Rot wie Blut von abgemeldet (Die Legende der Shichinintai) ================================================================================ Kapitel 24: Das Bündnis der zehn Heere -------------------------------------- „Es versammeln sich unter der Fahne des Waffenstillstands die ehrenwerten Daimyo Hashimoto-sama, Nobusaka-sama, Kashiwagi-sama, Ikumoto-sama, Arisugawa-sama, Mudoki-sama, Shiro-sama, Monou-sama, Hattori-sama, Mori-sama“, intonierte der offiziell bestellte, neutrale Wortführer mit fester Stimme. Der Versammlungsort war inoffiziell und er war geheim. Eigens für diese Zusammenkunft errichtet, an welcher nur die Daimyo selbst und deren Schreiber teilnahmen, sogar die Leibdiener hatte man fortgeschickt. Die Mienen der Männer waren steinern, entschlossen und abwartend. „Meine Herren“, eröffnete der Daimyo Hashimoto, welcher diese Zusammenkunft initiiert hatte, „ich gehe davon aus, alle, die wir hier versammelt sind, sind uns einig, dass etwas getan werden muss.“ Zustimmendes Murmeln. Der Wortführer begann etwas von einer Schriftrolle zu verlesen. „Der zehnte des ersten Monats im Jahre 1481: Der Daimyo Ikumoto-sama verpflichtete die Shichinintai in der Schlacht gegen das Heer des Damiyo Mori-sama. Das Heer des ehrenwerten Daimyo Mori-sama wurde hingeschlachtet bis zum letzten Manne, nicht in der Notwendigkeit des Siegens, allein in der Freude an Blut und Mord. Sie machten auch nicht Halt vor den Männern des Ikumoto-sama, welche nicht schnell genug hinfortkamen. Ihr Anführer äußerte sich dahingehend, nichts erwähnt zu haben davon, dass nach dem Heer des Mori-sama geendet werden sollte. Die Schäden waren immens. Der 20. des dritten Monats im Jahre 1481: Die Heere der ehrenwerten Daimyo Nobusaka-sama, Mudoki-sama und Hattori-sama wurden ausgelöscht bishin zum letzten Manne, gleichsam wurden infolgedessen 20 000 Hektar fruchtbares Land des letzteren zur Unbrauchbarkeit niedergebrannt. Der dritte des vierten Monats im Jahre 1481: Die Armee des ehrenwerten Daimyo Arisugawa-sama wird kampflos zu erheblichen Teilen Opfer eines Giftanschlages, die Männer, die jenem entgehen konnten, wurden beinahe auf einen Schlag enthauptet, nachdem man ihnen die Genitalien abgeschnitten hatte. Infolgedessen waren 10 000 Hektar Land des Daimyo Arisugawa-sama verseucht und unfruchtbar geworden. Der elfte des vierten Monats im Jahre 1482: Als der ehrenwerte Daimyo Shiro-sama den Shichinintai den Auftrag erteilt, das Dorf Musashi von einer Plage von Harpyien-Yokai zu befreien, werden nicht nur dieselbigen vernichtet, im Zuge dessen auch das ganze Dorf nahezu dem Erdboden gleichgemacht.“ Der Daimyo Hashimoto hob die Hand, um den Wortführer zu unterbrechen. „Dies ist, ehrenwerte Herren, wie Ihr und ich wisst, lediglich eine geringe Auswahl an Grausamkeit und Zerstörung, die die Shichinintai im Osten dieses Landes angerichtet haben und ihre Macht breitet sich immer weiter aus.“ „Das sind doch keine Menschen“, warf der Damiyo Hattori-sama, ein kampferprobter, verlebter Daimyo mit knurrender Stimme ein, „wenn nicht wenigstens der Große ein Yokai ist, dann lauf ich im Kimono durch Edo.“ Verhaltenes Lachen, das so schnell erstarb wie es gekommen war. „Jedenfalls hört man Gerüchte, dass ihr Anführer mit Yokai paktiert und deshalb trägt er die Farbe eines grausamen Himmels in den Augen“, schloss der Damiyo Ikumoto sich dieser Aussage an. „Außerdem gibt es Beobachtungen, nach denen ihr Anführer mit einem seiner Kameraden ganz schamlos in der Öffentlichkeit empörungswürdige Intimitäten austauscht“, grollte der Daimyo Nobusaka mit gerümpfter Nase. „Mich wunderts, was Ihr Euren Spionen sagt, was sie beobachten sollen, wenn sie Euch sowas berichten“, kam es leicht spöttisch von Mudoki, was verhaltenes Gelächter und einen eisigen Blick von Nobusaka zu Mudoki zur Folge hatte. „Was schlagt Ihr also vor?“, wollte Arisugawa schließlich von Hashimoto wissen. „Ein Bündnis von zehn Heeren. Der Waffenstillstand bleibt aufrecht erhalten solange bis die Shichinintai vernichtet sind und für weitere zehn Tage danach. Sie nutzten bisher unsere verfeindeten Lager für ihre Zwecke und so werden wir ihnen entgegentreten.“ Unruhiges Gemurmel machte sich breit. „Und wie bei allen Göttern wollt Ihr das anstellen?“, erwiderte Musashi erregt, „Ihr wisst doch selbst alle, zu was diese Männer in der Lage sind!“ „Zehn Heere sind viele Männer“, erwiderte Hashimoto ruhig, „so vielen werden nicht einmal die Shichinintai Herr werden. Am Ende sind auch sie nur Menschen und am Ende werden sie unserer Übermacht unterliegen.“   ~*~ „Puh, ist das kalt geworden“, meinte Jakotsu fröstelnd und rieb die Hände gegeneinander. „Würd mich nicht wundern, wenns bald schneit“, fügte Renkotsu mit einem Blick zum Himmel hinzu. „Der Schnee ist mir ziemlich egal“, knurrte Bankotsu, „Solang der Boden nicht wieder so gefroren ist, dass man sich bei der geringsten Bewegung elegant aufs Maul legt.“ Die anderen lachten verhalten, denn ihrem glorreichen, furchteinflößenden Anführer war das das letzte Jahr einmal passiert und zu allem Überfluss nichtmal während eines Kampfes oder im Lauf, sondern direkt aus dem Stand (dass er dabei eigentlich nur Jakotsu ein wenig verträumt hinterhergestarrt hatte, wurde jedoch dezent unbeachtet gelassen). Bankotsu hatte damals schon gewusst, dass ihn das bis an sein Lebensende verfolgen würde. „Ich hoffe jedenfalls, dass wir für diese Horde Yokai nicht so lange brauchen, wie für die Viecher neulich. Ich hab wenig Lust, im Schnee nachhause zu laufen“, warf Jakotsu wieder ein, welcher den Versuch, seine Hände ein wenig zu erwärmen schließlich aufgegeben hatte. „Du bist ganz schön verwöhnt“, meinte Bankotsu belustigt mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Ach komm, wir können uns unsere Aufträge doch aussuchen mittlerweile bei den horrenden Summen, die wir verlangen.“ „Wäre mir neu, dass du ne Ahnung von Zahlen hast“, spottete Renkotsu und zeigte ein seltenes schmallippiges Lächeln. Jakotsu streckte ihm die Zunge raus. „Ich weiß, wie viele Annehmlichkeiten und schöne Kleider ich mir leisten kann mit meinem Anteil, das genügt.“ „Und lässt dich dabei regelmäßig von den Händlern übern Tisch ziehen.“ „Was wissen wir eigentlich über die Yokai, die wir vernichten sollen?“, wollte Mukotsu wissen. „Irgendeine niedere Art Pumadämon. Eigentlich hätte es gereicht, wenn drei von uns sich um die gekümmert hätten, aber Hashimoto hat ausdrücklich uns alle angefordert.“ Bankotsu zuckte mit den Schultern. „Ist mir eigentlich wurscht, je mehr von uns gehen, desto höher der Sold, von daher sehen wirs einfach als leicht verdientes Geld.“ „Was ist mit dir, mein Freund, du bist so still in den letzten Tagen?“, sprach Renkotsu Ginkotsu an, der, wie so oft in der letzten Zeit schweigend neben ihnen hertrottete. „Gin hat … schlechte Träume“, gab der Große dann zu. „Vom Krieg?“ „Nicht vom Krieg. Vom Ende.“ „Was für ein Ende, wie meinst du das?“ Doch Ginkotsu hüllte sich in Schweigen. Renkotsu ließ den Blick noch einen Moment nachdenklich auf seinem Freund ruhen und versank dann in eigene Gedanken. Aus irgendeinem Grund hatte er heute Morgen an das Mädchen gedacht, das er zurück gelassen hatte, vor so vielen Jahren. Das ihn gebeten hatte, sie zu ehelichen. Er wusste nicht, was der Anlass war für diesen Gedanken, denn er hatte sehr lange nicht mehr an sie gedacht. Aber zu seiner Überraschung spürte er irgendwie ein gewisses Bedauern, dass er es nicht getan hatte. Auch Suikotsu war ungewöhnlich in Gedanken versunken. Irgendetwas war da in ihm. Etwas, das zu erstarken schien, die gute Seite, die er verloren geglaubt, die ihn vor etwas warnen wollte. Doch er kämpfte sie nieder, seit langem schon, auch wenn es ihn oft schweißnass aus dem Schlaf schrecken ließ, Schattengestalten im Zimmer umhertanzten, die bis zum Morgengrauen nicht vergehen mochten. Er dachte oft daran, wie er mit Jakotsu das Lager geteilt hatte, wie der ihm ein wenig die dunklen Stunden seines wirren Geistes erträglicher gemacht hatte, zu einer Zeit als er sich noch nicht an Bankotsu versprochen hatte mit Haut und Haar. Doch er nahm es hin, denn er wusste, dass sein Ende bald kam. Auf die eine oder die andere Weise. „Hier stinkts nach Dämon“, meinte Kyokotsu irgendwann und Bankotsu pflichtete ihm bei: „Dort vorne ist das Tal, in dem die Höhlen versteckt liegen. Der Zugang ist eine halbe Meile Richtung Westen.“ Die Luft war klar und kalt als sie sich wenig später an den Abstieg machten. Bald war Kyokotsu nicht mehr der einzige, der die dämonische Präsenz wahrnahm, auch die anderen spürten etwas. Renkotsu war derjenige, der dachte, irgendetwas stimmt hier nicht. Und Bankotsu war der, der dieses Gefühl ignorierte. Jakotsu war der, der sich plötzlich auf eine vergessen geglaubte Weise unbehaglich fühlte. Und Suikotsu nahm es hin und Ginkotsu hatte längst seinen Frieden mit der Welt geschlossen und Kyokotsu sah nur die Herausforderung und Mukotsu spürte die Kälte plötzlich wie nie zuvor in seinem Leben. Sie erspähten die Dämonen, bevor die sie erspähten. Damit war der Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Ein Haufen sehr aggressiver Yokai von erstaunlich geringer Zahl, doch genug um sie eine Weile zu beschäftigen. Als sie ausgelöscht waren, alle bis zum letzten Dämon, lag der Gestank von Dämonenblut in der Luft und von Innereien, denn Suikotsu hatte sich mal wieder nach Herzenslust ausgetobt. Sie hatten sich einen kurzen Moment zur Ruhe gesetzt. Machten Witze darüber, wie einfach sie esgehabt hatten und wie blöd diese Daimyo gewesen waren, sie alle anzufordern, wo es doch für ein wesentlich geringeren Sold auch getan gewesen wäre. Sie alle spürten in diesem Moment ganz deutlich die Freundschaft, die Verbundenheit und das Vertrauen, das sie verband. Und doch fühlte jeder von ihnen sich plötzlich alleine. Jakotsu warf Bankotsu einen Blick zu, ließ ihn eine Weile auf ihm ruhen, bis er verschwamm. Warum nur hatte er plötzlich das Gefühl, das war der letzte Tag, den sie gemeinsam noch hatten? Plötzlich war in der Ferne Hufgetrappel zu vernehmen. Langsam nur näher kommend, doch die felsige, karge Umgebung trug das Echo weit voraus. Vermutlich, dachte Bankotsu, war es dieser Hashimoto, der sich mal wieder selbst davon überzeugen wollte, dass sie ihre Arbeit richtig erledigt hatten, wie er es so häufig zu tun pflegte. Das war nichts Ungewöhnliches. Was allerdings ungewöhnlich war, das bemerkten sie alle nach einer gewissen Zeit, war, dass der Daimyo mit erstaunlich vielen Männern geritten kommen musste, beachtete man die Intensität der Huftritte, deren Echo ihnen vorauseilte. Bankotsu sah nach oben und erspähte Hashimoto schließlich. Gekleidet in traditioneller Kriegermontur, mit seinen Insignien und Ehrungen. Ungewöhnlich. Ebenso ungewöhnlich, wie die Anzahl der Männer, die sich neben ihm und scheinbar auch hinter ihm aufgestellt hatten. Irgendetwas in Hashimotos Blick gefiel Bankotsu nicht. Er erspähte eine Bewegung aus dem Augenwinkel und rechts von Hashimoto kam der Daimyo Arisugawa geritten, ebenfalls geleitet von einer Vielzahl seiner Männer – wie viele sie hinter sich hatten, konnten sie von hier unten nicht sehen, aber die Huftritte, die nicht abreißen wollten, sprachen eine Sprache für sich. Und zu ihnen gesellten sich weitere Damiyo mit ihren Heeren, bis sie das Tal U-förmig umstellt hatten. Es waren die mächtigsten unter ihnen und einem jeden hatten die Shichinintai in den letzten Jahren mindestens einen Dienst erwiesen. Die Gefährten sahen sich einen Moment zweifelnd an. Es fing an zu schneien. Bankotsu konnte den eigenen Atem sehen. Dann erhob er die Stimme laut zu den versammelten Daimyo, sodass sie von den Felswänden zurück geworfen wurde: „Was hat das hier zu bedeuten!?“ „Könnt Ihr Euch es nicht denken?“, dröhnte Hashimoto mit kalter und hasserfüllter Stimme und Bankotsu war es, als könne er auch eine Spur Genugtuung heraushören. „Ihr und Euer Trupp von mordgierigen Verbrechern, Ihr seid nicht länger hinnehmbar. Wir werden für Ausgeglichenheit sorgen, indem wir sicherstellen, dass keiner Euch jemals wieder wird anheuern können und werden die Dinge zukünftig unter uns ausmachen.“ Etwas in Bankotsu zog sich zusammen als ihn langsam die Erkenntnis traf. Er schloss einen Moment die Augen, spürte die Blicke seiner Freunde und Kameraden auf sich. Als er die Augen wieder öffnete sah er die schräg in den Himmel deutenden gespannten Langbögen der Soldaten. Er wusste, was das bedeutete. Vor ganz langer Zeit, da hatte er davon geträumt. Dieser Fiebertraum, den er sich nie hatte erklären können. Jetzt war alles so klar. Bankotsu wirkte einen Moment wie festgewachsen. Dann ereilte die anderen Shichinintai ein Befehl, ein einziges Wort, das zu hören von Bankotsu ihnen allen einen eisigen Schauer über den Rücken rinnen ließ. „Lauft!“   ~*~ Ein Regen an Pfeilen ging auf sie hernieder, prasselnd und dröhnend laut. Bankotsu spürte, wie einer hart in seinem Oberschenkel einschlug, ihn leicht straucheln ließ, und einer in seiner Schulter und seinem Arm und nur Ginkotsu, welcher sich im Rennen schützend über ihn, Jakotsu und Mukotsu beugte, verhinderte wohl, dass die Geschosse sofort Herz und Lungen durchbohrten. Bankotsu spürte die Pfeile nicht, er ließ sie, wo sie waren, denn jetzt, jetzt ging es um etwas Wichtigeres als ein paar verirrte Pfeile, jetzt ging es ums Überleben und Bankotsu erinnerte sich daran, dass er vor langer Zeit schon einmal gelernt hatte, dass er nicht unsterblich war. Sein Blick glitt gehetzt und flüchtig zu seinen Gefährten: Jakotsu steckten Pfeile in Hüfte, der Schulter, im Unterschenkel, im Laufen brach er die Schäfte ab, damit sie ihn nicht behinderten - sie alle hatten etwas abbekommen, Ginkotsu jedoch mit seiner Metallpanzerung hatte das meiste davon abfangen können ohne tiefere Verletzungen davon zu tragen. Vielleicht, dachte er, vielleicht gibt es noch Hoffnung. Vielleicht, vielleicht können wir kämpfen und so viele von diesen Verrätern wie möglich mit in den Tod nehmen, wenn es schon sein musste. Wie hatte er sich nur in einen solchen Hinterhalt locken lassen können? Wie nur hatte er seine Gefährten so im Stich lassen können? Wie hatte er als Anführer nur so versagen können? Bankotsu biss die Kiefer aufeinander bis es schmerzte. Hätte er gewusst, dass es etwas geändert hätte, hätte er sich ohne zu Zögern für seine Freunde geopfert. Die berittenen Soldaten brauchen nicht lange, um den Abhang herunter zu gelangen und sie schließlich einzuholen und gegen die Schnelligkeit von Pferden hatten sie keine Chance. So stellten sie sich ihnen und sie töteten unzählige Soldaten, ehe sie die Kräfte verließen, das erste Mal in ihrem Söldnerleben stieß jeder von ihnen an seine Grenzen; Bankotsu war irgendwann kaum mehr in der Lage, Banryu zu halten und ein plötzlicher Hieb mit einem Morgenstern gegen den Oberarm, riss sie ihm endgültig aus den Händen; Verbissen wehrte er sich mit Fäusten, mit Leib und Seele und versuchte gleichzeitig zu sehen, was mit seinen Gefährten geschehen war; Mukotsu hatte man mit einem Hieb in die Beinsehne niedergestreckt und gefesselt, der gab keine Gegenwehr mehr, während sich gleich zehn Mann auf Kyokotsu gestürzt hatten, welcher tobte und brüllte und mindestens zweien von ihnen den Schädel knackte wie eine Walnussschale, doch gegen diese Übermacht brach sogar der Riese ein. Wir haben verloren, dachte Bankotsu, während mit einem Mal alle Kraft aus ihm wich. Verloren. Es brauchte nur noch einen lächerlich leichten Stoß eines der Soldaten und er fiel in den Schnee und stand nicht mehr auf. Die Kälte kroch in seinen Körper und er hoffte, sie mochten es schnell tun, doch diese Gnade sollte ihnen nicht gewährt sein. Die Hufe eines Streitrosses schoben sich in sein Gesichtsfeld. „Ihr wart einmal ein großer Mann, Bankotsu. Kaum zu glauben, so wie Ihr jetzt schwach und blutend im Dreck liegt. Was für ein jämmerlicher Anblick.“ Bankotsu hörte das Rasseln von Ketten und er versuchte die Hände in Schnee und Dreck krallend, hochzukommen, um dem Mann, der für das alles hier verantwortlich war, in die Augen zu sehen. Ehe er es geschafft hatte, den Kopf zu heben, wurde er brutal von mehreren Armen gepackt und in die Höhe gerissen, man legte ihn in Ketten und seinen Gefährten erging es nicht anders. Bankotsu verdrehte den Hals so weit es ging und konnte aus dem Augenwinkel Jakotsus rosafarbenen Yukata erkennen, der zwischen all dem Weiß und Grau und Dunkel herausstach. Die anderen konnte er nicht sehen, sie hatten sie weit voneinander separiert, nur Suikotsu konnte er einmal fluchen hören, doch es erstarb bald wieder. Sie zerrten sie hinter sich her wie Vieh, einen langen Weg, solange, bis Bankotsu, der immer eine immense Ausdauer gehabt hatte, seine Füße nicht mehr spürte, doch er tat ihnen sicherlich nicht den Gefallen, zu stürzen und sich hinter ihnen her schleifen zu lassen. Er wollte sich seine Würde bewahren, wenigstens etwas, wenn ihm schon das Leben nicht blieb und so ging er mit erhobenem Haupt und hochmütiger Miene, obgleich ihm jeder Muskel, jeder Knochen im Körper schmerzte. Dass man sie nicht sofort umbrachte, war wohl ein Teil der Folter. Das Ungewisse. Ließen sie sie hier Wochen, wenn nicht sogar Monate versauern, oder nur bis zum heutigen Abend oder zum nächsten Morgen? Die rostigen Eisentüren schlugen hinter ihnen zu, nachdem man sie mit Fußfesseln an die Wand gekettet hatte. Und dann ließ man sie allein, eine lange Zeit.   ~*~ Durch das vergitterte Rechteck, oben in der Tür ihres Verlieses eingelassen, dringt eine Ahnung von Fackelschein. Bankotsu hat vergessen, wie sich das warme Tageslicht anfühlt. Er hat vergessen, wie lange er schon hier ist. Hier unten verliert man jegliches Zeitgefühl. Das einzige, das er mit Gewissheit weiß, ist, dass der Tag, an dem er das Sonnenlicht wieder erblickt, der Tag seiner Hinrichtung sein wird. Ein leises Rasseln von Ketten ist zu vernehmen, dann ein Körper, der sich zaghaft und tröstend an den seinen lehnt. Er ist ausgemergelt und glüht vom Fieber der Erschöpfung, dem letzten Aufbegehren vor dem Sterben. Die Ketten reichen gerade so. Er spürt, wie sich Jakotsus linke Hand mit seiner Rechten verhakt. „Hast du Angst, Bankotsu?“, dringt die androgyne Stimme zu ihm herüber. Wie hoffnungslos sie klingt. Aber nicht verängstigt. Wo die anderen sind, das weiß er nicht. Vielleicht sind sie hier im riesigen Dunkel dieses Verlieses, vielleicht sind sie längst tot. „Der Tod macht mir keine Angst“, antwortet er nach einer Weile. „Der Gedanke daran, dich sterben zu sehen, der macht mir Angst.“ Er wird der Letzte sein. Niemand hat es ihm gesagt, aber er weiß es. Und er wird um sie weinen, stolz und mit erhobenem Haupt. Kein Flehen mehr, keine Unterwürfigkeit vor falschen Herren. Sie fürchtensie, weil sie sie nicht mehr kontrollieren können. Weil sie eine Übermacht geworden sind. Lächerliche sieben Mann gegen ein Imperium von Kriegsherren. Bankotsu hat immer gewusst, dass nichts ewig ist. Nicht der Schnee, der im Winter fällt. Nicht die Blätter an den Bäumen. Und auch nicht die Blumen des Frühlings. Nicht der Regen über dem Feld und nicht die Ähren der Frucht. Nicht der Kaiser von Japan und nicht das Weib, bei dem er das erste Mal gelegen hat. Und auch nicht die Shichinintai. Die Sieben Krieger, die beinahe drei Jahre lang ganz Japan in Angst und Schrecken versetzt haben. Bankotsu atmet den Duft von Makotos Haar ein. Der süße, so vertraute Duft von Ylang-Ylang. Dieser Duft wird ihm fehlen. Und Makotos Lachen. Sein schwingender Gang und das Rot seiner Lippen. „Hast du denn Angst?“, will er von Makoto wissen. Makoto schweigt eine ganze Weile, Takeshi spürt ein Beben, das den geschwächten Körper durchläuft. Dann schluchzt er plötzlich auf, schnappatmig und verzweifelt. „Ich werde dich vermissen, Takeshi, so schrecklich vermissen!“ „Ich werde dich auch vermissen“, sagt Takeshi leise und küsst das wirre Haar und lässt die Lippen dort ein letztes Mal ruhen. Und dann ertönen die Schritte. Es ist an der Zeit.   ~*~ Sie haben Bankotsu in Ketten gelegt, die Arme steif nach oben gezurrt, beide Schultergelenke sind ausgekugelt, doch Schmerz, den spürt er schon lange nicht mehr. Starr ist der Blick der tiefblauen Augen auf den Platz gerichtet, auf den seine Kameraden nun geführt werden. Er spürt die Genugtuung der Daimyo und er schwört ihnen ewige Rache. „Seht genau hin, Bankotsu“, höhnt Hashimoto, doch Bankotsu hat nie vorgehabt, wegzusehen. Wie ehrlos hätte er sich gefühlt. Wie unloyal. Zuerst zerren sie Mukotsu auf den Platz. Er kann kaum noch gehen, weil die Wunde in seinem Bein nekrotisch ist. Brutaler als notwendig stoßen sie den kleinen Mann in die Knie und lachen höhnisch als er sich vor Angst bepisst. Das Katana trennt ihm kurz darauf den Kopf vom Rumpf, der kleine Körper landet mit einem leisen Geräusch im Schnee und das Blut sprudelt und verwandelt das unschuldige Weiß des Schnees binnen Sekunden. Bankotsu zuckt nicht einmal zusammen. Als nächstes führen sie Ginkotsu auf den Platz, denn der wehrt sich nicht und fügt sich ganz zahm seinem Schicksal. Bankotsu hat den Eindruck als habe er schon lange seinen Frieden gemacht. Bei Ginkotsu brauchen sie schon mehrere Hiebe, um durch den muskulösen, stahlverstärkten Hals zu kommen, doch auch das ist schließlich geschafft und der zweite Körper blutet in den Schnee. Suikotsu scheint merkwürdig bleich zu sein und in diesem Moment sieht er gar nicht aus wie Suikotsu, sondern wie Kimura Hayato, der Arzt, der er vor langer Zeit einmal gewesen ist. Als man ihn auf die Knie zwingt, scheint er zu erkennen, was er getan hat, wie viele Menschen er getötet hat, wie viele Sünden begangen. Und da erscheint ihm der Tod als willkommen. Er schließt die Augen und ein sanftes Lächeln der Erlösung liegt auf seinen Lippen als man ihm den Kopf sauber vom Rumpf trennt. Renkotsu wirkt erstaunlich gefasst. Nicht der Hauch einer Emotion. Langsam steigen Bankotsu die Tränen in die Augen, doch er schämt sich ihrer nicht. Und er sieht nicht weg. Kein einziges Mal. Renkotsus Blick sucht einen Moment den Seinen und er scheint ihm zu sagen, dass es nicht seine Schuld ist. Denn sie haben es doch alle irgendwie immer gewusst. Dann ist auch er nicht mehr. Mit Kyokotsu haben sie die meisten Probleme, trotz der Strapazen der letzten Stunden und der teilweise erheblichen Verletzungen hat er noch erstaunlich viel Kraft. Doch auch er wird schließlich in die Knie gezwungen. Zehn Mann braucht es dafür. Sein Hals ist so muskulös, dass die Soldaten anfangen zu schwitzen, ehe sie endlich die letzte Sehne durchtrennt haben und es mehr ein Gemetzel wird als eine saubere Hinrichtung. Und dann holen sie Jakotsu. Bankotsus Herz zieht sich zusammen als sich ihre Blicke treffen und in Jakotsus Blick liegt so viel Wärme, so viel Liebe, dass all das erträglicher wird. Wie schön er ist. So unendlich schön, wie am Tag an dem sie sich trafen. In welcher Ferne liegt das jetzt. Zwei Tränen lösen sich und rinnen still über die Wangen. Plötzlich wird ihm bewusst, dass er seinem Makoto nie gesagt hat, wie sehr er ihn liebt. All die Zeit nicht. Dabei hat er ihn doch immer geliebt. Er ist sein Freund. Sein Vertrauter. Sein Halt. Ihre Blicke treffen sich und Bankotsu hat keine Kraft mehr, die Stimme laut zu erheben, so dringt nur mehr ein heiseres, erschöpftes Krächzen aus seiner Kehle als er murmelt „Ich liebe dich, Makoto.“ Zu leise als dass es jemand dort unten hätte verstehen können, doch Makoto lächelt, denn er weiß, was Takeshi gesagt hat. Sie sehen sich in die Augen. Die ganze Zeit. Und als der Kopf vom Rumpf geschlagen wird, als die vertraute Wärme der Augen vom einen Moment auf den anderen erlischt, da brüllt Bankotsu gepeinigt auf, dass seine Stimme schauerlich in den Felsen widerhallt, es ist mehr der Laut eines Tieres, das Todesqualen erleidet und keiner der Männer, die ihn zuvor verhöhnt haben, wagt es plötzlich mehr, auch nur ein Wort des Spottes zu verlieren. Als sie seine Ketten lösen, um ihn dort sterben zu lassen, wo seine Kameraden ihr Leben ließen, da versiegen seine Tränen. Der graue Himmel bricht plötzlich auf. Bankotsu wird ruhig. „Ein letztes Wort?“, ereilt ihn die eiskalte Stimme, von wem, das weiß er nicht und es spielt auch keine Rolle mehr. Bankotsu lächelt. Es ist ein sanftes Lächeln. „Ich verfluche euch“, sagt er irritierend gefasst, „Ich verfluche Euch und Euer aller Nachkommen bis in hundert Generationen. Ein Haufen Feiglinge, das seid Ihr und Ihr habt verdient, wie ein Haufen Feiglinge zu sterben.“ Ein hochmütiger Zug macht sich auf Bankotsus Gesicht breit, einen Moment, da kehrt die alte Stärke zurück und alle Männer, die getroffen werden von diesem Blick, weichen unwillkürlich einen Schritt zurück und können sich nicht erwehren, Ehrfurcht zu empfinden vor diesem Mann. Das Lächeln weicht nicht als er den Kopf hebt, damit der blaue Himmel das letzte ist, was er sieht und nicht diese Männer, denen er die Hölle auf Erden wünscht. Das Licht, das durch die Wolkendecke gebrochen ist, wärmt sein Gesicht und lässt seine Augen tränen. „All das habe ich geliebt“, sagt er, „Alles…“ Und er schließt die Augen nicht einmal dann als der Lufthauch von dem niedersausenden Schwert kündet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)