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Niemand

von

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Vollmond über Berlin

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die Sonne scheint auch weiterhin

Als Bela seine schweren Augen öffnete, schien draußen schon die Sonne, der Himmel war wolkenlos blau.

Mit einem lauten Murren, welches in seinem Kopf wie laute Glockenschläge klang, stand er langsam auf. Auf dem Weg ins Bad stolperte er mehrmals über die leeren Flaschen auf dem Fußboden, die dort schon seit Wochen darauf warteten weggeschmissen zu werden. Er gönnte sich eine lange, lauwarme Dusche, heißes Wasser war in dieser Wohnung ein Luxus, der ihm wohl einfach nicht zu Teil werden wollte. Die Wassertropfen prasselten auf seine schwarzen Haare. Es fühlte sich so an als ob jeder Tropfen einen kleinen Hammer bei sich hätte und ihm nun mit jedem einzelnen Auftreffen einen Schlag verpassen würde.

Lange hielt Bela es nicht unter dem Wasser aus, also drehte er den Hahn zu und trocknete sich halbherzig ab. Als er seine nassen Haare durchkämmte sah er in den Spiegel und erkannte einen ziemlich gealterten, runtergekommenen Mann, der auch genauso gut auf der Strasse betteln gehen könnte. Dies würde wahrscheinlich noch mehr Geld einbringen als seine derzeitige Band „Depp Jones“ und vor allen Dingen müsste er sich nicht für die vereinzelten Auftritte zu Recht machen müssen. Diese Band hatte er mit so viel Hoffnung gegründet. Es waren ja auch brillante Musiker dabei. Vor allen Dingen Rodrigo, dieser hatte sogar schon bei den Rainbirds gespielt und konnte mit jedem Instrument etwas anfangen. Er war einfach ein Genie und Bela beneidete ihn um dieses Talent, was würde er nicht alles dafür geben auch nur einen Bruchteil von Rodrigos musikalischer Genialität zu besitzen. Vielleicht würden dann „Die Ärzte“ immer noch bestehen, vielleicht wäre der Kontakt zu Jan nicht abgebrochen und er hätte sich dann nie so alleine gefühlt, wie er es heute tat.

Mit diesen Gedanken betrachtete er sich weiter und fragte sich ob er wohl jemals wieder das Gefühl von damals zurückbekommen könnte. Diese Begeisterung für die Musik, für eine Band, für Konzerte und für das Leben, sein Leben.

Sein Blick wandte sich von seinem Spiegelbild ab, er schlürfte zurück in sein Schlafzimmer, überflog mit seinen immer noch müden Augen den Boden nach etwas tragbaren für den Tag.

Bela schlüpfte in eine alte Jeans, die dort wohl schon seit einer Woche ungeachtet auf dem Boden lag. Er machte sich keine Gedanken über die Meinungen von anderen, wenn sie seine Wohnung betraten. Vielleicht nur um eine Meinung, und diese würde wohl nie wieder seine vier Wände betreten.

Bela zog sich weiter an und erinnerte sich erst jetzt daran, dass an diesem Abend ein Konzert von „Depp Jones“ stattfinden sollte.

Bela dachte an die letzten Konzerte, zumindest soweit er sich erinnern konnte…
 

Meist war er zu betrunken um sich am nächsten Morgen an irgendetwas zu erinnern, schon gar nicht daran wie das Konzert verlief, aber irgendwie war ihm es auch egal.

Jetzt stand Bela da, angezogen, frisch geduscht und halbwegs Aufnahme fähig. Was sollte er mit sich anfangen? Es war gerade mal 15 Uhr, das Konzert fand spätestens um 21Uhr statt.

Er blickte in seinen Kühlschrank. Eine halbleere Packung Salami, Milch die bestimmt schon sauer war und Brot. Noch nicht einmal eine Flasche Alkohol hatte er noch in seiner Wohnung. Bela ging mit leeren Händen zurück in sein Schlafzimmer, blickte auf die kleine durchsichtige Tüte auf der Fensterbank.

„Na toll!“, dachte er sich „kein Alkohol, keine Drogen! Wie soll ich denn heute Abend auftreten?“

Mit schweren Schritten durchquerte er den kleinen Raum, schaute durch die dreckigen Scheiben und dachte an die letzte Nacht.

Wieso nahm ihn diese Trennung so mit?

Warum schien Jan so glücklich mit dieser „neuen“ Situation?
 

Auf dieser Party, ja, da hatte ihn das wohl mitgenommen, aber jetzt…? Jetzt schien er glücklich. Glücklich mit seiner Band und auch glücklich darüber keine Kontakt mehr zu Bela zu haben.

Farin sah gesund aus, immer ein Lächeln auf seinen Lippen und selbst seine Augen strahlten nur so vor Lebensfreude. Im Gegensatz dazu war Bela ein Wrack und er war selbst Schuld an diesem Zustand.

Warum lies er sich auch so hängen?

Warum konnte er nicht einfach weiter machen, so als ob die ganzen letzten Jahre nie passiert wären?

Warum konnte er das nicht?

Tränen stiegen in ihm auf und brachten die Antwort mit sich. Wegen ihm, wegen ihrer Beziehung zueinander. Weil sie etwas Besonderes hatten, mehr als nur eine Freundschaft. Wahrscheinlich waren sie wohl die einzigen Menschen auf der Welt, die diese Art von Beziehung pflegten und genau dieses Gefühl was Jan ihm immer gab, fehlte ihm so sehr.

Ein großes Loch war in ihm entstanden und je mehr er versuchte es mit Alkohol oder Drogen zu füllen, umso größer schien es zu werden. Er konnte einfach nichts tun damit es ihm besser ging. Er litt und wusste dass dieser Schmerz sein restliches Leben bestimmen würde.

Bela verbrachte die restlichen Stunden bis zum Konzert mit vergeblichen Versuchen neue Songs zu schreiben. Immer wenn er sich den gerade entstandenen Text noch mal durchlas, wusste er dass er diesen Song nur für Jan geschrieben hatte und so landeten die weißen Zettel zerknüllt auf dem Fußboden. Ein Klingeln riss ihn aus seiner „Kreativität“. Bela machte die Tür auf und vor ihm stand Rod, der ihn zum Konzert abholte.

„Hey Felse, mal wieder ’ne lange Nacht gehabt?“, kommentierte der Chilene Belas Augenringe. Bela verdreht nur die Augen, schnappte sich seine Jacke und seine Schlüssel und ging mit Rod in Richtung Club.

Schweigend liefen die beiden Männer nebeneinander her. Rod wollte eigentlich mit Bela reden, immerhin waren sie in den letzten zwei Jahren gute Freunde geworden. Er wollte ihn fragen was mit ihm los sei, warum er seit Wochen so mies aussah und warum er ständig betrunken oder high war. Doch er traute sich nicht. Rod wusste nicht warum, aber irgendwas in ihm wollte es einfach nicht und verhinderte, dass auch nur ein Wort über seine Lippen kam.
 

Im Club angekommen trafen sie auf den Rest der Band, setzten sich zu ihnen in den kleinen Raum im Backstagebereich. Auf dem Tisch, der mittig im Raum platziert war, standen schon einige Flaschen, die meisten davon leer.

Bela nickte seinen zwei Bandkollegen flüchtig zu und schnappte sich die noch volle Flasche „Jack Daniels“. Der Geschmack von Alkohol, der sich langsam in Belas Mund ausbreitete zauberte ihn ein Lächeln ins Gesicht.

„Hey Jungs, hat einer von euch was dabei?“, durchbrach Bela die Stile, die herrschte seit Rod und er den Raum betreten hatten.

Atze holte aus seiner Hosentasche eine kleine Tüte raus und wedelte damit in der Luft rum.

„Du bist ein Schatz Atze!“ Freudig nahm der Schwarzhaarige die Tüte, holte sich eine Tablette raus, spülte sie mit einem großen Schluck der braunen Flüssigkeit hinunter.

„Muss das sein?“, Rod schaute den Schlagzeuger genervt an, um dann mit seinem fragenden Blick an Bela hängen zu bleiben.

„Wir müssen noch ’nen Konzert geben.“, seine vorherige Zurückhaltung war mit einem mal verschwunden.

„Verdammt Bela, uns liegt was an der Band, also reiß dich mal zusammen...“

Rods Tonfall, der nun laut und vorwurfsvoll war, überraschte nicht nur ihn, sondern auch Atze und Beckmann, die ihn verwundert ansahen.

Mit einem „Leck mich!“ verschwand Bela auf die Toilette, die er erst wieder verlies als sie auf die Bühnen gingen. Die Stimmung, die innerhalb der Band herrschte, spiegelte sich in ihrem Auftritt wieder. Alle waren angespannt, hatten dadurch stur ihre Songs gespielt um so schnell wie möglich von dieser Bühne zu kommen.

Die letzten Töne des Konzertes verhallten in dem kleinen Club, der heute Abend spärlich besucht war. Die Band ging wieder in den Backstagebereich.

Beackmann und Atze verschwanden kurz darauf, hatten keine Lust auf einen Streit und sowieso wollten sie einfach nur nach Hause.

Bela widmete sich gleich wieder seiner Flasche Whiskey, was von Rod mit einem genervten Seufzen kommentiert wurde.

„Ist dir die Band eigentlich wichtig?“ Rod konnte einfach nicht mehr still sein, konnte nicht zusehen wie Bela nicht nur sich sondern auch die Band langsam ruinierte.

„Lass mich doch einfach in Ruhe…“

„Nein! Erst wenn du mir meine Frage beantwortet hast.“

„Kümmer dich doch um deinen eigenen Scheiß!“, zischte Bela und warf sich mit der Falsche in der Hand auf das Sofa.

„Die Band ist ja wohl auch mein Scheiß…“ Rod konnte einfach nicht verstehen was den Älteren zu diesem Verhalten brachte, warum er scheinbar so lustlos war.

„Also was jetzt?“ ein fragender Blick traf Belas Augen. „Liegt dir was an dieser Band?“

Und als Rod diese Frage ausgesprochen hatte, dachte Bela nach. Er brauchte diese Band. Seit der Gründung brauchte er sie um Jan zu zeigen, dass er es auch ohne ihn schaffte, dass er Jan nicht mehr brauchte.

„Ja verdammt!“ kam es wütend aus Bela hervor, „warum hab ich sie denn sonst gegründet?“

Tränen stiegen wieder in ihm hoch und wurden mit jeden Gedanken an Jan mehr, bis sie schließlich in kleinen Rinnsalen über seine Wangen liefen.

„Ja verdammt!“, wiederholte er sich noch einmal, dieses mal kaum hörbar für seine Gegenüber,

„Ich brauche dich Jan!“

Du fehlst mir so

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Say you, say me

Jetzt lag er hier, alleine, völlig zugedröhnt und desorientiert in seinem Flur. Immer noch fragte er sich wie das mit Rodrigo vor ein paar Stunden, oder waren es Minuten, passieren konnte. Von Liebe war dort keine Spur gewesen. Die einzige Person die jemals einen Platz in seinem Herz haben würde war Jan. Und kaum dachte Bela an den Blonden stiegen wieder Tränen in ihm auf. Er lies sie laufen, weinte einfach nur und dachte an seinen ehemals besten Freund. Immer wieder fielen ihm seine Augen zu, bis er sie schließlich nicht mehr öffnen wollte und endlich einschlief.
 

Der nächste Morgen kam und Bela schlief immer noch. Die Stunden vergingen in denen er sich unruhig auf dem kalten und harten Fußboden wälzte. Er träumte mal wieder und natürlich träumte er von Jan, von dem Moment als der große Blonde ihm vorschlug die Band aufzulösen.

Bela wollte gerade etwas sagen, Jan endlich sagen dass sie die Band nicht auflösen sollten, da er ohne sie und ohne ihn nicht mehr Leben konnte. Doch bevor auch nur ein Laut aus seinem Mund drang, wachte er auf.

Fragend sah er sich um, konnte sich nicht erinnern wie er gestern Abend den Weg in seine Wohnung gefunden hatte. Langsam stand er auf, sein Kopf fühlte sich tonnenschwer an und sein Rücken war endgültig im Arsch. Alles tat ihm tierisch weh und das aufstehen entwickelte sich zu einer schier unlösbaren Aufgabe. Als er endlich auf seinen wackligen Beinen stand, torkelte er ins Bad. Mal wieder betrachtete er sich im Spiegel. Tiefe schwarze Augenringe, zersauste Haare und ein extrem verschlafener Blick. Sein Spiegelbild war genau so, wie er sich momentan fühlte: Scheiße!

Mehr oder weniger gründlich putzte Bela sich seine Zähne um wenigstens halbwegs diesen ekligen Geschmack aus seinem Mund zu bekommen. Als er den weißen Schaum ausspuckte war jener aber sofort wieder da. Mit einem genervten Blick schaute er auf die Zahnpastatube.

„12h frischer Atem“, jaja von wegen… alles Lügen.
 

Ziellos irrte er durch seine Wohnung, wusste nicht so recht was er nun machen sollte. Im Schlafzimmer entdeckte er die kleine Tüte, in der vor ein paar Tagen noch etliche Tabletten waren. Jetzt wusste er was er machen konnte, seinem Freund, oder eher Dealer einen kleinen Besuch abstatten.

Mit genügend Geld bewaffnet schlenderte Bela durch die Straßen Berlins, bis er nach einigen Minuten an einer weißen Haustür stehen blieb.

Dieser Gang war für ihn in den letzten Monaten so verständlich gewesen, so wie alle anderen eben auch ihre Einkäufe erledigten. Routine eben.

Minuten später stand er auch schon wieder auf der Straße, glücklich und mit etlichen Stimmungsmachern bepackt.

Auf seinem Weg nach Hause kaufte er noch schnell ein wenig zu Essen ein, immerhin war sein Kühlschrank schon seit Tagen überschaubar gefüllt gewesen.

Und so trat er schließlich seinen Rückweg an.

Die vollgepackte Tüte mit Lebensmitteln zerrte an seinem immer noch schwachen Arm, weshalb Bela zumindest versuchte sich zu beeilen.

Auf seinem Weg betrachtete er die einzelnen Schaufenster, Angebote für Staubsauger oder Matratzen strahlten ihm entgegen, interessierten ihn aber kein Stück. Doch plötzlich bleib er ruckartig stehen und starrte in eine der großen Glasscheiben.

Das leuchtende Gelb eines CD-Covers hielt seinen Blick gefangen. „King Kong“ war dort in großen grünen Buchstaben geschrieben. Natürlich musste er ausgerechnet jetzt dieses Album entdecken, jetzt wo er gerade einmal nicht mit seinen Gedanken bei Jan war.

Es fiel ihm schwer, doch letztendlich lief er weiter, weit weg von dieser CD und seinen Gedanken an den blonden Hünen.

Erschöpft lies Bela die schwere Einkaufstasche auf den Boden fallen, räumte den Inhalt eben jener in die Schränke und den Kühlschrank.

Seine anderen Errungenschaft schmiss er auf sein zerknittertes Bett, lies sich mit einem schweren Seufzen direkt neben die kleinen Muntermacher fallen. Seine Gedanken, die er eben noch am Plattenladen hatte stehen lassen, holten ihn ein, stürzten ihn wieder in dieses tiefe Loch, aus dem es kein entrinnen gab. Fest schloss Bela seine Augen, hoffte endlich mal nicht dieses Grinsen vor seinen Augen zu haben.

Mit geschlossenen Augen tastete er neben sich, hörte ein Knistern und zog die kleine Tüte auf seinen Schoss. Langsam öffnete er wieder seine Augen, blickte auf die vielen kleinen Pillen, die ihn wenigstens für kurze Zeit dabei halfen alles zu vergessen. Mit diesen Gedanken öffnete er leise das Tütchen, holte sich eine Pille raus und lies sie langsam in seinen Mund gleiten. Gut schmeckten sie nicht, irgendwie nach gar nichts, aber das war unwichtig. Wichtig war allein nur der Effekt, ja dieses schöne Gefühl, diese Wärme…
 

Es dauerte eine Weile, nur ein paar Minuten, dann fühlte er sich entspannter. Immer noch mit Millionen Gedanken beladen, aber sie schienen nicht mehr so quälend zu sein. Mit einem Lächeln lies er sich wieder auf seinen Rücken fallen, starrte an die Decke. Stille. Einfache Stille herrschte um ihn, keine nervigen Geräusche. Eigentlich mochte er es, wenn alles so ruhig war, doch in den letzten Monaten war diese Stille so erdrückend gewesen. Lies sie ihm doch genügend Platz um seinen Gedanken nachzugehen, keine Chance sich durch etwaige Töne ablenken zu lassen.

Schweigend lag Bela auf seinem Bett, merkte wie so langsam seine Gedanken wieder abschweiften und als er schließlich die blonden Haare vor seinem inneren Auge erblickte riss er die Augen auf.

„Verdammt! Kannst du nicht endlich aus meinem Kopf verschwinden!“

Kopfschüttelnd richtete er sich wieder auf, streckte seine Arme aus.

Geräusche, Töne, irgendwelchen Lärm brauchte er jetzt, irgendetwas was seine Gedanken vertrieb.

Seine Plattensammlung wurde genervt durchgestöbert. Irgendwie schien er auf nichts Lust zu haben, weder die Ramones noch die Sex Pistols wollten von Bela gehört werden. Plötzlich hielt seine Hand inne. Seine Augen erblickten eine unscheinbare Kassette. „Demos“. Die Handschrift konnte er eindeutig Jan zuordnen. Er erinnerte sich.
 

Damals vor ein paar Jahren, sie waren im Studio, die Aufnahmen waren schon mehr oder weniger abgeschlossen. Sie hatten noch Zeit, ein Tag in denen das Studio noch für sie gemietet war. Jan und er hatten Langeweile, spielten sinnlose Songs ein, mit sinnlosen Texten. Er selbst ging irgendwann, schließlich musste er noch arbeiten gehen, damit er wenigstens etwas Geld hatte.

Jan blieb noch im Studio, nahm ein paar Cover-Songs auf, irgendwelche Songs die er damals schön fand, oder sonst irgendwie interessant, oder einfach nur total kitschig. Später hatte er ihm dann die Kassette gegeben, hatte gemeint, irgendwann sollten sie mal ein Cover-Album machen.
 

Ja, irgendwann sollten sie das mal machen. Damals hatte er lediglich die Hälfte gehört, hatte irgendwann einfach keine Lust mehr gehabt, hatte bis heute diese Kassette komplett vergessen. Und jetzt hielt er sie wieder in der Hand. Bald war sie auch schon in seiner kleinen Stereoanlage verschwunden und die ersten Töne einer verzerrten Gitarre ertönten. Eine kurze Pause, ein kleines Fluchen und dann begann Jan zu singen.
 

Say you say me

say it for always

that's the way it should be

say you say me

say it together naturally
 

I had a dream I had an awesome dream

people in the park playing games in the dark

and what they played was a masquerade

from behind the walls of doubt

a voice was crying out
 

Say you say me

say it for always

that's the way it should be

say you say me

say it together naturally
 

As we go down life's lonesome highway

seems the hardest thing to do

is to find a friend or two

that helping hand someone who understands

when you feel you've lost your way

you've got someone there to say "I'll show you"
 

Say you say me

say it for always

that's the way it should be

say you say me

say it together naturally
 

So you think you know the answers oh no

well the whole worlds got you dancing

that's right I'm telling you

time you start believing oh yees

believe in who you are

you are a shining star
 

Say you say me

say it for always oh

that's the way it should be

say you say me

say it together naturally

say it together naturally
 

Ein Klicken, noch ein kleiner Fluch und dann begann auch schon das nächste Stück. Wie in Trance stoppte Bela das Band. Das Lied war kitschig, keine Frage, er erinnerte sich wie sie sich über diese Liebeschnulzen lustig gemacht hatten. Und jetzt? Jetzt fühlte sich dieser Kitsch so unglaublich gut an. Vielleicht lag es nur an Jans Stimme, die ein bisschen rauer war als sonst, vielleicht lag es an den vielen Erinnerungen, vielleicht lag es auch an Belas jetziger Situation. Er wusste es nicht und schüttelte wie zur Bestätigung seiner Gedanken mit dem Kopf. Wie gerne würde er jetzt mit Jan reden, einfach nur reden, so wie sie es damals auch immer getan hatten, oder auch einfach nur ein wenig zusammen spielen. Irgendetwas, Hauptsache er konnte wieder was mit Jan unternehmen. In seinen Gedanken hastete er gerade zum Telefon, wählte zittrig die bekannte Nummer, meldete sich und fing direkt an zu reden, so als wäre nie was gewesen, doch er traute sich nicht. Die Angst lähmte ihn, Angst davor dass Jan einfach auflegen würde, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Immerhin war er augenscheinlich nicht mehr der Strahlemann Farin Urlaub, nein er war nur noch Jan und das für jeden. Für seine Bandkollegen, die ihn wahrscheinlich nicht mal annähernd kannten. Seine Fans, wobei die meisten noch aus Ärzte-Zeiten dabei waren. Seine neuen Freunde, die Bela nicht kannte und auch nie kennen lernen wollte. Er wollte doch einfach nur wieder seinen Jan zurück haben, sein Lächeln, seine aufmunterten Worte, seine unglaublich inspirierende Aura spüren. Doch alles was er jetzt noch hatte, waren die vielen, drückenden und schmerzenden Erinnerungen und alte Fotos. Bela wusste einfach nicht mehr weiter, er war traurig, alleine und für seinen Geschmack gerade viel zu nüchtern. Nüchtern dachte er zuviel nach, erinnerte sich viel zu gut. Aus diesem Grund fand eine weitere Pille den Weg in seinen Mund, schnell schluckte er sie runter, um sich noch eine auf die ausgestreckte Zunge zu legen. Seine Augen schlossen sich wieder, einmal atmete er tief durch. Natürlich war es Schwachsinn zu denken, dass er seine Gedanken besser im Griff hatte wenn er high war, aber eingestehen konnte der Schwarzhaarige sich das nicht.
 

<Eject>, die Kassette kam ihm entgegen, seine Finger legten sich um das schwarze Plastik.

„Jan!“, leise kam es aus seinem Mund.

„Du Arsch!“, mit einem Knall landete das Plastik an der Wand, zersplitterte ein wenig, blieb aber weiterhin funktionsfähig.

„Du bist so ein Arsch!“, sein Fuß stampfte kräftig auf die Kassette, die nun knackte und weiter zersplitterte, bis sie schließlich aus mehreren Einzelteilen bestand.

„Warum kannst du nicht einfach komplett verschwinden?“, er brüllte.

„Verschwinde endlich aus meinem Leben, ich will nicht mehr!“, das Brüllen wurde leiser. Tränen standen Bela jetzt in den Augen, doch er war nicht gewillt sie laufen zu lassen.

„Ich kann einfach nicht mehr….“ Die letzten Silben gingen in seinem Schluchzen unter.
 

Ein kleiner Gedanke schoss in seinen Kopf, es war ein Hilferuf, ein verzweifelter Gedanke und wenn er ehrlich war, hatte er ihn schon oft gehabt. Einfach gehen, weit weg, für immer. Doch noch war er nicht bereit es auch vollends durchzuführen. Immer wieder schwebte Hoffnung in ihm, die Hoffnung auf eine Reunion, auf ein Happy End für ihn und Jan.

Doch so langsam realisierte er, dass dies nur Hoffnung bleiben würde. Warum sollte Jan wieder zurückkommen? Zurück zu einem seelischen und körperlichen Wrack wie Bela es zurzeit nun mal war.

Erschöpft lies er sich wieder auf sein Bett fallen. Diese Gedanken würden ihn irgendwann noch in den Wahnsinn treiben, ihn zerstören. Noch ein paar Pillen wurden wütend heruntergeschluckt. Wie viele es waren wusste er nicht, selbst wenn es zu viele waren, dann sollte es doch so sein. Vielleicht war es einfach jetzt richtig für ihn zu gehen. So wie Hendrix damals. Vielleicht war das alles Schicksal. Die Begegnung mit Jan, die Gründung ihrer Band, die langsam ansteigende Karriere, der Erfolg, die Trennung, der Absturz. Vielleicht hatte er seinen Lebenssinn schon erfüllt, hatte seine Rolle auf dieser Welt gespielt und konnte nun von der Bühne gehen. Er merkte, dass seine Augen schwerer wurden, er fühlte sich müde, ausgelaugt, einfach schlapp.

Ja vielleicht könnte er jetzt endlich gehen

Zufall oder Schicksal?

Vielleicht ist es ja wirklich bescheuert so etwas zu denken, aber ich würde gerne die Zeit zurück drehen. Nicht unbedingt um etwas anders zu machen, sondern eher um die Zeit bewusst zu genießen. Ich würde so gerne aufwachen und wieder 16 sein. Einfach die ganzen schönen Tage, Stunden, Momente erleben, jeden noch so kleinen Eindruck in mich aufsaugen. So gut wie es nur geht die Erinnerugen fest einspeichern. Denn ich weiß, eines Tages werde ich die Zeit vermissen. Werde an diese schönen Momente denken und traurig sein. Ich werde an all das denken was ich verpasst habe, an all das was noch hätte passieren können.

Genau diese Gedanken lassen mich traurig werden, lassen den Wunsch in mir größer werden. Die Erkenntnis das dies nie passieren wird trifft mich mit jedem Mal härter und doch bleibt dieses Verlangen. Egal was für ein Leben ich führe, wie glücklich ich auch sein mag, niemals wird es auch nur im Entferntesten an die Vergangenheit ran kommen. Vielleicht war damals nicht wirklich alles perfekt, immerhin hat jeder so seine Macken, aber in meinen Gedanken ist es perfekt. Alles war damals einfach perfekt, jeder noch so kleiner Fehler schien gewollt. Ich würde dich gerne anrufen, mit dir darüber reden, herausfinden ob du denn auch manchmal so denkst.

Wir könnten wieder zusammen kommen, zusammen leben, endlich nicht mehr alleine sein. Wir könnten zusammen glücklich werden so wie damals, ja genauso glücklich.

Lächerlich, ja wirklich naiv. Ich sollte es doch besser wissen. Ich sollte wissen, dass die Wünsche ewig unerfüllt bleiben, dass wenn ich nicht aufhöre darauf zu hoffen ich für immer so leiden werde. Doch ich schaff es nicht.

Ich schaffe es einfach nicht diesen Wunsch aus meinem Kopf zu streichen. Es klingt idiotisch und wahrscheinlich ist es das auch, aber all die Gedanken, die Hoffnungen, so grausam sie auch sein mögen, sie geben mir Kraft. Kraft die ich brauche um nicht jeden Tag in Depressionen zu verfallen. Nur manchmal verlässt mich die Kraft und dann leide ich, weine ich, versteh nicht warum ich so hilflos bin. Ich hatte vorgehabt diese Gedanken auf ewig für mich zu behalten, alleine damit fertig zu werden.

Ich kann es nicht.

Ich will endlich das du all das hier erfährst, dass du darüber nachdenkst und mir ehrlich antwortest. Wirklich ehrlich, auch wenn es mich verletzt. Ich kann nur noch hoffen, dass du mich nicht für bescheuert hällst und darauf das du mir antwortest.
 

Xxx Jan
 

Zufall oder Schicksal? Wahrscheinlich beides, dachte Jan als er den Brief in den Händen hielt. Damals hatte er sich nicht getraut ihn wirklich abzuschicken. Die Briefmarke wartete seit knapp 3 Jahren auf den Poststempel der ihre Reise zum Empfänger in Auftrag geben sollte.
 

Ob er es sich heute trauen würde? Unwahrscheinlich. Hat sich doch bis heute so viel verändert. Die Gefühle sind gleich geblieben, nur etwas schwächer geworden, nicht mehr alltäglich spürbar.

Aber der Kontakt den er sich damals so gewünscht hat, spielt heute fast keine Rolle mehr.

Eher versucht er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal Dirk gesehen hatte. Er kann es nicht sagen, nur vermuten. Es ist einfach alles zu lange her. Wahrscheinlich würde der Brief wirklich für immer hier liegen bleiben. Es sei denn, dass er wirklich mal Mut aufbringen würde.

Der Griff um das dünne Papier wird stärker, die langen Finger falten den Brief wieder sorgfältig zusammen, stecken ihn in den Umschlag.

Es ist doch einen Versuch wert, zumindest dieser letzte Versuch soll ihm gegönnt sein.
 

Bis zum nächsten Briefkasten ist es nicht weit, ein schöner Spaziergang.

Schon von weitem sticht ihm der gelbe Kasten ins Auge. Noch eine kleine Handbewegung und der Brief ist verschwunden, endlich auf seiner vorherbestimmten Reise, wobei sich Jan sicher ist, dass die Adresse sowieso nicht mehr stimmt und der Brief in einer knappen Woche wieder bei ihm landen wird.

Er dreht sich um, will nach Hause. Ein kurzer Blick noch auf die Schlagzeilen der Zeitungen in den klapprigen Boxen, die irgendwie an fast jeder Ecke stehen.
 

"Ex-Arzt in Behandlung! Der Absturz des Bela B.!"
 

Er schluckt, er fühlt sich schlecht und er fragt sich

Zufall oder Schicksal?

Dunkelheit

Dunkelheit ergriff ihn, drückte ihm die Kehle zu. Schwer atmend versuchte er zu entkommen, seine Beine trugen ihn so schnell es ging über den dunklen Boden. Doch die Nacht war schneller und verschlang ihn.
 

Erschrocken wachte Jan auf, allerdings ohne einen Aufschrei oder Angstschweiß auf seiner Stirn. Er guckte sich lediglich in dem dunklen Raum um, versuchte irgendwas ungewöhnliches ausfindig zu machen, doch er fand nichts. Einer von vielen Träumen. Waren sie doch alle Unterschiedlich in ihrer Form und Handlung, jedoch dieses beängstigende Gefühl in seiner Brust blieb. Dieses Gefühl lies ihn nicht los, schon seit ein paar Wochen. Genauer gesagt seit dem Tag als er die Schlagzeilen gelesen und darunter Bela's Bild gesehen hatte. Das diese zwei Ereignisse vielleicht etwas miteinander zu tun hatten, daran wollte er nicht denken. Warum sollte er sich wegen ein paar

Träumen verrückt machen? Das letzte Mal dass er Bela gesehen hatte war schon fast eine Ewigkeit

her. Vor einem Konzert in einem schäbigen kleine Club. Depp Jones war Vorband von der Vorband. Heimlich stand Jan am Bühnenrand, gut versteckt hinter seinem Bandkollegen und einem Verstärker. Bela sah so anders aus, seine Haare waren auf einer Seite völlig abrasiert, ein unsauberer

3-Tage-Bart schmückte sein Gesicht. Seine Bewegungen schienen so schwer und unkoordiniert, seine Stimme war so viel rauer als noch zu Die-Ärzte-Zeiten. Irgendwie tat Bela ihm damals ein wenig Leid, er wusste nicht genau warum. Vielleicht war es das Wissen, dass Bela ohne ihn langsam zu einem Wrack mutierte, vielleicht aber (und das versuchte er mehr zu glauben) auch nur der Fakt dass Bela's Band nur Vorband der eigentlichen Vorband war. Damals hatte er lange mit sich kämpfen müssen, ob er sich mit Bela unterhalten sollte. Doch die Entscheidung wurde ihm recht schnell abgenommen, verlies Bela mitsamt seiner Band doch schon kurz nach ihrem Auftritt den

Club. Seitdem gab es keinen Kontakt mehr zwischen ihnen und Farin störte dies immer weniger, bis er irgendwann gar nicht mehr an Bela und an die Vergangenheit dachte. Doch dann musste er ja diesen Brief finden und jetzt fingen seine Gedankengänge über Bela wieder an und das schlimmer und eindringlicher als je zuvor.
 

Vorsorglich hatte er schon am nächsten Morgen alte Bilder in Kartons verpackt, auch wenn er diese Bilder gerne um sich hatte und betrachtete. Natürlich nicht weil auf diesen Bela zu sehen war, sondern weil sie einfach so viel Glück ausstrahlten. Glück von dem er dachte, dass es nie aufhören würde. Auch wenn er jetzt immer noch glücklich war, (immerhin hatte er ein Haus mit eigenem Studio, eine Band, genügend Geld und seine Reisen) es fühlte sich anders an. Nicht so endlos und tief, nicht so ergreifend und sicher. Es fühlte sich an, als ob ein kleiner Windhauch reichen würde um seine momentanen Glücksgefühle weg zu pusten. Es fühlte sich alles so zerbrechlich an. Der letzte Bilderrahmen lag nun in dem großen Karton. Etliche grüne Augen blickten ihn an, es fröstelte ihn. Schnell klebte er den Karton zu und trug ihn auf den Speicher. Vielleicht würde er sie irgendwann wieder aufstellen, vielleicht würden sie auch für immer hier oben stehen. Es lag nicht in seiner Macht dies zu entscheiden, zumindest fühlte es sich nicht so an. Weitere Nächte mit wenig Schlaf und vielen Träumen folgten. Nachdem er die Schlagzeilen über Bela gelesen hatte, dachte er nicht weiter darüber nach, informierte sich nicht einmal über Belas Zustand, er hatte es soweit verdrängt, doch diese Träume holten all seine Ängste und die große Neugier wieder hervor. So konnte er es nicht lassen, sich im Kiosk die Klatschblätter etwas genauer an zu schauen, nach Hinweisen über seinen Ex-Schlagzeuger zu suchen. Zu seiner Überraschung (und Erleichterung) fand er nichts. Doch seine Neugier schrie weiter, wollte wenigstens einen kleinen fetzen an Information haben. Die einzige Chance diese Neugier zu stillen war der Kontakt in Richtung Bela. Es bereitete im Bauchschmerzen. Er selbst müsste ja nicht einmal mit dem Schwarzhaarigen reden, es gab genügend "alter Freunde" die sicherlich mehr über Bela wussten. Doch selbst das war für ihn schon zu viel, er fühlte sich nicht gut dabei, aber seine Neugier siegte immer, das wusste er. War es auf Reisen, bei der Musik, bei Frauen oder bei Bela. Schließlich war es seine Neugier mehr über diesen komischen Punk zu erfahren die den Anfang ihrer Freundschaft stellte. Also würde er wohl nachgeben und seine "alten Freunde" besuchen.

Zufall

Wahrscheinlich ging es Bela nie so schlecht wie diese Klatschblätter es dargestellt hatten. Denn das diese Klatschblätter gerne mal übertrieben war ihm durchaus klar, dennoch musste es Bela schon ziemlich mies gehen. Als er Bela das letzte Mal gesehen hatte, waren bestimmt Alkohol und Drogen Schuld an seinem unkoordinierten Bewegungen auf der Bühne. Schuld, dass die Songtexte nur schwer und unverständlich aus seinem Mund drangen. Eine kleine Stimme meldete sich in seinem Hinterkopf und meinte nur, dass das ja irgendwann so enden musste mit ihm. Mit einem tiefen Atemzug wurde die Stimme zum schweigen gebracht. So wollte er nicht über seinen ehemals besten Freund denken, auch wenn dies eigentlich der Wahrheit entsprach. So ging er nach Hause und versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass mit Bela alles in Ordnung war, dass er sich keine Gedanken mehr um ihn machen musste, dass er nun endlich wieder in Ruhe schlafen und leben konnte.
 

Auf dem Weg zurück lies er sich von allem ablenken was er sah. Ein Hund, ein ausgefallener Briefkasten, ein spießiger Briefkasten, ein krummer Baum, ein Stein. Es half nichts. Die Gedanken kreisten wieder. An etwas anderes denken war scheinbar nicht möglich und so griff er direkt nach dem Hereinkommen zum Telefon. Aber nicht etwa um alle Krankenhäuser abzutelefonieren, zu fragen wo ein gewisser Bela B. lag, sich nach seinem Zustand zu erkundigen und sich vielleicht sogar wieder zu versöhnen, nein so einfach machte er es sich selbst nicht. Er wählte die Nummer von Beckmann, immerhin waren sie schon lange befreundet und hatten ebenso lange nicht mehr miteinander gesprochen. Das Beckmann in Belas Band mitspielte war dabei reiner Zufall.
 

„Ja“, das „a“ ein bisschen lang gezogen, aber die Stimme war Farin sofort vertraut.

„Jan hier“.

„Hey Mann, lang nichts mehr von dir gehört. Was verschafft mir die Ehre?“, ein freundlicher Ton schwang ihm aus dem Hörer entgegen.

Er war sichtlich angespannt, überlegte lange was er sagen sollte, damit er den eigentlichen Grund des Anrufs nicht verriet.

„Hey, ich wollte nur mal hören wie es dir so geht…“. Beckmann fing an davon zu reden wie es ihm ging, was er gerade machte und Farin hoffte nebenher was von Bela zu erfahren. Doch Beckmann meinte nur, dass sie momentan eine kleine Pause mit der Band einlegen würden, um mal wieder ein bisschen zu relaxen. „Gelogen!“, dachte sich Farin nur, hörte weiter aufmerksam zu und suchte die passende Frage um wenigstens ein bisschen was über Bela in Erfahrung zu bringen, ohne dabei zu neugierig zu wirken.

Nach ein wenig Smalltalk hatte er immer noch nichts erfahren und immer noch keine passende Frage gefunden.

„Hast du nicht Lust nachher mal vorbeizukommen? Wir könnten ein bisschen was zusammen klimpern. So wie in den alten Tagen“, die Frage traf ihn völlig unvorbereitet und ehe er darüber nachdenken konnte, ob das eine so gute Idee war hörte er sich schon zustimmen.

„Ja klar, dann komm ich vorbei. So um 18 Uhr?“.

„Wenn das nicht zu spät für dich ist…“

„Haha, inzwischen kann ich sogar schon bis 20 Uhr aufbleiben…“.

Beckmann hatte sich schon immer darüber lustig gemacht, dass Farin gerne früher ins Bett ging und nicht jede zweite Nacht durchmachte. Er nahm es mit Humor, sich aufzuregen hatte da keinen Sinn.

„Dann bis nachher.“, und sobald Farin den Hörer wieder auflegte schienen tausend Stimmen aufzuschreien.

„WAS IST MIT BELA?“
 

Das Treffen mit Beckmann verlief nicht ganz so wie er es sich erhofft hatte, aber er musste zugeben, dass er die Zeit genossen hatte. Auch wenn ständig eine Stimme "Bela?" zu fragen schien. Er war auf dem Weg zu seinem Auto, er konnte es schon sehen, als ihn jemand von hinten anpöbelte.

"Einfach ignorieren", dachte er sich und setzte seine Füße nun schneller voreinander. Die Stimme wurde wütender und lauter. Bevor er sich umdrehen konnte um die Quelle ausfindig zu machen, fühlte er wie zwei Hände seinen Rücken berührten um ihm einem kräftigen Stoß zu verpassen.

"Sag mal geht's noch?", doch als er sich herumdrehte um dieses Arschloch noch weiter zu beschimpfen, blieb ihm jede Beleidigung im Halse stecken. War das etwa Bela's Bandkollege? Oder war es nur wieder reiner Zufall dass dieser Mann dem Gitarristen so ähnlich sah?
 

„Willst du ihm jetzt auch noch den Bassisten nehmen?“

„Entschuldigung, aber kennen wir uns?“

„Tu nicht so scheinheilig. Wir kennen uns, haben uns schon öfters gesehen, aber wahrscheinlich warst du immer damit beschäftigt deinen „besten“ Freund zu ignorieren.“

Das Wort „besten“ wurde sehr deutlich in Anführungsstriche gestellt.

„Erstens ist er nicht mein bester Freund, nicht mehr und zweitens lass ich mich nicht auf offener Straße so anpöbeln!“, damit drehte Farin sich um, lief mit schnellen Schritten zum Auto.

„Du wirst dran schuld sein wenn Bela stirbt. Du ganz allein. Denkst du, du kannst damit Leben?“

Die Worte hatten ihn noch erreicht bevor er in sein schützendes Auto steigen konnte. Auf der Heimfahrt sagte er sich immer wieder, dass es nicht so war, dass ihn keine Schuld traf. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich. Doch immer lauter wurde diese Stimme, welche Rodrigo recht gab.

„Du bist schuld wenn Bela stirbt!“

Doch was sollte er jetzt noch machen. Bela lag wohlmöglich noch im Krankenhaus und wahrscheinlich ging es ihm noch nicht besser, sonst wäre er eben nicht so beschuldigt worden. Sollte er zu Bela fahren, alles vergessen, ihm verzeihen für all seine Dummheiten und alles würde so wie früher sein?

Oder sollte er einfach damit abschließen. Endlich erkennen, dass es nicht seine Schuld war, dass Bela nicht mehr in sein Leben gehörte?

Es schien als würde der Zufall ihn verfolgen, dann nun fand er sich an einer Kreuzung wieder, die Ampel rot. Schilder die ihm den Weg zeigten. Rechts führte die Straße zu einem Krankenhaus, links in Richtung Flughafen, geradeaus lag sein Haus. Welchen Weg sollte er nun nehmen?
 

Die Ampel sprang um auf grün, er setzte den Blinker und fuhr los.

Jetzt oder nie

Wenige hundert Meter trennten ihn noch von seinem Ziel. Er konnte die Umrisse des großen Gebäudes schon erkennen. Im Hintergrund tauchte währenddessen die Abendsonne den Himmel in die verschiedensten Rottöne. Als Jan aus dem Fenster schaute entdeckte er am wolkenlosen Abendhimmel ein Flugzeug, welches wohlmöglich auf der Reise in den Süden war. Er seufzte kurz und verlor sich mit seinen Gedanken in der Vorstellung ebenfalls in diesem Flugzeug zu sitzen. Weit weg von hier, weit weg von dem, was ihn hier gleich erwarten würde. nur Sekunden ist er abgelenkt. Es sind aber jene Sekunden die genügen, um die rote Ampel vor ihm zu übersehen. Sekunden die ausreichen um den Lkw-Fahrer keine Chance zu geben noch rechtzeitig abzubremsen oder auszuweichen. Ein paar Sekunden die alles verändern.
 

Das letzte was Jan sieht, sind die großen Scheinwerfer. Das letzte was er hört, ist das wilde Gehupe, das zerbrechende Glas und Blech, welches durch die Wucht des Aufpralls verformt wird. Mit einem Mal wird alles still um ihn, Farben verblassen, alles wird schwarz. Jan schließt seine Augen und lässt los…
 

Langsam öffnet er seine Augen. Was er erwartet sind Menschen, die hektisch umherlaufen, Sanitäter die mit ihm reden, Blaulichter und Blut. Doch alles was er sieht sind Menschen die lachen, Spaß haben, Pogo tanzen, Bier trinken und Mädchen anbaggern. Zumindest sieht es danach aus, kann er doch keine Gesichter erkennen, die Bewegungen sind eingefroren, aber er erinnert sich an diesen Ort. Wie könnte er ihn auch jemals vergessen? Hier hatte er damals Dirk kennen gelernt. Hier hatte damals alles angefangen. Neugierig schaut er sich um. Alles ist so wie damals. Das Licht leicht gedämpft, die Dekoration schon ein wenig verstaubt, Tische und Stühle stehen an der Seite um Platz zum tanzen zu haben und dann entdeckt er ihn. Grinsend lehnt er an der Wand, schaut rüber zur Bar, die Hände stecken lässig in den Hosentaschen. Als er dem Blick folgt entdeckt er einen blonden Hünen mit struppeligen Haar, eine schlanke Figur. Das war eindeutig er selbst, vor gut 9 Jahren.
 

„Ich hatte schon ein wenig Angst davor dich anzusprechen.“

Er zuckt leicht zusammen, kann im ersten Moment nicht ausmachen aus welcher Richtung die Stimme kommt, aber er weiß ganz eindeutig, dass diese zu Dirk gehört.

„Immerhin hättest du mich auch locker zusammenschlagen können.“

Noch immer keine Spur von ihm.

„Aber als ich dann das Glas Wasser vor dir gesehen hab, da musste ich dich einfach mal anquatschen.“

Mit den letzten Worten spürte er ihn endlich neben sich, konnte seine Atmung hören, seinen Duft wahrnehmen.

„Ich wollte dich besuchen.“

„Ich weiß…“

„Ich war auf dem Weg zu dir, aber…“

„Weißt du was ich immer noch nicht verstehe? Warum haben wir Hans überhaupt so lange in der Band behalten? Ich meine der Typ war doch wirklich total falsch und Bass spielen konnte der auch nicht wirklich.“

„Dirk, jetzt hör mir doch mal zu!“

Erst jetzt drehte er sich zur Seite, schaute dem Kleineren in die Augen und packte ihn fest an den Schultern.

„Du musst dich nicht entschuldigen oder erklären. Das ist doch alles vorbei. Du siehst gut aus.“

Beiläufig hatte er sein Kompliment ausgesprochen, doch Jan nahm es gar nicht wahr. Er wollte ihm doch alles erklären, sich mit ihm versöhnen.

„Glaub mir, das ist jetzt alles unwichtig. Die ganze Sache ist vergeben und vergessen.“

Ungläubig schaute er ihn an, sein Griff wurde lockerer und Dirk löste sich schließlich aus daraus.

„Er hatte einen Bus.“

„Ach ja, der Bus…“

„Das war wahrscheinlich das Beste an ihm.“, er grinste und schloss den Kleineren fest in seine Arme.

„Vergiss nicht den Probekeller.“, nuschelte dieser nur in die Halsbeuge des Größeren.

„Damals hielt ich das alles für ’ne gute Idee…“

„Was?“

„Naja die Trennung, die neue Band, das neue Leben, das neue Haus, die neuen Freunde.“, er pausierte und augenblicklich umschlang die Beiden diese Stille hier.

„Aber es war keine gute Idee.“

„Stimmt.“

„Ich meine, ich liebe mein Haus, aber mir fehlt mein altes Leben, die alten Freunde, die Band. Du.“

„Warte mal, du hast ein Haus? Seit wann denn das? Wo? Alleine? Warum? Mit Vorgarten und so?“

„Ja. 2 Jahre. Auf’m Dorf. Ja. Darum. Ja.“

„Aha, wenn du dir jetzt noch eine Frau suchst und einen Hund kaufst, kannst du endlich das Spießerleben führen wovon wir immer geträumt haben.“

„Haha, sehr witzig.“

„Hast du Gartenzwerge im Vorgarten?“

Diese Frage würdigte er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie schwiegen kurz. Jan schaute sich um, entdeckte die einzelnen Gesichter der restlichen Leute hier. Am anderen Ende des Raumes meinte er sogar eine Bewegung ausmachen zu können.

„Das hat mir gefehlt.“

„Mir auch.“

„Ich hätte mich melden müssen.“

„Nein, ist schon okay.“

„Aber es ist doch meine Schuld.“

„Nein, es war dein gutes Recht auch mal einen anderen Weg auszuprobieren. Niemand hat dich gezwungen ewig mit mir in einer Band zu spielen, ewig dieses eine Leben zu führen.“

„Trotzdem“

„Jetzt häng doch nicht so in der Vergangenheit rum, lass uns doch das Jetzt und Hier genießen.“, er schnappte sich die Hand des Blonden und zog ihn auf die Tanzfläche. Schnell fand Dirk einen Rhythmus zu dem er sich scheinbar bewegte.

„Äh, Felse…“

„Was ist? Tanz doch mit.“

„Die Musik ist aus.“

„Du musst nur genau hinhören, spürst du nicht den Bass?“

Er hörte und spürte nichts. Nur die Stille, die sich lähmend um ihn legte. Dirk tanzte weiter, schloss dabei die Augen und lies sich einfach treiben. Jan tat es ihm gleich. Er schloss die Augen und versuchte die Musik zu hören, doch alles was er wahrnahm war Kälte und ein leises Piepsen in seinem Ohr. Dann spürte er Dirks Hände an seinen Handgelenken, wie er seine Arme im imaginären Takt bewegte und langsam spürte er den Bass, hörte ein Schlagzeug, welches den Beat vorgab. Als er die Augen wieder öffnete, da war der Raum zum Leben erwacht. Leute pogten, tranken Bier, unterhielten sich und hatten Spaß. Jan musste grinsen und tanzte mit, mit den Leuten, mit der Musik und vor allen Dingen mit Dirk, mit seinem Dirk.
 

Es kam ihm wie Stunden vor, in denen sie sich einfach im Takt der Musik bewegten, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Doch plötzlich hörte Dirk auf zu tanzen, er atmete schwer. Er beugte sich zu Jan um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.

„Schön, dass wir uns noch mal gesehen haben, aber es ist besser wenn ich geh.“

Langsam schritt er Richtung Tür, drückte diese auf und schenkte Jan, seinem Jan, einen letzten Blick zu.

„Lass los!“, flüsterte er sehnsüchtig.
 

Bevor er gänzlich aus dem Raum verschwand, erwachte Jan aus seiner Trance.

„Warte!“, seine Worte kämpften gegen die voll aufgedrehten Boxen an und gewannen anscheinend, denn Dirk hielt mit seinen Bewegungen sofort inne. Schnell stand der Blonde ebenfalls an der Tür, zielsicher griff er nach der Hand des Kleineren.

„Ich komm mit.“

„Wenn du gehst, du verstehst, es gibt kein zurück!“
 

Noch einmal drehte Jan sich um, entdeckte wieder den jungen Dirk, wie er sich schwungvoll von der Wand abstieß und auf die Bar zuging. Der Kleinere neben ihm folgte seinem Blick, sah wie sein jüngeres Ich schüchtern diesen blonden Hünen an der Bar ansprach. Ihre Blicke trafen sich, ein kurzes Lächeln, noch ein letztes Mal diesen Moment hier genießen und dann traten sie zusammen auf die Straße, der Sonne entgegen, begleitet von einem durchdringenden piepsenden Geräusch.
 

Into the great wide open

Under them skies of blue

Out in the great wide open

Rebells without a clue



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von: abgemeldet
2013-06-11T19:39:42+00:00 11.06.2013 21:39
Ich bin gerade auf diese FF gestoßen. Einfach nur total genial *-*
Hab sie mir jetzt in einem Rutsch durchgelesen und muss sagen, ich will unbedingt dass es weiter geht!
Jaa, auch wenn die letzte Aktualisierung "etwas" her ist. Bitte ._. ♥
lg :)
Von: abgemeldet
2010-11-11T14:32:35+00:00 11.11.2010 15:32
*/////*
es geht weiter *freu*
endlich, ich hab schon fast nicht mehr daran geglaubt!!!
und jetzt tut mir jan iwie leid obwohl ich nicht verstehen kann, warum er nicht einfach zu bela geht und mit ihm redet.... *seufz*
aber sonst wäre es ja nicht so emotional *-*
ach ich liebe diese story und ich bin so froh, dass es weitergeht, weil jan ja vllt doch kontakt zu bela aufnimmt und die beiden sich annähern udnso xDD
ich freu mich jetze schon ^^
ich hoffe es geht schnell weiter *gg*
lg ;)
Von: abgemeldet
2010-01-09T13:01:32+00:00 09.01.2010 14:01
*schluchz*
Der Brief...
Fu muss ja echt leiden, wenn er so gefühlvoll schreibt und so...
Und dass er dann diese Schlagzeile liest *schauder*
SChreib bitte schnell weiter^^

lg ;)
Von:  BelaFarinRod4ever
2009-10-13T21:55:04+00:00 13.10.2009 23:55
Bitte bitte schnell weiter!!
Ist nämlich echt klasse geschrieben und interessant!!
Armer Bela! =(
Bitte bitte weiteeeer

Lg
Von: abgemeldet
2009-10-05T05:58:30+00:00 05.10.2009 07:58
Süß Geschrieben. ^^
Vor allem der Brief *schluck*
Nur würde mich seeeeeeehr interessieren wie sowas weitergeht xD
*Gartenzaunrausreißunddamitwinkentu* ^^
Von: abgemeldet
2009-08-22T19:24:45+00:00 22.08.2009 21:24
Krass, mal ein ganz anderer Blickwinkel, in dem man Farin beleuchten könnte ^^ Echt gut geschrieben!!
Von: abgemeldet
2009-05-17T12:06:15+00:00 17.05.2009 14:06
Der arme bela *erstmal ne schweigeminute einleg*
.
.
.
Er tut mir so leid. du bist echt sadistisch!!!
*bela in den arm nehm*
Musst du ihn denn so leiden lassen und ihn immer mehr in die drogensucht stürzen?

trotz alledem - oder vllt gerade deshalb? - ich liebe diese FF^^
Und ich freu mich schon tierisch drauf wies weiter gehen wird *g+

LG
Vanitas
Von: abgemeldet
2009-05-14T19:54:37+00:00 14.05.2009 21:54
guten abend. :)

oh man, bela ist wirklich fertig mit sich und der umwelt. ich hoffe doch, dass nicht was wirklich schlimmes passiert.
entweder würde ich ihn gerne schlagen - wegen der drogen - oder in den arm nehmen - weil er mir so leid tut.

ich bin echt fasziniert von dieser ff und kritik habe ich wirklich keine. :)
finde das thema total spannend und bin gespannt wie es weitergeht.

liebe grüße
klein *farfu-chan*
Von: abgemeldet
2009-03-02T17:34:33+00:00 02.03.2009 18:34
Also erstmal tut mir Bela leid
*mitleid empfinden tu* *ihn in den Arm nehmen will*
Warum muss er sich auch so in die Drogen stürzen...
Und warum kann er nicht auf rod hören?

Das Ende ist süß^^
Also da wo Bela sich eingesteht, dass er jan wirklich braucht^^

Du hast nen schönen Schreibstil und ich freu mich schon drauf wies weitergeht^^
Lg
Von: abgemeldet
2009-02-25T22:22:01+00:00 25.02.2009 23:22
hallo,
hab alle drei teile auf einen rutsch gelesen. ich finde du hast einen schönen stil und ich hab eigentlich gar nichts zu meckern. :) ich finde es toll wie du belas gefühle beschreibst, so intensiv und auch nachvollziehbar. hab eine richtige gänsehaut.
nun haste einen kleinen fan gefunden.
bin gespannt wie es nun weitergeht.

grüße,
*farfu-chan*


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