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Von Pflicht und Ehre

von

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Campanula

Dieses Kapitel sei demjenigen gewidmet, der mein Leben lebenswert macht und mich durch seinen aufmunternden Kommentar überhaupt dazu ermutigt hat, diese Geschichte fortzuführen.
 


 

Campanula
 


 

Natürlich sah ich die Blicke des Taxifahrers durch den Rückspiegel. Da er uns am Krankenhaus abgeholt hatte, hatte er eine Erklärung für meine äußere Erscheinung.

Und doch wollte ich weder, dass er mich mit dieser mitleidlosen Neugier ansah, noch dass Ukyo mich so ansah, wie sie es tat. Sie wollte nicht, dass ich seine Reaktion sah. Wütend war sie, dass er mich so schamlos musterte – er und all die anderen Menschen, die uns auf unserem Weg zum Taxistand aus dem Krankenhaus heraus begegneten und mich einfach anstarrten. Und doch sagte sie kein Wort. Das ist die berühmte Höflichkeit der Japaner, ihr Taktgefühl selbst in der größten Taktlosigkeit. Sie sind so taktvoll, andere nicht auf ihre Taktlosigkeit hinzuweisen.

Ich hatte nicht erwartet, dass sich jemand für mich einsetzte, dass jemand all diesen Leuten ins Gesicht schrie, sie sollten doch gefälligst ihrer eigenen Wege gehen und uns mit ihrem aufdringlichen Starren, ihrem verhaltenen Schweigen unbehelligt lassen.

Aber es wäre schön gewesen.

Das erste Mal seit einigen Monaten sah ich wieder die Straßen von Nerima; aufgrund der späten Stunde verlassen. Nur das bleiche Licht der Straßenlaternen okkupierte die dunkle Welt um uns herum.

Während der Fahrt wurde kaum ein Wort gesprochen. Ukyo hielt sich in ihrer Wut zurück und erteilte dem Fahrer gelegentlich knappe Richtungsanweisungen, wenn er danach verlangte, wohingegen ich versuchte, mich und mein Gesicht hinter Haarsträhnen zu verbergen, welche sich aus meinem losen Pferdeschwanz gelöst hatten und über meine Schulter gefallen waren. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken – der Fahrer, wie er abwechselnd auf die Straße blickte oder mich musterte und sich dabei ausmalte, was mir wohl passiert sein mochte. Mir ist aufgefallen, dass es den Menschen besonders viel Spaß macht, sich das Leid anderer Menschen vorzustellen. Schicksale und vor allem Leidensgeschichten waren für sie köstlicher als jeder gute Roman.

Ukyo, die starr aus dem Fenster blickte und es äußerst bedacht vermied, mich anzusehen.

Meine Wenigkeit, wie ich mit gesenktem Kopf einfach nur still da saß und mich wunderte, wo all meine Gedanken mit einem Male waren. Da war nichts als Leere.

Der Wagen hatte angehalten. Wie durch einen Schleier aus Bedeutungslosigkeit sah ich, wie Ukyo den Fahrer bezahlte. Er blieb sitzen, während Ukyo und ich ausstiegen und uns um mein Gepäck kümmerten. Viel konnte ich Ukyo nicht helfen – mit nur einem funktionsfähigen Arm war ich unfähig. Glücklicherweise besaß ich nicht viele Habseligkeiten.

Das bisschen, was ich besaß, ließ sich in einer mittelgroßen Sporttasche zusammenfassen.

Kaum hatten wir den Kofferraumdeckel geschlossen, so fuhr das Taxi bereits schon an und war bald darauf verschwunden. So viel zur berühmten japanischen Höflichkeit.

Er hatte uns noch nicht einmal geholfen, meine Sachen herauszutragen.

Einen Moment lang genossen Ukyo und ich die friedliche Stille, die eintrat, nachdem die Motorengeräusche verhallt waren. Irgendwo in der Ferne kläffte ein Hund, aber auch er in seiner Wut konnte diesen kurzen Augenblick des Friedens nicht stören.

Wir standen im hellen Licht der Straßenlaterne vor Ukyos Laden, und meine Begleiterin führte mich zum Hintereingang des kleinen Hauses, wo sie mir Einlass gewährte. Kurz ließ ich meine Augen noch einmal über die kleinen Gärten der Nachbarschaft schweifen und fing damit einen Augenblick harmonischer, vorstädtischer Nachtruhe ein, bevor ich dem jungen, braunhaarigen Mädchen in ihr trautes Heim folgte.

Sie war schon erstaunlich.

In einem so jungen Alter hatte sie sich schon ein eigenes Heim aufgebaut. Sie war vollkommen selbstständig und unabhängig. War an nichts und niemanden gebunden.

Das bewunderte ich. Ich musste zugeben, dass sie mir mit ihrer schöpferischen Kraft und ihrer Willensstärke, sich ein eigenes Leben aufbauen zu wollen, imponierte. Wo ich stets den mir vorgeschriebenen Schicksalspfaden entlang gewandert war, war sie aus jedem Zwang ausgebrochen. Als ich mein Training begann, um der Tradition zu folgen und meinem Dorf Ehre zu bereiten, da hatte irgendwo in Japan ein junges Mädchen entgegen der Tradition, entgegen ihrer Bestimmung fleißig das Backen dieser Okonomiyaki geübt. Wie ein Junge hatte sie gekämpft – obwohl sie sich doch eigentlich auf ein stilles und braves Hausfrauendasein vorbereiten sollte.

„Magst du etwas essen?“

Ich nickte. Mir war nicht nach Reden zumute.

Auch sie schien nicht an einem Gespräch interessiert. Wortlos arbeitete sie an unserem Nachtmahl.

Wie geschickt sie war! Aber sie sah sehr müde aus.

Mich befiel ein unsägliches Gefühl der Dankbarkeit. Sie hatte sich um mich gekümmert und um mich bemüht – die ganze Zeit, als ich alleine und trostlos in meinem Krankenbett gelegen hatte. Das war mehr, als ich von meiner ehemaligen Rivalin hätte erwarten dürfen. Die einzigen, von denen ich glaubte, sie würden sich je so um mich kümmern, hatten mich im Stich gelassen. Ob nun absichtlich, oder fehlgeleitet, in die Irre geführt. Meine Sicht verschwamm für einen kurzen Moment, und ich konnte nur das Geräusch leicht zischelnder Zutaten hören, als sich wieder einmal dieses bereits gewohnte Gefühl der Schwermütigkeit in mir breit zu machen drohte.

Angestrengt versuchte ich durch den heißen Schleier aus Tränen Ukyos Gesicht zu erkennen. Sie hatte mir in all dieser Zeit geholfen, wenn mich die Einsamkeit und Trauer zu überwältigen schien. Und ja – auch jetzt half sie mir. Durch ihre bloße Anwesenheit – dadurch, dass sie für mich da war. Dass sie all das für mich auf sich genommen hatte und aufnahm.

Nicht nur hatte sie mich stets besucht – manchmal selbst nach einem harten Arbeitstag, wenn sie Zeit fand. Nun hatte sie mir sogar angeboten... nach meiner Entlassung ein wenig bei ihr zu wohnen, bis ich eine eigene Bleibe gefunden hätte. Nachdem meine Großmutter verschwunden war, um mich irgendwo in China zu suchen, hatte auch Mu-Tsu nichts mehr in Nerima gehalten. In ihrem Wunsch, mich zu finden, hatten sie mich also alleine gelassen. Alleine – und doch hatte ich eine Freundin gefunden.

Eine treue Freundin, die sich selbst jetzt, nach meiner Entlassung, nach einem so langen und harten Arbeitstag um mich, ihre einstige Erzfeindin, kümmerte und mir ein Abendessen zubereitete.

Großen Dank empfand ich für sie. Sicherlich waren ihre Motive nicht bloße Selbstlosigkeit und Nächstenliebe – sie wollte nicht alleine sein. Eigentlich war es wohl nichts weiter als der egoistische Wunsch, nicht einsam zu sein, und vielleicht eine Prise Mitleid, die sie bewogen hatten, mich aufzunehmen.

Und doch... All das akzeptierte ich. Zwischen uns herrschten ehrliche Verhältnisse. Sie mochte mich und schenkte mir Zeit aus den selben Gründen, aus denen ich mich ihr zuwand und widmete. In unserer Verlassenheit brauchten wir einander.

Uns beiden hatte man tiefe Wunden in den Rücken geschlagen, in Höhe unserer Herzen. Nun brauchten wir beide jemanden, der uns diese Wunden versorgte.

Selbst jetzt half ihr Anblick, um mich von dieser Trauer, die mich wieder anfallen wollte, zu erlösen, für einen kurzen Moment zu befreien. Sie half mir, wieder klar zu sehen.

Was für ein schönes Gesicht! Ein Gesicht, dass zu dem Charakter dieses Menschen passte. Ein gutes, ehrliches Gesicht. Für ihre Stärke bewunderte ich sie, für ihre Freundlichkeit dankte ich ihr.

Ihr Gesicht zeigte äußerste Konzentration, als sie mit geübter Präzision und Perfektion ihre Spatula benutzte, um unser Essen zuzubereiten. Über ihrer Nasenwurzel zeichneten sich leicht kleine, senkrechte Falten ab, und eine ihrer Augenbrauen war ein wenig nach oben gezogen. Mein Blick folgte einem einsamen Schweißtropfen, der, von der Hitze der Herdplatten herausgefordert, über ihre linke Wange zu ihrem Mund perlte, und mich auf ein weiteres, kleines Detail aufmerksam machte.

Es ist interessant – jeder Mensch zeigt andere kleine Besonderheiten, gibt er sich ausschließlich einer bestimmten Regung hin.

Ukyos Eigenart war es, in Zuständen der Konzentration oder auch Nervosität leicht an ihrer Unterlippe zu nagen.

Ich musste unwillkürlich leicht lächeln.

Ein guter Mensch. Ein schöner Mensch. Der einzige Mensch, dem ich momentan trauen konnte und wollte. Ich würde ihr meinen Dank schon zeigen!

Während wir aßen, schwiegen wir. Sie wusste, dass ich ihre Gutmütigkeit und Freundlichkeit nicht für selbstverständlich nahm, sondern als ehrenvolles Geschenk betrachtete, dem ich gedachte, mich würdig zu erweisen. Nein, ich hatte nicht vor, sie auszunutzen! Ich würde ihr und aller Welt zeigen, dass ich nicht nutzlos war!

Ich hingegen wusste nur allzu gut ihr ermattetes Gesicht zu deuten. Sie war sehr, sehr müde.

Nachdem sie ihren Laden geschlossen hatte, war sie direkt zu mir gekommen, damit ich am Tag meiner Entlassung nicht zu lange alleine im Wartesaal saß und traurig all die Menschen beobachten musste, die krank waren und von liebenden Angehörigen besucht wurden.

Ukyo schien zu glauben, dass mir ein solcher Anblick etwas ausmachte. Dem war aber nicht so. Natürlich fühlte ich mich einsam. Natürlich war mir nur allzu klar bewusst, dass mich selbst meine Familie verlassen hatte.

Nachdenklich kaute ich auf einem Bissen delikatem Okonomiyaki.

Ja, ich vermisste sie. Urgroßmutter – ja selbst die dumme Ente. Urgroßmutter, die mich stets verstand, ohne dass ich auch nur ein Wort sagen brauchte – Urgroßmutter, die mir auch mit klugem Rat bei meinen Plänen und Intrigen half.

Urgroßmutter, die mich nach dem Tod meiner Mutter das Kämpfen lehrte.

Das Entchen... Wie sehr hatte er sich immer bemüht, mir zu gefallen! Dieser dumme, kleine Junge. Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass Ranma allein mein Herz gehörte und immer gehören würde. Keine Mühe und Anstrengung hatte er gescheut, um mich davon zu überzeugen, dass er ein würdiger Ehemann für mich wäre. Und ja – sicherlich hätte er mich auch in einem Kampf besiegen und mich somit zwingen können, ihn zu heiraten. Schließlich war er beileibe kein Schwächling – seine einzige Schwäche war seine starke Sehbehinderung und... natürlich seine Gefühle für mich.

Diese ließen es nicht zu, dass er mich, die er aufrichtig liebte, zu irgendetwas zwang. Er hätte mich besiegen können – aber er wollte nicht gegen mich kämpfen. Nichts mehr wünschte er sich, als dass ich ebensolche Gefühle für ihn entwickeln könnte, wie er sie für mich hortete.

Nichts hätte ihn mehr entzückt, hätten wir eine ehrliche, liebende Beziehung entwickelt.

Bis zu einem gewissen Grad war dies verlockend gewesen... Auch wenn ich ihn immer sehr grob behandelt hatte, so hegte ich doch Gefühle für ihn. Gewiss brüderliche – aber dennoch warme und bisweilen sogar zärtliche Gefühle. Nie wollte ich so hässlich zu ihm sein und ihm wehtun – aber ich konnte ihm auch keine Hoffnungen machen.

So verzweifelt, wie er war, hätte ihn ein liebes Wort direkt dazu verleitet, zu glauben, eine engere Beziehung hätte Chancen.

Wie gut ich ihn verstehen konnte! Mir selbst ging es doch mit Ranma nicht anders. Als ich sah, dass dieses ungezogene, freche und unausstehliche rothaarige Mädchen eigentlich ein gutaussehender junger Mann war, war ich über alle Maße erfreut. Nie hätte ich gedacht, einen so stattlichen Mann kennen zu lernen.

In meiner Schwärmerei himmelte ich ihn an, hob ihn auf den Olymp und vergaß dabei, dass er auch nur ein Mensch war. Ein Mensch voller Fehler.

Ein Mensch, der mich nicht vor den grausamen Hoffnungen beschützt hatte, vor denen ich Mu-Tsu immer hatte bewahren wollen.

Da Ranma zu feige war, je ein klares Wort bezüglich unserer Beziehung oder was ich dafür hielt zu sprechen, hatte ich stets noch Hoffnungen und Träume. Immer versuchte ich mir einzureden, er sei entweder zu männlich für Gefühle, oder zu schüchtern, um sich einzugestehen, dass er mich liebt – oder einfach nur zu verängstigt im Angesichte der teils recht ungerechten Brutalität Akanes.

Mu-Tsu war eindeutig der bessere Mann von beiden. Das wusste ich jetzt. Er hatte mich immer geliebt – schon seit wir ganz klein waren. Immer wollte er mir nahe sein, und es dauerte lange, bis ich die Hintergründe für diesen Wunsch entdeckte. Treusorgend, ehrlich und lieb – was konnte sich ein Mädchen mehr wünschen?

Und doch hatte ich ihm Ranma vorgezogen. Feige, unsensibel und taktlos.

Nun konnte ich mir ruhig trostlos eingestehen, wie falsch ich damals lag. Damals, vor diesem Tag in sonnigem Glanz und mit köstlichem Erdbeereis. Doch all das ist Vergangenheit – Mu-Tsu wird nicht mehr zurückkehren, und meine Fehler werde ich nie wieder gut machen können.

Er würde mir nicht einmal mehr eine Chance geben, zu versuchen, mich in ihn zu verlieben. Denn so wie ich mich in eine Idealvorstellung von Ranma verliebt hatte, so ging es der kleinen Ente auch in meinem Fall. Was er an mir liebte, das hatte ich an in Ranma lieben wollen: Stärke, Unabhängigkeit, Mut, Freiheit, Stolz, Ehre.

Nichts dergleichen besaß ich noch, wenn ich es denn jemals besessen hatte. Sollte Mu-Tsu jemals wiederkehren, so könnte er mich nicht einmal mehr an meinem Aussehen wiedererkennen. Nicht einmal äußerlich war ich mehr die Shampoo, die er einst einmal kannte. Meine Schönheit verloren – innerlich wie äußerlich vernarbt, entstellt.

Langsam stieß ich durch die Oberfläche meiner Gedanken und schnappte nach dem Atem der Realität, indem ich mich aufmerksam in Ukyos Laden umsah und verzweifelt nach einem Thema suchte, dass uns beide davon abhielt, zu lange über diese Dinge nachzudenken. Eine Wette hätte ich abschließen können, worüber Ukyo jetzt gerade in diesem Moment nachdachte, in welchem ihre Augenlider gesenkt waren und ihre Augen stumpf schimmerten und auf ihr Essen fixiert waren, so sicher war ich mir, dass ihre Gedanken in ähnlichen Bahnen kreisten, wie meine.

Das zu wissen war nun wahrhaftig nicht schwer.

„Ich gerne hier im Laden helfen und für dich arbeiten. Darf ich?“ Einen Augenblick lang sah sie mich verwirrt an, so, als habe sie mich nicht verstanden. Dann kam sie wieder zu Sinnen und antwortete mir ein wenig zerstreut, abwesend. Ich wusste, dass es ein langer Tag für sie gewesen sein musste – umso entschlossener war ich, ihr zu helfen.

„Du brauchst mir nicht zu helfen, Shampoo. Ich bin glücklich, wenn du wieder gesund wirst.“

„Ich dir helfen und damit Pasta, oder wie Japaner sagen. Du seien überlastet. Shampoo können helfen! Ich natürlich nicht weiß, wie man Okonomiyaki machen, aber Rezept von Nudelsuppe noch in mein Kopf ist!“ Ein müdes Lächeln, warme Augen. Ich fasse das als Ja auf und erhebe keine Einwände, als sie mir den Vorschlag unterbreitet, nun zu Bett zu gehen. Immerhin sei der morgige Tag ein Werktag, und sie müsse dann gut ausgeruht sein.

Freundlicherweise trägt sie mir meine Tasche hoch, in den ersten Stock, wo sich ihr Schlafzimmer, ein Bad und eine kleine Abstellkammer befinden. Sie zeigt mir alles, macht sich schnell im Bad nachtfertig und legt sich dann bereits schlafen. Somit lässt sie mir Zeit, mich in aller Ruhe im Bad für die Nacht vorzubereiten und um ein wenig allein zu sein. Ich hatte einiges zu verarbeiten.

Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sank ich mit dem Rücken an eben jene Tür gelehnt zu Boden. Im Vergleich zu den Tagen und Wochen, ja, sogar bereits Monaten im Krankenhaus, die durch ihre Monotonie zu einem endlos langen, uniformen Tag verschmolzen waren, erschien mir dieser Tag besonders ereignisreich. Meine Entlassung war auf den Tag verlegt worden, an welchem ich ohne größere Schwierigkeiten ohne Krücken gehen konnte. Da mein Beinbruch relativ kompliziert war, dauerte die Heilung und das erneute Erlernen des Gehens nach wochenlanger, strikter Bettruhe für einen so ungeduldigen Menschen wie mich besonders lange. Wenn es tatsächlich eines gibt, dass mir diese Zeit im Krankenhaus mit auf meinen Weg gegeben hat, dann war es Geduld.

Schon lange war es her, dass ich andere Farben als das Weiß der Wände und Kittel gesehen hatte. Im Vergleich zu dieser farblichen Eintönigkeit war Ukyos Zuhause fast schon eine Sinnesüberlastung.

Bezüglich ihrer Einrichtung hatte sie Geschmack bewiesen – auch die Farbkombinationen gefielen mir, sowie die Beleuchtung. Einfach, nicht zu teuer, aber dadurch umso ruhiger, wärmer und bodenständiger. Ich mochte es, wie Ukyos Einrichtung ihre Persönlichkeit mit ihrer Ruhe, Wärme und Bodenständigkeit widerspiegelte. Mir war aufgefallen, dass vor allem diese Charakterzüge Ukyo ausmachten. Sie war jemand, mit dem man sich leicht anfreunden und gut zurechtkommen konnte – großzügig, liebenswürdig und freundlich.

Früher hatte ich mir keine Mühe gegeben, all diese Dinge in ihr zu sehen – warum sollte man sich mit einer Rivalin erst anfreunden, wenn eine von beiden später ohnehin den Kürzeren ziehen muss und das die Freundschaft letzten Endes doch zerstören würde?

Dass nicht Ukyo, sondern Akane meine größte Gefahr sein sollte, hätte ich früher nie für möglich gehalten. Ukyo war stärker und sah besser aus als Akane. Außerdem behandelte sie Ranma auch nicht so brutal. Natürlich hatte Akane auch ihre Vorteile – ihr Vater würde Ranma bei seiner Heirat mit ihr sein Dojo vererben. Ein Heim - was doch sehr reizvoll für jemanden sein musste, der seit seinem 6. Lebensjahr schon kein rechtes Zuhause mehr gehabt hatte.

Und nun mussten Ukyo und ich uns eingestehen, dass wir ihm nicht das bieten konnten, was er sich von einer Frau erwartete. Vielleicht waren wir nicht schön genug. Nicht vermögend genug. Nicht...

Wir waren einfach nicht genug, wir genügten seinen Ansprüchen nicht. Also entschied er sich für die, die ihm wohl am meisten bot. So einfach war das. Man entscheidet sich ja auch auf dem Hühnermarkt nicht für das krank aussehende Tier, dem man bereits auf den ersten Blick ansieht, dass es nicht viele Eier legen wird und auch zum Schlachten zu mager ist.

Aufmerksam musterte ich die Kacheln. Von den Lampen über dem Spiegel mit ihrem gelben Licht beworfen spiegelten sie matt meine Gestalt auf ihrer cremeweißen Oberfläche.

Meine Gestalt... Ich war neugierig, ob ich es ertragen würde, mich wieder im Spiegel zu erblicken. Bislang hatte ich es immer gemieden, mein Antlitz und meinen Körper zu betrachten.

So stand ich nun auf und wendete mich langsam meinem Spiegelbild zu. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Hatte ich allen Ernstes geglaubt, dass die Narben verschwinden, wenn man nur nicht hinsieht? Aber nein. Da waren sie, in all ihrer Glorie, und zogen sich quer durch mein Gesicht. Besonders die rechte Hemisphäre war betroffen.

Wütend zogen sich die hässlichen, dunklen Risse über mein rechtes Auge, über meine Wangen, über die Schläfe bis hin zu meinem Ohr. Es war, wie wenn ein Kind erzürnt mit einem Wachsmalstift über ein Blatt Papier Striche zieht – von variierender Länge, sich ohne Muster kreuzend. Mein rechtes Auge... Kein Wunder, dass man um mein Augenlicht bangte. Die Haut war dort so zerrissen, dass sie beim Heilen und Zusammenwachsen meine Augenform veränderte, sodass es aussah, als hätte ich jenes Auge stets zu einem wütenden Schlitz zusammengezogen. Auch zog sich dort eine Narbe vertikal von meiner Stirn über die Augenbrauenregion bis über meine rechte Wange, wo sie auf Höhe der Nasenspitze endete.

Achja... Das kam, als mein Gesicht in die Frontscheibe geschmettert wurde. Da ich mich noch gerade halb über die Motorhaube abrollen konnte, hatte es nur die rechte Gesichtshälfte erwischt. Trotzdem sah mein Gesicht nun schrecklich aus. Widerwärtig. Unansehnlich.

Ja... Jetzt würde mich nicht einmal mehr Mu-Tsu wollen. Selbst der geduldige, liebevolle, verständnisvolle Mu-Tsu, der die Wunden vielleicht nicht auf Anhieb sehen würde, würde sie mit seinen sensiblen Fingerspitzen auf jeden Fall spüren, wenn er zärtlich mein Gesicht streicheln oder liebkosen würde.

Nun würde mich niemand mehr lieben können. Mein einziger Vorteil gegenüber anderen Mädchen war stets meine Schönheit gewesen. Charakterlich hatte ich nicht sonderlich viel zu bieten – das wusste ich.

Ein Zittern hatte meinen Körper erfasst. Mein Gesicht war nur der Anfang. Fahrig versuchte ich mir, die Kleider vom Leib zu streifen, um den restlichen Schaden zu begutachten – was mir allerdings nicht so recht wegen meiner bewegungsunfähigen Hand gelingen wollte.

Ich war ein Krüppel! Ein Krüppel! Endlich riss ich mir fast meine Kleidung vom Leib. Mein Körper bebte, als ich all die Dinge wahrnahm, die mich auf ewig als zurückgewiesen, als unwürdig und ausgestoßen markieren würden. Wer könnte eine Frau mit einem solchen Körper noch lieben?

Selbst meine Urgroßmutter würde kein Verständnis mehr für mich aufbringen. Sie glaubte ja immer noch, Akane, ausgerechnet Akane hätte mich besiegt. Ich fragte mich, wo sie und das Entchen wohl gerade waren.

War Mu-Tsu nicht nach Urgroßmutter aufgebrochen? Was, wenn er sich nicht zurecht fand? Er konnte doch nur so schlecht sehen... und war doch vollkommen hilflos! Urgroßmutter... Stammesschwestern... Es tut mir Leid. Ich habe versagt.

Lange, hässliche Risse, überall auf meiner Haut; meine verkrüppelte Hand, mein verstümmeltes Gesicht... Wieso nur? Wieso? Warum haben mich diese dummen, japanischen Ärzte nicht einfach sterben lassen? Immerhin war ich weder versichert, noch hätte ich die langen Behandlungen je aus eigener Tasche finanzieren können.

Aber ich wusste bereits die Antwort. Es war ihre Pflicht.

Mittlerweile wusste ich ja, dass Japaner ihre Pflicht sehr ernst nehmen. Diesen Ärzten war ihre Pflicht, ein Leben zu retten, wichtiger als die Tatsache, dass ich sie nie entlohnen könnte, oder dass ich eine Ausländerin war. Jaja, die pflichtbewussten Japaner. Nur Ranma, der war nicht pflichtbewusst.

Es war seine Pflicht gewesen, und ist es theoretisch immer noch, mich zu heiraten. Allerdings waren das ja nur Gesetze der Amazonen – und ein Japaner fühlte sich nur an seine eigenen Gesetze und die seiner Väter gebunden.

Das jedoch realisierte ich leider etwas zu spät. Ungefähr ab dem Zeitpunkt, ab dem meine Schmerzmittel abgesetzt wurden und ich wieder einigermaßen klar denken konnte.

Gedankenverloren strich ich über die Hautunebenheiten, dort, wo Narben die einst makellose Haut entweihten. Meine kühlen Fingerspitzen fuhren über die erhitzte Haut meines Oberkörpers, bis hin zu meinem Bauch, folgten einer langen Narbe, welche in leichter Diagonale von meiner linken Schulter zu meinem linken Hüftknochen führte und im Schamhaar verschwand. Glitten meine Fingerspitzen von der leichten Erhöhung der Narbe ab, so konnte ich ihre Kühle spüren – berührten sie jedoch das tote Narbengewebe, so fühlte ich nichts. Ich musste ein ordentliches Blutbad abgegeben haben. Immerhin war ja mein halber Körper aufgeschlitzt. Tief genug, um Spuren zu hinterlassen, aber noch nicht tief genug, um mich zu töten, um der ganzen Misere ein Ende zu setzen. Natürlich – ich sollte dankbar sein, dass diese Ärzte sich so für mich eingesetzt und mir das Leben gerettet haben. Allerdings fiel mir das in eben jenem Moment besonders schwer.

Langsam entledigte ich mich meiner restlichen Wäsche und legte sie ordentlich zusammen. Das war alles alte Kleidung, welche die nette Nachtschwester, die mir ab und an Kekse brachte mir freundlicherweise gab, da meine Familie mir keine Kleidung zum Wechseln gebracht hatte.

Ich wusste noch nicht mal den Namen der liebenswürdigen Pflegerin.
 

Ich fühlte die Kälte unter meinen nackten Fußsohlen, als ich leise zu der Dusche in dem kleinen Badezimmer hinüber ging. Dieses Bad war nicht typisch japanisch mit der typischen, ausladenden Badewanne. Dafür wäre überhaupt kein Platz gewesen!

Bescheiden, ohne negative Konnotation. Überaus beachtlich, dass ein junges Mädchen wie Ukyo sich eine solche Existenz überhaupt hat aufbauen können! Da brauchte es kein Furo – eine einfache Dusche genügte und sparte nicht nur Platz sondern auch Geld.

Die Duschzelle war klein, aber sauber und gut gepflegt. Die metallenen Hähne warfen Lichtreflexionen ungefiltert und blitzend rein zurück. Für einen Moment war ich fasziniert von ihrem Glanz, bis ich sie bediente und angenehm warmes Wasser über meinen Körper zu fließen begann. Was für eine Wohltat! Nach Wochen endlich ohne die Aufsicht der Pflegerinnen duschen zu können!

Tief atmete ich durch, schloss meine Augen und genoss das Gefühl der fließenden Wärme, wie sie über meinen Rücken strich und meine verspannte Muskulatur ein wenig löste. Entspann dich, Shampoo. Lasse alle Anspannung, allen Stress mit dem Wasser hinfort fließen, lasse es dich und deinen Geist reinigen.

Darüber im Klaren, dass ich gerade Ukyos Wasserrechnung belastete, wollte ich schnell fortfahren und beginnen, mich einzuseifen, als ich innehielt. Das war nicht mein, sondern Ukyos Seife. Es war schon großzügig genug, dass sie mich hier überhaupt residieren ließ.

Ich würde mir meine Seife verdienen! Heute noch würde ich mich nur mit reinem Wasser waschen, am nächsten Tage jedoch würde ich mir meine Pflegemittel verdienen!

Bevor ich jedoch das Wasser abstellte, zögerte ich wieder.

Lange war es her, dass ich als Katze umhergestreift war. Im Krankenhaus hatte niemand etwas von meinem Fluch bemerkt, da sie mich immer mit warmen Wasser wuschen und ich mich später, als ich wieder einigermaßen stehen und mich selber duschen konnte, auch nur des warmen Wassers bediente. Neugierig war ich, wie es sich wohl anfühlte, nach all diesen Wochen und Monaten wieder auf vier Pfoten umherzutapsen und dieses weiche Fell zu haben.

Kurzerhand drehte ich den Hahn ab, stieg aus der Dusche und sah mich nach Handtüchern um.

Ich spürte bereits die Verdunstungskühle auf meiner Haut, die sich, von einem Zittern meiner Muskeln verfolgt über meinen ganzen Körper schlich, als ich in einem kleinen Schränkchen einige Handtücher fand. Eilig trocknete ich mich ab und ging hinüber zu dem Waschbecken.

Der Spiegel war beschlagen, so hob ich eine Hand um den Dunst wegzuwischen, vollendete meine Handlung jedoch nicht. Bedacht wischte ich auf dem Spiegelglas eine kleine Fläche frei, sodass ich nur die Hälfte meines Gesichtes klar sehen, die nicht schrie ich sei eine, eine Missgeburt. Das Mädchen, was mir dort von Dunst beschleiert entgegensah, das war ich jedoch auch nicht. So sah ich vielleicht einmal aus... Aber selbst mein gesundes Auge verriet mich als eine Fremde.

Wer war ich nun?

War ich dieses Mädchen, dem lange, nasse Strähnen dunklen Haares ins Gesicht hingen, dessen Haut noch immer feucht schimmerte und dem erhitztes Blut in die Wangen gestiegen war? War ich diese Unbekannte?

Ärgerlich wandte ich meine Augen ab und hing das Handtuch zum Trocknen auf, bevor ich resolut den Abfluss des Waschbeckens mit dem dazugehörigen Stopfen verschloss und ein wenig kaltes Wasser in das Becken laufen ließ. Ein bisschen würde bereits genügen.

Warum war ich bloß so gefühlsduselig? Wen kümmerte es, wer ich war? Wen kümmerte es, dass ich lebte?

Die Ärzte hatten ein sauberes Gewissen und Ukyo würde nicht mehr alleine sein. Meine Dankbarkeit für ihre Hilfe würde sich in meiner guten Arbeit ausdrücken.

Das war alles, was zählte.

Entschlossen tauchte ich meine Hand in das kalte Wasser und spürte endlich wieder das vertraute Gefühl meiner Verwandlung. Mein Körper schrumpfte, meine Haare wurden kürzer und von ihrem Ansatz breitete sich Fell rasant schnell über meinen Körper aus, sodass ich bereits beim nächsten Augenaufschlag eine Katze war.

Endlich empfand ich wieder diese Explosion meiner Sinne – auch wenn meine Sicht nun schlechter war, so waren meine Ohren und meine Nase umso besser. Ich liebte dieses Gefühl – ich fühlte mich so lebendig in diesem Moment!

Im Gegensatz zu meinen ebenfalls verfluchten Kollegen hatte ich irgendwie Gefallen an meiner Fluchform gefunden. Der einzige Nachteil, der stets bestanden hatte, war, dass Ranma mich so nur noch weniger in seine Nähe lassen wollte, als er es mir als Mensch erlaubte.

Könnten Katzen schnauben oder bitter lachen, so hätte ich es in diesem Augenblick getan. Er würde mich nun wahrscheinlich eher als Katze als denn als Mensch in seine Nähe lassen.

Nun zu meinen Kleidern – ich musste sie zusammenlegen, damit ich sie besser transportieren konnte. Die ersten Schritte zu dem Ort, an dem ich sie als Mensch platziert hatte, waren allerdings ungewohnt schwer. Im ersten Moment wunderte ich mich noch, im zweiten bereits resignierte ich. Hatte ich allen Ernstes geglaubt, als Katze hätte ich nicht die gleichen Verletzungen wie denn als Mensch? Folglich konnte ich meine linke Pfote kaum belasten, ohne dass sie selbst unter meinem minimalen Gewicht wegknickte. Sie fühlte sich ebenso tot an, wie meine menschliche Hand.

Mühevoll humpelte ich zu meinen Kleidern und scharrte sie zusammen, versuchte sie so zu bündeln, dass ich sie ordentlich aus dem Zimmer in meinem Maul tragen könnte. Davor hatte ich jedoch noch ein anderes Hindernis zu überwinden: Die Tür.

Für eine relativ kluge und akrobatische Katze sind Türen keine ernstzunehmende Hürde. Da ich als Mensch bereits die Funktion einer Türklinke kannte, war das Know-how kein Problem – jedoch hatten mich die wochenlange Bettruhe physisch trotz Krankengymnastik und anstrengendem Muskelwiederaufbau geschwächt zurückgelassen, und ich fürchtete, mit meiner kranken Pfote stärker als bislang angenommen gehandicapt zu sein.

Sollte das mich aber aufhalten? Nein! Mit aller Kraft stieß ich mich ab und angelte erfolgreich nach der Türklinke. Geschafft! Der Rest war ein Kinder-, respektive Katzenspiel. Einfach den geöffneten Türspalt weiter aufdrücken und die Kleidung hinter mir herzerren. Der letzte Akt war das Badezimmerlicht; diese Herausforderung befand ich aber nach meinem Erfolg beim Öffnen der Tür als verschwindend gering, und so löschte ich beinahe zufriedenen Herzens alle Lichter.

Wieder einmal konnte ich die Vorzüge in der Physiognomie einer Katze genießen und bewundern – ich konnte mich auch ohne Licht hervorragend orientieren. Zwar sah ich keine Farben mehr, dafür aber gestochen scharfe Hell-Dunkel-Kontraste. Deutlich konnte ich Ukyos Duft riechen und ihren langsamen Atem hören, der mir verriet, dass sie bereits erschöpft eingeschlafen war.

Das gedämpfte Mondlicht fiel sanft durch das geschlossene Fenster, und ich konnte voller Erstaunen den ersten Schnee des angebrochenen Jahres träge und in dicken Flocken am Glas vorbeitreiben sehen. Eine unglaubliche Ruhe befiel mich und wärmte mich von innen. Erst in diesem Moment bemerkte ich, wie sehr mich meine Entlassung und die kurze Reise vom Krankenhaus bis hin zu Ukyos kleiner Wohnstätte tatsächlich physisch sowie psychisch beansprucht hatte. Es war mein erster Ausflug in die Außenwelt mit all ihren starrenden, glotzenden, mitleidlosen Gesichtern gewesen – ungefiltert, ohne die Gewohnheit an solche Anblicke wie den meinen des Pflegepersonals, sah ich die Reaktion der Menschen, und hatte mich mehr denn je als Krüppel, als eine Art Monster gefühlt. Mittlerweile saß ich auf dem Fenstersims und spähte hinaus in die Landschaft, die wie ein Kuchen mit strahlend weißem, feinem Puderzucker bestäubt wurde. Ich stellte mir vor, da oben, hinter den Wolken, die sich hin und wieder vor den runden, wunderschönen Mond schoben, säße tatsächlich jemand, der Zucker über uns alle streut.

Was für ein schöner Gedanke! Man müsste einfach nur hinaus laufen und die Zunge herausstrecken! Schon könnte man dieses süße, kühle Puder schmecken. Meine Fantasie zeigte mir zwei kleine Kinder, die lachend und kichernd durch diese Berge aus Puderzucker in dicken Daunenjäckchen tollten, und ich hörte das Lachen desjenigen, der Zucker über sie streute. Dieses Lachen ähnelte dem meiner Urgroßmutter. Wie sehr ich sie vermisste!

Und ja... jetzt, wo mein träumendes Auge genauer hinblickte, konnte ich auch die Kinder genauer sehen. Beide trugen einen Schopf langer Haare, jedoch variierten die Farben. Ein Mädchen mit einer Haarfärbung, die ihre Haare eher blau als schwarz wirken ließen und... ein kleiner, etwas rundlicher Junge mit schwarzen Haaren und dicken Brillengläsern, die ihm ständig drohten, von der Stupsnase zu rutschen.

Da war wieder dieses Brennen in meiner Kehle, und das Gefühl, als wäre sie zugeschnürt. Ich kannte diese Symptome. Aber noch wollte ich mir keine Ruhe gönnen. Zwar quälte mich diese Vorstellung, aber sie war doch alles, was ich noch von Mu-Tsu und Urgroßmutter hatte.

Eine schöne Kindheitserinnerung... Damals war alles noch in Ordnung. Damals gab es so etwas wie Pubertät, Schwärmerei oder Liebeskummer noch nicht. Damals waren wir nichts weiter als kleine, dumme Kinder, die miteinander im Schnee herumtollen konnten. Urgroßmutter hatte uns immer zugesehen und uns heißen Tee gemacht, damit wir uns nach dem Spielen im Schnee in ihrer warmen Stube auch von Innen her wärmen könnten, wie sie immer sagte.

Ich wollte nicht mehr an all das denken. Die Erinnerungen quälten mich mit ihrer Schönheit. Wo war all der Glanz geblieben? Der Glanz des funkelnden Lachens? Der feine Duft des Zuckerschnees?

Mein Katzenselbst blinzelte, und schon waren die Kinder wieder eine Schneeverwehung und das Lachen zwischen den Sternen verklungen. Wenn es jemanden gab, der die Menschen mit Zucker berieselte, dann musste es jemand mit dem rauen Lachen meiner Urgroßmutter sein.

Urgroßmutter... Mu-Tsu... Wo seid ihr nur? Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, das Neko-Hanten wieder zu sehen, mit seinen nun düsteren, starrenden Fenstern, aus denen die Leere gierig nach Leben hungert. Mir war von Anfang an klar, dass der Hitzkopf Mu-Tsu nicht lange warten würde.

Und doch... hatte ich gehofft. Und wurde wieder enttäuscht. Eigentlich sollte ich solche Enttäuschungen gewöhnt sein. Eigentlich sollten sie mich weder überraschen noch weiter kümmern.

Aber es tat weh. In mir war da diese leise Hoffnung, dass er auf mich warten würde. Ein letzter Rest Zuhause...

Selbstverständlich war ich daran selber schuld. Ich war es, die Ukyo darum gebeten hatte, ihm nicht von meinem Krankenhausaufenthalt zu berichten. Wie hätte ich erwarten können, dass ausgerechnet Mu-Tsu, der sich stets solche Sorgen um mich gemacht hatte, den ganzen Tag alleine, seinen Ängsten um mich hilflos ausgeliefert, im stillen und leeren Geschäft ausharren würde?

Einerseits hatte mich meine Scham zu dieser Bitte getrieben. In meiner Verzweiflung hatte ich nicht gewusst, wie ich meiner Familie je wieder so verkrüppelt, wertlos und entehrt unter die Augen treten könnte.

Andererseits... hatte ich irgendwie begonnen zu hoffen, dass zumindest Mu-Tsu mich besuchen käme. Ich dachte, dass wenn er mich wirklich liebte, er nicht glauben würde, dass ausgerechnet Akane mich im Kampf hätte besiegen können. Akane, mich besiegen! Lachhaft!

Wenn er wirklich der Held gewesen wäre, der er immer für mich sein wollte, dann hätte er Ranmas Lügengewirr durchschaut – er hätte ihn so lange verprügelt, bis er die Wahrheit erfahren hätte.

Wäre er wirklich mein Märchenprinz gewesen, hätte er mich dann besucht und mich gerächt. Mit all seiner Wut und Kraft hätte er Ranma besiegt und ich wäre endlich frei von meiner Verpflichtung Ranma gegenüber – wenn auch nicht von meiner Liebe für ihn.

Hatte er, Mu-Tsu, sich das nicht immer gewünscht? Eine Chance, mir zu beweisen, dass er in allem besser war als Ranma? Charakterlich, körperlich?

Das wäre seine Gelegenheit gewesen, endlich einmal mein Held zu sein. Vielleicht hätte ich dann ja irgendwann nach ein paar Jahren der Ehe Gefühle der Liebe auch für ihn entwickeln können?

Doch er hatte diese Möglichkeit nicht genutzt. Er hatte Ranma all diesen Unsinn abgekauft. Mu-Tsu, der mich angeblich liebte... hatte wirklich geglaubt, ich sei ein solch schmachvoller Schwächling.

Das tat weh. Das tat sogar sehr weh. So sehr, dass ich für einen kurzen Moment mit den Tränen kämpfen musste. Wie konnte er nur...

Urgroßmutter hatte Ranma natürlich geglaubt. Warum sollte sie auch nicht? Wahrscheinlich war sie nicht so blind wie ich gewesen und hatte die zarten Annäherungen von Ranma und Akane bereits bemerkt. Natürlich. Sie hatte eine unglaubliche Beobachtungsgabe.

Außerdem... warum hätte sie annehmen müssen, ich sei noch in Nerima? Sicherlich nahm sie nicht an, dass Akane mich besiegt hätte – jedoch... Wie hätte sie glauben können, ich sei noch in diesem gottverdammten Nest von Vorort, wenn sie meine geistige Anwesenheit nicht mehr spüren konnte?

Denn zu dem Zeitpunkt, an dem Ranma ihr die Nachricht von meiner angeblichen Niederlage überbracht haben musste, hatte man mich ausreichend mit Schmerzmitteln sediert, sodass ich geistig nicht mehr anwesend war.

So ging sie mit Sicherheit davon aus, ich sei tatsächlich aus irgendwelchen Gründen diesem elenden Land entflohen.

Urgroßmutter, Mu-Tsu... ich fühle mich so alleine. Warum kann ich ihn nicht vergessen? Warum nicht?

Nie hatte mir ein Mensch so weh getan. Nie hatte ich einen Menschen mehr geliebt.

Was konnte man an ihm nicht lieben? Wie geschmeidig seine Bewegungen im Kampf waren, wie elegant und kraftvoll, schnell und unbesiegbar. Noch nie zuvor hatte ich einen solchen Kämpfer gesehen. Mu-Tsu war der einzige Mann, der je in meinem Dorf hatte leben dürfen. Unsere Stammesälteste hatte ihn als Baby verlassen aufgefunden, und so sah sie es als Zeichen unserer großen Göttin Iljuna-Iljan dafür, dass sich unser Stamm um ihn kümmern sollte.

Ihn, Mu-Tsu kannte ich – aber Ranma und sein Kampfstil waren mir fremd. So neu und so überwältigend.

Diese Stärke, dieser ungebrochene Kampfeswille und Stolz imponierten mir. Ich fühlte mich von ihm angezogen – er war der Mann, bisher der einzige, der mich je besiegt hatte.

Von diesem Augenblick an, in welchem ich realisierte, dass Ranma nicht ein Mädchen, sondern ein Mann war, wusste ich, dass nie ein anderer mehr mein Herz erobern könnte. Vielleicht könnte ein anderer mich besiegen – und vielleicht könnte ich ihn auch schätzen lernen.

Doch diese Momente, in denen er wie ein Falke herabstieß und mich mit einem so präzisen, wohlbemessenen Schlag außer Gefecht setzte, besiegelten mein Schicksal und versiegelten zugleich mein Herz. Er hatte nur so viel Kraft aufgewendet, wie nötig war, um sich zu verteidigen und mich auszuschalten. Das war wahre Kontrolle, wahre Körperbeherrschung.

Der perfekte Mann – ein Mann, der sich nie besiegen lassen wollte, und der bis zum Umfallen trainierte, um seine Ziele zu erreichen. Nur von einem solchen Mann konnte sich eine Amazone besiegen lassen, nur einem solchen Mann konnte eine Amazone sich unterwerfen, ihre Weiblichkeit zeigen und den heiligen Pakt der Heirat eingehen.

Verlegen und beschämt bei dem Gedanken schloss ich meine Augen und drückte meine Nase gegen das kalte Glas. Eine Katze kann nicht erröten, jedoch fühlt es sich ebenso an, als würde einem die Hitze in den Kopf steigen.

Den heiligen Pakt der Heirat... Ich erinnerte mich noch gut an das letzte Mal, als ich bei einer Stammesheirat zugegen war, dem Bündnis zweier Kämpfer.

Dieser spezielle Amazonenritus kann nur während dem Monat der Mondblüte vollzogen werden – meist der einzige Monat im Leben einer Amazone, in der sie eine selbst für Japaner halbwegs weibliche Rolle übernimmt.

Ich spürte die Kälte des Fensters auf meiner Nase, und selbst mein Atem, der teilweise das Glas beschlug, jedoch auch teilweise auf mein Katzengesicht reflektiert wurde, fühlte sich kühl gegen mein Fell an. Oh, du süße Vergangenheit, ich erinnerte mich...

Dort, wo ich geboren bin, wo meine Heimat liegt, entspringen viele Quellen, nicht nur die berühmten Quellen von Jusenkyo. Einige sind auf Karten der Unwürdigen, der Nichtamazonen, verzeichnet. Diese Quelle jedoch, an welcher wir uns am ersten Vollmondtag des Monats der Mondblüte versammeln, ist nirgendwo außer in unseren Herzen verborgen.

Ein Monat in unserer Zeitrechnung wird anders berechnet als in Japan. Er beginnt in einer Vollmondnacht und endet erst in der darauffolgenden Vollmondnacht.

Der Bräutigam muss sich zuvor erst der letzten Prüfung aussetzen. Ohne sein Wissen wird er leicht vergiftet – falls er die Fieberschübe und das Gift ohne Hilfe von außen überlebt, so hat ihn die Göttin auserwählt, eine ihrer Priesterinnen für einen Mondzyklus lang zu besitzen.

Noch während er bewusstlos ist, wird er dorthin gebracht, wo sich der Quell eiskalten Wassers in eine enge, abgeschottete Schlucht und sich dann in einen Teich ergießt, der Unterirdisch abfließt.

Diese kreisförmige Vertiefung im Fels nennen wir die Grotte der Reinigung. Dort wird die Zeremonie abgehalten – inmitten unglaublicher Pflanzenvielfalt und Blumenpracht. Nie habe ich schönere Pflanzen gesehen, als dort – sie schienen, wie der ganze Ort, magisch zu sein.

Die Stammesälteste leitet das Ritual, während wir Stammesangehörigen auf verschieden hohen Felsplateaus warten und beobachten.

Das Brautpaar steht im eiskalten Wasser der Reinigung und die Braut ist über und über mit Blumen geschmückt. Lange dauert die Vermählung nicht, ist sie denn nichts weiter als ein Schwur.

Dann ziehen wir Amazonen uns zurück in unser Dorf, bis auf das Brautpaar. Einen vollen Mondzyklus lang muss sich die Braut dem Willen ihres Gemahls beugen – einen Monat lang hat ihr Gemahl Zeit, ein Kind zu zeugen. Hat der Mond wieder seine volle Größe erreicht, so trennen sich meist wieder die Wege des Brautpaares, bis zur Geburt. Ist das Kind männlichen Geschlechts, so gehören Amazone und Säugling dem Mann, und er darf sie fort führen in seine Heimat.

Ist das Kind jedoch weiblichen Geschlechts, so hat unsere Mutter, Iljuna-Iljan, sich eine neue Dienerin gesucht, und es steht der Mutter zu, ihren Gemahl zu töten und zum Stamm mit ihrem Kind zurückzukehren, oder ihr Kind einer Amazone zu übergeben und mit ihrem Ehemann fortzugehen. Sollte sie dann jedoch zurückkehren, so besagt unser Gesetz, muss sie ihrer Göttin geopfert werden, um in ihrem Tode ihre Gnade und Vergebung zu empfangen.

Meine Augen öffneten sich und sahen in ihre eigene Reflexion.

Ranma... Für ihn hätte ich sogar meinen Stamm, meine Heimat, meine Familie und meine Welt verraten, nur, um Seite an Seite mit ihm kämpfen und stärker werden zu können. Mir ist klar, dass er nie mein Opfer als ein solches anerkannt hätte.

Jedoch... Wie gerne wäre ich an der Stelle dieser Braut gewesen. Wie gerne hätte ich, im silbernen Mondlicht gebadet, ihm gegenüber gestanden und tief in seine Augen geblickt. Wie gerne hätte ich in ihnen die Liebe und Zärtlichkeit gespiegelt gesehen, welche ich für ihn empfand.

Wie oft hatte ich mir nachts, einsam, in meinem Bett vorgestellt, ich könne die duftenden Blumen auf meiner Haut spüren. Ihre kühlen Blätter, ihre zarten, seidigen Blüten. Mein Haar würde schwer sein vor Blumenschmuck und ich würde vor Erwartung bebend seine Hand halten. Wie wundervoll der Teich funkeln und glitzern würde, wie viele glänzende Sterne am Himmel nur für uns leuchten würden.

Wie stolz meine Schwestern auf mich sein würden und auf die starke, unbesiegbare Tochter, die wir meinem Stamm schenken würden.

Ja, ich hatte mir alles bis ins kleinste Detail ausgemalt. Sein liebevolles Lächeln, die Schönheit, die uns umfangen würde und vor allem die Gewissheit, dass er mich liebte, dass er mich wollte.

Ein Traum, der wie eine Seifenblase an einer gnadenlosen Nadel zerplatzt ist.

Ich meinte fast, in eben jenem Moment Seife auf meiner Zunge zu schmecken, doch war das natürlich Unsinn. Ranma hatte nie solche Gefühle wie Liebe oder gar Freundschaft für mich empfunden. Für ihn war ich nichts weiter als eine Nervensäge, eine Landplage, eine Belästigung.

Das hatte er mir an jenem Tag im Sommer klar gemacht. Und natürlich, dass ich seinem Glück mit Akane nicht weiter im Weg stehen sondern sie in Frieden lassen, sie nicht noch einmal behelligen solle. Warum nur? War ich denn ein so schlechter Mensch, dass ich so ein furchtbares Leben führen musste?

Wozu lebte ich denn überhaupt noch? Meine Bestimmung war es, eine große Amazone und Kriegerin zu werden – was mir nun auf ewig verwehrt werden würde. Nun konnte ich noch nicht einmal mehr meinem Stamm eine neue Kämpferin schenken, da der einzige Mann, Japans, würdig genug eine Amazone zu heiraten, lieber ein untalentiertes, naives Gör wollte. Die Ehre, mit einer Amazone verkehren zu dürfen, hatte er in den Dreck getreten.

Und mich mit dazu. Wäre mein Herz nicht immer noch voll zärtlicher Sehnsucht nach ihm, so würde ich sicherlich nicht eher schlafen können, bis ich seinen Kopf meinen Schwestern mit blutigem Stumpf präsentieren könnte.

Schlafen, ja... Das sollte ich nun tun. Schlafen, und alles vergessen – Urgroßmutter, Mu-Tsu... Ranma.

Wie friedlich die Welt da draußen hinter dem Fenster aussah, aller Lärm, alle Geräusche von kühlem Schnee erstickt. Engelsfedern, die schmelzen, wenn ein Sterblicher sie berührt.

Mit einem tiefen Gefühl der Trauer wandte ich mich von dieser verzauberten Welt ab – zu schmerzhaft waren die schönen Erinnerungen, die sie weckte. Weshalb oder um wen trauerte ich?

Um nichts und niemanden bestimmten. Wahrscheinlich um mein Herz. Ich hatte es verschenkt und mein Geschenk wurde verlegt, verloren. Wo war es nun, mein Herz? Da war nur noch dieser dunkle Sog, der mich immer tiefer in mich selbst hinein zog und langsam einen eisigen Hauch über meine Seele säte und Eisblumen erntete. Wie Glas fühlte ich mich... Durchsichtig, unsichtbar und unbedeutend.

Vergessen und schlafen... Das sollte ich. Leise sprang ich vom Fenstersims herab und knickte ein, als ich auf meinen Vorderpfoten zuerst auf dem Boden aufkam. Meine kranke Pfote konnte mein Gewicht nicht halten, und so musste ich mich erst mühsam wieder aufrappeln, bevor ich auf weichen Katzenpfoten zu Ukyo hinken konnte.

Das Mondlicht zeichnete ihre nun schmächtig wirkenden Umrisse unter dem dünnen Laken deutlich ab. So hilflos und fragil...

Ich stutzte, bevor sich mein Katzengesicht zu einer Art traurigen Lächeln verzog, sofern das für Katzen möglich war. Auf dem Kopfkissen, welches sie neben dem ihren auf ihrem Futon arrangiert hatte, lag eine Blume. Ihre blaue Blütenfarbe und charakteristische Blütenform ließ keinen Zweifel daran, welcher Art sie angehörte. Es war Campanula, einfache Glockenblume. Unsere Herzen schlagen im gleichen Takt.

Ja. Das sah ich.

Auf ihrem von der Unschuld des Schlafs beseelten Gesicht zeichneten sich glitzernde Spuren von Tränen ab, die sich den Weg über die weich geschwungenen Wangen der Schlafenden gebahnt hatten. Ranma...

Was hast du uns nur angetan! Sieh dir nur an, was du aus diesem früher einmal so lebenslustigen Mensch gemacht hast!

Was hatte er aus ihr, was hatte er aus mir gemacht? Nie hätte ich gedacht, dass Liebe so grausam und fruchtbar sein oder ihr Preis so hoch sein könnte. Sie hatte uns zerstört, Ukyo und mich!

Nicht nur mich. Auch sie fror, in sich selbst eingekehrt, sie fror und hungerte nach seiner Zärtlichkeit, nach seinen Berührungen, nach seinem warmen Atem auf ihrer Haut.

Wenn es etwas geben mochte, was starke und stolze Kriegerinnen in die Knie zwingen konnte, dann war es diese scheußliche Liebe.

Wie schön und lieblich sie das Herz betörte und es stahl, wenn man nicht genau auf es Acht gab! Wie tückisch sie den Verstand betäubte und die Vorsicht in den Wind schrieb.

Nein, Ukyo sollte nicht mehr weinen. Sie sollte zumindest versuchen, Ranma zu vergessen, sollte das erreichen, woran ich ständig scheiterte. Lachen sollte sie! Ihr Leben, ihre Schönheit und ihre Kraft genießen!

Dieses Mädchen vor mir hatte wenigstens noch eine Chance, ihr Glück zu finden. Im Gegensatz zu mir war sie nicht an diesen einen Mann nicht nur durch ihr Herz, sondern auch durch ihr Gesetz gebunden, sondern hatte auch noch ihr ansprechendes Äußeres.

Selbst wenn ich ihn aus meinem Kopf und Verstand, aus meiner Erinnerung und aus meinem Leben streichen oder mein Pflichtgefühl eliminieren könnte– nie hätte ich mit meinem Aussehen die Möglichkeit gehabt, einen Mann kennen zu lernen, der auch bereit gewesen wäre, mich zu lieben. Denn... wer könnte so ein hässliches Wesen lieben? Noch dazu eine Chinesin.

Ukyo jedoch hatte alle Chancen. Sobald sie ihre Trauer überwunden hatte, würde ich sie dazu ermutigen, sich nach einem neuen Heiratskandidaten umzuschauen. Sie hatte alles, was sich ein Mann wünschen konnte: Intelligenz, Schönheit, konnte ebenso gut den Haushalt führen wie Kochen, besaß ein mildes Temperament und war eher von Sanftmut geprägt. Außerdem duftete sie gut – das konnte ich mit meiner sehr guten Katzennase gut ausmachen.

Weitere Tränen perlten über ihre milchig weiße Haut und ihr Schlaf wurde unruhig – ich wusste, wovon sie träumte. Um sie zu beruhigen, rollte ich mich unter der Decke neben ihr ein, drückte mich an ihren warmen Körper und schnurrte. Wie mir schon öfters aufgefallen war, beruhigt das Schnurren einer Katze Menschen außerordentlich, und diese These konnte auch in jenem Moment durch ein weiteres Erfolgserlebnis untermauert werden. Bald schon entspannten sich ihre zu Fäusten zusammengeballten Hände und ihre aufgewühlten Bewegungen verliefen sich in einer tiefen, regelmäßigen Atmung und Stille.

Ich hatte einen Entschluss gefasst. Ukyo hatte sich mir gegenüber als wahre Freundin und Schwester bewiesen. Sie hatte mir geholfen, als niemand etwas von mir wissen wollte und als niemand an mich glaubte.

Danach hatte sie mir ihr Heim angeboten und wollte das wenige, was sie besaß, mit mir teilen. Diese Freundlichkeit würde ich nie vergessen, und meinen Dank würde ich ihr so lange zeigen, bis sie endlich ihr Glück gefunden hatte und mich nicht mehr brauchte.

Was ich dann tun würde – vielleicht nach China gehen und mich wieder meinen Schwestern anschließen oder in Askese leben und meine Göttin um Vergebung in täglichem Gebet bitten – ich wusste es nicht. Was ich wusste, war, dass ich so viel Ukyo schuldig war. Ob sie mir nun aus egoistischen Motiven, bloßer Einsamkeit oder Langeweile geholfen hatte oder nicht, spielte keine Rolle. Ich würde mich für ihre gute Tat, für ihre Hilfe und Unterstützung revanchieren.

Aber warum konnte ich ihn nicht vergessen? Verdiente ich nicht auch ein wenig Frieden? Meine Träume würden wohl noch lange von ihm heimgesucht werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-08-30T19:54:34+00:00 30.08.2007 21:54
tag auch. bin zwar noch ziemlich neu hier und geb eigentlich so gut wie nie ein kommi ab, aber verdammt deine geschichte ist brilliant. es ist so intensiv geschrieben das man am liebsten ranma für die art und weise wie er shampoo behandelt in den hintern treten will. was mich aber am meisten geschockt hat war, das wenn man seinen charakter wirklich als vorlage nimmt und sie mit einigen situationen aus den manga ergänzt, ranma durchaus zu so einem verhalten fähig ist (zumindest meiner meinung nach). auch hast du das innenleben von shampoo toll rüber gebracht. sie wurde ein ganzes leben lang auf ihre rolle als amazone vorbereitet, ihr charakter und praktisch ihre ganze existens hängen von diesen regeln und verhaltensgrundsätzen ab. sie jetzt mit einer solchen situation zu konfrontieren erfordert gerade hier auf animexx eine portion mut, wo viele geschichten auf dem ständig gleichen heile welt-shema bassieren. keine ahnung ob du was auf mein kommi gibst aber ich hoffe du schreibst diese geschichte weiter, sie ist es wert erzählt zu werden.

greetz illustrious


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