Zum Inhalt der Seite

Heilloser Romantiker

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 52

Kapitel 52
 

Warum lag er denn immer noch in Alexandros Armen? Und weshalb tat dieser nichts als ihn ganz fest zu halten?

Wollte er ihm damit bewusst die letzte Gegenwehr nehmen?
 

Rick schmiegte sich immer näher an seinen Widersacher heran, obgleich er genau wusste, wen er vor sich hatte. Aber er musste es tun. Sonst würde er sich erneut um die Zärtlichkeiten bringen, die er anscheinend bitter nötig hatte. Aber warum konnte sie ihm ausgerechnet Alexandros geben? Das war wohl eine Frage, die er zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten und vielleicht niemals konnte. So sehr sich seine Härchen auch aufrichteten, er konnte sich aus der Umarmung einfach nicht lösen. Die Hand, die sanft seinen Rücken auf und ab strich, war einfach viel zu beruhigend und angenehm, egal wie sein Körper darauf reagierte. Sein Herz, seine Seele brauchten Zuneigung und obwohl dieser Mensch, der ihn in seinen Armen hielt, ihn um Joe gebracht hatte, war er dennoch jemand, der gerade anscheinend genau wusste, nach was er verlangte. War auch das ein abgekartetes Spiel? Unbemerkt zuckte Rick mit den Schultern. Es war ihm in diesem Moment einerlei, auch wenn er sich dafür selbst verabscheute.
 

„Ich glaube, du verträgst das Alleinsein nicht, darum sollte ich dir wohl ein wenig mehr Aufmerksamkeiten zukommen lassen.“
 

Rick überhörte den lüsternen Unterton in Alexandros Stimme keineswegs, erwiderte aber nichts.
 

„Soll ich dir ein wenig die Sinne rauben, damit du im Licht des Rausches untergehst?“
 

Kaum hatte Alexandros gesprochen, schon begann er damit, sich hals aufwärts zu küssen, bis seine Lippen letztendlich die von Rick berührten. Das Herz des Dunkelhaarigen protestierte, doch er wehrte sich noch immer nicht. Rick spürte die Zunge des anderen in seinen Mund gleiten, fühlte, wie gierig und besitzergreifend diese war. Warum unternahm er nichts und ließ sich all diese Schmach über sich ergehen? Hatte er wirklich keine Kraft mehr sich gegen diesen Mann aufzulehnen? Ihm aufzuzeigen, dass er nicht alles mit sich machen ließ?

Er stemmte seine Hände gegen die breite Brust, doch Alexandros entfernte sich keinen Zentimeter. Kräftemäßig war Rick allemal unterlegen und dessen war er sich durchaus bewusst; darum brachte es auch nichts, um sich zu treten oder zu schlagen. Er würde dafür dreimal büßen müssen. Außerdem war es doch lediglich ein Kuss, etwas, was er schon einige Male über sich ergehen lassen musste. Und Joe würde ihm das verzeihen, oder nicht? Er musste ja nicht brühwarm erzählen, dass er sich nicht ernsthaft gewährt hatte…

Mit einem Mal durchzuckte es ihn. Das konnte doch niemals seine Einstellung sein! Seit wann gab er seine Hoffnung denn völlig auf!? War es, weil Joe nicht anwesend war und ihn aufmunterte? Aber sollte er nicht genau für diesen jungen Mann kämpfen?

Unerwartet biss er zu und hörte das erstickte Aufschreien seines Gegenübers, der wohl nicht mehr mit einem Widerstand gerechnet hatte.
 

„Basch..tard“, zischte Alexandros und stand auf, aber nicht ohne Rick vorher grob nach hinten ins Sofa gepresst zu haben.
 

/Wenn ich den Ausdruck in deinen Augen sehe, bereue ich schon fast meine Tat eben. Aber ich kann es eben nicht zulassen, dass ich von dem falschen Menschen geküsst werde… So gut mir die Nähe zuvor auch getan haben mochte…

Bin ich undankbar?/
 

In der Tat stellte sich Rick diese Frage. Ermessend blickte er aus den Augenwinkeln heraus zu Alexandros, der das Gesicht leicht verzog als er kräftig schluckte. Bestimmt war eine Menge Blut dabei, das nun seine Kehle hinabrann. Aber der Kleinere war keineswegs undankbar, denn er sah den Sinn seiner Worte immer noch nicht. Weshalb war es denn nun zu seinem Besten, hier unten gefangen gehalten zu werden? Allein, abgeschottet von der restlichen Welt?
 

„Warum?“
 

Verwundert, aber kalt sah der andere zu ihm.
 

„Warum bin ich hier?“
 

„Das hast du dir doch gerade selbst beantwortet.“
 

„Könnten Sie etwaigen ein wenig präziser sein?“, fragte Rick betont höflich.
 

„Deine Sünden müssen bereinigt werden.“
 

Konsterniert zog Rick die Brauen nach oben. Was sollte das bedeuten?
 

„Mein Vater… Habe ich Recht?“
 

Alexandros blieb ihm eine Antwort schuldig und lächelte stattdessen süffisant.

„Ich habe die ehrenwerte Aufgabe, dich zu reinigen.“
 

„Indem Sie mich anfassen, mir Ihre Zunge aufdrängen?“, wollte Rick spotten, doch aus seinem Mund drang lediglich ein unverständliches Murmeln. Er beobachtete, wie sich der Kerl ein letztes Mal mit dem Handrücken über den Mund wischte und dann langsam zu ihm zurückkam. Sich galant auf dem Sofa niederließ.

Eine Weile lang konnte Rick den Blicken standhalten, die ihm anhafteten, doch irgendwann senkte er die Lider. Gab es denn keinen Weg, diesen Mann auf Abstand halten zu können?

Und schon wieder verweilte eine Hand auf seinem Rücken, die dieses Mal aber nichts Sanftes oder Liebliches an sich hatte, sondern ihre Finger grob ins Fleisch drückte. Schmerzen durchzuckten ihn, aber er gab sich nicht die Blöße, laut aufzuschreien oder sonstige Schmerzenslaute von sich zu geben.
 

„Wie viel Widerstand willst du noch leisten? Muss ich dich erst foltern, bevor du aufhörst, meinen Körper zu schänden?“, flüsterte der andere hauchzart an seinem Ohr.
 

Rick reagierte auf die Worte mit einem bebenden Leib. Egal, wie sehr er sich bemühte, seine Einschüchterung nicht zu zeigen, es war vergebens. Er zitterte und wie und das nahm Alexandros deutlich erfreut wahr. Er verstärkte den Druck seiner Finger und grinste gefühllos, als sich der Kleinere unter ihm wand.
 

„Wirst du dich von nun an im Zaum halten?“
 

Erwartete Alexandros wirklich eine Antwort oder hatte er die Frage nur gestellt, um Rick noch mehr zu beengen? Keuchend schnappte Rick nach Luft. Auf seiner Brust fühlte er das Gewicht des anderen und es schnürte ihm die Luft ab. Die Nägel in seinem Rücken verursachten allmählich ein furchtbares Brennen, das sich auszubreiten schien, wenn er sich bewegte. Doch er konnte seinen Körper gerade nicht ruhig halten. Das Beben war lediglich ein Ausdruck für seine Angst und seinen Widerwillen, den er verspürte; der ihn immer mehr erfüllte. Hatte er vorher wirklich von dem ein- und demselben Menschen Liebkosungen erhalten? Das war etwas, was er sich kaum erklären konnte. Alexandros besaß scheinbar zwei Seiten: eine zarte und eine tiefdunkle, wobei letztere bei Weitem überwog. Doch vermutlich hatte er die erstere ohnehin nicht inne, sondern spielte lediglich die Rolle des Sorgenden.
 

/Warum denke ich überhaupt so viel über diesen Mann nach? Nur weil er gerade auf mir liegt und mich mit seinen Händen malträtiert?

Ich muss die Augen verschließen… und verdrängen, was gerade geschieht.

Ich muss mein Herz besänftigen… damit ich seine Zunge ertrage.

Ich darf nicht ich selbst sein!/
 

Allmählich beruhigte sich Rick wieder und lag alsbald schlaff unter Alexandros, der seine Lippen unentwegt über Ricks Hals gleiten ließ. Ab und an grub er seine Zähne in die warme Haut und leckte anschließend mit seiner Zunge über die Rötungen.

Rick versuchte sich zu entspannen und schob alle Gedanken an die Gegenwart beiseite. Wie in Trance fühlte er, wie er gierig angefasst und geküsst wurde. Mit viel Mühe versuchte er Minute für Minute diesen wohltuenden Nebelschleier aufrecht zu erhalten. Angestrengt ließ er sich in den Dunst fallen und wollte einfach an nichts denken… ans unendliche Nichts.
 


 

Finger.

Überall spürte er Finger.

Berührungen, so peitschend wie das tosende Meer.
 

Er konnte nicht mehr.

Er konnte diese schwitzigen Hände nicht mehr auf seiner Haut ertragen.

Nahm die Gier denn nie ein Ende?
 

Keuchen, Gestöhne und Gelächter. Kalte, irre Laute, die durch Mark und Bein gingen. Alexandros lag mit vollem Gewicht auf ihm und atmete laut ein und aus, verströmte einen herben Geruch, dessen Rick überdrüssig war. Viel zu deutlich nahm er wahr, was ihm angetan wurde. So sehr er sich auch den Nebelschleier zurückwünschte, er kam nicht wieder, war für ein und allemal der klaren Sicht gewichen, die er partout nicht haben wollte. Selbst blieb er stumm und unterdrückte sich jedwedes Geräusch aus seinem Mund. Ihn machte es nicht an, derart von einer Person berührt zu werden. Was er fühlte? – Hass! Ungeschminkten Hass!

Innerlich verfluchte er die Welt und die ganze Menschheit. Wie konnte sie zulassen, dass derartige Dinge geschahen?

Wie oft hatte er den Kerl auf sich bereits von sich stoßen wollen, doch jeder Versuch war in reiner Lächerlichkeit versunken. Er war zu schwach und musste wie eine Puppe alles über sich ergehen lassen. Aber er war nun mal keine Marionette, sondern ein Mensch mit Gefühlen! Interessierte das denn niemanden? Konnte die Schmach denn niemals enden?

Sein Herz schlug wie verrückt in seiner Brust. Es wollte diese Szene, die sich gerade abspielte, nicht akzeptieren; doch ein solch kleines Organ konnte nichts ausrichten. Etwaigen vermochte es, einen am Leben zu erhalten, doch Peiniger in die Flucht zu schlagen? - Dazu war es nicht in der Lage.

Immer und immer wieder wünschte sich Rick, sich einfach in Luft auflösen zu können. Doch er war dazu verdammt, dazuliegen und unbeherrschte Hände überall an seinem Körper zu spüren. Alexandros begnügte sich nicht mehr damit, ihm über den Rücken zu fahren. Bisweilen labte er sich an seiner Brust, saugte und leckte, biss und küsste. Ricks Beine sandten ein leichtes Taubheitsgefühl, aber er konnte sich kaum rühren. Wie ein Tier war er gefangen unter dem Gewicht von gefühlten Tonnen. Wie er diese Zunge verabscheute, die in seinen Bauchnabel stieß! Doch weiterhin oblag es ihm, irgendwelche Laute von sich zu geben. Er konnte diesem Kerl ja keine Bestätigung für das geben, was er da tat.
 

/Was kann ich tun, damit er von mir ablässt?

Ich merke, wie ich jedwedes Gefühl in mir abzutöten versuche, doch ich schaffe es nicht. Ich kann mich der Peinigung nicht verwehren, obwohl es mein einziger Weg wäre, sie zu ertragen.

Joe!!!

So sehr ich deine Rettung erhoffe, ich weiß, dass sie nicht eintritt.

Ich hoffe nur…/
 

Fest kniff Rick die Augen zusammen, als sich ein gleißender Schmerz in seiner Hüfte bemerkbar machte. Nein, er schrie nicht auf; dieser Blöße konnte er sich nicht hingeben.
 

/Ich hoffe nur, dass du glücklich wirst…/
 

Als er eine von den großen Händen gefährlich nahe an seinem Hosenbund spürte, zuckte er zusammen und mit einem Mal wollte er nicht mehr den stillen, nicht teilhabenden Part mimen.
 

„Nimm endlich deine Finger von mir!“, presste er zwischen seinen Lippen hervor.
 

Alexandros fuhr fort ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
 

„Gefällt es dir so, sich an einem Unschuldigen zu ergreifen? Sich an einem Menschen zu laben, der nicht fähig ist sich zu wehren? Sich an Schwächeren zu vergehen? Ist es das, was dich so scharf macht? Ja? Dann geh’ und vergewaltige Olivier! Der-“
 

Barsch wurde er zum Verstummen gebracht, indem sich zwei Lippen auf seinen Mund pressten. Unter der unsanften Art verschluckte sich der Kleinere und begann erstickt zu husten. Luft zum Atmen wurde ihm ja kaum gelassen, weshalb er in die Mundhöhle des anderen keuchte. Kleine funkelnde Sterne tanzten für einen Moment vor seinen Augen und er krallte seine Finger in das Sofa, selbst wenn dieser verzweifelte Akt ihn kaum in der Realität lassen würde. Aber eine Ohnmacht zu diesem Zeitpunkt wäre fatal. Es war wie eine kleine Befreiung, als sich der andere von ihm löste. Viel zu hastig sog Rick die Luft ein und stieß sie unter Qualen wieder aus. Seine Kehle brannte, der Geschmack in seinem Mund war bitter.
 

„Oder ist er dir viel zu ergeben?“, fragte Rick heiser.
 

Kurz hielt Alexandros in allem inne und starrte ihn nur an. Das war wie ein triumphaler Sieg, der wie nicht anders zu erwarten nicht von Dauer war.
 

„Ich glaube, ich muss dir ein wenig Respekt gegenüber Älteren beibringen“, meinte er kühl. Dennoch sah man ihm die Wut an, die er verspürte.
 

„Ach, du willst es mit keinem treiben, der dich vergöttert?“ Mit solchen Worten hatte Rick nicht einmal selbst gerechnet, doch nun waren sie bereits ausgesprochen, bevor er sie überhaupt denken konnte. Er sah den Zorn, der jetzt auch Alexandros Gesichtszüge befiel.
 

Einige Minuten lang geschah gar nichts. Weder fügte Rick irgendetwas an – jedes weitere Wort hätte er sich ohnehin verkniffen, selbst wenn sie auf seiner Zunge gelegen hätten - noch unternahm Alexandros etwas. Seine Hände ruhten lediglich auf Ricks Oberkörper, verharrten dort ungerührt. Sie sahen sich an, vielmehr stierten sie sich an. Beider Augen funkelten, des einen vor immer größer werdender Panik, des anderen vor ungestillter Wut. Rick wusste, dass er eindeutig zu weit über die Strenge geschlagen hatte und er fürchtete sich in der Tat vor dem nun Kommenden.

Irgendwann beugte sich der Größere zu ihm hinab und brachte dabei das böseste Lächeln zum Vorschein, das er je zu Gesicht bekommen hatte.
 

„Ich sehe doch, wie du nach mehr lechzt“, hauchte er ihm ins Ohr und schob währenddessen eine seiner Hände unwirsch in Ricks Hose, der darunter aufstöhnte, obgleich dies nicht aus Lust, sondern mehr aus Überraschung geschah.
 

„Geh’ weg!“, rief er nun, doch spürte gleich darauf die andere Hand auf seinem Mund, die weitere Worte nur als unverständliche Laute durchdringen ließ.
 

„Na, wie gefällt dir das?“

Fest rieb er auf und ab und grinste Rick dabei nur noch boshaft an.
 

Von irgendwoher drang ein Scheppern ins Zimmer und Alexandros hielt in seiner Bewegung abrupt inne, als die Tür aufgestoßen wurde.

„Ich hab doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will!“, fauchte er gen Tür.
 

„Es ist wichtig.“

An der Monotonie erkannte Rick sofort Olivier, selbst wenn er diesen nicht sehen konnte. Denn das Sofa stand immer noch am Fenster, wohin er es am Tag geschoben hatte, mit Rückenlehne zum Inneren des Raumes. Plötzlich empfand Rick die reinste Sympathie für den schmächtigen Jungen, denn sein Timing hätte besser gar nicht sein können. Die Panik, die ihn befallen hatte, wich mit jeder Sekunde aus seinem Körper und er spürte, wie Alexandros allmählich sein Gewicht verlagerte und seine Beine freigab.
 

„Das hat Zeit.“
 

„Nein hat es nicht.“
 

„Du wagst es mir zu widersprechen?“
 

/Wer ist es wirklich, der sich nicht im Zaum halten kann? Du lässt sogar an dem Menschen deine Unbeherrschtheit aus, der dich von tiefstem Herzen liebt… und nicht nur weil ich den Groll in dir geweckt habe. Das ist erbärmlich…/
 

„Es ist wichtig“, wiederholte Olivier ruhig und ein undefinierbares Geräusch drang an Ricks Ohren. Es hörte sich danach an, als ob er gegen was schlagen würde, doch dafür war der Laut eigentlich zu dumpf. Anschließend sah er wieder in diese dunklen Iriden, die wie Feuer loderten.
 

Einige Male blickte der Kerl von einem zum anderen und eisige Stille, lediglich unterbrochen von leisem Keuchen, erfüllte das Zimmer.
 

„Ich werde dich schon noch zähmen“, flüsterte Alexandros nur für Rick hörbar und fuhr mit einem Finger über seine Brust.
 

Dann stand er auf und warf einen letzten Blick auf Rick, bevor er zu Olivier ging und diesem aus dem Zimmer folgte.
 

Eine Ewigkeit lang lag der Dunkelhaarige einfach nur da, starrte fast schon leblos an die Decke. Sein Puls beruhigte sich zwar allmählich, doch der Rest in ihm pulsierte unablässig und offenbarte ihm die Angst, die größer war als er die ganze Zeit gedacht hatte.
 

/Dieses Gefühl…

es ist, als ob ich erfriere… und gleichzeitig verbrenne./
 


 

Kurz vor Veneawer zog sich Joes Magen mit einem Mal gänzlich zusammen und er beugte sich auf dem Beifahrersitz vornüber, um die Schmerzen besser zu ertragen, die ihn befielen.
 

„Halt bitte an“, meinte er zu Steven gewandt, der das erst gar nicht mitbekommen hatte und nun jäh auf die Bremse trat. Sie wurden erst mächtig gegen den Gurt und dann in den Sitz gedrückt und Joe stöhnte bei beidem laut auf.

„Das nächste Mal ein wenig härter, ja?“
 

Steven überhörte geflissentlich den Sarkasmus und stieg aus, um wenig später Joes Tür aufzureißen und ihm aus dem Auto zu helfen. Die Beine des Blonden gaben sofort nach, als er sein Gewicht vollkommen auf sie verlagern wollte. Hätte Steven ihn nicht festgehalten, läge er nun am Boden.
 

„Versuch mal tief ein- und auszuatmen.“
 

Steven schleppte ihn mehr oder minder von der Straße weg. Nach ein paar Schritten drückte er ihn keuchend auf einen Baumstamm nieder, der normalerweise Pferden neben anderen als Hindernisparcour diente.

Als Joe wieder saß, begann er zu würgen, doch mehr als dumpfe Laute drangen nicht aus seinem Mund. Obgleich er vor Kälte eine Gänsehaut hatte, hatte er den Eindruck zu brennen.

Es war früher Morgen und nur ab und an streifte Scheinwerferlicht seine Züge, gab preis, wie bleich er war. Besorgt stand Steven neben ihm und wusste ihm nicht wirklich zu helfen, außer ihm immer wieder Ratschläge zu geben, wie er seinen Körper entspannen konnte. Aber er wusste, dass Joe ihm kaum Gehör schenkte.

Joe krümmte sich immer mehr und wippte auf dem Stamm vor und zurück, beide Arme fest um seine Taille geschlungen. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen und jedes Mal glaubte er, das Bewusstsein zu verlieren. Alles in ihm schien zu pochen und zu schlagen. Überall kribbelte es, als ob hundert Fliegen durch seine Haut kröchen. Stoßweise entfuhr ihm die Luft aus dem Mund, die weißlich im wenigen Licht schimmerte.

Was war auf einmal mit ihm los? Vor seiner Abreise waren doch noch keine Anzeichen erkennbar gewesen.

Bruchstückhafte Bilder taten sich vor seinem inneren Auge auf. Puzzleteilähnliche Fetzen, die so unscharf waren, dass Joe nichts auf ihnen erkennen konnte. Und doch schlich sich ein lähmendes Gefühl in seine Glieder, das zu grotesk war, da weiterhin alles zu prickeln schien.
 

„Soll ich den Notarzt rufen?“, fragte Steven besorgt und zückte schon sein Handy, da er dachte, ohnehin keine Aufmerksamkeit von seinem Sohn zu bekommen. Kaum hatte er ein paar Tasten gedrückt, da umgriffen schwache Finger sein Handgelenk. Ein wenig erschrocken sah er zu Joe hinab.
 

„Ich brauche keinen“, presste dieser zwischen seinen Lippen hervor.
 

„Wäre es nicht besser, wenn-“
 

„Nein!“, unterbrach Joe ihn barsch. „Es ist nur…“ Erneut würgte er trocken. „… es geht sicherlich gleich wieder.“
 

Seufzend ließ sich Steven neben ihn nieder und sah alsbald abwesend gen Straße, auf der zu dieser Uhrzeit kaum was los war. Joe wollte vor Ladenöffnung in Veneawer sein, weshalb sie etwa um Mitternacht zuhause losgefahren waren. Zuvor hatten sie sich ein paar Stunden Schlag genehmigt, da ihrer beider Körper völlig entkräftet und teils noch immer waren.
 

„Haben wir Wasser dabei?“ Joes Worte rissen ihn unvermittelt aus seinen Gedanken und er nickte nur und stand sofort auf. Mit einer Plastikflasche in der Hand kam er zurück und reichte sie dem Jüngeren, der sie mit einem qualvollen Lächeln annahm. „Danke.“
 

Ein paar Minuten lang nahm Joe immer mal wieder einen kleinen Schluck Wasser zu sich und entkrampfte sich allmählich, während drückende Stille über ihnen herrschte.

Mit einem „Erzähl mir alles“ unterbrach er sie. Erst sah ihn Steven verwundert an, doch dann schien jener zu begreifen, was gemeint war.
 

„Mit ein wenig Geld geht vieles“, begann der Ältere und brachte sich in eine bequemere Position. „Als ich im Veritatis lux ankam, wurde ich höflich empfangen, doch als ich, nachdem man mir mein Essen gebracht hatte, mein Anliegen äußerte, mit einem bestimmten Kellner zu sprechen, wurde man mir gegenüber von einem Moment auf den nächsten völlig distanziert und kühl… Ich frage mich manchmal, in was für einer Welt wir eigentlich leben, denn ich musste nur mit ein paar Scheinen aufwarten und schon bekam ich wieder die Höflichkeit gezollt, die einem Gast gebührte. Geld regiert wohl doch die Welt.“

Bitter lächelnd blickte er zu Joe, der aber kein Amüsement zeigte, selbst wenn es nur reiner Ironie entsprungen wäre. Steven seufzte und fuhr fort:

„Jedenfalls bat ich den Mann zu sprechen, der euch damals bediente, und alsbald saß er mir gegenüber, mit Augen voller Hohn. Aber egal, wie viel Spott und Herabsehen er mir gegenüber hegte, ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen und schob auch ihm heimlich ein Bündel mit Scheinen zu. Eigentlich wollte er damit verschwinden, ohne mir meine Fragen zu beantworten, doch wie ich ihn letztendlich dazu gebracht habe, doch zu reden,… bleibt mein kleines Geheimnis.“

Während er seine Hände kurz gegeneinander rieb, um der Kälte trotzen zu können, bemerkte er Joes Blicke, doch erwiderte sie nicht.

„Du musst nicht wissen, welche Mittel ich parat habe.“
 

„Und du meinst nicht, dass er dir einen Bären aufgebunden hat?“ Joe spielte vor allem auf Ricks Vater an.
 

„Man muss nur den richtigen Druck ausüben können.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und ich bin leider überzeugt, es getan zu haben. Joe, mach langsam!“

Der Blonde war abrupt aufgestanden und sackte halb in sich zusammen, obgleich das merkwürdige Gefühl von vorher fast gänzlich verschwunden war.
 

„Denk ja nicht, dass ich das jetzt glauben werde, auch wenn du dir so sicher bist!“ Seine Stimme war brüchig, dennoch bestimmt genug, um sein Statement klarzustellen. „Wir müssen weiter“, fügte er an und ging zum Auto zurück.
 

Als sie beide wieder eingestiegen waren, warf Steven unvermittelt den Motor an, setzte den Blinker und fuhr los.
 

„Ich kann es einfach nicht glauben“, meinte Joe leise.
 

„Das verstehe ich ja, aber du solltest irgendwann den Tatsachen ins Auge sehen. Das Leben besteht leider nicht aus Wunschvorstellungen und das wird es niemals tun. Man wird immer wieder auf grausame Art und Weise in die Realität zurückgeholt. Du bist noch jung, aber du wirst noch so einige schreckliche Erfahrungen machen.“
 

„Ich bin erwachsen“, entgegnete Joe, doch nur halbherzig, da er genau wusste, worauf sein Stiefvater anspielte.
 

„Mit der Zeit verblassen die Farben des Lebens und man sieht sich ungewollt mit Problemen konfrontiert, von deren Existenz man vorher gar nichts ahnte. Mit jedem Jahr, das einem aufgebürdet wird, erkennt man immer neue Facetten des Lebens, wobei andere an Bedeutung verlieren. Man versucht sich mühsam durchzuschlagen… Aber egal wie depressiv das klingen mag, erst dadurch kann man die schönen Dinge erst schätzen lernen. Die Liebe, die Familie,… Kinderla-“
 

„Schon gut!“

Joe wollte das letzte Wort partout nicht hören, denn es hätte ihn sich nur wieder vollkommen schuldig fühlen lassen.

„Sind wir rechtzeitig da?“

Unruhig sah er auf die Uhr im Armaturenbrett, die schwarze Ziffern auf grünem Untergrund aufzeigte. Es war nicht einmal ganz halb sechs und sie würden in weniger als einer Stunde Veneawer erreichen. Das hieß, dass sie immer noch überpünktlich waren. Erleichtert seufzte er auf und blickte wieder hinaus auf die momentan wenig befahrene Autobahn. Die ersten Pendler würden wohl erst hier unterwegs sein, wenn sie beide bereits vorm Supermarkt stünden.

„Denkst du, dass du es schaffst?“
 

Verwirrt sah Steven kurz nach rechts zu Joe und fragte stumm nach, was er meinte.
 

„Ich meine, du möchtest alleine den ganzen Laden beschatten. Irgendwie bezweifle ich, dass wir auf diese Weise die Person finden, die mir das letzte Rätsel zukommen lassen wird. Bisher waren die Entführer mir immer mehr als einen Schritt voraus und sie können ja auch jetzt sehen, wo ich mich aufhalte.“

Mit einer Hand entnahm er seiner Jacke den Peilsender und hielt ihn sich vors Gesicht.

„Damit wissen sie immer, wo ich gerade stecke. Die haben es sich damit ganz schön einfach gemacht. Was wäre, wenn ich ihn einfach“, er drückte einen Knopf am Fenster, das sich daraufhin absenkte, „hier rausschmeiße?“

Er hielt ihn bereits raus, als Steven nach seinem Arm griff und dabei das Lenkrad nicht mehr unter Kontrolle hielt. Das Auto wich von der Spur und kam leicht ins Schleudern. Abrupt ließ sich Steven zurück in seinen Sitz fallen und versuchte, das Auto wieder unter Kontrolle zu bringen. Mit einem Fuß stieg er in die Eisen und die Reifen quietschten. Sie drehten sich samt dem Auto und die Leitplanke kam immer wieder gefährlich nahe in ihre Sicht. Kalter Schweiß rann über Stevens Stirn, der sich mit beiden Händen krampfhaft am Steuer festhielt. Auch Joe hielt sich mühsam irgendwo am Auto fest. Nach einer schieren Ewigkeit kamen sie zum Stehen und man konnte regelrecht den Atem hören, der von Steven eingesogen und wieder ausgestoßen wurde.
 

„Alles okay?“, fragte er und Joe nickte.
 

„Nur habe ich ihn tatsächlich fallen lassen.“
 

Entsetzt schoss Steven mit seinem Oberkörper nach vorne, doch aufgrund des Gurtes, der nun völlig straff war, war dies ein unfruchtbares Unterfangen. Es klopfte zu seiner Linken und er drehte sich erschrocken um, blickte in ein junges, unbekanntes Gesicht.
 

„Ist jemand verletzt?“, drang eine helle Stimme dumpf herein, woraufhin die Tür aufgemacht wurde.
 

„Nein, uns geht es gut, danke. Nur der Schock steckt noch in unseren Gliedern.“
 

„Keinen Krankenwagen?“
 

„Nein, es geht schon, wirklich.“ Steven rang sich mühevoll ein Lächeln ab. „Sie können beruhigt weiter fahren.“
 

„Sie sind sich sicher?“
 

„Ja, danke vielmals. Es ist sehr aufbauend, dass es noch Menschen gibt, die zur Hilfe eilen. Gehen Sie schon, es ist alles in bester Ordnung.“
 

„Ist es das?“, fragte Joe, als die junge Frau wieder gefahren war.
 

„Nunja, es ist zu spät oder?“
 

„Mag sein… Ich wollte das nicht ernsthaft tun, ich bin schuld, wenn…“

Unbeherrscht bäumte er sich kurz auf und sank zurück in seinen Sitz.

„Wie konnte ich nur so unbedacht sein?“
 

„Denk das nächste einfach vorher nach.“
 

Ein irres Lachen drang aus Joes Mund. Immerzu hieß es, sich zusammenzureißen und ruhig zu bleiben. Aber wie konnte man das denn, wenn man Stunde für Stunde die Zeit vorbeirennen sah und wusste, dass es um Rick nicht gut stand? Ihm war immer noch flau im Magen und allmählich begann er zu glauben, dass es mit seinem Freund zu tun hatte. Etwaigen mochten seine Schmerzen allein davon herrühren, dass er kaum etwas zu sich nahm und jedwede Form von Essen verweigerte, aber dennoch… Er wurde das Gefühl seitdem nicht mehr los, dass es Rick nicht gut ging, dass er sich beeilen musste…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  smily
2007-04-30T12:29:10+00:00 30.04.2007 14:29
Warum muss Rick so leiden? Das ist jetzt schon alles so traurig... Wann kommt denn endlich mal wieder was Gutes im Leben von Joe und Rick? Sie haben was schönes verdient!
Dass du einfach unglaublich gut Gefühle überbringen kannst, muss ich dir wohl nicht noch ein mal sagen! ^^XD
Ich freu mich auf das nächste Kappi!
ciao, ciao
deine smily
Von:  inulin
2007-04-19T12:10:52+00:00 19.04.2007 14:10
Fieses, ganz fieses Ende, meine Guteste. ^^'

Also Alexandros Stimmungsschwankungen sind ganz schön extrem. <.<
Erst ist er so lieb - aus eigennützigen Gründen versteht sich - und dann ist er wieder SO. óò
Wann holt Joe Rick endlich da raus. Q_Q
Du spannst die Situation bis zum zerreißen. Unglaublich in was für Gefühlsströmen man sich bei dir immer wieder wiederfindet.
Ich bin ja mal gespant, ob jetzt irgendwas passiert, da Joe ja den Peilsender verloren hat. Hoffentlich hat das keine negativen Konsequenzen. *hoff*
Ich freu mich wie immer auf den nächsten Teil ^^


Zurück