Vorbemerkung:
Spoiler
Der folgende Text stellt für mich in erster Linie eine Übung für die Uni dar.
Dort belege ich derzeit das in meinen Augen super spannende, tolle Fach mit dem viel zu langen Namen "Biodiversität: Natur- und Artenschutz", welcher aber sehr gut zusammenfasst, worum es darin eigentlich geht.
Ich persönlich liebe dieses Fach abgöttisch (wollte ja auch als Kind immer "Naturschützerin" werden :///3), obwohl es manchmal auch echt deprimierend ist. Schließlich werden uns dann nebst vielen Tatsachen, die schon allgemeinhin bekannt sind auch so einige Zahlen usw. um die Ohren gehauen, die mich doch ziemlich schockiert haben. Frei nach dem Motto "Ich wusste ja, dass es schlimm ist - aber SO schlimm??"...
Nun hatte ich im Zuge einer Vorlesung vor den Ferien ein bisschen über die besprochenen Dinge getwittert und infolge dessen der lieben Aku_chan einen ausführlicheren Weblog-Eintrag dazu versprochen, an dem ich mich nun einfach mal versuche. :D
Die Inhalte sind natürlich diejenigen, die uns in der Vorlesung vermittelt wurden. (Sollte ich noch Onlinequellen hinzufügen, werd ich das entsprechend linken. :3)
Und nun wünsche ich euch viel Spaß (naja... xD) und hoffe, dass sich vielleicht doch ein paar Leute für diese Dinge interessieren, das hier lesen und weiterverbreiten. Denn ich werde in meinem Text Zahlen nennen, die imo einer viel, viel breiteren Masse bekannt sein sollten und durchaus Potential haben, ordentlich zum Nachdenken anzuregen.
(Wohlgemerkt: Wenn ich Dinge äußere wie "Man sollte Naturschutz ernst nehmen", etc., ist das natürlich nur mein Standpunkt. Ich kann und will niemandem was aufzwingen. ;3)
Es wird für meinen Weblog natürlich nicht ganz so sachlich formuliert, wie ich es täte wenn es wirklich für die Uni wäre.
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"Wenn wir die Natur auf das reduzieren,
was wir verstanden haben,
sind wir nicht überlebensfähig."
Hans-Peter Dürr (*1929), dt. Physiker
|
Der Weltraum.
Unendliche Weiten.
...
...Moment.
Falscher Text.
Oder vielleicht auch nicht, denn immerhin ist unser* schöner Planet, die Erde, ja selbst ein kleiner Teil dieser Unendlichkeit.
Und der blaue Planet hat bekanntlich die größte Besonderheit weit und breit zu bieten: Leben.
(*Und schon eingangs merkt man, wie egoistisch wir Menschen doch sind. Streng genommen sollte man schließlich meinen, "WIR gehören der Erde" und nicht "die Erde gehört UNS". Oder? ;D)
Das Leben auf der Erde an sich verteilt sich bekanntlich auf verschiedenste Ökosysteme.
Also räumlich begrenzte Systeme, die von Lebewesen und deren Lebensräumen (Biotopen) gebildet werden. [1]
Biotope können z.B. bestimmte Regenwälder, Wüsten, verschiedene Gewässerarten, Moore, Höhlen etc. pp. sein. Man nennt das auch Biotoptypen.
Städte und andere "urbane Lebensräume" werden als so genannte "künstliche Ökosysteme" bezeichnet. Sie sind vom Menschen erschaffen und verbrauchen Rohstoffe (grundlegend: Energie, Frischluft, Wasser) aus ihrer Umgebung. Gleichzeitig produzieren sie aber auch Müll, Abwässer, Abgase, Staub etc. bis hin zur Bildung von Dunstglocken. (Siehe industrielle Ballungsgebiete, Megastädte etc.) Der Naturschutz nennt künstliche Ökosysteme wie Städte deswegen "'Ökoparasit' des Umlands", wobei der "Mensch" das Hauptproblem darstellt.
Smog-Dunstglocke über Peking (links, Bild 1) und Satellitenaufnahme aus 700 km Höhe (rechts, Bild 2).
So weit, so logisch.
Auch logisch und allseits bekannt ist, dass der Mensch weitaus mehr Ressourcen verbraucht als er müsste. Oder den Verbrauch ungerecht bzw. suboptimal verteilt. (Reich vs. arm.) Oder einfach die falschen Ressourcen für die falschen Dinge nutzt. (Z.B. Nahrungsmittel zur Treibstoffgewinnung.)
Bild 3: Anteile an Weltbevölkerung und Privatkonsum
Ebenso, dass es durch "uns" erdgeschichtlich gesehen zur Zeit die bisher größten Aussterberaten gibt. Zwar gab es bereits fünf Massenaussterben, aber per Definition reicht für diese Bezeichnung "schon", wenn das Verschwinden der Arten (p. D. mindestens 75%) über einen Zeitraum von über 10000 Jahren geschieht.
Die aktuellen Aussterberaten werden auf 100 bis 1000-mal höher geschätzt "als in frühgeschichtlichen Zeiten". [2]
Bild 4 (oben): Diagramm zur roten Roten Liste der gefährdeten Tierarten in Südtirol. (Stand 2008)
Bild 5 (unten): Diagramm zur Roten Liste weltweit. (Stand 2010)
Bild 6: Living Planet Index der Artenvielfalt der Wirbeltiere | Bild 7: Aussterberaten im Lauf der Erdgeschichte (ohne Massenaussterben)
Der Naturschutz wie auch die Ökologie als solche sind sich dieser Problematik durchaus bewusst.
Wieso also ist es so schwer, auf einen gemeinsamen Nenner und für alle Beteiligten vorteilhafte Ergebnisse zu kommen?
Ein Grund dafür ist zum Einen ein gravierender Unterschied zwischen Ökologie und Naturschutz.
Zwar sind die beiden Begriffe stark miteinander verknüpft - aber während die Ökologie auf wertneutralen Erkenntnissystemen beruht, d.h. die Systemzusammenhänge in der Natur beschreibt, bildet der Naturschutz eine handlungsorientierte Disziplin aus so genannten "wertbezogenen Handlungssystemen". Was nichts anderes heißt, als dass Naturschutz immer eine subjektive Angelegenheit ist. Denn neben den fachlichen Fakten wird er natürlich zu nicht zu unterschätzenden Teilen von gesellschaftlichen Bewertungsprioritäten sowie gesellschaftspolitischen Zielen und natürlich der Wirtschaft beeinflusst.
Und wie das nun mal bei subjektiven Dingen so ist, gehen die Meinungen und Grundsätze natürlich auch hier zwischen verschiedenen Leuten und Ländern teilweise doch sehr weit auseinander. (Man nehme nur mal den Klassiker "Japan und der Walfang".)
Hinzu kommt etwas, was nun auch den Teil der Ökologie verkompliziert:
Hier gibt es zwei verschiedene Denkansätze unter Ökosystem-Forschern, was den Zusammenhang von "Vielfalt" und "Stabilität" betrifft. In beiden Fällen wird ein Ökosystem mit einem Flugzeug gleichgesetzt.
Im so genannten Nietenmodell stellt jede Art eines Ökosystems, wie der Name schon sagt, eine Niete in den Tragflächen dar. So ist es schon ein Problem oder eine empfindliche Schwächung, wenn bereits zwei weniger vorhanden sind.
Im Passagiermodell hingegen entsprechen die einzelnen Arten den Menschen im Flugzeug. D.h., es ist im Grunde egal, wie viele fehlen, so lange die Schlüsselindividuen (aka Besatzung) bestehen bleiben. Wenn hingegen der "Pilot" fehlt, kommt es zur Katastrophe, wobei ganz egal ist, wie viele "Passagiere" fehlen...
An diesen beiden Modellen sieht man natürlich sofort, wie das Problem der Subjektivität und unterschiedlichen Ansätzen sich äußern kann.
Aus der Subjektivität an sich entstehen als weitere Problematik Nutzungskonkurrenzen.
D.h., wo manche Leute die vorhandenen Biotope für schützenswert erachten, wollen andere eben lieber Wohnraum und Infrastruktur schaffen, die Gegend für Sport oder andere Freizeitaktivitäten erschließen oder sie ganz einfach für die Landwirtschaft nutzen. Bei letzterem sind natürlich v.a. Gebiete für Großproduktionen kritisch zu betrachten, wo der Ertrag womöglich weit über den letztendlichen Verbrauch hinaus geht und somit mehr Fläche genutzt (= umgestaltet) wird als eigentlich wirklich nötig wäre.
Zum Thema Ressourcennutzung/Ausbeutung der Erde hatten wir auch einen interessanten Vergleich, was den Verbrauch der verschiedenen Länder betrifft. Dort hieß es, dass wir zum Fortbestand unserer eigenen Art ganze 5! Erden bräuchten, wenn alle Völker der Erde einen ähnlichen Verbrauch wie die UAE (United Arab Emirates) und die USA hätten... @__@"
Bild 8: Screenshot aus dem Film "Plastic Planet"
Des Weiteren liegt eine Ursache für Unstimmigkeiten beim Naturschutz noch schlichtweg in den Begrifflichkeiten.
Denn viele Dinge sind einfach widersprüchlich benannt. Kein Wunder, immerhin liegt eine solche Widersprüchlichkeit schon im Begriff "Naturschutz" selbst.
Laut Definition ist nämlich "Veränderung" ein elementares Merkmal der "Natur". So gesehen würde man im Naturschutz also bemüht sein, "Veränderung zu schützen", was aber ja genau das Gegenteil von dem ist, was wirklich geschieht. In der Regel zielt Naturschutz ja gerade darauf ab, "unerwünschte" Veränderungen zu verhindern, d.h. den bestehenden Zustand eines Lebensraums zu erhalten. So gesehen, bedeutet "Naturschutz" heutzutage in den meisten Regionen der Erde eher "Kulturlandschaftsschutz", da die meisten freien (= waldlosen) Flächen ebensolche Kulturlandschaften, also durch den Menschen geprägte Landschaften, sind. Diese Entwicklung hin zu durch den Menschen genutzte Landschaft nennt man übrigens "Homogenisierung der Landschaft", was bedeutet, dass es nur sehr wenige, nutzungsorientierte Lebensraumtypen gibt, was obendrein oft (zu ~75%!) mit Übernutzung einher geht.
Diese Homogenisierung hat stets mehr oder minder große Auswirkungen auf die Ökosysteme, welche fachlich gegliedert werden in Flächen-, Barriere- und Randzoneneffekte.
Flächeneffekte bedeuten eine Ausdünnung naturnaher Biotope (weniger, kleiner) bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensfeindlichkeit des Umfeldes. (Sehr einfaches Beispiel: Biotope in Stadtparks o. dgl.)
Beim Barriereeffekt behindern so genannte Mobilitätshindernisse wie z.B. Straßen die Raumdynamik vieler Arten, sie verringern ihre Nutzflächen oder erschweren den Wechsel zwischen selbigen. (Stichwort "Wildwechsel".)
Randzoneneffekte bewirken dabei schärfere Grenzen zwischen den Lebensraumtypen. (Randzonen sind z.B. die naturbelassenen Säume zwischen einem Wald und einem Feld.)
Bild 9: Barriereeffekt "Straße" und Lösungsansatz Grünbrücke
Und schlussendlich steht alltäglich gesprochen ja auch irgendwie der große, evil Grundsatz of doom: "Geld regiert die Welt". Aber das nur am Rande.
(Ernsthaft, es ist doch traurig, dass erst ein Herr Frederic Vester ein Buch namens "Der Wert eines Vogels" veröffentlichen muss, in dem er dem "Nutzen" eines Vogels einen finanziellen Wert zuordnet, damit im Jahr 1983 dann doch mal endlich ein bisschen mehr Aufmerksamkeit dem Wert von Arten zukommt... ">__>)
Das erstmal zu den Problemen des Naturschutzes, wenn es um die Interaktion mit anderen Disziplinen geht.
Eine Schwierigkeit innerhalb des Naturschutzes selbst ist dann noch, dass es oft nicht einfach ist, eindeutige, feststehende Einschätzungen über den "ökologischen Wert" eines Gebietes zu treffen. Der Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass bis heute nur ein eher geringer Teil der auf der Erde lebenden Arten erforscht oder auch nur entdeckt sind. Besonders beeindruckend sind die Zahlen bzgl. "Erforscht"/"Entdeckt"/"Schätzung unentdeckter Arten" bei den Insekten, wobei jene entdeckten Arten für sich schon circa 80% aller bisher entdeckten Tierarten ausmachen. [3]
Die "genauen" Zahlen aus der Vorlesung hab ich grad leider nicht zur Hand, kann sie aber bei Interesse natürlich gern nachtragen, wenn ich aus den Ferien zurück bin. ;)
Was die Einschätzung der wirklichen Artenzahlen auf der Erde erschwert sind Faktoren wie z.B.
- Organismen, die sich aufgrund bestimmter Faktoren (z.B. Jahreszeit, Geschlecht) von ihrer Normalform unterscheiden; z.B. die Meeresschnecken Murex brandaris und Trunculariopsis trunculus, deren Gehäuse je nach der Ökologie der Umgebung unterschiedliche Formen und Farben haben können
- die Überschreitung der Artengrenzen durch Kreuzungen wie z.B. das Maultier (Pferdestute x Eselhengst) oder den Liger (Tigerin x Löwe) und die daraus resultierende Notwendigkeit,
- klarzustellen, bis wo Art A geht und ab wo Art B anfängt.
Es gibt auch Arten, die nur sehr selten genauer aufgelistet sind, weil sie einfach sehr schwer zu bestimmen sind. Dieses Phänomen betrifft z.B. besonders oft die Nematoden (Fadenwürmer).
Insgesamt sind jedenfalls nur ca. 3% der 1,7-1,8 Millionen Arten (Zahlen variieren je nach Quelle mitunter stark), die uns heute bekannt sind, untersucht und in Hinblick auf ihre Gefährdung bewertet. (Wie so oft liegt es auch hier mal wieder am Geld aka Mangel an gut bezahlten Arbeitsplätzen im Bereich jener Forschungen. Generell war man bzgl. dieser Dinge schon immer hauptsächlich auf freiwillige Ehrenamtler angewiesen.) Dies ist auch der Grund dafür, weshalb man bei eher geringen Anzahlen "gefährdeter" Arten nicht einfach aufatmen sollte! Immerhin ist bei den übrigen 97% der wahre Gefährdungsgrad gar nicht bekannt. (Bzgl. der Anzahl der unentdeckten Arten schwanken die Schätzungen extrem, man vermutet -auch hier je nach Quelle- die Wahrheit liege irgendwo zwischen 8- bis 100 Millionen Arten weltweit. (Pflanzen eingeschlossen.))
Trotz aller genannten Probleme, die dem Naturschutz "entgegen stehen", lässt sich doch nicht abstreiten, dass er nicht einer gewissen Notwendigkeit entbehrt. Ich denke bzw. hoffe mal, dass wir uns da alle mehr oder weniger einig sind. :)
Und zu den fachlichen Gründen dafür komme ich jetzt.
Bild 10: Die häufigsten Gefährdungsursachen bedrohter Arten in Südtirol (Stand 2008)
Zunächst einmal muss man natürlich betonen, dass "Artensterben" nicht nur (heute aber dennoch zum Großteil) vom Menschen verursacht wird.
So gibt es z.B. eine Pilzerkrankung (entdeckt 1998 und erstmalig in Deutschland nachgewiesen im Jahr 2009 [4]), die seit einigen Jahren ein weltweites Amphibiensterben verursacht hat - mit teils enormen Folgen für die Biodiversität der betroffenen Ökosysteme. Innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeitspannen hat der Pilz mehrere Arten tropischer Frösche gänzlich ausradiert. [4] Und obwohl der Pilz nun schon recht lange bekannt ist und großen Schaden angerichtet hat, wurde seine Wirkungsweise erst Mitte/Ende 2013 entschlüsselt. Kurz gesagt blockiert er wichtige Teile des Immunsystems. [5]
Für manche klingt das alles immer nicht so dramatisch, aber frei nach dem Motto "Und im eeeewigen Kreeeiiis ♫" kann selbst das Aussterben einer kleinen Art das gesamte Gleichgewicht des jeweiligen Ökosystems durcheinander bringen. Sei es, weil die aussterbende Art die Population anderer Arten regulierten, welche ihnen als Nahrung dienten, oder weil sie selbst die Hauptnahrung einer besonders angepassten Art waren.
Und von "einer kleinen Art" kann nun auch wirklich nicht die Rede sein, denn "allein in Panama" rottete der Pilz "40 Prozent aller Froscharten" aus. [5]
Solches zufälliges, nicht vorhersehbares Aussterben durch das plötzliche Auftreten einer derartigen Krankheit oder andere Einflüsse bezeichnet man übrigens als "stochastisches Aussterben", während das vorhersehbare Aussterben (z.B. durch den Menschen aufgrund von exzessiver Jagd) "deterministisches Aussterben" genannt wird.
Die Vorhersehbarkeit eines Aussterbens wird ist vor allem deshalb möglich, weil jede Art bestimmte Minimalansprüche hat, damit ihr Bestand gesichert werden kann. Sie benötigt bestimmte Schlüsselfaktoren (so wie z.B. manche Fische nur in Süß-, andere nur in Salzwasser leben können) und ein so genanntes Minimalareal (die geringste nötige Fläche an Lebensraum), um ihre Art erhalten zu können. Außerdem gibt es den so genannten Mindestbestand: Wird diese, von Art zu Art unterschiedliche, kritische Bestandsgröße unterschritten, kann sich die Art nicht erhalten.
Ein Beispiel für so ein deterministisches Aussterben, das wir in der Vorlesung vorgestellt bekamen und ich sehr interessant fand:
Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es riesige Schwärme von "Wandertauben". Diese Schwärme sollen laut "seriösen Quellen" so riesig gewesen sein, dass sie über Stunden den Himmel verdunkelten! (o.O") Um 1875 machte der Mensch dann exzessiv Jagd auf die Vögel, bis sie, wie heute vermuted wird, ihre kritische Bestandsgröße unterschritten. Es wurde versucht, die Art mittels Käfighaltung zu erhalten, jedoch misslang dies und so verstarb das damals letzte noch lebende Exemplar im Jahr 1914 in einem Zoo in Ohio...
Bild 11 (links): Männliche Wandertaube Bild 12 (rechts): Magenbrüterfrosch*
*Nur 2 Arten des Magenbrüterfrosches aus Ostaustralien wurden erst Anfang der 1970er Jahre entdeckt und gelten schon seit Mitte der 1980er Jahre als ausgestorben.
Ich finde, die Wandertaube ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie rücksichtslos der Mensch damals schon mit anderen Arten umgegangen ist und was für gravierende Folgen das in sehr kurzer Zeit haben kann und auch wenn es so in dieser extremen und v.a. bewussten Form heute vielleicht kaum bis gar nicht mehr vorkommt, sollte es einem doch nach wie vor zu denken geben.
"Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten.
Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen."
Arthur Schopenhauer (1788-1860), dt. Philosoph
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Immerhin sollte man sich bei jeder Art, die von der Erde verschwindet, bewusst sein, dass es genetisch unmöglich ist, sie jemals so wiederherzustellen, wie sie im Originalbestand war.
Zwar ist es möglich, sofern die benötigten Gene zur Verfügung stehen, ausgestorbene Arten mit Hilfe genetisch verwandter Tiere wieder heran zu züchten (was als eine Art von "Klonen" gilt), allerdings steht infrage, wie sinnvoll das ist, da die exakte ursprüngliche Art dennoch nicht wiederherstellbar ist und zudem die Klone nicht lebensfähig sind und bestenfalls ein paar Tage überleben können. Dieser Versuch, Arten wiederherzustellen, wird als Lazarus Projekt oder "de extinction" bezeichnet.
Allerdings kommt es auch vor, dass Arten, die für "ausgestorben" erklärt wurden, wieder aufgefunden werden. Man spricht dann vom "Lazarus-Effekt".
Und: Manchmal werden Arten, die zwar noch existieren, aber deren wirtschaftliche Nutzung sich aufgrund zu geringer Restbestände nicht mehr lohnt, als "kommerziell ausgestorben" bezeichnet. (So gesehen gut für die Art, aber irgendwie finde ich den Begriff nach wie vor irgendwie mies... =__=°)
Um nochmals auf nicht-menschliche Einflüsse zurück zu kommen:
Es gibt z.B. eine invasive Quallen-Art, die so genannte Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi), welche sich von Plankton und Fischeiern ernährt und dabei ähnlich rücksichtslos hinsichtlich jener Populationen vorgeht wie der Mensch mit anderen Arten. Diese invasive Art (= Art, die in Gebiete einwandert, in denen sie ursprünglich nicht beheimatet war, und sich dann in dem neuen Territorium einlebt und ausbreitet und zwar auf schädliche Weise), wurde 2006 erstmals auch in heimischen Gewässern, genauer gesagt der Ostsee, entdeckt.
Für derartige Problem-Arten gibt es sogar eine eigene Liste. Wie die "Rote Liste" der bedrohten Arten, nur eben als "Schwarze Liste".
Bild 13: Einwandererarten von Pflanzen (Neophyten) in der Schweiz. (Stand Januar 2014)
Aber wie ja nun bekannt ist, macht dennoch nichts der Erde mehr zu schaffen als ihre Ausbeutung durch den Menschen.
Die Standart-Beispiele für menschgemachte Probleme sind natürlich Dinge wie Kapitalismus, Korruption usw.~
Zudem gibt es aber auch noch andere, weniger bekannte Faktoren.
Wusstet ihr z.B., dass es unterschiedliche Bezeichnungen für "Nahrungs-Früchte" und "Geld-Früchte" gibt? Nein? Ist aber so, erstere werden "Food Crops" und letztere "Cash Crops" genannt.
Zu besonders gefährlichen, weil wirtschaftlich in vielen Bereichen wichtigen, "Cash Crops" gehört z.B. ein großer, ich nenne es mal "indirekter Feind" v.a. von Regenwäldern in z.B. Malaysia und Indonesien: Die Ölpalme. Ihr Palmöl wird zu verschiedenen Materialien wie Brennstoff oder für Kosmetika verarbeitet und die Plantagen, mit denen besonders arme Länder den reichen Nationen das begehrte Gut produzieren wollen, haben schon enorme Spuren in den Regenwäldern hinterlassen. Sie betreffen z.B. auch Lebensräume von Orang-Utans und anderen bedrohten Arten.
Bild 14 (oben): Ausbreitung der Anbaufläche für Ölpalmen in Indonesien bis 2011
Bild 15 (unten): Entwicklung der Preise für Palmöl auf dem Weltmarkt bis Mai 2013
Doch auch in anderen Bereichen haben die reichen Staaten ihre Finger im Spiel.
So z.B. beim "Land Grabbing", bei dem sie Landflächen von armen Ländern kaufen oder pachten, manchmal sogar ohne einen aktuellen Nutzen daraus zu ziehen, sondern schlicht auch zur Vorsorge wegen des Klimawandels. (Merkt noch jemand die massive Hirnlosigkeit? :D)
Was ich auch sehr "schön" fand:
Dass Viehzucht oft durch hohe Subventionen unterstützt wird, hat man ja immer irgendwie schon mal gehört.
Nur scheint kaum einer den Haken der Sache zu bedenken: Denn das Vieh verbraucht ~40% der weltweiten Getreide-Produktion. So viel zum Thema sinnvolle Ressourcennutzung... uû
Nur leider kann man es dem Menschen evolutiv gesehen nicht mal verübeln.
In unserer Evolution wurde einfach keine Fähigkeit zum "globalen Denken" erworben, sprich der Mensch tut sich von grundauf schwer, "sein unmittelbares Handeln an langfristigen Perspektiven auszurichten".
D.h. menschliches Denken stößt bei starken Vernetzungen von Zusammenhängen mitunter an seine Grenzen und neigt zu unzuverlässigen Vereinfachungen, um die Linearität so gut es geht aufrecht zu erhalten, auf die es geprägt ist.
Zum Glück gibt es aber trotz allem mehr als genug "menschliche" (sozusagen "persönliche") Gründe für den Schutz der Biodiversität, abgesehen von den grausigen wissenschaftlichen Zahlen an sich, welche einen Erhalt der Funktion biologischer Systeme durch Naturschutz notwendig erscheinen lassen. Das geht von einfacher Ästhetik oder Natur-/Kulturgeschichte über Wirtschaft, Wissenschaft (-> Erhalt von Forschungsobjekten) und Ethik bis hin zu Heimatschutz und "Erholung". Wobei man letzteres theoretisch wieder kritisch beleuchten könnte, denn die Frage ist ja doch irgendwie immer "Wie viel Mensch verträgt die Natur?" - ergo wie viele Erholungsuchende Menschen können ein mühevoll erhaltenes Ökosystem besuchen, ohne dass es allein dadurch zu sehr belastet wird? Aber das ist ein anderes Thema.
Und der wichtigste Grund: ATMEN. :D
Ich habe mich zwar überwiegend auf Tiere und Ökosysteme insgesamt bezogen, aber wie wir ja alle wissen sind die Pflanzen mit ihrer Photosynthese auch enorm wichtig für unser aller Leben. Zwei Zahlen verdeutlichen das in besonderer Weise:
- 78%: Nicht Sauerstoff, sondern Stickstoff ist der ursprüngliche Hauptanteil der Erdatmosphäre
- 21%: Nur so wenig Sauerstoff gibt in der Atmosphäre
Das lasse ich mal so im Raum stehen. ;)
Wichtig zu bedenken ist noch, dass die Wissenschaft die Anzahl der für allgemein funktionierende Lebensräume auf der Erde notwendigen Arten bis heute nicht mit Zahlen belegen kann. Fest steht nur, dass der Anteil der Arten, welche vom Menschen genutzt werden, sehr gering ist und dass jede Struktur in der Landschaft eine bestimmte unterstützende Funktion inne hat.
Auf dieser Basis vertritt der Naturschutz allgemein das so genannte Noah-Prinzip: Unabhängig davon, ob die Nützlichkeit einer Art bewiesen ist oder nicht, sollte sich bemüht werden, so viele verschiedene Arten und damit so viel Biodiversität wie möglich zu erhalten. Eben weil niemand mit Gewissheit sagen kann, ob eine Art, die der Mensch (überheblich wie er eben ist) für "entbehrenswert" hält, nicht vielleicht doch ein extrem wichtiges Zahnrad im Kreislauf des Lebens ist.
Zum Schutz der Biodiversität gibt es übrigens zwei grundliegende Taktiken:
Zum Einen die so genannte ex situ Erhaltung, d.h. außerhalb (ex) der natürlichen Lebensräume z.B. in Zoos, Genbanken und Zuchtstationen und zum Anderen die in situ Erhaltung, bei welcher das Sichern ganzer Lebensräume/-gemeinschaften und Ökosysteme sowie die Wiederherstellung von lebensfähigen Populationen bedrohter Arten in deren natürlicher Umgebung im Vordergrund stehen.
Schlussendlich gibt es ein Hauptproblem, das mit allen o.g. Problemen des Naturschutzes einhergeht: Um wirklich ernsthaft Maßnahmen zu ergreifen, muss es zwischen den Beteiligten stets eine "Leitbilddiskussion" geben. Denn es gibt bisher kein Patentrezept, wie man wo heran geht. Nach wie vor basiert alles auf dem guten alten Versuch-Irrtum-Prinzip. Außerdem muss der Bezug beachtet werden (Worum geht es?), die Datenquelle (Forschungsprojekte, Texte etc.) und natürlich die Schlüsselfragen und Probleme.
Einer der entscheidenden Punkte ist, wie der Name "Leitbilddiskussion" schon sagt, natürlich das sektorale Leitbild. Sprich: Wonach richten wir den Naturschutz aus, woran passen wir ihn an, was müssen/wollen wir besonders beachten, etc.
Die gängigen Leitbilder-Sektoren sind:
- historisches Leitbild
- ästhetisches Leitbild
- biotisches Leitbild
- "Natur"-Leitbild
- abiotisches Leitbild (die Medien Boden/Wasser/Luft)
- Nutzungs-Leitbild (behandelt heute v.a. Nachhaltigkeit)
Bild 16: Leitbilddiskussions-Grundlagen im Naturschutz
Es muss anhand der Leitbilddiskussion abgewogen werden, ob man eine Intensivierung der Nutzung eines Gebietes oder eine Intensivierung des Schutzes eines Gebietes anstrebt. So soll es z.B. bei strengen Naturschutzgebieten kein Verfolgen von Wirtschaftszielen geben.
Zu guter Letzt möchte ich euch nun noch ein paar Zahlen um die Ohren hauen.
Nämlich genau jene, die mich eigentlich zu diesem Weblogeintrag verleitet haben.
Wie eingangs erwähnt gibt es ja verschiedene Biotoptypen.
Von diesen gelten zwei Drittel heute als gefährdet.
Diese zwei Drittel wurden in verschiedene Stufen der Regenerierbarkeit eingeteilt:
- 59%: schwer oder nur bedingt regenerierbar
- 35%: nicht oder kaum regenerierbar
- 12%: NICHT regenerierbar
Das heißt im Fazit, dass abgesehen von den 12% im Ernstfall für immer verloren gehenden Biotoptypen auch für die restlichen 88% die Chancen auf Regenerierung tendentiell eher schlecht stehen. Im Worst Case könnten wir (wohlgemerkt wir als EINE Art) es also sogar schaffen, die Biodiversität unserer Erde um mindestens 50% zu verringern. Denn, mal pessimistisch gedacht: Selbst wenn knapp 60% der ggf. verlorengehenden Biotoptypen "nur" schwer/bedingt regenerierbar sind - dazu müsste der Mensch sich erstmal herablassen, um die betreffenden Regenerierungsprozesse überhaupt zu ermöglichen...
Und genau DAS ist der springende Punkt, der das ganze Szenario so bedrohlich macht.
Denn nicht wenige der Regenerationszeiten, die bestimmte Biotoptypen benötigen, kann eine einzelne Generation der Menschheit kaum bis gar nicht planen oder gar gewährleisten. Die folgende Liste zeigt euch ein paar Zahlenbeispiele [6] dazu:
Ihr seht: Naturschutz ist fachlich gesehen weit mitunter doch weit komplexer als man vielleicht mitunter denkt.
Abschließen möchte ich das Ganze mit einem bekannten Zitat der Cree-Indianer:
"Erst wenn
der letzte Baum gerodet
der letzte Fluss vergiftet
der letzte Fisch gefangen
werdet Ihr feststellen,
dass man Geld nicht essen kann!"
|
Danke für eure Aufmerksamkeit.~
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Nachwort:
Spoiler
Ich hoffe, euch hat dieser halbe Roman gefallen, dass er bei all der Länge halbwegs interessant war und ich euch ein paar Dinge zum Thema "Naturschutz" aufzeigen konnte, die euch so vielleicht noch nicht bewusst waren. :)
Bitte entschuldigt, falls es stellenweise etwas abgehackt klingt. Einerseits war die Anordnung der Vorlesungen etwas wirr, was die Themenreihenfolge betrifft, sodass ich recht viel umsortieren musste und andererseits habe ich auch noch ein paar Vorlesungen in dem Modul vor mir, d.h. uns wurde auch noch nicht alles ganz komplett vermittelt. Deshalb hört mein Text auch mehr oder minder da auf, wo wir vorlesungstechnisch vor den Ferien stehen geblieben sind. :'///D
Solltet ihr noch Fragen haben, zu Fachbegriffen oder so, löchert mich ruhig. Ich schreib ja bald Prüfung dazu und kann jede Übung gebrauchen. x3
Abgesehen davon kann ich euch aber auch sehr ans Herz legen, falls euch das Thema weiter interessiert, euch die Links in meiner Quellenangabe (siehe unten) auch mal anzuschauen. :D
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Hauptquelle: Skripte (laut jenen Stand 2011) und (überwiegend) meine (natürlich deutlich aktuelleren xD) Mitschriften zu den Vorlesungen des in der Vorbemerkung erwähnten Moduls in unserer Uni.
Weitere:
[6] *klick* (somit weiß ich nun auch, wo der Dozent seine Fakten her hat |D)