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Dark Age of Camelot

Licht und Schatten
von

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Fieberträume ohne Fieber und Träume

So in seine Gedanken vertieft, merkte Alazais erst, dass er seinen Artgenossen unverblümt anstarrte, als dieser seinen Blick ohne zu blinzeln erwiderte. Schuldbewusst zuckte er zusammen und sah zur Seite, aber der Unbekannte schien ihm nichts nachzutragen. "Tragisch," meinte er ausdruckslos und kam zwei Schritte näher. Ein Hauch von Bestürzung huschte für einen Moment über die edel anmutenden Züge und machte dann kühler Reserviertheit platz. "Und ich dachte, sie hätten nur ein Kind nach Midgard verkauft."
 

Mit einem Ruck schlug Alazais die Augen auf.

Über sich sah er Zacharels besorgtes Gesicht, das nun einen erleichterten Ausdruck annahm. "Oh, du wach bist? Eir sei Dank. Wie du dich fühlst?" der Elf blinzelte mehrere Male orientierungslos und sah sich erschrocken und verwirrt um. "Wo...bin ich?" krächzte er und spürte im selben Moment, dass er erbärmlich fror. "In Sicherheit," beruhigte ihn der frostelfische Heiler. "Die Blutung sehr stark war und du uns beinahe wärst erfroren, aber nun alles ist gut. Die Schmerzen sind schlimm?"

Alazais sah ihn nun restlos verständnislos an. "Was?" murmelte er. "Wo ist dieser Elf? wer...wer war er?" der Heiler erwiderte den Blick unsicher. "Hier kein Elf war. Schlecht geträumt, hm?" Alazais sah sich erneut um und schluckte kurz. Er lag nach wie vor in der kleinen Hütte, in welche man ihn nach seiner Konfrontration mit dem Seeungeheuer gebracht hatte. Seine Haare waren noch feucht und die kürzeren Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen, schienen an den Spitzen beinahe ein wenig angefroren zu sein. "Aber ich habe ihn gesehen!" beharrte der Magier verstört. "Das kann kein Traum gewesen sein. Leif ist tot, Stellan hat...er hat ihn getötet, in seiner Hütte. Stellans, meine ich. Und dann kam Crypica mit diesem fremden Elfen und er...er sprach von einem Kind, das nach Midgard verkauft wurde. Wo ist er?" Zacharel hörte sich den stockenden Bericht skeptisch an und runzelte die Stirn, doch Alazais glaubte, ganz kurz ein besorgtes Flackern in seinen Augen zu sehen.

"Du geträumt hast, Junge. Wir dich haben sofort hergebracht und versorgt. Du noch nicht warst woanders und Leif draußen steht, betrunken, aber er ganz sicher lebt." Alazais stemmte sich hoch und zischte unterdrückt, als ein scharfer Schmerz durch seinen zerbissenen Schenkel fuhr. "Ich habe mir das doch nicht eingebildet!" sagte er heftig. "Dafür war das alles viel zu...," er stockte kurz und wandte errötend und unglücklich den Kopf ab. Zacharel seufzte leise und strich ihm fahrig über das Haar. "Du Fieber hattest, Alazais. Da Träume schon sehr real können sein."

"Aber das war kein..." setzte der Zauberweber an, in dem Moment trat Stellan in die Hütte. Sein Blick verfinsterte sich merklich, als er den Elfen ansah. "Bist du vollkommen übergeschnappt?" schrie er ihn an und stapfte drohend näher. Grob packte er den Hibernianer bei den Schultern und schüttelte ihn kurz. "Was hast du dir dabei gedacht, he? wenn du glaubst, dass du für diese selbstlose Ehrentat wieder nach Hause kannst, hast du dich gewaltig getäuscht. Und," seine Stimme wurde eine Spur leiser, aber mindestens noch drei Nummern eisiger, "wenn du dich jemals wieder willentlich so in Gefahr bringst, sorge ich dafür, dass du die nächsten drei Wochen keinen Schritt mehr laufen kannst, mein Wort darauf!" die letzten drei Worte steigerten sich erneut zum zornigen Gebrüll und Alazais blinzelte ihn beklommen an, noch immer vollkommen verwirrt und nun zusätzlich eingeschüchtert.

"Na, na, na," machte Zacharel beschwichtigend auf midländisch und lächelte entwaffnend. "Reg dich mal nicht so auf, Dickerchen. Das ist nicht gut für dein altes Berserkerherz." Stellan fuhr wütend zu ihm herum und versetzte dem schmächtigen Heiler einen Stoß, der ihn nach hinten torkeln und beinahe stürzen ließ. "Halt die Klappe!" fauchte er gereizt. "Ich will dein dämliches Geschwafel nicht mehr hören. Geh mir aus den Augen, verschwinde!"

"Wie herzlos, dabei ist das so ein schönes Fest."

"Noch ein falsches Wort, und ich schlag dir den Schädel ein, du verdammter Unterweltkriecher!"

"Gleich siehst du mich in Tränen ausbrechen!"

Alazais wagte es nicht, sich in das entflammte Streitgespräch einzumischen, doch seine Augen weiteten sich entsetzt, als Stellan nach der wahrhaft mörderischen Zweihandaxt griff und sie mit eindeutigen Absichten von seinem Rücken riss. Zacharel wich vorsichtshalber zurück, doch er grinste noch immer, nun allerdings ohne den gespielt dramatischen Ausdruck. "Warum gleich so grob, Stellan? lob den Jungen lieber, statt ihn für seine Courage zu schelten. Du wirst auch Profit daraus ziehen. Die Familie des Mädchens ist sehr einflussreich an König Eiriks Hof, und wenn sie erfahren, dass er dein Gast ist," ein spöttisch-herablassender Zug huschte über das dunkelhäutige Gesicht des Heilers, "werden sie auch dir danken und dich entlohnen." Stellan war nur mäßig beschwichtigt. "Geh!" knurrte er nur. Zacharel verneigte sich spöttisch und warf Alazais ein aufmunterndes Lächeln zu. "Alles in Ordnung ist," sagte er und verließ, ein kleines, aufreizendes Liedchen pfeifend, die Hütte. Stellan schlug die geballte Faust gegen den Türrahmen und schnallte die Axt auf seinen Rücken. "Verdammter Possenreißer," grollte er gereizt. "Irgendwann reiß ich ihm seine lose Zunge heraus." Ärgerlich fuhr er wieder zu Alazais herum. "Du bleibst für die nächste Zeit im Haus. Wir gehen zurück, sofort. Steh auf!" Alazais versuchte es, doch sein verletztes Bein reagierte auf die Belastung mit einem erneuten, flammenden Schmerz und ließ den Elfen straucheln. Fluchend streckte Stellan einen kräftigen Arm aus und fing ihn auf. "Reiß dich gefälligst zusammen, das ist kaum mehr als ein Kratzer." Alazais spürte frisches Blut in den Verbandstoff sickern, doch er sagte nichts- der Nordmann war im Moment gereizter als ein schlecht gelaunter Stier und er legte wirklich keinen Wert darauf, ihn zu einem seiner unkontrollierten Wutausbrüche zu reizen. Seinen eigenen Worten zum Trotz ersparte ihm der Berserker ein schmerzliches Humpeln und hob ihn mühelos auf die Arme, ehe er die Hütte verließ.
 

Alazais sagte kein Wort, als Stellan ihn vor sich auf den breiten Pferderücken hob und sich mürrisch in den Sattel schwang. Ein ungutes Gefühl begann sich in ihm breit zu machen, eine Art von Déjà-vû und eine innere Stimme warnte ihn eindringlich, dass er ohne Eile einer Katastrophe entgegen ritt. Der junge Elf war nicht einmal besonders überrascht, als Stellan plötzlich losfluchte: "Verflucht nochmal! du machst mich vor meinen Waffenbrüdern lächerlich und spielst das Unschuldslamm, während du dich innerlich wohl vor Lachen kaum halten kannst, ist es nicht so?"

Kaltes Entsetzen durchrieselte den Mentalisten. Genau, wie er geahnt und -vielleicht?- geträumt hatte. Hastig schüttelte er den Kopf. "Nein!" versicherte er mit furchtsamer Stimme. "Bitte, es ist nicht so." Für eine umfassende Erklärung fehlten dem Hibernianer die nötigen Kenntnisse, doch allein die Tatsache, dass er auf midländisch antwortete, schien den Berserker ein wenig zu beschwichtigen. Er bedachte den Jungen noch mit einem letzten, wenig wohlwollenden Blick, sagte aber nichts mehr, bis die abseites stehende Hütte in Sichtweite kam.

"Das Brennholz ist fast leer, ich hole Nachschub," erklärte er kurz angebunden und hob Alazais vom Pferd. Zu seiner gelinden Überraschung fasste ihn der Junge plötzlich sehr zögerlich am Unterarm, als wolle er ihn zurück halten. "Was ist?" fragte Stellan mit verengten Augen, doch er wirkte beinahe mehr erstaunt als wütend.

Alazais war über seinen Mut mindestens ebenso erschrocken wie der Nordmann selbst. Sekundenlang blickte er nur auf seine eigene Hand, mit der er den anderen festhielt, ehe er zu ihm aufsah. "Ich nicht allein," bat er fast flüsternd. "Leif...Leif kommt dann." Stellan zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. "Was redest du da?" fuhr er den Elfen an und Alazais schlug einen Moment die Augen nieder, ehe er sich zwang, den forschenden Blick zu erwidern. "Leif kommt und macht mich...wird...," er gestikulierte hilflos mit den Händen, als seine Sprachkenntnisse allmählich an ihre Grenzen stießen. Offenbar verstand ihn Stellan auch so, es gab ja auch nicht viele andere Dinge, die diese Midgarder an ihm zu schätzen schienen, ging es dem Magier zynisch und mit einem bitteren Stich durch den Kopf, während Stellan halb fassungslos, halb wütend die Augen aufriss. "Hat er dir das gesagt?" zischte er mit vor Zorn bebender Stimme. Alazais schüttelte stumm den Kopf und erntete unvermittelt eine brennende Ohrfeige. "Dann erfinde auch nicht solche Geschichten," knurrte der Berserker, wobei er seine immer noch spürbare Überraschung hinter plumper Wut zu verbergen suchte.

Der Junge hielt sich die pochende Wange und humpelte einen halben Schritt hinter Stellan her, als dieser schon Anstalten machte, sich abzuwenden. "Bitte," versuchte er es erneut und spürte sein Herz heftiger schlagen. Noch nie hatte er dem Midgarder so offen getrotzt und er fürchtete sich vor dem Wutanfall, der vielleicht schon bald folgen mochte. Stellan blieb stehen und sah ihn wortlos an. "Ich...ich weiß es, bitte...nicht weggehen." Er fühlte sich elend dabei, seinen Peiniger anflehen zu müssen, aber noch mehr fürchtete er das, was vielleicht geschehen würde. Die Schrecken und Schmerzen durch Leif, durch Stellan selbst und den fremden Elfen. Wenigstens das war einigermaßen verrückt, eben hatte er noch unbedingt wissen wollen, wer jener war, nun hatte er Angst vor der Antwort. Der Hibernianer hatte ihm so ähnlich gesehen und die achtlos in den Raum geworfene Bemerkung...

Stellan musterte den jungen Magier eine Weile und rang dabei innerlich mit sich selbst. Normalerweise hätte der Bengel eine zweite Ohrfeige und einen Tritt ins Haus verdient, andererseits hatte er trotz seiner Verachtung für den kaum vorhandenen Widerstand, mit dem Alazais beinahe alles ohne Gegenwehr über sich ergehen ließ, immer darauf gewartet, den Elfen nicht nur körperlich für sich zu gewinnen. Vielleicht waren sie hier an den Punkt gestoßen, einen entscheidenden Schritt zu tun, auch wenn die Vorstellung Stellan mit einem leisen Gefühl des Unbehagens erfüllte.

"Nun pass auf," setzte er langsam an. "Du wirst ins Haus gehen und auf mich warten. Ich gehe voraus und komme zurück, aber nicht ins Haus. Wenn Leif wirklich kommt...," er ließ den Satz offen und musterte den Hibernianer aus verengten Augen. "Hast du das verstanden?"

Alazais hatte nicht alles verstehen können, aber doch genug, um erleichtert zu nicken. Er gab sich einen Ruck und murmelte ein leises 'Danke'. Stellan grunzte etwas Unverständliches und wandte sich ab, und mit gemischten Gefühlen humpelte Alazais in die Hütte. Es war sehr kalt und Stellan hatte Recht gehabt, in dem schmiedeeisernen Ständer neben dem Kamin lag nur noch ein kümmerlicher Haufen Holz. Alazais trug die Scheite zur Feuerstelle, ließ sich im Schneidersitz davor nieder und betrachtete die Holzstücke unschlüssig, ehe er die Hände darüber ausbreitete und seine Magie wirken ließ, wobei er sich Mühe gab, nur einen Teil der Sonnenenergie zu nutzen. Das Bündeln und auch Dosieren magischer Kräfte war ihm immer schwer gefallen, meist kamen die Zauber viel zu schwach oder mit solcher Stärke, dass der Elf selbst ein wenig davor zurückschreckte. Es brauchte viel Konzentration, um der Magie seinen Willen aufzuzwingen und Alazais dachte nicht zum ersten Mal daran, dass vielleicht besser ein Eldritch geworden wäre: diese Zauberkundigen ließen ihre Kräfte einfach fließen und lenkten sie nur manchmal in andere Daseinsebenen, aber sie schränkten sie niemals ein. Der Junge schüttelte den Gedanken ab, als die Holzscheite mit einem leisen Knistern Feuer fingen. Fröstelnd hielt er seine Finger über die wachsenden Flammen und erstarrte plötzlich: ein feiner Luftzug wehte ihm in den Nacken und leise knarrend wurde die Tür geschlossen.

Ruhig, ermahnte er sich in Gedanken selbst. Das war nicht gerade einfach, schon gar nicht, als Leifs alkoholschwangere Stimme plötzlich höhnisch an sein Ohr drang: "Oh, schau an, bist du ganz allein daheim, wie?" Alazais sah betont ausdruckslos nach vorne und fixierte die orangeroten Flammen. "Ja," erwiderte er nur angespannt. Hinter ihm lachte Leif leise. "Schön. Ich wollte ja auch nur noch einmal meiner Bewunderung Ausdruck verleihen." Der Ton des Midgarders wurde eine Spur spöttischer. "Der mächtige Magier aus dem weit entfernten Hibernia, rettet einem unschuldigen Kind das Leben. Respekt!" Alazais sagte nichts und versteifte sich nur ein wenig, als Leif mit schweren Schritten näher kam.

"Willst du mich nicht ansehen? das ist einigermaßen unhöflich von dir." Eine kräftige, vernarbte Hand legte sich schwer auf seine Schulter und der Mentalist unterdrückte den Impuls, zur Seite auszuweichen. Ob Stellan bald kommen würde?

"Schön," sagte Leif achselzuckend, "dann antwortest du eben nicht. Wir können die Zeit auch anders nutzen, nicht?" Alazais konnte das hämische Grinsen beinahe hören und wandte dem Mann bemüht gelassen den Blick zu. "Was wollt Ihr?" er ärgerte sich im selben Moment, dass die Worte nicht halb so selbstbewusst klangen, wie er gehofft hatte. Leif entging der mutlose Ausdruck nicht, der sich für einen Moment auf dem zarten Gesicht des anderen breit machte. Sein Grinsen wuchs und er zuckte abermals lässig mit den Schultern. "Was glaubst du denn?" gab er amüsiert zurück. "Vielleicht," er ging neben dem Elfen in die Hocke, "aber nur vielleicht möchte ich dir sagen, dass ich einigermaßen verärgert bin. Stellan und ich standen uns eigentlich immer sehr nahe." Nachdenklich, mit jedem Atemzug einen unangenehmen Geruch nach Bier verströmend, nahm Leif eine dicke weiche Haarsträhne des Magiers zwischen Daumen und Zeigefinger und zwirbelte sie abwesend. "Und dann...ja...dann kommst du. Ein zugegebenermaßen recht süßen kleines Ding aus Hibernia, aber dabei vollkommen unbedeutend und machtlos. Trotzdem hat Stellan nur noch Augen für dich und benimmt sich immer seltsamer. Er vernachlässigt seine Pflichten und bedroht einen der wenigen Freunde, die er noch hat. Das macht mich zornig," schloss er leise und atmete schwer aus. Alazais ballte die Fäuste und riskierte einen schnellen Blick in Richtung Tür, woraufhin Leif ein kurzes, beinahe gackerndes Lachen hören ließ. "Stellan kommt so bald sicher nicht wieder. Bis nach Vasudheim ist es ein kleines Stück und er ist der Einzige, der das Fest heute nicht so richtig genießen konnte. Vermutlich findet er im Dorf Entschädigung. Genau wie ich hier," fügte er mit vollkommen veränderter Stimme hinzu und riss heftig an der Haarsträhne, was Alazais einen schmerzerfüllten Laut des Widerwillens entlockte.

"Du kleines Miststück. Glaubst du, das schaue ich mir noch länger an?" fauchte Leif. "Pass auf und präg dir mein Gesicht gut ein, es ist das Letzte, was du sehen wirst, denn ich gedenke, dich zu töten, wenn ich mit dir fertig bin, du kleines Aas!" wie im Traum, dachte Alazais unzusammenhängend und wollte auf die Füße springen, aber da schlang ihm der Nordmann schon einen Arm um die Taille und presste ihn an sich. Der Elf stemmte sich gegen die breite Brust und betrommelte diese mit den Fäusten. Wo blieb Stellan nur? panisch blickte er zur Tür und wand sich erfolglos. "Lasst mich los! ich will das nicht, loslassen!" fauchte er in seiner Muttersprache, doch auch jetzt klangen die Worte mehr verzweifelt als wirklich einschüchternd. Leif lachte auch dementsprechend amüsiert. "Gefährlich, mein Täubchen, aber das wird dir nichts nützen!"
 

Stellan lehnte mit geschlossenen Augen an der Hauswand und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er die Hände zu lockeren Fäusten geballt hatte, um seine Finger still zu halten. Alazais hatte Recht behalten, wie auch immer er das gewusst haben konnte. Leif war gekommen und war offenbar gerade drauf und dran, eine furchtbare Dummheit zu begehen. Es wäre allmählich an der Zeit einzugreifen, doch der Berserker zögerte. Alazais könnte die Lektion vielleicht eine Lehre sein und ihm endgültig klar machen, dass die Schwachen hier zum Untergang verurteilt waren. Vielleicht würde ihn das ein wenig wehrhafter machen. Oder den verzweifelten kleinen Funken von Vertrauen ersticken, den der Elf ihm entgegen gebracht hatte.

"Und wenn schon," knurrte Stellan beinahe lautlos. "Und wenn schon."
 

Leif hatte allmählich genug. Sein Versuch, das schmale Kinn des Hibernianers zu umfassen, um an seine Lippen zu gelangen, war zweimal gescheitert und Geduld war nie seine Stärke gewesen. Wütend schlug er dem Jungen zwischen die Schulterblätter, packte ihn erneut bei den Haaren und zerrte seinen Kopf in den Nacken. Alazais stöhnte leise, als seine Nackenwirbel unangenehm knackten. Mit zusammengebissenen Zähnen und wild klopfendem Herzen packte er den Midgarder nun seinerseits beim Nacken. "Nicht!" stieß er auf midländisch hervor und legte soviel Angriffslust in das Wort, wie er aufbringen konnte. Gleichzeitig begannen seine Fingerspitzen drohend zu glühen.

Leif blinzelte- und fing dann wiehrend an zu lachen. "Du drohst mir? du?" prustete er. "Ich zittere vor Angst." Er langte nach hinten und packte ein Handgelenk des Magiers, fest genug, um den Knochen bedrohlich knirschen zu lassen. Mit einem kräftigen Ruck zerrte der Nordmann Alazais' Arm nach hinten und bog ihn hinter dessen Rücken, bis der Elf ein Hohlkreuz machen musste und vor Schmerz und Anstrengung erneut stöhnte. "Und jetzt kommen wir zum angenehmen Teil, ja?" fragte Leif mit lüsterner Vorfreude. Er langte mit der freien Hand nach unten und griff dem Jungen zwischen die Schenkel. Fest packte er zu und ergötzte sich an dem Ausdruck von Verzweiflung, der über das blass gewordene Gesicht seines Opfers huschte.

Alazais wäre am liebsten jetzt schon in Tränen ausgebrochen. Ihm war beinahe übel vor Angst und gleichzeitig fühlte er eine dumpfe Wut, gemischt mit bitterer Enttäuschung. Wie hatte er nur so dumm sein können, sich auf Stellan zu verlassen. Vermutlich saß der Nordmann tatsächlich in irgend einer Taverne und lachte entweder über seine Naivität, oder er hatte ihn schon schlichtweg vergessen. Gequält schloss der Elfenmagier die Augen, um das Kommende wenigstens nicht mit ansehen zu müssen.

Gerade, als Leif ihm mit vor Erwartung ungeduldigen Fingern die Schnürung der Hose aufriss, öffnete sich die Tür ein zweites Mal. Alazais riss die Augen auf und warf Stellan einen kurzen Blick zu, ehe er zu Boden starrte und gegen die Tränen ankämpfte, die ihn plötzlich zu übermannen drohten. Leif hingegen erstarrte und blinzelte einige Male dümmlich, bevor er sich in ein betont lässiges Grinsen zu retten versuchte. "Oh, Stellan. Hätte nicht gedacht, dich so bald wieder zu sehen."

"Ich glaub's," erwiderte der andere Nordmann, und Alazais dachte nicht zum ersten Mal an den unseligen 'Traum' zurück. "Es ist nicht so, wie du denkst," sagte Leif schnell und zog verstohlen die Hand zurück, die noch immer zwischen den Beinen des Elfen gelegen hatte. Stellan trat langsam näher. "Was meinst du, was denke ich denn?" fragte er knapp und bis auf ein halb verstecktes Blitzen in seinen eisblauen Augen blieb das Gesicht des Berserkers vollkommen ausdruckslos. Leif sah hastig zur Tür und stieß Alazais dann von seinem Schoß. "Lass uns morgen darüber reden," sagte er und grinste erneut. "Ich bin betrunken und nicht ganz bei mir. Es war nur ein Scherz."

"Nur ein Scherz," echote Stellan. "Ich verstehe." Langsam legte sich eine Hand auf den Knauf der Axt an seinem Gürtel. Alazais indes zog hastig die Hose hoch, welche ihm schon bis über die Hüften hinab geglitten war und mühte sich ein wenig schwankend auf die Beine. Stellan sah auf ihn herab. "Bist du verletzt?" fragte er kühl. "Nein," erwiderte der Elf leise und Stellan sah mit einem humorlosen Grinsen an ihm vorbei und auf Leif hinab. "Das ist dein Glück und wird dein erbärmliches Leben retten. Trotzdem. Ich denke, es wäre besser, wenn ich dir zu verstehen gebe, dass du dich künftig besser von meinem Eigentum fern halten solltest." Mit einer gleichmütigen Geste löste er die Axt vom Gürtel. Leif sah ihn fassungslos an. "Schon wieder?" stieß er hervor. "Du erhebst für dieses erbärmliche, wertlose Stück eine Waffe gegen mich? bist du verrückt geworden?" er wartete die Antwort nicht ab, sondern packte Alazais in blinder Wut bei den Haaren und rissen den Elfen, der einen erschrockenen Schrei ausstieß, daran zurück, ehe er in fliegender Hast ein Messer aus seinem Stiefel zog und es dem Hibernianer gegen die Kehle presste. Stellan erstarrte, genau wie Alazais selbst. Leif lachte atemlos. "Ich werde dich von dieser kleinen Geißel befreien, die dir den Verstand vernebelt, Stellan. Bald wird alles wieder so wie früher, ich schwör's dir."

Einen langen Moment war es vollkommen still. Schließlich fragte Stellan trocken: "Du glaubst, dass mir sein Tod den Schlaf rauben wird? nur zu, tu es. Es herrscht immer noch Krieg, mindestens noch bis zu Prinzessin Levscas Hochzeit mit diesem eingebildeten Spitzohr. Bis dahin kann ich mir jederzeit einen Ersatz aus dem Grenzgebiet holen." Der Berserker lächelte zynisch. "Wäre vielleicht keine schlechte Idee. Etwas Unbeflecktes, Neues. Also nimm mir schon die Arbeit ab und tu's." Leif sah seinen Waffenbruder aus schmalen Augen an. "Du bluffst," knurrte er. Stellan hob die Achseln. "Es geht mir ums Prinzip. Er gehört mir und du wirst dafür bezahlen, dich unerlaubt an ihm vergriffen zu haben. Wenn nicht heute, dann irgendwann, wenn ich dich erwische. Aber das ist auch alles. Wenn du ihn tötest, hole ich mir einen anderen." Der Rothaarige stieß einen wütenden Laut aus. "Ja? mal sehen," warnungslos fügte er Alazais einen kurzen Schnitt gefährlich nahe der Schlagader zu. Die Wunde war nicht tief und nicht einmal besonders gefährlich, aber Stellan spannte sich dennoch und sah aus, als wollte er sich jeden Moment auf seinen ehemaligen Kameraden stürzen. Leif lächelte befriedigt. "Nein, ich denke nicht, dass ich dir das abnehme," erwiderte er höhnisch. "Was willst du?" zischte Stellan zähneknirschend.

"Wirf deine Waffen weg."

"Das hättest du wohl gern." Stellans blaue Augen funkelten vor Hass. Die berüchtigte Zornesader auf seiner Stirn schwoll an. "Du bist schon tot, du weißt es nur noch nicht. Ich werde dich mit deiner eigenen Leber füttern." Leif lächelte erneut, doch es wirkte nicht mehr ganz echt. "Du..." setzte er an und ließ den angefangenen Satz plötzlich in einen überraschten und schmerzerfüllten Schrei münden: Alazais' Hand war warnungslos hoch geschnellt und hatte sich fest und mit gespreizten Fingern auf seine linke Wange gelegt. Es roch unangenehm nach verbranntem Fleisch und Leif stieß den Elfen von sich, um seine Wange zu betasten. Die Finger stießen auf rohes, nässendes Fleisch und seine gesamte linke Gesichtshälfte schmerzte, als stünde sie komplett in Flammen.

"Du kleines Aas!" brüllte der Midgarder wild und hob sein Messer. Im gleichen Moment sprang Stellan mit einem Wutschrei vor und hieb ihm die Schwerhand ab. Einen Moment war es gespenstisch still, dann blinzelte Leif und sah sekundenlang verdattert auf das Blut, das aus dem Stumpf sprudelte, ehe er endlich anfing zu brüllen.

"Raus hier!" herrschte ihn Stellan mitleidlos an. "Bis Vasudheim ist es ein kleines Stück, wie du so treffend bemerkt hast. Ich werde keinen Heiltrank oder Verband an dich verschwenden. Verschwinde!" brüllend und fluchend taumelte sein ehemaliger Gefährte an ihm und Alazais vorüber. "Ich kriege euch!" schrie er mit verzerrter Stimme. "Ich bring euch beide um! scheiße, ich bring euch um! das ist noch nicht vorbei!" Stellan stieß ihn angewidert nach draußen. "Schwing weiter große Reden und du kriegst mich erst in Walhalla. Und nun scher dich weg!" er schlug dem hysterischen Nordmann die Tür vor der Nase zu und legte einen Riegel vor.

Alazais saß auf den Knien am Boden und blickte die abgetrennte, zur Klaue verkrümmte Hand an, während er seine eigene Linke an den blutenden Hals presste. Er zuckte ganz leicht zusammen, als Stellan neben ihm in die Hocke sank und ungeduldig seinen Arm nach unten drückte. "Zeig her." Die Verletzung blutete zwar recht stark, schien aber nicht unbedingt lebensbedrohlich zu sein. Fluchend stampfte der Berserker zur Bar und holte einen Heiltrank und sauberen Verbandstoff. "Trink das," befahl er herrisch und Alazais beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. In tiefen Schlucken trank er die blutrote magische Essenz, während Stellan einen fest sitzenden Verband anbrachte. "Danke," murmelte Alazais leise und fuhr erneut zusammen, als Stellan eine Hand hob. Er spannte sich in Erwartung eines Schlages schon an, doch der Berserker fuhr ihm nur sehr kurz über das Haar, ehe er die Hand ruckartig zurück zog und eine kurze Grimasse zog. "Das war gar nicht schlecht," sagte er schroff. "Ein schönes Brandmal." Alazais wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte und blickte den Mann vor sich unsicher an. Stellan grunzte übellaunig und wich dem Blick dann plötzlich aus. Er wirkte wütend und gereizt, aber zum ersten Mal schien sich diese Wut nicht gegen ihn, Alazais persönlich, zu richten. "Leg dich hin," befahl der Midgarder kurz angebunden. "Zacharel sagt, dein Bein braucht Ruhe." Er sah den Elfen dabei nicht an, aber als Alazais an ihm vorbei humpelte, ergriff er die Hand des Magiers und hielt sie kurz mit etwas mehr als sanft zu nennender Gewalt fest. Alazais blieb stehen und sah auf den anderen herunter, wobei er stumm den Kopf schief legte und eine gleichermaßen ernste wie fragende Miene zur Schau stellte. Stellan schnaubte kurz und ließ des anderen Hand wieder los. "Das Brennholz liegt vor der Tür," erklärte er zusammenhangslos und stapfte mit mürrischem Gesicht zur selbigen.

Alazais blinzelte kurz und gestattete sich, als er sicher war, dass der andere ihm den Rücken zukehrte, ein winziges, erschöpftes Lächeln. Er wusste selbst nicht genau, was ihm in diesem Moment im Kopf herumging und er war weit davon entfernt, Stellan zu vertrauen. Das, was der andere ihm angetan hatte, würde er ihm nie verzeihen, aber zumindest heute schien es, als wäre er vor ihm sicher. Schwerfällig ließ sich der Junge auf die Matratzte sinken und wälzte sich in eine bequeme Position. Nach der gerade erlebten Situation fühlte er sich jetzt, wo die Anspannungen vorbei waren, ausgelaugt und müde und es dauerte nicht lange, bis ihn der Schlaf übermannte.

Stellan saß noch lange vor der Tür. Midgards Winter waren grimmig und die Tage nur kurz und es wurde rasch sehr finster. Wenn Alazais schon nicht sicher war, was er von diesem Abend halten sollte, so fühlte er sich innerlich zerrissen und fremd. Sein leicht beschleunigter Atem bildete kleine Wölkchen. "Und wenn schon," murmelte Stellan unzusammenhängend, ehe er ächzend auf die Füße kam und in die Hütte trat. Die Wärme trieb ihm das Blut in die Wangen, als der Berserker sich aus seiner schweren Weste schälte, aus den Stiefeln stieg und zum Bett trat. Ausdruckslos blickte er auf den schlafenden Elfen herunter. Alazais' Gesicht wirkte arglos, fast entspannt und noch jünger, als der Hibernianer vermutlich war. Nachdenklich strich sich Stellan über das stoppelige Kinn und massierte sich dann mit Daumen und Zeigefinger die Schläfen. Schließlich streckte er sich neben dem anderen aus und kehrte ihm den Rücken zu, während er in die Flammen blickte, als könnten diese ihm Antworten auf all die unausgesprochenen Fragen in seinem Inneren geben. Alazais öffnete kurz die Augen, veränderte aber nicht einmal seinen Atemrhythmus.

Die Nacht wurde alt und das Feuer im Kamin brannte allmählich herunter.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kinsasha
2007-10-27T09:39:52+00:00 27.10.2007 11:39
Ein sehr gelungens Kapitel.
Auch wenn ich schon fast wieder Angst um Alazais hatte, als Stellan überlegt, ob es nicht eine passende Strafe für Alazais "Fehlverhalten" wäre.
Dieses Kapitel gibt der Geschichte einen eindeutigen Schub in eine andere Richtung, bzw macht nun sehr deutlich klar, was man schon erahnen konnte.
Der Zwiespalt von Stellans Gefühlen, wobei, er sich nun wohl mehr für eine Seite entschieden hat.

Danke! War wie immer sehr schön zu lesen


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