Das etwas andere Zauberduell
"Du bist was?" fragten Hermine und Harry wie aus einem Mund und
starrten den vor ihnen sitzenden Jungen unglaubwürdig an.
"Ja", schluchzte Neville, "ich bin ... schwul." Er
würgte das letzte Wort fast heraus.
Hermine fasste sich als erste wieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.
"Aber das ist doch nichts, dessen man sich schämen müsste",
beruhigte sie ihren Klassenkameraden. "Und Hilfe können wir dir da auch
nicht geben."
"Darum geht es auch gar nicht", heulte Neville erneut auf.
"Ich ... ich war mit ... mit meinem Freund zusammen, und ..."
"Wer ist es denn?", fragte Ron gespannt.
"Ron", rief Hermine erbost, "das ist doch wirklich alleine
Nevilles Sache! Red weiter, Neville."
Während Ron ein beleidigtes Gesicht machte, fuhr Neville in seiner
Erzählung fort.
"Also, wir waren zusammen, und ... und da kam plötzlich Malfoy und
..."
"Malfoy?", fragte Harry erschrocken. "Hat er euch etwa
gesehen?"
Neville nickte unter Tränen. "Er hat uns ... uns beide gesehen, aber
erkannt hat er nur mich."
Die drei Schüler starrten sich entsetzt an. Ron fand als erster die Sprache
wieder. "Neville hat Recht, wir müssen ihm helfen. Malfoy erzählt es
bestimmt in der ganzen Schule rum", sagte er, worauf Neville nur noch
lauter weinte. "Wir müssen Malfoy daran hindern."
"Und wie willst du das anstellen?", fragte Hermine bissig.
"Wir müssen ihn halt irgendwie einschüchtern", schlug Ron vor.
"Als ob Malfoy sich dadurch abhalten ließe."
"Vielleicht unternimmt er ja auch gar nichts", meinte Harry
schwach, aber daran mochten sie alle nicht so recht glauben. Und sie sollten
Recht behalten. Am nächsten Morgen sah Hogwarts genau so aus wie immer, doch
jedes Mal, wenn jemand hustete, flammte für vier Sekunden auf den Wänden die
Aufschrift "Longbottom ist ein Homo" auf. Da fast permanent jemand
hustete, leuchteten die Wörter dauerhaft auf und brannten sich so in das
Gedächtnis der Schüler.
"Dieser Mistkerl!" Ron zitterte vor Wut so, dass ihm während des
Frühstücks ständig der Haferbrei vom Löffel fiel.
Malfoy saß am Tisch der Slytherins in der Großen Halle, unterhielt sich mit
seiner Freundin Maggie Parker und lachte aus vollem Hals. Harry wusste ganz
genau, worüber die beiden sich amüsierten.
Maggie Parker war eine Jahrgangsstufe unter ihnen und bereits seit einem
halben Jahr mit Draco befreundet. Sie sah unglaublich schön aus, hatte ein
glattes Gesicht, braune schulterlange Haare und unterstützte Draco in allen
Gemeinheiten gegen Gryffindor.
Nach dem Frühstück hielt Ron Malfoy auf, doch dieser lachte nur. "Bist
sauer, dass du es auf diese Weise erfährst, Weasley, was? Hast gedacht, du
könntet beim Lahmarsch landen. Pech für dich, er hat schon 'nen Freund."
Hermine und Harry hielten ihren Freund an den Schultern zurück, bevor dieser
sich auf Malfoy stürzen konnte.
"Keine Aufregung wegen der Schrift, Weasley. Die hält nur
vierundzwanzig Stunden."
Das war eine halbe Ewigkeit. Innerhalb eines Tages kannte die gesamte Schule
die Wörter bestimmt auswendig. Schon jetzt wurde Neville von allen Seiten
angestarrt.
"Das können wir ihm auf keinen Fall durchgehen lassen. Diesmal ist er
zu weit gegangen", kochte Harry. Hermine stimmte ihm zu.
"Malfoy tut gerade so, als wenn es ein Verbrechen wäre, schwul zu
sein", meinte Ron. "Dabei könnte er es genauso gut sein."
"Ron, du bist ein Genie." Hermine strahlte ihn an, als ob sie ihn
umarmen und nie wieder loslassen wolle.
"Ich hab doch gar nichts gesagt." Ron blickte fragend zu Harry,
doch der zuckte nur mit den Schultern.
"Ich habe eine Idee, wie wir es Malfoy heimzahlen können", sagte
Hermine begeistert, um im nächsten Augenblick kleinlaut hinzuzufügen:
"Ich weiß aber nicht, ob du da wirklich mitmachen willst, Harry."
"Warum sollte ich nicht?", fragte Harry. "Um Malfoy eins
auszuwischen würde ich alles tun."
Hermine sah ihn ernst an. "Harry, du müsstest ihn küssen."
Die beiden Jungen starrten ihre Freundin an. Sie waren kalkweiß.
"Das ... das ist nicht dein Ernst", flüsterte Harry, um im
nächsten Augenblick, als wolle er sich seine Worte selbst bestätigen, laut
aufzulachen. "Du machst Spaß."
"Nein, mache ich nicht", schüttelte Hermine den Kopf, und Harrys
Lachen verstummte.
"Du kannst doch nicht ernsthaft wollen, dass Harry Malfoy küsst",
regte sich Ron auf. "Was ist das denn für eine bescheuerte Idee?"
"Hört zu", sagte Hermine, beugte sich vor und erklärte ihren
Plan.
*****
Nach dem Mittagessen fing Hermine Malfoys Freundin ab, die nicht sehr erfreut
darüber war, daß sie aufgehalten wurde.
"Was willst du, Granger?"
"Du solltest lieber dafür sorgen, dass dein sauberer Freund seine
Finger von meinem Freund lässt", fauchte Hermine.
Maggie verschränkte die Arme vor der Brust. "Und wer ist dein
Freund?"
"Harry."
Maggie zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Ach, du bist mit Potter
zusammen. Das wusste ich gar nicht."
"Du weißt sehr vieles nicht", erwiderte Hermine. "Zum
Beispiel, dass du Malfoy im Krankenflügel besuchen kannst, wenn er nicht
aufhört, Harry zu befummeln."
"Du redest Hippogreifmist, Granger", sagte Maggie. "Du
gehörst ins St. Mungo's. Draco würde sich eher selbst den Arm abbeißen, ehe
er was mit deinem Macker anfängt."
"Wenn du meinst. Ich habe jedenfalls gehört, wie sie sich für heute um
Mitternacht unten in den Kerkern verabredet haben. Und ich für meinen Teil
werde persönlich dort anwesend sein, um deinem Malfoy zu zeigen, was es heißt,
sich mit mir anzulegen."
Nach diesen Worten drehte sich Hermine um und ging davon. Sie sah nicht mehr,
dass Maggie sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe tippte.
*****
Zur gleichen Zeit eilte Harry hinter Draco her, der von seinen Leibwächtern
Crabbe und Goyle flankiert wurde, und stieß ihm beide Hände gegen den Rücken.
Draco taumelte nach vorne, während Crabbe und Goyle sofort reagierten und Harry
festhielten. Der blonde Slytherin drehte sich um und Harry, der im festen Griff
von Dracos Bewachern zappelte, rief: "Du erbärmliches Stück Dreck!"
Draco kam auf Harry zu. "Suchst du wieder Ärger, Potter?"
"Diesmal hast du den Bogen überspannt. Das mit Neville war eindeutig
zuviel", keuchte Harry.
Draco hustete und grinste Harry unverschämt ins Gesicht, als die Schrift
aufglühte.
"Zauberduell. Heute um Mitternacht in den Kerkern. Und zwar nur wir
beide allein. Keiner sonst."
"Einverstanden", stimmte Draco zu. Auf einen Wink von ihm ließen
Crabbe und Goyle Harry los. Harry starrte Draco hasserfüllt an. "Ich werde
dich töten", sagte er.
"Ich freu mich drauf", zischte Draco überheblich zurück.
*****
Harry stieg in die Kerker hinab. Im gesamten Schloss war es dunkel. Sein
Magen war ein dicker harter Klumpen und ihm war fürchterlich schlecht, wenn er
an die bevorstehende Begegnung dachte. Doch dann rief er sich alle glücklichen
Momente in Erinnerung, die er sich vorstellen konnte. Malfoy durfte nichts
merken.
Draco war bereits da. Er war ohne seine Leibwächter erschienen, woran Harry
bis zuletzt gezweifelt hatte. Hätte er sie mitgebracht, wäre Hermines Plan
gleich zum Scheitern verurteilt gewesen.
Der Gryffindor-Junge stellte sich dicht vor seinen Rivalen. "Hier bin
ich", sagte er.
"Ich sehe es. Hoffentlich hast du vor lauter Angst nicht deinen
Zauberstab vergessen."
"Ach, Malfoy", seufzte Harry mit einem Lächeln und blickte Draco
aus liebevollen Augen an, während dieser misstrauisch die Augen zusammenkniff.
"Um mit dir fertig zu werden, benötige ich doch keinen Zauberstab."
Noch bevor Draco reagieren konnte, hatte Harry ihn umarmt und ihn auf den
Mund geküsst. Harry wurde speiübel, aber er rechnete damit, dass Hermines Plan
funktionieren würde.
Ungläubig glotzte Draco ihn an und fragte gefährlich leise: "Bist du
verrückt geworden, Potter?"
"Ja", antwortete Harry, "verrückt nach dir."
Er umfasste Dracos Hinterkopf und drückte seine Lippen gegen Dracos,
während seine andere Hand Dracos Brust streichelte. Der Slytherin riss entsetzt
die Augen auf und stemmte seine Hände gegen Harrys Schultern, um ihn
wegzudrücken. Zu Harrys Schrecken gelang ihm das auch, also wechselte Harry
rasch die Position seiner Hand, die soeben noch mit Dracos Brust beschäftigt
war, legte sie seinem Feind auf den Rücken und zog ihn näher an sich.
Harry hatte das Gefühl, als müsse er sich jeden Moment übergeben. Das war
so ziemlich das ekelhafteste, was er in seinem ganzen Leben getan hatte. Zweifel
stiegen in ihm auf. Was war, wenn Hermines Plan doch nicht funktionierte?
Verdammt, wo blieb sie? Warum dauerte das so lange? Was, wenn sie überhaupt
nicht erscheinen würde?
Doch schon im nächsten Augenblick erkannte Harry, dass seine Sorge
unberechtigt war, denn schon gellte die kreischende Stimme von Maggie Parker
durch den Kerker, die wütend Malfoys Namen rief. Die beiden Jungen spritzten
auseinander, und Harry versteckte sich vorsichtshalber in einer Nische, während
Maggie zornbebend auf ihren Freund zumarschierte.
Draco war feuerrot im Gesicht. "Maggie, ich ... tu täuscht dich, es war
..."
"Halt dein Maul, du verlogenes Arschloch", fiel sie ihm schreiend
ins Wort. "Mit dir bin ich fertig. Ein für allemal. Dich lustig zu machen
über diesen Trottel Longbottom, dabei bist du keinen Knut besser. Du kannst dir
eine neue Freundin suchen, wenn du das überhaupt nötig hast. Schließlich hast
du ja Potter."
Maggie machte kehrt und ging, doch Draco lief hinter ihr her und fasste sie
am Arm. "Hör mal, Maggie, das war ..."
Abrupt drehte sie sich um. Draco sah ihren Faustschlag gar nicht kommen. Er
krachte so heftig gegen seine Wange, dass Draco glaubte, sie habe ihm den
Knochen gebrochen. Laut aufschreiend stürzte er zu Boden und riss dabei eine
Ritterrüstung mit sich, die mit ohrenbetäubendem Geschepper neben ihm auf die
Erde fiel.
Maggie sah Draco von oben herab an und knirschte: "Ich werde dafür
sorgen, dass ganz Hogwarts von deinen perversen Neigungen erfährt. Wie man das
macht, weiß ich. Das habe ich ja von dir gelernt." Ohne ein weiteres Wort
ging sie davon.
Draco war außerstande sich zu rühren. Er lag wimmernd auf dem Boden und
hielt sich das Gesicht.
Harry wagte es nicht, aus seinem Versteck zu treten. Hermines Plan war
tatsächlich geglückt. Sie hatte sich gedacht, dass Maggie Draco den Laufpass
geben würde, wenn sie ihn mit Harry zusammen erwischte. Innerlich jubelte der
Gryffindor. Es hatte alles geklappt. Endlich hatte Malfoy seine längst
verdiente Abreibung erhalten.
Plötzlich hörte Harry Schritte, und er drückte sich noch tiefer in die
Nische. Das gehörte nun gar nicht zu Hermines Plan, dass noch jemand
auftauchte. Harry konnte nur hoffen, dass er nicht entdeckt wurde. Wenn Snape
nun in den Kerker kam und ihn aufspürte, würde er bestimmt nicht so glimpflich
davonkommen.
"Mr Malfoy, wie können Sie es wagen?", vernahm Harry die Stimme
von Professor McGonagall. Sein ganzer Körper verkrampfte sich.
"Ich dachte, ich hätte Ihnen im ersten Schuljahr unmissverständlich zu
verstehen gegeben, was ich von nächtlichen Ausflügen im Schloss halte. Was
fällt Ihnen ein, mitten in der Nacht nicht nur hier herumzuspazieren, sondern
auch noch so einen höllischen Lärm zu veranstalten? Vierzig Punkte Abzug für
Slytherin und weiter zwanzig Punkte Abzug dafür, dass ich gleich nicht sofort
wieder ins Bett gehen kann, sondern erst noch eine Eule an Ihren Vater schicken
muss."
Harry riss die Augen auf. Das lief ja noch besser, als er erwartet hatte.
"Professor", jammerte Draco, "es war nicht meine Schuld.
Potter hat ..."
"Oh nein", donnerte die Hauslehrerin von Gryffindor, "nicht
schon wieder. Ich habe es endgültig satt, dass Sie für sämtliche Ihrer
Verfehlungen Mister Potter verantwortlich machen wollen. Sie sollten endlich
lernen für Ihre Fehler auch selbst Verantwortung zu übernehmen. Aber dazu
haben Sie während der Strafarbeit, die Sie sich morgen bei mir abholen werden,
genug Gelegenheit."
"Aber Professor ..."
"Ich will kein Wort mehr hören", polterte McGonagall. "Ihr
Hauslehrer und Professor Dumbledore werde ich natürlich auch über Ihr
skandalöses Verhalten der heutigen Nacht in Kenntnis setzen. Und jetzt marsch
ins Bett mit Ihnen."
Harry biss sich so fest in den Arm, dass es schmerzte, um einen Lachanfall zu
unterdrücken. Er linste aus der Nische und sah, wie Professor McGonagall den
armen Draco vor sich herschubste. Dabei schimpfte sie wie ein Rohrspatz.
Sobald die beiden außer Sicht waren, lief Harry tiefer in die Kerker hinein,
den Arm vor seinen Mund gepresst. Er lief so lange, bis er sicher sein konnte,
dass niemand ihn hören konnte. Dann fing er aus vollem Hals an zu lachen. Der
Gang dröhnte von seinem Gelächter, doch er konnte einfach nicht aufhören. Er
lachte und lachte bis er Bauchschmerzen bekam. Nachdem er sich etwas beruhigt
hatte, lief er gekrümmt vor Bauchschmerzen zurück zu seinem Schlafsaal, wo er
sich ins Bett legte und eine halbe Stunde das Gesicht in sein Kissen drückte
und weiterlachte.
ENDE