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Sinnlose Versprechen

von

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„Dieser scheinbar ehrenhafte Bürger neben mir“, rief der Mann mit dem aschfahlen Haar auf dem Marktplatz, „muss sich seine Ehre noch verdienen, nicht wahr?“
 

„Ja!“, kam es einhellig von rechts. Auch die Gesichter einiger Menschen, die zuvor noch hinter Jason gestanden hatten, wurden allmählich skeptisch und nickten teils stumm vor sich hin.
 

Wie festgewachsen fühlte sich Jason. Er war nicht einmal fähig, gleichmäßig ein- oder auszuatmen. Nichts in und an ihm schien mehr auf ihn gehorchen zu wollen. Alles lehnte sich gegen ihn auf, selbst sein eigener Körper. Und wenn er sich die Leute so betrachtete, wie sie von einem Moment auf den anderen ihre Meinung wechselten, spürte er Enttäuschung und gar Wut, die jedoch keinen Weg nach draußen fanden. Viel zu gelähmt fühlte er sich, als dass seine Emotionen die Möglichkeit hatten, sich offen zu zeigen. Nach außen hin musste er total verängstigt wirken. Vielleicht war er es auch, doch viele interpretierten seine Mimik sicher als Schuldgefühle – die er nicht hatte. Noch nicht!
 

„Bevor wir ihn als vollwertig anerkennen können, muss er seine Würde erst unter Beweis stellen. Was sagen Sie dazu?“
 

Jubelschreie. Erhobene Fäuste. Hätte nur noch eine Laola gefehlt.
 

„Er ist ein rechtschaffener Mann, der sich für uns einsetzen möchte!“, kam es von weiter hinten.
 

„Das meinen Sie!“, entgegnete der Fremde mit einem fetten Grinsen im Gesicht.
 

„Durch ihn haben wir erkannt, dass wir einiges verändern müssen!“, wandte der nächste ein.

Das waren allesamt noch recht junge Menschen, die Jason verteidigten.
 

Ein paar von denen, die den Blondschopf eben noch verurteilen wollten, brüllten zustimmend. Wie wankelmütig der Mensch doch sein konnte. Wie beeinflussbar. In Jason brannte das Bedürfnis, diesen Kerl neben ihm - wenn er denn dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre - vom Podest zu schubsen, doch dadurch hätte er sich keine Freunde gemacht. Noch immer fühlten sich seine Glieder taub an. Als ob sie gar nicht zu ihm gehören würden. Leise brummte er, doch das war auch alles, was er der Situation entgegenzusetzen hatte.
 

„Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“, sang der Mann so leise, dass das sicher wieder nur er verstehen konnte.
 

Er hätte rasend vor Wut sein müssen, war es innerlich auch, doch nach außen hin konnte er seine Regung immer noch nicht teleportieren.
 

„Spielen wir ein kleines Spiel“, fuhr Tyrone mit kräftiger Stimme fort. „Ich stelle die Fragen und Jason Sartaren hier zu meiner Rechten beantwortet sie. Hat irgendjemand Einwände?“
 

„Ich!“, drang es laut von weit her und Jason erkannte sofort die Herkunft der Stimme, was ein kleines, für andere nicht sichtbare Lächeln in seine Mundwinkel trieb.
 

„Möchte uns der Herr vielleicht auch noch mitteilen, weshalb?“
 

Sie stierten sich an und Eddy legte sich die Hände trichterförmig an den Mund.

„Weil wir Ihnen nicht vertrauen!“, rief er ernst zurück.
 

„Ach, aber diesem Mann hier wollen Sie“, er schien jedem Einzelnen in die Augen zu blicken, „bedingungslos vertrauen, obgleich Sie ihn nicht kennen?“
 

„Er ist mein Freund!“, rief Eddy zurück, den der Mann mit der Narbe auf der Wange nicht mehr mit seinen Blicken bedacht hatte.
 

„Gut, dann stelle ich die Frage eben anders. Wollen Sie zwei Männern ihr Vertrauen schenken, die unter einer Decke stecken und Sie schamlos ausnutzen könnten?“
 

Eisige Stille kehrte ein. Die Leute legten ihre Stirn kraus und schienen darüber nachzudenken. Auf der einen Seite gab es einen völlig Fremden, der ihnen mehr über ihren möglichen Bürgermeister offenbaren wollte. Auf der anderen Seite hatte nur der Freund von Jason Sartaren Einwände erhoben und verdächtig klang das allemal. Dass auch der Mann mit den aschfahlen Haaren und den hellgrünen Augen ihnen nach Belieben Lügen auftischen konnte, bedachten sie anscheinend nicht einmal. Denn nach wenigen Minuten schon brach der reinste Applaus aus.
 

„Decken Sie alles auf!“
 

„Wir wollen seine dunkelsten Geheimnisse erfahren!“
 

Und noch mehr solcher Aufforderungen und schierer Sensationslust drangen an Jasons Ohren. Flüchtig streifte sein Blick eine Kamera und langsam bereute er, jemals den Gedanken erwogen zu haben, seine Rede – die nun gezwungenermaßen ein Dialog werden würde – im Fernsehen zu übertragen.
 

„Sie haben es gehört, Jason Sartaren. Die Bevölkerung hat einstimmig entschieden. Also wollen wir sie mal nicht weiter hinhalten.“

Jetzt drehte sich der Fremde dem Blonden zu und entblößte seine lupenreinen Zähne, bedachte ihn mit einem Augenzwinkern.

„Asht-Zero“, rief er laut aus und die Menge schallte: „Tyrone von Zundersby!“
 

„Ein solch erhabenes Volk wie Sie es sind hat ein Recht auf die Wahrheit. Jason Sartaren, stimmt es, dass sie ihr Bett jede Nacht mit einem Mann teilen?“
 

In Jason zog sich alles zusammen. Er hörte dumpf die Menschen raunen. „Ja“, antwortete er leise.
 

„Wir haben Sie nicht gehört“, meinte der Kerl, der gerade dabei war, ihn wie ein Stück rohes Fleisch den wilden Tieren zu seinen Füßen zuzuwerfen.
 

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Jason löste sich endlich aus seiner Starre und lief zwei Schritte nach links und dann wieder zurück zu Tyrone von Zundersby. Geringschätzig betrachtete er sich den Mann, der weiterhin überheblich grinste und sich auf keine Weise einschüchtern ließ. Dieser Kerl war abgebrüht. Aber völlig. Und schreckte mit Sicherheit vor nichts zurück! Anschließend drehte sich der Blondschopf der wütenden Bevölkerung zu und begann ebenfalls zu grinsen, aber nicht aus Übermut, sondern vielmehr aus einem viel achtbareren Gefühl heraus:

„Ja, ich liebe einen Mann“, wiederholte er laut und deutlich. „Aber das Geschlecht ist nicht wichtig, wenn man dabei von aufrichtiger Liebe sprechen kann!“

Voller Schwermut schoss ein Bild von Lance in seinen Kopf, wie er genau in diesem Moment vor einem Fernseher saß und sich köstlich amüsierte.
 

„Schwuchtel!“, hob sich die Stimme des Bärtigen aus der Menge heraus. „Der ist im Gefängnis besser aufgehoben!“
 

„Werter Herr“, erwiderte Jason und gebot mit einer Handbewegung dem Gebrüll der anderen nur wenig erfolgreich Einhalt. „Sie verurteilen mich zu früh. Würden Sie Ihre Frau verlassen, wenn sie auf einmal nicht mehr Ihren Ansprüchen genügen sollte? Weil sie ein paar Pfunde zunimmt oder sich den Kopf kahl rasiert?“
 

„Nicht so voreilig“, mischte sich der Kerl neben Jason ein, als das Chaos unter ihnen perfekt zu sein schien. „Lassen Sie ihm seine Vorlieben! Dafür sollten wir ihn nicht richten!“
 

Verwirrt sah der Blondschopf zu seinem Widersacher, dann gen Holly und Eddy. Zu seinem Bedauern musste er feststellen, dass sich die Brünette von dem Geschehen abgewandt hatte und nur noch Eddy mit ein paar anderen Menschen auf der gegenüberliegenden Anhöhe stand. Er wollte gar nicht hören, was dieser Mistkerl neben ihm noch alles zu sagen hatte, und doch würde er es über sich ergehen lassen müssen. Jetzt den Schwanz einziehen und davonrennen würde seine Schmach nur noch vergrößern. Noch hatte er sein Vorhaben nicht aufgegeben: Er würde Bürgermeister von Asht-Zero werden und die Menschen zu einem besseren Leben führen!

Lächelnd schüttelte er den Kopf. Er musste wahnsinnig sein, um jetzt noch an seinem Traum festzuhalten. Aber er konnte einfach nicht anders. Schon lange wünschte er sich, dass er etwas bewegen konnte. Nur lief der Stein, den er ins Rollen gebracht hatte, gefährlich schnell auf ihn selbst zu und drohte ihn unter sich zu begraben. Aber noch… war nicht aller Tage Abend!

Als er erneut die Stimme des Mannes neben ihm vernahm, brachte er Spannung in seinen Körper und sah aufrecht und tapfer zu seinen Mitbürgern. Er war eindeutig von Sinnen und fühlte ein gewaltiges Beben in seinem Inneren, eine düstere Vorahnung, aber seine Engstirnigkeit ließ ihn genau dort verharren, wo er gerade stand. Bestimmt und dem Untergang geweiht.
 

„Wie er sich seine Hörner abstößt, sollte uns nicht weiter interessieren“, fuhr der Fremde genießerisch fort. Er hatte wahre Freude daran, Jason den Todesstoß zu versetzen. „Erinnern wir uns lieber an Kelvin Sartaren!“
 

Jason glaubte sich verhört zu haben! Was hatte sein verstorbener Vater mit all dem Wahnwitz hier zu tun?

Endlich – ENDLICH – konnte er all die Emotionen zum Vorschein befördern, die schon die ganze Zeit in ihm gewallt hatten. Wütend funkelte er den Mann mit der Narbe an und ballte heimlich seine Hände zu Fäusten.

„Mein Vater war ein ehrenwerter Mann!“, presste er zwischen seinen Lippen hervor.
 

Grinsend hob der andere eine Braue an. „Da habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht“, zischelte er wie eine Schlange.

„Wollen wir doch bitte die Gesamtheit an unserem Gespräch teilhaben lassen“, meinte er dann wieder so laut, dass es alle verstehen konnten. Bisweilen war auch der Letzte unter ihnen verstummt und horchte gespannt auf das nun unweigerlich Kommende.
 

„Bis zu seinem Tod hat er gewissenhaft gelebt!“, begann Jason und das Braun seiner Augen bedeckte alsbald ein Glanz, von dem er sich selbst nicht ganz sicher war, ob er von Tränen herrührte. „Jeden Tag ging er seiner Arbeit nach, verdiente auf ehrliche Art und Weise sein Geld, um sich und mich ernähren zu können. Er nahm nicht nur die Vaterrolle ein, sondern ersetzte zugleich meine sehr früh verstorbene Mutter. Und er meisterte es bravourös. Es fehlte mir an nichts, vor allem nicht an Zuneigung und Geborgenheit. Noch immer klafft ein Loch in meiner Brust, das sein Tod dort hinterlassen hat. Und ich kann Ihnen eines versichern: Solch einen rechtschaffenen Mann lernt man selten kennen!“
 

Eine Lachsalve zu seiner Linken ließ den Blonden seine Augen zu schmalen Schlitzen verengen.

„Wie rührend!“, gab der andere von sich. „Beinahe hätte sogar ich dein Ammenmärchen abgekauft.“
 

„Sie verleumden mich und meine Familie vor aller Öffentlichkeit. Sie wissen, was das für weitreichende Folgen für Sie haben könnte!?“
 

„Wer von Ihnen kennt Kelvin Sartaren“, fragte er unbekümmert die Versammlung unter ihm.

Ganz wenige Hände wurden gen Himmel gestreckt und auch diese kamen nur ganz zögerlich.

„Können Sie die Ansicht seines Sohnes bestätigen?“

Keine Antwort, nur groteske Stille. Weder Zustimmung noch Verneinung.

„Das habe ich mir gedacht“, fuhr Tyrone von Zundersby uneingeschüchtert fort. „Geht Ihnen ein Lichtlein auf, wenn ich Ihnen Kelvin Sartaren als Father Dest vorstelle?“
 

Einige Frauen schlugen sich eine Hand vor den Mund. Ein paar Männer rissen gefährliche Gebärden und andere schickten sich an, auf das Podest zu stürmen. Jason wich instinktiv ein paar Schritte zurück. Verständnislos sah er von einem zum anderen. Er begriff nicht im Geringsten, was gerade vor sich ging. Father Dest… der Name oder die Bezeichnung, das Pseudonym oder was auch immer war ihm noch nie zu Ohren gekommen. Und warum bezichtigte Tyrone seinen Vater? Einen toten Mann, der sich nicht zur Wehr setzen konnte?

Wie in Trance hörte er den anderen „Bleiben Sie zurück. Noch ist seine Zeit der Hinrichtung nicht gekommen!“ rufen, daraufhin einen gellenden Pfiff. Gleichzeitig sah er eine Gestalt sich aus der Menge lösen. Wie gebannt verfolgte er ihre Bewegungen und erhaschte einen kurzen Blick auf ihr Gesicht. Jedwede Gegenwehr, die er bis eben noch in sich verspürt haben mag, wich vollends aus seinem Körper.

„Lance“, flüsterte er und sah zu, wie sich sein Freund von der aufgebrachten Menge entfernte. Es war reiner Zufall gewesen, dass er gerade dorthin geblickt hatte, und doch kam es ihm schicksalhaft vor. Sein Schicksal, das noch weitere dunkle Enthüllungen für ihn parat halten sollte.
 

Jason konnte nicht einschätzen, wie lange er schon auf die Stelle blickte, wo sein Freund eben noch gestanden hatte, als er eine Hand auf seiner Schulter bemerkte, die ihn rüttelte. Benommen sah er auf die Person hinter sich herab.
 

„Holly?“, fragte er verwirrt.
 

„Komm mit! Schnell!“
 

„Hm?“

In diesem Moment verstand er rein gar nichts mehr. Doch ehe Holly etwas erwidern konnte, drangen der Tumult und die Schreie auch wieder in seinen Gehörgang und er erzitterte. Unauffällig trat er ein paar Schritte zurück, Holly direkt hinter ihm, um der Meute alsbald den Rücken zu kehren und zu verschwinden. Da er nicht fähig gewesen wäre, selbst einen Fluchtweg zu finden, lief er einfach der Brünetten nach. Weg von dem Tosen. Weg von den für ihn unerfindlichen Anschuldigungen. Weg von dem personifizierten Hohn. Einen Fuß vor den anderen setzend tat er das, was er sich von diesem Tag gewiss nicht erhofft hatte. Hätte jemand zu ihm am Morgen gesagt, er würde weder seine Rede halten noch die ersehnte Anerkennung ernten, darüber hinaus sogar beschimpft, angeprangert und ausgepfiffen werden, hätte er gelacht. So surrealistisch wäre ihm diese wagemutige Behauptung erschienen. Und nun war genau das eingetreten. Er floh. Vor den Menschen, die er selbst einberufen hatte. Es war grotesk…
 

Als sie in Hollys Wohnung ankamen, sank Jason sofort aufs Sofa, bettete seinen Kopf auf die Lehne und schloss die Augen. In seiner Brust hämmerte sein Herz und in seinem Verstand pulsierte es noch viel mehr.

Irgendwann vernahm er ganz am Rande, dass jemand an der Tür klingelte und Holly alsbald mit Besuch in die Küche ging. Doch es war ihm einerlei, wer da gerade in der Wohnung umherstolzierte. Was kümmerte ihn ein einzelner Mensch, wenn er die ganze Wählerschaft eingebüßt hatte? Und obendrein einen herben Verdacht hegte? Einen, der in ihm die reinste Übelkeit hervorrief? Lance war tatsächlich bei der Versammlung gewesen! Hatte gesehen, wie er zur Schau gestellt wurde. Wie er vor und von allen gedemütigt wurde. Und hatte einfach nur dabei zugesehen. Weder war er eingeschritten noch hatte er ihm in anderer Weise aus der Klemme geholfen. So wie der Schwarzhaarige es angekündigt hatte. Das war so verdammt bitter. Und es tat unwahrscheinlich weh. Und Jason hatte ihre Liebe auch noch vor aller Öffentlichkeit verteidigt! Wie dumm musste man eigentlich sein, um derart naiv daher zu reden? Liebe… Wenn das Liebe war, was Lance für ihn empfand… Fest drückte der Blondschopf seine Finger in das Fleisch seiner Oberschenkel. Er bohrte sie so tief, dass er sich vor Schmerzen hätte winden müssen. Doch er realisierte nicht einmal, wie er sich zurichtete und wenn er es hätte, was interessierten ihn schon ein paar blaue Flecken? Er hatte verloren! Ausgespielt! Träume waren doch nichts weiter als aus Zeitvertreib entstandene Hirngespinste. Trugbilder oder gar einfach nur fromme Wünsche. Ja, er hatte sie gehabt. Und mochte sie noch immer tief in sich haben. Aber allmählich begann er sie zu verfluchen. Durch sie hatte er Bürgermeister werden wollen. Und das Resultat war erschütternd.

Die kleine herzförmige Wanduhr über ihm tickte unaufhaltsam und dennoch schienen die Sekunden zu Minuten zu werden.
 

„Jason?“

Es war Holly, die ihn ansprach.

„Du kannst nicht ewig voller Apathie hier sitzen. Hey, Jason.“
 

Der Blondschopf reagierte nicht. Mit unentwegt geschlossenen Lidern saß er auf der Couch, den Kopf auf der Lehne und die Hände in seiner Hose verkrallt. Die Brünette näherte sich ihm seinen Namen immer wieder sagend und gesellte sich zu ihm auf das Sofa, legte behutsam ihre Linke auf eine seiner verkrampften Hände.
 

„Jason, bitte, sag doch was. Wir machen uns allmählich Sorgen um dich.“
 

Jason Sartaren – Bürgermeisterkandidat und Geächteter – begann leise zu lächeln.

„Du hast davon gewusst“, flüsterte er.
 

Hollys Hand zuckte zurück. „Ich hatte eine Ahnung, mehr nicht.“ Unsicher sah sie die Gestalt neben sich an. Wie sie noch immer fast vollkommen teilnahmslos neben ihr hing und ungeheuerlich grinste. „Ich wollte dich warnen“, verteidigte sie sich weiter, doch im selben Moment noch wusste sie, dass er das missverstehen würde.
 

„Aber du hattest zu viel Angst davor, mich in meiner Euphorie zu bremsen?“, erwiderte er sarkastisch.
 

„Mein Bauchgefühl trügt mich meistens“, gab Holly leise zurück. „Ich kann mich selten auf es verlassen im Gegensatz zu vielen anderen.“
 

„Ist das deine Entschuldigung?“

Plötzlich richtete sich Jason auf und sah sie aus rehbraunen, funkelnden Augen an. Stierte sie förmlich nieder.

„War das dein grandioser Höhepunkt?“
 

Die Frage brachte sie aus der Fassung. Sie brauchte eine Weile, um sich wieder zu sammeln und dem Blick standhalten zu können.

„Du willst mir hier nicht allen Ernstes gerade vorwerfen, dass ich diesen Kerl engagiert hätte?“
 

„Sehe ich da bereits die ersten Gewissensbisse?“, entgegnete er hart.
 

„Weißt du eigentlich, wie sehr du mich damit verletzt?“

Ihre Miene war von Wehmut gezeichnet. Sie konnte nicht glauben, dass er ihr so etwas zutraute. Nach all dem, was sie für ihn getan hatte.

„Auch wenn es jetzt nach Verteidigung klingen dürfte: Ich habe mir lediglich Sorgen gemacht, dass herauskommt, dass du mit einem Mann liiert bist. Denn die meisten Menschen erachten eine solche Liebe immer noch als widerwärtig und nicht tolerierbar.“
 

Jason funkelte sie weiterhin an.

„Aber du weißt sicher, wer Father Dest ist!“
 

Sie senkte den Blick und presste ihre Lippen aufeinander. „Bitte geh!“, hauchte sie.
 

„Was hat mein Vater mit Father Dest zu tun?“, fragte der Jüngere streng. „Du bist Journalistin und hast dieses Pseudonym mit Sicherheit schon einmal gehört. Holly!“
 

Wütend hob sie ihren Blick wieder an. „Du hast kein Recht, mich derart anzufahren! Ich habe dich dort weggezerrt, als dir noch eine Flucht möglich war. Vielleicht lägst du sonst nun unter zig stinkenden, vor Schweiß triefenden Menschen begraben, die alle das gleiche Ziel verfolgen: Dich in die Finger bekommen, um dich eigenhändig lynchen zu können!“
 

„Wer ist Father Dest?“, wiederholte Jason eindringlich. „Und was hat er mit meinem Vater zu tun?“
 

„Das möchtest du nicht wissen.“
 

„Ich muss es wissen!“
 

„Warum sollte gerade ich dir das erzählen? Du traust mir ja anscheinend nicht über den Weg!“

Gekränkt legte sie beide Hände an seinen Hemdkragen und zog ihn mit sich von der Couch.

„Geh, Jason!“
 

Sie hatte ihn schon fast bis zur Tür geschubst, als er anfing, Widerstand zu leisten. „Wohin soll ich denn?“

Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
 

„Das hättest du dir eher überlegen müssen!“, herrschte sie ihn an.
 

„Lance…“, brach er ab.
 

Bedächtig nickte sie. „Ich weiß. Ich habe ihn auch gesehen, als ich auf dem Weg zu dir zum Podest war… Aber bei mir kannst du dennoch nicht bleiben!“
 

„Bitte, Holly.“ Er sank trotz ihrer Hände an sich auf die Knie, riss sie dadurch halb mit sich. „Es tut mir leid.“
 

„Ach, auf einmal“, meinte sie und ließ ihn immer noch nicht wieder los.
 

„Nein… es ist wahr. Ich… habe heute alles verloren. Alles, was mir wichtig war. Und es war unfair, dich zu beschuldigen.“
 

Ein lauter Seufzer erfüllte den Raum.
 

„Lass ihn hier“, mischte sich ein groß gewachsener Mann ein, der die ganze Zeit über am Türrahmen zur Küche hin gelehnt hatte.

„Siehst du nicht, wie verzweifelt er ist?“
 

Hollys Kopf drehte sich gen Eddy und aus ihrem Gesicht wich der Zorn. Stumm bedeutete sie ihm, er solle ihr helfen, Jason zurück zum Sofa zu bringen.
 

„Ich kann alleine gehen“, wandte Jason ein, als er Eddy neben sich wusste. Gesenkten Hauptes erhob er sich und ging ein paar Schritte.

„Holly?“, fragte er, als er sich setzte.
 

„Ja?“, erwiderte sie matt.
 

„Verzeih’ mir. Bitte.“

Das Flehen war nicht zu überhören.
 

„Wenn du mir im Gegenzug versprichst, dass du nie wieder an meiner Freundschaft zu dir zweifelst!“, entgegnete sie nach kurzem Zögern.
 

„Versprochen.“

Aufrichtig sah er sie an. Seine Augen glänzten nicht mehr vor Wut oder Wahnsinn, sondern durch die Tränen, die sich unbemerkt dort sammelten. Er merkte nicht, wie sie ihm alsbald unablässig die Wangen hinabliefen und salzige Spuren hinterließen. Erst als Holly näher kam, bedächtig nickte und ihm eine Hand ans Gesicht legte.
 

„Gut. Du kannst hier blieben.“

Mehr als ein Hauch waren ihre Worte nicht.
 

Jason wollte sich gegen die Tränen wehren, doch schon nach dem zehnten Lidschlag gab er es auf. Nicht nur, dass sie nach draußen wollten, er verspürte ohnehin keinen Widerstand in sich. Mehr als Leere war in ihm nicht zu finden. So zerrüttet hatte er sich seit dem Tod seines Vaters nicht mehr gefühlt. Er dachte an den Tag zurück, wo er am Grab stand und von Kelvin Sartaren Abschied nahm. Es war keine schöne Erinnerung und doch behielt er sie sich immer in seinem Herzen, denn er hatte sich wenigstens verabschieden können. Was er von seiner Mutter nicht behaupten konnte. Ein paar Monate später hatte er Lance getroffen. Den Mann, von dem er geglaubt hatte, er würde ihn nicht so schnell wieder verlassen… Auch wenn es nicht der Tod war, der sie voneinander entfernte, so kam er sich dennoch einsam vor. Abwesend kaute er auf seiner Unterlippe und nahm das Geschehen um ihn herum nur nebenbei wahr – wie Holly ihm die Tränen wegwischte und wie Eddy eine Flasche vor ihm abstellte.

„Holly…?“, schluckte er.
 

„Ja?“

Sie kniete sich neben ihn und sah ihn sanft an.
 

Nachdem er selbst ein paar lästige Tränen beseitigt hatte, erwiderte er ihren Blick. Nur funkelten seine Augen voller bitterer Erkenntnis.

„Lance… hat diesen Mann angeheuert.“

Seine Stimme verebbte zum Ende hin, trotzdem klang sie in seinen Ohren noch tausend Mal nach. Als er sie nicht mehr hören konnte, kniff er seine Augen fest zusammen und schlug sich mit einer Hand aufs Bein. Plötzlich verebbte das salzige Nass und seine Mimik verlor an Trauer. Die Wut, die er in letzter Zeit öfter verspürt hatte, kehrte zurück und ließ das Braun gefährlich glimmen.
 

„Trink den“, meinte Eddy und hielt dem Blondschopf ein Schnapsglas vor die Nase.
 

Sofort griff Jason danach und kippte den hochprozentigen Inhalt auf Ex. Als er die Wärme spürte, die sich in seiner Kehle ausbreitete, lächelte er leicht.

„Das heißt wohl, dass ich von nun an Single bin“, äußerte er gedämpft.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-07-08T20:42:41+00:00 08.07.2007 22:42
Wahhh...
Du hast ja schon wieder was hochgeladen. Aber gut. So musste ich an der spannenden Stelle im vorherigen Kapitel nicht Stopp machen. ^^
Schon wahnsinn, was du dir für den öffentlichen Auftritt Jasons ausgedacht hast.
O.O <-- so hab ich geguckt...
Aber sowas soll wohl passieren. Aber das Lance das gemacht haben soll... Das wäre ja schon gemein.
Und dass sie dann Dinge ausgraben, von denen Jason selbst gar keine Ahnung hat... Ich frag mich was es mit deinem Vater auf sich hat.


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