, dass er deswegen heute keine Verkleidung brauchte. Doch da hatte er sich leider in Lano verschätzt.
 

***
 

Die nächsten beiden Tage waren trotz Davons Abwesenheit ganz lustig. Für Yume war es auch nicht sehr anders, als wenn der andere da gewesen wäre, so wenig, wie er sich sonst bei ihm blicken ließ.

Da Achitos „außer Haus“ war, fiel sogar eine Führung durch den Palast ab und Yume konnte sich alles ganz in Ruhe anschauen. Um seine Verkleidung war er zwar nicht drum rum gekommen, doch es war weitaus angenehmer mit dem Wissen durch den Palast zu laufen, dass der Hausherr mit Abwesenheit glänzte.

Nahi, die sich hier viel besser auskannte, hatte sich selbst zur Führerin gekürt und erzählte alles was sie wusste. Die Ahnengalerie und die Ausstellungsräume für altzeitliche Kunst hatten sie schon hinter sich. Gerade führte die blonde Frau sie einen weiteren breiten, mit dicken Teppichen ausgelegten Gang entlang, der an einer hohen, mit Holzschnitzereien verzierten Tür endete. Die Größe der Tür wurde einem erst richtig bewusst, wenn man davor stand und Yume staunte nicht schlecht, weil er den Kopf fast in den Nacken legen musste, um auch den oberen Bogen betrachten zu können.
 

Mit einem kurzen Seitenblick bemerkte Yume, dass es Lano auch nicht anders ging als ihm und er musste leicht lächeln, denn die pure Begeisterung sprach aus dem Gesicht des anderen.

»Et voila… das ist die Bibliothek…«, flötete Nahi vergnügt und ließ einen Flügel der Tür aufgleiten. Ein dunkles Knarren war zu vernehmen und als Yume neugierig näher trat, wehte ihm ein altertümlicher Geruch entgegen. Langsam betraten sie den Raum, der noch riesiger war, als Yume sich je erträumt hatte.

Beeindruckt glitten seine Augen über die unendlich erscheinenden Bücherreihen, die bis an die Decke reichten und der Anblick raubte ihm schlichtweg den Atem. So etwas hatte er noch nie gesehen. So viele Bücher in einem Raum. Das waren bestimmt Tausende! Einfach unglaublich.

»Ihr seht so beeindruckt aus… aber das hier ist noch längst nicht alles!« Nahi lächelte und war ganz in ihrem Element. »Das ist nur der Vorraum, wo man etwas nachschlagen oder ausarbeiten kann«, erklärte sie und zeigte dann auf zwei Gänge, die von dem Raum in zwei verschiedene Richtungen abgingen.
 

Der Raum in dem sie standen war rund, das fiel Yume erst jetzt auf. Er folgte Nahis Fingerzeig und ging neugierig in den einen Gang. Sowie er den Eingang passiert hatte, gingen auch hier die Lichter von allein an und der Junge bemerkte, dass sogar die Wände in diesem Durchgang mit Büchern zugestellt waren. Ehrfürchtig fuhr er mit den Fingern über ein paar Buchrücken, die sich kühl und kratzig unter seiner zarten Haut anfühlten. Wahrscheinlich hatten diese Werke schon eine lange Zeit hinter sich und demzufolge eine Menge durchlebt. Voller Staunen ging Yume weiter. Seine Füße führten ihn automatisch in den anderen Raum, der noch größer und weitläufiger war, als der Erste. Nahi hatte wirklich nicht zu viel versprochen.

Für einen Moment schloss der Kleine die Augen und ließ die ruhige Atmosphäre auf sich einwirken. Es kam Yume irgendwie magisch vor, denn es war ruhig, aber dennoch lag eine gewisse Spannung in der Luft. Stammte es vom Geruch des alten Leders mit dem die Bücher größtenteils gebunden waren? Oder von der alten Tinte? Dem Papier?
 

Yume wusste es nicht, doch seine Sinne vibrierten vor Erwartung. Dieser Moment war.. kaum zu beschreiben, fast so, als würde er sich in einer anderen Welt befinden. Dann öffnete er die Lider wieder, ließ seine Augen durch den Raum gleiten, doch es hatte sich nichts verändert. Alles war noch beim Alten, doch die Spannung war immer noch deutlich spürbar, fast greifbar. Angezogen von einer Bücherreihe, ging er langsam darauf zu und streckte den Arm, wie von Zauberhand geführt nach einem bestimmten Buch aus, zog es auf der Reihe und berührte voller Ehrfurcht den Drachenkopf, der in das dicke, schwere Leder gebrannt worden war. Die Augen des Drachen waren durch rote Edelsteine dargestellt und obwohl es nur ein Bild war, hatte Yume das Gefühl angesehen zu werden.
 

Die Steine funkelten in dem gedämpften Licht und der Kleine hielt vor Anspannung kurz den Atem an.

Seine Finger kribbelten plötzlich ganz komisch und die feinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.

Sich von dem Anblick losreißend, schlug er die erste Seite auf und zog verwirrt die Stirn kraus.

Da stand nichts…

Also blätterte er weiter. Doch auch die folgenden Seiten waren leer. Nur das vergilbte Papier strahlte ihm entgegen, sodass er das Buch mit einem dumpfen Geräusch wieder zuklappen ließ. Er wollte es schon zurück stellen, doch irgendwas hielt ihn zurück. Nachdenklich betrachtete er das Werk, das er in den Händen hielt und nach einem weiteren Augenblick des Zögerns, ließ er es unter seinen langen Sachen verschwinden. Der Kleine hatte zwar kein gutes Gefühl dabei, aber er wollte unbedingt heraus finden, was es mit diesem Buch auf sich hatte, und wieso er sich davon so angezogen fühlte. Auch jetzt war das erwartungsvolle Kribbeln noch nicht aus seinen Fingerspitzen verschwunden und am liebsten hätte er sich gleich noch einmal eingehender mit dem Werk beschäftigt. Aber dazu brauchte er wirklich Ruhe, die er hier nicht bekommen würde, weil Nahi und Lano ihre Neugier sicher nicht würden Zügeln können, wenn sie herausfanden, dass er etwas gefunden hatte, was ihn interessierte.
 

Kaum hatte Yume diesen Gedanken zu Ende geführt, als er auch schon Lanos Stimme vernahm, der von dem Ort gar nicht mehr aufhörte zu schwärmen.

»Meine Güte… hast du schon mal SOOOOO VIELE Bücher auf einem Haufen gesehen? Ich glaub dafür bräuchte ich mehr als ein Leben, wenn ich die alle lesen wollte..«, sinnierte der kleine Dämon und Yume nickte zustimmend.

/Dafür müsstest du wahrscheinlich auch ganz viele verschiedene Sprachen können…/, führte er Lanos Gedanken einfach weiter aus. Er konnte sich nicht vorstellen, das dies hier alles Bücher aus und über die Dämonenwelt sein sollten. Ein Beweis dafür befand sich ja unter seinen Sachen. Und auch wenn er noch nichts Konkretes darüber wusste… ein Dämonenbuch war es ganz sicher nicht, sonst hätte es ihn sicherlich nicht so stark angezogen.
 

»Ja, glaube ich auch…«, stimmte der kleine Dämon zu und tappte zum gegenüberliegenden Regal, um sich dort die Buchrücken genauer zu betrachten.

»Du solltest lieber deine Finger bei dir lassen«, erklang dann plötzlich eine warnende Stimme hinter ihnen. Es war Nahi, die nun auch den zweiten Raum betreten hatte. Warnend schaute sie Lano an.

»Dieser Raum wird als magischer Raum bezeichnet. Hier sind Bücher aus der ganzen Welt verstaut, die irgendetwas mit Zaubern, Zauberformeln, Bannsprüchen und so weiter zu tun haben.« Während ihrer Erklärung war sie mit eleganten Schritten zu dem Regal gegangen, vor dem Lano noch stand.

»An jedem Ausgang und an der Innenseite der Kuppel…« Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die betreffenden Stellen. ».. sind Schutzzauber angebracht. Die Bücher dürfen nur in diesem Raum geöffnet und gelesen werden. Falls nämlich ein Zauberspruch etwas Böses bewirkt, kann er nicht außerhalb dieser Mauern wirken. Die Schutzzauber versiegeln den Raum sozusagen und halten alles hier drin fest.«
 

Lächelnd stemmte Nahi die Hände in die Hüften und wandte sich dann an Lano.

»Ach ja.. zu meiner Warnung von vorhin… Manche Bücher mögen es nicht angefasst zu werden…«, gab sie dem Jungen einen Hinweis. Lano guckte nur verwirrt und entlockte Nahi damit ein leicht genervtes Seufzen.

»Du glaubst mir nicht?«

Lano überlegte kurz, was er antworten sollte, doch da schnaubte die blonde Frau enttäuscht und machte eine unwirsche Handbewegung.

»Na gut.. dann werde ich dir das eben beweisen. Aber sag nachher nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte!«

Während sie sprach, piekte sie Lano dabei mit einem Finger auf die Brust, drehte sich dann um und suchte anscheinend ein bestimmtes Buch.
 

Yume verfolgte die Szene nur still und außer Reichweite der beiden. Ihn beschlichen Zweifel, ob es so klug war, das Buch, welches er eingesteckt hatte aus diesem Raum zu entfernen. Wenn dort nun böse Zaubersprüche drin standen? Oder wenn er gar nicht damit umgehen konnte und das Buch ihm nachher noch Schaden zufügte?

Für einen Moment schloss Yume die Augen und rief sich zur Ordnung. Das würde schon nicht passieren und da die beiden anderen jetzt auch hier waren, konnte er das Buch ja schlecht zurückstellen ohne erwischt zu werden.

Ein erschrockener Schrei ließ ihn wieder die Augen aufreißen, doch da lachte Nahi schon laut los.

»Spinnst du? Mir hätte sonst was passieren können!«, schimpfte Lano total entrüstet und nicht gerade sehr respektvoll. Doch Respekt schien im Moment das wenigste zu sein, woran er dachte.
 

Dann kam der kleine Dämon auf ihn zu und packte seinen Arm.

»Komm Yume, hier ist es viel zu gefährlich!« Bestimmend zog er ihn aus dem Raum.

»Hey.. nun warte doch mal. Du hast es schließlich so gewollt und mir nicht geglaubt«, rief Nahi ihnen hinterher, doch Lano zerrte ihn einfach weiter, während er leise vor sich hin grummelte.

»So eine dumme Gans… muss immer alles besser wissen…« Das Gegrummel ging den ganzen Rückweg so und Lano steigerte sich richtig in die Sache rein. Zuerst fand Yume es ziemlich lustig, wie der andere sich über diese Kleinigkeit aufregte, doch dann legte er ihm eine Hand auf den Arm.

/Beruhig dich wieder…/, redete er gedanklich auf seinen Freund ein. /Nahi hat das doch nicht böse gemeint. Und egal ob du dich darüber aufregst oder nicht, das ändert nichts an der Situation…/

Ruhig schaute Yume den anderen an, der seinen Blick kurz erwiderte und dann ergeben seufzte.

»Naa… du hast ja Recht…« Erneut linste Lano in seine Richtung, bevor ein spitzbübisches Grinsen seine Züge einnahm und er Yume mit einer flinken Bewegung durch die Haare wuschelte.

»Alter Besserwisser du!«
 

Yume versuchte den unerwarteten Angriff auf seine Haare abzuwehren, aber mit einer Hand war es schwierig. Doch er wollte das Buch nicht loslassen, was sich noch unter seinen Sachen befand und so guckte er Lano, der nun wieder breit grinste, nur verstimmt an. Das Buch wurde langsam schwer, deswegen sah der Hellhaarige davon ab, sich auf eine Kabbelei mit dem anderen einzulassen.

/Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich gern ein bisschen ausruhen…/

Tatsächlich war es schon später Nachmittag. Durch Nahis Führung war die Zeit wie im Flug vergangen und Yume fühlte sich geschafft, was er nun als Vorwand nahm, um allein zu sein.

»Hm.. gut, dann lass ich dich jetzt allein…«, erwiderte Lano arglos.

»Ich bring dir nachher noch was zu Essen vorbei«, sagte er noch, während Yume sich schon umdrehte und in sein Zimmer ging. Über die Schulter nickte er dem kleinen Dämon noch zu, als Zeichen, dass er verstanden hatte und schloss die Tür hinter sich.
 

Sowie Yume allein war, war seine Erschöpfung wie weggeblasen. Mit schnellen Schritten ging er zum Bett, holte das Buch umständlich unter seinen vielen Sachen hervor und legte es auf die Decken. Bevor er sich hinsetzte, zog er noch flink seine Verkleidung aus, ließ alles liegen, wo es ihm aus den Händen fiel und beugte sich dann neugierig über seine Errungenschaft.

Ein bisschen hatte er immer noch ein schlechtes Gewissen, denn er hatte noch nie etwas gestohlen. Andererseits konnte er sich bei allem was er bereits über den Herrscher des Mittelreichs gehört hatte nicht vorstellen, dass dieser auf ehrliche Weise an diese ganzen Bücher heran gekommen war.
 

Ehrfürchtig schlug er das Buch auf, doch es hatte sich zu vorhin nichts verändert. Die Seiten waren immer noch leer, was den Kleinen enttäuscht aufseufzen ließ. Er hatte sich zumindest erhofft, dass wenigstens etwas dort stehen würde, wenn er es mitnahm, doch dem war nicht so.

Allerdings war es schon recht komisch. Wer stellte sich ein Buch mit leeren Seiten ins Regal?

Ratlos starrte Yume die aufgeschlagenen Seiten an, bis es ihm zu blöd wurde und er das Buch zuschlug. Kaum war der Deckel zu, funkelten ihn die rubinroten Augen des eingebrannten Drachens an, was ihn die Stirn runzeln ließ. Die Edelsteine ragten relativ weit über die lederne Oberfläche hinaus. Nachdenklich zog Yume die Beine in den Schneidersitz und stützte einen Ellenbogen auf dem Knie ab, während er den Ledereinband mit schief gelegtem Kopf betrachtete.
 

Leise seufzte er auf, weil auch durchs Angucken sich nichts an dem Bild änderte. Gelangweilt berührte er das Leder mit einer Fingerspitze und fuhr die Umrisse des eingebrannten Drachenkopfes bedächtig nach, während ihm die Frage durch den Kopf ging, wieso der Herrscher überhaupt so ein Buch aufhob in dem nicht mal was stand. Zumal es sich noch nicht mal um ein Dämonenbuch handelte, wie sich unschwer erkennen ließ.

Abermals seufzte Yume und zog seine Finger zurück, nachdem er das Muster einmal nachgezeichnet hatte. Er beschloss gerade aufzustehen, um sich etwas zu Trinken zu holen, da leuchtete der Umriss des Drachenkopfes golden auf. Geblendet von dem hellen Licht, kniff der Kleine die Augen zu und hob zusätzlich einen Arm, um sich davor zu schützen. Kurz darauf überwog jedoch seine Neugier und er blinzelte in die Richtung des Buches.

Erstaunt starrte er darauf und war beinahe fassungslos.
 

Wo Zuvor nur die Rubine hervorgestanden hatte, ragte nun auch der Kopf des Drachen, der vorher nur als Umriss zu sehen gewesen war ein Stück über die Oberfläche des Buches hinaus und glänzte in verschiedenen Silbertönen. Auch der Einband bestand nicht mehr aus Leder, sondern hob sich Anthrazitfarben von dem helleren Drachenkopf ab. Fein geschwungene Zeichen zierten den Hintergrund zusätzlich, und obwohl der Kleine so etwas noch nie gesehen hatte, kamen sie ihm irgendwie bekannt vor.

Unsicher leckte sich Yume über die Lippen und beugte sich dicht über das Buch.

Inzwischen hätte es ihn nicht mehr wirklich überrascht, würde der Drache plötzlich anfangen zu reden. Aber das tat er nicht und nach kurzem Zögern hob der Junge erneut den Buchdeckel an.
 

Diesmal wurde er nicht enttäuscht, sondern sein Erstaunen steigerte sich noch, als er beobachtete, wie vor seinen immer größer werdenden Augen fein geschwungene Buchstaben entstanden, so als würde jemand gerade erst das Buch schreiben. Fasziniert blätterte er auf die nächste Seite, wo dasselbe passierte. Allerdings erschien nur auf einer Seite die Schrift, auf der anderen dagegen entstand ein Bild. Gefesselt blätterte er das gesamte Buch durch und erlebte immer wieder das gleiche Phänomen. Irgendwann zwischendurch bekam Yume mit, dass auf den Seiten, die er umschlug, die Schrift wieder verschwand. Es war absolut unglaublich!

Das musste wirklich ein Zauberbuch sein und er konnte sich gar nicht mehr davon losreißen. Beim zweiten Mal durchblättern schaute Yume sich die Bilder intensiver an und bei einem blieb er schließlich hängen. Sein Herz schlug plötzlich schneller und er schluckte
 

Es waren zwei Personen zu sehen. Ein älterer Mann und ein Kind. Der Mann hatte eine Hand gehoben und hielt sie vor den Körper des Kindes. In dem schmalen Spalt zwischen der Hand und dem Kind war etwas Helles, Leuchtendes angedeutet. Nachdenklich betrachtete der Kleine die Szene. Der Hintergrund war sehr dunkel gehalten, also musste es wohl eine Bedrohung geben. Vielleicht wollte der Ältere das Kind beschützen? Leider konnte man die Gesichter der Personen nicht erkennen, aber Yume glaubte nicht, dass der Mann dem Kind etwas Böses antun wollte. Je länger er die Szene betrachtete, desto trauriger wurde er, konnte sich das jedoch nicht erklären. Er verstand das Ganze nicht… warum reagierte er nur bei diesem Bild? Es gab doch zig andere, aber bei keinem fühlte er sich so bekümmert und bedrückt wie bei diesem.
 

Yume starrte noch eine ganze Weile nachdenklich die Seite an, konnte sich einfach nicht davon losreißen. Als er jedoch Geräusche an der Tür wahrnahm, ruckte sein Kopf erschrocken in die Höhe. Hektisch schlug er das Buch zu und zerrte die Decken zu sich heran, um es darunter zu verstecken. Anschließend platzierte er sich auf den kleinen Berg und setzte einen unschuldigen Blick auf, als Lano in den Raum trat. Zum Glück hatte der andere ein Tablett mit Essen in der Hand, sonst wäre er vermutlich schneller gewesen und hätte sein Geheimnis entdeckt. Über diese vorteilhafte Fügung des Schicksals war Yume mehr als dankbar und entspannte sich ein wenig, atmete erleichtert auf.
 

»Und? Konntest du ein bisschen schlafen?«, fragte Lano gleich, als er Yume im Bett sitzend erblickte. Die Stirn runzelnd stellte er das Tablett auf dem flachen Tischchen ab, bevor er sich erneut zu dem Hellhaarigen umwandte und ihn missbilligend ansah.

»Hättest ja wenigstens deine guten Sachen ausziehen können… jetzt ist alles zerknittert«, beschwerte sich der Jüngere auch gleich, was Yume dazu veranlasste schuldbewusst an sich herunter zu blicken.

/Tut mir leid…/, entschuldigte er sich. Im Eifer das Buch zu erkunden hatte er überhaupt keinen Gedanken an seine Sachen verschwendet. Allerdings fand er, dass Lano ganz schön übertrieb. Die meiste Zeit hockte er doch sowieso drinnen, wo ihn niemand sah und für die „ab und zu-Besuche“ von Nahi brauchte er doch nicht extra herausputzen.
 

Doch er blieb ruhig und reckte neugierig den Kopf nach dem Essen. Es duftete lecker und seit langem verspürte er mal wieder richtig Hunger.

»Okay.. Entschuldigung angenommen«, meinte Lano beschwichtigt und legte erneut die Stirn in Falten, weil ihm irgendwas komisch vorkam. Er konnte nur noch nicht sagen was. Akribisch beobachtete er Yume, der langsam aus dem Bett kletterte, kurz seine Sachen richtete und zum Tisch tapste. Der Hellhaarige schien recht gut gelaunt zu sein, aber das war es nicht, was Lano seltsam vorkam.

Er setzte sich mit an den Tisch und deckte schnell alles ein, während er den anderen Jungen weiter im Auge behielt. Dann war er jedoch total perplex, weil Yume ihn leicht anlächelte, als er ihm das Brot reichte.
 

Hey… bitte wann hatte der Kleine das letzte Mal gelächelt? Da war doch irgendwas im Busch! Misstrauisch zog Lano die Augenbrauen zusammen und schaute nun noch genauer hin, was Yume machte.

Außer der veränderten Stimmung, in der der andere war, fiel ihm jedoch nichts auf. Fragen wollte er aber auch nicht, das wäre zu auffällig gewesen und eigentlich sollte er wohl froh sein, dass Yume sich mal nicht im Bett vergrub und Trübsal blies.
 

Das Essen verlief ruhig und Lano staunte, wie gut der andere aß. Allein schon aus diesem Grund versuchte er sein Misstrauen zu zügeln. Alles schien in Ordnung zu sein, also beschloss er, es dabei zu belassen, obwohl ihn schon beschäftigte, welchem Ereignis er diese Umwandlung zu verdanken hatte.

Nachdem Yume seinen Saft ausgetrunken hatte, sah der Kleine richtig zufrieden aus. Ein seltener Anblick, aber gut. Lano seufzte. Er hoffte wirklich, dass diese neue Stimmung wenigstens ein Weilchen anhielt.

Einen kurzen Moment der Ruhe gönnte er sich noch, bevor er wieder alles aufs Tablett zusammen räumte. Den Teller mit dem Süßkram ließ er jedoch stehen, weil er wusste, dass Yume eine kleine Naschkatze war.

»Okay… also ich wünsch dir dann eine gute Nacht…«, sagte Lano und nahm das Tablett. »Falls du noch was brauchst, komm einfach rüber zu mir, ja?«

Yume nickte und Lano verließ schließlich das Zimmer.
 

Kaum war die Tür hinter dem anderen ins Schloss gefallen, sprang Yume auf und glitt wieder aufs Bett. Er hatte es nur schwer geschafft ruhig zu bleiben und abzuwarten bis Lano wieder weg war. Trotzdem schien der andere Junge Verdacht geschöpft zu haben, bei den prüfenden Blicken, die er ihm immer wieder unbemerkt zugeworfen hatte. Allerdings schien er keine Ahnung zu haben, was los war und darüber war Yume heilfroh.

Er wollte sein Geheimnis für sich behalten, obwohl es ziemlich egoistisch war. Aber Lano würde ihn eh nicht verstehen, und helfen konnte er ihm gleich gar nicht.
 

Bis spät in die Nacht beschäftigte sich Yume mit dem Buch, blätterte darin herum und schaute sich die Bilder alle noch einmal genauer an, bis ihm immer wieder die Augen zufielen und er schließlich darüber einschlief.

Doch sein Schlaf war nicht besonders erholsam. Unruhig wälzte der Kleine sich hin und her, rollte sich zusammen, weil ihm plötzlich kalt war und leises Wimmern kam über seine Lippen. Sein Alptraum quälte ihn noch ziemlich lange, bis Yume schließlich schweißgebadet aufschreckte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit, denn die Kerzen, die das Zimmer vorhin noch erhellt hatten waren herunter gebrannt.

Schützend schlang er die Arme um seinen schmalen Körper und kniff die Lider zusammen.

Die schrecklichen Bilder seines Traumes peinigten ihn immer noch und es gelang dem Kleinen nicht sie aus seinem Kopf zu verbannen. Er fühlte sich so schrecklich alleine, schutzlos und Yume wünschte sich nichts sehnlicher als sich in Davons Arme zu flüchten. Doch der Mann war nicht da und selbst wenn… er wusste nicht, ob er den Mut aufgebracht hätte zu ihm rüber zu gehen. Deswegen versuchte der Junge schöne Erinnerungen hervorzuholen und sich daran zu klammern.
 

Bis in die frühen Morgenstunden saß er einfach nur da, die Arme um seine Beine geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Erst als die ersten Vögel anfingen zu trällern, löste er seine verkrampfte Haltung und wimmerte leise vor sich hin, weil ihm alles wehtat. Sein Rücken schmerzte und in seinem Kopf pochte es dumpf. Yume fühlte sich total elend und wäre am liebsten unter seine Decke gekrochen. Doch er tat es nicht, denn er hatte Angst wieder von diesem Alptraum heimgesucht zu werden.

Ungelenk stand er nach langem überlegen auf und schlurfte ins Bad. Vielleicht konnte ihm eine heiße Dusche helfen, das ganze zu vergessen. Aber das Geschehen, was sich da abgespielt hatte… es war ihm so real vorgekommen, gar nicht wie ein Traum…
 

Unbeachtet ließ er seine Sachen zu Boden gleiten und stellte sich unter den heißen Wasserstrahl. Die Hitze belebte ihn wieder ein bisschen und schaffte es zumindest die Kälte zu vertreiben, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Doch die Bilder verschwanden dadurch leider nicht. Trotzdem blieb er fast eine halbe Stunde unter der Dusche, seifte sich langsam ein und stellte das Wasser seufzend ab, als er fertig war.

In ein dickes, großes Handtuch gewickelt kehrte er ins Schlafzimmer zurück, wo ihm auffiel, dass er das Buch offensichtlich für jeden, der den Raum betreten würde, liegen gelassen hatte. Schnell ging er zum Bett und wollte es unter die Decke schieben, hielt jedoch in der Bewegung inne.

Das Buch war zugeklappt und hatte wieder seine unscheinbare Form angenommen. Der Einband bestand wieder aus Leder und nur die Rubine ragten darüber hinaus. Zweifelnd biss Yume sich auf die Unterlippe, während seine Augen unsicher auf dem Buch ruhten. Es war ihm auf einmal unheimlich. Gestern hatte es sich durch sein Zutun verändert, aber jetzt hatte er doch gar nichts gemacht…
 

Er verstand das alles nicht und das machte ihm ein bisschen Angst. Dennoch griff er nach dem Buch und versteckte es unter der Matratze. Im Moment fühlte er sich nicht danach sich weiter damit zu beschäftigen. Stattdessen ging er zum Schrank und suchte sich ein paar leichte Hosen und ein Oberteil raus, zog beides an und tapste anschließend mit nackten Füßen und noch feuchten Haaren auf den Balkon.

Die Sonne war bereits aufgegangen und in den satten Baumkronen tummelte sich fröhlich eine ganze Masse an vielen bunten Vögeln. Bei dem Anblick entspannte Yume sich allmählich. Es war ein friedlicher Augenblick und das genoss er zutiefst nach seinem schrecklichen Alptraum.
 

Die Bilder dessen waren ein wenig verblasst, doch während er die Natur betrachtete, begann er über den Sinn dieses Traumes nachzudenken. Bisher hatte er noch nie geträumt… es war das erste Mal gewesen. Yume hatte immer gedacht, dass er gar nicht träumen könnte, doch nun wurde er eines besseren belehrt.

Es war um den Krieg zwischen Dämonen und Drachenvolk gegangen. Soweit war er sich sicher. Aber warum träumte er davon? Es war doch alles vorbei…

Seufzend beobachtete er zwei Vögel, die sich gegenseitig jagten und in die Haare bekamen. Anscheinend stritten sie sich um ein Futterkorn. Es sah ganz lustig aus, aber eigentlich fand er es traurig, denn einer der beiden ging schließlich leer aus und sah dem anderen, auf einem Ast sitzend, betrübt hinterher.
 

Nachdenklich legte er den Kopf schief und er musste wieder an Davon denken.

Was dieser wohl gerade machte? Ob er auch an ihn dachte?

Zwei Tage war er nun schon weg, doch es kam dem Kleinen viel länger vor, obwohl der Mann ihn ja sonst auch nicht gerade oft besuchte. Yume seufzte erneut. Er stand noch eine ganze Weile auf dem Balkon bis Lano mit dem Frühstück kam.

Das Essen verlief schweigend. Lano bot ihm zwar an ein bisschen Karten zu spielen, aber darauf hatte der Kleine keine Lust. Er bedeutete dem anderen, dass er lieber allein sein wollte und Lano akzeptierte es glücklicherweise ohne weiter zu fragen.
 

Da er sowieso nichts anderes zu tun hatte, holte Yume das Buch wieder vor, setzte sich damit im Schneidersitz auf das Bett,»entsperrte« es und schlug die erste Seite auf. Inzwischen kannte er die Bilder fast alle auswendig und konzentrierte sich mehr auf die Schrift, die allmählich erschien.

Eine halbe Ewigkeit starrte er auf die geschwungenen Linien, die ihm seltsamerweise bekannt vorkamen. Doch er sah keinen Sinn darin. Es war komisch, aber irgendwie hatte er den Eindruck, als würden die Buchstaben ganz durcheinander sein. Vielleicht war das auch so ein Schutzmechanismus des Buches, damit nur bestimmte Leute fähig waren es zu lesen… genau wie die leeren Seiten am Anfang…

Ob dieser Überlegungen erfasste den Kleinen wieder ein bisschen die Zuversicht und er probierte einfach die Buchstaben mit einem Finger nachzuziehen, so wie auf dem Einband. Allerdings passierte nichts. Aber noch wollte er nicht aufgeben, versuchte weiter die verschiedensten Dinge, bis ihm nichts mehr einfiel.
 

Der Erfolg blieb jedoch weiterhin aus, was Yume mit einem unzufriedenen Murren quittierte.

Ungehalten schubste er das Buch von seinem Schoß, zuckte in der nächsten Sekunde zurück und fluchte innerlich, denn er hatte sich an einer der Seiten geschnitten. Es brannte furchtbar und Yume hielt seinen Finger hoch, um die Wunde genauer zu betrachten. Dabei löste sich ein Tropfen der roten Flüssigkeit und fiel auf die aufgeschlagene Buchseite.

/Oh nein…/, ging es dem Kleinen sofort durch den Kopf und er leckte schnell das Blut von seinem Finger, bevor er hektisch versuchte mit dem Ärmel den Tropfen vom Papier zu wischen. Dabei fiel ihm auf, dass die Buchstaben sich plötzlich bewegten, hielt sofort inne und beobachtete das ganze mit geweiteten Augen und voller Unglauben.

Hatte sein Eindruck ihn also doch nicht getrogen.

Die Buchstaben waren wirklich total falsch zusammen gewürfelt gewesen. Doch jetzt ergaben sie Wörter, die er lesen konnte. Yume war völlig überwältigt. Atemlos leckte er sich über die Lippen und ohne auf seinen verletzten Finger zu achten, zog er das Buch wieder auf seinen Schoß.
 

/Tarnzauber…/, murmelte er gedanklich das erste Wort und sah sich gleich den Spruch darunter an. Ob das wirklich funktionierte? Flink schaute er sich in seinem Zimmer um. Der Brandfleck an der Wand war noch nicht entfernt worden. Vielleicht konnte er diesen mit dem Tarnzauber belegen…

Nach kurzem Zögern stand er mit dem Buch auf dem Arm aus dem Bett auf und trat vor die Wand. In Gedanken sprach er die Worte, die auf dem Papier standen, bevor er sich in die Höhe reckte und den schwarzen Fleck mit einem Finger berührte. Die Stelle flimmerte auf, wie die Luft über einer Kerze, bevor das Schwarz allmählich verschwamm und nur die Farbe des intakten Wandbehangs hinterließ. Unglaublich! Yume ließ die Hand sinken, starrte jedoch weiterhin auf sein Werk. Als er sich endlich losreißen konnte, schaute er sofort wieder ins Buch. Unter dem Tarnzauber war zu lesen, wie dieser aufgehoben wurde. Es war nur ein Wort: »obiecturum«

Yume las es gedanklich laut vor.
 

Dann schaute er hoch und erblickte den Brandfleck, der genauso wie vor dem Zauber schwarz und hässlich an der Wand prangte. Es klappte tatsächlich! Nach dieser Erkenntnis musste er sich erst einmal hinsetzen und durchatmen. Erstaunlich, dass er diese Sprache überhaupt lesen konnte. Es machte ihm keine Probleme und er verstand sogar, was dort stand. Obiecturum hieß soviel wie enttarnen.

Was Davon wohl zu seinen Fähigkeiten sagen würde?

Schwer seufzte der Kleine.

Es war wohl besser, wenn er niemandem davon erzählte. Davons Begeisterung hielt sich wahrscheinlich sowieso in Grenzen, wenn der andere nicht sogar völlig ausflippte. Und Lano? Der andere Junge war zwar sein Freund und kümmerte sich ganz lieb um ihn, aber irgendwie vertraute er ihm in dieser Hinsicht nicht wirklich. Bei dem Gedanken fühlte er sich schäbig, aber in erster Linie war Lano Davon verpflichtet.

Nahi kannte er nicht lange genug. Er fand sie zwar einigermaßen sympathisch, aber mehr auch nicht. Mit Frauen konnte er an sich wenig anfangen. Ansonsten hatte er niemanden, mit dem er über seine Begabung sprechen konnte…
 

Zum ersten Mal wurde Yume bewusst, dass er keinen einzigen Freund besaß, keinen richtigen Freund, mit dem man alle seine Geheimnisse teilen konnte. Und das bedrückte ihn gewaltig. Schwer seufzend sah er wieder auf das Buch. Er hatte so viele Fragen, aber keiner würde sie ihm beantworten können, weil niemand da war.

Er war ganz auf sich allein gestellt.

Abermals seufzte Yume, bevor er einen Entschluss fasste. Es brachte ja nichts, sich hängen zu lassen. Damit war ihm auch nicht geholfen. Er nahm sich vor, alle Zauber auszuprobieren, die ihm halbwegs nützlich erschienen.

Mit neuem Enthusiasmus blätterte er das Buch durch, machte sich gedanklich Notizen, was er für brauchbar hielt, bis er die Hälfte durch hatte. Bei der nächsten Seite stutzte er.

Kurz blätterte er eine Seite vor. Da stand in großen verschnörkelten Lettern: Bannzeichen.

Die darauffolgenden Seiten waren jedoch nur mit jeweils zwei Punkten versehen. Was sollte das denn sein? Konnten diese ganzen undurchsichtigen Sachen nicht endlich mal vorbei sein? Grimmig starrte er die Punkte an und hatte keine Ahnung, was damit anzufangen war.
 

Tbc…
 

© by desertdevil

2012-01-29



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ReinaDoreen
2012-01-30T20:12:37+00:00 30.01.2012 21:12
Ich kann mir vorstellen das Yume einen besoneren Bezug zu diesem Buch hat. Vielleicht ist er ja sogar der kleine Junge der dort abgebildet ist.
Reni


Zurück