Salat für den Blutsauger
Lost Angel
Kapitel 23 – Salat für den Blutsauger
Jesko’s PoV
Ich wusste doch, wie er diese zärtlichen Berührungen mochte. So lange ich nur
vorsichtig genug war. Dann fühlte er sich wohl. Und etwas anderes wollte ich gar
nicht.
Langsam schlang ich die Arme immer enger um ihn. Er keucht leicht auf. Ließ den
Kopf aber schließlich wieder an meine Brust sinken. Wo er ihn schon die ganze
Zeit gehabt hatte. Schon seit Minuten.
Jemil kuschelte sich enger an mich. Wie konnte er sich denn nur so gut bei mir
fühlen? Werwolf und Vampir vertrugen sich doch eigentlich nicht. Aber dann durfte
ich mich wohl auch nicht einfach geborgen fühlen. War es denn dann auch bei mir
falsch?
Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Wir waren zusammen abgehauen und seine nette
Verwandtschaft würde uns sicher verfolgen. Wenn nicht sogar bis ans Ende der
Welt. Ich konnte es mir schon gut und gerne vorstellen, dass Pio in zurück haben
wollte. Aber nicht aus Bruderliebe heraus.
Ich war mir gar nicht so im Klaren, wieso er von seinem Bruder überhaupt so
gequält wurde. Was konnte der denn schon für einen Grund haben, ihm so etwas
antun zu können? Oder war Pio einfach nur krank?
Ich streichelte leicht über Jemils Wange. Zog ihn dann einfach mit zurück in die
Kissen. Es war für ihn viel zu früh. Ein paar Stunden Schlaf würden für ihn das
Beste sein.
Leicht berührte ich seinen Hals mit den Lippen. Küsste ihn dort nur ein paar Mal,
bevor ich mich aufraffte. Eigentlich trieb mich nur der Hunger dazu. Ob es ihm
wohl gerade ähnlich ging?
„Hast du Hunger?“, fragte ich deswegen einfach, als ich gerade meine Boxershorts
vom Boden aufgesammelt hatte. „Wenn du mich nicht gerade an deinem Hals saugen
lassen willst, dann nein“, bekam ich auch gleich zur Antwort. Leicht hob ich eine
Augenbraue. „Können Vampire nichts anderes ... na ja, essen?“, wollte ich wissen.
Er konnte immerhin nicht die ganze Zeit irgendwelche Leute so einfach umbringen,
nur weil er Hunger hatte. Obwohl sie das Blut wohl eher brauchten um irgendwie
ihr Herz halbwegs in Bewegung halten zu können – so hatte ich es zumindest einmal
gehört.
„So lange es nicht Fisch oder Fleisch ist. Etwas anderes kann ich nämlich auch
essen.“ Das war jetzt schon ein Schock für mich. „So etwas darfst du nicht Essen?“
Ich blickte ihn verwirrt an. Gerade ohne das könnte ich nicht leben und er
durfte nichts davon haben? Das konnte ich gar nicht glauben.
„Nur wenn ich große Lust darauf hätte zu sterben.“ Es kam mir so vor, als hätte
sich ein ganz leichtes Lächeln auf seine Lippen gebildet. Das merkte er wohl gar
nicht. Denn eigentlich hatten seine Stimme nicht einmal irgendwie so geklungen,
als ob er es lustig finden könnte. Das tat ich aber auch nicht. Wenn er deswegen
sterben müsste, dann musste er wohl darauf verzichten.
„Willst du dann irgendetwas anders?“, fragte ich. Legte den Kopf leicht schief,
während ich mich wieder auf die Bettkante kniete.
Jemil setzte sich auf. Legte seine Finger auf meinen Hals und streichelte leicht
darüber. Er öffnete den Mund. Nur einen Spalt. Leckte mit der Zunge über seine
Schneidezähne. Das entlockte mir nur ein Schlucken. Er blickte mich fast schon
ausgehungert an. Aber von meinem Blut wollte er doch nichts.
Er seufzte. Rutschte ein Stück zurück und schüttelte langsam den Kopf. Der Vampir
massierte sich leicht die Schläfe. „Tut mir leid“, murmelte Jemil. Blickte etwas
zaghaft zu mir auf. Irgendwie mochte ich fast schon diesen schüchternen
Gesichtsausdruck. Er wirkte so richtig putzig.
„Willst du jetzt irgendetwas anderes?“ Sanft zog ich ihn zu mir. „Wenn du etwas
besorgen kannst.“ Für eine Moment kuschelte er sich sogar noch selbst an mich.
Wich dann aber wieder von mir zurück. Ganz leicht zitterte er.
„Ich bin gleich wieder da“, meinte ich, als ich ihm die Decke über den Kopf
geworfen hatte. „Hm“, gab er noch knapp von sich, als ich mich schnell angezogen
hatte und auch schon im nächsten Moment vor der Zimmertür stand. Ganz wusste ich
nicht, wo ich jetzt hin sollte. Ich hatte noch so gut, wie gar nichts von dem
Haus gesehen. Bis auf das Zimmer in dem wir geschlafen hatten.
Langsam ging ich den Flur entlang. In Richtung Treppe. Ich hoffte einfach einmal,
dass ich die Küche so finden würde. Mein Hunger würde mich schon dazu antreiben.
Kaum war ich aber im Erdgeschoss hörte ich Schritte. „Guten Morgen, Jesko“, wurde
ich da aber auch schon von Nina begrüßt. Da lachte sie aber auch schon auf. „Ist
wohl etwas spät dafür“, meinte sie aber auch gleich.
Ich wusste nicht, wie spät es war. Es war aber auch gestern spät genug gewesen,
als ich endlich zur Ruhe kam. Somit wäre es wohl nicht ungewöhnlich, wenn es
längst Mittag wäre. Dann war aber auch mein Hunger nicht gerade ungewöhnlich.
Seit gestern hatte ich auch nichts mehr im Magen. Oder war das schon länger her.
„Wollt ihr etwas essen ... oder wohl eher du? Wo hast du denn deinen blonden
Freund gelassen?“ „Jemil schläft noch.“ - Ich setzte kurz aus - „Und ich hätte
gerne etwas zu Essen.“ Ob man wohl das bittende Strahlen in meinen Augen sehen
konnte? Hoffentlich nicht zu deutlich.
„Na dann komm mal mit.“ Gelassen führte sie mich durch die Gänge. An einige
Bediensteten vorbei, die gerade am Putzen waren. Viel hatten sie wohl nicht zu
tun.
„Willst du Jemil etwas mitnehmen?“, fragte Nina, als wir in der Küche angelangt
waren und ich schon dabei war den Kühlschrank auszuräumen. „Wenn ich darf.“ Kurz
sah ich auf. Vergrub die Nase dann aber auch schon wieder in dem Kühlgerät.
Mir lief regelrecht das Wasser im Mund zusammen, bei den ganzen Sachen, die ich
essen könnte. Es war zu viel, was ich mochte oder einfach einmal probieren würde.
Doch alles könnte ich wohl gar nicht mitnehmen.
„Bist wohl ganz schön ausgehungert.“ Nina zog eine Augenbraue hoch, als ich mich
voll beladen wieder zu ihr wendete. „Ich muss für Jemil auch etwas mitnehmen“,
meinte ich darauf aber nur knapp. Für uns beide würde das wohl leicht reichen.
Sie seufzte leicht. „Du magst ihn wohl sehr.“ Als Antwort bekam sie nur ein
leichtes Lächeln und ein knappes 'Hm'
Mehr musste sie gar nicht wissen. Heute Nacht würden wir hier ohnehin wieder
abhauen. Das hatte ich mir für uns schon einmal vorgenommen. Es war mir
eigentlich egal, was Jemil dazu sagen würde. Aber er wollte doch auch einfach nur
immer weiter weg. Meter für Meter. Kilometer für Kilometer. Immer weiter. Bis es
irgendwann nicht mehr ging. Und ich würde bei ihm bleiben. Ich wollte bei ihm
bleiben.
„Mann, du musst ja verdammt verliebt sein.“ Ich schreckte aus meinen Gedanken
hoch. „Wie kommst du darauf?“ Hatte ich denn irgendwie so ausgesehen. „Dein
Blick. Du hast einfach so verdammt verliebt geschaut. Na ja, deswegen dachte ich
nur, dass ihr wohl ziemlich gut miteinander verbunden seid.“
Ich seufzte. „Er ist mir nur sehr wichtig.“ Ich wusste gar nicht, wieso ich es
nicht zugeben konnte. Vielleicht einfach, weil ich es ihm einfach auch nichts
gesagt hatte. Dann war es wohl nicht ungewöhnlich, dass ich es jemand anderen
auch nicht einfach so erzählen konnte.
„Ihr seid wohl noch nicht so lange zusammen.“ Ich gab ganz einfach keine
Erwiderung mehr. Ich wollte gar nicht reden. Nur zu Jemil zurück. Ihn wieder ganz
nah bei mir spüren.
Erst als ich wieder vor der Zimmertür war, hinter der ich vor einigen Minuten
meinen kleinen Vampir zurückgelassen hatte, gab sie es endlich auf. Lange hätte
ich ihr Gerede aber auch nicht mehr ausgehalten.
„Hey, Jemil“, schallte ich in den Raum. Erhielt aber keine Antwort. Er hatte sich
im Bett zusammengerollt. Was hätte ich aber auch anderes erwartet, als das er
wieder schlief. So wie ich es auf der Uhr in der Küche gesehen hatte, war es erst
kurz vor Mittag. So hatte er wohl seinen Schlaf verdient.
Ich ließ das Essen auf den Schreibtisch am Fenster sinken. Alles was Jemil nicht
essen konnte – also Fleisch, Fisch und alles Ähnliche – verleibte ich mir gleich
ein. Es fühlte sich richtig gut an, wieder etwas zu essen.
Genüsslich leckte ich mir schließlich über die Lippen, als ich mich wieder dem
Bett zuwendete. Irgendetwas hatte ich von dort gehört. Nur ein leises Murmeln.
Kaum hörbar. Aber für meine Ohren noch gut genug vernehmbar.
„Jesko.“ Und wieder. Er wollte mich wohl bei sich haben. „Na, Jemil?“, flüsterte
ich, als ich mich zu ihm kniete. Ihm ganz vorsichtig über die Wange streichelte.
Er war immer noch etwas warm. Nur noch etwas. Bis heute Nacht würde es ihm wohl
wieder ganz gut gehen. Zumindest so weit hoffen durfte ich.
„Hey, Jemil. Wach auf. Ich hab was zum Essen für dich.“ Sanft kitzelte ich ihn.
Nur ganz leicht. Ganz vorsichtig. „Hör auf, Jesko.“ Er drückte mich weg. Nicht
gewaltsam. Nur etwas zaghaft. Hob ein Lid. Für einige Sekunden. Versuchte sich
dann wieder auf die Seite zu drehen und wohl weiter zu schlafen. Doch das ließ
ich gar nicht zu.
„Ich hab dir was zum Essen mitgebracht.“ Ein Lächeln hatte sich auf meinen Lippen
gebildet, als ich das sagte. Ich wusste nicht einmal wieso ich lächelte. Es
fühlte sich nur verdammt gut an. Und mit was für einem süßen Blick er das
erwiderte.
„Hast du etwas Salat?“, fragte er da aber auch schon. Ich verzog das Gesicht.
„Den hab ich übrig gelassen. Dachte aber nicht, dass du den haben willst.“ Ich
stand langsam wieder auf. Schnappte mir den Salat, der in einer Schüssel
angemacht war, und drehte mich gleich wieder zu ihm um. Hielt ihm das Grünzeug
hin. „Wenn es dir schmeckt.“
Genüsslich schlang er den Salat sogar hinunter. Dass das wirklich gut war, konnte
ich mir gar nicht vorstellen. Es schmeckte doch eigentlich nach gar nichts. Und
diese grässliche grüne Farbe. Eklig. Da könnte man doch auch gleich Gras essen
oder Blätter. Die konnten auch nicht besser sein.
„Ah, das war gut.“ Jemil hielt mir die Schüssel wieder hin. Alles war weg. Gut,
dass ich es nicht mochte. So machte es mir schon gar nichts aus, dass er mir
nicht übrig gelassen hatte.
„Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht wieder von hier abhauen?“ Ich fragte
es fast schon zaghaft. Seine Reaktion wollte ich aber eigentlich auch gar nicht
hören. Ich würde eh auf keine Widersprüche hören. Wenn er nicht wollte, würde ich
ihn ohnehin einfach mitschleifen. Ich wollte doch auch nur ganz weit mit ihm von
hier weg.
„Gerne.“ Es lag etwas Fröhliches in seiner Stimme. „Äh, willst du wirklich?“ Ich
glaubte nicht ganz was ich gehört hatte. Blickte ihn nur etwas verwirrt an. „Das
hab ich doch versprochen. Wir wollte zusammen abhauen. Und das Versprechen halte
ich. Wenn ich schon sonst immer alles versaue.“
Natürlich wollten wir gemeinsam weg, aber dass er das so eiskalt durchziehen
würde. Ich hätte es wohl niemanden geglaubt, wenn er mir das vor ein paar Wochen
gesagt hätte. Der wäre für mich einfach nur verrückt gewesen. Krank. Etwas
anderes wäre diese Person dann nicht für mich gewesen. Doch jetzt würde ich es
jedem glauben.
Jemil war wohl etwas Anders. Er war etwas Besonderes. Und trotzdem waren wir uns
doch irgendwie – auf irgendeiner Ebene – ähnlich. Vielleicht lag es aber auch nur
daran, dass wir uns gegenseitig brauchten. Ich hätte wohl nie ohne ihn meine
Freiheit gefunden. Und er hätte mir wohl nie gezeigt, wie er wirklich war.
Ich legte die Arme um ihn. „Na dann werden wir heute Nacht einfach weiter ziehen.
Es ist doch ohnehin zu gefährlich, wenn wir hier bleiben.“ Wir würden nur diese
Leute mit hineinziehen. Darauf war ich nicht wirklich scharf.
„Wir werden dann aber auf Ewig weglaufen. Wirklich unsere Ruhe werden wir nie
haben.“ Jemil klang jetzt wieder so leicht eingeschüchtert. „Zusammen schaffen
wir das schon“, meinte ich nur. Kraulte ihm sanft den Nacken.
Er kuschelte sich an mich. Einmal mehr. Locker legte er den Kopf an meine Brust.
„Beschützt du mich für immer?“ Bei seiner Frage nickte ich langsam. „Für immer.
Nur dich.“ Etwas anderes wollte ich doch nicht.
Zärtlich küsste ich ihn. „Du schläfst jetzt noch ein bisschen und dann brechen
wir einfach später wieder auf.“ Ich lächelte ihn glücklich an. Doch da war er
doch schon längst wieder eingeschlafen. Was sollte das Vampirchen aber auch
machen, wenn es tagsüber einfach müde war?