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Inspektor Abetse

Der etwas andere Schnüffler
von

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... und die etwas andere Leiche

Hallöle ^^
 

Ja, ich schaffs auch endlich mal, meine Story für Satz 10 endlich fertig abzutippen lol" (Die lag seit Februar fertig auf meinem Schreibtisch, ich war echt nur zu faul / hatte keine Zeit sie abzutippen).

Aber jetzt hab ichs endlich geschafft, und ohne viel weitere Vorrede (eure Geduld werdet ihr brauchen x33):
 

Viel Spaß beim Lesen ^-^
 

~~~
 

Inspektor Abetse

und die etwas andere Leiche
 

Er gab sich ernsthaft Mühe und schien nicht zu begreifen, was für einen lächerlichen Anblick er bot. Immerhin tat er das, was er da tat, gerade zum ersten Mal. Aber scheinbar hatten sich seine Kollegen selbst bei ihren ersten Schießversuchen besser angestellt als er.
 

Amüsiert beobachteten sie ihn, wie er da zehn Meter von seinem Ziel entfernt stand, so verkrampft, als müsse er eigentlich ganz dringend zur Toilette. Seine Walther PPK mit beiden Händen dicht am Gesicht haltend versuchte er zu zielen, schlingerte aber in alle möglichen Richtungen, nur nicht in die Mitte. Als er schließlich abdrückte, hatte der Pappkamerad ein großes Loch direkt in seinem Kopf – allerdings war es nicht das eigene Ziel gewesen, sondern das zwei Plätze weiter.

Schallendes Gelächter erfüllte den Schießstand, das selbst noch durch die fast schalldichten Kopfhörer zu vernehmen war, die der miserable Schütze nach seinem Schuss abnahm. Vereinzelt gab es missbilligende Kommentare, die aber von der ganzen Gruppe der jungen, angehenden Polizisten durch zustimmendes Brummen und heftiges Nicken bestätigt wurden.
 

„Warum will so ein Verlierer wie du eigentlich zur Polizei?“
 

Diese und ähnliche Fragen stellten sie ihm in der nächsten Zeit noch viele Mal. Und nie hatte er auch nur eine einigermaßen schlagfertig wirkende Antwort parat.

Um genau zu sein, hatte er überhaupt keine Antwort parat. Er wusste selbst nicht, warum er ausgerechnet diesen Beruf auserkoren hatte, der zu sein, den er sein ganzes Leben lang ausführen würde.
 

Aber Jahre später erwies sich seine intuitive Entscheidung schlussendlich doch als richtig. Diesen einen Tag würde er nie vergessen. Der Tag, an dem man ihm zum Inspektor der Mordkommission befördert hatte.
 

In seinen Erinnerungen schwelgend bemerkte Inspektor Abetse gar nicht, dass das Polizeiauto, auf dessen Beifahrersitz er saß, zum Stehen gekommen war. Erst, als er die Fahrertür laut zuknallen hörte, schreckte er aus seinen Tagträumen auf.
 

Ausgerechnet jetzt, wo seine herrlichste Erinnerung gerade doch so schön in ihm hochgekommen wäre…
 

Wie öde war doch der Alltagstrott. Schon wieder ein Mordfall. Hatten die Leute in ihrer Freizeit eigentlich nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig niederzumetzeln? Und warum mussten die dann auch immer die Polizei anrufen, als ob die was dafür könnte…

Aber es half nun einmal nichts. Von irgendjemandem musste die Drecksarbeit ja gemacht werden. Und „dein Freund und Helfer“ war in solchen Sachen leider mehr als nur eine leere Phrase zu Werbezwecken.
 

Sein neuer Assistent war bereits aus dem weiß-grün gestreiften Auto ausgestiegen und hatte die Fahrertür wenig zaghaft zugeknallt.

„Die jungen Leute…“, dachte der Inspektor bei sich. „Noch so voller Elan und Tatendrang.“

Im selben Moment fiel sein Kopf gedanklich auf einen imaginären Tisch. Er hatte sich selbst gerade als „alt“ bezeichnet!
 

Noch ganz in diesem verdrossenen Gedanken verloren stieg der Inspektor aus seinem Auto und hielt, sich an der oberen Türkante festhaltend, inne.

Es war ein schauderhafter Anblick, der sich ihm bot. Zuallererst waren da seine Schuhe, die nun in einer riesigen Schlammlache standen. Kurz zuvor erst hatte es aufgehört zu regnen, daran hätte er denken müssen. Wildleder vertrug sich nie gut mit Wasser, vor allem nicht mit dreckigem.
 

Doch dieser Anblick war nichts gegen das grauenhafte Szenario, dass sich nun vor ihm abspielte: Staub, Dreck, Erde und an vereinzelten Stellen etwas Matsch auf einer weiten, ebenen Fläche verteilt. Das pure Nichts auf zweihundert Quadratmetern, wie im Krater einer Atombombendetonation.

Hi und da lagen vereinzelte Trümmer und Schutt, umgeben von einem sechzig Meter langen, zwei-Mann-hohen Eisenzaun, der einem das Gefühl eines verlassenen Gefängnisses vermittelte, in dem mindestens eine trostlose Seele seit Jahrhunderten einsam und allein herumspukte.

Auf der anderen Seite der viel befahrenen Straße bog gerade ein tiefer gelegter BMW 6er Cabriolet in die Einfahrt einer Aral-Tankstelle ein. Das verwunderte Abetse dann doch, denn die Benzinpreise waren wieder enorm in die Höhe geschossen.
 

Der Inspektor gab der Beifahrertür einen kleinen Hieb und sah dann einen sehr aufgewühlt wirkenden jungen Mann in Arbeiterjeans und einem dreckigen Flanellhemd auf sich zu kommen.

„Sind Sie der Inspektor?“, überfiel er Abetse und setzte, ohne auf eine Antwort zu warten, fort: „Kommen Sie schnell!“
 

Abetse tat wie ihm geheißen und lief im Eilschritt neben dem jungen Mann her, während dieser versuchte, dem Inspektor den Sachverhalt zu erklären, was ihm aber im Halblaufen und aufgrund seiner Aufgeregtheit nicht so recht gelingen mochte.

„Also… Wir wollten gerade das Fundament für mein Haus ausheben – da hinten, sehen Sie? – und da haben wir es gefunden. Es war… grausam.“ Er fröstelte leicht bei dem Gedanken daran. „Aber… Nein, das kann ich nicht erzählen. Schauen Sie es sich am besten selbst an.“
 

Der junge Mann trat an den Abgrund des ausgehobenen Lochs und bedeutete dem Inspektor, der ein paar Meter vorher stehen geblieben war, mit einer ruckartigen Handbewegung zu ihm zu kommen und sich das Spektakel anzusehen.
 

Abetse zögerte. Nicht zu Unrecht.
 

Was würde er da unten sehen, das so schrecklich sein könnte?

Was, wenn der aufgewühlt wirkende, junge Mann nur darauf wartete, Abetse hämisch lachend in die Grube hinab zu stoßen, nur um dann freudig hopsend davonzulaufen?

Vorsichtig und immer noch einen Anschlag auf sich erwartend, tat der Inspektor ein paar Schritte vorwärts und blickte in die doch nicht ganz so tödlich tiefe Versenkung hinab.
 

Was er da sah, ließ ihn allerdings nicht so sehr erschaudern: Dreck, Erde, Ziegel, ein Totenschädel, Steine, eine alleingelassene Schaufel,…

Moment mal.

Inspektor Abetse stieß einen panisch erschrockenen, hohen Laut aus: „Ein Skelett?!“

Der junge Mann neben ihm erschauderte erneut, angesichts dieses acht Oktaven zu hohen Schreckensschreis: „Richtig. Deshalb haben wir Sie gerufen.“

Inzwischen waren noch ein paar andere Polizisten an die Grube herangetreten, unter ihnen auch der Jungassistent des Inspektors, und besahen sich das Spektakel. Ein abgenagtes Skelett war schließlich einmal etwas anderes, im Gegensatz zu den sonst üblichen, öden Leichen.
 

Keine Viertelstunde später waren die Tatortfotografen, sowie die Spurensicherer und Leichenbeschauer schon eifrig am Werk und fotografierten jede Ecke des Tatorts, sicherten alle möglichen Spuren und besahen sich der Leiche – oder, was noch von ihr übrig war. Schließlich zeichneten sie mit weißem Sand um das Skelett herum und transportierten den Knochenhaufen ab, um ihn im Labor näher zu untersuchen.

Für die Zwischenzeit hatte man es Inspektor Abetse überlassen, die Zeugen zu befragen.
 

„Also, meine Herren.“ Mit diesen Worten wandte er sich, bewaffnet mit Notizbuch und Stift, den vier Bauarbeitern und dem Bauherrn zu.

„Wie haben Sie…“ Er suchte kurz nach dem richtigen Wort: „…das Ding gefunden?“

Die fünf dreckbesudelten Männer sahen sich kurz etwas ratlos mit hochgezogenen Augenbrauen an, als ob ihnen diese Frage ziemlich überflüssig vorkam. Schließlich antwortete der junge Bauherr: „Naja, wir haben gegraben, mein Bruder hier…“ Er wies auf einen Mann mit einem langen Pferdeschwanz. „…mit dem Bagger da, und irgendwann haben wir es gefunden.“

„Ahja…“, kommentierte Abetse die Aussage verheißungsvoll, während er sich fleißig Notizen machte. „Und weiter?“
 

Ein kurzes Schweigen.
 

„Ähm… ‚Ende’?“, fügte der Bruder etwas ratlos wirkend hinzu.

Mit ungetrübt penetrant neugierigem Blick hakte der Inspektor allerdings weiter nach: „Was ‚Ende’? Was ist passiert, nachdem Sie das Ding gefunden haben?“

„Nichts.“

„Und was verstehen Sie unter ‚nichts’?“

„Mann, was wollen Sie eigentlich hören?! Wir haben Ihnen doch schon gesagt, wie wir das Skelett gefunden haben. Danach ist nichts mehr passiert, wir haben die Polizei gerufen, und das war’s!“ Der Bruder schien offensichtlich nichts mit Abetses bürokratischer Genauigkeit anfangen zu können.

„Polizei gerufen…“, murmelte der Inspektor mit dem Stift kritzelnd vor sich hin. Er ließ seinen Kugelschreiber klicken.

„Schön, ich glaube, das war es fürs Erste. Ich sehe mich dann mal mit meinem Assistenten noch ein bisschen um.“

Und ohne eine weitere unnötige Frage bedeutete Abetse seinem Assistenten, ihm zu folgen.
 

„Komische Leute…“, murmelte er verschwörerisch vor sich hin. „Sehr verdächtig, Informationen vorzuenthalten. Die müssen wir weiter im Auge behalten.“

Der Assistent nickte – aber nur, um sich nicht ebenfalls verdächtig zu machen.
 

Unverständliche Dinge vor sich hin brummend schritt Abetse mit dem Jungpolizisten im Schlepptau auf dem schlammigen Baugrund auf und ab, besah sich genauestens jedes kleinste Dreckhäufchen – wobei er einmal fast in Katzenkot gestiegen wäre. Er war wild entschlossen, diesen Fall ganz alleine zu lösen.

Gerade beugte er sich über ein Bruchstück einer zertrümmerten Stahlbetonwand, als ihm sein Assistent vorsichtig auf die Schulter klopfte. Abetse wandte sich verwundert zu ihm um: „Wollen Sie etwas?“

„Ähm… Um ehrlich zu sein: ja. Ich hätte da eine Frage…“
 

Unsicher, ob er es sich trauen sollte, diese zu stellen, verfiel er in ein kurzes, betretenes Schweigen – was der Inspektor aber offenbar als Angst vor ihm und seiner Autorität, seiner Erfahrung als überaus erfolgreicher Polizist deutete, da er die Stille mit väterlich wirken sollenden Worten überbrückte: „Natürlich, fragen Sie! Sie müssen ja noch so viel lernen, manchmal vergesse ich das ganz…“
 

Nicht sehr ermutigt von dieser aufmunternden Aussage rang sich der Assistent aber trotzdem dazu durch, seine Frage zu stellen: „Wie wollen Sie nur anhand dieser Trümmer, ohne forensische Hilfsmittel, die Identität des Opfers herausfinden?“

Abetse stutzte. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet, eher mit: „Oh, Inspektor, wie schaffen Sie es nur immer so souverän diese ganzen schwierigen Fälle zu lösen?“
 

„Naja, wir suchen doch einen Mörder, nicht? Und der wird hier sicher irgendwo Spuren hinterlassen haben…“ Bei diesen Worten suchte Abetse wieder den Boden mit seinen Augen ab.

Doch der junge Polizist schien mit dieser Antwort seines Vorgesetzten noch nicht zufrieden gestellt zu sein. Er räusperte sich: „Aber… Entschuldigen Sie, wenn ich Ihr Handeln in Zweifel stelle…“

Den ungläubigen Blick Abetses ignorierend fuhr er fort: „Die Leiche müsste hier ja, rein theoretisch, schon eine ganze Zeit liegen, immerhin ist sie nur noch ein Skelett – in etwa ein bis zwei Jahre. Außerdem wurde das Gelände von den Bauarbeitern gerade umgegraben. Meinen Sie wirklich, da finden Sie Spuren? Und wie wollen Sie den Mörder einer unbekannten Leiche finden?“

„Wenn wir den Mörder gefunden haben…“, gab Abetse fast schon angriffslustig zurück, „…können wir ihn ja fragen, wen er da um die Ecke gebracht hat.“
 

Der Assistent wandte den Kopf in eine andere Richtung, mit einer Miene, als ob er Hopfen und Malz für immer verloren ahnte und murmelte genervt in seinen nicht vorhandenen Bart: „Als ob das funktionieren würde…“

„Wie meinen?“
 

Einen kurzen Moment war der Assistent davor, seinem Vorgesetzten etwas plump seine Meinung zu dieser doch recht unorthodoxen Vorgehensweise zu geigen. Doch dann fiel ihm ein, dass Abetse nun einmal sein Vorgesetzter war, und er ließ es bleiben.
 

Abetse jedoch, etwas verunsichert von diesem bedeutungsschwangeren Schweigen, hatte es gar nicht gern, wenn jemand seine originellen Ermittlungsmethoden nicht zu würdigen wusste, weshalb er, sich rechtfertigend, hinzufügte: „Es mag ja sein, dass man ihnen auf dieser Polizeischule lauter schöne Dinge beigebracht hat. Aber für den wahren Alltag können Sie die sofort wieder vergessen, die taugen nicht einmal was in der Theorie.

Und wenn Sie mir das nicht glauben: Ich habe bisher, in meinen einundzwanzig Dienstjahren, keinen meiner Fälle ungelöst ad acta gelegt, und das spricht dann wohl doch dafür, dass ich alles richtig mache. Oder?“

Theatralisch den Kopf reckend wandte er sich ab und widmete sich nun dem Katzenkot.
 

Sich irgendwie fehl am Platz fühlend machte sich der Assistent auf den Weg zurück zu den anderen Polizisten, um ihnen bei ihrer Arbeit zuzusehen und hoffentlich mehr zu lernen als bei seinem Mentor.

Doch als er wieder am Leichenfundort ankam, tat ihm sich ein Bild größtmöglicher, klischeehaft beamtentypischer Faulheit auf. In einem kleinen Grüppchen standen die Tatortfotografen, Spurensicherer und Leichenbeschauer zusammen und zu ihrem gemütlichen Kaffeekränzchen hätten nur noch ein paar Schokoladendonuts zum Optimum gefehlt.

Doch da der Assistent gerade im Moment auch nicht wirklich etwas Besseres zu tun hatte, gesellte er sich zu ihnen. Vielleicht hatte man ja im aktuellen Fall schon etwas Neues herausgefunden, wobei er das noch vor dem Eintreffen der Untersuchungsergebnisse des Labors sehr bezweifelte.
 

In der Tat bemerkte er schnell, dass das Gesprächsthema der Gruppe sehr weit von Mord entfernt schien – oder zumindest von den schon begangenen.
 

„Was macht er denn jetzt?“, fragte einer der Spurensicherer in die Runde und verengte seine Augen zu Schlitzen, um vermeintlich besser sehen zu können.

Ein Tatortfotograf prustete: „Untersucht der wirklich den Müll, der da liegt? So ein Idiot.“

„Stimmt.“, nickte ein Leichenbeschauer. „Und so etwas wird mit unseren Steuergeldern bezahlt. Da ist jeder Strafzettel einer Politesse ein größerer Nutzen für die Allgemeinheit als der.“

Allgemeines, spöttisches Gelächter erhob sich, in das der Assistent allerdings nicht wirklich miteinstimmen konnte. Egal, wie überheblich oder dilettantisch der Inspektor auch sein mochte, solch boshaftes Geläster hatte selbst Abetse nicht verdient.
 

Gerade als der Assistent dem schlechten Ruf seines Vorgesetzten zu Hilfe kommen wollte, stutzte ein Tatortfotograf beim Anblick des Inspektors: „Wen ruft er denn jetzt an? Scheint ja extrem wichtig zu sein…“

Der Assistent blickte hinüber zu Abetse, der nun wild gestikulierend mit seinem Handy telefonierte und zwischen dem kleinen Häufchen Katzenkot und einer vielfach so großen Anhäufung von Baumüll hin und her schimpfte.
 

Es hatte schon etwas belustigendes, wie er auf und ab schritt und alle paar Meter stehen blieb um, wie es schien, rüde Gesten zu machen, nur um dann weiter stampfend im Kreis zu gehen.

„Ha!“, platzte es plötzlich aus einem der Spurensicherer heraus, „Ich wette, das ist seine Alte, die ihn wegen irgendwas zur Schnecke macht!“

Wieder ertönte schallendes Gelächter von allen Seiten.

„Wahrscheinlich hat er vergessen…“, begann der Leichenbeschauer, als die Gruppe sich wieder halbwegs von ihrem Lachanfall erholt hatte, doch der Assistent unterbrach ihn schneidend: „Jetzt hört doch mal auf!“

Fast schon entsetzt starrten die Polizisten den „Neuen“ an.

„Wie können Sie so über den Inspektor reden? Was hat er Ihnen denn getan?“
 

Eine kurze Pause, in der sich jeder bemühte, sich nicht angesprochen zu fühlen. Eine Betretenheit, die sich aber doch erstaunlich schnell wieder legte.

„Nun ja…“, hob der Rechtsmediziner, der zuvor unterbrochen worden war, mit verschwörerisch klingender Stimme an, verstummte aber schlagartig, als er Abetse auf die Gruppe zustürmen sah, seine Miene von freudigem Triumph gezeichnet. In seiner Hand hielt er etwas, von dem nicht einmal der Assistent wissen wollte, was genau es war.

„Ha!“, hörten sie ihn schon von weitem tönen. Und fast schon erstaunt über sich selbst fuhr er fort: „Ich habe den Fall gelöst!“
 

Die Polizisten mühten sich, sich einen Lachanfall zu verkneifen. Offenbar war dies das Letzte, was sie dem Inspektor zutrauten, eher würde er sich hinter einen Zug schmeißen und dabei sterben, als diesen Fall in nur so kurzer Zeit zu lösen.

Nur der Assistent horchte ehrlich interessiert auf. Denn wenn Abetse Glück hatte und wirklich wusste, was er da tat, konnte er es seinen Kollegen endlich einmal zeigen.

Hoffentlich…
 

„Meine Herren, Sie haben Feierabend. Husch, husch!“ Mit den Händen gestikulierend versuchte Abetse offenbar, die Polizisten mit Windstößen hinwegzufegen, stieß dabei aber nur auf verdutzte Ohren und taube Gesichter.
 

Angelockt von der Menschenansammlung traten nun auch die neugierigen Bauarbeiter hinzu, die scheinbar ebenfalls eine Kaffeepause eingelegt hatten.

„Nun…“, setzte der Leichenbeschauer, der zuvor von Abetses Triumphgeschrei wiederum unterbrochen worden war, an, „Wollen Sie uns die Lösung des Falles vielleicht mitteilen?“

Der Inspektor schien so verblüfft über diesen Einwand, dass es den Assistent nicht verwundert hätte, wenn Abetse dem Gerichtsmediziner ein plumpes „Nö!“ entgegnet hätte. Doch sich noch rechtzeitig daran erinnernd, dass komplizierte Fälle zu lösen sein Beruf, ja, seine Berufung war, begann er meisterdetektivisch den Fall zu rekapitulieren:

„Wir sind heute hierher gerufen worden, um einen äußerst kniffligen Mordfall zu lösen. Wir wussten nicht, wer die Leiche ist, hatten nicht einmal einen Tatverdächtigen, obwohl einige Bauarbeiter sich hierfür als durchaus passend anboten – aber darauf möchte ich später zurückkommen…“

Abetse holte kurz Luft und ließ den Bauarbeitern so Zeit, ihm verärgerte Blicke zuzuwerfen.
 

„Wie Sie sehen, ein Fall ohne Indizien. Man möchte meinen, da sei eine Kapitulation vorherbestimmt.“ Er lächelte überlegen, man möchte gar meinen: überheblich, bevor er fortfuhr: „Doch ich, Conrad Bartholomäus Abetse, Inspektor des Morddezernats…“

„Können Sie vielleicht mal zum Punkt kommen?“, unterbrach der baggerfahrende Bruder die hochjauchzende Eigenhymne des Inspektors, der sich deswegen ziemlich auf den großen Zeh getreten fühlte. Er hatte es nicht gern, wenn man ihn bei seinen Schlussfolgerungen dazwischenredete, besonders an einer so wichtigen Stelle!
 

Äußerst genervt seufzte Abetse auf: „Zu Ihnen komme ich später noch…“ Er besann sich kurz und setzte dann hinzu: „Nein, zu Ihnen komme ich jetzt! Ich habe Sie vorhin noch gewarnt, dass es Konsequenzen haben wird, wenn Sie mir Informationen verschweigen – doch offenbar haben Sie es dennoch getan!“

Der Bruder starrte Abetse mehr als verdutzt an.

„Und jetzt so tun, als wüsste er nichts davon…“, nuschelte der Inspektor gut hörbar in seinen vorhandenen Bart.

„Soll ich Sie ins Bild setzen? Bitte!“ Und mit diesen Worten hob er das unförmige Ding in die Höhe, das er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte.
 

Auf den ersten Blick schien es nur ein dreckiger, schlammiger, kackbrauner Lumpen zu sein, aber genauer betrachtet...

„Eine Handtasche.“, stellte Abetse dramatisch fest. „Eine Handtasche. Zwar nicht in bester Verfassung, aber...“ Unter Ekelbekundungen der Umstehenden griff der Inspektor todesmutig in das Damen-Accessoire hinein und holte ein weiteres, unförmiges Etwas hervor.

„...voller interessanter Dinge.“

„Ahja.“, bekundete der Bruder geringschätzig, „Und was habe ich damit zu tun? Sie glauben doch nicht etwa, dass ich eine Handtasche besitze?“

„Nun haben Sie doch Geduld! Oder freuen Sie sich schon so auf ihre Strafe wegen uneidlicher Falschaussage?“
 

Den unverständigen Blick des Bruders ignorierend fuhr Abetse mit seinen Schlussfolgerungen fort: „In dieser Handtasche finde ich also ein Portemonnaie. Und in diesem Portemonnaie...“, weitersprechend klappte er die Geldbörse auf, „finde ich einen Führerschein. Sofort rufe ich also in der Zentrale an, nur um herauszufinden, dass unser Opfer, Franziska Brunner, 24 Jahre alt, seit fast zwei Jahren vermisst wird und...“
 

Doch an dieser Stelle unterbrach ihn ein Tatortfotograf: „Woher wollen Sie wissen, dass die Person, der dieser Führerschein gehört, auch das Opfer ist? Diese Handtasche kann jedem gehören, vielleicht hat sie ja auch ein Handtaschendieb zur Beweisvernichtung hier entsorgt?“

„Und was habe ich damit zu tun?“, beschwerte sich der Bruder erneut.
 

Abetse zog mit seiner freien Hand ein Notizbüchlein aus seiner inneren Jackentasche hervor, das er bei dieser Gelegenheit mit Matsch bekleckerte.

„Ich möchte Ihre Zeugenaussage rezitieren: Sie haben die Leiche gefunden und dann die Polizei gerufen.“

„Das stimmt auch so.“

„Dann erklären Sie mir bitte einmal Folgendes: Es ist offensichtlich, dass die Handtasche schlammig, also nass ist. Das heißt wiederum, dass sie während des Regens heute schon ausgegraben gewesen war. Und das zeigt doch glasklar, dass sie alle heute mehr getan haben, als eine Leiche zu finden und die Polizei zu rufen!

Sie haben diese Handtasche ausgegraben und sie auf einen Haufen Baumüll geschmissen, den Sie offenbar entsorgen wollten. ‚Warum wollten Sie ein so wichtiges Beweisstück entsorgen?’, fragte ich mich und begann, gegen Sie zu ermitteln und Beweise für Ihre Schuld zu suchen.“

„Jetzt hören Sie aber auf!“, fuhr der Bruder Abetse ins Wort, und sein Pferdeschwanz peitschte drohend. „Sie wollen doch nicht allen Ernstes einem von uns diesen Mord andichten? Nur weil wir Mülltrennung betreiben? Woher sollten wir wissen, dass dieses Stück Dreck…“
 

Doch der Bruder brach sein Geschimpfe abrupt ab, als er sah, dass der Inspektor sein Gesicht in ernst gemeintem Desinteresse abwandte und in einem leichten Singsang murmelte: „Wenn er mich doch endlich einmal ausreden ließe…“

Etwas verunsichert, aber nicht minder genervt verschränkte der Bruder seine Arme und bedeutete Abetse mit einer zuckenden Kopfbewegung, dass er fortfahren könne – aber doch bitte endlich zum Ende kommen solle!
 

„Als ich schließlich mit der Indiziensuche begonnen hatte, musste ich sehr schnell feststellen, dass ich keine Beweise finden konnte, die für Ihre Schuld sprachen. Ganz im Gegenteil.“

Nur schwerlich konnte sich der Bruder ein triumphierendes „Wie auch!?“ verkneifen.
 

„Alles, was ich fand, waren Beweise für die Unschuld von Ihnen allen.“

Abetse legte eine offenbar dramatisch wirken sollende Pause ein, bevor er fortfuhr: „Jetzt fragen Sie sich sicher, warum ich dann behaupte, ich hätte den Fall gelöst. Dazu muss ich allerdings etwas weiter ausholen, denn das, was ich bei meinem Anruf in der Zentrale zu diesem Fall erfahren habe, liegt mehrere Jahre zurück…“

Bei diesen Worten durchzuckte ein großer Seufzer die Gruppe aus Bauarbeitern, Spurensicherern, Tatortfotografen und Leichenbeschauern.

Selbst das zu Beginn so große Interesse des Assistenten ebbte langsam aber sicher ab.
 

„Vor anderthalb Jahren gabelten zwei Streifenpolizisten einen orientierungslos wirkenden, verwirrten und zudem noch stark alkoholisierten jungen Mann in einem Waldstück nicht weit von hier auf. Selbst nach einer erholsamen Nacht in der Ausnüchterungszelle war er immer noch sehr aufgekratzt und behauptete steif und fest, seine Freundin in der Nacht zuvor umgebracht zu haben. Allerdings, und das ist das Entscheidende, wusste er nicht mehr, was er mit der angeblichen Leiche angestellt hatte. Nach einigen Monaten der Suche hatte man immer noch keine Leiche gefunden und der zuständige Richter nahm an, dass die Freundin wohl einfach genug von ihrem verwirrten Freund gehabt hatte und abgehauen war.

Den jungen Mann selbst wies man in eine geschlossene Anstalt ein, da er immer noch darauf beharrte, ein Mörder zu sein, aber so durcheinander war, dass man es ihm nicht glauben mochte.“

Abetse holte tief Luft.

„Aber heute, dank meiner großartigen, ermittlerischen Fähigkeiten, kann diesem jungen Mann, den man all die Jahre über für verrückt gehalten hat, endlich geholfen werden! Denn ich, Inspektor Conrad Bartholomäus Abetse, habe endlich die Leiche seiner ermordeten Freundin gefunden!“
 

Mit der ungestellten Frage auf den Lippen, ob dem verrückten Mörder dadurch wirklich geholfen war, begannen die Polizisten kurze Zeit später mit einem mitleidig-spöttelnden Ausdruck auf ihrem Gesicht ihr Equipment wieder einzusammeln, um endlich Feierabend machen zu können.
 

Der Assistent stand etwas verloren auf dem weiten Baugelände – er hatte ja noch kein Equipment. Und mit seinem Vorgesetzten zurück zum Revier fahren konnte er auch nicht – Abetse musste nämlich gerade eine empörte Standpauke des Bruders über sich ergehen lassen, der immer noch nicht einsehen mochte, welcher „Straftat“ Abetse ihn bezichtigte.
 

Als der Assistent dieses Spektakel einige Zeit beobachtet hatte, trat ein Spurensicherer zu ihm herbei – direkt in ein Häufchen Katzenkot – und sprach, ohne den Assistenten wirklich anzusehen: „Das war heute mal wieder eine Show…“

Der Assistent nickte: „Er hatte schon Glück, dass er die Handtasche mit dem Führerschein gefunden hat. Sonst hätte er den Fall nicht einmal durch ein Wunder gelöst.“
 

„Wunder…“, schnaubte der Spurensicherer spöttelnd. „Als ob er in den letzten Jahren seine Fälle durch Können gelöst hätte…“ Er schüttelte ungläubig den Kopf.

Der Assistent sah ihn mit leicht gerunzelter Stirn an.
 

„Merk dir nur eins: Abetse glaubt nicht an Wunder. Er verlässt sich auf sie.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ito-chan
2009-04-30T21:07:23+00:00 30.04.2009 23:07
Hi DJ ^^

Also mal erst: Ich liebe den Inspektor und habe mich köstlich amüsiert.
Tränen lachend, war es mir leider nicht möglich nach Fehlern zu suchen!
Das ist Taktik, damit ich dich nicht kritisiere, was? xD
Nein, es war genial komisch ^^
Ich finds super ^^

Alles Liebe
Ito
Von: abgemeldet
2009-04-19T20:57:27+00:00 19.04.2009 22:57
Seltsamerweise tat mir Abetse in dieser Geschichte in seiner merkwürdigen Art, die schon an Verblendung grenz und den Spott seiner Kollegen herausfordert, eher leid, als dass ich wirklich darüber hätte lachen können.

Trotzdem oder vielleicht gerade weil es ein klein wenig ernster als in der letzten Geschichte zu ging, war es interessant zu lesen.

Der Assitent hat es mit Sicherheit nicht leicht, bin gespannt wie sich die Beziehung zwischen den Beiden noch entwicklen wird.

lG

Zwiebel
Von:  Sydney
2009-04-19T20:51:44+00:00 19.04.2009 22:51
Zu Anfang muss ich gleich mal klugscheißen. Die "Standardwaffe" der Polizei heißt Walt!h!er PPK.

Was mir gleich am Anfang gut gefallen hat, ist die Gleichgültigkeit bzw. "Unaufgeregtheit" mit der der Inspektor zur Arbeit kommt. Die Abgebrühtheit mit der er denkt ist interessant.
Was amüsant ist, ist der schockierte Hausbauer, der auf die Leiche gestoßen ist.

[...]„Ähm… ‚Ende’?“, fügte der Bruder etwas ratlos wirkend hinzu.
Mit ungetrübt penetrant neugierigem Blick hakte der Inspektor allerdings weiter nach: „Was ‚Ende’? Was ist passiert, nachdem Sie das Ding gefunden haben?“
„Nichts.“[...]

Die Stelle hat mir besonders gefallen. Hat irgendwie etwas natürliches, als wäre es direkt aus dem Leben genommen. Otto-Normal-Bürger trifft auf gründlichen/pedantischen(?) Beamten.

[...]„Was macht er denn jetzt?“, fragte einer der Spurensicherer in die Runde und verengte seine Augen zu Schlitzen, um vermeintlich besser sehen zu können.
Ein Tatortfotograf prustete: „Untersucht der wirklich den Müll, der da liegt? So ein Idiot.“
„Stimmt.“, nickte ein Leichenbeschauer. „Und so etwas wird mit unseren Steuergeldern bezahlt. Da ist jeder Strafzettel einer Politesse ein größerer Nutzen für die Allgemeinheit als der.“
Allgemeines, spöttisches Gelächter erhob sich, in das der Assistent allerdings nicht wirklich miteinstimmen konnte. Egal, wie überheblich oder dilettantisch der Inspektor auch sein mochte, solch boshaftes Geläster hatte selbst Abetse nicht verdient.[...]

Kommt mir hingegen etwas unrealistisch vor. Schließlich ist ja allgemein bekannt, dass Spurensicherung und eben solche Methoden bei Ermittlungen von erheblicher Wichtigkeit sind. Gerade Menschen, die in den Prozess einer Morduntersuchung eingebunden sind, würden da wohl eher nicht spotten.

Der letzte Satz hingegen war wieder genial!



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