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Des Feuervogels Glut I

von

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Im Ursprung des Feuers

Kapitel 14
 

Tokio (Japan), Stadtrand, Mitte November
 

Funken stoben pulsierend durch die schwelende Dunkelheit. Sengende Hitze erfüllte die Luft und machte jeden Atemzug zur Qual. Ihre Schweißperlen tropften auf das glühende Metall unter ihrem Gesicht und verdampften zischend.

Mit der Linken hielt Mina routiniert die schwere Zange und nahm den glimmenden Metallrohling vom Ambos.

Die Hitze verbrannte den Schmerz.

Sie begab sich zu einem Behälter mit Schlammwasser und benetzte das Material gründlich, bevor sie es zurück in die Glut des Ofens schob.

Die Schlammschicht zog Verunreinigungen aus dem Stahl, denn jede kleinste Schwächezone würde das Endprodukt unbrauchbar machen.

Eine der unzähligen Schmiede-Weißheiten, die die Sechzehnjährige in den letzten Jahren gelernt hatte.

Schwer atmend strich sich die junge Frau eine Haarsträne aus de verschwitzten Stirn. Bereits seit Stunden bearbeitete sie den Stahlrohling, teils mit der mechanischen Ramme, teils von Hand. Ähnlich wie ein Samuraischwert bestand ihr Werk inzwischen aus unzähligen Lagen gefalteten Stahls, bereits jetzt ließ sich die große Kraft spüren, die dem Material innewohnen würde.

Manchmal fragte sie sich selbst, woher sie die unglaubliche Energie nahm, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Doch den Schmerz und die Wut im glühenden Metall zu ersticken war bereits oft ein Wundermittel gewesen – und zudem ein gutes Trainingsprogramm. Und Aggressionen hatte sie mehr als genug.

In der flimmernden Luft rief sie sich das Bild des jungen Russen vor Augen, war er doch Hauptursache allen Übels.

Sein respektloses Verhalten war zweifelsohne geschauspielert gewesen, doch waren seine Worte verletzend gewesen – oder gerade deswegen?

Doch es schien sich irgendetwas anderes, etwas Größeres zwischen sie geschoben zu haben. Jede schlichte Berührung mit ihm entfachte Höllenqualen, jeder seiner Blicke durchdrang sie und schien eine neue Brandnarbe auf ihrer zermarterten Seele zu hinterlassen. Liebend gerne würde sie einfach aus Tokio verschwinden, weit weg von hier ein neues Leben beginnen…wäre da nicht ihre Aufgabe. Sie hatte geschworen, ihr Leben dafür zu geben, sollte es notwendig sein. Und sie würde sich von keinem Schmerz der Welt davon abhalten lassen. Dazu war sie zu zäh, ihr Stolz und ihre Würde zu groß.

Apropos Würde, ihre groteske Ausrede von vorhin im Stadion entlockte ihr ein herablassendes Grinsen. Vielleicht war es beruhigend, zu wissen, dass wohl niemand unmittelbar nach ihrem Aufenthalt die Toiletten des Stadions ersucht hatte. Und abgesehen von Alex konnte ohnehin niemand ihre Sauklaue entziffern. Der Amerikaner würde den Mund halten, so viel war sicher. Doch Verstauen schenkte sie ihm trotzdem nicht.
 

Kritisch beäugte sie den Schimmer des glühenden Metallstücks, bewegte ihn in im Feuer und holte ihn mit einem gekonnten Ruck wieder heraus. Um ihre Kräfte zu schonen, begab sie sich nun damit zur Ramme und bearbeitete es weiter. Funkenregen ergossen sich jedes Mal über ihre dicken Handschuhe, wenn der mechanische Hammerkopf nach unten schmetterte.

Die kräftezehrende Arbeit hatte sich gelohnt, bereits jetzt konnte sie das im glühenden Stahl erkennen. Ein besonderer Schimmer hatte sich über das Metall gelegt.
 

Die Schmiede war bereits seit zwei Jahren ihr Zuhause, falls man das so nennen konnte.

Eigentlich hatte sie nie eine richtige Lehre angetreten. Sie hatte hier lediglich ein Zimmer gemietet und war Meiser Doi das ein oder andere Mal zu Hand gegangen, um sich etwas dazuzuverdienen. Nach und nach hatte er sie in die Feinheiten der Schmiedekunst eingewiesen, einen großen Teil ihres Fachwissens hatte sie sich auch selbst beigebracht.

Und, so bestätigten Dois Gespräche mit seinen Lehrlingen, lernte sie verdammt schnell. Das war nichts Neues für die junge Frau, es handelte sich hierbei um eine hart erlernte Lektion aus ihrer Vergangenheit. Und dennoch lehnte sie das Angebot einer festen Einstellung ab. Es würde ihre Freiheit und Flexibilität gefährden und somit ihre Aufgabe, ganz gleich was der Schmiedemeister sagte oder dass sie besser und talentierter war als jeder Azubi.

Abgesehen davon war ihr jetziges „Spezialgebiet“ ein vollkommen anderes als die Japanischen Küchenmesser und Schwerter Dois.
 

Dann schaltete Mina die Ramme aus und begutachtete ihr Werk. Die etwas kleinere Stahlplatte war etwa einen Zentimeter dick und hatte die Größe einer Handfläche. Das meiste würde später zwar als verschnitt enden, doch steckte unendlich viel Arbeit in jedem Quadratzentimeter des Materials.

Noch war die Prozedur nicht abgeschlossen, es fehlte die endgültige Form und die abschließende Härtung. Also schob sie das Metallstück zurück ins Feuer.

Sie durfte jetzt keinen Fehler machen, denn das Bauteil musste seinen Zweck um jeden Peis erfüllen. Sollte Kai tatsächlich seinen Plan durchziehen, so gab es keine andere Wahl.

Einige Minuten verstrichen und der Stahl erreichte die nötige Temperatur. Sorgfältig platzierte Mina ein Relief unter der Ramme. Allein dessen Anfertigung hatte tagelange Arbeit beansprucht und würde danach unbrauchbar sein – das Bauteil somit ein Unikat werden. Sie hatte nur diese eine Chance.

Selbstsicher holte sie die beinahe weißlich glühende Metallplatte aus dem Ofen und legte die über das Halbrelief, zog die schwere Eisenzange zurück und tätigte einige präzise Hammerschläge mit der Ramme. Dann platzierte sie ein zweites Relief passgenau auf dem immer noch glühendheißen Stahl und schlug das Metall in seine endgültige Passform. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass alles auf dem Millimeter genau an der richtigen Stelle saß, entfernte Mina die inzwischen etwas angeschmolzenden Passformen und den Verschnitt.

Abermals begutachtete sie ihr Werk.

Das Ergebnis war so, wie es besser nicht sein konnte. Makellose, perfekte Geometrie, gleichmäßige Verarbeitung des Materials, keine Ränder oder Rückstände der Reliefs.

Genüsslich leckte sich die Blauhaarige über die Lippen. Doch nun musste das Metall erst einmal erkalten, damit seine Form an Stabilität gewann. Die Härtung musste wohl oder übel bis morgen warten aber das war auch gut so.
 

Mit einem Seufzer hängte Mina die wuchtige Schürze, Handschuhe und die übrige Schutzkleidung über den Harken am Ausgang der Schmiede und lief zügig über den Hof der Anlage. Die drei Schmieden befanden sich separat vom Wohnbereich der Anlage, um die Brandgefahr einzudämmen. Und abgesehen davon konnte man bereits draußen die Hitze der Feuer spüren.

Die Transsylvanierin erreichte das Hauptgebäude, glitt durch die Tür und eilte lautlos die Gänge entlang bis zu ihrem Zimmer. Sie wollte nicht gesehen werden, geschweige denn jemandem zu begegnen. Außerdem hielt sie ihre Tür stets verschlossen, sowohl wenn sie nicht da war, als auch wenn sie schlief (wobei letzteres nicht allzu oft vorkam).

Beiläufig drehte die den Schlüssel herum, betrat den kühlen Raum und schloss die Tür hinter sich wieder ab. Die Einrichtung war notdürftig und schlicht aber dennoch: sie hatte ihren Reiz. In einem Regal stapelten sich allerhand Bücher, ein Schreibtisch befand sich vor dem kleinen, staubblinden Fenster. Ihr 0815-Bett war in die Ecke geschoben und wurde vom etwas baufälligen Kleiderschrank versteckt. Von dort aus blickten ihr zwei goldene Opale entgegen. Die von einer nachtschwarzen Haartracht umschmeichelte Gestalt, der agil geformte Körper – ein Bildnis vollkommener Perfektion. Nachdenklich drehte Lucius den Kopf auf die Seite, als ihre kalte, blasse Hand zärtlich darüber stich. Die Lichtreflexe seines Fells veränderten sich unter ihrer Berührung und ein sanftes Schnurren verlautete die Zufriedenheit des Tieres.

Home, sweet home, dachte die junge Frau sarkastisch und ging zur schmalen Tür zu ihrer Linken. Es handelte sich um einen Durchgang in ein kleines Badezimmer. Einen Durchgang zum Korridor gab es von dort aus nicht, man konnte es nur von ihrem Zimmer aus betreten. Scheinbar hatte sie einfach mal Glück gehabt, als sie auf Wohnungssuche war. Selbst das Essen hier bekam sie gewissermaßen umsonst, die Miete für die kleine äumlichkeit war niedrig und ihr Gehalt ihrer Meinung nach etwas zu großzügig.
 

Ihre verschwitzten Kleider glitten an ihrem Körper hinab und landeten auf den kalten Fliesen. Mit geschlossenen Augen öffnete sie ihre Steckfrisur und fuhr einige Male mit den Händen durch die Schwarzblaue Haartracht. Vom Bändigen hatten sich Locken gebildet, doch ganz glatt war ihr Haar ohnehin nie.

Das kalte, klare Wasser der Dusche benetzte ihre Haut und ließ sie beim Erstkontakt trotz ihres abgestumpften Temperaturempfindens zusammenzucken. Ein paar Topfen perlten sanft ihr Rückrad hinab, bald hüllte das kühle Nass ihren gesamten Körper ein, schmiegte sich formvollendet um ihren stromlinienförmigen Leib und umspielte die zarte Muskulatur, die sich unter ihrer fahlen, leblosen Haut abzeichnete. Ihr Unterleib und ihre trotz der Muskeln erstaunlich schlanken Beine waren auffallend trainiert, dennoch waren ihre Tallie eher zierlich und ihr Körperbau vielmehr anmutig als kräftig.

Die aufgestaute Hitze wich allmählich aus ihren Gliedern, es zeichnete sich eine leichte Gänsehaut ab und ihre Brustwarzen erhärteten. Sie zitterte nicht, spürte die erbarmungslose Kälte nur ansatzweise. Ihr totes Fleisch schien immun gegen die Naturgewalten, mehr und mehr war das Leben aus ihm gewichen und hatte eine leere Hülle zurückgelassen.
 

Schwach atmend genoss sie die Ruhe, jene nach und nach in ihren Körper eingekehrt war. Ihr tägliches Reinigungsritual und die Tatsache, dass ihre Familie sie hier wohl kaum finden würde, waren so ziemlich das einzig Wohltuende in ihrem Leben. Vergangenheit wie Gegenwart hatten sichtbare und unsichtbare Spuren hinterlassen, Wunden, die ihren Charakter prägten und wohl niemals ganz verheilen würden. Zwar trug sie die ledernen Handschuhe, die sich bis unterhalb ihres Ellenbogens ziehen ließen, nicht ohne Grund: Es zogen sich tiefe Narben über die blasse Haut. Doch waren sie rein gar nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen ihr angetan hatten.

Beiläufig strich sich die junge Frau über ein paar der schlecht verheilten Schnittwunden an den Innenseiten ihrer Handgelenke, Zeitzeugen ihrer Vergangenheit. Der Terror würde niemals ganz vorbei sein, doch fand sie in Seijiro Dois Schmiedewerkstatt etwas Ausgleich und Abgeschiedenheit von den Menschen. Einer Rasse, zu der sie niemals hatte dazugehören dürfen. Tagtäglich hatte jeder von ihnen dazu beigetragen, sie aus der Gesellschaft auszuschließen. Man hatte sie bis an den Rand des Wahnsinns und mehrfach bis in den Selbstmord getrieben, hatte die physisch und verbal gefoltert und ihr nach und nach alles geraubt, was ihr anfangs noch hatte menschliche Züge verleihen können. Freundschaft, Vertrauen, Glücksgefühl, Liebe, zuletzt den Willen zum Leben hatte sie eingebüßt, diese Tugenden waren in ihrer Einsamkeit in Vergessenheit geraten und zusammen mit ihrem alten Leben endgültig in ihrem jetzigen Leben beerdigt worden. Es war vorbei. Es gab nur noch sie, Mina Kimberly Blaze, die herrschende Kühle. Von ihr war nur noch eine rücksichtslose, gefühlskalte Kampfmaschine übrig, die sich selbst in einer diabolischen Hassliebe vergötterte. Sie war allein in ihrer dunklen Einsamkeit und niemand würde jemals zu ihr hinunter in die Abgründe dieser Welt, jenseits alles Menschlichen, hinab begeben. Sie würde abgeschottet und isoliert von hier aus zusehen, wie sich die Menschen gegenseitig in ihren Untergang trieben und verendeten, irgendwie fand sich eine gewisse Befriedigung im Leid dieser bizarren Wesen. Und vielleicht war es ihr erst durch ihre Abgeschiedenheit möglich, die Primitivität dieser Spezies zu erkennen – sie war trotz ihrer Vereinsamung froh, kein Teil dessen Systems zu sein. Auch wenn es niemand außer ihr wahrnahm, sie war etwas weitaus Besseres als die Menschen und sah diesen Begriff derweilen bereits als Beleidigung an.
 

Doch verstehen würde es niemand können, sie war auf ewig dazu verdammt, ihr Dasein als die Einsame zu fristen, von allen gehasst und verstoßen, ertrinkend in der eigenen Hassliebe und isoliert von all jenen Gefühlen, die sie niemals hatte erleben dürfen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  SkyAngel
2006-07-01T15:33:12+00:00 01.07.2006 17:33
also ich muss Freixi echt mal recht geben ... *-*
ich kann nru jedesmal staunen wenn ich ein neues deiner kapitel lesen tue ... sie sind immer der wahre immer und nicht immer die selben ... die von ff zu ff bei den anderen ist ...

mach weiter so ... *.*
Von:  I_Scream_Party
2006-06-30T19:07:49+00:00 30.06.2006 21:07
Vierte *lol*
Also das kapi is wieder sowas vol cool!!! *schwärm*
Das mit Mina muss ich umbedingt wissen!!
Schreib schnell weiter *kaum noch erwarten kann*
Das ist voll spannend die story und so!!!^^
also bis zum nächsten ja!?

cu, *knuddel* Koni-chan
Von:  sweetangle
2006-06-29T13:53:07+00:00 29.06.2006 15:53
Das war ja mal wieder ien hammer kapi!!!!
IOch bin beeindruckt.
Schreib schnell weiter.
Ich muss wissen was mit Mina genau ist.
Ist sie ein Vampir???
Weil es ja im Text verscheiden andeutungen gab.
Totes Fleisch usw.
freu mich schon auf fortsetzung.

bussi sweety
Von: abgemeldet
2006-06-29T09:25:23+00:00 29.06.2006 11:25
Whoa...schreiben kannst du mindestens genauso gut wie zeichnen! Endlich mal ein Thema, das nicht in jeder zweiten Fanfic behandelt wird. Etwas anderes eben. Gefällt mir sehr sehr gut. Ich hoffe du hältst bis zum Ende durch! Wäre ansonsten wirklich schade drum. Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel! ^^ Liebe Grüße!
Von:  Lampow
2006-06-28T22:54:33+00:00 29.06.2006 00:54
Erste!
Das ist erschütternd, was man von Mina da erfährt in deinem neuen Kapi. Sehr erschütternd. Wüßte voll gerne, für was Mina das angefertigt hat und was das überhaupt bewirken soll.
Aber das erfahren wir sicher alle im neuen Kapi, wenn es on ist.
Auf jeden Fall wirst du von Kapi zu Kapi immer besser und ich finde deinen Schreibstill voll gut. Mach weiter so.

Cu, Saturn - chan


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