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Niemand

von

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Jetzt oder nie

Wenige hundert Meter trennten ihn noch von seinem Ziel. Er konnte die Umrisse des großen Gebäudes schon erkennen. Im Hintergrund tauchte währenddessen die Abendsonne den Himmel in die verschiedensten Rottöne. Als Jan aus dem Fenster schaute entdeckte er am wolkenlosen Abendhimmel ein Flugzeug, welches wohlmöglich auf der Reise in den Süden war. Er seufzte kurz und verlor sich mit seinen Gedanken in der Vorstellung ebenfalls in diesem Flugzeug zu sitzen. Weit weg von hier, weit weg von dem, was ihn hier gleich erwarten würde. nur Sekunden ist er abgelenkt. Es sind aber jene Sekunden die genügen, um die rote Ampel vor ihm zu übersehen. Sekunden die ausreichen um den Lkw-Fahrer keine Chance zu geben noch rechtzeitig abzubremsen oder auszuweichen. Ein paar Sekunden die alles verändern.
 

Das letzte was Jan sieht, sind die großen Scheinwerfer. Das letzte was er hört, ist das wilde Gehupe, das zerbrechende Glas und Blech, welches durch die Wucht des Aufpralls verformt wird. Mit einem Mal wird alles still um ihn, Farben verblassen, alles wird schwarz. Jan schließt seine Augen und lässt los…
 

Langsam öffnet er seine Augen. Was er erwartet sind Menschen, die hektisch umherlaufen, Sanitäter die mit ihm reden, Blaulichter und Blut. Doch alles was er sieht sind Menschen die lachen, Spaß haben, Pogo tanzen, Bier trinken und Mädchen anbaggern. Zumindest sieht es danach aus, kann er doch keine Gesichter erkennen, die Bewegungen sind eingefroren, aber er erinnert sich an diesen Ort. Wie könnte er ihn auch jemals vergessen? Hier hatte er damals Dirk kennen gelernt. Hier hatte damals alles angefangen. Neugierig schaut er sich um. Alles ist so wie damals. Das Licht leicht gedämpft, die Dekoration schon ein wenig verstaubt, Tische und Stühle stehen an der Seite um Platz zum tanzen zu haben und dann entdeckt er ihn. Grinsend lehnt er an der Wand, schaut rüber zur Bar, die Hände stecken lässig in den Hosentaschen. Als er dem Blick folgt entdeckt er einen blonden Hünen mit struppeligen Haar, eine schlanke Figur. Das war eindeutig er selbst, vor gut 9 Jahren.
 

„Ich hatte schon ein wenig Angst davor dich anzusprechen.“

Er zuckt leicht zusammen, kann im ersten Moment nicht ausmachen aus welcher Richtung die Stimme kommt, aber er weiß ganz eindeutig, dass diese zu Dirk gehört.

„Immerhin hättest du mich auch locker zusammenschlagen können.“

Noch immer keine Spur von ihm.

„Aber als ich dann das Glas Wasser vor dir gesehen hab, da musste ich dich einfach mal anquatschen.“

Mit den letzten Worten spürte er ihn endlich neben sich, konnte seine Atmung hören, seinen Duft wahrnehmen.

„Ich wollte dich besuchen.“

„Ich weiß…“

„Ich war auf dem Weg zu dir, aber…“

„Weißt du was ich immer noch nicht verstehe? Warum haben wir Hans überhaupt so lange in der Band behalten? Ich meine der Typ war doch wirklich total falsch und Bass spielen konnte der auch nicht wirklich.“

„Dirk, jetzt hör mir doch mal zu!“

Erst jetzt drehte er sich zur Seite, schaute dem Kleineren in die Augen und packte ihn fest an den Schultern.

„Du musst dich nicht entschuldigen oder erklären. Das ist doch alles vorbei. Du siehst gut aus.“

Beiläufig hatte er sein Kompliment ausgesprochen, doch Jan nahm es gar nicht wahr. Er wollte ihm doch alles erklären, sich mit ihm versöhnen.

„Glaub mir, das ist jetzt alles unwichtig. Die ganze Sache ist vergeben und vergessen.“

Ungläubig schaute er ihn an, sein Griff wurde lockerer und Dirk löste sich schließlich aus daraus.

„Er hatte einen Bus.“

„Ach ja, der Bus…“

„Das war wahrscheinlich das Beste an ihm.“, er grinste und schloss den Kleineren fest in seine Arme.

„Vergiss nicht den Probekeller.“, nuschelte dieser nur in die Halsbeuge des Größeren.

„Damals hielt ich das alles für ’ne gute Idee…“

„Was?“

„Naja die Trennung, die neue Band, das neue Leben, das neue Haus, die neuen Freunde.“, er pausierte und augenblicklich umschlang die Beiden diese Stille hier.

„Aber es war keine gute Idee.“

„Stimmt.“

„Ich meine, ich liebe mein Haus, aber mir fehlt mein altes Leben, die alten Freunde, die Band. Du.“

„Warte mal, du hast ein Haus? Seit wann denn das? Wo? Alleine? Warum? Mit Vorgarten und so?“

„Ja. 2 Jahre. Auf’m Dorf. Ja. Darum. Ja.“

„Aha, wenn du dir jetzt noch eine Frau suchst und einen Hund kaufst, kannst du endlich das Spießerleben führen wovon wir immer geträumt haben.“

„Haha, sehr witzig.“

„Hast du Gartenzwerge im Vorgarten?“

Diese Frage würdigte er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie schwiegen kurz. Jan schaute sich um, entdeckte die einzelnen Gesichter der restlichen Leute hier. Am anderen Ende des Raumes meinte er sogar eine Bewegung ausmachen zu können.

„Das hat mir gefehlt.“

„Mir auch.“

„Ich hätte mich melden müssen.“

„Nein, ist schon okay.“

„Aber es ist doch meine Schuld.“

„Nein, es war dein gutes Recht auch mal einen anderen Weg auszuprobieren. Niemand hat dich gezwungen ewig mit mir in einer Band zu spielen, ewig dieses eine Leben zu führen.“

„Trotzdem“

„Jetzt häng doch nicht so in der Vergangenheit rum, lass uns doch das Jetzt und Hier genießen.“, er schnappte sich die Hand des Blonden und zog ihn auf die Tanzfläche. Schnell fand Dirk einen Rhythmus zu dem er sich scheinbar bewegte.

„Äh, Felse…“

„Was ist? Tanz doch mit.“

„Die Musik ist aus.“

„Du musst nur genau hinhören, spürst du nicht den Bass?“

Er hörte und spürte nichts. Nur die Stille, die sich lähmend um ihn legte. Dirk tanzte weiter, schloss dabei die Augen und lies sich einfach treiben. Jan tat es ihm gleich. Er schloss die Augen und versuchte die Musik zu hören, doch alles was er wahrnahm war Kälte und ein leises Piepsen in seinem Ohr. Dann spürte er Dirks Hände an seinen Handgelenken, wie er seine Arme im imaginären Takt bewegte und langsam spürte er den Bass, hörte ein Schlagzeug, welches den Beat vorgab. Als er die Augen wieder öffnete, da war der Raum zum Leben erwacht. Leute pogten, tranken Bier, unterhielten sich und hatten Spaß. Jan musste grinsen und tanzte mit, mit den Leuten, mit der Musik und vor allen Dingen mit Dirk, mit seinem Dirk.
 

Es kam ihm wie Stunden vor, in denen sie sich einfach im Takt der Musik bewegten, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Doch plötzlich hörte Dirk auf zu tanzen, er atmete schwer. Er beugte sich zu Jan um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.

„Schön, dass wir uns noch mal gesehen haben, aber es ist besser wenn ich geh.“

Langsam schritt er Richtung Tür, drückte diese auf und schenkte Jan, seinem Jan, einen letzten Blick zu.

„Lass los!“, flüsterte er sehnsüchtig.
 

Bevor er gänzlich aus dem Raum verschwand, erwachte Jan aus seiner Trance.

„Warte!“, seine Worte kämpften gegen die voll aufgedrehten Boxen an und gewannen anscheinend, denn Dirk hielt mit seinen Bewegungen sofort inne. Schnell stand der Blonde ebenfalls an der Tür, zielsicher griff er nach der Hand des Kleineren.

„Ich komm mit.“

„Wenn du gehst, du verstehst, es gibt kein zurück!“
 

Noch einmal drehte Jan sich um, entdeckte wieder den jungen Dirk, wie er sich schwungvoll von der Wand abstieß und auf die Bar zuging. Der Kleinere neben ihm folgte seinem Blick, sah wie sein jüngeres Ich schüchtern diesen blonden Hünen an der Bar ansprach. Ihre Blicke trafen sich, ein kurzes Lächeln, noch ein letztes Mal diesen Moment hier genießen und dann traten sie zusammen auf die Straße, der Sonne entgegen, begleitet von einem durchdringenden piepsenden Geräusch.
 

Into the great wide open

Under them skies of blue

Out in the great wide open

Rebells without a clue



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