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Miss Keep-Your-Distance

Auftrags-Killer
von

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Episode 6: Der hässliche Holzwecker

Der hässliche Holzwecker
 

Sie überquerten die Straße und betraten den kleinen Laden, so als wollten sie nur kurz Chips oder etwas anderes Unwichtiges kaufen. Die kleinen Glocken über der Ladentür kündigten sie an und der Verkäufer blickte auf. Als er sie durch seine große Brille erblickte versteifte er sich etwas, fragte jedoch freundlich: „Kann ich ihnen behilflich sein?“

„Nein, wir finden uns schon zurecht“, wehrte Lefti ihn ab. Trysha fand, dass der Verkäufer noch ziemlich jung und unsicher aussah. Vielleicht war er ein Auszubildender, aber auf keinen Fall der Besitzer des Ladens. Sie wusste noch nicht ob das hilfreich oder eher schlecht war, für das, was sie vorhatten.

Sie setzten sich in Bewegung und streiften durch den Laden um so zu tun, als würden sie etwas suchen.

Der Shop war ziemlich klein, es gab nur ein Regal, das mitten im Raum stand, der Rest stand an den Wänden und verdeckte die geschmacklose Tapete. Außer vor dem Schaufenster, da standen nur Getränkekisten und machten den Fußgängern den Blick auf das Innere frei. Die Theke nahm die gesamte rechte Wand ein und war in der Mitte von einer kleinen Schwingtür getrennt, hinter ihr waren Regale mit Zigaretten und anderen Kleinigkeiten aufgehängt, sowie ein einfacher Vorhang, der anstelle von einer Tür in einen Hinterraum, der wahrscheinlich das Lager war, führte. Aus diesem Raum waren leise Geräusche zu hören, als würde dort jemand herum stöbern.

Trysha kam eine Idee und als sie Blickkontakt mit Lefti hergestellt hatte, bedeutete sie ihm mit einer Geste, dass sie etwas versuchen wollte und er nicht dazwischenfunken sollte.

Wie immer, dachte er, nickte aber kaum merklich und blieb in der Nähe der Tür und des Schaufensters um die Straße im Auge zu haben.

Trysha machte sich daran ein Produkt zu suchen, das so aussah, als würde es sonst niemand kaufen, es aber trotzdem nur noch ein Exemplar gab. Sie wühlte sich durch die Regale, bis sie schließlich einen hässlichen Holzwecker mit Blümchenverzierungen fand. Ein absolutes Einzelstück, ging es ihr durch den Kopf, bevor sie unauffällig das Preisschild abkratzte.

Dann ging sie damit zur Kasse.

„Das, bitte“, meinte sie und legte es auf den Tresen. Der Verkäufer suchte nach dem Preisschild, aber er fand es natürlich nicht. Er seufzte und fragte: „Wo haben Sie das gefunden?“

„Da vorne“, Trysha zeigte auf die Stelle und der Verkäufer ging durch die Schwingtür, die leise quietschte, zu dem Regal und durchsuchte es. Trysha wusste wonach er suchte, er suchte nach einem zweiten hässlichen Wecker um auf sein Preisschild zu gucken, doch er würde keinen finden. Und das tat er auch nicht.

Er kehrte hinter den Tresen zurück und schüttelte den Kopf.

„Komisch...“, murmelte er, „warten Sie mal kurz.“ Er drehte sich zu dem Vorhang. „Chef?“, er bekam keine Antwort, „Manni?“ Die leisen Geräusche im Lager hörten auf und man hörte ein genervtes: „Was denn?“

Trysha warf Lefti über die Schulter einen kurzen Blick zu, er zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme. Innerlich grinste er und bewunderte ihre Gerissenheit.

„Ich finde einfach diese blöden Taschenrechner nicht!“, fluchte Manni hinter dem Vorhang, „Die sollten doch in der heutigen Lieferung sein!“

„Ja, kann sein...“, meinte der Verkäufer. „Komm mal her. Du musst mir mal eben hier helfen“, sagte er und steckte seinen Kopf hinter den Vorhang. Mit einem leisen Grummeln kam Manni schließlich dahinter hervor. Er war ein großer, stämmiger Mann, letzteres lag aber nicht an seinen Muskeln, sondern an seinem überschüssigen Fett. Er hatte die Lippen unter seinem Schnurrbart fest zusammen gepresst. Er nickte Lefti und Trysha zu.

„Was ist denn jetzt?“, fragte er um einen freundlichen Ton bemüht.

„Die Dame hier möchte diesen Wecker kaufen, aber das Preisschild ist weg und ich weiß nicht wie viel der kostet“, erklärte er. Manni schnaubte.

„Und du denkst ich weiß das?“, fragte er ungehalten, „Woher denn? Wer kauft denn schon so ein Schrottding?“

Trysha hörte Lefti leise prusten. Sie drehte den Kopf zu ihm, sah ihn mahnend an und formte mit den Lippen eine Frage: Jetzt?

Dieser gab nach einem kurzen Blick durch das Schaufenster ein zustimmendes Augenfunkeln von sich, machte jedoch selbst keine Anstalten seine Waffe zu ziehen. Trysha seufzte.

Manni zuckte entschuldigend mit den Schultern und meinte: „Wie viel würden sie mir denn für dieses... bemerkenswerte... Ding geben?“

„Mal sehen…“, Trysha tat, als würde sie ihre Geldbörse raus holen, doch dann zog sie ihre Waffe und zielte damit auf Manni. Dieser erstarrte, genauso wie sein Angestellter. „Sorry, hab gerade kein Kleingeld dabei“, meinte sie, legte ihren Kopf schief und lächelte zuckersüß. Dann drückte sie zweimal hintereinander ab, die Waffe gab nur ein leises Zischen von sich, was sie selbst kaum hörte und die beiden sanken polternd zu Boden.

Als wäre Lefti dadurch zum Leben erwacht, zog er ebenfalls seine Waffe und stieß die Schwingtür auf. Er machte einen großen Schritt über die beiden Sterbenden und verschwand hinter dem Vorhang.

Trysha steckte ihre Waffe langsam wieder weg und atmete aus.

Sie hasste es.

Aus dem Lager waren nun wieder Geräusche zu hören, nur etwas lauter als vorher. Trysha ließ ihren Blick durch den Laden streifen, sie bemerkte, dass die Inneneinrichtung eigentlich ziemlich komisch war, nichts passte wirklich zusammen. Die kleinen Dinge erschienen ihr plötzlich größer als vorher und sie bemerkte eine Fliege, die auf dem Tresen entlang lief. Durch ihren Schleier der Benommenheit, der sie manchmal nach einem Auftrag überkam, hörte sie eine leise Melodie. Sie war kurz und hoch. Trysha schaute nach oben, wo der Himmel sein sollte, aber stattdessen nur eine rissige Betondecke zu finden war.

War das das Läuten der Himmelsglocke, die die Geister der Toten zu sich holte?, fragte sich Trysha und grinste über diese Vorstellung. Doch als sie begriff, was es damit wirklich auf sich hatte, verging ihr das Grinsen und sie wirbelte herum. Vor dem Regal in der Mitte des Raumes stand ein kleines Mädchen, von höchstens zehn Jahren und musterte den Laden suchend. Trysha wusste nicht was sie tun sollte, sie stand einfach nur da und starrte das blonde Kind an.

„Hier ist die Luft rein!“, hörte sie Lefti aus dem Lager rufen. Sie drehte sich wieder um und sah wie er gerade hinter dem Vorhang hervor trat und seine Waffe weg steckte. Sie warf einen panischen Blick zu dem Mädchen, das davon nicht besonders viel Notiz nahm, da es angestrengt nach etwas suchte. Trysha dachte noch, dass das Kind sie an irgendjemanden erinnerte als Lefti weiter redete: „Lass uns gehen, wir sind hier mit den Typen-“

„Willst du dich nicht um deinen Kunden kümmern?“, unterbrach sie ihn viel sagend und etwas zu laut. Lefti starrte sie verständnislos an, doch dann bemerkte auch er den Haarschopf hinter dem Regal. Daraufhin hörte Trysha ein Wort, es war leise, aber kam von ganzen Herzen: „Scheiße.“

Als hätte das Wort sie jetzt erst auf Lefti aufmerksam gemacht, horchte das kleine Mädchen auf und funkelte ihn über das Regal hin an. „Das sagt man aber nicht!“, verbesserte sie ihn. Lefti brachte daraufhin nur ein gequältes Lächeln zustande. Jetzt war es an Trysha auf seinen hilfesuchenden Blick hin, die Arme zu verschränken und eine Braue hochzuziehen.

„Äh-mh“, er räusperte sich. „Was suchst du denn?“

„Haargummis... und was zum Trinken.“ Lefti musterte die Getränkekisten und deutete drauf.

„Da findest du Getränke und...“, er machte einen Schritt zur Seite und trat dabei aus Versehen auf Mannis schlaffen Arm. Das erinnerte ihn daran, dass sie sich beeilen mussten. „Tja, Zopfgummis haben wir leider nicht“, er zuckte mit den Schultern. Das Mädchen nahm gerade einen Eistee und hielt ihm ihre Hand entgegen, in der zwei Haargummis baumelten.

„Habt ihr jawohl“, meinte sie und kam zum Tresen.

„Aha...“, murmelte Lefti genervt. Trysha musterte das Mädchen. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass sie sie irgendwo schon mal gesehen hatte. Aber sie wusste mit Sicherheit, dass es nicht im Waisenhaus gewesen war, denn da kannte sie jedes der Kinder ganz genau.

„Dann gib mal her“, meinte Lefti und nahm die Gegenstände entgegen, er zählte die Preise schnell im Kopf zusammen. „Das macht dann... äh... vier Dollar zwanzig... nein, vier Dollar fünfundsiebzig“, er nickte noch einmal zur Unterstreichung der Korrektheit seiner Rechung. „Ja, vier Dollar fünfundsiebzig, bitte.“ Er versuchte ein verkäuferisches Grinsen aufzusetzen, was ihm nicht ganz gelang. Das Mädchen drückte ihm einen Fünfer in die Hand. Lefti musterte ihn verwirrt, doch dann begriff er, dass er wechseln sollte. Schnell machte er sich an der Kasse zu schaffen, nur um fest zu stellen, dass er keinen Schlüssel hatte. Seine Gesichtszüge entgleisten ihm kurz, doch dann setzte er wieder sein Lächeln auf, diesmal mit noch größeren Schwierigkeiten.

„Ja haha, ich hab den Schlüssel gerade nicht...“, meinte er und warf Trysha einen Blick zu, während er seine Hosentaschen nach einem Portemonnaie abtastete.

„Warum?“, fragte das Mädchen abrupt. Man sah Lefti an, dass ihn diese Frage überforderte. Genauso wie die Tatsache, dass er selbst auch kein Geld dabei hatte.

„Also, wenn du willst, dann...“, er schaute sich suchend um und griff nach dem Holzwecker, „Dann kriegst du diesen hier noch dazu... Und ich behalte deinen Fünfer.“ Das Mädchen, dem Trysha immer noch keinem Namen zuordnen konnte, griff skeptisch nach dem Wecker und musterte ihn, danach fixierte sie Lefti mit zusammengezogenen Brauen. Dieser sah schon fast irre aus mit seinem falschen Grinsen.

„Okay, abgem-“, setzte das Kind an, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von etwas am Boden in Anspruch genommen und sie ließ die Gegenstände liegen. „Mister, ich glaube hinter der Theke ist eine Flasche umgefallen...“, klärte sie ihn auf und runzelte die Stirn. Lefti warf einen Blick zu Boden und bemerkte, dass er selbst in einer Blutlache stand, die auch unter der Schwingtür hervor kam. Das Mädchen bückte sich. „Was ist denn das? Erdbeersaft?“, fragte sie. Lefti und Trysha starrten sich geschockt an.

„Ja, das-“, setzte Lefti an.

„Wollen sie die Flasche nicht aufheben?“, fragte das Mädchen weiter und berührte mit einem Finger das Blut, diesen steckte sie sich dann in den Mund und verzog das Gesicht. „Nein, das ist kein Erdbeersaft...“, schlussfolgerte sie. Trysha sog scharf die Luft ein und wollte gerade nach vorne hechten um das Mädchen von der Schwingtür wegzuziehen, doch da hatte sie diese schon aufgemacht, um aus purer Neugierde zu erfahren was es mit der Flüssigkeit auf sich hatte. Doch anstelle von einer Getränkeflasche erblickte sie zwei Tote, das Mädchen holte laut Luft und bekam große Augen. Schnell ließ sie die Tür wieder zu schwingen und starrte abwechselnd Lefti und dann Trysha an. Sie öffnete und schloss den Mund ein paar Mal, unschlüssig was sie tun sollte. Dann tat sie ein paar Schritte zurück und wollte weg rennen, doch Lefti sprang über die Theke und packte sie grob unter den Armen und stellte sie hinter sich in die Ecke zwischen Tresen und Regal.

„Toll und was jetzt?“, fragte er aufgeregt. Das kleine Mädchen begriff den Ernst der Lage und fing an um Hilfe zu schreien, daraufhin zog Lefti seine Waffe. „Halt's Maul!“, fuhr er sie an. Trysha erwachte aus ihrer Schockstarre und drückte erschrocken seinen Arm runter.

„Mein Gott, Lefti!! Sie ist doch noch ein Kind!“, rief sie entsetzt und musterte das völlig verängstigte Mädchen nochmals. Woran erinnerte das Kind sie nur? Es kam ihr bekannt vor und sie wollte endlich wissen woher.

„Wie heißt du?“, fragte sie das Mädchen.

„S- sag ich nicht!“, antwortete dieses immer noch störrisch.

„Ist doch auch egal!“, funkte Lefti dazwischen. „Oder willst du dich etwa mit ihr anfreunden?“, er schnaubte bei dem Gedanken. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu und er schwieg.

„Was machst du denn noch so spät hier?“, fragte sie weiter, doch das Mädchen reckte nur widerspenstig das Kinn nach vorne. Aus ihr würden sie nicht so leicht etwas raus bekommen.

„Sie ist eine Gefahr. Sie wird uns verraten.“, erklärte Lefti. Das Mädchen funkelte ihn an. Ihr Kampfgeist erinnerte Trysha an sich selbst.

„Lefti! Du machst es nur noch schlimmer. Komm wir lassen sie gehen“, Trysha drückte den Lauf der Pistole nach unten, „Sie wird uns nicht verraten...“ Sie versuchte ihn mit ihren Augen zu beschwören. Er zögerte und der Widerstand in seinem Arm gab etwas nach.

„Lass uns einfach nur von hier verschwinden...“, meinte Trysha müde.

„Nein!“, sagte Lefti jetzt wieder entschlossener, „Sie kennt meinen Namen!“

„Deinen was- Deinen Namen? Na und?“

„Du hast leicht Reden“, schnauzte er sie an. „Hättest du ihn nicht gesagt, dann hätten wir das Problem nicht! Die Polizei hat mich sowieso schon am Wickel...“, erklärte er ihr.

„Wieso? Dann müssten sie mich doch auch dran haben!“, meinte Trysha. „Und das haben sie nicht, also nimm endlich die Waffe runter!“

„Das hat nichts mit der Arbeit zu tun! Aber ich will es dir auch nicht erklären, es ist halt einfach so“, beendete er das Thema. „Außerdem sind wir nur ein Team, weil ich die Zeugen beseitigen soll“, er hielt ihren Blick mit seinem fest, „Und das werde ich auch tun.“ Trysha wusste, dass er sich entschlossen hatte, doch sie wollte es nicht hinnehmen. Schon allein deswegen, weil sie mit Kindern zusammen arbeitete. Aber der Hauptgrund war, dass sie wissen musste, wer dieses Mädchen war. Sie musterte das junge Ding, wie es da auf dem Boden saß und die Waffe mit ihren großen, grünen Augen anstarrte. Ihre blonden, langen Haare waren ganz verwuschelt und sie hielt sich mit den Händen krampfhaft in ihrem T-Shirt fest. Als Trysha genauer hinsah, konnte sie an ihrem Kopf einen dunklen Haaransatz erkennen, die Haare waren also gefärbt. Während sie versuchte sich das Mädchen mit dunklen Haaren vorzustellen hatte Lefti seine Entscheidung getroffen. Und die lautete, dass es zu gefährlich war sie am Leben zu lassen, auch wenn es ihm widerstrebte ein wehrloses Kind zu töten. Er hatte generell nichts gegen Kinder, eigentlich waren sie ja manchmal sogar ganz süß. Doch er hatte eine Aufgabe zu erledigen und er würde seine Position nicht dadurch gefährden, dass er verhaftet wurde. Er umfasste den Griff seiner Waffe fester und zielte erneut.

Trysha keuchte auf, endlich wusste sie, an wen sie das Kind die ganze Zeit erinnert hatte. Sie konnte ihr Glück kaum fassen! Die ganze Zeit hatte sie nach ihnen gesucht und jetzt, einfach so, liefen sie sich über den Weg. Ein Teil ihrer Familie. Rebecca, die Tochter ihrer Schwester, sie hatte sie bis jetzt nur auf den Erpressungsfotos ihres Vaters gesehen, aber sie war es eindeutig. Trotz der gefärbten Haare und dem Altersunterschied zu den Fotos, war das Mädchen zu erkennen und Trysha war sich sicher, dass es nur Rebecca sein konnte!

„Oh Gott...“, japste sie und ihr Herz machte ein Hüpfer. „Lefti, ich-“, sie brach ab als sie seinen Gesichtsausdruck sah, wie er seine Waffe fester packte, zielte und den Abzug drücken wollte. „Nein!!“, sie warf sich gegen seinen Arm und verhinderte, dass der Schuss traf.

„Was soll das?“, fragte er kalt und stieß sie weg, „Meinst du dadurch kannst du mich aufhalten?“

Trysha fand, dass er sich komisch anhörte, so als wäre er nicht er selbst. Er musste sich also von sich selbst distanzieren um es zu tun, er konnte es also auch nicht einfach so. Das war ein Hoffnungsschimmer und sie legte ihm die Hand auf den Arm.

„Du willst es doch auch nicht...“, beschwor sie ihn. Doch er sah sie nur verbissen an und da merkte Trysha, dass es nichts brachte ihn durch reden um zustimmen. Sie musste andere Geschütze auffahren, also schlug sie ihm kurzerhand die Waffe aus der Hand. Sie schlitterte über die Fliesen und zwischen den Regalen hindurch, außer Reichweite.

„Was soll denn das? Herrgott was ist los mit dir?“, fuhr er sie an. „Sonst markierst du doch auch immer die Harte!“

Aber nicht in dieser Situation, beschloss Trysha, dazu hatte sie einfach nicht die Kraft!

„Was ist denn mit dir los?!“, schrie sie ihn an. „Siehst du nicht, dass du im Begriff bist ein Kind zu töten?“

„Natürlich sehe ich das, ich bin doch nicht blind!“, brüllte er zurück und Trysha zuckte zusammen. Beide starrten sich entschlossen an. Die Situation war angespannt, stand kurz davor zu eskalieren und die Luft schien elektrisch geladen. Schließlich drehte sich Lefti mit einem Ruck um und steuerte seine Waffe an. Mit hastigen Schritten folgte Trysha ihm und schnappte sich seinen Arm. Daran zog sie einmal kräftig, sodass er stehen bleiben musste und sich zu ihr umdrehte. In dem Moment trat Trysha ihm mit all ihrer Kraft und den Absätzen ihrer schwarzen Lederstiefel auf den Fuß.

„Das wirst du nicht tun!! Hast du mich verstanden?!“, drohte sie und rammte ihren Ellenbogen in seine Brust, was ihn mit den Rücken gegen eines, an der Wand stehenden, Regale prallen ließ. Im ersten Moment schien Lefti irritiert, doch dann fing er sich wieder und grinste.

„Das werden wir ja noch sehen.“

Mit diesen Worten packte er sie bei den Schultern und drehte sie herum. Dann schlang er blitzschnell seinen linken Arm um ihre Taille und ihre Arme. So hievte er sie hoch und stapfte zu seiner Waffe.

„Lass mich runter!“, zischte Trysha und versuchte sich aus seinem Griff zu winden oder ihre Arm frei zu bekommen, aber er war einfach zu kräftig. Sie fing an mit ihren Beinen zu strampeln und ihn irgendwie zu treten, aber die einzige Wirkung, die sie damit erzielte war, dass sein Griff nur noch fester wurde und es ihr so vorkam als würde er jeden Moment ihre Rippen zerbrechen.

„Es wäre einfacher für dich, wenn du still hältst“, meinte Lefti und hob seine Waffe auf.

Tryshas Wut verwandelte sich in Verzweiflung, sie wusste, wenn Lefti es wirklich tun wollte, konnte sie ihn nicht aufhalten. Er war stärker als sie und selbst wenn sie mit all ihrer Kraft kämpfte, würde er nicht locker lassen und sie war gezwungen alles tatenlos mit anzuschauen. Trysha blickte zu Rebecca die ängstlich in ihrer Ecke kauerte und sie trotzdem hoffnungsvoll, fast flehend ansah. Trysha stiegen Tränen in die Augen, sie wusste nicht ob es wegen der Rührung über das Kind, was sie stumm um Hilfe bat oder aus Verzweiflung weil sie nicht wusste, ob sie dieser Bitte gerecht werden konnte, geschah.

Ihr wurde klar, dass sie um keinen Preis zulassen konnte, dass Lefti Rebecca etwas antat. Sie versuchte erneut sich zu befreien indem sie mit ihren Armen so viel Druck wie möglich auf seinen Klammergriff ausübte und gleichzeitig trat sie mit ihren Beinen gegen seine. „Lass-mich-gefälligst-los-oder-du-wirst-es-noch-bereuen!“, schrie sie und hämmerte bei jeden Wort ihren Kopf gegen seine Brust.

„Ich zittere schon“, war seine ernüchternde Antwort, doch genau in diesem Moment schaffte sie es ihren rechten Arm frei zu bekommen. Schnell verpasste sie ihm einen ordentlichen Kinnhaken, sodass er aufkeuchte und sie sich ganz befreien konnte. Eilig sprang sie hinter den Tresen um nicht zu riskieren, dass er sie nochmal gefangen nehmen konnte. Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Du bist doch nicht mehr ganz dicht“, stellte er fest und wandte sich Rebecca zu.

Als er sich wieder nach seiner Waffe bückte, die er im Gerangel fallen gelassen hatte riss irgendetwas in Trysha auseinander und eine Träne floss ihr über die Wange. Sie ignorierte es, nahm es gar nicht richtig wahr und schleuderte den nächst besten Gegenstand, den sie zu fassen bekam, auf Lefti.

Es war der hässliche Holzwecker.

„Wag es ja nicht ihr weh zu tun du egoistisches, gefühlloses Schwein!“, der Wecker traf ihn vor die Brust, prallte ab und zerschellte am Boden.

Lefti musterte sie argwöhnisch, irgendwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Sonst würde sie nicht so empfindlich reagieren. Dieses Kind konnte ihr doch nicht so wichtig sein, dass sie ihren Job dafür auf Spiel setzten wollte. Sie verstand den Ernst der Lage einfach nicht!

Trysha fixierte ihn wütend, jede Faser ihres Körpers tat vor Anspannung weh und ihre Knie wurden weich. Sie stütze sich auf den Tresen und wandte den Blick von ihm ab. Sie sah wie ihre Tränen auf den Tisch tropften und krallte ihre behandschuhten Fingernägel in das Holz. Sie wollte jetzt nicht heulen! Sie musste stark bleiben um Rebecca zu verteidigen! Sie holte zittrig Luft und schluchzte laut.

Sie musste das Kind unbedingt beschützen! Sie liebte Rebecca jetzt schon, sie war ihr so ähnlich und sie war ihre einzige Hoffnung auf eine Zukunft ohne diesen Job, ohne ihren Vater und ohne die ständige Angst erwischt zu werden. Lefti wusste ja nicht was er ihr damit antun würde, wenn er sie tötete. Sie würde sich hüten ihm zu erzählen, dass das Mädchen eine Verwandte war. Er sollte es nicht wissen! Sie musste ihn irgendwie anders davon abhalten sein Vorhaben durchzuziehen. Wenn sie es nicht schaffte, würde das, wofür sie so lange gekämpft hatte, das Wohlergehen der Familie ihrer Schwester, zerstört werden und es wäre ihre Schuld! Etwas warmes benetzte ihre Wange und sie begriff, dass sie immer noch weinte.

Trysha wollte sich wieder beruhigen, ihre Tränen zurückhalten und holte ab und zu tief Luft, doch sie konnte es nicht. All die Jahre des Starkseins und der Verzweiflung kamen raus und sie konnte es nicht verhindern. Nein, sie hatte sogar das Gefühl, dass sie die Tränen brauchte, weil sie sonst an ihnen ersticken würde.

„Trysha?“, fragte jemand. Es war Lefti, seine Stimme klang leicht unsicher. Trysha schaute ihn widerwillig an. Ihr Blick war noch verschwommen, doch sie sah, dass es ihn erschreckte sie so zu sehen. Aber sie konnte sich nicht verstellen, nicht jetzt. Trotzdem zwang sie sich dazu den Tresen los zu lassen und langsam um diesen herum zu gehen.

Lefti kam auf sie zu, seine Haltung hatte nichts Bedrohliches mehr an sich. Doch sie wich entsetzt zurück und stellte sich schützend vor Rebecca.

„Komm mir nicht zu nah!“, schrie sie. Schluchzte und weinte ununterbrochen.

„Okay“, er trat wieder zurück und hob ergeben die Hände hoch. Er wirkte verwirrt. „Was ist? Also... wieso? Ich meine...“, er brach ab und sortierte seine Gedanken. „Es ist doch fast das Gleiche wie bei einem Erwachsenen, oder?“, fragte er und belog dabei auch ein Stückweit sich selbst. Denn das war es nicht, auch nicht für ihn.

„Das Gleiche?“, fragte sie fassungslos und ihre Brust hob und senkte sich hektisch. „Vielleicht ist es das ja für dich!“ Lefti seufzte.

„Nein, für mich auch nicht...“, gab er zögernd zu, „aber-“

„Warum willst du es dann!?“, unterbrach sie ihn. „Etwa weil mein Vater es von dir erwartet?“

Ihre geweiteten, geschwollenen Augen gaben ihm das Gefühl, dass er wirklich etwas falsch gemacht hatte und es gab ihm ordentlich zu schaffen, dass er an ihrem jetzigen Zustand schuld sein sollte.

Wo war die Trysha, die er kannte? Mit der konnte er besser umgehen, weil sie mindestens genauso gut einstecken wie austeilen konnte. Doch so wie sie jetzt war verwirrte sie ihn nur und er wusste nicht wie er sich verhalten sollte, zumal er eben nicht sehr feinfühlig war...

„Ja, unter anderem deswegen“, lautete seine Antwort.

„Das ist so erbärmlich!“, schrie sie ihn an und sein Blick veränderte sich.

„Nein, das ist alles andere als erbärmlich“, sagte er hart. „Ich weiß ja nicht wie das bei dir ist, aber Reilly ist mein Boss und soweit ich weiß muss man machen was der Boss sagt! Willst du wissen was wirklich erbärmlich ist?“ Sie erwiderte nichts. „Wirklich erbärmlich ist, dass du überhaupt hier arbeitest! Guck dich doch an! Der Job macht dich total fertig! Richtig erbärmlich ist nämlich...“, er kam einen Schritt auf sie zu, doch sie wich sofort einen zurück, „dass du nicht kündigst!“

Trysha hatte im Moment keine Kraft mehr für diesen Streit. Und ihm erklären, warum sie nicht kündigte würde sie erst recht nicht! Aber es erübrigte sich von selbst, denn er machte auf dem Absatz kehrt und verließ polternd das Geschäft. Das leise Glockengebimmel wirkte beruhigend auf Trysha, vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass Lefti den Raum verlassen hatte. Sie vernahm ein leises Schluchzen und lenkte ihren Blick auf Rebecca. Sie hockte sich vor sie und brachte ein tröstendes Lächeln zustande.

„Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Er ist weg...“, es war als würde sie mit sich selbst reden. Das Mädchen nickte und flüsterte zaghaft: „Danke.“

Trysha lächelte froh, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und überlegte was sie jetzt tun sollte. Das Mädchen einfach laufen lassen kam nicht in Frage. Also entschied sie sich für die nächstliegendste Lösung.

„Komm steh auf, ich nehme dich erstmal mit zu mir.“ Sie streckte Rebecca die Hand hin, diese ergriff sie nur zögernd, ihr Argwohn kehrte zurück.

„Warum lässt du mich nicht einfach gehen?“, fragte sie.

Scharfsinniges Ding, das musste Trysha ihr lassen und das obwohl sie gerade um ihr Leben gefürchtet hatte. Spätestens jetzt wusste Trysha ohne Zweifel, dass sie verwandt waren.

„Weil das nicht geht... ich brauche Zeit zum nachdenken“, antwortete sie vage. Sie wusste noch nicht ob sie Rebecca in das Geheimnis ihrer Verwandtschaft einweihen sollte. In erster Linie wollte sie das Mädchen in Sicherheit wissen und dann vielleicht etwas über ihre Schwester aus ihr heraus bekommen. Sie half Rebecca auf und fragte: „Sagst du mir jetzt wie du heißt?“ Mit der Frage fing sie sich einen misstrauischen Seitenblick ein.

„Glaub mir, ich würd's auch ohne deine Hilfe herausfinden und da wir vielleicht einige Zeit miteinander auskommen müssen, könntest du es mir auch freiwillig sagen“, meinte Trysha und knuffte sie in die Seite.

„Rebecca...“, war die mürrische Antwort und Tryshas Herz machte einen Hüpfer.

„Gut, ich bin Trysha“, erwiderte sie und beobachtete wie die Kleine sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Gemeinsam verließen sie den Shop und Trysha ging mit ihr Richtung U-Bahn.
 

Lefti stand alleine in der Gasse. Sollte Trysha doch mit der Göre machen, was sie wollte! Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er verstand immer noch nicht, was da gerade passiert war.

Wieso hatte sie so seltsam reagiert? Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

Und wieso war er gerade so ausgerastet? Hätte er nicht einfach fragen können, was mit ihr los war? Ohne sie anzuschnauzen? Aber nein, dazu war er ja nicht in der Lage! Anstatt normal mit ihr zu reden, versteckte er sich hinter seiner großen Klappe.

Wann würde er endlich lernen sie im falschen Moment einfach mal zu zulassen?
 

***
 

Das war also dann die Nummer 6. Ich hoffe es hat euch gefallen und die Gefühle waren nachvollziehbar! >.<



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Wolkenfee
2011-11-29T12:47:21+00:00 29.11.2011 13:47
Hach, der Titel gefällt mir doch schon wieder gut! XD
Die Idee, nach einem Gegenstand zu suchen, den es nur noch einmal gibt, find ich wirklich gut, so hatten sie ja kaum Probleme mit dem Leuten. Aber natürlich muss dann jemand reinkommen und natürlich auch noch ein Kind.
Ich find's irgendwie ein bisschen lustig, wie überfordert Lefti damit ist, den Ladenbesitzer spielen zu müssen.
Die Kleine ist aber auch wirklich klug! Den Streit zwischen Lefti und Trysha finde ich sehr gut dargestellt, vor allem, dass Lefti ja eigentlich auch kein Kind töten will, aber seinen Job machen und vor allem nicht im Gefängnis landen.
Ich versteh allerdings ehrlich gesagt nicht ganz, warum Trysha ihm nicht einfach sagt, dass Rebecca ihre Nichte ist, das würde die Situation sicher einfacher machen. Andererseits würde er ihr vielleicht nicht glauben und irgendwie würde es wahrscheinlich auch nicht zu ihrem Charakter passen, schließlich will sie ja um jeden Presi unabhängig sein.
Ich bin gespannt, wie es jetzt weitergehtmit Trysha und Rebecca und ich frag mich, ob der Vater wusste, dass sie dort in der Gegend wohnt und das ganze irgendwie geplant hat.
LG, Fee
Re-✖✐✖
Von:  Rhabarbertee
2008-02-05T18:27:58+00:00 05.02.2008 19:27
Das Kappii is toll (:
Ich mags wirklich voll wie du schreibst :O
& deine Ideen :D
-sich aber frag, was Lefti's Aufgabe is & warum seine 'freundin' drann glauben musste- >.<

Naja (: Freu mich aufs weiterleresen <3


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