Ende oder Anfang...?
Es war ein recht sonniger, angenehm warmer Tag - doch nicht für James Potter. Für ihn war es, als ob es seit mindestens zwei Jahren eisiges Regenwetter herrschte, und das nur wegen ihr - dieser verflixten Lily Evans!!
Seit der ersten Klasse hatte er ein Auge auf sie geworgen, doch leider beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit; im Gegenteil, sie schien ihn über alles zu verachten, nur selten brachte er sie dazu, mit ihm zu reden, und wenn er es doch mal schaffte, dann waren es Worte tiefster Abneigung.
James seufzte und fuhr sich gedankenverloren mit der Hand durch die Haare. Wieso um alles in der Welt musste sie nur so verdammt dickköpfig sein?! Es war zum Verrücktwerden; er wusste, dass eine Menge Mädchen in ihn verliebt waren, doch ausgerechnet die eine, die er mochte, verabscheute ihn.
"Was ist los mit dir, Prongs?" James schreckte auf und bemerkte, dass seine drei Freunde direkt vor ihm standen und ihn anscheinend schon die ganze Zeit beobachtet hatten. "N - nichts weiter", erwiderte er hastig, doch als er die Mienen auf ihren Gesichtern sah, fügte er halblaut hinzu "Nichts, was euch interessiert zumindest... gehts dir wieder besser, Moony?"
Remus Lupin nickte sachte mit dem Kopf. Er sah noch ein wenig blasser aus als sonst und einige Kratzer hoben sich von seiner ohnehin schon hellen Haut ab, doch nichtsdestotrotz lächelte er breit. "Schon wieder okay. Madame Pomfrey ist schon mit viel Schlimmeren fertig geworden..."
Gestern war wieder eine Vollmondnacht gewesen. James erinnerte sich an Remus' Verwandlung, die ihm solche Schmerzen zubereitete, und ihm versetzte es einen leichten schuldbewussten Stich, wenn er daran dachte, wie viel Spaß Sirius und er dabei hatten, wenn sie über das Schulgelände streiften. Remus war eigentlich eher ein Musterschüler und musste so gut wie nie nachsitzen - ganz im Gegenteil zu James und seinem besten Freund.
Sirius sah auf die Uhr, die an der Wand des Gryffindor-Gemeinschaftsraumes hing und wandte sich an die anderen drei: "Halb elf... wir sollten besser zu den Kerkern, Slughorn rastet aus, wenn wir nochmal zu spät kommen." James nickte, in Gedanken immer noch an gestern, die aber sofort wieder zu Lily schweiften und machte sich eilends mit Sirius und Remus auf den Weg. "He-hey, wartet auf mich!!", quiekte Peter Pettigrew und stolperte ihnen hinterher.
Eine halbe Stunde später waren alle Schüler bereits fleißig am Brauen, bis auf James, der anscheinend wichtigeres zu tun hatte.
"Hey, Evans!", zischte er und warf eine tote Raupe, die eigentlich für seinen Zaubertrank bestimmt war, nach dem roten Haarschopf vor ihm. "EVANS!"
Er sah, wie Lily bebte; gleich würde sie wieder einen Wutausbruch haben, doch dann würde er wenigstens noch einmal die Chance haben, mit ihr zu reden... er schnappte sich eine Raupe von Sirius' Tisch, da er seinen Vorrat bereits verbraucht hatte und schnippte sie, ohne auf die Proteste seines besten Freundes zu achten, nach vorne.
Lily zuckte zusammen, ließ sich aber sonst nichts anmerken und braute mit zusammengebissenen Zähnen an ihrem Trank weiter. "Als nächstes einen Löffel Krötenessenz", las sie mit außergewöhnlich lauter Stimme vor, damit er ja nicht auf den Gedanken kam, sie würde ihn beachten.
"Das macht sie mit Absicht!!", heulte James auf und schüttete ein ganzes Reagenzglas voller Raupen aus, nahm sie in beide Hände und ließ sie über Lily regnen. Ha! Jetzt musste sie sich einfach umdrehen!
Doch er hatte sich zu früh gefreut: Ohne mit der Wimper zu zucken stopfte Lily ihre Schulsachen in die Tasche, ließ die Raupen mit ihrem Zauberstab verschwinden und sagte laut: "Professor Slughhorn, mir ist schlecht. Ich glaube, ich vertrag diese Dämpfe nicht. Könnte ich kurz an die frische Luft?" "Natürlich, meine Liebe, natürlich...", murmelte der fette Zaubertranklehrer. Sie wollte sich gerade zum Gehen umwenden, als er noch hinzufügte: "Aber sie sollten nicht alleine gehen... Mr Potter, wären sie so nett..?"
STRIKE!!!!! Sehr bemüht, gelangweilt und gleichgültig zu klingen, antwortete James: "In Ordnung, Sir", doch er konnte ein seeeehr breites Grinsen nicht verbergen.
Lily schien starr vor Entsetzen zu sein. Kaum fähig, den Mund bewegen zu können, krächzte sie "D... das ist doch nicht nötig, Professor ---" Doch Slughorn schüttelte den Kopf und strahlte sie an. "Aber Miss Evans, sie werden sich doch nicht alleine auf dem Schulgelände aufhalten wollen? Es gibt Kraturen, mit denen hilflose Mädchen wie sie nicht fertig werden...."
"Wenn der wüsste, wozu die alles fähig ist", raunte James Sirius zu, der breit grinste. Jahh, mit Lady Lily's Zauberkünsten hatten sie schon Erfahrung gemacht...
"Aber- ich- ich..." "Komm schon, Evans, hör auf den guten alten Onkel Sluggy", flüsterte er ihr zu. Sie warf ihm einen Blick tiefster Verachtung zu, der sein Lächeln ersterben ließ.
Slughorn, offenbar fest überzeugt von der Vorstellung, sei ein vollkommen wehrloses kleines Mädchen und nicht die siebzehnjährige Jahrgangsbeste, setzte eine Miene auf, die es strikt unmöglich machte, zu widersprechen, also gab Lily schließlich auf. Sie seufzte laut und lief dann mit großen Schritten los, schnell folgte James ihr.
"Hey, Evans!", rief er, sobald sie den Kerker verlassen hatten und sich nun auf dem Gelände befanden. "Schrei nicht so!", fauchte Lily und trat einige Schritte auf ihn zu. "Schrei nicht so. Ich will nicht, dass man uns hört..." Sie kam ihm so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten, schlang ihre Arme um ihn und-
"POTTÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ~R!!!!" James zuckte zusammen, sah auf und bemerkte, dass sie beiden vor der geschlossenen Tür zum Zaubertränke-Klassenzimmer standen. Lily funkelte ihn an und er fragte beklommen "Äh- wa...was?" "SPIEL NICHT DEN UNSCHULDIGEN!! ICH WEISS GENAU, DASS DU SCHON WIEDER IGENDWELCHEN SCHMUTZIGEN FANTASIEN NACHGEHANGEN HAST, GIBS ZUUUUUUUUU!!!", brüllte sie ihn an und begann, alles in ihrer Umgebung, das nicht auf irgendeine Weise abgesichtert war, nach ihm zu werfen.
Rasch duckte sich James vor einem Reagenzglas, das knapp an seinem Kopf vorbeisegelte und meine gespielt gekränkt: "Also, mir kommts nicht gerade so vor, als ob dir nicht gut wäre, Evans..." "Ich - das...!!!", fing Lily an, packte einen Wälzer über Pflanzen der Tiefsee und pfefferte ihn ihm ins Gesicht. "Du weißt genau, warum...!!" "Nein, weiß ich nicht", sagte er anklagend, grinste aber. "Ach, dann wurde ich also seltsamerweise ganz allein mit diesem toten Viechzeugs überflutet, ja?!" "Ach, daaas...." James grinste noch breiter, entschlossen, dieses Gespräch so lange wie möglich fortzuführen. "Ich dachte schon, du hättest es nicht bemerkt, hast ja nicht reagiert."
Lily schien einen Augenblick lang sprachlos, dann schnaubte sie laut auf, drehte sich um und stapfte wütend davon, doch James ließ sich nicht so leicht abschütteln. Schnell hastete er ihr hinterher.
"Evans, du nimmst mir das noch nicht übel... oder?" "Neeeiin", meinte Lily sarkastisch, "neeiiin, es ist doch lustig, von irgendwelchen toten, stinkenden, modernden, halb verrotteten ekelhaften Krabbelviechern beballert zu werden... wie hättest du reagiert, Potter?!"
James überlegte einen Augenblick. Dann erwiderte er wahrheitsgetreu: "Wahrscheinlich hätte ich demjenigen einen Fluch aufgehetzt, der mir die Raupen gegen den Kopf geworfen hätte-" "Als obs nur der Kopf gewesen wäre..." "-aber das kannst du gerne noch nachholen", schloss er großmütig. Lily hob misstrauisch die Augenbrauen. "Wirklich?" "Nääh, war nurn Scherz", sagte er schnell und grinste dann breit.
Lily Mundwinkel zuckten gefährlich. Wollte sie ihm irgendeine schnippische Antwort an den Kopf werfen... oder war das etwa der Anflug eines Lächelns? Doch keines von beiden traf zu; stattdessen seufzte sie nur schwer und drehte sich um, sodass er sie nur noch von hinten sehen konnte.
Was für schöne, dunkelrot leuchtende Haare sie doch hatte... James hatte noch nie so einen wunderschönen Hinterkopf gesehen... er betrachtete sie genau. Ihre Figur war gerade richtig.. sie wirkte so zierlich und zerbrechlich, aber gleichzeitig unheimlich feminin... Urplötzlich verspürte er das dringende Verlangen, sie in den Arm zu nehmen und ihr alles zu sagen... wie sehr er sie liebte... wie Leid es ihm tat, dass er schon unzählige andere Freundinnen gehabt hatte, nur um sie eifersüchtig zu machen.. warum er sich jahrelang wie der letzte Vollidiot benommen hatte, nur um ihre Aufmerksamkeit zu wecken....
Doch schein Körper schien wie gelähmt; es fiel ihm schwer, einen Finger zu rühren. "Evans...", begann e und ihm fiel das erste Mal in seinem Leben auf, wie viele Muskeln nötig waren, um zu sprechen. "W... was?" Lily zuckte zusammen, anscheinend hatte sie auch gerade etwas überlegt.
Ein kleiner Hoffnungsfunke leuchtete in James auf, der aber sofort wieder erlosch. Sie hatte sicher nicht an ihn gedacht, und wenn doch, dann waren es bestimmt Pläne, wie sie ihm das Attentat mit den Raupen heimzahlen könnte.
"Ach.. nichts", murmelte er und sah mit den Händen tief in den Taschen auf den Boden. Er würde ihr nicht noch eine Gelegenheit zum Schreien bieten... eine lange Weile sagte keiner von ihnen etwas, bis Lily das Schweigen bracht. "Also... gehen wir jetzt raus oder willst du hier Wurzeln schlagen?!"
James wollte seinen Ohren nicht trauen. Hatte sie das gerade wirklich gesagt?! LILY?! Verdutzt frage er: "Wie... wie bitte?!", doch sie drehte sich zurück, sah ihn an und schüttelte den Kopf. Eine Strähne dichten roten Haares fiel ihr ins Gesicht. "Naja.. wir können auch hier stehen bleiben.." Ihre Stimme hörte sich plötzlich ungewöhnlich hoch an.
Unwillkürlich fiel James ein, was Sirius einmal gesagt hatte: "Wenn du ein Mädchen wirklich willst, dann warte, bis sie dir die passende Gelegenheit gibt und küss sie - bis sie keine Luft mehr kriegt! Da sagt KEINE nein!~"
Ein leises Lächeln huschte ihm übers Gesicht - Sirius, der Womanizer, hätte das sicher getan, aber er... das Grinsen verging ihm, als er daran dachte, wie Lily auf so eine heftige Anmache reagieren würde. "Woran denkst du schon wieder?!"
James zuckte zusammen und sah, dass sie ihn beobachtet hatte - nicht schon wider, gleich würde sie ihn zum fünfhundertsechsundzwanzigtausendvierhundertsechszehnten Mal für einen perversen Bock halten und einen ihrer berühmt-berüchtigten Wutanfälle bekommen.
Er bereitete sich schon seelisch auf das Donnerwetter vor, das ihn erwartete, doch- nichts geschah. Lily sah ihn nur ernst an. "Weißt du Potter... eigentlich würde ich ja gar nichts gegen dich haben... du bit sogar ganz nett... wenn du dich nur nicht immer so idiotisch verhalten würdest... diese dreckigen Tagträume-"
"Hey, ich hab keine dreckigen Tagträume!! ..... meistens zumindest..." "-diese ständig wechselnden Freundinnen", fuhr sie fort, ohne auf seinen Einwurf zu achten. "Die hatte ich doch nur, weil-" "Und dieses ständige Rumschubsen von Snape-" "Du kannst ihn doch auch nicht leiden..." "DAS TUT JETZT NICHTS ZUR SACHE!!", fauchte sie, doch jetzt war es James entgültig genug. Die ganze coole Hülle fiel urplötzlich von ihm ab und er schrie zurück: "Sag mal, bist du jetzt nur hier, um an mir rumzumeckern, oder was?!?"
"NEIN!! ICH HAB NUR GEMEINT, DASS DU DAS GANZE MACHO-GEHABE GAR NICHT NÖTIG HAST!!" "DANN SAG DAS DOCH EINFACH SO!!" "NUR WEIL SOLCHE HOHLKÖPFE WIE DU ZU DÄMLICH SIND, UM DAS WEIBLICHE DENKEN ZU VERSTEHEN-" "ICH BIN NUNMAL EIN MANN, TUT MIR JA LEID, FRÄULEIN EVANS!!"
Sie starrte ihn zornig funkelnd an, die Wangen gerötet, er starrte genauso wütend zurück. Plötzlich schoss es ihm durch den Kopf "Wenn das jetzt nicht klappt, dann bringe ich Sirius eigenhändig um...!!"
Dann ging er entschlossen einige Schritte auf Lily zu, und noch bevor sie irgendetwas sagen konnte, schloss er sie in seine Arme und presste seinen Mund auf ihre Lippen- ihr ganzer Körper wurde starr vor Schreck, doch sie wehrte sich nicht...
Schließlich, einige - wie es James vorkam - viel zu kurze Momente später löste er sich schließlich von ihr. "Du kannst mir jetzt meinetwegen gerne eine scheuern, wenn du willst...", murmelte er mit heißerer Stimme. Sein Herz schlug ihm so fest gegen die Rippen, dass es wehtat. Er hatte es wirklich getan~ jetzt würde Lily ihn auf ewig hassen...
"Warum hast du das getan...?", fragte sie mit schwankender Stimme. James war sich nicht sicher, ob sie weinte oder ihre Wut unterdrückte. "Weil ich...", er schluckte noch einmal hart, "Weil ich dich... weil ich dich liebe, Evans!"
Das war es. Über sechs Jahre lang hatte er es nie sagen können - nicht einmal zu sich selbst oder Sirius, doch jetzt, nachdem es raus war, klangen die Worte immer noch in seinen Ohren, und seine Stimme klang so fremd.
Eine Weile sagten beide nichts, bis Lily schließlich das Schweigen bracht. "So ein Blödsinn", zischte sie und rauschte an ihm vorbei. James konnte deutlich hören, wie sie noch einmal laut schluchzte, bevor sie um die nächste Ecke verschwand.
