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Wie aus dem Nichts

von

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Kapitel 5

… Wie in Trance saß er im Vorraum der Bibliothek mit einer Flasche Cola in der Hand und blickte in die Leere. Ins weite verschleierte Nichts der gegenüberliegenden Hauswand. Die Kälte der Fassade schmiegte sich perfekt in sein Befinden ein, obwohl sie eher den krassen Gegensatz zu seinem Inneren darstellte. Es brodelte in ihm, auch wenn er dies nach außen hin nicht zeigte. Er musste es sich endlich eingestehen, ob er wollte oder nicht. Sonst würde er sich selbst an den Rand des Wahnsinns treiben.
 

Ja, verdammt noch mal! Er begehrte ihn! Er wollte ihn! Er wollte ihn mit jeder Faser seines Körpers spüren! Gott, er war einfach verrückt nach ihm.
 

Sollte er noch einmal hinausgehen, zu ihm? Und sich damit noch lächerlicher vor ihm machen? Das kam gar nicht erst in Frage! Nein, und nochmals nein! Gefühle konnte man unterdrücken und irgendwann wieder loswerden und Ende! Denn es gab zur Zeit Wichtigeres für ihn. Schon vergessen? Er hatte noch eine Prüfung zu bestehen und das sollte alles sein, was zählte! Um den Rest konnte man sich später immer noch kümmern. Es musste ja nicht immer alles auf einmal erledigt werden. Recht so. Genauso musste das gehen! Eins nach dem anderen, peu a peu, Schritt für Schritt. Immer sachte.
 

Mit einem plötzlichen Glimmen in den Augen sprang Jim auf und ging hastig zurück in die Bibliothek. Solange er diese Gedanken hatte, würde er sie nutzen müssen. Wer weiß, wie lange sie anhielten und was sein ach so tolles Schicksal als nächstes für ihn parat hielt. Wow, der Kerl hatte sich tatsächlich weg bemüht. Welch Freude. Irgendwie war Jim erleichtert, doch eben nur irgendwie. Denn nun spürte er wieder diese Leere in sich, die ihm überhaupt nicht behagte. Ihm kam sein Leben mit einem Mal völlig inhaltslos vor, obgleich die Bücher und Ordner vor ihm das Gegenteil bewiesen und deutlich die Worte ’Studium, Beruf, Karriere’ ausstrahlten. Toll, nun war ihm auch noch dieser Sinn seiner Existenz genommen worden. Warum bekam man auch immer solche komischen Hirngespinste, wenn man sich verliebt hatte?
 

Eine Minute… nein, mindestens fünf Minuten lang starrte er in die Luft. Dieses Wort! Von dem er nie wieder Gebrauch machen wollte… und nun war es wieder da. Von jetzt auf nachher. Und er war darauf nicht wirklich vorbereitet.
 

Liebe.
 

Ein Wort, das immense Bedeutung in sich trug.
 

Jim schüttelte sich. Unablässig rief er sich in den Kopf, dass er zu lernen hatte. Sich in die Gefilde der Mathematik zu versetzen hatte. Dass das aufregend war und seine gesamte Aufmerksamkeit verlangte. Und dann schloss er die Augen. Er war innerlich total zerrissen. Ein Teil von ihm wollte den Kerl suchen gehen, um mit ihm endlich das anzustellen, nach dem sein Körper seit dem ersten Kuss lechzte, der andere Teil, wohl die Vernunft, wollte die vergangenen Tage und Stunden streichen und das Studium als oberste Priorität erachten. Konnte man denn nicht einfach beides miteinander verbinden?
 

Natürlich konnte man das. Wenn man es denn wollte. Und genau über diese Gegebenheit war sich Jim noch immer nicht im Klaren. Einerseits wollte er nichts lieber als das, andererseits hatte er seine Prinzipien, die er sich nicht umsonst auferlegen hatte. Vielleicht waren diese aber doch vollkommener Nonsens und er machte sich gänzlich unnötig derart verrückt?
 

Warum musste auch immer alles dermaßen kompliziert sein? Okay, man verkomplizierte sich das meiste selbst, aber dennoch. Es könnte doch alles so einfach sein…
 

… Und genau aus diesem Grund musste er nun endlich seinen Kopf frei bekommen und lernen. Aus. Ende. Schluss. Erst die Prüfung, dann der ganze Rest. Anders ging es nicht. Und fertig.
 

Eigentlich hätte er sofort über sich selbst lachen können. Wie idiotisch war das denn alles?
 

Die Frage war zum Glück rein rhetorischer Natur, sonst hätte er sich nur wieder selbst belügen müssen. Und danach stand ihm erst Recht nicht der Sinn. Es war an der Zeit, einmal gegen die Wand zu rennen, um DIE Gehirnzellen abzutöten, die ihm das ganze einbrockten. Naja, vielleicht ein Stück des Herzens gleich mit, um auf Nummer sicher zu gehen.

Jetzt lachte er wirklich los, nur um sich noch dümmer vorzukommen.
 

Er ging jetzt da raus und schnappte sich diesen Typen! Alles andere war doch eh vergebene Liebesmühe! Auf, auf! Und warum gehorchten ihm seine Beine nun nicht?

Es war zum Scheitern verurteilt. Das ganze Gehader mit sich und der Welt. Egal, was er sich in den Kopf setzte, es war unmachbar. Was war denn nun richtig und was falsch?
 

Eins wusste hier: Das, was er gerade tat, war eindeutig falsch!

Sich allein über so etwas Gedanken zu machen, war inkorrekt. Manchmal sollte man einfach das beim Schopf packen, was man sich erwünschte!
 

Genau das würde er jetzt machen! Sich diesen Kerl krallen und… Ja und dann? Er hatte das doch gerade endgültig vermasselt. Käme wirklich einem Wunder gleich, wenn er auch nur noch irgendetwas mit ihm zu tun haben wollte. Gut, dann müsste Jim es eben auf einen Versuch ankommen lassen. Rückzieher waren was für Weicheier und er zählte sich partout nicht zu diesen…
 

… und schon war er draußen unterwegs und klapperte den gesamten Campus ab. Keine Spur von ihm. Toll, wenn er wenigstens seinen Namen wüsste, doch nicht einmal den hatte er sich jemals sagen lassen. Nein, viel lieber hatte er ihn gleich angeschrieen und weggejagt. Prima. Er hätte gerne jener Wand geglichen, an der alles abprallte. Dann würde er jetzt nicht orientierungslos durch die Gegend irren und sich damit womöglich nur noch mehr zum Deppen machen. Wie spöttisch die Sonne doch auf ihn hernieder schien. Die ganze Umgebung schien ihn auszulachen, selbst der seichte Wind in den Bäumen spielte sein verachtungswürdigstes Lied. Er hatte es wohl nicht anders verdient. Und wieder einmal landete seine Faust an dem heutigen Tage an einem Baumstamm.
 

„Mist!“, fauchte er ihn an.
 

Nun WOLLTE er ihn sehen, da war er unauffindbar. Wie sollte es auch anders sein. War doch völlig typisch. Das war doch immer so im Leben. Ein reibungsloser Verlauf wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht auch ein wenig zu langweilig. Aber etwaigen stand er gerade auf langweilige Sachen? Es musste ja nicht alles dermaßen zum Haare ausreißen sein! Ödes Leben, komm her! Wo bist du? Komm’ doch her!
 

Jetzt komm’ schon!!!
 

Komm…
 

Man, warum denn nicht?
 

Ein tiefes Brummen entwich seiner Kehle und er ließ sich am Baum hinab gleiten. Mit verschränkten Armen sackte dann auch noch sein Kopf dagegen und er schloss die Lider…
 

… nur um auf einmal einen dunklen Schatten über sich wahrzunehmen. Erwartungsvoll riss er die Augen weit auf. Toll, auch das hätte er sich sparen können. Blöde Wolke, die sich vor die Sonne schob. Prächtig. Zum Totlachen. Und er hatte auch noch gedacht, ER stünde vor ihm! Wie bescheuert konnte man denn sein, so etwas anzunehmen? – Aber bestand denn nicht wenigstens der Hauch einer Chance? – Nein! Nein! Und nochmals nein! Er musste ihn sich aus dem Kopf schlagen, um endlich wieder zur Vernunft zu kommen! Ach ja und nicht zu vergessen: aus dem Herzen! Schalter, wo bist du? Schrei mal ’hier’!

Bevor er weiterhin solch hirnrissige Gedanken spann, senkte er seine Lider wieder und gab sich der Ruhe hin, die ihn umgab. Leises Rauschen, stetes, friedvolles Rascheln, hier und da ein Summen. Von den paar Autos, die die Geräuschkulisse durchbrachen, konnte man mal großzügig absehen. Eigentlich war diese harmonische Atmosphäre doch herrlich, okay ein wenig trügerisch, aber sie hatte was.
 

Und so vergingen einige Minuten, in denen er sich tatsächlich mal wieder entspannte. Und je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher spürte er die Müdigkeit und die Ermattung seines Körpers. Erneut wurde der Sonne ihr Licht geraubt und Dunkelheit über ihn gelegt.
 

„Zisch’ ab!“, raunte er kraftlos.
 

„Selbst im Halbschlaf noch mürrisch.“
 

Bitte? Seit wann konnten Wolken reden? – R-e-d-e-n!
 

Plötzlich hellwach fuhr Jim hoch und sah den anderen entgeistert an. Und mit einem Mal fehlten ihm die Worte. Sein Mund klappte auf und wieder zu, stumm wie ein Fisch. Konversation! Weshalb beherrschte er diese gerade nicht und schnappte stattdessen wie ein Wahnsinniger nach Luft?
 

„So wortkarg kenne ich dich ja gar nicht“, wurde seine Benommenheit belustigt kommentiert.
 

Gegen das Licht sah der andere noch anziehender aus als sonst. Gott, er musste ihn sich hier und jetzt krallen. Noch einmal konnte er ihn sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Doch bevor Jim irgendwas in dieser Richtung unternehmen konnte, fühlte er zwei Hände, die ihn grob gegen den Baum pressten, sah in dunkle Augen, die ihn süffisant anfunkelten.
 

„Du wirst gleich um Luft betteln.“
 

Und schon spürte Jim heiße Lippen, die ihn von Beginn an herausforderten und eine wilde Zunge, die ihn ohne seine Mundhöhle zu erforschen schon halb verrückt machte. Als er realisierte, was gerade vor sich ging, erwiderte er den Kuss. Voller Leidenschaft und Temperament. Allmählich merkte er wie angekündigt seine Lunge schreien und er wollte sich von dem anderen lösen, doch dieser ließ nicht locker. Immer intensiver kreiste die bis dato fremde Zunge in ihm. Wow, das war einfach unbeschreiblich. Sollte seine Lunge doch nach Luft begehren, was kümmerte ihn das. Solange er DAS hier erleben konnte!
 

Lautes Hupen durchbrach ihre Zweisamkeit und Jim blinzelte. Je öfter er die Augen öffnete und wieder schloss, desto mehr veränderte sich sein Gemütszustand. Er zwang sich, die Augen endlich gänzlich aufzuhalten und was er da sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Nichts! Da war nichts! Gar nichts! Ja, Gras und Bäume, aber das war’s auch schon. Auf die hätte er auch verzichten können. Sein Herz schlug in wilden Rhythmen. Pah, wenn das nur ein Traum gewesen war, dann war er der neue Bundeskanzler!... Okay, er sollte gleich mit der Kandidatur beginnen. Auf geht’s in den Wahlkampf!
 

So wirklich konnte sich ein Traum doch gar nicht anfühlen… oder doch?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-03-15T20:31:18+00:00 15.03.2007 21:31
Also, DIE Kussszene hat mir gefallen. Und wie die mir gefallen hat.
Man merkt richtig, wie du dich bei dieser Geschichte auslebst. Wenn ich jez so HR und WadN vergleiche... Da ist doch ein himmelweiter Unterschied zwischen.
Aber ich mags, nach wie vor. ^^
Das Jim das nur geträumt hat, tut mir richtig Leid. Q_Q Du lässt ihn ja wirklich richtige Höllenqualen durchleben. *gg*


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