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Heute noch.

An old man by a seashore, at the end of day
von

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Heute noch.

Der Himmel war rot.

Seewinde bliesen ihm ins Gesicht, durchkämmten seinen Bart und strichen über die Falten hinweg, die sich im Laufe der Zeit um seine Augen gebildet hatten und ihm, in Zusammenhang mit dem weißen Bart, mehr denn je wie einen altehrwürdigen Bären aussehen ließen. Er steckte sich in Ruhe eine Pfeife an. Ein Albatros flog der untergehenden Sonne entgegen.

Er drohte, einem Tagtraum nachzugeben und mit seinen Gedanken abzuschweifen. Doch das durfte er nicht. Stetig wachsam. Auch wenn die Träume verlockend waren.

Eine Prinzessin in einem Turm. Kinder auf Feldern.

Nein, nein, nein. Stetig wachsam.

Das Leben hatte ihm doch alles gegeben: eine Insel. Seine Insel. Oh, lasst die Leuchtfeuer brennen.

Einen letzten Zug aus der Pfeife nehmend, stieg er die schmale Stiege hinab, die ins Innere des Turms führte.

Der Himmel war rot. Mit der Präzision des Alters an seiner Seite brauchte er keine Uhr. Er hatte nie eine gehabt, nicht hier, nicht seit der Zeit, seit der er seine Insel hatte. Er wusste exakt, wann er welche Feuer zu entzünden hatte, so auch heute.

Nachdem seine Arbeit getan war, stieg er wieder auf die Aussichtsplattform, schwerfällig und langsam. Das Alter forderte seinen Tribut.

Ein Licht am Ende der Welt. Das war es. Das war das Licht, und das war das Ende der Welt. Und stetig, wieder und wieder, entzündete er sein Feuer, sobald die Nacht hereinbrach und die Möglichkeit bestand, dass sich ein Schiff in der Dunkelheit ans Ende der Welt verirren konnte.

Ein alter Mann an der Küste. Das sagten sie, wenn sie bei dem Leuchtturm anlegten und er sie, mit einer Laterne in seiner alten, verrunzelten Hand, auf seiner Insel willkommen hieß.

Es war weder kalt noch warm; er hatte sich schon längst an das Wetter angepasst. Die Laterne auf dem Geländer abstellend, setzte er sich auf eine abgenutzte Holzbank. Der Geruch von Moder und Salz stieg ihm in die Nase; er schloss die Augen und sog tief die Luft ein. Ja, das war seine Welt. Das Leben hatte ihm alles gegeben.

Er war nicht immer hier gewesen. Nein, eigentlich war er durch einen Zufall an diesen Ort gekommen, den er jedoch schon längst vergessen hatte. Er dachte nicht über seine frühere Heimat nach. Doch jetzt versuchte er, sich zu erinnern. Kinder auf Feldern, Jungen und Mädchen. Eine war eine Prinzessin unter all den anderen. Ihr Lachen drang von weiter Ferne an sein Ohr, für einen kurzen Moment roch er ihr Haar, welches immer nach Honig geduftet hatte… Das Bild vor seinem inneren Auge veränderte sich, formte sich zu einem hoch aufragenden Turm inmitten von stürmischen Wellen… Die Prinzessin in einem Turm. Nein. Die Prinzessin wird niemals in einem Turm sein.

Seufzend öffnete er die Augen und das Bild erlosch. Die Zeit, bevor er unbemerkt von der Welt verschwunden war, lag so lange zurück, war so lange von ihm unterdrückt worden und hatte in einer Ecke seines Gewissens verstaubt, bis sie zerbröselte – und nun war kaum noch etwas davon übrig. Jedoch konnte er noch immer das Gras frisch gemähter Kuhweiden unter seinen Füßen spüren. Wann hatte er das letzte Mal einen Fuß auf Festland gesetzt? Er wusste noch, dass es sich anders anfühlte als der Boden seiner Insel. Seine Insel schwankte und erzitterte manchmal unter seinen Tritten, und wenn ein besonders mächtiger Sturm sie ergriff, brodelte sie wie ein Deckeltopf, angepeitscht von kochender Suppe.

Der Himmel war schwarz. Keine Sterne waren zu sehen, denn die Wolken – fest und grau waren sie – verdeckten alle Himmelskörper. Doch ihm war es nur recht – solange kein Nebel aufkam, der seinen Turm verdeckte.

Ein Geist im Nebel. Er erinnerte sich. Wie lange war es her? Einige Jahre? Jedoch sah er es immer noch klar vor sich, so klar es in diesem tief hängenden, dichten Nebel eben möglich war – ein Schiff, dessen Namen er nicht wusste, auf dem Weg zu seiner Insel. Nebel. Sämtliche Leuchtfeuer waren entzündet gewesen. Nebel. Er, nass und triefend vom ständigen Regen, winkend und Fackeln schwenkend auf der Plattform. Doch noch immer war der Nebel da gewesen. Und die Klippen. Seit er denken konnte, hatte es die Klippen gegeben, doch niemand war ihnen jemals nahe gekommen. Nur das namenlose Schiff, dass – nein. Nicht deine Schuld.

Langsam wurden seine Gliedmaßen taub. Sein Zeitgefühl sagte ihm, dass sich seine Nachtschicht dem Ende neigte, und es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten Strahlen der Morgensonne sich zeigten. Gemächlich erhob er sich von der Bank und streckte sich ausgiebig, bevor er zurück in den Turm stieg.

Sein Zimmer wirkte kalt und war spärlich eingerichtet. Ihm machte das nichts. Er besaß eine ganze Insel, warum sollte er sein Zimmer mit Habseligkeiten voll stopfen? Um Kerzenwachs zu sparen, zündete er die Kerze auf dem Tisch gar nicht erst an, sondern stellte einfach seine Laterne neben sie. Ein öliger Geruch breitete sich im Raum aus.

Kurz bevor er sich schlafen legte, tötete er das Licht aus und kroch im Dunkeln zu seinem Bett und unter die Bettdecke. Wieder die Präzision des Alters.

Er dachte daran, wie es wohl wäre, seine Erinnerungen lebendig werden zu lassen. Was, wenn er nur für einen Tag auf das Festland übersetzte? Nur um das Gefühl soliden Bodens noch einmal unter seinen Füßen spüren zu können... Und dann zurück auf die Insel, ein letztes Mal die Segel setzen, um seinen Lebensabend hier, am Ende der Welt, verbringen zu können.

Er fragte sich, woher plötzlich der Geruch von wildem Honig kam – dann schlief er mit einem Lächeln ein, das durch seinen Bärenbart hindurchblitzte, und mit einer ihn jäh überkommenden Gewissheit wusste er, dass er weder jemals wieder Festland betreten noch in seinem Bett aufwachen würde.

Draußen war der Himmel rot vom Licht der aufgehenden Sonne.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von: abgemeldet
2012-03-10T20:25:27+00:00 10.03.2012 21:25
Ich weiß nicht ob es Absicht war oder ob ich einfach langsam lese, doch das Lied im Hintergrund The Islander endete genau dann, als ich das letzte Wort gelesen habe.

Oder es lag einfach daran, dass ich jedes Wort genossen habe! Da gibt es nur ein Problem: Das Lied muss ich mir jetzt noch mal anhören, weil ich das fast gänzlich ausgeblendet hatte.
Und meine Liebe - du weißt, dass das bei mir fast unmöglich ist.

Es ist ja nicht so, als wüsste ich nicht, wie wunderschön du schreiben kannst. Aber du hast mich mit deiner absolut fehlerfreien Wortwahl einmal mehr in den Bann gezogen. Und im Hinterkopf dann zu wissen, das der Text von 2007 bzw. 2008 ist beeindruckt mich umso mehr.

Und da ich bekanntlich nicht so der typische Kommentarschreiber bin, halte ich nun meine Klappe und hör mir das Lied noch einmal an ♥

Daniela
Von:  LittleDYue
2010-10-19T17:07:12+00:00 19.10.2010 19:07
diese FF war hervoragend gute Leistung *Daumen hoch*

einfach spitze, sie war einfach und präzise

vor allem der alte mann und die landschaft und alles so herum war sehr gut gelungen

weiter so

liebe Grüße

ito
Von:  Scribble
2010-08-15T15:22:02+00:00 15.08.2010 17:22
Wow.
Wirklich - wow. Ich finde dieses Lied auch immer wahnsinnig inspirierend, aber habe nie etwas ordentliches hinbekommen. Deine Geschichte aber ist unglaublich gefühlvoll, ich hatte förmlich den Geruch von Salz in der Nase und sah den Mann, sein Ritual ...
Du schreibst wahninnig gut und ich werde immer an deine Geschichte denken müssen, wenn ich das Lied jetzt höre.
Danke!

Von:  TommyGunArts
2010-08-05T13:05:46+00:00 05.08.2010 15:05
Hallöchen :)

Erstmal alles gute zum 4. Platz *_*
Und nun der versprochene Kommentar, der so lange aufgeschoben wurde^^

Du hast einen wirklich beeindruckenden Schreibstil, dass muss ich dir lassen. Du beschreibst schön und vor allem genau, mit vielen schönen rhetorischen Mitteln. Das sieht man gleich am Anfang der Geschichte.

"Seewinde bliesen ihm ins Gesicht, durchkämmten seinen Bart und strichen über die Falten hinweg, die sich im Laufe der Zeit um seine Augen gebildet hatten und ihm, in Zusammenhang mit dem weißen Bart, mehr denn je wie einen altehrwürdigen Bären aussehen ließen."

Ein toller Satz, der mich auch direkt zum weiter lesen animiert hat.
Ganz besonders gut fand ich, dass du über einen alten Mann schreibst.
Das kommt nicht häufig vor und macht deine Story zu etwas Besonderem.

Also, dann erfährt man etwas mehr über den alten Mann. Er zündet jeden Abend ein Feuer an. Dies scheint wohl seine Lebensaufgabe geworden zu sein, denn er sieht es als eine Art Beruf an.
Da ist mir auch wieder ein toller Satz entgegen gesprungen:
"Ein alter Mann an der Küste. Das sagten sie, wenn sie bei dem Leuchtturm anlegten und er sie, mit einer Laterne in seiner alten, verrunzelten Hand, auf seiner Insel willkommen hieß."
Einfach klasse!

Der Mann war nicht immer an diesem Ort, wie sich kurz danach herausstellt.
>"Er war nicht immer hier gewesen. Nein, eigentlich war er durch einen Zufall an diesen Ort gekommen, den er jedoch schon längst vergessen hatte."
Da stellt sich natürlich die Frage, wie er dort gelandet ist.
Regt zum Nachdenken an, gut gemacht!
Und dann die Erinnerungen, die der Mann hat. Ganz plötzlich wird damit Spannung aufgebaut und das interesse besteht, mehr zu erfahren.

Doch es kommt noch besser. Die Stimmung wird finsterer und die Spannung steigt, wenn du schreibst:
>"Der Himmel war schwarz. Keine Sterne waren zu sehen, denn die Wolken – fest und grau waren sie – verdeckten alle Himmelskörper. Doch ihm war es nur recht – solange kein Nebel aufkam, der seinen Turm verdeckte."
Das Feuer, was der Mann entfacht soll den Schiffen, die eventuell vorbeikommen dazu dienen, nicht an die Klippen der Insel zu Prallen. Doch wenn Nebel mit ins Spiel kommt, dann sehen die Schiffe das Feuer nicht. Davor hat der Alte angst, denn er erinnert sich daran, das soetwas schon vorgekommen war.
>"Ein Geist im Nebel. Er erinnerte sich. Wie lange war es her? Einige Jahre? Jedoch sah er es immer noch klar vor sich, so klar es in diesem tief hängenden, dichten Nebel eben möglich war – ein Schiff, dessen Namen er nicht wusste, auf dem Weg zu seiner Insel. Nebel. Sämtliche Leuchtfeuer waren entzündet gewesen. Nebel. Er, nass und triefend vom ständigen Regen, winkend und Fackeln schwenkend auf der Plattform. Doch noch immer war der Nebel da gewesen. Und die Klippen. Seit er denken konnte, hatte es die Klippen gegeben, doch niemand war ihnen jemals nahe gekommen. Nur das namenlose Schiff, dass – nein. Nicht deine Schuld."

(entschuldige, aber dieser Absatz hat es mit echt angetan!)
Es ist...einfach wahnsinnig gut geschrieben. Man kann richtig erkennen, wie der Mann versucht die Erinnerung an das zerschellte Schiff zu verdrängen und sich nicht die Schuld dafür zu geben. Auch, dass du mitten im Satz aufhörst (bezogen auf den letzten Satz) ist genial.
Wirklich, wirklich gut!!

Irgendwann ist dann die "Schicht" zu ende und der Mann ist müde.
Er geht zurück in seinen Turm und legt sich schlafen.
Dann fragt er sich, wie es wäre, wenn die Erinnerungen wieder wahr würden.
Da wird auch sein größter Wunsch deutlich:
Er will nichts lieber, als noch einmal das Festland unter den Füßen spüren. Nur noch einmal möchte er festen Boden und dann seinetwegen zurück auf die Insel.

Und dann das Ende:
>"Er fragte sich, woher plötzlich der Geruch von wildem Honig kam – dann schlief er mit einem Lächeln ein, das durch seinen Bärenbart hindurchblitzte, und mit einer ihn jäh überkommenden Gewissheit wusste er, dass er weder jemals wieder Festland betreten noch in seinem Bett aufwachen würde.

Draußen war der Himmel rot vom Licht der aufgehenden Sonne."

Unheimlich traurig... Nichteinmal sein letzter Wunsch wird ihm erfüllt.
Er stirbt einfach.
Ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht heule...
Irgendwie ist die Story ganz schön häftig.
Man kann sich alles so genau vorstellen, mit dem Alten mitfühlen.
Verdammt gut!

Schöne/traurige Geschichte, gute Idee, klasse Beschreibungen, absolut geniales Ende!
Weiter so!
Schreib mehr von dieser Sorte, würde gerne noch etwas lesen.

lg
schnorzel
Von:  Rowyn
2010-06-23T18:13:07+00:00 23.06.2010 20:13
Wow, das war echt eine schauderhaft-, schöne Geschichte. Sehr gefühlvoll geschrieben und vor allem beschrieben. Es war herrlich und einfach sich in diese Story einzufühlen. :)
Weiter so ;)
LG Kiara
Von: abgemeldet
2008-12-01T20:17:33+00:00 01.12.2008 21:17
find ich auch total schön geschrieben!!
weiter so ^-^

Von: abgemeldet
2008-06-03T00:09:08+00:00 03.06.2008 02:09
o.O ich hab erst deinen Namen gesehn als ich die Geschichte schon fertig gelesen hatte... deine Wortwahl ist einfach klasse O_O *sich die Dinge wirklich bildlich vorstellen kann* Haste gut gemacht ^_^


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