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Grau in Grau

Ein normaler Angestellter, grau in grau, mit einem Leben ohne tieferen Sinn, ging durch die Straßen einer namenlosen Stadt. Mitten im Storm der Anderen, lauter graue namenlose Angestellte. Alle waren wie er selbst. Alle mit nur einem Ziel, einem sinnlosen Ziel. „Nur nicht auffallen. Einfach überleben.“ Alle grau in grau. Jeder zweite trug den Scheitel rechts, die Restlichen trugen ihn links. Keine langen Haare, keine stoppligen Bärte. Jeder in frisch gebügelten Anzügen, mit grauen Krawatten, grauen Herrenschuhen. Nur Männer. Die Straßen waren grau, die Häuser, die Autos, die Menschen, alles grau in grau. Eine zähflüssige Masse, die sich durch die Straßen walzte. Auch der eine Angestellte war ein Teil des Ganzen. Ging geschäftig, ohne etwas vor zuhaben. Ohne ein wahres Ziel. Er ging einfach nur. Dann ein kurzer Blick. Seine trüben Augen erblickten, mitten auf der Straße, eine Frau. Eine junge Frau. Er spürte tief in seinem Herzen ein Gefühl. Es war intensiv. Es war für ihn unbekannt. Sie war für ihn wunderschön.

Langes braunes Haar fiel in Wellen den Rücken hinab. Locker und offen. Unbegrenzt. Ungebändigt. Ohne Regeln. Sie trug ein langes Sommerkleid, mit Sonnenblumen, ein wundervolles Muster, es ging hinab bis zu ihren Knöcheln. Für nur wenige Sekunden wandte sie sich dem grauen Angestellten zu. Doch reichte dieser kurze Moment, damit sich ihr Gesicht in seine Erinnerungen brannte. Klare blaue Augen, eine feine schmale Nase, leicht gebräunte, wohl samtweiche Haut. Ihre Lippen mit sanftem Rot verziert, welches perfekt mit ihrem Teint harmonierte.

Der Angestellte blieb stehen, er beobachtete sie nur. Die Massen brachen sich an ihm, flossen um ihn herum und kehrten dann in gewohnte Bahnen zurück. Immer weiter voran, sinnlos, ziellos. Die junge Frau schloss ihre Augen, breitete ihre Arme aus, sie schien etwas zu erwarten. Der Angestellte wandte seinen Kopf, er erblickte einen Laster. Er fuhr auf sie zu. Bremste nicht. Er würde sie erwischen, zweifelsohne. Der Angestellte verstand sie nicht. Schnell fiel seine Aktentasche zu Boden. Er kämpfte sich einen Weg durch die Masse, brach aus dem Storm heraus, rannte auf die Straße, warf sein flatterndes und dadurch behinderndes Jackett ab, rannte weiter, erreichte sie, packte sie und stürzte mit ihr auf den Gehweg der anderen Seite. Zurück in den Strom. Der Laster fuhr vorbei, ohne ein Opfer. Er stand auf, zog sie auf die Füße und schrie sie an. Warum wusste er nicht. Er fühlte, als müsste er es tun.

„Warum wollten sie sterben?“

„Ist der Alltag denn besser, als das was folgt, wenn man ihn verlässt?“

Er sah sie fragend an, verstand sie nicht, wusste nicht was sie meinte. Aber bevor ihm die Möglichkeit gegeben war nachzufragen, war sie verschwunden. Wieder in der Masse untergetaucht. Ihre Worte hallten in seinem Kopf wieder, mit diesem Widerhall, kehrte er nach Hause zurück. Das Jackett blieb zurück, es war ihm egal, ebenso wie der Aktenkoffer, der zuvor sein Leben so stark bestimmt hatte.

Nun war die Nacht vorüber, die Sonne stieg über der namenlosen Stadt auf und ein neuer Farbfleck bestimmte das Bild der zähfließenden Masse. Eine blaue Jeans. Ein weißes T-Shirt. Ein Orange-gelbes Hemd, es flatterte leicht. Hellblaue Turnschuhe. Die Anderen, die Grauen, wichen vor dem neuen Fleck zurück. Sie verstanden ihn nicht. Fürchteten ihn. Er war anders.

An der selben Stelle, wie am Tag zuvor, erblickten die klaren Augen des bunten Angestellten, jene Frau, sie war wieder da. Er ging lächelnd auf sie zu. Hatte lange nachgedacht. Hatte sie endlich verstanden. Es war Zeit es zu beweisen. Leicht schaffte er es aus der Masse zu brechen. Kein Kampf. Keine Anstrengung. Er machte seinen Weg. Sie streckte ihre Hand seiner entgegen. Er griff zu. Hand in Hand schlossen beide ihre Augen. Weiteten ihre Arme aus, sie erwarteten den Laster. Sie erwarteten das Ende ihres Alltags.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-11-04T00:14:21+00:00 04.11.2008 01:14
wow..ich habe eine Gänsehaut..es ist so..wunderschön..und so traurig...das ist ja nicht das erste mal, dass es so ist..kein Happy End..oder doch? naja...wie man es sehen möchte...
Besonders das Motto hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen..es schmeckt schon etwas bitter, wenn einem dieses Motto bekannt vorkommt...ich liebe deine Ellipsen..


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