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Rot wie Blut

Die Legende der Shichinintai
von

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Mukotsu

„Kommt Jakotsu wieder nicht zum Essen?“, wollte Bankotsu stirnrunzelnd wissen als alle sich bis auf den letztgenannten zum Abendessen versammelt hatten. Das Haus war in der Zwischenzeit richtig wohnlich geworden und Suikotsu hatte sich zur Überraschung aller wirklich als fähiger Koch herausgestellt. Auch wenn er beim Kochen immer fluchte, dass einem die Ohren schlackerten.

Der antwortete auch jetzt: „Ich habe vorhin nach ihm gesehen, aber er meinte, keinen Hunger zu haben und sich später vielleicht etwas Suppe zu nehmen.“

„Mh … das gefällt mir nicht ehrlich gesagt. Das ist schon seit Tagen so, was ist nur los mit ihm?“

Suikotsu nahm einen Schluck aus dem Sakeschälchen. „Er ist in Schwermut verfallen. Das hab ich schon oft gesehen bei Männern, die im Krieg waren oder bei den Armen, die oft nicht wissen, wie sie über den Tag kommen sollen.“

„Was, aber Jakotsu geht’s doch gut hier“, widersprach Bankotsu verwirrt, „Er ist weder arm, noch muss er in den Krieg ziehen.“

Suikotsu zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein Arzt des Körpers, nicht des Geistes, was ich jedoch weiß ist, dass gewisse Vorgänge im Körper, die wir nach der heutigen Wissenschaft noch nicht verstehen können, in irgendeiner Form mit dem Gemüt verbunden sind. Manche Menschen sind wohl anfälliger als andere. Aber mit solchen Dingen kenne ich mich nicht aus.“

„Jakotsu ist ein Sensibelchen“, murmelte Renkotsu, welcher neben sich ein Pergament liegen hatte, auf das er irgendwelche Berechnungen für eine neue Erfindung kritzelte, „der muss doch immer irgendwas haben.“

„Nicht nett“, meldete sich überraschenderweise ausgerechnet Ginkotsu zu Wort, was Renkotsu dazu brachte, aufzusehen und seinen langjährigen Freund mit hochgezogener Augenbraue anzusehen.

„Ist doch wahr. Fakt ist, dass er so wie er jetzt ist, recht nutzlos ist, Jakotsu läuft immer dann zu Höchstformen auf, wenn er wütend ist oder schlechte Laune hat. Aber das… das geht mir noch mehr auf die Nerven als normalerweise.“

„Hmm…“, machte Bankotsu nachdenklich und wandte sich dann wieder an Suikotsu: „Kannst du ihm nicht irgendein Mittel brauen, das ihn wieder fröhlich macht?“

„Ich kann fast jede Krankheit heilen, die den Körper befällt, aber mit Geisteskrankheiten – falls es denn eine ist – kenne ich mich nicht aus. So wenig es mir auch gefällt“, fügte er düster hinzu. Jakotsu hatte auch schon länger das Bett nicht mehr mit ihm teilen wollen, das missfiel ihm. Und es missfiel ihm, ihm nicht helfen zu können, denn die zärtlichen Gefühle ließen sich mittlerweile nicht mehr verleugnen.

 

~*~
 

Jakotsu lag auf seinem Futon und verspürte seit Stunden nicht die geringste Lust, aufzustehen. Genau wie die letzten Tage. Und fast sogar schon Wochen. Sein Blick glitt träge zu der Sakeflasche, die neben dem Fenster stand und in welcher sich noch ein kleiner Rest befand. Vielleicht sollte er noch ein wenig trinken. Vielleicht spülte das ja diese seltsam tristtraurigen Gedanken fort, die seinen Geist seit langer Zeit umkrallten. Und wenn er ganz viel trank, dann träumte er meistens auch nicht.

Er hatte von Tagen geträumt, an die er lange nicht mehr gedacht hatte. Als er damals mit seinem Bruder hatte fortlaufen müssen.

An die Zeit bei Oneesama und an die lebenslustige, kleine Natsue, die einzige Freundin, die er je wirklich gehabt hatte. Bankotsu ja, der war sein Freund, oder zumindest hatte er das eine Weile geglaubt. Mittlerweile glaubte er nur noch, dass es seine Kampfkraft war, die für seinen Anführer zählte – die sich enorm gesteigert hatte und es immer noch tat. Jakotsu hatte seine Furcht verloren und die Lust am Töten entdeckt, das hatte ihn mittlerweile zu einem sehr gefährlichen Gegner gemacht.
 

Aber jetzt? Jetzt gerade fühlte er sich traurig, hatte sich mit einer viertelvollen Flasche Sake neben das Fenster gekauert in Kleidung, die er seit Tagen nicht gewechselt hatte und völlig wirrem Haar. Er ließ auch Suikotsu nicht mehr zu sich kommen. Er ertrug plötzlich keine Nähe. Fühlte sich nach jedem Orgasmus sofort in ein tiefes Loch gerissen und das fürchtete er so sehr, dass er Suikotsu nicht ließ.

Und dann waren irgendwann die Träume von Matsumoto gekommen. Ein Traum war besonders schlimm gewesen. Matsumoto hatte ihn gejagt und gefunden. Meine kleine Hure, hatte er gesagt, endlich habe ich dich wieder, du entkommst mir nimmermehr. Nimmermehr. Dann hatte er sein Schwert nehmen und Matsumoto aufschlitzen wollen, denn er war keine Hure mehr, er war nicht mehrso schwach wie einst. Doch das Schwert war fortgewesen und dann hatte er Matsumoto mit bloßen Händen getötet. Seine Hand war scharf gewesen wie ein Katana und er hatte Matsumoto damit den Bauch aufgeschlitzt und seine Eingeweide herausgerissen. Der Traum war so real gewesen, dass Jakotsu sich einbildete, beim Erwachen den Geschmack von Blut auf den Lippen gespürt zu haben.
 

Und seitdem grämte ihn ein fürchterlicher Hass. Ein Hass auf sich selbst und sein Leben, das so verkommen war, ein Hass auf die Schwäche, dass er sich so lange wie ein Stück Fleisch hatte behandeln lassen. Und die Frage warum. Warum das alles? Er könnte sich einfach in ein offenes Schwert stürzen oder ins Wasser gehen und die ganze Seelenqual fand ein Ende. Aber das tat er natürlich nicht, weil er zu feige war.

Jakotsu trank den restlichen Sake in einem Schluck leer und genoss das brennende Gefühl in seiner Kehle. Er wusste nicht mehr, wie lange er so zusammengekauert neben dem Fenster gesessen hatte, als es irgendwann an der Türe klopfte. Der Schwere der Faust, die gegen seine Tür drosch nach handelte es sich wohl im Ginkotsu. Vermutlich war der jetzt dran damit, zu versuchen, ihn zum Essen zu holen. Er fragte sich, warum seine Gefährten das überhaupt scherte. Renkotsu hasste ihn, für Suikotsu war er nur ein Fickstück und für Bankotsu zählte nur seine Kampfkraft.

„Was ist denn?“, rief er unwillig und im nächsten Moment schob sich erstaunlich sanft in Anbetracht des lauten Klopfens die Tür auf und Ginkotsu schob seinen deformierten Kopf hindurch.

„Kann reinkommen?“, fragte er blechern

„Meinetwegen“, murmelte Jakotsu gleichgültig. Die Schritte kamen näher und schließlich ließ sich die massige Gestalt Ginkotsus neben ihm nieder. Eine Weile sagte der Riese nichts.

„Ich bin so traurig, Gin und weiß nicht wieso!“, brach es aus Jakotsu dann heraus.

„Jeder mal so traurig“, sagte Ginkotsu dann langsam.

„Du etwa auch? Kann ich mir kaum vorstellen“, erwiderte Jakotsu bitter, denn Ginkotsu hatte einen sehr einfachen Verstand.

„Gin hat im Krieg gekämpft. Viel Leid, viel böse. Gin wäre fast gestorben mit abgerissenem Arm und wundfaulendem Bein und abgerissener Zunge und kaputtem Kiefer. Wenn du denkst, du stirbst, dann kommen traurige Gedanken, denkst über Leben nach und Sinn und solche Sachen.“

Jakotsu sah auf und zum ersten Mal fiel ihm auf, dass er eigentlich von Ginkotsu rein gar nichts wusste. Und vor allem, wie Unrecht er ihm irgendwie tat, wenn er dachte Ginkotsu sei so einfach gestrickt, dass er nicht fähig war, Gefühle zu empfinden.

„Du musst große Schmerzen gehabt haben“, sagte Jakotsu leise und rückte etwas näher zu dem anderen heran. Irgendwie fühlte er sich bei ihm gerade sicher.

„Schmerzen hören irgendwann auf, wenn Körper sich für Sterben bereit macht. Gin viele Soldaten, viele Freunde im Krieg fallen sehen. Wenn man schafft, zu überleben, sieht man Welt mit anderen Augen. Und manchmal traurig, weil Vergangenheit dich oft einholt.“

„Ist das denn bei dir auch so?“

„Ganz ganz selten. Liegt aber daran, dass Gins Kopferinnerungsapparat matsch gehauen wurde in Schlacht. Sagt Renkotsu.“

Jakotsu spürte, wie sich Ginkotsus Arm tröstend um seine Schulter wand. Jakotsu lehnte sich an und schloss die Augen.

„Ich würde so gern weinen“, flüsterte er, „aber selbst dafür fühl ich mich zu schwach. Ich hab Angst und weiß nicht, wovor…“

„Ginkotsu beschützt Jakotsu. Immer. Ist versprochen.“

Und dann konnte er doch weinen.

 

~*~

 

 
 

„Verzeiht mir die Störung, mein Herr, aber wäret Ihr gewillt, mir einen kurzen Moment Eurer kostbaren Zeit zu schenken?“

Bankotsu, welcher gerade auf der Veranda ein wenig vor sich hingedöst hatte, schreckte auf und griff instinktiv nach einem Dolch, ließ jedoch die Hand sinken, als er bemerkte, dass überhaupt niemand da war, zu dem diese Stimme gehören konnte.

Etwas irritiert sah er sich um, dann hörte er ein Hüsteln.

„Hier unten, Herr.“

Bankotsu spähte über den Rand der Veranda herab und sah mit Erstaunen einen Mann – einen sehr kleinen Mann, welcher seelenruhig und abwartend dastand und ihn aus großen Glubschaugen ansah. Bankotsu räusperte sich etwas pikiert.

„Verzeiht. Was kann ich für Euch tun?“

„Nun“, begann der Kleine langsam mit heiserer Stimme, „Ich habe damals mit großer Bewunderung beobachtet, wie Eure Männer die Räuberbande zerschlagen haben und wenn Ihr gewillt seid, wäre es mir eine Ehre, Euch einen Vorschlag unterbreiten zu dürfen.“

Bankotsu wusste im ersten Moment nicht so recht, was er von dem Mann halten sollte. Hatte er vielleicht einen Auftrag für sie? Sonderlich wohlhabend oder wichtig sah er ja nicht gerade aus. Aber Bankotsu war der letzte, der jemanden wegen seines Aussehens vorverurteilt hätte, immerhin war es ihm selbst oft genug passiert, dass man ihn aufgrund seiner Körpergröße und der knabenhaften Gestalt unterschätzte und nicht ernst nahm.

„Bei einer Flasche gutem Sake?“, legte der Mann nach und holte eine in ein Tuch eingewickelte Sakeflasche aus dem großen Korb, den er zuvor auf den Boden gestellt hatte. Auf Bankotsus Gesicht machte sich ein Lächeln breit.

„Wie könnte ein Mann dazu nein sagen. Bitte setzt Euch und tragt mir Euer Anliegen vor.“
 

„Ihr habt viele starke Kämpfer um Euch versammelt, Bankotsu-sama. Man hört überall von Euch sprechen.“

„Nun … das trifft wohl zu“, erwiderte Bankotsu geschmeichelt über die Anrede und nippte an seinem Sakeschälchen.

Der Zwerg schien einen Moment seine Worte abzuwägen. „Ich ersuche Euch in aller Demut, mich Eurer Gruppe anschließen zu dürfen.“

„Was?“ Bankotsu verschluckte sich an seinem Sake. Der Fremde wartete ruhig, bis er ausgehustet hatte. „Wie kommt Ihr darauf, dass Ihr uns nützlich sein könntet? Ich möchte Euch nicht beleidigen, aber wie ein Krieger wirkt ihr nicht auf mich.“

„Ihr beleidigt mich nicht, denn ich bin keinesfalls ein Krieger. Meine Spezialität ist anderer Natur. Ich bin Meister aller Gifte und Gegengifte und Halluzinogene. Ich kann ein Gift dazu bringen, sich unsichtbar durch die Luft zu bewegen und damit einen ganzen Tross Samurai bewegungsunfähig zu machen.“

Der junge Söldner erwiderte erst einmal nichts. Er dachte nach, dabei trank er ein paar Schlucke von seinem Sake. Er verstand nicht viel von solcher Kriegsführung, aber er hatte schonmal von einer Schlacht gehört, in der die Feinde aus heiterem Himmel einfach mausetot umgefallen und keiner hatte sich im Nachhinein erklären können, was geschehen war. Das war vielleicht tatsächlich nützlich, allerdings war Bankotsu bei dem Gedanken einen Haufen Gifte und so ein Zeug im Haus zu haben, nicht ganz wohl. Die Gefahr, dass Jakotsu in seiner Tollpatschigkeit irgendetwas damit anstellte oder Suikotsu in seinem Kochwahn einfach etwas in ihr Abendessen kippte, was da nicht reinsollte, war nicht gering.

„Und warum möchtet Ihr Euch uns anschließen?“

„In unruhigen Zeiten ist ein Mann besser nicht alleine. Und es würde mich mit Stolz erfüllen, wenn man eines Tages sagte, Wakabayashi Genzo trug etwas zu dem Ruhm der großen Krieger unter Bankotsu-sama bei.“

Der Traum, den er vor einer Weile gehabt hatte, als er krank gewesen war, schoss ihm wieder durch den Kopf. Sieben. Aber er hatte wahrlich nicht damit gerechnet, dass sich ein Fremder ihnen so offen würde anschließen wollen.

„Ich kann das nicht so einfach entscheiden“, sagte Bankotsu dann langsam, „ohne eine Vorstellung Eurer Fähigkeiten zu haben.“

„Wärt Ihr dann gewillt, mir Möglichkeit zu geben, mich zu beweisen?“

„Gewillt ja. Das wann ist eine andere Frage und ehrlicherweise bin ich gerade überfragt. Einer meiner Gefährten steckt in einer argen Schwermut, worin er zu nichts zu gebrauchen ist….“, erwiderte er nachdenklich und ein wenig ratlos. Mit Jakotsu war wirklich nichts anzufangen in der letzten Zeit. Er war nichtmal in der Lage, zu entscheiden, ob er morgens lieber Reis oder Früchte essen mochte, wenn er denn überhaupt mal was aß. Das würde sehr anstrengend werden.

„Wenn Ihr erlaubt, Bankotsu-sama, ich kenne eine Pflanze, die Schwermut heilen kann.“

Bankotsu machte große Augen. „Tatsächlich, ist das Euer Ernst?“

„Gewiss Herr. Wie es der Zufall will, habe ich sogar etwas von ihrem Pulver bei mir. Wenn Ihr erlaubt, will ich nach Eurem Gefährten sehen und schauen ob ich helfen kann.“
 

Dass es sich dabei keinesfalls um einen Zufall handelte verschwieg Wakabayashi wohlweislich. Er hatte nämlich schon mit so etwas gerechnet, und deshalb hatte er diese Männer eine Weile heimlich beobachtet und als er dann bemerkt hatte, dass einer von ihnen unter einer starken Schwermut zu leiden schien, war ihm eine Idee gekommen. Und nun war er hier, der erste Teil seines Plans hatte zumindest funktioniert.

 

~*~
 

„Ich bin nicht begeistert davon, dass irgendein Fremder Jakotsu irgendein Gebräu einflößt, von dem wir nicht wissen, was es ist. Ich kenne die meisten Heilpflanzen aber von einer die angeblich Schwermut heilt, hab ich noch nie was gehört. Ich rate tunlichst davon ab. Wir kennen diesen Kerldoch gar nicht“, grollte Suikotsu und hatte dabei nichtmal den Anstand Bankotsu seine Bedenken nicht im Beisein ihres Gastes vorzutragen. Bankotsu verdrehte die Augen. Manchmal hatte er das Gefühl, er war der Einzige unter seinen Gefährten, der so etwas wie Manieren besaß.

„Eben, wir kennen ihn nicht. Warum sollte er einen von uns vergiften? Er will sich uns anschließen. Vielleicht sollten wir ihm Gelegenheit geben, sich dahingehend zu beweisen.“

„Das wär ja noch schöner“, knurrte Suikotsu und machte Anstalten auf den Kleinen zuzugehen, doch Bankotsu stieß ihm grob den Unterarm gegen die Brust.

„Suikotsu, es reicht jetzt!“, zischte er. „Ich sage, dass er versuchen soll, Jakotsu zu helfen. Und ihm ist sicherlich bewusst, dass, wenn er tatsächlich versuchen sollte, einen von uns zu vergiften, ich ihm buchstäblich die Haut vom Körper abziehen und mir einen Yukata draus nähen werde.“

Dabei lag sein Blick warnend auf Wakabayashi, welcher versuchte, darunter nicht zusammen zu sinken.
 

Jakotsu nahm es gleichgültig hin. Wenn ihm das Zeug half, war es gut und wenn es ihn umbrachte, musste er dieses Weltenelend wenigstens nicht mehr ertragen.

Während Wakabayashi seelenruhig die Pflanzen zermörserte, unter den Argusaugen Suikotsus, erklärte er: „Es hilft nicht sofort. Er muss es einige Tage zu sich nehmen, damit die Wirkung sich entfalten kann.“

„Und was ist da drin?“, knurrte Suikotsu ungeduldig, dem es immer mehr gegen den Strich ging, dass hier jemand seine Kompetenzen untergrub oder ein medizinisches Wissen hatte, das ihm selbst fehlte.

„Eine Mischung aus Kurkuma, Rosenblättern und Johanniskraut.“

„Johanniskraut?“, wiederholte der Arzt stirnrunzelnd, „das setze ich nur bei verstauchten Gliedern und Schwellungen ein. Und von diesem Kurkuma habe ich noch nie etwas gehört.“

„Ichhabe es auch nur durch einen Zufall aufgeschnappt. Meine Spezialität sind ja Gifte und keine Dinge, die Menschen heilen“, fügte er mit einem leisen, heiseren Lachen hinzu. „Kurkuma wurde von Händlern aus dem fernen Kaschmir aus Übersee mitgebracht.“

„Aus Übersee?“, schaltete sich Bankotsu ein, dessen kindliche Neugier mit einem Mal geweckt worden war, „wie seid Ihr da ran gekommen?“

Wakabayashi schwieg einen Moment. Er hatte das Gefühl, dass es nicht sonderlich vertrauenserweckend war, wenn er die Wahrheit sagte, nämlich, dass er sich an den Taschen eines Händlers bedient hatte, nachdem dieser ihm zuvor bereitwillig Auskünfte über die vielen Gewürze und den Heilwirkungen von manchem von ihnen, gegeben hatte. Die Räuber hatten den Mann getötet, weil sie an sein Geld wollten – die Waren, die er bei sich führte, blieben jedoch größtenteils von ihnen unbeachtet, weil sie schlicht nicht wussten, was sie damit anfangen sollten und so hatte Wakabayashi sich diese Dinge angeeignet.

„Ich hatte mich eine Weile einem Tross Händler angeschlossen, um durchs Land zu reisen. Das ist alles. Wie gesagt, ein Zufall.“

Wakabayashi prüfte, ob er auch die richtige Dosierung erwischt hatte und mischte das Pulver dann vorsichtig in eine Schale mit heißem Wasser, das zuvor von Ginkotsu gebracht worden war.

 

~*~
 

Als Wakabayashi zwei Wochen später wieder kehrte, war Jakotsu wie ausgewechselt.

„Wir sind Euch alle zu Dank verpflichtet“, erklärte Bankotsu, nachdem er den Zwerg zur Seite genommen hatte, „hätten wir Jakotsus Launen noch ein paar Wochen länger ertragen müssen, dann wär hier jeder durchgedreht. Ist manchmal nicht so ganz einfach, mit so vielen Kerlen auszukommen. Nun, wie dem auch sei. Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?“

„Es wäre mir noch immer eine sehr große Ehre, Mitglied Eurer Truppe zu sein. Ihr habt keinen Nachteil mit mir. Ich brauche nicht viel Nahrung, brauche nicht viel Platz und bin kein lauter Geselle. Und ich führe Euren Haushalt, wenn Ihr dies wünscht. Und meine Gifte macht mir so schnell keiner nach.“

„Mh…“ Bankotsu rang mit sich. Dann meinte er: „Na schön. Ich werde Euch eine Gelegenheit geben, Euch unter Beweis zu stellen. Bei unserem nächsten Auftrag werdet Ihr uns begleiten – solltet Ihr mich überzeugensteht dem nichts mehr im Wege.“

 

~*~
 

Diese Gelegenheit sollte schneller kommen als erwartet. Die Fürsten bekriegten sich schon seit längerer Zeit immer offener gegenseitig und griffen dabei zu immer schmutzigeren Mitteln. Nicht selten geschah es, dass Söldner angeheuert wurden, die zur Neutralität verpflichtet waren, um den Truppen der Gegenseiten zu schaden. Und da man von Bankotsu und seinen Kriegern die abenteuerlichsten Geschichten hörte (von denen nur ein Teil war wahr, aber Bankotsu vermied es wohlweislich, dieLeute zu berichtigen, da es ihrem Ruf zugute kam) erteilte man ihnen immer öfter Aufträge.
 

So geschah es also, dass ein Fürst namens Hatsumoto, der sie schon das ein oder andere Mal in seine Dienste genommen hatte, ihnen den Auftrag gab, den Versorgungstrupp seines Feindes auszuschalten, welcher sich in seinem Schloss verbarrikadiert hatte. Und ohne Vorräte würden die Leute im Inneren schnell aushungern.

„Und wenn es Euch gelingen sollte, in die Festung einzudringen und Enishi zur Aufgabe zu bringen, dann wird Eure Belohnung dreimal so hoch sein.“
 

Das ließ Bankotsu sich natürlich nicht zweimal sagen. Und ihm fiel wieder ein, was Wakabayashi über unsichtbare Gifte in der Luft gesagt hatte. Den Fürsten durften sie nicht töten, aber wenn sie die bis an die Zähne bewaffneten Wachen ausschalten könnten, würden sie sich viel Drecksarbeit ersparen.

 

~*~
 

Genzos Mutter hatte schon immer gerne Sake getrunken. Sie roch immer danach, der Geruch drang ihr aus jeder Pore. Doch für den kleinen Genzo war es normal. Er brachte ihr immer artig den Sake vom Händler. Brachte ihn ihr in die Bruchbude, die sie beide bewohnten. Etwas, das mehr die Bezeichnung Bretterkasten mit Löchern verdient hatte, doch für den Jungen war es normal: Er hatte es ja nie anders gekannt. Den Vater hatte er nie kennengelernt, aber wenn die Frau Mama betrunken war, dann fluchte sie viel auf ihn. Ein Weiberheld, ein Spieler sei er gewesen, abgehauen als er erfahren hatte, dass die Frau mit Genzo schwanger war. Getrunken hatte sie wohl schon vor der Schwangerschaft und auch währenddessen – böse Zungen behaupteten, das war der Grund, warum Genzo sich körperlich so langsam entwickelte und ganz aufhörte zu wachsen, ehe er auch nur ansatzweise Männergröße erreicht hatte. Andere böse Zungen behaupteten auch, dass sei die Strafe für das Leben in Sünde der Mutter.

Wie auch immer es war. Genzo hatte sich nie beklagt. Verlor nie ein böses Wort und man konnte meinen, wie herzergreifend es war, dass der kleine Junge seiner Mutter immer noch beistand, egal wie schlecht sie ihn behandelte.

Ja, das dachten die Leute. Was niemand sah und wusste war, wie es im Inneren des Knaben aussah. Denn dort war es finster und bitter. Dort war kein Platz mehr für den Schmerz und die Entbehrungen.

Eines Tages, Genzo war 9 Jahre alt, da brachte er einem Mädchen, das er schön fand, Blumen, die er selbst gepflückt hatte. Sie lachte ihn aus, nicht weil sie es albern fand, Blumen zu bekommen, sondern weil Genzo so ein kleiner, dicklicher Wicht war, alles, nur nichtmal ansatzweise ein Mann.

Genzo war daraufhin so wütend geworden, dass er die Blumen zerfetzt hatte. Dann war er in den Wald gelaufen und hatte allerlei Sachen gedacht. Wie sehr dieses dumme Mädchen seinen Stolz verletzt hatte, wie ungerecht die Zurückweisung war.
 

Als er so wütend durch die Wälder lief und irgendwann fast seinen Weg verlor, da traf er auf eine Frau. Sie war alt, aber auch stark und klug und sie erkannte das Potential, das in dem Jungen vielleicht steckte. Sie sprach mit ihm und erzählte ihm etwas über Gift und welche Macht es einem verlieh. Sie bot ihm an, dass er sie gerne ab und an besuchen könne, er sollte ihr nur ein wenig Tratsch aus dem Dorf mitbringen und sie zeigte ihm dafür das ein oder andere Gebräu. Und sie staunte, wie schnell der Junge lernte. Wie schnell er sich alle Pflanzen und deren Wirkung und ihr Zusammenspiel miteinander einprägen konnte. Wie schnell er sie bald überflügelt hatte. Irgendwann, als sie ihm nichts mehr beibringen konnte, da vergiftete Genzo sie. Da war er 12 und während er beobachtete, wie sie langsam und qualvoll innerlich verblutete, langsam erstickte und die Augen verdrehte, bis irgendwann nur noch das Weiße zu sehen war, hatte er eine Erektion.

Von diesem neuen Gefühl der Macht beflügelt verließ er das Haus der Hexe. Niemand hatte etwas davon gemerkt, was er in diesen Jahren getan hatte.
 

Und als Genzo 15 war, da bemerkte er noch etwas anderes. Er brauchte die Frauen gar nicht mehr mit Geschenken und Blumen zu umwerben (ein Unterfangen, das immer fruchtlos geendet hatte bei ihm, denn alle hatten sie gelacht über seine geringe Körpergröße und seine wenig stattliche Erscheinung), er konnte sie mit seinen Giften gefügig machen.

Anfangs wartete er auf verlassenen Wegen, bis mal eine Magd, ein Dienstmädchen oder ein armes Bauernmädchen entlang kam, um eine Besorgung zu erledigen. Da sprang er sie von hinten an und drückte ihnen ein Tuch ins Gesicht, das mit einer Tinktur getränkt war, welche sie bewusstlos machte. Dann zerrte er sie in den Wald, wo er sie in Ruhe ficken konnte. Ohne Geschrei, ohne dass sie sich wehrte. Das ging eine ganze Weile gut, doch am Ende war es seine Mutter, die ihm auf die Schliche kam. Er hörte sich in aller Seelenruhe ihr lallendes Geschrei an und er lächelte dabei, denn er wusste, dass er sie nun endlich loswerden konnte.

Abends, als er ihr ihren Sake brachte, hatte er ein hochdosiertes Gift untergemischt, der Geschmack wurde von dem starken Alkohol überdeckt. Sie war die einzige, der er einen sanften Tod gegönnt hatte. Er wartete seelenruhig neben ihr und streichelte ihr hin- und wieder über den Kopf, während sie zitternd ihr Leben aushauchte.
 

Als jedoch die Mutter verschwunden war, dauerte es nicht lange, bis man eine Spur zu ihm fand und Genzo musste fliehen. Er packte seine Tränke, seine Kräuter, seine Gifte zusammen und ein Kleidungsstück zum Wechseln und dann ging er fort aus seinem Dorf und kehrte nie mehr dorthin zurück.
 

Während der Jahre der Wanderschaft, entwickelte er seine Gifte und seine Techniken, sie einzusetzen, weiter und so kam es, dass er sogar ein wenig Geld mit seiner Kunst verdienen konnte. Ab und an ließ man ihn sogar in geheimen Aufträgen Morde begehen, die gut bezahlt wurden und seine größte Stunde war wohl jene, als er ein ganzes Heer ausgeschaltet hatte, indem er ein Gift mithilfe eines eigens entwickelten zerstäubenden Gerätes in die Luft leitete, und damit ein ganzes Fürstenheer lahmlegte.
 

So konnte er einige Jahre leben, bishin zu dem fatalen Tag als er die Fehlentscheidung traf, sich dieser Räuberbande anzuschließen, denn Genzo, so ungern er es auch zugab, war auch nur ein Mensch, und er hatte begonnen, sich einsam zu fühlen. Außerdem war man hinter ihm her und er fühlte sich nicht mehr sicher. Zwei Jahre war er bei ihnen gewesen, bis zu jenem Tag als sie zerschlagen worden waren.
 

~*~
 

Alles war reibungslos verlaufen und Bankotsu musste eingestehen, dass er die Fähigkeiten des Giftmischers gehörig unterschätzt hatte. Er, Renkotsu, Ginkotsu und der Giftmischer hatten sich zu viert auf den Auftrag begeben. Suikotsus Raserei konnten sie bei einem Auftrag dieser Art nicht gebrauchen und Jakotsu hatte Fieber angemeldet und dass er viel zu schwach war, sich vernünftig auf einen Auftrag zu konzentrieren. Bankotsu war wohl klar, dass das nur ein Vorwand war, damit er und Suikotsu sich in aller Ruhe zuhause austoben konnten, aber er ließ es ihm durchgehen, denn diesen Auftrag schafften sie auch so. Die Bewohner von Hatsumotos Burg waren geschwächt, weil weder frische Nahrungsmittel, noch Heiler zu ihnen durchdrangen und so hatten sie auch mit den Wachen leichtes Spiel.

Wakabayashi hatte ihnen allen zuvor eine von ihm entwickelte Maske gegeben, die man übers Gesicht zog. Damit das Gift sie nicht selbst erwischte, hatte er erklärt. Dann hatte er, nachdem er die Windrichtung ausgemacht hatte, mithilfe einer speziellen Apparatur das Gift zerstäubt. Bankotsu war erst irritiert gewesen, weil er nichts sehen konnte, doch Wakabayashi hatte ihm erklärt, dass das Gift durch den Apparat fein wie Staub wurde und damit unsichtbar für das menschliche Auge und er konnte nicht verhehlen, dass das, was der Giftmischer tat, immer interessanter für ihn wurde.
 

Nachdem sie eine halbe Stunde gewartet hatten, sprengte Renkotsu ihnen den Zugang zur Burg frei und Bankotsu hatte mit Erstaunen festgestellt, dass tatsächlich alle Burgbewohner bewegungsunfähig oder ohnmächtig auf dem Boden lagen – bishin zum Fürsten selbst, der mit wütenden Augen zu ihnen hinauf starrte und ihnen stumm Rache schwor. Diese Art, ihre Aufträge auszuführen war vielleicht ungewöhnlich, doch sie ließ wesentlich weniger Gemetzel und Blut zurück. Bankotsu legte es nämlich nicht unbedingt darauf an, so viele Menschen wie möglich zu töten. Er tötete dann, wenn es notwendig war, wenn jemand explizit dafür gezahlt hatte, aber nicht einfach nur so zum Spaß. Das war mehr Jakotsus Ding geworden.
 

Sie hatten diesen Auftrag also innerhalb eines knappen Tages ausgeführt und als sie den Fürsten an den Feind auslieferten, erhielten sie ihr Honorar und das Versprechen, ihre Dienste weiterzuempfehlen. Bankotsu sprach als sie zuhause waren, eine Weile mit seinen Gefährten und von denen hatte niemand etwas dagegen einzuwenden, dass Wakabayashi zu ihnen stieß. Und so wurde es beschlossen. Wakabayashi legte seinen Namen ab und wurde schließlich zu Mukotsu.



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