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Alchemy Invasion

von

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Der Anfang eines neues Lebens

Akuma saß an einem kleinen Tisch und starrte aus dem Fenster. In der letzten Woche waren Dinge geschehen, die er sich niemals erträumt hatte. Nachdem er sich endgültig entschieden hatte, beim Kamikaze zu bleiben, hatte dieser ihn als seinen siebten und letzten Lehrling aufgenommen. Also würde Akuma nicht mehr nach Hause kommen. Er würde im Haupthaus leben und lernen, bis seine Ausbildung abgeschlossen sein würde. Danach wäre er ein Mitglied in irgendeiner Alchemistentruppe und würde sein ganzes Leben lang gegen Gefahren kämpfen.

Akuma sah vom Fenster auf das Buch vor sich, dessen Seiten sich im stetigen Wind ruhig hin und her wogen. Es war ein Buch über die Geschichte Taens. Akumas Blick huschte über die Zeilen, die das Bild und den Steckbrief des 39. Kamikazes in Worte fassten. Eine Woche hatte er gebraucht, um soweit zu kommen und irgendwie war er stolz auf sich. Er erinnerte sich an die ersten Tage, an denen der alte Mann ihm das Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Er war ein strenger, aber gutmütiger Lehrer und wirkte auf Akuma wie jemand mit einem großen Herzen.

Irgendwie mochte der Aitoshi Nachkömmling den Kiwama Opa. Wie ein fürsorglicher Vater sorgte dieser für den kleinen Jungen. Auch wenn Akuma wieder in einem Raum war, den er nicht verlassen sollte, weil die Leute sich wundern würden.

Vorsichtig sah er sich um. Ihm war dieses Zimmer sehr ans Herz gewachsen. Es war schlicht gehalten und nur mit dem Wichtigsten eingerichtet. Ein kleines Bett, das eine harte Matratze, ein Kissen und eine dünne Bettdecke beinhaltete, ein Bücherregal, in dem der Kamikaze alle Lehrbücher für Akuma bereitgestellt hatte, falls dieser aus Langeweile ein Buch lesen wollte, ein Tisch und den dazugehörigen Stuhl, auf dem der kleine Junge jetzt saß und die Kamikazeregistrationen lernte, und nicht zu vergessen ein kleiner Schrank, in dem ein paar Kleider hingen. Akuma schaute umher und nickte zufrieden. Mehr brauchte er nicht und mehr wollte er nicht. Als er sich wieder dem Buch vor sich zuwandte, fiel sein Blick auf die Haupthausmauer, die er durch sein Fenster gut beobachten konnte. Sein Herz flatterte, als er den Enkel des Kamikazes erkannte, der ihn entgeistert anstarrte. Akuma sprang auf und duckte sich unter die Tischplatte. Nicht gut!

Etwas klatschte an sein Fenster. Es klang weich und hatte wohl nicht viel Widerstand gegeben. Erneut traf etwas die Fensterscheibe, nur dass es diesmal wohl steinhart gewesen war. Ängstlich verkroch Akuma sich unterm Tisch und zog sich eng zusammen. Was sollte er jetzt tun? Der Kamikaze hatte ausdrücklich verboten, dass er Kontakt mit der Außenwelt pflegte, zumal er es nicht mal konnte, weil er die Menschen- und die Alchemistensprache nicht verstand.

Er versuchte zu erkennen, ob Obito, Akuma hatte nämlich den Namen des Enkels herausgefunden, immer noch versuchte, mit ihm zu sprechen, doch er hörte nichts mehr. Vorsichtig lugte er über den Rand der Tischplatte hinweg und schaute zur Mauer. Da stand niemand. Zum Glück! Langsam stand Akuma auf, immer noch hastig schauend, und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Er sah aus dem Fenster und vergewisserte sich wieder, dass der neugierige Enkel endlich verschwunden war. Erleichtert atmete er aus und blickte auf sein Buch, das ihn trotz des langweiligen Themas irgendwie in seinen Bann zog. Ihm kam das Bild des Kamikazes so bekannt vor, aber wie konnte das sein? Er hatte diesen Mann noch nie gesehen oder doch? Akuma schüttelte die Gedanken weg und sah wieder auf den Fuß der Seite und begann das Geschriebene zu lesen. Es war doch irgendwie interessant zu erfahren, was die Alchemisten alles so leisten konnten. Unentwegt huschten seine Augen über die Zeilen, die der Kamikaze extra für ihn mit einem Schnipsen seiner Hand und somit unter Anwendung von Alchemie in die Göttersprache übersetzt hatte.

Akumas Finger strich über das zarte Pergament und entlang der Zeilen, die nur so gefüllt mit Informationen waren. Irgendwie fand er es spannend, aus den Texten diese wichtigen Angaben herauszufiltern. Er hatte ein gutes Gedächtnis, weswegen er sich diesen Abschnitt nur einmal durchlesen musste und ihn bereits auswendig konnte. Vorsichtig blätterte er die dünne Seite um und erblickte das Gesicht des 40. Kamikazes. Wieder kam ihm dieser Mann so bekannt vor. Was sollte das? Seit er in diesem Buch über diese Leute las, konnte er sich kaum vor irgendwelchen Erkennungen seinerseits retten. Warum dachte er immer, er wüsste, wer diese Person war? Langsam begann Akuma die Fußnote zu lesen und brachte in Erfahrung, dass der 40. Kamikaze ein sehr starker und ehrenhafter Mann gewesen sein musste. Das Erstaunlichste an ihm war jedoch, dass er als einziger Mensch die Führung von Taen in der gesamten Geschichte dieses Landes übernommen hatte. Als Mensch? Akuma wunderte sich und war irgendwie trotzdem nicht überrascht. Vielleicht lag das daran, dass ihm dieser Mann so bekannt vorkam.

Als der kleine Junge den Text durchgelesen hatte, sah er auf die nächste Seite und erblickte schon wieder ein bekanntes Gesicht. Auch dieser Mann, der ihm eigentlich fremd vorkommen müsste, lächelte von seinem magisch geschossenen Foto zu Akuma auf und brachte diesen zum Grübeln. Warum musste so etwas immer ihm passieren? Er wurde müde von diesen Gesichtern, die in ihm nie gemachte Erinnerungen wachriefen. Vorsichtig las er, wieder vom Finger geleitet, den Abschnitt und blätterte zum nächsten Kamikaze, dem 42., um. Das Gesicht war blass und wirkte verzweifelt, auch wenn die Gestalt lächelte. Akuma schaute das Bild an und wusste auf Anhieb, wie dieser Mann hieß, ohne überhaupt den Steckbrief gelesen zu haben. Jetzt wurde ihm das echt zu bunt und er klappte das Buch seufzend zu. Schließlich kam es ja nicht alle Tage vor, dass ein gerade mal acht jähriger Junge die Kamikazes von vor 700 Jahren kannte.

Akuma lehnte sich zurück und streckte sich genüsslich, um seinen verspannten Rücken zu entlasten. Manchmal hatte er tagelang durchgelesen. Seit einer Woche … Wieder wanderten seine Gedanken zu den Männern aus dem Buch und er zerbrach sich den Kopf darüber. Würde der Kamikaze ihm weiterhelfen können? Sein Blick strich über die Sonne, die am Horizont versank. Und wieder endete ein Tag in seinem neuen Leben, das er vor einer Woche begonnen hatte.

Er schob den Stuhl zurück und stand auf. Als Akuma den Stuhl an den Tisch schob, stach ein rotes Buch in seine Augen. Es stand im Regal und lehnte neben schlichten braunen Büchern, die es dadurch nur zum Auffallen zwangen. Das war doch vor wenigen Minuten noch nicht da gewesen! Akuma könnte schwören, dass es kein rot eingeschlagenes Buch in seinem Bücherregal gegeben hat. Langsam ging er auf das Bord zu und streckte die Hand nach dem dicken Pergamentpaket aus. Als er den Einband berührte, fühlte er Seide. Ein unheimlich kostbares Buch. Vorsichtig holte er es heraus und schlug das Titelblatt auf. Seine Augen huschten immer wieder über den Titel und vermochten nicht zu glauben, was dort stand. Das war doch nicht einfach nur so da aufgetaucht, aber wer wollte ihm schon so etwas zukommen lassen? Das war doch absurd einem Muttersprachler das einzige Tagebuch des allerersten Kamikazes zu geben! Doch der Titel log nicht und die magische Aura, die die Seiten in ein sanftes Leuchten hüllten, bestätigte die Echtheit dieses Werkes nur.

Akuma blätterte um und erkannte das Bild des ersten Kamikazes. Wieder kam es ihm so bekannt vor, doch er wusste nicht warum. Die Daten des Mannes schossen durch den Kopf von dem kleinen Jungen und ließen ihn merken, wie gut sein Gedächtnis wirklich war. Tatsächlich wusste er die Seite in und auswendig und er sah sie vor seinem inneren Geiste direkt vor sich. Das Bild des heilig gesprochenen Mannes oben rechts in der Ecke, daneben Stichdaten bis zum Fuß des Bildes und dann begann der Text, der bis zum Fuß der Seite reichte und den Kamikaze beschrieb. Akumas Blick wanderte auf das erste Datum und er machte einen erstaunten Gesichtsausdruck. Tatsächlich war das die im Haupthaus ausgestellte Originalhandschrift und sie datierte einen Tag vor über 1000 Jahren! Das war kompletter Wahnsinn!

Akuma drehte sich um und setzte sich an seinen Tisch, um das schwere Buch vorsichtig auf die Platte zu legen. Als er näher rückte, strahlten die alten und schon etwas vergilbten Seiten ein wenig heller, als hätten sie auf eine Person gewartet, die versuchte, die verschlungene Handschrift des ersten Kamikazes zu entziffern. Auch wenn es schwer war, die Buchstaben zu erkennen, Akuma wusste, dass es die Göttersprache war. Allein die Akzente, die auf einigen Lettern lagen, verrieten es sofort. Sein Blick huschte über die erste Seite. Unglaublich! Das war eine genaue Schilderung der Geschehnisse bei einer Wahl zum Kamikaze! Akuma blätterte vorsichtig aber eilends um und schluckte die nächste Seite in Hochgeschwindigkeit. Er vergaß in all der Hektik, dass er normal immer seinen Finger zum Lesen benutzt hatte, um nicht in der Zeile zu verrutschen, doch jetzt sprang sein Blick automatisch in die nächste Zeile und erfasste den Text, der in ihr stand. Nach einiger Zeit endete der Eintrag so abrupt mitten im Tag, wie er begonnen hatte. Akuma hatte sicherlich 20 Seiten am Stück gelesen und er wollte auch die nächsten Einträge nicht verpassen, also atmete er einmal tief durch und heftete seinen Blick auf den zweiten Eintrag. Als er fünf Zeilen gelesen hatte, fuhren seine Augen wie von selbst immer schneller über das Pergamentpapier und überwältigten die Distanz von der ersten bis zur letzten Seite des auf die Kamikazewahl folgenden Tages. Vorsichtig aber immer recht schnell blätterte Akuma nach Wissen durstend um. Das wurde von Zeile zu Zeile immer spannender. Sein Wunsch, alles durchzulesen, wuchs in ihm und erfüllte sein eifrig arbeitendes Gehirn voll und ganz. Er fraß sich durch die Seiten und war umgeben von einer 1000 Jahre alten Geschichte, die der Kamikaze ihm erzählte. Akuma tauchte fast vollständig in diese Welt ein und vergaß alles um ihn herum. Der vierte und danach der fünfte Eintrag enthüllten den harten Alltag des Mannes und erzählten die Schwierigkeiten der Aufträge, die er jeden Tag zu bewältigen hatte. Doch der Kamikaze schien sich nicht unterkriegen lassen zu wollen, weswegen er, wie er schrieb, hartnäckig an einem System arbeitete, das Leben eines jeden zu vereinfachen. Akumas Augen rutschten in die nächste Zeile und strichen über die Sätze. Die Seiten flogen nur so und immer weiter drang die wahre Erzählung an sein Herz. Diese Geschichte ging ihm wirklich nahe, was teils an der Erzählweise lag, teils aber auch einfach eine Person beschrieb, die anfänglich ein ebenso schweres Leben führte wie der kleine Junge, der eifrig die Wörter in sich reinfraß. Auf das zehnte folgten das elfte und schließlich auch das zwölfte Kapitel. Wegen dem Zeitdruck und der Massen von Arbeit lagen alle drei Einträge weit auseinander. Was Akuma aber gar nicht wunderte. Ihm gefiel, was er über diese Welt, die er heute um sich herum hatte, erfuhr, denn eigentlich basierte alles, was es heute gab, auf den alten Gesetzen. Er starrte einen Abschnitt an, in dem der Kamikaze ausführlich erklärte, wie das neue Grundgesetz aufgebaut sein würde und was für positive Veränderungen erreicht wurden. Doch in einer Klammer, ganz klein geschrieben, stand daneben, dass er sich wünschte, eine gewisse Gleichberechtigung der Geschlechter herbeizuführen. Er wusste, dass es ein schweres Unterfangen und auch keine gute Idee war, aber er wollte es für eine neue Welt tun. Eine Welt, in der jedes Individuum seinen Platz fand.

Als er die Gründe der Gleichberechtigung einer Frau gegenüber dem Mann lange beschrieb, wechselte er auch zu den Rechten von Kindern, die vor der Ehe geboren wurden, so genannten ‚Bastarden’. Akumas Gesicht verfinsterte sich bei dem Ausdruck und er schluckte bevor er dem Bericht folgte. Der erste Kamikaze dachte genauso wie dieser kleine Junge und verlangte ebenfalls dort eine bessere Behandlung. Ihm gefiel nicht, wie sehr die Kinder unter der Sache litten, obwohl sie eigentlich keine Schuld traf. Nach seiner Meinung konnte man erst in der Zeit der Kamikazes nach ihm, über eine Verwerfung dieser Vorurteile nachdenken, weil die meisten noch zu geprägt davon waren.

Akuma schloss für einen Moment die Augen, um die Probleme vor seinem inneren Auge abzuspielen. Er sah aus dem Fenster und fragte sich erstaunt, wie er hatte lesen können, weil es dunkel war. Als er sich umsah, erblickte er den Kamikaze der lächelnd auf seinem Bett saß und mit ein wenig Feueralchemie spielte. Akuma sah auf das Buch und bemerkte erst jetzt, wie hungrig er wirklich war. Langsam drehte er sich zum alten Mann um und sah ihn fragend an. Der wiederum zu ihm schaute und zwinkerte. Der Kamikaze begann in der Göttersprache:

„Nun, Akuma? Magst du das Tagebuch? Ich dachte es könnte dir einen guten Einblick in den oberen Bereich liefern und natürlich auch in die Unmengen von Arbeit, die jemand so hohes zu bewältigen hat.“

„Kamikaze-sama? Ihr habt das in mein Regal gezaubert? Es ist spannend!“

„Dachte ich es mir doch! Mich wundert, dass du so ganz ohne Probleme diese Bücher lesen kannst, die ich dir ja gegeben habe. In deinem Alter?“

„Ich hab bis zum 41. Kamikaze die Steckbriefe gelesen und beim 42. aufgehört, weil … weil mir die Gesichter auf den Bildern alle so bekannt vorkamen.“

„Bekannt? Die kamen dir bekannt vor? Seltsam … Wahrlich seltsam, weil sie alle vor über 700 Jahren lebten.“

„Das habe ich mich auch schon gefragt, aber warum weiß ich denn immer, wie die Männer heißen, ohne überhaupt den Steckbrief gelesen zu haben. Und auch das, was in den Texten darunter steht, kenne ich schon.“

„Echt?“

Der Kamikaze stand auf und kam zu Akuma an den Tisch. Als er das Buch an einer Stelle aufschlug und seinen Lehrling prüfend ansah, wollte er wohl wissen, welche Person das war. Der kleine Junge lächelte und sagte:

„Ikemoto, Masakazu. 79. Kamikaze Taens, Nachfolger von Yamano, Shima.“

Der alte Mann zog eine Augenbraue hoch und nahm die Hand vom Blatt. Tatsächlich stand da >Ikemoto, Masakazu. 79. Kamikaze<. Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht und die Hand, die eben noch über das Buch strich, streichelte nun lobend den schwarzen Haarschopf Akumas. Als er zurückblätterte, um den Namen des 78. Kamikazes zu lesen, musste er noch breiter grinsen. Da stand >Yamano, Shima< wie der kleine Junge es gesagt hatte. Irgendwie war das unheimlich, doch auch richtig interessant. Vorsichtig beugte der alte Mann sich vor und sagte wieder in der Göttersprache:

„Nun, Akuma. Da du ja das ganze Buch auswendig kannst, bevor du es gelesen hast, kannst du ja jetzt mit mir in den Speisesaal gehen und nachher weiter am Tagebuch des ersten Kamikazes lesen. Natürlich nur, wenn du willst!“

„Na klar!“

Akuma durfte sein Zimmer verlassen. Das war wirklich eine große Belohnung und freudig hüpfte er dem alten Mann hinterher. Als sie an einigen Bediensteten, die sich lächelnd zu ihnen umdrehten, vorbei kamen, fühlte er sich zwar noch unwohl, ging aber nur auf kleinen Abstand. Langsam gewöhnte er sich an die Leute, die ihm immer das Essen brachten, wenn der alte Kamikaze keine Zeit dazu hatte. Lächelnd wuselte Akuma der Gestalt des Kamikazes hinterher und blieb nur einmal wie angegossen am Boden kleben, als er ein Bild sah, das ihn an irgendetwas erinnerte. Als der alte Mann sah, wie der kleine Junge dieses Bild anstarrte, wunderte er sich. Was war mit Akuma los? Kannte er auch diese Person, die eigentlich nicht unbekannt war? Der Blick von dem Kleinen war seltsam. Als würde er irgendwelche Erinnerungen haben, die er eigentlich nicht gemacht hatte! Vorsichtig drehte sich der Kamikaze vollständig zu ihm um und fragte:

„Kennst du ihn?“

„Das ist Astarte. Der Erzgott und vom Hauptgott die rechte Hand. Es wird gemunkelt, dass er für einen einfachen Engel sein Leben gab, um mit diesem zusammen auf die Erde zu kommen. Die beiden, er ein hoher Gott und sie ein niederer Engel, liebten sich so sehr, dass sie selbst gegen Gottes Gesetze verstießen und sich schließlich umbrachten. Shiraima war der Name des Engels, nicht wahr?“

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß nicht. Ich frage mich auch, was das gerade war. Als wüsste ich, wer … wie er gelebt hat.“

„Ist das auch bei den Kamikazes so?“

„Ja. Als wäre ich dabei gewesen … als hätte ich sie beobachtet. Auch das Tagebuch erzählt mir nichts Neues, aber irgendwie stimmt es mich melancholisch. Irgendwie macht es mich glücklich, lässt mich an das Damals zurück denken, das ich eigentlich nie kennen gelernt habe.“

„Das ist unglaublich! Das muss ich mit einem unserer Schutzgötter besprechen!“

„Wieso? Wegen mir? Nein, bloß nicht, ich meine … doch schon, aber …“

„Keine falsche Bescheidenheit! Das muss überprüft werden! Und nun komm, du hast sicher Hunger.“

„Ja …“

Einen letzten Blick auf das Bild werfend ging Akuma weiter den Gang entlang. Gedanken schossen ihn durch den Kopf und wurden von Erinnerungen vertrieben, die er eigentlich nie hätte machen können. Sein Bewusstsein schweifte durch ewig vergangene Zeiten und an einen Ort, den es in Taen sicher nicht gab. Große Wälder, die ihr eigenes Licht ausstrahlten und von den Blättern deren Bäume Tautropfen herabfielen, weiße Häuser und Strände, die vor Reinheit nur so glänzten … Das alles kam ihm so unheimlich bekannt vor und irgendwie fühlte er sich zu ihnen hingezogen. Eine Sehnsucht erfüllte sein Herz und wieder wurde er so unheimlich traurig wie damals, als er noch alleine in dem abgeschotteten Zimmer am Boden lag.

Der Kamikaze rüttelte an ihm und schaute ihn besorgt an. Akuma starrte in das Gesicht des alten Mannes und kehrte in die Realität zurück. Was war das schon wieder gewesen? Seit einer Woche plagten ihn diese nicht gemachten und doch existierenden Erinnerungen. Er schüttelte den Kopf und folgte dem Kamikaze weiterhin den langen, langen Hauptgang zum Speisesaal entlang.

Als sie eintraten, schauten einige Männer zu ihnen herüber, die bereits an der gedeckten Tafel standen. Akuma sah unsicher zum Kamikaze auf und versteckte sich ängstlich hinter seinem Rücken. Er mochte die Aufmerksamkeit nicht, die sie ihm schenkten. Als der alte Mann ihn lachend wieder hinter sich hervor schob, wollte er sich erst wehren, aber ließ es dann doch bleiben. Langsam schaute er in die Gesichter der Männer, die ihn ruhig ansahen. Er kannte keinen von diesen. Warum nur nicht, wenn er selbst 700 Jahre alte Personen kannte? Seltsam …

Der Kamikaze redete kurz in einer fremden Sprache mit den Männern, die danach ihre Blicke wieder auf Akuma ruhen ließen. Der wusste jedoch gar nicht, was sie von ihm wollten und schaute Hilfe suchend zum alten Mann auf, der sich etwas vorbeugte und dann in Göttersprache erklärte:

„Sag einfach deinen Namen und dann werden wir weiter sehen. Ich habe ihnen bis jetzt nur gesagt, dass du mein siebter und letzter Lehrling bist.“

Akuma atmete ruhig ein und sah dann wieder zur gedeckten Tafel. Die Männer würden ihm nichts tun, aber er hatte trotzdem Angst etwas falsch zu machen. Sein eben noch großes Selbstvertrauen hatte sich verflüchtigt. Vorsichtig und ganz leise begann er seine Schuhe ansehend zu sprechen:

„Akuma …“

Mehr wusste er nicht, weil er die fremde Sprache nicht verstand. Sie klang sehr hart und manchmal auch abgehackt, gar nicht so flüssig und sanft wie die Göttersprache. Schnell bemerkte Akuma auch, dass die Männer in eine andere Gebrauchssprache, wohl die Alchemistensprache, überliefen und ihn ansprachen, doch auch diesmal verstand er nichts. Ihm war klar, dass er große Probleme hatte, überhaupt Namen herauszuhören, aber er strengte sich sehr an. Wieder blickte er flehend zum Kamikaze auf, um sich von diesem Hilfe zu erbetteln, doch der zerwuschelte nur seine Haare und ging langsam auf den freien Platz am Kopf des Tisches zu.

Akuma gab einen erschrockenen Laut von sich und lief so schnell er konnte wieder in den Schatten des alten Mannes, um ja nicht ohne Schutz herum zu stehen. Er bemerkte, dass die Männer belustigt über sein Verhalten lachten und das störte ihn sehr. Würden sie da nämlich nicht sitzen, wäre er nicht so seltsam.

Als der Kamikaze sich hinsetzte, stand Akuma da schon wieder ohne Schutz da und ließ sich deshalb hinter den Stuhl des alten Mannes auf den Boden nieder. Er wollte nicht essen, wenn alle ihn anstarrten und sich über ihn lustig machten. Da verging ihm der Hunger. Das war auch der Grund, warum er so schrecklich dünn war. So zerbrechlich und mager, dass man alle Rippen zählen und sie vielleicht mit einer kleinen Berührung zum Brechen bringen konnte. Er würde nichts essen, so wie er damals nichts gegessen hatte, wenn der alte Mann ihm etwas gebracht hatte. Er wäre manchmal beinahe verhungert, aber Yuudai hatte schon noch dafür gesorgt, dass er am Leben blieb. Warum sollte er am leben bleiben? Das wunderte Akuma immer noch. Der Alte hatte anscheinend etwas gegen seine Existenz, wollte ihn aber auch nicht tot sehen. Irgendwie schwirrten seine Gedanken hin und her und er schaffte es nicht, seinen Kopf frei davon zu bekommen. Das war lästig und er wollte sich beruhigen, aber solange die Leute hier waren, musste er auf der Hut bleiben.

Jemand stieß ihm sanft in die Seite und sprach ihn an. Akuma zuckte zusammen und sah seinem Gegenüber ins Gesicht. Ein Mann im mittleren Alter, der ihn lächelnd und gutmütig ansah. Das Herz des kleinen Jungen schlug schneller und vorsichtig rutschte er etwas zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Er verstand kein Wort von dem, was der Mann vor ihm sagte, aber seltsamerweise konnte er irgendwie erraten, was dieser von ihm wollte. Immer noch misstrauisch schaute er zum Kamikaze, der zu ihm hinab sah und sanft lächelte.

Das Eis war gebrochen und Akuma lächelte breit. Als die Männer sahen, wie fröhlich der Kleine sein konnte, mussten sie gleich mit lächeln. Akuma fand die Gesichter der Anwesenden so schon viel angenehmer und fragte sich, warum nicht alle gleich so reagiert hätten. Vorsichtig lugte er immer noch über die Tischplatte hinweg und beobachtete die Personen reihum einen langen Augenblick, bevor er sich endgültig und langsam erhob. Er sah fragend zum Kamikaze, der einladend auf den Stuhl neben sich deutete, der frei war. Akuma gefiel nicht, dass er jetzt neben einem Mann sitzen musste, der ihm immer noch fremd vorkam. Aber er setzte sich und beobachtete den mittel alten Mann, der ihn gerade angelächelt hatte, beim Hinsetzen.

Als ein paar Dienstboten daraufhin das Essen brachten, knurrte sein Magen, aber er versuchte das irgendwie zu verstecken. Der Kamikaze lachte und zerwuschelte schon wieder sein Haar, was Akuma inzwischen nicht mehr störte, weil er sich daran gewöhnt hatte. Aufmerksam beobachtete er die Speisen und kam zum Entschluss, dass keine davon ihn anspringen konnte … So viele verschiedene Dinge hatte er noch nie gesehen. Das Einzige, was ihm bekannt vorkam, war das Brot und das Wasser. Er schaute zum Kamikaze, der wie die anderen eine Handbewegung machte und auf dessen Teller sofort einige Speisen erschienen. Akumas Zunge schob sich in den Mundwinkel, als er die Bewegung nachmachte. Nichts passierte. Er sah zu dem alten Mann, der ihm belustigt zuschaute und machte die gleiche Bewegung noch mal. Wieder passierte nichts. Auch bei den nächsten Versuchen blieb der Erfolg aus und langsam machte ihn das echt frustriert. Knurrend wiederholte er zum 15. Mal die gleiche Bewegung, diesmal mit Erfolg, wenn man das Erfolg nennen konnte: Die Schale mit den Äpfeln drehte sich so lange im Kreis, bis die runden Versuchungen aus ihr heraus geschleudert wurden und in der Luft schwebten, natürlich in der drehenden Richtung der Schale, die inzwischen wieder ruhig an ihrem Platz stand. Akuma sah skeptisch zu diesen gefährlichen Geschossen auf, die um einen der Kronleuchter kreisten, ganz zur Belustigung der Anwesenden. Die Äpfel verloren wohl die Lust, oder ihnen war schlecht, auf jeden Fall fielen sie einfach nach unten, auch wenn sie sich seltsamerweise in einer Schlange anstellten und direkt auf Akuma zusausten, der in dem Moment nur aufschreien konnte. Er griff an die Stuhllehne zog sich mit Schwung in einer Rolle über sie herüber und rannte vor den aggressiven Äpfeln weg, die ihm jetzt folgten. Schreiend floh er im Kreis um die Tafel rennend und unterhielt die Männer nur noch mehr. Der Kamikaze schüttelte sich vor Lachen und musste sich richtig anstrengen, gerade auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Immer noch lief Akuma schreiend und immer wieder zurückblickend vor den Geschossen weg, die immer schneller wurden und das Opfer zwangen einen Sprint einzulegen. Jedoch war der kleine Junge ganz sicher nicht so gut im Laufen, weil er vor einer Woche noch nicht einmal gehen konnte. Er sah den Kamikaze, der sich inzwischen schon beruhigt hatte und versuchte, die Äpfel irgendwie zu stoppen, doch das wollte nicht so recht klappen. Akuma stieß einen Schrei aus und landete mit einem Hechtsprung hinter dem Steinthron des alten Mannes, der in letzter Sekunde bemerkte, dass Ducken ein angemessenes Ausweichmanöver war. Er verschwand unter dem Tisch und sah zu, wie die Nahrung, die er eigentlich ganz gerne aß, gegen seinen Stuhl klatschte und zurückprallte. Immer noch schwebend versuchten die Äpfel erneut durch die Lehne des Stuhls zu kommen und nahmen Schwung, um gleich darauf wieder gegen den kalten Stein des Stuhls zu schlagen. Der Kamikaze versprach sich in dem Moment, nie wieder diese roten und grünen Versuchungen zu essen. Er bemerkte, wie die Anwesenden im Raum ebenfalls lachend Schutz unter der Tischplatte gesucht hatten. Dann sah er Akumas entschuldigenden Blick, der hinter der Steinlehne hervor kam und prustete los. So einen Lehrling hatte er noch nie gehabt. Der kleine Junge sah hoch und bemerkte, wie die Äpfel wieder eine Reihe annahmen und an dem Stuhl vorbei zischten. Ein Seufzen entrang sich seiner Kehle und er sprang auf, um weiter um den Tisch zu rennen. Die Männer schauten unter dem Tisch hervor und setzten sich schließlich wieder hin. Nur der Kamikaze versuchte angestrengt den schreienden Akuma vor den Äpfeln zu retten, die anscheinend aus irgendeinem Grund, wahrscheinlich dem Drehwurm, Rache geschworen hatten und unaufhaltsam hinter ihm herrasten.

Außer Atem und total erschöpft blieb Akuma an der Eingangstür des Speisesaals stehen und keuchte. Er sah im Augenwinkel, dass die Äpfel über den Tisch auf ihn zu preschten. Jetzt war er eingekreist, denn die durchaus schlauen Versuchungen breiteten sich über die Flanken hin aus. Stöhnend wich er an die Wand zurück und machte sich so flach wie möglich, was ihn vor möglichen Treffern nicht verschonen würde, weil die Angriffsfläche zu groß war und mindestens acht wild gewordene Geschosse gleichzeitig angriffen. Er sah den Banner von Taen über sich hängen und kam auf eine Idee, die ihm vielleicht das Leben retten würde. Er griff nach dem Tuch und zog sich daran hoch, um auf den Türrahmen zu gelangen. Er bemerkte die Ringe, die die Fahne mit der Stange verband und untersuchte kurz sein Vorhaben, bevor er mit einem schnellen Ruck das Tuch vom Metall riss. Jetzt hatte er wenigstens etwas, um sein Gegner aufzuspießen und zu Schaschlik zu machen. Er ließ sich wieder auf den Boden runter und sofort änderten die inzwischen näher gekommenen Äpfel ihre Laufbahn. Akuma hörte den Kamikaze stöhnen und auch die anderen hatten inzwischen aufgehört zu lachen, um interessiert dem Geschehen zu zusehen. Nein, sie versuchten nicht, ihm zu helfen. Warum auch? Grinsend hob der kleine Junge die Stange und machte sich für die Auseinandersetzung bereit, die unaufhaltsam auf ihn zukam. Nun rannte er nicht mehr weg, jetzt stellte er sich entschlossen und mutig seinem Untergang, oder zumindest fast.

Der erste Apfel erreichte ihn und wurde in Bahn brechender Geschwindigkeit in kleine Würfel zerstückelt. Auch der Zweite fand kein anderes Ende. Der Dritte wurde aufgespießt und der Vierte zerteilt. Die nächsten Zwei wurden aus der Luft gefangen und auf den Boden geklatscht. Der Siebte fand kein besseres Ende als der Vierte, nur der Achte, der langsamer geworden war, weil er ihm das Ganze wohl nicht so geheuer war, der fand das beste Ende. Akuma war nämlich hochgesprungen und fing ihn mit dem Mund aus der Luft. Glücklich ließ er die Apfelmordwaffe auf den Boden fallen und bearbeitete die einzig ergatterte Versuchung: Einen roten, knackigen und runden Apfel. Als er gerade den dritten Biss im weichen Fruchtfleisch versenkte, sah er zum Kamikaze und bemerkte dessen erstauntes Gesicht. Erst dann blickte er zu seinen Füßen auf das Schlachtfeld und hielt inne. Das war vielleicht mal eine Sauerei. Der ganze Fruchtsaft hatte sich über den schönen Marmorboden verteilt und auch das Fruchtfleisch klebte überall. Akuma hob die Fahnenstange auf und sah den aufgespießten Kamerad des inzwischen verspeisten Apfel mitleidig an.

Der Kamikaze sah zu den Männern im Raum, die eine ähnliche Entgleisung ihres Gesichtes nicht verstecken konnten. Hatten sie das auch gerade gesehen, oder wohl eher nicht gesehen? Das Einzige, was man beim Zuschauen bemerkt hatte, war ein Blitzen der Stange im Licht der Kronleuchter und das Fruchtfleisch, das in allen Richtungen davon stob. Akuma und der Rest der Äpfel war in den Hochgeschwindigkeitsmodus übergewechselt.

Der kleine Junge entfernte inzwischen den Bemitleideten und sah entschuldigend zu den Männern rüber, die sich immer noch nicht fassen konnten. Unglaublich! So schnell hatten sie noch nie jemand mit einem ‚Schwert’ kämpfen sehen. Was für ein Talent. Auch der Kamikaze bemerkte erst jetzt, was Akuma wirklich drauf hatte und sprach ihn in der Göttersprache an.

„Akuma … Was war das denn?“

„Weiß nicht … was sollte es denn gewesen sein?“

„Das frag ich dich ja gerade …“

„Weiß nicht, was das war …“

„Aber …“

„Die Äpfel schmecken lecker, probiert mal davon!“

Lächelnd hielt er den zerteilten Apfel in Richtung des Kamikazes und wedelte ein bisschen damit herum, bevor er bemerkte, dass der vor Erstaunen wohl gar nichts mehr essen wollte. Akuma zuckte mit den Schultern, biss in die erste Hälfte der Versuchung und lächelte zufrieden. Das Essen hatte er sich jetzt richtig verdient. Glücklich und bis über beide Ohren grinsend stieg er aus dem Schlachtfeld und ging zurück zum Tisch, um da den alten Mann zu fragen:

„Könnt ihr das wegmachen?“

„Es würde dir gut tun, das selbst zu machen …“

„Na dann ….“

Akuma machte eine Handbewegung zu den Apfelresten hin und alle Männer gingen in Deckung. Als nach wenigen Minuten einer den Kopf mutig unter der Tischplatte hervor zog, stand der kleine Junge immer noch lächelnd und Apfelreste essend mitten im Raum und das Schlachtfeld hinter ihm räumte sich auf. Was war hier überhaupt los?

Vorsichtig kamen nach einem Zeichen die anderen unter dem Tisch hervor und setzten sich wachsam auf ihre Stühle. Selbst der Kamikaze, der eigentlich der Stärkste in der Alchemie war, sah sich ängstlich um. Er wollte nicht als Zielscheibe eines tollwütigen Apfels dienen, der mit dem Bauch durch die Wand wollte.

Als er sich sicher war, dass nichts Derartiges mit ihm geschehen konnte, wandte er sich zu Akuma um und fragte:

„Sag mal, warum hast du nicht gesagt, dass du schon so gut mit Alchemie umgehen kannst? Und auch die Sache mit der Fahnenstange …“

„Weiß nicht … Hätte ich es denn sagen müssen? Außerdem wusste ich es bis vor ein paar Tagen auch nicht so wirklich.“

„Nicht? Ach so … Na egal, ab morgen beginnt das praktische Training, einverstanden?“

„Einverstanden! Und was ist mit dem Lernen von Theorie, Historie und Informationen?“

„Das machst du abends und morgens vor dem Training und dem Essen! Also … auf ins Bett, meinetwegen kannst du ja noch ein wenig lesen, aber nicht zu lange. Ich brauche morgen einen ausgeschlafenen und konzentrierten Akuma. Ich werde mir einen sinnvollen Tagesplan ausdenken, der dich nicht langweilt. Wenn du dann noch irgendwann Zeit hast, kann ich dich ja in die Bibliothek schicken. Die ist beinahe komplett in Alchemistensprache, aber der Rest ist in Göttersprache … Also muss ich dir dringend die Alchemistensprache beibringen, das darf ich nicht vergessen. Nun gut …“

„Eh … Am besten ist, ich geh jetzt schlafen.“

„Ja! Geh nur, gute Idee!“

„Die habt ihr doch gerade vorgeschlagen …“

„Oh, stimmt! Ich bin etwas verwirrt …“

„Ja. Also ich geh dann mal. Gute Nacht, Kamikaze-sama. Und gute Nacht zu den Herren …“

Akuma winkte lächelnd und drehte sich dann auf dem Absatz um, um schnell aus dem großen Eichenportal, der Eingangstür zum Speisesaal, auf den langen Flur zu gelangen. Er hatte sich den Weg gut merken können und begann augenblicklich ohne Hektik auf sein Zimmer zu gehen. Wieder kam er an einigen Portraits vorbei und schaute manchmal in ein bekanntes, manchmal in ein unbekanntes Gesicht. Auch das Bild von Astarte stach erneut in seine Augen. Fasziniert blickte er auf dessen Gesicht und strich mit den Augen über die feine Kleidung, mit der der Gott großzügig bestückt worden war. Trotz all der Fröhlichkeit, die die Farben ausstrahlten und das Lächeln Astartes ausstrahlte, wirkte der junge Gott irgendwie traurig. Langsam streckte Akuma die Hand nach dem Bild und berührte die Farben, die Astartes Kleider zum Strahlen brachten. Seine Finger wanderten über diese hoch zum Gesicht und als sie die Stirn erreichten, zuckte der kleine Junge zusammen. Wieder quälten ihn Erinnerungen, die ihm so fremd waren, wie der seltsame Hintergrund des Bildes. Akuma hielt seinen Kopf und stöhnte, als Tonnen von Gedanken sein Gehirn überrannten und es beinahe zum Platzen brachten.

„Astarte, Astarte! Schau wie schön die Blume aussieht. Wie wundervoll der Götterwald doch ist. So wundervoll wie du, Astarte.“

„Nicht doch, Shiraima, Liebes. Du bist viel wundervoller als alles andere hier.“

Was war das? Nun hörte er auch noch Stimmen? Was sollte das? Er schüttelte den Kopf und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Da war eine Frau gewesen, doch sie war nicht wirklich eine Frau. Weiße, strahlende Flügel waren an ihrem Rücken gewesen und hatten das blonde Haar und die blauen Augen in ein sanftes Strahlen gehüllt. Diese Frau, Shiraima war ihr Name. Akuma erinnerte sich an das, was er über den Gott im Bild gesagt hatte. Er hatte für sie sein Leben gegeben und sie ihrs für seins. Shiraima war ein wirklich wunderschöner Engel, aber irgendwie störte etwas an ihr. Und plötzlich wurde Akuma gewahr, was es war. Sie hatte mit ihm gesprochen! Er war in Astartes Körper gewesen und hatte diese Worte gesagt. Was war hier los? Shiraima hatte ihn angesprochen und er war in dem Körper ihrer großen Liebe gewesen? Verwirrt schüttelte Akuma den Kopf und sah sich um. Zum Glück war kein Dienstbote in der Nähe gewesen, sodass er erleichtert einatmete. Was hätte so ein Angestellter denn von ihm gehalten, wenn er da auf einmal einen Anfall bekam und seltsame Sachen murmelte? Vielleicht hätte man ihn für geisteskrank gehalten …

„Na wunderbar …“

Vorsichtig wich Akuma von dem Portrait zurück, um es ja nicht noch einmal zu berühren. Er wollte nicht wieder so etwas erleben. Es war ihm zu unheimlich. Langsam wandte er sich von dem Bild ab und ging weiter, immer noch leicht am ganzen Körper zitternd.

Als er endlich sein Zimmer erreichte, schmiss er sich seufzend aufs Bett. Er wollte jetzt nichts lesen. Er wollte nicht in diese Welt eintauchen, die ihn vor gut zwei Stunden noch so fasziniert hatte. Er wollte nicht die Historie Taens lernen. Er wollte nur noch schlafen. Also schloss er die Augen und seufzte noch einmal. Blöde Erinnerung … Blöder Astarte, blöde Shiraima. Sollten die doch alle zur Hölle fahren und ihn aus ihren Liebesturteleien heraushalten! Langsam wurde ihm dieses blöde Göttergeschwafel echt zu viel und kam ihm bereits aus den Ohren wieder heraus. Wieder seufzte Akuma und versenkte seinen Kopf im Kopfkissen. Was sollte das denn überhaupt werden, wenn es fertig ist? Über diese Frage zerbrach er sich noch eine Weile den Kopf, bevor er in einen tiefen Schlaf fiel, in dem er zur Abwechslung von einem schwarzen Loch träumte.

Jemand rüttelte ihn. Müde und genervt von der plötzlichen Ruhestörung im Weltall schlug Akuma mit einer Hand nach der Ursache des Radaus, verfehlte das Ziel aber um ein paar Zentimeter. Er murrte in sich rein und wälzte sich auf den Bauch. Seufzend gab er sich wieder dem dunklen Schwarz hin, woraufhin die Ruhestörung ihn wieder rüttelte und diesmal auch gleich die Bettdecke entfernte. Akuma tat seine Missbilligung laut kund:

„Hee~, was soll das?“

„Training!“

Mit einem Male war der kleine Junge hellwach und starrte in das Gesicht des Kamikazes, der eine Augenbraue hochgezogen hatte und über ihn gebeugt war. Akuma lächelte und kratzte sich am Kopf. Das Training hatte er vollkommen vergessen! Er war mehr als verlegen, aber das half ihm jetzt auch nicht weiter, denn der alte Mann würde ganz sicher keine Gnade walten lassen, und tatsächlich! Der Kamikaze zog ihn an den Armen aus dem Bett und zerrte ihn hinter sich die Gänge entlang, doch davon merkte Akuma kaum etwas. Nach dem Hellwachsein war er plötzlich wieder schläfrig geworden, weswegen er jetzt auch nur hinterher trottete, geführt von dem Frühaufsteher vom Dienst. Irgendwie arbeitete das kleine Gehirn fleißig und registrierte mögliche Ausreden, die die Situationen und den langen Schlaf retten würden. Leider bekam Akuma kein einziges Wort aus dem Mund, weswegen er dann einfach nachgab.

Irgendwann erreichten sie einen Raum, der bestimmt 50 Meter hoch war. Er sah magisch vergrößert aus, was er sicherlich auch war, dennoch war er eindrucksvoll. Eine leichte Brise erfüllte das Zimmer und prallte an den Wänden ab. Dadurch entstand eine stetige Kreisbewegung des Windes, der wahrscheinlich auch magisch erstellt worden war. Der Holzboden sah recht normal aus, doch irgendwie war die Schwerkraft erhöht worden und Akuma konnte sich kaum richtig bewegen. Die Wände waren aus normalem Stein, doch auch sie schienen geheimnisvolle Kräfte zu besitzen. Nichts an diesem Raum war normal. Hier sollte das Training stattfinden? Unglaublich! Jetzt verstand der kleine Junge, der in diesem Zimmer wirklich winzig war, wieso alle Lehrlinge von Kamikazes selbst Kamikaze wurden oder eine hohe Position im Land eingenommen hatten. Wer hier trainierte, für den war das Schicksal vorbestimmt, der Beste zu sein. Der Beste unter all den Besten, die es bereits gab.

Akuma entfuhr ein lautes >Wow<, was die derzeitige Position wohl aus seiner Sicht am besten beschrieb, oder er war einfach nur sprachlos. Immer wieder drehte er sich im Kreis und starrte an die so unerreichbare Decke. Aufgeregt wandte er sich dem Kamikaze zu und fragte:

„Werde ich viel lernen?“

„Wenn du viel lernen willst, dann lernst du auch viel. Denn nur aus dem Willen, entsteht der Ehrgeiz, kleiner Mann.“

„Wie werde ich lernen?“

„Du meinst deinen Tagesplan?“

„Ja!“

„Also ich denke, dass dir der härteste Plan, den ich jemals entworfen habe, am besten weiterhelfen wird.“

„Sagt mir den Plan. Wenn ihr sagt, dass es der Härteste ist, möchte ich ihn einhalten, um viel zu lernen! Ich freue mich …“

„Noch, noch freust du dich, aber bald wirst du es als Plage empfinden, mein Lehrling zu sein.“

„Niemals … Nicht nachdem ihr mich befreit habt. Das Leben ist meine Chance und Chancen sollte man ausbauen und auch nutzen.“

„Weise für dein Alter, aber nun zurück zum Plan.“

„Ja, den wollte ich immer noch wissen!“

„Du wirst um 4 Uhr aufstehen und sofort in diesen Trainingsraum kommen, um ein Morgentraining abzuhalten. Ungefähr um 7 Uhr frühstückst du dann, um danach mit der Theorie zu beginnen. Bis ungefähr 12 Uhr beschäftigen wir uns jeden Tag damit, bis du alles weißt, dann werden wir diese Zeit einschränken. Am besten du bekommst dann bis 13 Uhr Zeit, zu essen und dich zu erholen, weil du ab da an bis 20 Uhr mit mir praktische Übungen machst. Ich gebe dir danach eine Stunde, um dich zu reinigen, danach wirst du mit mir bis 22 Uhr Historie üben. Die Informationen Taens kannst du dir gerne im Bett durchlesen. Natürlich nur, wenn du willst. Sonst schieben wir die in die Theoriezeit mit rein, wenn diese eingeschränkt wird. Das erleichtert uns einiges.“

„Also bekomme ich nur 6 Stunden Schlaf?“

„Nicht mehr und nicht weniger. Es wird hart, aber wenn du dich daran gewöhnt hast, wirst du mir danken. Später irgendwann einmal, wenn dein normaler Arbeitstag dich fordert. Nicht jetzt.“

„Ich werde also 3 Stunden Morgentraining, 5 Stunden Theorie, 1 Stunde Pause, 7 Stunden praktisches Training, 1 Stunde Pause und 1 Stunde Historie haben?“

„Zusammengefasst, ja …“

„Umgerechnet sind das 18 Stunden, die ich am Tag trainiere bzw. lerne.“

„Ich weiß. Hast du etwas dagegen einzuwenden?“

„Nein, Kamikaze-sama! Auf geht’s! Ist es jetzt 4 Uhr?“

„Natürlich und jetzt beginnt dein Training!“

Freudestrahlend begann der Kamikaze dem aufgeschlossenen und neugierigen Jungen Kampfposen und vieles mehr beizubringen. Irgendwie mochte er Akuma, der irgendwie etwas Besonderes war, genauso wie sein Enkel Obito, der besonders … nervig war. Doch etwas an dem Aitoshi-Sprössling faszinierte den Kamikaze schon seit Längerem. Vielleicht war es sein Bluterbe oder wie der Kleine es geschafft hatte, all die Zeit zu überleben, oder es war einfach nur diese Lebensmentalität, die das verwelkte und alte Herz des Mannes höher schlagen ließ. Er wusste es nicht genau, aber er gewann Akuma mit jedem Lächeln, das dieser ihm schenkte, lieber und irgendwie wuchs dieser auch an sein Herz. Es war, als wäre der Kamikaze wieder Jung. So jung wie dieser Junge. So jung wie sein Lehrling.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-08-07T19:17:35+00:00 07.08.2008 21:17
Wow, war richtig schön lang das Kapi
und es ist die wahrlich gut gelungen^^
Gut gemacht.
Ich finde es klasse,
wie schnell der Junge lernt
oder eher gesagt, was er alles drauf hat.
Wie zum Beispiel die Kamikaze vor 700 Jahren zu kennen^^
LG I-netCat


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