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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 37

Kapitel 37
 

Unruhig lief Rick vor seinem Computer auf und ab. Allmählich bereitete es ihm Sorgen, dass sich Amelia nicht meldete. Seit sie ihn nach dem Kino angeschrieen hatte, hatte er kein Lebenszeichen mehr von ihr vernommen. Und auf seine Mail wenige Tage darauf hatte sie bisher auch nicht geantwortet. Mit nervösen Blicken begutachtete er immer und immer wieder den Monitor, der aber partout keine neue Meldung anzeigen wollte.

Hinzu kam zudem die Tatsache, dass das Wochenende zunehmend näher rückte. Es hieß nur noch zweimal schlafen und schon würde der Tag anbrechen, an dem er seinen Eltern seit fast zwei Jahren erneut gegenüber stünde. Es bereitete ihm einfach alles Kopfzerbrechen.

Die einen würde er bald treffen und die andere ließ nichts von sich hören. Und beides erschien ihm auf seine eigene Art und Weise unerträglich.

Rastlos setzte er einen Fuß vor den anderen, begann sogar bereits damit, seine Wohnung abzulaufen. Hier und da griff er sich ein Kleidungsstück oder einen Gegenstand, um es wieder an den Ort zu legen oder zu stellen, wo es hingehörte. Er war derart aufgewühlt, dass er seine Finger beschäftigen musste, er brauchte einen Weg, um sich seiner Anspannung zu entledigen. Und lieber ließ er dies auf nützliche Weise geschehen als am Ende auf der Titelseite zu prangen: ’Selbstmassakrierung!’ – Vorhin hatte er noch auf seinem Schreibtischstuhl gesessen und den Brieföffner ständig durch seine Finger gleiten lassen oder ihn sogar zwischen ihnen auf einen Block gestochen. Und solch ein Gerät war bekanntlich scharf.
 

/Der Boden unter mir müsste bereits die ersten Schäden davon getragen haben. Ich spüre schon regelrecht die tiefen Spuren, die ich in ihn hinein getreten habe. Und doch vermag ich es nicht, meine Glieder still zu halten. Die Unruhe in mir wächst von Tag zu Tag und wenn das so weiter geht, bin ich am Samstag ein psychisches Wrack… Oh ja, ich sollte meine Gedanken auf etwas anderes lenken, ansonsten bleibe ich meinem Versprechen nicht treu und das kann ich Joe und mir nicht antun. Die Zeit mit ihm ist so wunderschön, ich will sie nicht zerstören. Es reicht, dass uns andere Dinge plagen, da muss nicht schon wieder ein Zwist zwischen uns sein, zumal ich einen solchen gewiss nicht heraufbeschwören möchte… Er fungiert nicht nur als mein Licht, sondern verkörpert einstweilen den Generator für das Licht in mir… Es mag seltsam klingen, aber ich empfinde eben so und kann nichts dagegen machen…/
 

Geschäftig wischte er gerade seine Vitrine aus und wunderte sich dabei gar nicht mehr über die Maßen an Staub, die sich schon wieder angesammelt hatten; diese Verwunderung oder besser dieses Ärgernis hatte er schon lange als vergeblich abgestempelt. Nach Beendigung dieser Tätigkeit ging er zum Fenster, öffnete es und schüttelte das Tuch aus, so dass viele Flusen durch die Luft wirbelten. Mitten in seiner Bewegung hielt er auf einmal inne.
 

/Nein! – Ich empfinde nicht einmal so… Das Licht in mir selbst wird mitunter durch so viel anderes entfacht. Es sind nur Kleinigkeiten, aber davon gibt es dafür reichlich viele… Der ältere Herr, dem ich seine Einkaufstaschen getragen habe, zum Beispiel hat mir väterliche Worte zugesprochen, die mich ungemein aufgemuntert haben… Oder die Dame in dem kleinen Laden mit ihrer sympathischen Ader rief Wohlwollen in mir hervor… Es sind die kleinen, aber schönen Dinge im Leben, die einen zum Strahlen bringen, ob rein äußerlich oder eben auch innerlich…/
 

Mit einem abwesenden Lächeln auf den Lippen lehnte Rick aus dem Fenster, das Staubtuch noch immer in einer Hand haltend und die frische Luft unbewusst einatmend. Ein kleiner Windhauch stob durch seine Haare und spielte mit den Strähnen, die halb in seiner Stirn hingen. Das Blau seiner Augen überzog ein Glanz, der bei Weitem nicht von Trauer oder dergleichen stammte.
 

/In meinem Herzen bewahre ich all die angenehmen Erlebnisse auf und denke an sie, wenn ich Kraft brauche. Natürlich weilt darunter Joe, doch er ist eben nicht allein der Ausschlag für das Licht in mir… Sollte ich das erkennen?... Tief in mir habe ich es immer gewusst und dennoch habe ich rein aus dir meine Lebenskraft schöpfen wollen… Aber ich weiß trotz dessen, dass ich dich immer brauchen werde…!/
 

Feine Gänsehaut stahl sich auf seinen Körper, der mit der Zeit die Kälte wahrnahm, die draußen vorherrschte. Es hatte vielleicht zwei Grad über Null, eindeutig zu kalt, um sich mit bloßem T-Shirt aus dem Fenster zu lehnen. Rick hatte sich vor einer ganzen Weile schon des Pullovers entledigt aufgrund der Unruhe, die unnatürliche Hitze in seinen Körper getrieben hatte. Doch nun musste er einsehen, dass es leichtsinnig war, sich derart der kühlen Jahreszeit auszusetzen. Eine Erkältung oder gar ein grippaler Infekt würde ihm gerade noch fehlen! Dennoch schloss er das Fenster mit einer Gemächlichkeit, die überhaupt nicht zu seiner Verfassung passte. Aber kaum hatte er die frische Luft wieder des Zimmers verbannt, schon begann er erneut durch die Gegend zu wuseln.

Als er allmählich zu einem Sauberkeitsfanatiker mutierte, klingelte glücklicherweise sein Handy. Mitten im Schränke Abwischen hielt er inne und kramte nach dem kleinen schwarzen Gerät in seiner Hosentasche, das dort neben dem Lied ’O fortuna’ Vibrationsstöße von sich gab. Kurz besah er sich das Display, bevor er das Gespräch entgegennahm.
 

„Hallo Joe.“ Beinahe hätte er mit ’Hallo Schatz’ abgehoben, doch er verkniff es sich, um nicht die Missgunst des blonden jungen Mannes zu ernten, die ihm indirekt angedroht worden war, bevor er sich am Vortag von ihm verabschiedet hatte. Joe hatte es nicht gerne, wenn man ihn mit ’Liebster’, ’Schatz’ oder dergleichen ansprach. Zwar wurde er von ihm ’mein kleiner Romantiker’ genannt, was Joes Ansicht nach aber etwas völlig anderes war. Laut dem Größeren würde diese Bezeichnung nichts mit Liebesbekundungen zu tun haben, da er ihn ihm schon vor einer kleinen Ewigkeit gegeben habe. Mit einem Schulterzucken hatte Rick Joes Erklärung abgetan; er hatte sowieso keine andere Wahl als es zu akzeptieren. Vielleicht würde es ja einmal eine Situation geben, in der er sich darüber hinwegsetzen könne, doch bis dahin würde er sich zusammenreißen und Joe eben den Gefallen tun, solche Kosenamen nicht von sich zu geben.

„Hi Rick, ich weiß, es ist bereits sehr spät.“
 

/Ist es?/ Ein Blick auf die Uhr genügte, um erschrocken über diese Tatsache zu sein. Er hatte in den letzten Stunden anscheinend jedwedes Zeitgefühl verloren.
 

„Aber ich soll dir was von meiner Mom ausrichten.“
 

/Seine Mom… stimmt ja…/
 

„Erstens freut sie sich, dass du mitkommst, und zweitens möchte sie wissen, ob du auch bei ihnen übernachten möchtest. Sie weiß ja noch nichts von uns, weshalb sie dir das Gästezimmer zurecht machen würde.“
 

/… sie weiß es noch nicht…/
 

„Bist du noch da?“

Während der Dunkelhaarige sachte den Kopf schüttelte, um vorerst alle Gedanken beiseite zu schieben, räusperte er sich und antwortete dann ein „Ja, bin ich.“

„Es ist ein wenig grotesk, aber wärst du damit einverstanden?“ Unüberhörbar war das Flehen in Joes Stimme.

„Ja, ja,… kein Problem.“

„Ist das auch wirklich okay für dich?“

„Keine Sorge, das geht tatsächlich so in Ordnung.“

„Sie wird das schon gut aufnehmen,… Aber ich muss dich nun wieder aus der Leitung werfen, du weißt ja über meinen Stress morgen Bescheid. Ich liebe dich, schlaf gut.“

Rick konnte kaum ein ’Danke, ich dich auch’ erwidern, da klickte es bereits in seinem Handy und bodenlose Stille löste mit einem Mal den angenehmen Ton, den Joe erzeugt hatte, ab. Es schien, als ob er unzählige Minuten benötigte, um das kleine schwarze Gerät wieder aus der Hand zu legen, aber irgendwann tat er es dann doch. Ein wenig desillusioniert schaute er das Hightech-Produkt an, das nun auf der Arbeitsplatte neben dem Kühlschrank verweilte. Vor lauter Einsame Seele und Eltern hatte er ganz vergessen, dass es am Samstag eine weitere Aufgabe hinter sich zu bringen galt. Vielleicht war sie ihm zu nebensächlich erschienen, so dass sie ihm nicht mehr in den Sinn gekommen war, doch nun trug sie dazu bei, dass noch mehr Nervosität in seinen Körper schlich. Seine Lippen fingen an leicht zu beben und seine Hände formte er vorsichtshalber zu Fäusten, bevor er ihr Zittern nicht mehr unterdrücken konnte. Solange er Joe bei sich gehabt hatte schienen alle Vorhaben machbar zu sein oder zumindest in irgendeiner Form überwindbar, doch nun schienen sie etwas Unbezwingbares an sich zu haben. Derart, dass man sie selbst mit größter Anstrengung oder der stärksten Hoffnung nicht obsiegen konnte. Warum kamen einem Absichten, selbst wenn sie einen guten Charakter hatten, immer dann so aussichtslos vor, wenn man alleine war? – Es war einfach alles zum Scheitern verurteilt!
 

Amelia…
 

Veronica…
 

Die eigenen Eltern…
 

Schlug das Leben denn auch einmal eine Richtung ein, die nicht rauh und schroff war?
 

„Joe liebt mich und ich ihn…! Das ist doch das Beste, was mir passieren konnte!“, redete er sich selbst gut zu. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne und doch echote sie wie von kräftigen, unsichtbaren Mauern verstärkt wider.
 

Aber weshalb bereitete ihm dann die bevorstehende Zukunft solche Sorgen?
 

Bestimmt verging noch eine Stunde, bevor er den verzweifelten Versuch aufgab, sich durch irgendwelche Putzaktionen abzulenken respektive abzureagieren. All die Unruhe in ihm musste einen Weg aus seinem Körper finden, aber allmählich fühlte er sich nur noch erschöpft. Gähnend streifte er sich seinen Pyjama über und legte sich ins Bett, das ihm seltsam leer vorkam. Warum hatte Joe ihn überhaupt diesen Abend allein gelassen? Er hätte doch wissen müssen, dass er diese Warterei auf Samstag kaum aushielt! Und diese Unstete in seinen Gliedern und insbesondere in seinem Denken hatte in der Tat etwas Verrücktmachendes an sich.
 

/Ich kann ihm das aber nicht zum Vorwurf machen. Schließlich hat er nicht darauf bestanden, heute und morgen die Kunden zu betreuen. Er hat seinen Job und ich habe meinen und der jeweilige ist uns wichtig… Und doch hätte ich ihn am liebsten dazu gezwungen, die Nacht bei mir zu verbringen. Er meinte, dass es sehr spät werden könne, bevor er nach Hause komme, und sehr früh wieder raus müsse und er würde mich ungern aufwecken… Das war auch der Grund, weshalb er vorhin auf dem Handy anrief und nicht auf der Festnetznummer… Er ist wirklich sehr bedacht… Ich wünschte, ich könnte jetzt in seinen Armen liegen und den sanften Rhythmus seines Herzens spüren… Das gäbe mir vielleicht die Ruhe zurück… Ich drehe mich von einer Seite zur anderen und ersehne die Schwärze, die einen in das Reich der Träume schickt… Wenn ich Joe schon entbehren muss, möchte ich wenigstens ein wenig schlafen, um den Gedanken an Samstag zu entfliehen… Komm’ Dunkelheit, komm’ wieg mich in deinen Armen… komm’ zu mir und hole mich in dein Reich der Schatten… wiege mich…wiege mich…/
 

„Das kann doch nicht wahr sein!“, fluchte er, als er sich zum bestimmt tausendsten Mal im Bett gedreht hatte. Obwohl er starke Müdigkeitserscheinungen hatte, vermochte er es nicht einzuschlafen. Viel zu sehr kreisten die Gedanken in seinem Kopf und er schaffte es nicht abzuschalten. Immer dann, wenn er glaubte, endlich ins Land der Träume entschwinden zu können, wurde ihm zu sehr bewusst, dass er ja noch wachte. Und damit war es endgültig mit dem Schlummern vorbei. Und dass er überhaupt noch dachte, wenn der Schlaf doch eigentlich greifbar war, machte ihn fast rasend. Wie konnte er nur übers Schlafen nachdenken! Das war einfach nur hirnrissig!... Oder nicht?

Ja das war es tatsächlich. Aber umso mehr er glaubte, alles hinter sich zu lassen, desto mehr meinte sein Verstand ’hier bin ich’.
 

/Ich will doch einfach nur schlafen…!/
 

All das Einreden führte zu nichts. Brummend schaltete Rick das Licht an und griff nach dem Buch neben dem Bett. Lesen war meist die beste Medizin und ein Versuch war es schließlich wert. Allemal besser als sich noch öfter im Bett zu winden, mal die Decke von sich zu stoßen, sie dann wieder über sich zu ziehen und die ganze Prozedur von Neuem zu beginnen. Die kleinen schwarzen Druckbuchstaben forderten seine Konzentration beträchtlich, aber er quälte sich tapfer durch ein paar Seiten. Nicht nur, weil er eben das Wälzen im Bett als sinnlos erachtete, sondern auch, weil das Buch es wirklich vermochte, Spannung aufzubauen und einen in seinen Bann zu ziehen. Ehe er sich versah, hatte er um die dreißig Seiten verschlungen. Als dann aber das Kapitel endete, bemerkte er, wie er seine Lider nur noch krampfhaft offen halten konnte. Deshalb legte er das Buch wieder beiseite, schaltete das Licht aus und es überkam ihn tatsächlich endlich der Schlaf, den er so bitter nötig hatte.
 


 

Der nächste Morgen bat eine Überraschung, die Rick rein gar nicht erwartet hatte. Nachdem er seinen Wecker am liebsten an die Wand geworfen hätte und sich aus dem kuschlig warmen Bett gequält hatte, genügte ein einziger Blick aus dem Fenster, um seine Laune um einiges anzuheben. Noch immer blickte er durch das Glas auf die kleinen weißen Flocken, die der Himmel sandte. Die Dächer in der umliegenden Umgebung waren bereits mit einer feinen Schicht dieser herrlichen Eiskristalle bedeckt, ebenso die Straßen und die Gärten. Schnee war einfach etwas wundervolles und weckte in einem ein angenehmes Gefühl. Die Reinheit des Weißes strahlte unschuldig und erhellte die Stadt ungemein. Alles erschien mit einem Mal freundlicher und wohlgesinnter. Und das machte sich auch in Ricks Herz bemerkbar. Die Nervosität, die ihn noch vor ein paar Stunden nicht einmal schlafen gelassen hatte, kam ihm plötzlich nicht mehr so ausgeprägt vor. Dies lag gewiss nicht nur daran, dass er eben erst aufgestanden war, sondern Schnee hatte schon immer diese heilende Wirkung auf ihn. Sobald er die Flocken, die durch die Luft wirbelten, sah, legte sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen und er wollte sich ebenso von einem kleinen Windhauch davontragen lassen. Es konnte ihn nichts mehr davon abhalten, das Fenster zu öffnen und die frische, kühle Luft, die der Schnee mit sich brachte, einzuatmen. Er nahm mindestens dreimal tief Luft, bevor er das Fenster wieder schloss und sich ins Bad begab. Um möglichst schnell nach draußen zu kommen, beeilte er sich und ließ sogar das Frühstück aus. Als er sich die Stiefel geschnürt hatte, trat er auch schon aus seiner Wohnung und zog seinen Mantel zu, während er bereits durch das Schneegestöber lief. Mit seiner Rechten versuchte er ein paar der Flocken aufzufangen und es gelang ihm mühelos. Als sich ein paar auf seiner Hand tummelten, führte er sie nah an seine Augen und besah sich die besondere Struktur der Wassermoleküle. Er hatte sie schon so oft gesehen, doch wie jedes Jahr war eben der erste Schnee der schönste und der die meiste Aufmerksamkeit gebührendste. Durch die Körperwärme schmolzen die Kristalle alsbald und hinterließen kühle Feuchtigkeit, die seine Haut zum Kribbeln brachte. Die ersten Kinder kamen ihm bereits auch gut gelaunt entgegen, sie schienen sich ebenso über den Wetterumschwung zu freuen wie er. Selbst wenn der Himmel momentan kein strahlendes Blau erstrahlen ließ, waren die Flocken in dem seichten Grau doch gerade das, was Leichtigkeit ins Gemüt lockte. Rick fühlte sich annähernd frei, während er durch das Gewirbel der kleinen Kristalle lief. Die Belastung des Vortages hatte enorm an Intensität verloren, wofür er dankbar war. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen blickte er mit halb geschlossenen Lidern direkt ins Schneetreiben hinein.
 

/Euch schickt in der Tat der Himmel…/
 

Nach etwa einer halben Stunde saß er mit geröteten Wangen an seinem Arbeitsplatz und erledigte voller Hingabe seine Aufgaben. Ein wenig Nässe verfing sich noch in seinen Haaren, die sich aber nach geraumer Zeit verflüchtigte. Die Stunden flogen nur so dahin und er dachte während der ganzen Zeit kein einziges Mal über die bevorstehenden Zusammentreffen nach, was ihn lediglich zurück in Unruhe versetzt hätte. Erst als es allmählich immer ruhiger um ihn herum wurde, realisierte er, dass er selbst bald wieder gehen durfte. Gewohnheitsmäßig vergewisserte er sich noch einmal, ob er alle Daten gesichert hatte, und räumte dann die restlichen Sachen von seinem Schreibtisch, schloss sie in die Schublade rechts neben ihm sorgsam ein.

„Schönes Wochenende“, rief ihm ein Kollege zu, als dieser gerade durch die Tür aus dem Büro heraustrat und bevor das Holz seinen Blick versperrte.

„Danke, dir auch“, rief Rick noch hinterher, war sich aber nicht sicher, ob das Kev noch gehört hatte oder nicht.
 

/Wenn nicht, dann ist das halb so wild. Wie ich ihn kenne, steht seine Frau unten und erwartet ihn schon. Da ist es ihm doch eh egal, was seine Kollegen noch von ihm wollen könnten./
 

Rick schmunzelte. Es war schon wirklich etwas wunderbares, wenn die Liebste oder der Liebste auf einen wartete. Aber alsbald wich das Lächeln aus seinem Gesicht, denn sein Gedächtnis verkündete ihm laut, zu laut, dass Joe erst spät abends nach Hause kommen würde.

/Warum müssen die eventuellen Vertragspartner auch gerade diese Woche hier sein?/, fragte er sich selbst und seine Stimmung resignierte mit einem Mal.

Draußen erhellte das letzte Tageslicht die Straßen und Rick sah hinaus in der Hoffnung, die kleinen Flocken vom Morgen würden noch immer das triste Sein der Stadt unter sich begraben. Er wurde nicht enttäuscht, denn er blickte auf eine weiße Schicht, die ihn förmlich einlud, endlich selbst das Büro zu verlassen. Mit einem leisen Seufzer zog er den Reißverschluss seines Mantels zu und griff nach der Klinke, die sich warm anfühlte. Als er hinaustrat, beschlich ihn die Sehnsucht. Wie schön es doch gewesen wäre, sofort in das Gesicht von Joe zu blicken und die heißen, begehrenden Lippen zu spüren…

Tief sog Rick die kalte Luft ein. Er wollte nicht schon wieder voller bedrückender Emotionen sein. Das Wetter zeigte eine seiner attraktivsten Facetten und das wollte er auskosten, ohne dabei seine Sehnsucht mit noch mehr Sehnsucht zu ertränken. Darum beschloss er, einen ausgiebigen Spaziergang zu machen, schließlich war der erste Schnee der Saison auch immer der, der am schnellsten wieder weggetaut war. Und bevor sich dieser wieder verflüssigte, wollte er sich sicher sein, ihn auch genügend genossen zu haben. Mit langsamen Schritten durchquerte er den Park ganz in der Nähe von Joes Wohnung. Da de Gehwege bereits geräumt waren, lief Rick über die Wiese, auf der er nicht als erster und gewiss nicht als letzter seine Spuren hinterließ. Mehrere Familien mit Kindern, einige ältere Eheleute oder einzelne Personen durchzogen sein Blickfeld, waren Teil der idyllischen Landschaft, die ihn umgab. Der Park war groß genug, um die Zivilisation in Form von Bürogebäuden, Blechlawinen und lärmenden Geräuschen auszuschließen. Die Ruhe wurde einstweilen nur durch Kinderlachen und Hundegebell durchbrochen, aber die erzeugten Laute woben sich angenehm in die natürliche Kulisse ein, so dass sie Rick keineswegs störten.

Die Minuten verrannen und allmählich siegte die Dunkelheit, legte die Umgebung des Dunkelhaarigen in Schatten und brachte einen kühlen Wind mit sich, der ihn dazu trieb, ein wenig schneller zu gehen und sich ins nächstgelegene Café zu flüchten. Es war ziemlich voll, weswegen er einen älteren Herrn fragte, ob bei ihm noch Platz sei. Zwar entgegnete dieser nur ein unfreundliches Nicken, aber Rick ignorierte es mit einem dankbaren Lächeln und gesellte sich zu dem graumelierten Mann, der eine weiße Porzellantasse an seinen Mund ansetzte und sie wie es aussah gänzlich leerte. Danach erhob er sich sofort von seinem Stuhl, drückte dem Kellner einen Schein in die Hand und verschwand in der Finsternis des Abends. Verdutzt blickte Rick auf den leeren Stuhl, der sich direkt vor seinen Augen darbot. Er hatte den Mann keineswegs vergraulen wollen und für einen Moment schalt er sich dafür, sich erdreistet zu haben, sich dazugesetzt zu haben, doch schon im nächsten Moment kam ihm dies völlig schwachsinnig vor, denn an seinem Handeln war nichts Aufsässiges gewesen. Mit einem Schulterzucken begutachtete er die Karte, um dem Kellner, der gerade den Geldschein verstaut und an ihn herangetreten war, sagen zu können, was er haben wolle.

„Einen Pfefferminztee, bitte.“

„Sehr gern.“

Als er sich wieder allein wusste, zog er sein Handy aus seiner Hosentasche und schrieb Joe eine kleine Nachricht:
 

’Ich wäre gerne gemeinsam mit dir durch den Schnee gelaufen… Mich hat es in das Café nahe deiner Wohnung verschlagen. Wir sehen uns heute Nacht. Ich liebe dich.’
 

Vorsichtig tastete er mit seiner Linken nach seinem Mantel und seufzte wohlig, als er den Schlüsselbund spürte, an dem sich unter anderem nun einer zu Joes Wohnung befand. Er würde später schon einmal dorthin gehen und dort auf Joe warten.

„Bitte sehr.“ Die freundliche Stimme des Kellners riss ihn aus seinen Gedanken und er erwiderte ein leises ’Danke’. Feiner Dampf erhob sich aus der Tasse, die nun vor ihm stand, und trug den intensiven Kräutergeruch in seine Nase. Nachdem er sich die ersten Schlücke aus ihr gegönnt hatte, nahm er vage eine Gestalt aus seinen Augenwinkeln wahr.

„Haben Sie noch einen Wunsch?“, fragte diese gleich darauf.

„Nein, dan…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  inulin
2007-02-23T15:49:58+00:00 23.02.2007 16:49
Auf die Gefahr hin, mich wieder wie dein gerissener Keilriemen anzuhören...
*quietsch*
XD
SCHNEE!!
Ich liebe den ersten Schnee genauso wie Rick. Auch wenn es dieses Mal nicht wirklich geschneit hat. *seufz*
Außerdem mag ich Kapitel wo eigentlich überhaupt nichts passiert. Weil da bemühen sich die Autoren die anderen Eindrücke zu beschreiben. Aber der Unterschied fällt bei dir kaum auf. Du schreibst die immer gleich schön. ^^
Ich weiß grad nicht, wie ich reagieren soll... Da steht jez irgendwer an Ricks Tisch der ihn überrascht. Da kämen mir spontan einige in den Kopf.
Ich geh einfach mal vom Schlimmsten aus... Er wurde mal wieder von dem Fremden aufgegabelt... *seufz*
Bitte lad das Nächste bald hoch, damit ich weiß, dass dem nicht so ist. óò


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