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Sinnlos

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Sinnlos
 

Wie immer sitzen die beiden in dem kleinen gemütlichen Café, in dem sie sich schon seit zwei Jahren in jeder ihrer gemeinsamen Mittagspausen treffen.

Gerade erzählt er ihr von einigen Ereignissen der letzten Tage. Dabei ertönt immer wieder sein vergnügtes Lachen. Sie jedoch reagiert lediglich mit einem müden Lächeln, den Blick auf die Tasse in ihren Händen geheftet.

„Was ist eigentlich los mit dir?“ fragt er plötzlich ernst. „Du bist heute so still.“ Besorgt mustert er sein Gegenüber.

Sie schüttelt nur leicht den Kopf. „Es geht mir einfach nicht so gut.“

„Das merke ich! Du bist ganz anders als sonst.“ Behutsam ergreift er ihre Hand, doch nach einem kurzen Augenblick schon entzieht sie sich dieser Berührung wieder. „Was bedrückt dich? Du kannst mir alles sagen, das weißt du.“

Er sucht ihren Blick und tatsächlich schaut sie auch endlich einmal auf. Doch es ist, als würde sie ihn gar nicht sehen. Ihre Augen sind so erschreckend leer. Das lebendige Feuer, das immer darin brannte, scheint erloschen. Was kann das nur bedeuten?

„Mir erscheint nur alles so sinnlos.“ Sie spricht ganz leise. in ihrer Stimme liegen Trauer und Bitterkeit, die er nie zuvor an ihr bemerkt hat.

„Was“, fragt er vorsichtig nach, „was erscheint dir sinnlos?“

„Alles! Die Arbeit, die Wohnung, der Computer, das Auto… Einkaufen, essen, schlafen… Alles! Sogar du und ich.“ Sie seufzt leise, schaut aus dem Fenster. „Vor allem ich… Mein ganzes Leben…“

Er bekommt Angst. Woher kommt nur diese plötzliche verzweifelte Melancholie? Das passt doch gar nicht zu seiner Schwester!

„Dein Leben – du bist doch nicht sinnlos!“ Energisch widerspricht er. „Du doch nicht! Überleg doch mal! Du hast einen ausgezeichneten Schulabschluss und einen sehr guten Beruf, der dir Spaß macht. Dabei verdienst du auch noch viel Geld und musst dir um nichts Gedanken machen. Du bist klug, schön, aufgeschlossen, selbstbewusst, mitfühlend, zuverlässig… Und du hast so viele gute Freunde. Was ist an deinem Leben sinnlos?“ Er sucht nach weiteren Worten, weiteren Argumenten, die seine Schwester von diesem Gedanken abbringen könnten.

Sie jedoch blickt weiter schweigend aus dem Fenster. Zäh fließt dort draußen auf der Straße der Verkehr dahin. Eine graue Straße in einer grauen Stadt, die sie einmal geliebt hat… Kalter Regen klopft an die Scheibe und verschleiert die Sicht.

„Und was bringt mir das alles?“

Diese plötzliche Frage überrascht ihn. Er weiß nicht, was er antworten soll.

„Welchen Wert hat das alles denn schon? Auch alles Geld der Welt macht einen Menschen nicht glücklich. Vielleicht würde mir ein anderer Beruf mehr Freude machen und wäre dabei weniger anstrengend. Trotz alle der guten Eigenschaften, die du eben aufgezählt hast, finde ich keinen Freund. Dabei bin ich es so leid, allein zu sein! Und meine Freunde…“ Sie bricht ab.

Geduldig wartet er, bis sie fortfährt.

„Meine Freunde…“

In ihrem Gesicht erkennt er Zweifel.

„Ich frage mich so oft, was sie wirklich von mir denken“, erklärt sie leise, noch immer ohne ihn anzusehen. „In Wahrheit kennen sie mich doch gar nicht richtig, wissen gar nicht, was für ein Mensch eigentlich ich bin. Sind sie denn wirklich meine Freunde oder spielen sie mir nur etwas vor? Wie wichtig bin ich ihnen wohl?“

„Laila…“ Er kann es kaum glauben. Was bringt sie nur auf solche Gedanken?

Sie fährt mit ihren Überlegungen fort.

„Wie wichtig bin ich denn überhaupt? Wer braucht mich denn schon? Wer würde mich vermissen, wenn ich nicht mehr wäre? Bin ich nicht in Wahrheit ganz leicht ersetzbar? Austauschbar? – Überflüssig?“

„Laila!“ Er ist entsetzt. Wie kann sie so etwas auch nur denken? Er will irgendetwas sagen, doch es will ihm einfach nichts Passendes einfallen. Es folgt eine lange Pause.

Dann ein kurzer Blick auf die Uhr und sie steht auf.

„Du musst schon wieder los?“ Am liebsten würde er sie jetzt nicht gehen lassen.

Nickend legt sie das Geld auf den Tisch, für den Kaffee, den sie kaum angerührt hat.

„Rufst du mich heute Abend an?“

„Natürlich tue ich das!“

Er meint es ernst, das wissen sie beide. Doch ebenso weiß sie, dass er es wohl wieder einmal vergessen wird. Und selbst wenn er sie dieses eine Mal doch anriefe, weil er sich heute so große Sorgen um seine Schwester macht, er erreichte sie ja doch nicht. Heute nicht. Und auch sonst nicht mehr.

„Und wir sehen uns morgen?“ Er steht nun auch auf, um sie zu verabschieden.

„Ja, wie immer.“ Eine Lüge, hinter einem schwachen Lächeln verborgen.

„Gut, dann bis morgen…“ Auch er lächelt, aufmunternd. „Nein! Bis heute Abend am Telefon“, korrigierte r sich. „Und lass den Kopf nicht hängen! Es wird schon alles wieder gut.“

„Sicher, du hast Recht.“

Sie umarmen einander zum Abschied.

„Bis dann!“ Sie geht zur Tür, bleibt dann aber noch einmal stehen und dreht sich zu ihm um.

„Leb wohl!“ Diesmal ist ihr Lächeln echt, aber seltsam traurig.

Er will sie noch einmal zurück rufen, irritiert durch ihre letzten Worte, doch in diesem Moment wendet sie sich endgültig ab und tritt hinaus in den Regen. Durch das Fenster schaut er ihr nach, als sie die Straße hinunter geht und schließlich um die nächste Ecke verschwindet. Ein merkwürdiges Gefühl, das er nicht einordnen kann, beschleicht ihn. Ein ungutes Gefühl…

Und endlich weiß er, was er noch hatte sagen wollen:

Ich brauche dich! Für mich bist du unersetzbar, denn du bist einzigartig. Ich würde dich vermissen, sehr sogar! Ich habe nur eine Schwester und die will ich nicht verlieren. Weil ich dich schrecklich lieb habe. Und wer nicht genauso denkt, der hat dich ohnehin nicht verdient.“

Er nimmt sich fest vor, ihr all das heute Abend am Telefon zu sagen. Doch diese Chance bekommt er nicht mehr. Und für den Rest seines Lebens wird er bereuen, diese Worte nicht gleich zu ihr gesagt zu haben.
 


 


 


 


 

~*~-~*~-~*~
 

Nachwort:
 

Die erste Fassung dieser Kurzgeschichte entstand am o2.o5.2oo5. Dies hier ist bereits die zweite Überarbeitung.

Warum ich „Sinnlos“ damals geschrieben habe, kann ich nicht mehr genau sagen. Aber ich denke, dass ich wohl wegen meiner Freunde gerade mächtig deprimiert war. Es fällt jedenfalls in diese Zeit… Und die Gedanken, die die weibliche Figur sich über ihre Freunde macht, passen zu denen, die ich mir damals über meine machte.

Der Gedanke, der mich zu diesem Text bewegte, war, dass man seinen Lieben immer sagen sollte, was sie einem bedeuten. Das kann man meiner Meinung nach nicht oft genug tun. Man weiß schließlich nie, ob man sich nicht gerade zum letzten Mal sieht. Also nutzt eure Chancen! Manchmal kann das sogar ein Leben retten. (Ehrlich! Ich spreche aus Erfahrung! Damals war ich diejenige, die eine andere vor dem Suizid bewahrte – ohne es zu ahnen.)

Nebenbei bemerkt sollte man auch immer aussprechen, was einen stört oder verletzt. Alles in sich hineinzufressen, richtet nur großen Schaden an. Damit ist niemandem geholfen, nicht einem selbst und auch nicht den Menschen, die einen lieben.
 

Noch ein kleiner Hinweis:

Gegen Ende habe ich der jungen Frau doch noch meinen Namen gegeben. Bitte lasst euch dadurch nicht zu irgendwelchen Rückschlüssen auf meine Person verleiten! Ich habe nicht vor, mich umzubringen und hatte es auch noch nie vor. Ich bin nur nicht besonders kreativ, was Namensgebung angeht.

Im Allgemeinen habe ich auch versucht die beiden Geschwister möglichst allgemein zu halten, sodass sie auf jeden von uns passen könnten. Schließlich sollte sich auch jeder von der Intuition des Textes angesprochen fühlen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  NithrilMusic
2008-11-07T10:53:56+00:00 07.11.2008 11:53
ich... weiß nich so recht wo und wie ich anfangen soll...
... irgendwie... ich weiß nicht wie...
... erkenne ich mich in der weiblichen person.. *sfz*

ist... wenn ich das so lese... keine ahnung...
... wie mir aus dem herzen geschrieben :D

favo geb...
Von: abgemeldet
2006-05-18T18:01:11+00:00 18.05.2006 20:01
Also wenn der letzte Absatz nicht gewesen wäre hätte ich dir ja jetzt sowas von die Meinung gegeigt!!! >.<
Ernsthaft... als ich >>Laila<< gelesen habe dachte ich nur:
"Wie kann sie so einen Eru verdammten Schwachsinn denken?"

*grr*
Du hast mich ganz schön geschockt, weißt du das eigentlich?
Ich muss erst einmal aufatmen...
Plöte Kuh :P (anhand des flasch geschrieben 'blöde' siehst du hoffentlich, dass ich es in keinsterweise ernst meine)

Die Geschichte war wirklich toll. Also... wenn man den Schock-Faktor mal außenvor lässt =^-^=
Ich liebe deinen melancholischen Stil... einfach herrlich.
Aber ich muss zugeben... ohne den Namen wäre es vielleicht doch besser gewesen.
Durch den Namen wirkt es doch wieder zu Personen bezogen. (Wo du dir doch so eine Mühe gegeben hattest, die Beiden auf niemand bestimmtes zu fixieren)
Von:  Dystopia
2006-05-18T16:56:57+00:00 18.05.2006 18:56
Melacholisch, wie immer...doch auch, wie immer, mit dem Herzen geschrieben...
*drück*


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