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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 39

Kapitel 39
 

„Falls du glaubst, dass ich dich da wieder reingehen lasse, dann täuschst du dich gewaltig. Ich lasse dich nicht zu diesem Wahnsinnigen zurück. Merkst du denn nicht, wie dein gesamter Körper zittert?“

Joes Arme hatten sich um Ricks Taille geschlungen und hielten ihn auf diese Weise davon zurück, ins Café zurückzukehren. Kräftemäßig war der Kleinere unterlegen, selbst wenn er versucht hätte, sich aus der Berührung zu winden. Doch er unternahm diesen Versuch nicht einmal, denn er wollte nicht wieder in die Nähe des Fremden. Alles in ihm sträubte sich gegen diesen Mann, der nichts als ungute Gefühle in ihm weckte. Und dennoch zog es ihn zu ihm, einzig aus dem Grund heraus, den liebsten Menschen auf Erden zu beschützen.

„Ich bin so froh, dass du mir vorhin geschrieben hast, wo du bist“, hauchte Joe ihm ins Ohr. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich die werten Herren nicht dazu hätte überreden können, ins ’Veritatis lux’ zu gehen, wird mir ganz anders zumute. Hätte ich mich nicht von ihnen lösen können, um dich hier zu überraschen, würdest du noch immer dort verweilen.“ Joe deutete versteckt auf den Fremden, der sie unablässig beobachtete. „Ich kann dich nicht zu ihm lassen, dafür bedeutest du mir zu viel. Rick, ich liebe dich und möchte nicht, dass du da jetzt wieder rein gehst.“

Nun stahlen sich kleine silbrige Perlen in Ricks Augen und flossen alsbald über seine blassen Wangen.

„Wie soll ich dich denn dann beschützen?“, entkam es tränenerstickt seinem Mund.

„Wer weiß, vielleicht braucht er einfach ein wenig absurde Unterhaltung und seine Worte sind nichts weiter als eine leere Hülle. Dann würdest du dir völlig umsonst Sorgen um mich machen. Außerdem kann ich auf mich aufpassen.“

Ein Gemisch aus Lachen und Schluchzen drang aus Ricks Kehle. „Um am Ende finde ich dich verletzt in deiner Wohnung liegend, weil du alles nicht ernst genommen hast… Es ist das dritte Mal, dass wir aufeinander treffen und er kommt mir bei jedem Male herrschsüchtiger vor. Joe, es wird… irgendwas geschehen, das fühle ich… So wie der Schnee in der Nacht an Reinheit verliert, büßt mein Herz an Hoffnung ein, wenn ich ihn sehe…“
 

/Ich frage mich, was die Menschen dazu veranlasst, andere in Angst zu versetzen, und was sie dabei empfinden. Lust? Amüsement? Oder wollen sie sich einfach nur dafür rächen, was ihnen selbst angetan wurde? Oder wissen sie einfach nicht zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, weil es ihnen nie einer beigebracht hat?

Deine Tränen hat dieser Mann zu verschulden und er sieht in der Tat nicht so aus, als ob er nicht wüsste, was er tut. Zweifellos geht Gefahr von ihm aus, deren Ausmaß ich nicht abzuwägen vermag.

Nur um meine Haut zu retten, werde ich dich sicherlich nicht opfern. Denn du wärst nichts weiter als ein Opfer, vermutlich sogar eines von vielen.../
 

„Das ist unsere Chance“, zischte Joe Rick ins Ohr. „Er ist abgelenkt, komm’ mit!“ Überstürzt packte er ihn am Arm und zog ihn rennend hinter sich her. Benommen setzte der Dunkelhaarige einen Fuß vor den anderen, kam zwischendurch ins Straucheln, wurde von seinem Freund aber rechtzeitig abgefangen.

„Joe!?“

„Wir fahren sofort zu meinen Eltern“, rief der Größere atemlos über seine Schulter.

„Was ist, wenn er uns dort findet?“, erwiderte Rick ebenso nach Luft ringend.

„’Yera’ gibt es nicht nur einmal in diesem Land und ich bezweifle, dass er sich die Mühe machen wird.“
 

/Er wird auf unsere Rückkunft warten/, fügte Joe in Gedanken an. Trotz dieser Überzeugung war er erleichtert, dass sich der Chef des Restaurants dem Fremden angenommen hatte, wodurch er seinen persistenten Blickkontakt zwangsweise hatte aufgeben müssen. Eine Gelegenheit, die ihnen wahrscheinlich nicht mehr so schnell geboten worden wäre.
 

Schweigen umgab die beiden jungen Männer, als sie im Zug nebeneinandersaßen und ihre Blicke an die vielen kleinen Lichter geheftet waren, die in rauschender Geschwindigkeit an ihnen vorbeizogen und nur Belanglosigkeiten waren, die gar nicht ernsthaft ihre Sinne streiften. Sie waren geradewegs zu Joes Wohnung gerannt, wo sie ein paar Habseligkeiten in einen Koffer geworfen hatten, der nun über ihren Köpfen verweilte. Lange hatten sie sich dort nicht aufgehalten, da Rick immer wieder betont hatte, dass er hinter ihnen her sei und sicher bald auftauchen würde.
 

/Nun rennen wir vor einem Phantom davon, welches sich in unsere Gedanken eingenistet hat und welchem wir uns wohl so schnell nicht mehr entledigen können. Ein Mann, dessen Herkunft und Intention uns vollkommen schleierhaft ist, macht uns zu Gejagten. Zur gehetzten Beute, die sich lediglich Freiheit und Frieden ersehnt…

In wenigen Stunden erreichen wir zusammen unsere Heimat, die wir damals gemeinsam hinter uns gelassen haben. Ich kehrte zwar allein ab und an dorthin zurück, doch es kam mir jedes Mal so vor, wie wenn ich einen Teil in Veneawer zurückgelassen hätte…

Auch dort werden wir diejenigen sein, die von allen Seiten streng gemustert werden. Wir werden den kritischen Augen derer ausgesetzt sein, die wir lieben…

Wie werdet ihr wirklich reagieren? Werdet ihr meinen Hoffnungen gerecht werden oder mich ebenfalls verstoßen?/
 

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Joes Magen aus, das sich zu all der Sorge um Ricks Zustand gesellte. Noch fester, als er es eh die ganze Zeit über getan hatte, drückte er den Kleineren an seine Brust und strich ihm sanft durchs Haar. Mit jeder Facette seines Körpers genoss er die betörende Nähe zu seinem Freund, obwohl ihm das Beben missfiel, das dieser scheinbar nicht ablegen konnte. Unstetig war der Atem, den Rick verströmte.
 

/Nicht einmal ich kann dich gerade beruhigen. Die Begegnung mit diesem Kerl hat dir sehr zugesetzt und ich finde keine Worte, die sie harmloser erscheinen lässt als sie in Wahrheit ist. Insbesondere du glaubst immer an die guten Seiten eines Menschen, doch an ihm konntest du keine entdecken… Hinzu kommen seine Berührungen, die er gegen deinen Willen ausübte. Und doch steckt nicht deshalb der Schock in deinen Gliedern…

Dir ist mein Wohlergehen wichtiger als dein eigenes…wie es schon immer war. Für jede Aufmerksamkeit, die ich dir zuteil werden ließ, sah ich den Vorwurf in deinen Augen über deine Unfähigkeit, dich nicht selbst trösten zu können. Oft fragtest du nach, ob ich es denn bereuen würde, mit dir gekommen zu sein und ob ich nicht lieber doch zurückgehen solle. Aber deine Frage entsprach niemals deinem Inneren. Du wärst vollends zerbrochen, wenn ich dich allein gelassen hätte. Ich wusste es, selbst wenn ich da noch nicht von begehrender, sehnsüchtiger, schmerzvoller Liebe sprechen konnte…

Noch immer werfe ich mir vor, dass ich deine Liebe zu mir nicht erkannt habe. Wäre dann alles anders verlaufen?...

Die Vergangenheit kann man nicht ändern und ich könnte auch nicht sagen, wie sie sonst gewesen wäre…

Die Gegenwart frisst an unseren Kräften…

Und die Zukunft?/
 

Während er seine Hand weiterhin über Ricks Kopf gleiten ließ, rauschten die verschwommenen Bilder der Nacht an ihnen vorbei. Matt spiegelte das Fensterglas ihre Silhouetten wider, die sich in den Hintergrund mühelos einzufügen schienen und doch das einzige Stete an seinem Blickfeld waren.

„Danke“, hauchte irgendwann das Wesen in seinen Armen.

„Ich könnte den Gedanken, dich in den Fängen eines anderen zu wissen, nicht ertragen“, erwiderte er flüsternd und doch kamen ihm seine Worte viel zu schallend vor; als könnten sie die Ohren desjenigen erreichen, der sie dazu getrieben hatte, mitten in der Nacht zu flüchten.

„Halte mich heute Nacht einfach nur fest, ja?“
 

/Ich werde dich nicht loslassen, egal was kommen mag…/
 

Ihre Lider schlossen sich und der sanfte Rhythmus, in den das Fahren des Zuges sie wiegte, versetzte sie in Schlaf, der ihnen ein wenig von dem Frieden brachte, den sie beide ersehnten.
 


 

Der Morgen war noch nicht angebrochen, als sie die Bahnhofshalle durchquerten, in der sich kaum Menschen aufhielten. Nur vereinzelt durchbrachen Stimmen oder Schritte ihre eigenen, die sich aber in der Weite des Raumes sofort verloren. Die Finger ihrer Hände flochten sich fest ineinander, während sie die letzten Meter im Schutz des Bahnhofes zurücklegten. Wenn sie gleich den Teer der Straßen von Luminis beträten, würde ihr kommendes Schicksal besiegelt sein. Es würde dann kein Zurück mehr geben.

„Bereit?“, fragte Joe an Rick gewandt und veranlasste ihn stehen zu bleiben, um ihm in die Augen blicken zu können. Das Meeresblau wirkte ein wenig farblos im Gegensatz zum sonstigen Schein, doch der Dunkelhaarige atmete sichtlich tief ein und aus und nickte anschließend.

„Lass uns gehen.“

Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen drückte Joe sie sachte auf die von Rick; es war nur eine kurze Berührung, aber dafür umso gefühlvoller.

„Dann auf in den Kampf!“

Seite an Seite ließen sie das große steinerne Gebäude mit den vielen Anzeigetafeln hinter sich und gingen in einvernehmlichem Schweigen ihren Wurzeln entgegen. Es war schon eine beachtliche Zeit vergangen, als sie zuletzt gemeinsam durch Luminis gelaufen waren. Zwei Jahre mochten schnell vergehen und dennoch eine Spanne darstellen, die einem ewig vorkam. Sowohl Joe als auch Rick erschien die Kleinstadt an diesem Tag dunkler und schattenreicher. In den Ritzen der Mauern, in den kleinen Gassen zu ihrer Rechten und in dem Kirchturm verfing sich die Finsternis und verschluckte das wenige Licht, das der Himmel bereits herab zur Erde sandte. Wie von selbst fanden ihre Füße den richtigen Weg, denn ihre Blicke waren verschleiert.

„Es hat sich nichts verändert“, meinte der Kleinere, als sie sich Joes Elternhaus stetig näherten und sich das Gebäude immer deutlicher vor dem grauen Hintergrund abhob. „Selbst die Bäume sehen aus wie früher, als ob sie mit Wachsen auf mich gewartet hätten… Tut mir leid, ich rede ohne irgendeine Vernunft.“
 

/Denn ich fühle mich wie ein Geist, der zurückgekehrt ist, um das zu vollenden, wozu er als Lebender nicht mehr in der Lage war…

Nur mit dem Unterschied, dass ich immer gelebt habe…/
 

Allmählich gab es die ersten richtigen Anzeichen der Morgendämmerung, unter anderem zeichneten sich am Himmel die ersten bläulichen Farbnuancen ab. Dicke Wolken zogen vereinzelt über sie hinweg und trugen den Schnee in sich, der in wenigen Stunden mit Sicherheit herabrieseln würde.

„Sorg’ dich nicht um deine Worte, denn ich habe bei meinem letzten Besuch ähnliches gedacht.“ Mit einer Hand schob Joe das Gartentürchen auf und ließ Rick den Vortritt hindurchzugehen. Seine Schritte wurden immer langsamer, bis er irgendwann gänzlich in seinen Bewegungen stoppte. Liebevoll legte Joe sein Gesicht an das seines Freundes, so dass sie Wange an Wange vor der vom Lichtschein der plötzlich aufflackernden Laternen erhellten Tür standen, die ins Innere des Hauses führte.

„Glaube einfach an unsere Liebe, dann wird alles gut werden.“
 

/Sie ist unser einziges Mittel, andere von uns zu überzeugen…/
 

Als die das Haus betraten, umhüllte sie gläserne Stille. Leise schlichen sie in Joes Zimmer, das er trotz seines Auszuges immer noch für sich beanspruchen durfte, wenn er zu Besuch war, und auch einzig für ihn genutzt wurde. Mit jedem Schritt hofften sie, niemanden aufzuwecken, denn sie brauchten erst ein wenig Ruhe, bevor sie sich den vielen Fragen seiner Eltern stellten. Erschöpft sanken sie auf das große Bett und kuschelten sich aneinander. Jetzt die Nähe des anderen spüren zu können, ließ all die letzten Stunden der Aufregung und Emotionen fast vergessen. Sachte schenkten sie sich gegenseitig Berührungen, ab und an küssten sie sich, doch redeten dabei kein einziges Wort. Immer stärkeres Licht fiel durch die zwei Fenster auf ihre Gesichter, die alsbald friedlich aussahen aufgrund des Schlafes, der sie übermannte.
 


 

Nach ein paar Stunden knarrte die Zimmertür und Veronica trat mit einem Stapel Bettwäsche über die Schwelle. Als sie die zwei jungen Männer im Bett liegen sah, ließ sie vor Schreck alles fallen. Indessen entwich ihr sogar ein kleiner Schrei, der die beiden sofort hochfahren ließ. Drei Augenpaare blickten von einem zum anderen, bis Joe irgendwann seine Stimme gefunden hatte: „Guten Morgen, Mom.“ Er lächelte ihr herzlich zu.

„Gu-guten Morgen, ihr zwei, schön euch zu sehen, aber was macht ihr schon hier?“ Veronica zwang sich zu einem entspannten Grinsen, das doch ein wenig zu aufgesetzt aussah. Sie hatte genau gesehen, wo Joes Hände im Schlaf verweilt hatten, und dieses Bild schwebte noch immer vor ihren Augen herum, wollte unablässig auf sich aufmerksam machen.

„Können wir dir das beim Frühstück erklären?“, bat der Blonde und stand dabei auf, um die Bettwäsche vom Boden aufzuheben. Vor seiner Mutter kniend griff er nach dem blauen Laken und faltete es wieder einigermaßen zusammen.

„Ja… natürlich, bis gleich.“

Zögernd wand sie den beiden den Rücken zu und entfernte sich. Joe konnte ihre Schritte auf der Treppe hinab zur Küche hören und als er sie dort angelangt wusste, drehte er sich zu Rick um.

„Alles okay?“

Doch der Dunkelhaarige antwortete nicht, starrte stattdessen wie versteinert auf die Tür, die halb offen stand. Joe legte die Bettwäsche auf den Tisch zu seiner Rechten und setzte sich dann neben seinen Freund. „Sie wird es verstehen, denn sonst säßen wir nun nicht quicklebendig hier und würden unnötigerweise auf diese alte Tür starren.“ Ein kleines Schmunzeln zierte seine Lippen und er knuffte Rick aufbauend in die Seite, ehe er mit einer Hand durch dessen Haar wuschelte. „Kommst du mit runter?“

„Bist du nicht ein wenig zu optimistisch?“, erwiderte der Kleinere zweifelnd.
 

/Gerade verarbeitet sie das, was sie gesehen hat… Ihr Sohn hat neben einem Mann geschlafen, ihn in seinen Armen gehalten und das aus freien Stücken… Was denkt sie nun über uns, vor allem über Joe?... Was mag ihr in diesem Moment durch den Kopf gehen? – Dieselbe Ungewissheit wie mir?/
 

„Einer von uns beiden sollte es sein, findest du nicht auch? Die letzten zwei Tage hatten es in sich und ich möchte meiner Mom eine Chance geben.“
 

/Sie ist immer nett zu mir gewesen und hat mich immer gemocht… Das allein schon räumt ihr diese Chance ein, auch wenn ich Angst davor habe, ihr gleich unter die Augen zu treten…/
 

Besänftigend blickte Rick seinen Freund an und forderte einen intensiven Kuss ein, der Hitze in seinen Körper trieb und die Kälte vertrieb, die sich beim Anblick von Veronica in seine Glieder geschlichen hatte. „An mir soll es nicht scheitern.“

Dankbar strich Joe dem Dunkelhaarigen eine Strähne aus der Stirn und drückte anschließend seine Lippen kurz auf diese.

„Das weiß ich zu schätzen“, hauchte er ihm zu.
 

Nach einer warmen Dusche stiegen sie hintereinander die Treppe hinab und sogleich umgab sie wohlriechendes Teearoma und der Duft von getoastetem Brot. Joes Eltern saßen schweigend am Frühstückstisch und blickten sie neugierig an. Tief atmete Joe durch und nickte seinem Vater zu. „Hi Dad.“

„Hallo Steven“, meinte Rick höflich und schaute ihn unsicher an, konnte seinen Blicken aber nicht lange standhalten. Sein Herz begann immer schneller zu schlagen und er schämte sich ob seiner fehlenden Haltung. So sehr er sich vorgenommen hatte, standhaft den beiden gegenüberzutreten, so unbeholfener kam er sich gerade vor.

„Wollt ihr euch denn nicht zu uns setzen?“ Veronicas Stimme durchbrach die Spannung, die sich mit jeder verstreichenden Sekunde intensivierte.

„Gerne“, entgegnete Rick und zog einen Stuhl vorsichtig zurück, auf dem er sich dann niederließ.

Joe tat es ihm gleich und eine seltsame Stille kehrte ein, als das letzte Klappern von Stuhlbeinen auf zartgelben Fließen verebbte.

„Wie geht es denn Rebecca?“, fragte Joe, um einerseits das Schweigen zu brechen und andererseits die Blicke von Rick zu nehmen, die ihm sichtlich zusetzten. Wie gerne er ihm einen aufmunternden Kuss auf die Lippen gehaucht hätte, doch das war in ihrer Situation nicht angebracht und daher beschränkte er seine Unterstützung auf eine einfache, aber ehrlich gemeinte Frage.

„Sie kommt morgen ebenfalls hierher und sie freut sich auf dich. Gestern am Telefon klang sie zwar ein wenig müde, doch ich glaube, dass es ihr sehr gut geht. Wahrlich hat sie sich schnell eingelebt und scheint gut damit zurecht zu kommen, auf eigenen Beinen zu stehen.“ Es war Veronica, die Joe geantwortet hatte.

Steven beäugte Rick, den er schon sehr lange kannte, mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck, was den Dunkelhaarigen zu dem Gedanken verleitete, wieder nach oben zu gehen zurück in Joes Bett, um dort dessen Geruch in sich aufzusaugen, der ihm in der Küche vor dessen Eltern vorenthalten wurde. Wie nah Joe doch war und doch so fern. Wie in Trance hörte er die Stimmen von dem Blonden und dessen Mutter, die sich alsbald in einem angeregten Gespräch verloren. Aber Steven gab weder ein Wort von sich noch nahm er seine Augen von ihm. Und mit jedem Satz seiner Frau schien er noch weniger Lidschläge zu brauchen, um seine Hornhaut mit Feuchtigkeit zu benetzen. Ab und an suchte sich Rick einen Punkt hinter Joes Vater, den er visieren konnte, aber im Endeffekt landete sein Blick doch wieder bei dem groß gewachsenen Mann mit dem für sein Alter noch recht fülligem Haar. Mehr und mehr Adrenalin wurde in Ricks Körper freigesetzt und er schaffte es nicht, sich dagegen zu wehren, denn allmählich bildeten sich die ersten Schweißperlen auf seiner Stirn. Ebenso seine Hände überzog ein feuchter Film. Die Reaktionen in ihm schlossen auf sein Unwohlsein, das er in dieser beklemmenden Atmosphäre verspürte, welches Joes Vater mit Sicherheit und zu seiner Bestürzung wahrnehmen konnte.
 

/Wie lange möchte er mich noch derart sezieren? Sieht er denn nicht, dass ich zu keiner Gegenwehr in der Lage bin?... /
 

„Steven!“, drang es mit einem Mal laut durch den Raum und Veronica sah ihn ernst an. „Dein Sohn möchte wissen, ob du in letzter Zeit die Nachrichten verfolgt hast.“

Endlich wurde Rick von dem lastenden Starren erlöst und er schnappte nach Luft, die er anscheinend angehalten hatte, als Veronicas Stimme durch die Küche gehallt war. Sein eigener Blick klärte sich und er konnte sehen, wie interessiert Joe zu seinem Vater spähte. Weshalb konnte Rick sich nicht erklären, doch den Grund dafür sollte er schon bald erfahren.

„Die Frage beantwortet sich von selbst oder nicht, Joe?“, entgegnete Steven mit einer Sanftheit, die Rick irgendwie absurd vorkam, aber eigentlich den Charakter widerspiegelte, den er seit jeher von ihm kannte.

„Hast du irgendwas von einem Mann gehört, der sich an Jungs zu schaffen macht?“

Irritiert weiteten sich Ricks Augen. Er hatte vom Gespräch zwischen Joe und Veronica nicht wirklich viel mitbekommen, aber nach den gerade gesprochenen Worten zu urteilen anscheinend überhaupt nichts. Was hatte Joe seiner Mutter alles erzählt?
 

/Wenn ich dein Bein nicht auf- und abwiegen sehen würde, würde ich meinen, du trügest absolut keine Nervosität in dir. Aber sag’, was leitet dich zu dieser Frage? Allein schon der Gedanke an diesen Mann schnürt mir die Kehle zu und trübt meine Sinne…

Ich kann förmlich seinen Atem auf meiner Haut spüren, ich sehe seine Lippen zu einem kalten Lächeln verzogen, wie sie sich den meinigen nähern und…

wie sie sich nach mir zehren, die Bosheit aber nicht im Geringsten verbergen…

Seine Hand hält mein Kinn, ich kann mich nicht wehren… Die Überlegenheit in seinen dunklen Augen…

das überhebliche Grinsen in seinem Gesicht…

Gänsehaut…

Ich spüre nichts als Gänsehaut!/
 

Fest verkrallten sich seine Hände in dem Stoff seines Hemdes und kalkweiß traten seine Knöchel hervor. Wirre Laute drangen an seine Ohren, die keinen Sinn zu tragen schienen. Silben, die aus jedwedem Zusammenhang gerissen waren. Er hörte seinen Namen… er klang seltsam fremd… Bedrohliche Schwärze überzog plötzlich die Silhouetten in seinem Blickfeld, verfinsterte den Tag, umgarnte das Licht, um es letztendlich gänzlich zu verschlucken…
 

„Rick?“, rief Joe alarmiert aus und nahm dessen Kopf fest in seine Hände, unter denen er sofort den kalten Schweiß spürte, den dieser verströmte.

Wie ein lebloser Stein sank der Dunkelhaarige zur Seite.
 


 

/Es war für dich zu viel und ich habe es nicht bemerkt… Ich dachte, ich könne durch das lockere Gespräch mit meiner Mom die Last von deinen Schultern nehmen… Doch dabei habe ich dich aus den Augen gelassen… Wenn ich nur gewusst hätte, wie sehr du noch unter Schock stehst, hätte ich dich nicht darum gebeten… Die Schuld liegt bei mir, bitte vergib mir, ich war unbedacht …/
 

Mit einem feuchten Tuch tupfte Joe über die Stirn seines Freundes. Immer wieder traten auf ihr kleine glitzernde Perlen hervor aufgrund der Unruhe, die den Körper des Dunkelhaarigen befallen hatte. Verschwitzt lag er in Joes Bett und neben ihm saß der Blonde, Kummer und Trauer in den grünen Augen.
 

/Deine Ohnmacht währte zum Glück nur kurz, doch nun scheinst du einem Schlaf verfallen zu sein, der dir die Bilder der vergangenen Nacht erneut offenbart… Der Vorfall vor zwei Jahren hat dich geprägt und ist mitverantwortlich für deine emotionale Empfänglichkeit… Das dritte Zusammentreffen mit diesem Kerl scheint tiefer in dir zu sitzen als ich vermutet hatte und ich hätte es dennoch wissen müssen. Wir sind zusammen aufgewachsen, ich habe all deine Gefühle gesehen: Glück, Schmerz, Trauer, Wut, Freude, Enttäuschung, Zufriedenheit. Und als dein Freund war ich nicht in der Lage zu erkennen, dass du dem Bewusstseinsverlust nahe warst… dass du mich brauchtest./
 

Enttäuscht von sich selbst nahm er Ricks Hand in seine und drückte sie fest. „Es tut mir leid“, flüsterte er und hoffte auf diese Weise, einen Teil seiner Schuldgefühle ablegen zu können.

„Wie geht es ihm?“, fragte Veronica besorgt, als sie leise das Zimmer betrat.

„Er braucht ein wenig Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten.“

Mit kleinen Schritten kam Joes Mutter näher und legte eine Hand auf seine Schulter.

„Du liebst ihn wirklich.“

„Ja das tue ich.“

Joe konnte den Atem seiner Mutter hören, aber nicht seinen eigenen, denn es schien ihm, als hätte er gerade keinen. Die Welt schien für einen Moment still zu stehen, zumindest für ihn…

„Dann möchte ich eurem Glück nicht im Wege stehen“, meinte seine Mutter nach einer ganzen Weile oder doch direkt im Anschluss? Joe wusste es nicht, aber die Worte hallten in seinem Verstand tausendfach wider.

Mit Tränen der Freude und des Leids in den Augen blickte er Veronica an und wollte irgendein Wort des Dankes sagen, aber es drang keines über seine Lippen.

„Ich hab’ dich lieb, Joe, und Rick auch. Er ist ein guter Junge und ich glaube, dass er dich glücklich machen kann, wenn er einmal den Schmerz überwunden hat, der schwer auf seiner Seele lastet.“

Blinzelnd erhob er sich und nahm seine Mutter in den Arm und ergoss die Tränen, die einst einzig zu Rick gehörten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  inulin
2007-02-25T19:58:13+00:00 25.02.2007 20:58
Ich schwelge in den Gefühlen die du mir gerade beschert hast. *schweb*
Das Kapitel war so toll.
Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass Joe Rick aufhält damit er nicht zu dem Typen ins Café gehen kann. Aber so war das natürlich eine positive Überraschung. ^^
Und wie sie dann bei Joe im Zimmer sind... die Szene fand ich toll. Auch die wo Veronica reinkam und diesen 'Laut' von sich gegeben hatte. XD
Ich bin froh, dass sie es gut aufgenommen hat. Ich denke, dass wird Rick auch etwas befreien. Ist halt nur noch die Frage, wie das Joes Vater sieht.
Und... ohhh... Joe weint. Q_Q

Vllt bekomm ich ja morgen wieder Besuch von dem kleinen Junge und ich hoffe wir malen Dinos. Dann kannst gleich das Nächste hochladen. ^.~
Von:  smily
2007-02-25T17:19:13+00:00 25.02.2007 18:19
Also was jetzt?
Joes Mutter hat es gut aufgenommen, würde ich mal sagen. Und was ist mit seinem Vater? Ich meine er hat Rick die ganze Zeit angestarrt wie sonst was...
Und wieso ist Rick in Ohnmacht gefallen? Er hat es doch vorher eigentlich ganz gut verarbeitet. Oder sind da noch die Anspannung und die Ungewissheit, wie Joes Eltern die Neuigkeit aufnehmen, dazu gekommen?
Also das ist wieder ein gutes Kappi!
Danke für die ENS!
Ciao, ciao
smily


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