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Elementaris

die Geschichte der Elemente
von

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Vom Leben der Elemente

Prolog
 

Feuer, Wasser und Erde vereinen sich,

vom Licht der Unendlichkeit erlöse ich dich,

Feuer brennt und Wasser fließen,

auf der Erde das Leben entwickelt sich,

und auf den Wiesen Gräser sprießen.
 

Elemente entstehen.

Über die kalte Wüste raue Winde wehen,

ein Element erwacht im Schnee.

Und beginnt mit nichts was zuvor gesehen,

alles ist neu.
 

Ein Leuchten erfüllt den Raum mit Glanz,

Die Hoffnung wieder neu gewonnen,

Das Glück sich im Schein des Lichtes sonnen

und doch ist nichts vollkommen

oder ganz.
 

Das Leben gibt Entschlüsse,

welche Elemente schaffen.

Doch weit ab, da sind die Flüsse

und vereint das Eine raffen,

um zum Schluss die Einheit werden.
 

Elemente verbinden sich,

die Erinnerung kommt in der Nacht,

gibt es was dazu gewonnen,

niemand hatte es bedacht,

das Böse liegt sehr tief im Schacht.
 

Was bleibt ist nichts,

denn ohne alles,

geht es tiefer im Raum des Falles,

muss man nichts verborgen halten

und am Ende nichts behalten.
 

Eine Reise in die Morgenröte

Ist der Schlüssel für das Ich.

Viel von dem, was kommen möge,

ist verkommen worden nur durch mich.
 

Feuer brennt und Erde lebt,

Wasser fliest, so war es und so stehts,

doch das Element, was immer bleibt,

ist die Luft, die fliegende Einheit.

Elemente entstehen

Elemente entstehen
 

Der Schnee war kalt. Als sie erwachte, lag sie im Schnee. Sie wusste nichts, gar nichts. Sie wusste nicht, wo sie war, sie wusste weder ihr Alter noch ihre Identität. In ihr war nur eine kalte, tiefe Leere, die ihr mehr schmerzte, als eine weiße, pulverige, samtig weiße Schneedecke.

Über ihr war es Nacht und die Sterne funkelten am Himmel, während der Mond das Mädchen geheimnisvoll erhellte.

Langsam tastete sie sich über ihren fremden Körper. Sie trug ein weißes, seidenes Nachthemd, welches ihren Oberkörper bedeckte und die Hälfte ihrer Beine; die Füße waren nackt, ebenso ihr Kopf und ihre Hände. Sie fror und zitterte am ganzen Leib.

Sie strich mit ihren Händen durch langes, hellblondes Haar, in welchem sich einzelne Schneeflocken verfangen hatten. Ihre zitternde Hand erwärmte die Kristalle bis sie schmolzen und auf den Schnee trafen.

Sie drehte sich um und hockte sich zusammengekrümmt in den Schnee. Sie schaute in den Sternenhimmel. Eine Sternschnuppe huschte geschwind am Himmel vorbei, aber wie konnte sie wissen, was das war und dass man sich etwas wünschen durfte?

Sie schloss die Augen und hoffte innerlich, dass alles nur ein schrecklicher Traum sei, aus dem sie nur noch erwachen musste. Doch ein eisiger Wind holte sie in die Realität zurück, in das, was sie nicht kannte.

Als ihr das bewusst wurde, musste sie weinen. Ihre Tränen schienen wie flüssiges Gold, das ihre Wangen erwärmte und in den Schnee tropfte. Sie musste über das weinen, was nicht da war. Alles, was sie sah, war neu für sie. Es war wie ein Neubeginn. Alles vor ihrem Erwachen im Schnee schien verborgen hinter einer gigantischen Mauer, welche man nicht überwinden konnte. Alles war weiß.
 

Sie wusste später nicht mehr, wie lange sie geweint hatte, aber als sie sich von dem ersten Schock erholt hatte, bemerkte sie durch ihre feuchten Augen einen Fußabdruck im Schnee. Sie lies Ihren Zeigefinger langsam durch die Spur gleiten und blickte dann auf. Sie schaute sich um. Eine Fußspur folgte der Nächsten. Voller Hoffnung raffte sie sich langsam auf und folgte ihnen. Sie führten sie schnurgerade durch die erbitternde, trostlose Eiswüste, welche kein Ende zu finden schien. Bibbernd setzte sie einen Fuß vor den anderen, ehe sie zusammenbrach.

Der Schnee unter ihren Füßen war wie Nadeln, die in ihre Füße stachen. Sie begann, auf allen Vieren zu kriechen und baute sich dann mit aller Kraft und selbstbestimmt wieder auf. Sie musste weiter, nur so hatte sie eine Chance zu überleben.

Der Schnee war weiß, alles war weiß, aber sie fühlte nur grau. Doch wie konnte sie wissen, was grau ist und was weiß?

Wie konnte sie ahnen, wie verloren sie wirklich war?
 

Sie sackte erneut zusammen. Sie blieb eine Zeit lang liegen und rührte sich nicht. Wieder quollen Tränen aus ihren Augen.

Doch ein helles Licht aus der Ferne lies sie verwundert aufblicken. Die Hoffnung eroberte erneut ihren Körper, jetzt stärker als beim ersten Mal. Sie schwankte leicht beim Gehen, aber sie hielt durch, sie wusste sie konnte jetzt überleben.

Wie in Trance glitt sie gespenstig über die Ebene, sie schien alles zu vergessen, wenn es auch nicht viel zu vergessen gab, so spürte sie jedoch nicht mehr den eisigen Schnee unter ihren Füßen, auch die Fußspuren schienen wie weggeblasen.

Noch einmal wäre sie fast zusammengebrochen, doch dann erblickte sie es. Sie stand genau davor, vor einem gigantischen runden Gebäude mit einer Kuppel.

Doch wie konnte sie es denn wissen, was sie hier vor sich sah, wie konnte sie auch nur ahnen, dass es sich hierbei um eine Sternwarte handelte?

Von der oberen von zwei Fensterreihen, die sich unterhalb der Kuppel befanden und den ersten Stock markierten, schimmerte geheimnisvoll helles, neongrün-farbenes Licht hervor. Sie starrte ungläubig mit halb geöffnetem Mund darauf, es war das erste Wunder ihres neuen Lebens.

Sie begann sich langsam dem Observatorium zu nähern.

Die Tür, die sie kurz darauf entdeckte, stand einen kleinen Spalt geöffnet. Auch hier quoll leuchtendes Licht von Innen her in die düsterne Ödnis. Sie ging auf sie zu und legte ihre Hand auf die Tür.

Sie war sich etwas unentschlossen, sie zuckte bei ihrem ersten Versuch ein wenig zurück, in der Angst, in eine Falle zu tappen.

Denn woher auch sollte sie wissen, dass nicht alles, was einem nicht vertraut ist, eine Falle darstellte?
 

Aber Vorsicht war gut, besonders in ihrer Lage. Im Grunde glich ihr Verhalten dem, eines junges, hilfloses Rehkids, das sich nicht zu helfen wusste. Nur dass es um sie noch schlechter stand.

Ihre Sprache hatte sie nicht verloren, denn sie fing an, leise vor sich hin zu flüstern, etwas, das ihr selbst fremd war, sie sprach es heraus ohne es zu wollen. Sie sprach klar und deutlich, sie besaß diese Gabe tatsächlich noch.

Ein Glück.

Sie verstummte und lies ihren Kopf hängen, als wäre sie über etwas traurig. Aber zum traurig sein gab es keinen Grund, worüber konnte man schon jetzt noch traurig sein?

Sie war nur verzweifelt. Über die Leere, darüber, was es nicht gab, war sie verzweifelt.

Und wieder faste sie neuen Mut. Es war das ständige Wechselspiel der zwei Gefühle, das des Nichts und jenes der Hoffnung.

Was konnte es sonst noch geben, was konnte da noch sein? – Sie kam nicht darauf.
 

Feuer.

Wasser.

Erde.

Das Leuchten der Nachtfalter

Das Leuchten der Nachtfalter
 

Bei ihrem zweiten Versuch schaffte sie es. Langsam, jedoch mit einem pochenden Herzen drückte sie die Tür auf. Erst einen Spalt, dann nach und nach immer weiter. Je größer die Öffnung wurde, desto mehr Licht strömte wie entfesselt in die Freiheit und in ihr Gesicht.

Dann war da dieser Raum. Ein weißer, leerer Raum, wohl eher ein Gang. Er glühte regelrecht.

Die Wände, sowie die Decke und auch der Boden bestanden scheinbar nur aus weißem Licht, zu ihren Seiten exsestierte nicht eine einzige Tür.

Am Ende des Ganges jedoch konnte sie etwas Graues, Rostiges vernehmen… vielleicht eine Treppe?

Wie aber konnte sie wissen, welcher Sinn hinter alle dem steckte?

Und woher kam nur dieses Leuchten?

Achtsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Wie ein Fisch vom Fischernetz, wurde sie vom Licht regelrecht gefangen und tauchte darin ein.

Ein leises brummendes Geräusch erfüllte den Raum. Sie zuckte zusammen. Nervös schaute sie sich um. Nichts weiter. Nur dieser Ton.

Sie ging weiter. Bei jedem Schritt auf den Boden ertönte ein heller, kristallklarer Klang, welcher durch den Raum hallte. Und sie war Barfuß.

Der Schnee, der noch an ihr hing, tropfte in Form von Wasser auf den Boden.

Das Licht stach ihr in die Augen und sie kniff sie zusammen.

Überall Licht.
 

Sie erreichte das Ende des Ganges. Ihre Vermutung wurde bestätigt, denn es war in der Tat eine Treppe, die sich gewunden weiter nach oben bahnte. Sie betrachtete die Treppe etwas misstrauisch, doch dann legte sie langsam ihre Hand auf das Geländer. Sie strich darüber. Dann bröckelte etwas von diesem Rost. Sie stach sich an einer Stelle in den Finger. Blut tropfte.

Sie stöhnte leise auf, denn konnte sie sich daran erinnern, wie sich Schmerzen anfühlten?

Konnte sie wissen, was Blut ist, oder die Farbe Rot?

Nein, dass konnte sie nicht.

Doch sie weinte nicht. Stattdessen setzte sie ihren linken Fuß auf die erste Stufe, erst mit wenig Druck, dann kam sie nach und nach mit ihrem ganzen Körpergewicht. Triumphiert über diese erste Leistung machte sie sich an die zweite Stufe und an die dritte und dann immer weiter nach oben, immer weiter… aber wohin…?
 

In einen schwummerigen kleinen Raum. Eine nur noch schwach leuchtende Glühbirne flackerte über alten Holzkisten, verstaubten Karten und einem braunen Holzschreibtisch mit einem Stuhl. Staubweben breiteten sich in so manchen Ecken des Raumes aus, welche vom Licht abwechselnd aufleuchteten und dann erneut wieder abschwächten.

Hätte sie nichts vergessen, wäre sie noch bei Verstand… ja, dann hätte sie ahnen können, dass dies der Raum eines Wissenschaftlers sein könnte, eines Astrologen vielleicht, eines Sternforschers.

Etwas Neues strömte in ihr Gedächtnis, ein neues Erlebnis, ein neuer Eindruck. Es gab da noch mehr, als weiß und rot, es gab Farben, es exsestierte mehr, als Leere und Hoffnung.

Dennoch, die Leere war noch da, viel Platz war noch in ihrem Gedächtnis, zu viel Platz. Und der musste ausgefüllt werden.

Fasziniert schaute sie sich im Raum um.

Plonk! Ein Geräusch. Sie hatte es selbst verursacht, sie war gegen etwas gestoßen, mit ihrem Fuß. Sie schaute darauf. Ein unförmiges Etwas mit leuchtenden Knöpfen und verzwirbelten Drähten lag vor ihr auf dem Boden. Es blinkte und spiegelte sich in ihren Augen, es war so wundersam…

Sie streckte auch hier ihre Hand danach aus. Bevor sie es jedoch berührte, hielt sie zuerst ihre Hände davor, wie eine Wahrsagerin an ihre Kugel.

Schlag! Sie wurde zurückgestoßen. Ein heftiger Schmerz strömte durch ihren Körper. Sie krümmte sich und stöhnte auf. Was war das, wer hatte das getan?

Das Gerät dampfte und der Schmerz schwächte nur langsam ab. Mit geweiteten Augen betrachtete sie es. Sie hatte nicht vor, es noch einmal zu berühren, so groß war ihr Interesse dann doch nicht, aber ihr Verstand.
 

Die Glühbirne begann auf einmal zu zirpen und flackerte stärker denn je.

Klack. Das Licht war aus. Völlige Dunkelheit, bis auf das Sternenleuchten von draußen. Sie konnte sich nicht rühren vor Schreck, sie hatte keine Ahnung, was sie machen sollte, wie sie jetzt den Weg wieder zurück finden sollte.

Plötzlich konnte man Schritte vernehmen, Schritte, welche von der Treppe kamen, es war ein metallenes Geräusch, wie auch sie es ähnlich mit ihren nackten Füßen verursacht hatte. Ein dumpfes Fluchen war zu hören, es kam von einer männlichen Person.

Wie konnte sie wissen, was ein Mann war und was eine Frau?

Wie konnte sie wissen, was noch alles auf sie zu kommen würde?
 

Jetzt war die Stimme direkt hinter ihr, nicht mehr dumpf, sonder hell, klar und deutlich.

„…dieses verdammte Ding! Hätte ich nur 1836 mich nicht von dem alten Scheißkerl überreden lassen! Umweltfreundliche Energie, pah! Als ob damals sonst wer darauf geachtete hätte…“

Der Unbekannte ging nur knapp neben ihr vorbei, sie hielt die Luft an. Ihr Herz pochte erneut bis zum Hals, sie verspürte jetzt wirkliche Angst.

„…Na dann, will ich’s mal anpacken!“, fuhr er fort und ein raschelndes Geräusch erfüllte die Dunkelheit. Dann ein Schieben. Vermutlich eine Leiter, sie konnte es aber nicht wissen, woher auch?

Er stieg scheinbar auf die Leiter und drehte die alte aus dem Gewinde, welches einen quietschenden Ton hervorbrachte.

Da sich ihre Augen bereits ein bisschen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie eine feine Silhouette der Person ausmachen, zumal er direkt im Vordergrund des Fensters stand und Sterne ihn umgaben. Der Unbekannte war enorm klein, zu klein für einen normalen Menschen.

Was sollte sie tun?

Sich verstecken?

Wohin?

Die neue Birne hatte er schon zur Hand. Sie wurde nervös. Und dann: Licht!

Wie erstarrt hockte sie am Boden, sie wusste nicht, was sie tun sollte. Da war auch der Unbekannte. Es musste sich um einen Zwerg handeln. Aber was für einer: Elegant gekleidet, wie ein Zauberer, mit Sternenumhang und einem Hut, auf dessen Spitze ein Halbmond schwebte.

Auch der Zwerg war völlig aus der Fassung. Das war der Moment. Der Schreck, der beiden ins Gesicht geschrieben war.

Beide Augen schauten sie sich verblüfft an.

Dann eine Stille.

„Ähm… hallo!“, hauchte das Mädchen nach einer Weile leise, ohne sich darüber bewusst zu werden.

Der Zwerg kam die Leiter hinab gestiegen.

„Beim allmächtigen Wassermann!“, sagte dieser. „Das ist doch nicht etwa...“

Sie zitterte immer mehr; er kam langsam näher auf sie zu. Dann blieb er stehen.

„Ich habe ja schon viel in meiner Zeit hier erlebt, Sonnenwinde, Polarlichter, ja sogar eine Supernova habe ich gesehen, aber so etwas!“, fuhr der Zwerg fort. Sein Gesicht war halb im Schatten und halb im Licht der neu ausgewechselten Glühbirne.

Sie schaute ängstlich mit großen Augen zu ihrem Gegenüber. Was war das für ein Wesen?

Der Zwerg schaute sie auf einmal mitleidig an.

„Woher kommst du?“, fragte er sie.

„Ich…ich…weiß nicht“, stotterte sie und musste erneute Tränen unterdrücken. Unwissenheit war es, was sie wieder verzweifelte, was sie bedrückte.

„Du weißt es nicht?“, fragte er erstaunt und bekam noch mehr Mitleid. „Aber wo warst du denn, bevor du hier warst?“

Ihre feuchten Augen bündelten sich auf den Zwerg und sie stockte.

Wo war ihr altes Zuhause?

Woher kam sie wirklich?

„Ich war im Schnee“, sagte sie mit zitternder Stimme.

„Im Schnee? Nun ja, offenbar musst du im Schnee gewesen sein, wie sonst solltest du hierher gekommen sein?“

Der Zwerg bemerkte ihre leichte Bekleidung.

„Oh, du musst ja völlig unterkühlt sein!“, bemerkte er überrascht, ehe er in eine Ecke des Raumes schritt und aus einer alten Truhe einen Wolldeckenartige Oberbekleidung hervorzog.

„Hier, nimm dass!“, sagte er und er reichte ihr eine Decke. Sie fühlte daran. Leicht kratzig und doch flauschig und warm. Sie war positiv.

Woher sollte sie auch wissen, was Wolle ist, zumal ihre ersten Eindrücke doch so kalt und schmerzhaft waren?

„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt!“, bemerkte der Zwerg. „Mein Name ist Pumilio Astro. Hast du auch einen Namen?“

Für einen gewöhnlichen Menschen käme diese Frage etwas merkwürdig gestellt vor, zumal ein Name selbstverständlich ist. Sie aber blickte ihm wieder voller Hoffnung in die Augen, ein Zeichen ihrer Unwissenheit, ihr verloren gegangenes Ich.

Der Zwerg nickte verständnisvoll.

„So ist das also“, sagte er und schaute aus dem Fenster zu den Sternen.

„Das tut mir sehr Leid für dich. Wirklich.“

Dann entstand eine Stille. Keiner von Beiden sprach ein weiteres Wort. Doch dann schaute Pumilio in Richtung eines Regals und hatte scheinbar eine Idee.

„Ich denke ich hätte da etwas, was dich aufmuntern wird!“, erklärte er begeistert und ging auf diesen zu. „Nichts hilft besser, es ist das Einzigwahre und das Hilfreichste, was einem passieren kann.“

Er zog aus dem Regal, in welchem unter anderem auch Bücher, Sternkarten und sonstige Papiere verstaut waren, eine kleine Pfeife hervor. Er betrachtete sie kurz mit leuchtenden Augen wie die, ein kleines Kindes. Dann holte er Luft und blies hinein.

Stille.

Da war plötzlich dieses Knistern. Dann das flatternde Geräusch.

„Meine Freunde…“ sagte er, „…du wirst sie mögen!“

Das Wort verklang und mit einem Mal flatternden scheinbar hunderte, nein tausende von leuchtenden Nachtfaltern aus allen Ecken des Raumes. Ein Feuerwerk des Lichts, ein Wunder der Vollkommenheit.

Das Mädchen stand vor Begeisterung auf.

Alle vorherigen leeren und hoffnungslosen Gefühle des Mädchens schienen wie weggeblasen. Der Glanz des Glückes spiegelte sich in ihren Augen, die Falter flatterten um sie, sie schienen sie schweben zu lassen. Wie in Zeitlupe sah sie jeden Lichtpunkt, jeden Flügelschlag eines Nachtfalters als neues Erlebnis, als neues Wunder. Sie konnte nach ihnen greifen, sie konnte sie fühlen, wie das Glück in ihre Zarte, samtige Haut eindrang und ihr neue Hoffnung gab. Das war der Moment, das Neue, das Einzigartige. Sie konnte von nun an die Welt fühlen, sie konnte spüren, dass sie ein Teil von alledem war, ein Mitglied der großen Gemeinschaft.

Ihr kam es vor, als ob die Zeit stehen bleiben würde. Eine kleine Ewigkeit stand sie da und griff nach ihnen, als wollte sie das lebendige Glück einfangen.

Dann, nach und nach, verschwanden die Falter wieder in ihren Verstecken. Der Glanz in ihren Augen verblasste und sie schloss die Augen, um den Moment zu behalten.
 

Feuer brennt.

Wasser floss.

Erde lebt.

Die Geschichte vom Leben

Die Geschichte vom Leben
 

Pumilio Astro begann derweil, im Raum auf und ab zu gehen, er schien in Gedanken zu versinken. Das Mädchen folgte ihm mit ihren wieder geöffneten Augen. Sie stand, mit der Decke und darunter mit ihrem weißen Nachthemd.

„Es wird schwierig für dich werden, hier zu bleiben“, erklärte Pumilio besorgt und wandte sich nun wieder zu ihr. „Ich bin nicht alleine…“

Sie machte ein fragendes Gesicht.

„Nur ein bedeutungsloser Gehilfe eines…eines…“

Wieder verstummte er.

„Eines Meisters“, ergänzte er sich nach einer kurzen Zeit. Sein Gesicht verriet jedoch, dass er nicht mit seiner Erklärung zufrieden war. Da war mehr. Etwas Anderes, etwas Mysteriöses.

„Wo ist er?“, fragte sie mit ihrer hauchenden, weichen, halb flüsternden Stimme.

„Tief unten, unter der Erde. Wenn er dich sieht, dann…“

Erneut stockte er.

„Er darf dich nicht sehen!“, sagte er bestimmt.

Sein Gesicht lag halb im Schatten der Glühbirne. Pumilio beugte sich näher zu ihr vor.

„Wenn er dich sieht, wird er dich benutzen. Er wird schreckliche Dinge tun, von denen du nichts weißt, vielleicht wird er dich töten!“

Das Mädchen machte große Augen.

„Warum will er mich töten?“, fragte sie ehrfürchtig.

„Weil er Experimente macht, er forscht mit den Lebenden, meist gehen sie dabei drauf. Er schreckt vor Nichts zurück!“

Dann entfernte er sich wieder ein Stück von ihr.

„Leider weiß ich auch so gut wie nichts. Er macht alles im Verborgenen. Nichts würde ich lieber, als von hier verschwinden, nur weg von hier, in den Morgenröten würde ich aufbrechen und ein neues Leben beginnen. Ein Leben, für meine eigene Wissenschaft. Aber er lässt mich nicht.“

„Wieso nicht?“, fragte sie.

„Er braucht mich, weil ich Kenntnisse habe, die er für seine Forschungen benötigt.“

„Forschungen?“, fragte das Mädchen verwirrt.

Wie konnte sie das alles verarbeiten, zumal sie noch nicht einmal sich selbst kannte?

Wie konnte sie die Welt verstehen?
 

Pumilio machte eine Handbewegung, die darauf hindeutete, dass sie ihm folgen sollte.

„Du musst viel nachholen, ich möchte dir ein paar Dinge zeigen.“

Daraufhin ging er zu dem Bücherregal, aus dem er zuvor auch die Pfeife geholt hatte und zog ein Buch heraus. Dahinter ein Hebel. Er drückte ihn nach unten. Prompt schob sich das gesamte Regal zur Seite und vor ihnen öffnete sich ein Gang.

Zu den Seiten entflammte Kerzenlicht. Sie stiegen ein. Der Gang war schmal, sie mussten hintereinander laufen. Geradeaus, dann Stufen. Steile Stufen, beinahe hätte das Mädchen sie übersehen. Immer weiter nach oben. Steiler und steiler. Dann eine Luke an der Decke, davor eine Leiter. Er stieg hoch und öffnete diese.

Dann war da dieser Raum, nein diese Halle. Die Halle unter der Kuppel. Majestätisch, gigantisch. Gezeichnete Sternbilder schmückten die Kuppeldecke, der Boden Kristallklar und spiegelnd. In der Mitte stand unmittelbar ein großes, goldenes Teleskop, welches in den Himmel gerichtet war.

Sie konnte ihren Augen nicht trauen, so etwas hatte sie noch nie gesehen… oder doch?

Sie machte ungläubig ein paar Schritte durch den Raum, ihr Abbild spiegelte sich am Boden. Sie erblickte sich zum ersten Mal selbst. Da war sie also, so sah sie aus, diese luftigen blonden Haare und ihr schmales, zartes Gesicht mit den leuchtenden, blauen Augen. Sie lächelte sich selbst an, wie auch das Spiegelbild.

War sie das wirklich?

Konnte es wirklich sein?
 

Pumilio Astro ging quer durch den Raum und zog kräftig an einer Leine am anderen Ende.

„Das musst du einfach gesehen haben!“, bemerkte er und kam hastig wieder zu ihr zurück.

Dann öffnete sich die vordere Kuppeldecke. Der nächtliche Himmel erstreckte sich nach und nach und das Mondlicht schien auf die beiden herab. Jeder einzelne Stern spiegelte sich am Boden und es entstand ein Meer von Sternen, sie schienen den Halt zu verlieren, einfach nur dahin zu schweben. In das Unendliche.

„Das ist, das ist…“, sagte das Mädchen nicht weniger erstaunt als bei den Nachtfaltern.

„Das ist fantastisch, ja!“, sagte Pumilio bestätigend. „Weißt du, die Sterne sind für mich so etwas wie Hoffnung, das Einzige, was mir noch bleibt. Ohne sie wäre ich verloren.“

Das Schicksal Beider wurde auf einmal klar, die Hoffnung von dem Mädchen und Pumilio Astro auf etwas Neues, auf ein besseres Leben, auf eine Identität, mit der man leben kann.
 

„Was ist mit den deinen Freunden?“, fragte sie mit einem Anflug von Wärme.

„Die Falter? – Nun ja, was ich damit sagen möchte ist, dass das Leben geht weiter, nur hier scheint es stehen zu bleiben. Da Draußen, weit ab von der Wissenschaft, von Erkenntnissen... da liegt die Freiheit, das wirkliche Leben, das wahre Glück!“

Sie schloss kurz die Augen, um das alles nachvollziehen zu können. Doch wie sollte sie das?

„Warum fliehen sie nicht einfach in diese Morgenröte?“, fragte sie, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte.

„Weil das alles nicht so einfach ist. Ich habe ihm Treue geschworen… bis in den Tot. Nichts steht über dem Schwur.“

Er lies seinen Kopf in das Mondlicht sinken.

„Was ist da draußen?“, fragte das Mädchen interessiert weiter.

„Da geht die Sonne auf“, antwortete er kurz und hob seinen Kopf. „Da gibt es mehr: Liebe, Freundschaft, Vertrauen. In diesem Leben passiert etwas, da sind der Fortschritt, das immer wieder Neue und das Lebendige. Hier ist doch fast alles Tot. Außer die Sterne. Sie wachen auch über dem Rest der Welt. Sie sind überall.“

„Aber wie kann etwas überall sein? Das ist doch unmöglich!“, fragte sie verwirrt.

„Sie haben die Macht, zu Vereinigen. Eine Gemeinschaft zu bilden…“

„Sie reden wieder von den Faltern!“, bemerkte sie.

Er runzelte die Stirn und musste etwas lachen.

„Ja, wenn du es so willst: Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass sie von den Sternen kommen?“

„Sie kommen doch vom Mond, nicht war?“, sagte sie, bezogen auf den Halbmond, der über dem Sternenhut von Pumilio schwebte.

„Nur weil ich so aussehe? Nein, glaub mir, ich weiß, von was ich rede. Aber vielleicht ja doch? In unserer Fantasie ist alles möglich!“

Er machte ein paar Schritte in Richtung des Teleskops.

„Komm nur! Vielleicht gibt dir das hier eine Erklärung…“, sagte er, während er begann, dieses auf etwas auszurichten. Dann nahm er noch ein paar kleine Feineinstellungen vor.

„Schau dir das an!“, sagte er und machte Platz. „Das ist der Mond.“

Sie schaute durch die Linse des Teleskops. Da war dieses Goldene, Runde.

„Er ist so weit entfernt, dass du die selbe Strecke auf der Erde in deinem ganzen Leben nicht zurücklegen könntest!“, erklärte Pumilio Astro derweil.

Sie sah einen tiefen Graben im Mondgestein. Dann nahm sie ihre Augen weg.

„Wohnt da jemand?“, fragte sie weiter.

„Nein, niemand. Früher, als Kind erzählte man mir aber von Mondkälbern und anderen gespenstigen Wesen. Alles nur Illusion!“, sagte Pumilio. Er ging erneut zu der Leine, zog daran und die Kuppel begann sich zu schließen. „Es ist sehr spät. Du wirst den Rest der Nacht hier verbringen müssen, ehe wir morgen weiter sehen.“

„Aber was, wenn mich…“, sagte sie ängstlich.

„Wenn er dich findet? Mach dir darüber keine Gedanken, ich werde aufpassen. Außerdem bist du hier oben sicher, vorerst.“

Er ging in eine Ecke der Kuppel und breitete eine dort liegende Decke aus.

„Komm nur!“, ermunterte er das Mädchen. „Du wirst sehr gut darin schlafen!“

Sie kam. Sie legte sich. Es war weich und warm.

„Oh! Und noch etwas: Du kannst im Traum Reisen unternehmen. Vielleicht schaffst du es, eine Verbindung in deine Vergangenheit zu schaffen.“

Sie schaute ihn hoffnungsvoll an.

„Aber wie mache ich das?“, fragte sie.

„Du wirst keine Schwierigkeiten haben, hier ist fast alles möglich!“
 

Feuer brannte.

Wasser lebt.

Erde ruht.

Elemente verbinden sich

Elemente verbinden sich
 

Jetzt war sie wieder allein. Pumilio war weg. Diese Stille. Dieser Raum.

Kurz zuvor hatte sich die Kuppel geschlossen. Es wurde dunkel. Aber sie konnte noch sehen, die Sternbilder an der Kuppelwand, und das goldene Teleskop.

Ihre Augen wurden schwer, sie war so müde, sie konnte nicht…

Der Schlaf hatte sie eingeholt. Sie tauchte ein in die Traumwelt, in das Unterbewusstsein. War da noch etwas von ihrem früheren Leben?
 

Im Traum sah sie Sterne, die Sterne aus den letzten Minuten, die einzige Erinnerung, die sie noch zu einem Traum verarbeiten konnte. Doch konnte da wirklich noch mehr sein?

Die Nachtfalter sah sie und Pumilios Gesicht. Dann öffnete sich etwas. Ein Lichtspalt ein Spalt in das Vorherige vielleicht.

Sie versuchte es zu erreichen, das Licht der Vergangenheit. Sie musste es schaffen, sie musste die Wahrheit erfahren. Sie lief hinein, durch das Tor, in das Licht.

Alles war weiß.
 

Dann waren da diese Zeichen, Zeichen der Existenz.

Feuer, Wasser, Erde …und Luft.

Sie schwebten im weißen Raum vor ihr her, schwerelos, wie auch sie war. Doch sie verstand es nicht.

Dann war da noch etwas, sie konnte es nicht erkennen, etwas Unförmiges, Dunkles und Schwarzes, weit von ihr entfernt. Sie musste es erkennen, es war unbedingt notwendig zu wissen, was sie da sah. Eine Gestalt, lang und verschwommen, es kam auf sie zu.

Ein Gefühl, beunruhigend und in gewisser Weise auch schmerzhaft durchfuhr sie. Ihr wurde bewusst, dass sie träumte. Sie versuchte, aufzuwachen. Sie schaffte es nicht.

Doch sie wollte es nicht anders. Nur wach sein, nicht in der Unwirklichkeit; in der Realität, wenn diese auch nicht gerade sonniger war, wollte sie sein und handeln.

Sie schlug ihre Augen auf. Sie hatte es geschafft.
 

Ihr Traum hatte ihr etwas verraten, ein Geheimnis konnte gelüftet werden. Es musste etwas aus ihrem früheren Leben gewesen sein, dass war ihr klar.

Doch was hatte sie erlebt, was hatten die Elemente mit ihrer Vergangenheit zu tun?

Die Sternbilder schwebten über ihr wie Zeichen der Erklärung, die sie ihr schenken wollten. Sie dachte über den Traum nach und legte sich nachdenklich auch die Seite.

Da war das Licht gewesen und auch die Elemente, dachte sie.

Klar! Es musste der Raum gewesen sein, die Eingangshalle der Sternwarte!

Also doch nur eine Erinnerung aus ihrem neuen Leben?

Die Elemente blieben nach wie vor. Sie mussten aus ihrer Vergangenheit stammen.
 

Dann passierte es plötzlich. Es öffnete sich eine Tür in ihrem Kopf, da war ein etwas neues aus ihrem früheren Ich, was sie spürte. Sie konnte sich tatsächlich erinnern!

Der Mann, ein schwarz gekleideter Mann war es und sie trafen sich in diesem Raum. Immer kurz vor Sonnenaufgang, jeden Morgen. Er… er gab ihr Aufgaben, sie musste immer etwas für ihn tun… und es waren schwere Aufgaben.

Dann verschloss sich der Gedankenstrom.

Aber sie wusste nun, was zu tun war, sie stand auf und ging zur Luke. Sie musste nachsehen, ob der Morgen kam, die Morgenröte. Die Kuppel hatte kein Fenster. Nur in Pumilios Arbeitszimmer war ein solches. Dort musste sie nachsehen.

Das Mädchen stieg durch die Luke auf die Leiter, dann die Stufen abwärts. Dann erreichte sie das Zimmer durch den immer noch zu Seite geschobenen Schrank.

Alles wie zuvor. Die Glühbirne, die verstaubten alten Karten und der Kompass auf dem Schreibtisch.

Sie blickte zum Fenster. Noch war alles dunkel. Nicht ganz: Es schien, als käme Licht in die Dunkelheit. Die Sterne verblassten bereits; es konnte sich nur noch um Minuten handeln, ehe der Morgen über die Schneewüste kommen würde und sich der erste Sonnenstrahl die Luft erwärmen würde. Die Hoffnung kam nicht nur durch den einbrechenden Morgen, sondern auch durch das, was ihr bevorstand.

Dennoch verspürte sie ein ungutes Gefühl. Was würde auf sie zukommen, würde sie tatsächlich getötet werden?

Nur die Wahrheit war stärker als der Wille, der sie von ihrem Vorhaben abhalten könnte. Sie musste jetzt handeln, jetzt oder nie.

Sie schritt durch den Raum, hin zur Tür auf die Treppe, die in den lichten Raum führen würde, in die einzige Wahrheit, die sie vor dem Absturz in das Nichts retten konnte.

Sie war doch so unwissend, sie war verloren, ohne es auch nur ahnen zu können.

Wie konnte sie auch nur Vermuten, das ihr Ende bevorstand, dass jenes, was sie suchte in das Jenseits führen würde?
 

Sie war sich sicher. Sie wusste von dem Mann und von dem, was sie getan hatte, schlimme Sachen waren es gewesen.

Das Licht war wieder da. Nun stand sie wieder im Licht, im Licht der Wahrheit.

Nur noch ein kleines Stück zu ihrem früheren Leben.

Sie wartete, einfach nur warten. Er würde kommen, er würde den Raum betreten und ihr gegenüberstehen.

Nur Licht. Stehen und warten.
 

Feuer klimmt.

Wasser durstet.

Erde wird.

Was bleibt...

Was bleibt...
 

Dann war da wieder dieses schwarze, das Dunkle, bedrohliche. Noch verdeckte das Licht den größten Teil des Mannes, doch er kam näher und wurde deutlicher. Er war größer als das Mädchen. Eine unangenehme Wärme erreichte sie und ihr wurde heiß und kalt.

Dann… dann sah sie sein Gesicht, es war… war nicht alt, es war jung… sehr jung. Sein Gesicht war schön, diese tiefschwarzen Haare und dieses Lächeln auf seinem Gesicht; seine Augen funkelten jedoch bedrohlich.

Dann stand er genau vor ihr; sie blickte angsterfüllt zu ihm hoch. Was hatte er vor, was würde er im nächsten Moment tun?

Er nickte langsam und es machte alles andere als einen unfreundlichen Eindruck. War er vielleicht doch nicht so, wie Pumilio ihn beschrieben hatte?

Er schaute ihr wortlos in die Augen, eine scheinbare Ewigkeit. Kein Wort sprach jener schwarz gekleideter, der wie ein Phantom auftrat, mysteriös und unscheinbar, dennoch respekteinflößend.

Dann öffnete er langsam den Mund und sprach.

„Du siehst wunderschön aus!“, sagte er einfühlsam mit tiefer Stimme und er nahm seine Hand vor um ihr über die Wangen zu streichen. Sie zitterte nach wie vor. Sie ließ ihren Blick auf seinem Gesicht ruhen.

Woher sollte sie wissen, was er ihr einst bedeutet hatte?

Woher sollte sie wissen, was Liebe ist?
 

„Ich habe mir Sorgen gemacht, du kamst gestern nicht“, fuhr er fort und nahm seine Hand von ihrem Gesicht. Sie schwieg. Sie wusste doch so wenig, erst vor ein paar Minuten erinnerte sie sich. An ihn.

Hatte sie vergessen, wie er aussah, zumal sie sich doch an seinen schwarzen Mantel erinnern konnte?

„Warum bist du so schweigsam?“, fragte er sie. Das Lächeln schwand allmählich von seinem Gesicht. Das war der Moment, in dem sie sich fragte, wie sie ihm das alles erklären sollte. Was sollte sie ihm sagen, einen Menschen, der ihr doch so fremd erschien und doch einst so nahe stand, einem Menschen, der etwas für sie empfand und sie auch für ihn, doch nun alle Gedanken vom Winde verweht zu sein schienen?

Dann begann sie langsam mit ebenso zittriger Stimme, wie auch ihr Körper zu sprechen.

„Ich… ich…“

Sie schaffte es einfach nicht. Sie senkte ihren Kopf. Sie begann sich führ ihr Verhalten zu schämen. Ihr Gesicht färbte sich rot.

„Du zitterst!“, erkannte er. „Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst.“

Es waren Worte des Missverständnisses zwischen den beiden. Er verstand sie nicht und sie nicht ihn.

„Ich… möchte… ich will…“, sagte sie, dann kamen ihr wieder Tränen, heiße Tränen. Sie konnte es nicht verhindern. Sie wollte alles aufgeben, sie spürte, wie alles schwand, die Hoffnung auf ihr altes Ich und das Gefühl der Gemeinschaft. Wie sollte sie das noch alles verkraften?

Sie wollte sich aufgeben, sich von der Welt verabschieden, sie wollte wie Pumilio in die Morgenröte, in das Erwachen und gleichzeitig in den Ewigen Frieden. Sie hatte doch alles vergessen und noch nichts gewonnen.

Er wollte sie trösten, auch wenn er es nicht verstand und sich nicht erklären konnte, so wollte er sie wieder zurückgewinnen. Er wollte sie einfach nur glücklich machen.

Plötzlich und unerwartet kam eine Stimme von der Treppe.

„Fass sie nicht an!“, schrie da jemand und es war Pumilio, der wutaufprausend durch den Gang gelaufen kam.

Er, ihr Gegenüber, blickte erstaunt über ihren Kopf hinweg zu ihm.

„Du wirst sie nicht benutzen, meine Geduld hat Grenzen, töte mich, wenn es dir passt, aber lass sie dafür frei!“, sagte er und erreichte die zwei im Licht.

Der Mann schüttelte verwirrt den Kopf, um sich zu klarem Verstand zu bringen.

„Wie kannst du es wagen!“, begann auch er zu schreien. Es klang wirklich Furcht einflößend mit seiner tiefen Stimme.

Zeitgleich kamen immer mehr Tränen aus ihren Augen, sie wusste sich nicht mehr zu helfen.

„Du weißt offenbar noch nichts von ihrem Schicksal, oder?“, fragte Pumilio Astro gereizt. „Dass sie ihre Identität verloren hat… durch dich!“

„Das ist eine Lüge!“, schrie er über ihren Kopf hinweg zu Pumilio. „Du weißt nichts, du hast dich nicht in Dinge einzumischen, von denen du nichts verstehst!“

Pumilio wehrte ab.

„Ich bin hier derjenige, der mehr versteht!“

„Der Herr der Elemente bin ich!“, sagte der Mann übertönend. Seine Augen funkelten im Licht bedrohlicher als zuvor. Ein Duell war entfacht. Ein Duell über sie hinweg, wegen ihr.

Er fuhr weiter fort.

„Die Elemente zu erforschen benötigt mehr als das wissen der Astronomie. Es erfordert einfach alles. Alles Lebende und alles Tote. Wer die Elemente kennen will, muss sie beherrschen!“

„Und genau das ist es, was du nie begriffen hast! Es gibt mehr im Leben als Eigensinn und Größenwahn, da sind die Liebe…“

„Ich weiß sehr wohl, was Liebe ist!“, fauchte er dazwischen. „Du mit deinen Sternen, wie kannst du dir das erlauben, du wirst durch sie glücklich…“

„Du, du…!“, sagte Pumilio glühend vor Zorn, „…du bist es nicht würdig hier zu arbeiten, du solltest dankbar sein, dass ich dich ausgebildet habe und dich in die Lehre der Sterne eingeführt und sie dir geschult habe. Doch dann hast du dieses Buch gelesen, dass Buch der Theorie der Naturelemente. Daraufhin hast du nichts anderes mehr getan, als Menschen für deinen Machtanspruch zu missbrauchen! Ich habe dich von hier verbannt, doch du hast nicht gehört. Aber du missachtest alles, du verstehst im Grunde den eigentlichen Sinn nicht… und so einer ist es nicht würdig!“

Dann verlor jener Mann die Kontrolle, der Herr der Elemente. Er wollte sich Astro greifen, sich an ihm rächen.
 

„Nein!“, schrie das Mädchen. Stille. Beide wurden mit einem Mal schweigsam. Sie sprach, und zwar etwas, was zu dem Vorteil beider sprechen konnte. Sie warteten gespannt darauf, was ihre Lippen verlassen würde, was sie zu der Situation beizutragen hatte.

„Lass ihn… bitte lass ihn, er… er hat nichts getan!“

Der schwarze Mann sah schockiert auf sie herab, niederträchtig und mit einem Anflug von Verachten.

„Das kann ich nicht glauben!“, sagte er langsam. „Du hast dich auf seine Seite etabliert! Ich habe mich offenbar in dir getäuscht!“

Sie konnte spüren, wie es kommen würde, die alles entscheidende Tat.

Doch dann wandte er sich von ihr ab. Er machte ein paar Schritte. Von ihr weg. Dann drehte er sich wieder zu ihnen hin.

„Komm zurück, auf meine Seite, du weißt nicht, was dir entgeht!“

Er streckte die Hand aus, als Einladung, dass sie zu ihm kommen sollte.

„Du weißt, dass er lügt!“ sagte er weiter eindringlich. Sein Gesicht verwandelte sich in ein unnatürliches Lächeln.

„Hör nicht auf ihn!“, flüsterte Pumilio ihr zu. „Die Elemente haben ihn verändert“

„Halte dich gefälligst da raus!“, zischte er. Er hatte es bemerkt.

„Du weißt, dass wir füreinander bestimmt sind, wir waren es immer und werden es auch in Zukunft sein. Komm mit mir unter die Erde in das richtige Leben. Was Pumilio dir erzählt ist nichts als Vision. Das Leben da draußen ist voller Leid und Betrug. Die Menschen machen sich alle etwas vor, niemand kann sein wie er wirklich ist. Entscheide dich für mich oder für den Tod. Jetzt!“

Sie wurde blass im Gesicht. Was sollte sie Antworten?

Sie wollte von Anfang an die Wahrheit.

„Ich will… ich will mich kennen!“

Damit hatte er nicht gerechnet. Er verengte die Augen zu Schlitzen, wodurch sein hübsches Gesicht verunstaltet wurde.

„Dann entscheidest du dich auch für den Tod!“, gab er ihr unsanft zu verstehen.

Sie wurde noch blasser. Die Resttränen verschwanden auf ihren Wangen, die Hitze der Angst war es gewesen, die sie trocknen ließen.

Das hier übertraf alles, was sie zuvor in ihrem neuen Leben sah und spürte. Es war eine Entscheidung auf Leben und Tod. Das Leben in Angst und Schrecken, zusammen mit einem geisteskranken… oder der Tod und die Wahrheit.

„Ich will mich kennen!“, wiederholte sie von der Angst verfolgt.

Pumilio wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Er stand teilnahmslos hinter ihr, mindestens so hilflos wie sie.

„Ich will meinen Namen, meine Herkunft, mein Alter… ich will wissen wer ich bin!“, sagte sie immer selbstbewusster. Sie hatte nichts mehr zu verlieren, jetzt oder nie. Sie wusste nun, was sie wirklich wollte. Die Wand durchbrechen, dass was vor dem Erwachen im Schnee war.

Dann wieder Stille. Eine unendliche Stille, sie schien nicht enden zu wollen. Der Mann sah sie finster an, ganz anders, als noch wenige Augenblicke zuvor.

Sie wusste was kommen würde, sie wusste, was diese Entscheidung bedeuten würde, für sie und für ihn. Doch sie wollte ihre Identität zurück, nichts sonst.

„So soll es sein“, sagte dieser finster.
 

Feuer erlischt.

Wasser sickert.

Erde stirbt.

Reise in die Morgenröte

Reise in die Morgenröte
 

Sie hatte ihre Wahl getroffen. Tod für die Wahrheit.

„Folge mir.“

„Einen Moment“, sagte das Mädchen, schließlich wollte sie sich von Pumilio verabschieden.

Sie drehte sich ein letztes Mal zu Pumilio Astro um, der sie mitleidig betrachtete.

„Du hättest eine gute Astrologin werden können. Aber wenn so deine Entscheidung lautet, will ich sie akzeptieren, auch wenn es mir schwer fällt, sehr schwer. Und noch etwas…“, sagte er etwas leiser als zuvor, „… ich habe nie etwas von dir gewusst, das schwöre ich…“

Er schaute bedrückt zu Boden.

Jetzt war das Mädchen an der Reihe.

„Leben sie wohl… und grüßen sie die Falter von mir.“

Dann drehte sie sich um und folgte ihm, den Herr der Elemente. Sie gingen ein kleines Stück durch den lichten Gang. Geradeaus ging es in den Schnee. Da kam sie her. Schon bald würde sie ihre wahre Existenz erfahren.

Doch dann blieb er stehen. Er kniete sich mit seinem langen, schwarzen Mantel auf den Boden. Dann sah sie es. Die Elemente aus ihrem Traum, sie waren im Boden eingraviert.
 

Feuer, Wasser, Erde… und Luft.
 

Er strich mit seiner Hand über die im Kreis angeordneten Zeichen. Dann öffnete es sich, eine kleine Öffnung im Boden. Zuerst stieg er ein, dann folgte das Mädchen über die Leiter nach Unten, weiter in die Tiefe. Immer nur nach unten ging es, die Luft wurde stickig und feucht, wie in einer Kanalisation. Dann war es ein kleines Stück, nur noch wenige Meter bis in sein Reich.

Schließlich erreichten sie den Boden des Schachtes. Von dort aus führte ein ähnlich schmaler Gang wie der, den sie auch mit Pumilio auf dem Weg in die Kuppel zurücklegten. Dann war da diese Tür. Er öffnete sie mit einem Ruck.

Nebel strömte regelrecht in ihr Gesicht und ihren Körper, dann war es da, das geheimnisvolle neongrüne Licht, welches sie bereits vor ihrem Eintritt in das Observatorium bemerkt hatte. Viel heller und intensiver als draußen.

Sie konnte nichts sehen, der Nebel umgab sie und der Raum vor dem Mädchen blieb so verdeckt. Der weiße Dampf schien sie schweben zu lassen, hinein in ein fremdes Reich.

Im Nebel konnte sie jedoch einige Dinge ausmachen, da waren Regale, riesige Regale mit unendlich vielen Büchern. Säulen, welche die Decke stützten, waren rund im Raum gereiht und immer neue Nebelschwarten erfüllten das Szenario.

Der Mann schritt zielsicher in die Mitte der Erdhalle. Sie blieb stehen. Sie hörte etwas blubbern. Dann ein plätscherndes Geräusch. Er schöpfte etwas.
 

Gedanken schwirrten in ihrem Kopf umher, Gedanken über den Sinn von allem, über die Richtigkeit dieses Vorhabens und über das, was sie in ihrem neuen Leben gesehen und gespürt hatte. Doch über eines dachte sie nicht nach: den Tod.

Sie hatte keine Angst mehr vor dem Tod, er bedeutete ihr nur Erlösung, ewigen Frieden ohne die Ungewissheit.

Aber warum wollte er nicht, dass sie die Wahrheit erfährt?

Warum musste sie für die Wahrheit sterben?
 

Er tauchte aus dem Nebel zu ihr auf.

„Trinke das!“, sagte er herzlos, seine endlose Enttäuschung machte sich auf unangenehme Weise bei ihr bemerkbar.

Sie nahm es. Sie schaute in seine Augen, sie verrieten ihm über ihr Schicksal, sie sollten ihm doch verständlich machen, was er da tat.

Sie musste sich überwinden, doch sie tat es. Mit zitternder Hand trank sie das gesamte Serum mit einem Zug aus. Sie lies das Gefäß fallen. Beide standen sie gegenüber und schauten sich in die Augen. Seine Gesichtszüge blieben unverändert. Sie durchbohrte seinen Blick, sie wollte es wissen, sofort.

Urplötzlich wurde alles schwarz vor ihr. Sie stand immer noch. Dann ein Pfeifen, laut und eindringlich. Sie spürte Dampf, es war aber nicht der Dampf von ihm, es war einfach anders. Sie hörte Stimmen, Stimmen von Menschen, vielen Menschen. Sie war mitten dabei, eine Reise durch ihr tiefstes Ich zu unternehmen, sie durchbrach die Mauer vor dem Schnee, vor allem anderen, was zuvor war.
 

Sie stand an einem Bahnsteig. Vor ihr eine riesige stählerne Dampflok. Sie trug ein Sommerliches Kleid mit bunten Blumen darauf, in der rechten Hand einen Koffer. Ein eleganter Strohhut schmückte ihren Kopf.

Die warme Brise erfüllte die morgendliche Luft in Aufbruchsstimmung, in das scheinbar Ungreifbare, was ihr jetzt näher erschien, als je zuvor. Er wehte ihr um die Ohren, um ihr Kleid. Es wehte nach hinten, wie auch ihre goldenen, luftigen Haare. Menschen strömten um sie herum in alle Himmelsrichtungen. Ein Schaffner huschte geschwind an ihr vorbei.

Wieder ein Pfeifen. Dann eine Stimme.

„Komm schon, Johanna, oder willst du in Chicago bleiben?“, sagte eine weibliche, mütterliche Stimme.

„Ich komme schon, Mum!“, rief sie zurück und lief auf die Waggontür zu, an der ihre Mutter wartete.

Sie betrat den Zug. Die Türen schlossen sich. Dann ging es los.

Sie suchten zwei Sitzplätze, sie fanden einen im zweiten Abteil. Sie legten den Koffer auf die Ablage über den Sitzen. Die Landschaft zog an ihnen vorbei, Bäume, saftig grüne Wiesen und Dörfer.

„Hast du dich auch von Onkel Riechmond verabschiedet?“, fragte ihre Mutter, während sie ein paar Staubflocken von ihrem Kleid wischte.

„Ja, Mom, hab ich.“

„Hast du auch alles dabei?“

Johanna nickte.

„Ich glaube ich war in meinem ganzen Leben noch nie soweit im Norden“, sagte die Mutter schwärmerisch. „Es wird bestimmt aufregend! Und wie lange ist es her, seitdem er dir das Leben gerettet hat?“

„Weiß nicht, schon ne Zeit her“, antwortete sie. Dann schaute sie wieder aus dem Fenster. Die Rauchschwarten des Lokdampfes zogen dicht am Fenster vorbei.

„Wie nett von ihm, das er uns zu sich einlädt, zumal wir ihm mehr schuldig sind als er uns.“

Dann begann die Mutter ihre Fingernägel zu prüfen, während sie weiter sprach.

„Was hat er noch gleich in unserer Stadt studiert?“, fragte diese weiter.

„Hmm, irgendwas mit Wissenschaft, glaube ich. Muss ihn noch mal fragen, wenn wir da sind.“

Der Zug fuhr über Felder und Wiesen, durch Wälder und über Flüsse, immer weiter nach Norden. Die Erinnerungen strömten regelrecht in ihren Kopf, sie begann sich nach und nach immer mehr selbst zu spüren. Da war ihr ich, sie hieß Johanna und sie waren auf dem Weg zu Jemandem, der ihr das Leben gerettet und sie zu sich eingeladen hatte.
 

Die Landschaft wurde weiß. Die einstige sommerliche Luft, die einige Fahrtstunden zuvor in Chicago herrschte, schwand und ein kühler, frischer Wind pfiff durch die Fensterritzen.

Der Schnee wurde höher und die Landschaft rauer. Bald darauf hielt der Zug an einer kleineren Station, an der sie ausstiegen.

Dann verschwamm das Gedankenbild und setzte sich zu etwas neuem zusammen.
 

Jetzt standen sie mitsamt ihren Koffern vor einer Haustür. Ein kleines, beschauliches Landhaus. Die Sonne stand weit oben am Himmel, Schneehaufen waren zu beiden Seiten des Weges aufgehäuft, der von der vorderen Grundstückstür zu Haustür führte. Ein junger Mann mit tiefschwarzen Haaren und elegantem Anzug öffnete und begrüßte sie.
 

„Ah! Ich habe ihre Schönheiten schon erwartet! Ich hoffe, sie hatten eine gute Fahrt!“, sagte er erfreut. Er küsste die Hand von ihrer Mutter und lächelte Johanna gleichzeitig über ihren Kopf hinweg an.

„Seitdem ich dir das leben gerettet habe, bist du noch viel schöner geworden, als du es damals warst!“, komplimentierte er Johanna, die sich daraufhin vor Verlegenheit rot färbte.

„Aber kommt doch rein!“, sagte er, worauf sie sein Haus betraten.
 

Dann verschwamm wieder das Bild. In der nächsten Sequenz sah sie sich ihm gegenüberstehen. Er streichelte sie und sie küssten sich. Sie standen mitten im Schnee. Sie hatte eine Jacke an. Aus Wolle. Dann flüsterte er ihr etwas zu. Ganz leise und gerade so laut, das sie es gerade noch hören konnte.

„Du bleibst bei mir, nicht war?“, fragte er sie, während er ihr durch die Haare fuhr.

Sie nickte daraufhin glücklich und mit einem breiten Lächeln.

„Du musst mir versprechen, dass du immer bei mir bleiben wirst!“

„Ja, nichts lieber!“, antwortete sie leise, ehe sie sich erneut küssten. An eine Rückreise war nicht zu denken.

Der Wind wehte eisig um die Zwei, doch sie störten sich nicht daran. Doch wo war ihre Mutter? War sie schon lange nach Hause gereist?
 

Dann verschwamm wieder alles.

Jetzt stand sie im Licht. In der hellen Eingangshalle des Observatoriums. Er stand ihr gegenüber. Er hatte eine Aufgabe für sie bereit und er trug nun seinen schwarzen Mantel. Es würde die schwierigste in ihrem ganzen Leben werden. Er lächelte sie an, wie er es immer tat. Seine Augen glänzten wieder bedrohlich. Dann begann er zu sprechen.

„Nun kennst du mich wirklich. Ich habe dir nun mein wahres Zuhause gezeigt. Ich kenne dich aber noch nicht genug. Doch das sollte ich. Wir sind füreinander bestimmt und das weist du.“

Sie schaute ihm betrübt ins Gesicht.

„Ich werde morgen abreisen“, sagte Johanna. „Wir werden uns danach wahrscheinlich nicht mehr sehen. Du hast mich gerettet und das werde ich dir nicht vergessen!“

Er erwiderte ihre Worte mit einem scheinbar leeren, ausdruckslosen Gesicht; in seinem Innere entstand jedoch nach und nach ein grausiger Plan, schlimmer als alles, was Johanna je erlebt hatte, noch schlimmer als ihr eigener Tod.

„Nur die Wahrheit ist noch entscheidender, aber nicht für uns“, fuhr er fort. „Du wirst es sein, die uns Beide für immer vereinen wird. Du allein wirst es tun müssen, um unsere Zukunft zu sichern. Es gibt nur eines, was dich von mir wieder trennen wird. Und genau dieses Etwas schläft derzeit in meinem kleinen bescheidenen Haus.“

Er hob seinen Kopf nach oben, höher, über ihren.

„Schaffe sie aus der Welt, sie bedeutet unser Unglück!“, sagte er triumphierend.

Sie wusste, dass er eine Macht auf sie auswirkte, der sie nicht gewachsen war. Er hatte sie in seinen Bann gezogen, er war ein Psycho.

Noch am selben Abend tötete Johanna ihre Mutter, während sie schlief. Dann legte sie sich zum Schlafen. Sie spürte kein Schuldgefühl, keine Reue und kein Mitleid. Es waren die Elemente, sie hatten sie verändert, wie auch ihn. Er hatte sein Herz mit ihr geteilt.
 

Doch in dieser Nacht sollte etwas passieren, etwas magisches, noch nie da Gewesenes. Es sollte sich etwas Entscheidendes im Leben der Johanna Grant verändern, etwas, was sie bis in den Tod begleiten würde. Sie hatte einen Traum. Sie träumte davon, fliegen zu können, hoch hinauf bis in den Himmel. Sie würde ihre Mutter besuchen, und dann würde sie für immer bei ihr bleiben. Diese Leichtigkeit, dieser unendliche Raum. Durch die Luft gleiten wie ein Vogel.

Frei sein.

Sie wandelte aus dem Bett im Schlaf. Sie hatte ihre Hände nach vorne ausgestreckte und schritt hinaus, vorbei an der Leiche ihrer Mutter durch die Tür in das Freie, in den Schnee. Sie wandelte in Richtung der Sternwarte. Doch sie hatte nur ihr Nachthemd an. Der Traum endete. Er hatte sie gereinigt, versucht zu erlösen von dem Bann der Elemente. Doch er hatte noch mehr gelöscht: Ihr Gedächtnis. Sie klappte in sich zusammen und viel in den pulverigen Schnee mit einer finalen Endgültigkeit.
 

Elemente zerfallen.

Vom fliegenden Element

Vom fliegenden Element
 

Die Gedanken, die sie als Bild vor sich sah, verschwommen nun endgültig und sie stand nun wieder unmittelbar vor ihm, den Herr der Elemente. Sie wusste die Wahrheit, sie wusste nun alles. Vor dem Entsetzen der Grausamkeit dieses Verbrechens schüttelte sie ihren Kopf wie in Zeitlupe und schaute dabei wie zuvor in seine Augen.

Vor ihr lag das zerbrochene Glas.

Doch vor was hatte er sie einst gerettet?
 

„Du wirst gleich sterben, nur noch wenige Sekunden“, sagte er gefühllos und wandte den Blick von ihr weg. Er drehte sich um, sein Rücken zu ihr.

Sie begann wieder zu weinen. Sie wollte nicht sterben, sie kannte sich, sie spürte sich selbst, ihr Körper hatte wieder die Wärme des Lebens und ihr Kopf war erfüllt von den Träumen und Gefühlen eines Mädchens wie ihr, Johanna. Sie durfte doch jetzt nicht sterben, wie hatte sie sich darauf einlassen können?

Die Wut über ihn lies sie kochen, sie sah eine große Scherbe am Boden liegen. Wie spitz uns scharf sie aussah!

Ihr Blick haftete darauf, dann, ohne weiter sich darüber Gedanken zu machen, schmiss sie sich auf den Boden, schnappte die Scherbe und rammte sie mit ihrer letzten Kraft in sein Herz. Seine Augen weiteten sich und er erstarrte vor Schreck. Blut quoll aus seinen Adern und er sank in die Knie. Er hielt seine Hand an die Stelle, wo die Scherbe steckte und zog sie heraus. Noch mehr Blut. Dann, er war kurz davor, endgültig zusammenzubrechen, sagte er etwas leises, kaum verständliches.

„Ich liebe dich! Die Elemente haben mich zerstört…“

Dann starb er.

Sie rannte. Nach oben, sie kletterte hinauf auf die Leiter, durch die Luke nach oben. Durch den leuchtenden Raum rannte sie tränenübergossen durch die Tür in das Freie. Sie fiel in den Schnee.

Über ihr war der Morgen, das warme, rosige Morgenrot. Der Tag begann. Doch für sie endete ihr Leben, wo es doch wieder anfangen konnte. Sie heulte zusammengekrümmt in der weißen Decke. Sie griff mit ihren Händen verzweifelt in den Schnee und umklammerte ihn, zerdrückte ihn.

Pumilio kam nach draußen gelaufen. Zu ihr. Er kniete sich neben sie und legte seine Hand auf ihre Schulter und sprach zu ihr.

„In wenigen Sekunden wirst du das wahrscheinlich größte Geheimnis der Welt lüften dürfen. Die letzte Reise!“, sagte er mit voller Hoffnung, die in seiner Stimme lag und blickte träumerisch in den wundervollen morgendlichen Himmel, wie er schöner nicht sein könnte.

„Meine letzte Reise…“, wiederholte sie, als sie sich von den Tränen etwas befreit hatte. „Die Reise in… in…“,
 

Das waren ihre letzten Worte. Sie verlor ihr Bewusstsein. Dann schwebte ihr Geist aus ihrem Körper in die Luft. Sie wurde zu einem Element: Der Luft. Sie konnte fliegen, es war das einzige Element, welches diese Eigenschaft besaß. Und das war gut so. Jetzt konnte sie fliegen, immer höher hinauf bis zu ihrer Mutter. Sie würde auf sie warten und Johanna wollte sich bei ihr entschuldigen und sie würde ihr dann verzeihen, weil… weil im Himmel der ewige Frieden herrscht.
 

Elemente fliegen.

Ein Neubeginn

Epilog
 

Der Schnee war kalt. Als ich erwachte, lag ich im Schnee. Ich wusste nichts, gar nichts. Ich wusste nicht, wo ich war, ich wusste weder mein Alter noch meine Identität. In mir war nur eine kalte, tiefe Leere, die ihr mehr schmerzte, als eine weiße, pulverige, samtig weiße Schneedecke.

Über mir war die Nacht und Sterne funkelten am Himmel. Da war auch der Mond.

Ich trug ein weißes, seidenes Nachthemd. Ich fror und zitterte am ganzen Leib.

Ich strich mit meinen Händen durch langes, hellblondes Haar, in welchem sich einzelne Schneeflocken verfangen hatten. Meine zitternde Hand erwärmte die Kristalle, bis sie schmolzen und auf den Schnee trafen.

Ich drehte mich um und hockte mich zusammengekrümmt in den Schnee. Ich schaute in den Sternenhimmel. Eine Sternschnuppe huschte geschwind am Himmel vorbei, aber wie konnte ich wissen, was das war und dass man sich etwas wünschen durfte?

Ich schloss die Augen und hoffte innerlich, dass alles nur ein schrecklicher Traum sei, aus dem sie nur noch erwachen musste. Doch ein eisiger Wind holte mich in die Realität zurück, in das, was ich nicht kannte.

Als mir das bewusst wurde, musste sie weinen. Meine Tränen schienen wie flüssiges Gold, das meine Wangen erwärmte und in den Schnee tropfte. Ich musste über das weinen, was nicht da war. Alles, was ich sah, war neu für mich. Es war wie ein Neubeginn. Alles vor meinem Erwachen im Schnee schien verborgen hinter einer gigantischen Mauer, welche man nicht überwinden konnte.

Doch jetzt weiß ich alles. Ich spüre mich selbst, ich fliege dahin, immer weiter hinauf in die Morgenröte.
 

Von der Tiefe in die Freiheit,

vom weiß in das blau.

Dies ist das Ende.
 

Alles ist rot.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  vampireMiyu
2009-01-23T12:30:33+00:00 23.01.2009 13:30
Also. Inhaltlich gefällt mir der Prolog schon einmal, aber das Reimschema nicht in allen belangen. Die Reime sind gut gewählt, nur der Rhythmus ist nicht immer gleich gestellt, wodurch es sich zieht und nicht richtig passt.
Die Idee als einen Prolog ein Gedicht zu verwenden, finde ich wiederum ganz gut, ist einmal etwas anderes, auch wenn ein wenig seltsam. Da stellt sich halt dann immer die Frage in wie weit denn die Geschichte weiter geht - alles in Gedichtform, oder nicht?
Werde ich aber wohl rausfinden, sobald ich das nächste Kapitel gelesen habe ;3
Von: abgemeldet
2008-07-28T18:41:35+00:00 28.07.2008 20:41
Das ist echt ein schöner Abschluss für die FF... Die war im allgemeinem total geil... und sowas zwängst du einfach zwischen the Legend of Nevermore hinein? Ich bin echt beeindruckt...

lg Jey-chan
Von: abgemeldet
2008-07-28T18:39:02+00:00 28.07.2008 20:39
Das ist echt verdammt spannend... selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht aufhören zu lesen...
Von: abgemeldet
2008-07-28T18:36:48+00:00 28.07.2008 20:36
Omg... sie hat ihre Mutter ermordet? Für ihn? Und wie bitte hat er ihr leben gerettet?
Eh... du verstehst dich wirklich darauf Überraschungen einzubauen...
Von: abgemeldet
2008-07-20T17:19:46+00:00 20.07.2008 19:19
Yaay genau lehn dich gegen den schwarzen auf! Du hast ein recht darauf alles zu erfahren...

xDDD
Von: abgemeldet
2008-07-20T17:03:12+00:00 20.07.2008 19:03
Um, viele Hinweise auf ihr früheres Leben sin das ja nicht gerade... Mal schaun was im nächsten Kappi passiert
Von: abgemeldet
2008-07-20T16:43:47+00:00 20.07.2008 18:43
Der Zwerg scheint ja echt nett zu sein... hoffentlich kann er ihr irgendwie helfen...
ich will auch Nachtfalter als haustiere haben!
Von: abgemeldet
2008-07-20T16:37:18+00:00 20.07.2008 18:37
Wow... was für ein genialer Einstieg... das ist wirklich total fesselnd... ich glaube ich sterbe wenn ich nicht sofort weiterlesen kann!
Von:  Masaka
2008-07-19T23:13:56+00:00 20.07.2008 01:13
Waaaaahh Sauspannend !!!

*weiterlesen will*

Hast echt gut geschrieben...
Von:  Masaka
2008-07-19T15:19:05+00:00 19.07.2008 17:19
Wahnsinn! das ist ja übelt genial...
Ich hätte nicht gedacht das du auch so verdammt gut dichten kaannst!

Also ich bin nur darin bestätigt den Douji zu zeichnen...

Was? die Aiko liest ne FF??
Unglaublich!

*FF zu favos Pack*


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