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Wichtelgeschichten

Des einen Freud ist des anderen Lacrima
von

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21... 22... 23... [Original]

Titel: 21... 22... 23...

Fandom: Original

Genre: Alltag

Wichtel: Caliena & Alaiya

Kommentar: Für zwei Personen schreiben ist Mist. -_-
 

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21... 22... 23...
 

„21... 22... 23...“
 

Ich war gerade 21 geworden und half in verschiedenen Läden aus. Es war Juli und es hatte mich in „Das Paradies für Ökogemüse“ am Stadtrand verschlagen. Ökogemüse. Also ehrlich. Aber gut, eigentlich war es mir auch egal. Ich hoffte schließlich nicht auf eine Fixanstellung oder eine Art Karrieresprungbrett, wie die Leute das gerne nannten. Nein, ich sparte mein Geld für eine Weltreise. Na so gut es ging jedenfalls.
 

„Aber wäre es nicht viel besser, ein geregeltes Leben aufzubauen? Wäre ein sicherer Beruf mit stetigem Einkommen nicht sinnvoller, wenn du auf so eine Reise sparen willst?“
 

Diese Fragen. Ich hörte sie praktisch rund um die Uhr, manchmal denke ich sogar jetzt noch an sie. An die und an all die anderen Zweifel, die mir Verwandte und Bekannte rund um die Uhr so bereitwillig anboten. Aber Routine, wenn ich darüber nachdachte, überragte mich wie der Schatten eines Gefängnisses. Ein Luxusgefängnis vielleicht und trotzdem schlossen sich hinter dir Türen aus massivem Stahl, sobald du dich darauf einließt.
 

Und ich dachte an meine verzerrte Stimme, die immer wieder im Traum zu mir sprach: „Weltreise? Haha, richtig! Was für Ideen man doch als Jugendlicher hat. Also nein, im Moment muss ich w i c h t i g e Dokumente bearbeiten und da so viel Urlaub nehmen? Wie soll denn das funktionieren? Wie soll ich denn da je wieder auf meine alte Stelle hoffen können, wo doch Herr Müller mir gerade erst gestern diese Beförderung in Aussicht gestellt hat? Aber außerhalb der Stadt, da fährt man auch günstig mit der Bahn hin, da gibt es ein paar herrliche Wanderwege, die...“
 

Die Wege waren nass vom Regen. Im Radio warnten sie vor Aquaplaning, doch außerhalb der Städte empfing man diese Warnungen kaum. In den Tälern der waldigen Landschaft gab es nicht nur Funklöcher. An Sonnentagen war die dort herrschende Stille ein perfekter Teil einer perfekten Idylle. Doch an Regentagen wirkte sie gespenstisch. Wenn das Wasser die Menschen in ihre Häuser getrieben hatte, dann gab es draußen kaum etwas, das die Stille und den Nebel durchbrach. Außer vielleicht das gelegentliche Zirpen eines Vogels. Und das Knirschen von Metall auf der Straße.
 

Jedes Mal verschwamm die Stimme und ich wachte auf. Etwas übertrieben, nicht wahr? Trotzdem machte es mir Angst so zu werden und ich sprang fast jedes Mal schweißgebadet von meiner Matratze auf. Na ja, nur Matratze. Ohne Bett und so. Doch solche Dinge nahm ich gerne in Kauf, schließlich durfte ein zukünftiger Weltreisender sich nicht so an irgendwelchen Luxus hängen.
 

Das Ökoparadies. Eigentlich war es ein netter Laden. Und ein bisschen Gemüse als Zulage zu meinem Gehalt schien damals beinahe lebensrettend, wenigstens im Sommer, als ich Instantnudeln entdeckte und der Preis mich zwar erfreute, der Geschmack und die Inhaltsstoffe mich aber nach vier Wochen beinahe wahnsinnig gemacht hatten.
 

Im Herbst kündigte Peter. Der Besitzer bot mir seine Stelle an. Den Laden schmeißen? Der Besitzer hätte mich in dieser Position sicher gut gebrauchen können, schließlich kannte ich mich nach drei Monaten bereits gut aus. Und ich hätte die paar Euros extra gebrauchen können, schließlich war China mindestens so teuer, wie es faszinierend war. Nur leider war mir gerade am Vortag eingefallen, wie interessant es doch wäre, in einer Videothek in der Innenstadt zu arbeiten...
 

„21... 22... 23...“
 

Ich war seit fünf Monaten 22 und hockte wie fast jeden Vormittag in einem kleinen belgischen Kaffeehaus namens EBT. Irgendwann hatte mir ein Kellner erzählt, dass die Abkürzung für een bakje troost, also eine Tasse Kaffee stand, oder... jedenfalls hatte ich das so in Erinnerung. Üblicherweise schlug ich mich nämlich mit Deutsch und Französischbrocken durch und das klappte meistens auch überraschend gut.
 

Meistens hatte ich allerdings auch Hilfe von Julie, meiner Freundin. und dem Grund, warum ich in dieses Land gekommen war. 22, diese Geburtstagsparty war die beste gewesen, die ich je gehabt hatte. Die Freunde, die ich in der Videothek kennen gelernt hatte, bevor der Laden schloss, waren einfach einmalig. Wir machten zwei Tage durch und verpulverten unser Erspartes in einem Casino.
 

Na ja, mein Erspartes wenigstens, schließlich war es auch meine Party gewesen. Und sowieso, diese Weltreise? Wenn man erst mal gute Freunde gefunden hatte, dann schien das Leben eines wohnsitzlosen und einsamen Reisenden doch plötzlich etwas... na eben einsam. Und Julie? Wie sollte ich denn das durchstehen ohne sie?
 

Sie hatte damals im Casino ausgeholfen, ihr letztes Wochenende, bevor sie zurück nach Namur ging. Und davor ging es für uns beide zurück auf ein Hotelzimmer. Das versetzte meinem Geldbeutel zwar den Todesstoß, doch wie hätte ich es denn verantworten sollen, so eine wunderbare Dame, die große Liebe auf den ersten Blick, mit meiner zerfransten Matratze zu konfrontieren?
 

Und der rote Klappstuhl, den meine Großmutter als passendes Geburtstagsgeschenk angesehen hatte, hätte sie wohl auch nicht sonderlich beeindruckt. Ein lausiger, roter Klappstuhl...
 

Ein einzelner roter Fleck. Man hätte beinahe glauben können, dass absolut nichts geschehen war. Denn ein einzelner roter Fleck... wer würde den schon bemerken? Niemand, allerdings... man würde dann doch um die Ecke fahren und spätestens dann den Rauch sehen. Und die verstreuten Metallteile. Und das Auto, an dem Sprünge sich wie ein Spinnennetz über die Windschutzscheibe zogen und das schneeweiß war, bis auf ein paar rote Flecken.
 

Aber schließlich sind Freunde die Familie, die man sich aussucht. Und genau wie meine Familie sich von Job zu Job von mir distanziert hatte, so hatte ich Job um Job die Größe meiner Wahlfamilie ausgeweitert. Und in der Mitte stand sie.
 

Nun, damals stand sie eigentlich nur neben dem Hotelbett, in dem ich noch ziemlich verkatert lag. „Ich fahr jetzt nach Hause“, hatte sie gesagt. Sie hatte einen Moment überlegt und dann hinzugefügt: „Kommst du mit?“
 

Die Zugfahrt war lang gewesen und beinahe hätte ein Kontrolleur mich erwischt. Illegales war noch nie meine große Stärke gewesen, aber für einen Klappstuhl ging sich nun mal leider keine Fahrkarte aus. Jedenfalls keine, die mich weiter als bis zur nächsten Bahnstation am anderen Ende der Stadt gebracht hätte.
 

Doch nun war ich ja hier und das Arbeiten in Belgien war schon eine Sache für sich. Den Schritt zum Tellerwäscher hatte ich immerhin schon geschafft, aber bis zum Millionär würde es wohl noch ein wenig dauern. Dafür hatte ich auch schon andere Pläne ins Auge gefasst. Ein Studium, so sehr ich mich früher auch dagegen gesträubt hatte, schien plötzlich reizvoll. Natürlich wäre man eine Zeit lang gebunden, aber man stelle sich nur das Ergebnis vor! Ein Doktortitel vielleicht? Oder Anwalt werden, wie mein älterer Bruder, den ich von allen hier am meisten vermisste.
 

Aber klein anfangen hatte irgendwo auch seine Reize und schließlich war da noch die Zukunft mit Julie. Ich dachte manchmal an eine spontane Heirat, denn ich hätte sie nur zu gerne in einem weißen Brautkleid gesehen. Doch egal ob verheiratet oder nicht, das Leben zusammen mit ihr war einfach perfekt. Nur Namur schien von Tag zu Tag kleiner zu werden...
 

„21... 22... 23...“
 

„Ich hätte mit 23 auch gerne mein erstes Motorrad gehabt, aber so schnell kommt ein Staranwalt in spe eben nicht zu so viel Geld!“ Mein Bruder lachte und überreichte mir die Schlüssel für die Maschine.
 

Das ist vor einer Woche gewesen und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich es bis jetzt überhaupt ausgehalten habe. All die Monate ohne ihn und all die Jahre ohne Motorrad. Vielleicht sollte ich das sogar professionell machen. Motorrad fahren meine ich. Hey, schnell genug bin ich allemal! Und seit ich aus Belgien zurück bin, habe ich sowieso zu viel Freizeit. Obwohl, andererseits...
 

Ich wohne ja jetzt mit meiner Freundin Nina zusammen und vielleicht muss ich mir auch bald eine eigene Wohnung suchen. Neulich meinte sie nämlich, sie hätte es satt, mich durchzufüttern. Und ich würde ihr ja wirklich gerne etwas von der finanziellen Last abnehmen, aber Suppenküche und so? Gemeinnützige Arbeit würde nun mal leider nicht so viel nützen, wenn ich dafür Gehalt verlangen würde.
 

Aber Nina sagt, sie hat einen Onkel, der könnte mir einen Job verschaffen, bei dem für Suppenküche noch genug Zeit bleibt und der sogar mir gefallen würde. Hey, also ich hatte schon zig Jobs und ob sie es wirklich schafft, mir einen zu zeigen, der die alle überbietet? Und dann auch noch auf Dauer? Also das ist schon ziemlich schwer vorzustellen. Aber vielleicht schafft sie es. Und vielleicht sollte ich dann auf sie hören. So ein Lebenswandel würde mir schon gefallen. Es wäre immerhin einen Versuch wert. Oder vielleicht sollte ich stattdessen einfach nur die Freundin wechseln? Haha, nein, das war fies. Nina ist toll und ich hab’s wirklich nicht so gemeint.
 

Obwohl ich heute ein wahnsinnig hübsches Mädchen getroffen habe. Sie hat schwarze Haare und fährt ein rotes Auto. Aber ich denke, sie hat schon einen Freund...
 

Ihr Bruder schüttelte den Kopf und zischte, sie solle doch einfach weiterfahren. Doch sie ließ ihn nicht einmal ausreden und sprang sofort aus dem Auto. Der Regen prasselte auf ihre Haare und der Nebel machte es schwer, überhaupt etwas zu sehen. Nur das Blut auf der weißen Motorhaube war leider nur zu deutlich. Sie sah sich um und suchte nach dem Körper des verletzten Rehs. Sie weigerte sich zu glauben, dass es etwas anderes sein könnte, bis selbst ihr Bruder mit entsetztem Blick aus dem Wagen stieg und nach seinem Handy griff.
 

Ich glaube, es hat meine Eltern damals einfach nur zu sehr geschafft, über jeden meiner in ihren Augen katastrophalen Schritte Bescheid zu wissen. In gewisser Art und Weise war Belgien da wohl so eine Art Urlaub für sie. Urlaub von mir, versteht sich. Und jetzt? Wir haben tatsächlich wieder Kontakt. Papa meint, ich höre mich am Telefon viel erwachsener an und er hat gelacht, weil ich ihm gesagt habe, dass das wahrscheinlich nur an meiner Erkältung liegt. Der Regen um diese Jahreszeit ist aber auch wirklich kaum auszuhalten.
 

Der Gedanke, an diesem Unfall schuld zu sein, war für sie kaum auszuhalten. Hätte ihr Bruder ihr nicht versichert, dass das Motorrad bereits in der Kurve vor ihnen aus der Bahn geworfen worden war, sie wäre auf der Stelle durchgedreht. So jedoch kniete sie tapfer am Straßenrand nieder und entfernte vorsichtig den blutbefleckten Motorradhelm der am Boden liegenden Gestalt. Sie dachte, sie hätte ein Stöhnen gehört, doch als sie ihren Puls fühlte...
 

Irgendwie fühlt es sich merkwürdig an, meine Eltern nach so langer Zeit wieder zu sehen. Na ja, lang. Was ist schon lang, aber für eine Familie sind vier Jahre doch ein schönes Stück. Und heute schnappe ich mir also die Maschine und fahre sie besuchen. Sie wohnen jetzt sogar am Land, in dem Haus, das wir früher manchmal für Wochenendausflüge gemietet haben. Da waren mein Bruder und ich noch Kinder, das ist wirklich schon ewig her. Apropos ewig... mag ja sein, dass mein Zeitgefühl nicht mehr das ist, was es mal war, aber sollte ich nicht schon längst da sein?
 

„21... 22... 23... sollten die nicht schon längst da sein?!“, rief die schwarzhaarige Frau verzweifelt ins Nichts und warf einen Blick in die dichte Nebelsuppe. Ihr Bruder antwortete nicht, er hatte den Wagen zur Seite gefahren und ging nun hektisch telefonierend auf und ab.
 

„21... 22... 23...“, murmelte sie, während der Regen aus ihren Haaren klebrige Fäden formte, die ihr beinahe die Sicht nahmen. Hinter der Kurve schossen zwei Lichter aus dem Nebel und für einen Moment lang gab das Motorengeräusch ihr Hoffnung.
 

„21... 22... 23...“, keuchte die Frau und drückte mit beiden Händen auf den Brustkorb der Gestalt, während ihr Bruder seufzend dem Auto nachsah, das an ihnen vorbeifahrend wieder im Nebel verschwand.
 

„21... 22... 23... wann kommt denn nun endlich dieser verdammte Krankenwagen?! Wenn das noch länger dauert, dann...“
 

Krankenwagen? Komisch. An die Frau erinnere ich mich. Und an den Mann neben ihr. Die, die in dem roten... oder... oder weißen Auto saßen. Und dieser schreckliche Regen. Die beiden sahen so verzweifelt aus. Sie müssen diesen Krankenwagen wohl wirklich gebraucht haben. Aber ich kann mich an keinen Krankenwagen erinnern. Der ist wohl erst gekommen, als ich schon weg war.
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2009-05-31T03:47:12+00:00 31.05.2009 05:47
Wow das ist mal ne wirklich überraschende Story.
nicht nur der Schreibstil, sondern auch die Art, wie du zwei Blickwinkel ineinander verwoben hast. Das war einfach klasse!

Ein bisschen verwirrend am Anfang, aber je weiter man gelesen hat, desto mehr konnteman sich dann denken, was passiert.
Von:  Alaiya
2008-11-07T11:46:40+00:00 07.11.2008 12:46
Ah, du hast versucht für uns beide zu schreiben :D
Finde ich klasse ^-^
Also auf jeden Fall hat mir die Geschichte sehr gut gefallen. Ich mag solche Erzählweisen, daher fande ich es klasse. Ich habe allerdings ewig gebraucht, um zu erkennen, worauf du mit dem kursiven hinaus wolltest :P

Aber ja, ich mag Alltagsgeschichten auch gerne. Daher: Klasse ^-^

LG
~Alaiya
Von:  winterspross
2008-11-05T14:28:02+00:00 05.11.2008 15:28
Wie schon gesagt, ich mag die Idee deiner Geschichte sehr. Du hast das mit dem Ende wirklich genial gelöst, ich war sehr verwirrt, als es dann zur Herzmassage kam. Und der Charakter des sprunghaften jungen Mannes ist wunderbar beschrieben, bis zum letzten Atemzug: +röchel+ "Luke, ich bin dein Vater!" +röchel+
+hust+ Wie auch immer. :)

Was waren jetzt eigentlich die Themen, die du für deine Wichtelkinder kombinieren musstest? ^^
Von:  Kim_Seokjin
2008-11-04T14:35:20+00:00 04.11.2008 15:35
Puhh.. mit so einem Ende hätte ich jetzt nicht gerechnet. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal womit ich eigentlich gerechnet habe, aber auf keinem Fall damit.
Zwischendurch war ich ein wenig verwirrt, weil es so viele Informationen bekam, aber nicht alles oder wenig erklärt wurde, aber wenn man zu Ende ließt ergibt es dann doch einen Sinn. Es sind ja nur Augenblicke im Leben des Unbekannten..

Von:  Ashqtara
2008-11-04T13:07:11+00:00 04.11.2008 14:07
soll ich ehrlich sein?
-> wow! O_______________O
Ich finde es klasse, wie du die verschiedenen Blickwinkel kombinierst und dass man erst zum Schluss die ganze Geschichte richtig versteht (auch wenn man es schon vorher geahnt hat ^^). Respekt!
lg Ay


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