Rot wie Blut von abgemeldet (Die Legende der Shichinintai) ================================================================================ Kapitel 12: Renkotsu und Ginkotsu --------------------------------- Es war zwei Tage später in den frühen Morgenstunden, als Bankotsu durch ein Geräusch geweckt wurde. Seitdem seine Familie so brutal ermordet worden war, hatte er keinen festen Schlaf mehr. Leisestand er auf und schlich zum Fenster. Er verengte die Augen, nur um sie dann im nächsten Moment aufzureißen. Sah er etwa Fackelschein in der Ferne? War das eine wütende Menge, die da auf sie zukam? Soldaten? “Hey, Jakotsu!”, zischte er und rüttelte seinen Gefährten unsanft wach. Verschlafene Augen blickten ihn verwirrt an. “W-was...?” “Zieh dich an und mach dich bereit, es kann sein, dass wir unliebsamen Besuch bekommen!” Jakotsu verstand zwar immer noch nicht ganz, was Bankotsu eigentlich von ihm wollte, aber er verstand sehr wohl die Dringlichkeit in dessen Worten. Während Jakotsu sich schnell seine Kleider anlegte, war Bankotsu schon aus dem Zimmer gehuscht und eilte in Richtung der Schlafgemächer Takanagas. Bereits auf dem Flur kam dieser ihm entgegen. “Du hast es auch schon mitbekommen?” Der Mönch nickte. “Wahrscheinlich ist das deinem dummen Gefährten zu verdanken, aber das können wir jetzt nicht mehr ändern. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Wir kämpfen gegen den Pulk und machen uns noch mehr zu Verbrechern als wir ohnehin schon sind, oder wir nutzen die noch herrschende Dunkelheit, um zu entschwinden. Was schlägst du vor, Rida-sama?” Bankotsus Lippen umspielte ein freudiges Lächeln, als er die respektvolle Anrede vernahm, dann wurde er schnell wieder ernst. Er wägte ab. „Wir gehen ein Stück in den Wald hinein. Sie werden unsere Spuren im Schnee finden und ihnen folgen. Da werden wir dann auf sie warten“, ordnete er schließlich an als hätten sie alle Zeit der Welt. “Wieviel Zeit haben wir noch, ehe die da sind?” Takanaga wandte den Blick aus dem Fenster. “Etwa eine Viertelstunde.” “Dann sollten wir uns beeilen - Jakotsu, sattel das Pferd, ich hole unsere Sachen. Akira, was ist mit Haruyama?” “Ich kümmere mich darum.” Sie nickten sich kurz zu und eilten dann in verschiedene Richtungen davon. Wenig später fanden sich die vier auf dem Hof zusammen. Jakotsu führte das Pferd am Zügel, es wäre Selbstmord, im Dunkeln bei Schnee durch den Wald zu reiten, zumal der Mond wolkenverhangen war. Als sie wenig später, von Takanaga geführt, in den Wald eindrangen, bemerkte Bankotsu mit Erstaunen, wie lautlos Haruyama sich fortbewegen konnte. Und als die Männer sie später einholten, da wurden sie bereits erwartet. Und da ... fiel auf einmal die Angst von Jakotsu ab. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Ja, wieso eigentlich nicht? Sollten sie doch kommen. Es gab keinen Grund mehr, Angst zu haben. Das waren nur ein paar lächerliche Bauern mit ihren Heugabeln. Sie sollten es sein, die man fürchtete.   ~*~ Nishimura Kenji hatte durchaus einen Anflug schlechten Gewissens gehabt, als er die anderen zum Tempel geführt hatte.Er würde Jakotsu nichts tun. Er würde ihn beschützen, wenn es ging und ihn vielleicht mit sich nehmen, denn nichts läge ihm ferner, als dass der hübsche junge Mann den Tod fand. Als sie an den Tempel kamen, bemerkte man im fahlen Schein des Mondes Spuren im Schnee, sie hatten also bemerkt, dass sie kamen. Man beschloss, ihnen zu folgen. Grimmig, hasserfüllt und voller Schadenfreude. Immerhin waren sie bestimmt 30 Männer. Welche Chance hatten diese Verbrecher schon? Und plötzlich ... hörte Nishimura, der in einer der ersten Reihen mitlief, ein Surren und sein Instinkt sagte ihm, dass er sich schnell auf den Boden werfen sollte. "Achtung!!!", brüllte er, um seineGefährten zu warnen, und warf sich in den Schnee und das war gut so, denn im nächsten Moment fegten mehrere Klingen über ihn hinweg. Teilten nicht nur drei seiner Gefährten in zwei Teile, sondern mähten auch gleich noch zwei junge Bäume mit ab, die im Wege gestanden hatten. Als er den Kopf hob, vernahm er ein Lachen, während seine Gefährten schon ihre Waffen gezückt hatten und teilweise mit Schrecken auf die Enthaupteten blickten. "Jakotsu, du musst lernen, besser zu zielen. Wenn du richtig gezielt hättest, dann hättest du sicherlich fünf erwischen können, oder mehr." Nishimura blinzelte. Jakotsu? Wie als habe er gehört, wie er seinen Namen gedacht hatte, trat ebenjener aus dem Dunkel des Dickichts heraus auf die kleine Lichtung, auf welcher sie sich befanden. Nishimura schauerte und Jakotsu ließ in aller Seelenruhe seine Klingen zurückfedern. Das viele Üben hatte sich letztendlich bezahlt gemacht. Hinter Jakotsu trat ein Mann aus dem Schatten oder besser gesagt ein Junge, wie Nishimura auf den zweiten Blick bemerkte und irritiert fiel sein Blick auf die bedenklich große Waffe, die er mit sich herumschleppte. "Hallo Kenji-san", sagte Jakotsu sanft und selbiger konnte sich nicht mal in dieser Situation dessen Liebreiz erwehren und einen kurzen Moment ertappte er sich dabei, wie er sich danach sehnte, noch einmal in den Genuss dieser, im Mondlicht, fast schneeweißen Haut und dem duftenden, seidigen Haar zu kommen, welches nun lose über die Schultern des jungen Mannes floss. "Jakotsu", sagte er schließlich steif, bemüht seine Haltung zu wahren. "Bist du freiwillig bei diesen Männern?" Er sprach es aus, als sei es eine unmögliche Vorstellung, dass jemand wie Jakotsu mordend durch die Wälder ziehen konnte. Wie hatte er sich nur so täuschen können? Ein spöttisches Lächeln umspielte Jakotsus Lippen. "Sehe ich aus, als werde ich gezwungen?" Darauf wusste Kenji nichts zu antworten und an seiner Stelle sprach Bankotsu zu den Männern, welche in lauernder Stellung in einer Art Halbkreis um die Gefährten Aufstellung bezogen hatten: "Ich, Bankotsu, bin der Anführer dieser Männer-" In der Zwischenzeit waren auch Haruyama und Takanaga aus dem Dunkel herausgetreten und verweilten bewegungslos hinter Jakotsu und Bankotsu. "-Wir sind Söldner und folgen keinem Herrn und keinem Gesetz. Wenn ihr uns nicht ziehen lasst, dann werden wir euch töten und wir werden es mit dem Recht auf die Unversehrtheit unseres eigenen Leibes tun!" Bankotsus kraftvolle Stimme verhallte auf der Lichtung und die Männer warfen sich unsichere Blicke zu, bis einer von ihnen sprach: "Einer von euch hat mir meinen Vater genommen, einer von euch ist ein Mörder - händigt ihn uns aus und wir werden den Rest von euch unbescholten ziehen lassen." Bankotsu lächelte nachsichtig. "Ich fürchte, ich muss ablehnen. Wir sind keine Kameradenschweine. Wenn ihr einen von uns wollt, nehmt ihr es mit allen auf." Die Gestalt Haruyamas war es wohl, der die Männer zögern ließ. Andererseits, sie waren in der Überzahl und diese Männer nur zu viert. Der Anführer der Meute gab schließlich den Befehl: "Wir greifen an!" Bankotsu hatte die Lage schnell erfasst, bewaffnete Bauern, die Krieg spielen wollten. Lachhaft. Er leckte sich über die Lippen, als das erste Blut ihn bespritzte, Kleidung und Wangen traf. Ein triumphierendes Lachen entfuhr Bankotsu, als er innerhalb von wenigen Sekunden fünf weiteren Männern den Tod schenkte und aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Jakotsu, nicht weit von ihm, ebenfalls in eine Art Blutrausch verfallen war. Und verdammt. Jakotsu hatte nie so erotisch ausgesehen wie in diesem Moment, mit diesem mordlustigen, sadistischen Funkeln in den Augen und den ganzen Blutspritzern überall. Takanaga hatte das Treiben einen Augenblick beobachtet. Eigentlich war es unnötig, dass er sich einschaltete, Bankotsu und Jakotsu schienen alles fest im Griff zu haben - und nebenbei empfand er es als erstaunlich, dass sich Jakotsu doch nicht als ein solcher Trampel herausstellte, wie er die ganze Zeit gedacht hatte. Ehre, wem Ehre gebührte und das musste er ihm wohl oder übel anerkennen. Wie gesagt, nun war es eigentlich unnötig, dass er sich einmischte. Allerdings juckte es ihn gerade in den Fingern, eine seiner neuen Granaten auszutesten, die er die letzten Wochen konstruiert hatte und so rief er den beiden Kämpfenden zu: "Geht mal beiseite, sonst kriegt ihr was ab!" Bankotsu schaltete schnell und sprang aus dem Weg, während Jakotsu noch einem Mann das Bein absäbelte und dann ebenfalls in Deckung - hinter Haruyama - sprang, denn er sah schon die Lunte, die Takanaga in der Hand hielt. Der Mönch wartete einen Augenblick, dann zielte er direkt dahin, wo sich die meisten von ihnen aufhielten - und irritiert aus der Wäsche schauten aufgrund Bankotsus und Jakotsus jähem Rückzug. Dann hörten sie ein Zischen und die Blicke fielen auf den kleinen Gegenstand, den man in ihre Mittegeworfen hatte. Dann ein helles Licht, eine Explosion, so stark, dass eine meterhohe Schneesäule aufstob und Bankotsu, welcher sich auch hinter Haruyama geflüchtet hatte, hörte, wie geschmolzener Schnee in Form von Wassertropfen auf den Stahlpanzer des Hünen niederregnete, welcher das Schauspiel unbewegt verfolgt hatte. Schnee rieselte vom Himmel und als Bankotsu wieder hervortrat, bemerkte er mit Erstaunen die Leichenteile, die nun überall verstreut auf der Lichtung waren. Sein Blick fiel auf zwei Männer, welche überlebt hatten. Einer hatte eine ziemlich hässliche Wunde am Bein und der andere mühte sich damit ab, ihm wieder auf die Beine zu helfen, damit sie beide das Weite suchen konnten. Bankotsu trat näher und er sah mit Genugtuung die Angst in ihren Augen. Ein Gefühl von Macht durchströmte ihn. "Ich werde euch am Leben lassen", sagte er beinahe sanft und sein stechender Blick ruhte auf den beiden. "Immerhin muss ja jemand übrig sein, der von uns erzählen kann." Er machte eine bedeutungsvolle Pause. "Mein Name ist Bankotsu", sagte er dann. "Merke ihn dir gut, denn eines Tages werde ich der Anführer der gefürchtetsten Söldnertruppe aller Zeiten sein."   ~*~ Sie waren die Nacht über durch gelaufen bis der Morgen angebrochen war. Die Kälte war ihnen allen in die Knochen gekrochen und Jakotsu, welchen die Kräfte als erstes verlassen hatten, hatte kurzerhand beschlossen, sich auf einer von Haruyamas kräftigen Schultern niederzulassen, während Takanaga wortlos die Führung des Pferdes übernommen hatte. "Wo führst du uns hin, Bankotsu?", fragte er schließlich in die Stille hinein, da er sich selbst von der Müdigkeit ablenken wollte. Bankotsu antwortete nicht sofort. Denn es gab viele Erinnerungen. Schmerzhafte Erinnerungen. Verzögert murmelte er:„Ich möchte sehen, ob das Sommerhaus meiner Familie noch existiert. Es lag recht abgeschieden, weit draußen, nicht viele wussten nicht davon. Es mag sein, dass es von Räubern mittlerweile leergeplündert oder in neuen Besitz übergeben wurde, aber um ehrlich zu sein… ist das momentan die beste Lösung, die mir einfällt.“ Er hatte die stille Hoffnung, dass man die Finger davon gelassen hatte im Aberglauben, dass der Dämonenfluch, der die Familie Segawa hingerafft hatte, auf einen selbst zurück fallen könnte. „Wie lange ist es dorthin?“, wollte Jakotsu müde wissen. „Lange.“ „Fabelhaft.“ "Akira?", meinte Bankotsu dann irgendwann. "Ja?" "Denkst du nicht, dass es Zeit wird, deinen Namen abzulegen und einen anzunehmen, der dich uns zugehörig macht?" Takanaga kniff die Augen nachdenklich zusammen. Ein merkwürdiger Vorschlag, aber wenn er so darüber nachdachte, dann war es sicher nicht verkehrt. Sozusagen als Symbol für einen Neuanfang. Die Altlasten hinter sich zu lassen. "Renkotsu", sagte Bankotsu dann. "Er passt zu dir." Takanaga überlegte einen Augenblick, nickte dann. “Dagegen gibt es nichts einzuwenden.” Und tatsächlich schlich sich so etwas wie ein ehrliches Lächeln auf die sonst so verkniffene Miene des ehemaligen Mönches. “Und dein großer, schweigsamer Freund...”, führte Bankotsu weiter aus, “gehört ja nun auch zu uns.” Bankotsus Blick ruhte auf der massigen Gestalt Haruyamas, der mit einer Hand leicht nach hinten gegriffen hatte, um vorsichtig zu verhindern, dass Jakotsu von seinem Rücken rutschte. “Ginkotsu”, sagte er dann leise und sah Renkotsu daraufhin an, welcher mit einem schiefen Grinsen erwiderte: “Das musst du ihn schon selbst fragen.” “Hey, Haru!”, brüllte Bankotsu, sodass Jakotsu aufschreckte und fast von Haruyamas Schulter gefallen wäre, “ist dieser Name dir recht?” Der Hüne gab ein zustimmendes “Gish” von sich und damit war die Sache für Bankotsu erledigt. Stolz auf sich selbst und seinen Einfallsreichtum wandte er seinen Blick wieder nach vorne. Es wurde stetig heller.   ~*~ Sie legten einen regelrechten Gewaltmarsch hinter sich, in dem sogar Bankotsu an seine Grenzen stieß. Jedenfalls war er ebenso froh wie die anderen als sie an ihrem Ziel anlangten. Das Sommerhaus stand zumindest noch. Irgendjemand hatte Fenster und Türen vernagelt, was zumindestschonmal hieß, dass es nicht in neuen Besitz übergegangen war. Auf einer Seite hatte man die Verschläge heruntergerissen. Vermutlich das Werk von Räubern oder Aussätzigen. Aber damit hatte man rechnen müssen. Während er durch das aufgerissene Fenster das Haus betrat machte Ginkotsu sich daran die Verschläge von allen anderen Fenstern herunter zu reißen. Es war schmutzig. Schmutzig und staubig und die Luft war ekelhaft muffig. Bevor sie heizen konnten, mussten sie erstmal ordentlich durchlüften. Bankotsu schritt langsam durch die Gänge, ging in den einen oder anderen Raum hinein und hatte Mühe, sich nicht von Erinnerungen überwältigen zu lassen. Es hatte schöne Zeiten gegeben, ja. Zeiten vor dem Krieg, Zeiten ohne den Dämon, der alles zerstört hatte. Als seine Mutter gelacht hatte. Als sein Vater der gewesen war, zu dem er hatte aufsehen können. Und sein Bruder… plötzlich hielt Bankotsu inne, als hätte ihn der Blitz getroffen. Hideo? Was war mit Hideo? Er durchsuchte seine Erinnerungen beinahe verkrampf nach dem Bild mit der Leiche seines Bruders, aber er fand es nicht. Ihm wurde plötzlich schwindelig. Mit einem Keuchen stützte er sich an der nächsten Wand ab. Wie hatte er das nur all die Jahre verdrängen können? Sein Bruder .. „Bankotsu? Ist alles in Ordnung?“ Bankotsu fuhr herum wie von der Tarantel gestochen, doch es war nur Jakotsu, der ihm nachgekommen war. „Alles gut“, erwiderte Bankotsu fahrig. "Wo ist die Küche?", fragte Jakotsu leise, nur um etwas zu sagen. "Dann gehe ich mal nachsehen, ob es noch brauchbare Vorräte gibt." Bankotsu murmelte: "Ganz am Ende des Gangs an der Frontseite... aber da wird nichts mehr sein, das kannst du dir eigentlich sparen." Jakotsu nickte und machte sich auf den Weg. Er hatte ohnehin das Gefühl, dass Bankotsu gerade lieber alleine war. Es war nur logisch, dass der von Erinnerungen überwältigt wurde. Wem wäre es anders ergangen? Die Schiebetür zur Küche war halb offen und als Jakotsu sie ganz aufschieben wollte, merkte er, dass sie klemmte. In der Küche war alles, wie im Rest des Hauses auch, mit einer dicken Staubschicht bedeckt, aber es schien kaum etwas entwendet worden sein. Höchst eigenartig, wenn ein Haus so lange leer stand. Bankotsu würde ihm wohl bald ein paar Fragen beantworten müssen. Er brauchte nicht lange suchen, bis er etwas fand, was mit etwas Glück eine Speisekammer darstellen konnte. Er schob die Tür auf und tatsächlich – ein Raum knappe 15 Quadratmeter groß, an welchem sich an jeder Wand Regale drängten und auf dem Boden standen ein paar Fässer. In den Regalen fand er eingelegtes Gemüse und getrocknetes Obst, welche sich beide über die Jahre hinweg gehalten hatten schienen und seine Augen begannen zu leuchten, als der Blick auf kandierte Früchte in einem Glas fiel. Langsam trat er näher und klopfte von außen auf die Fässer. Manche von ihnen schienen sogar noch gefüllt zu sein. Schließlich rüttelte er an einem Deckel: Es brauchte eine Zeit lang, da er sich nicht sofort löste, aber als er ihn schließlich herunter hatte und in das Fass hineinspähte, erhellte sich seine Mimik. Eingesalzenes Fleisch. Sowas hielt sich praktisch ewig. Verhungern würden sie hier schon mal nicht und zur Not konnten sie ja auch irgendetwas von dem Schnickschnack verkaufen, der hier überall herumstand. Jakotsu konnte nicht widerstehen und fischte sich ein kleines Stück Fleisch aus dem Fass, ehe er es wieder sorgsam mit dem Deckel verschloss, dann ging er zurück, um nach einem Zimmer zu sehen. Renkotsu war es nun vollkommen gleichgültig, wo sie den Winter verbrachten, solange sie nicht in einem Loch in der Erde hausen mussten. Er nahm gerade das Arbeitszimmer des ehemaligen Hausherrn in Augenschein und der Reichtum dieser Familie wurde ihm hierbei deutlich. Die edelste Einrichtung, das teuerste Schreibmaterial, Kerzen, die aus Wachs waren und nicht aus billigem Talg, wie sie die Bauern und einfachen Leute benutzten und da er ja bei ihrem übereilten Aufbruch nicht alle seine Schreibmaterialien nicht hatte mitnehmen können, war er mehr als zufrieden, hier das passende zu finden. Zwar waren die Papierbögen schon etwas vergilbt und einige Tuschefässchen bereits eingetrocknet, aber es waren noch etwa fünf ungeöffnete Fässchen dabei. Das Haus war zudem groß genug, sodass die Gefahr eines Lagerkollers sehr gering war. Hier ließ es sich definitiv eine Weile aushalten, zumal dieses Haus auch weitaus besser isoliert schien als die Tempelanlagen, in denen er zuvor gehaust hatte.   ~*~ Gerade eben hatte er das Zimmer seiner Eltern betreten. Er wusste, dass seine Mutter einige ihrerkostbarsten Kimonos hier aufbewahrt hatte. In einer geheimen Lade, irgendwo hinter der Wandverkleidung oder einer Bodendieleoder so, so genau wusste er das nicht mehr. Aber die Kimonos hatten seinerzeit ein halbes Vermögen gekostet und er hatte den dumpfen Verdacht, dass sie sie absichtlich hier versteckt hatte, um im Fall des Falles nicht vollkommen mittellos dazustehen. Aufs Geratewohl klopfte er die Wandverkleidung ab, aber ohne Erfolg. Kein Hohlraum.Er wollte schon aufgeben als er eine Eingebung hatte. Sein Blick fiel auf den Wandschrank. Er schob die Türen auf und räumte achtlos das wertlose Gerümpel raus, das das Diebesgesindel gnädigerweise hier gelassen hatte. Dann klopfte er vorsichtig die Wände und den Boden des Schrankes ab – und tatsächlich klang es so als wäre hinter der linken Innenseite ein Hohlraum. Bankotsu fuhr mit den Fingerspitzen langsam über das Holz, drückte hier und da dagegen - bis er endlich den Mechanismus fand, der die geheime Türe öffnete. Drei unscheinbare längliche Kisten waren hier gestapelt, die man auf den ersten Blick sogar übersehen hätte, wenn man nicht wusste, dass sie da waren. Sehr geschickt. Er schaffte sie hinaus und blies den Staub von einer herunter, um sie umsichtig zu öffnen. Ihm wurde klamm ums Herz, als er die Fingerspitzen ehrfürchtig über den kostbaren Stoff schweifen ließ. Beinahe bildete er sich ein, das Parfum seiner Mutter noch darin wahrnehmen zu können. Und da war auch der seidene, fliederfarbene Schal, den sie immer getragen hatte. Sie hatte diesen Schal geliebt. Im Herbst und im Winter hatte sie ihn nahezu ständig getragen. Ein verräterisches Brennen in den Augen. Bankotsu wischte sich darüber und sah sich dann verstohlen um.Dann straffte er die Gestalt. Er als Anführer durfte sich solche Art von Schwäche nicht erlauben. Seine Gefährten würden ohnehin früher oder später beginnen, zu fragen, was hier vorgefallen war und dann wollte er es ihnen möglichst sachlich sagen und nicht einen tränendurchwirkten Bericht abliefern, der an seiner Mannhaftigkeit zweifeln ließ. "Bankotsu?" Er wandte sich um und unbewusst fühlte er sich besser, als er sah, wie Jakotsu ihn anlächelte. "Es ist wirklich schön hier, aber wenn wir hier bleiben wollen, dann sollten wir einmal gründlich von oben bis unten sauber machen." Bankotsu grinste schief. "Führt wohl kein Weg dran vorbei, was?“ Wenig später waren auch ihre anderen Gefährten eingespannt und während ihm, genau wie den anderen, schon bald der Schweiß lief, dachte Bankotsu im Stillen darüber nach, dass es wohl sehr annehmlich wäre, jemanden zu beschäftigen, der alleine für die Ordnung im Haus zuständig war. Wenn sie Geld verdienten. Doch plötzlich, während er gerade die Fenster im Schlafzimmer seiner Eltern schrubbte, fiel ihm etwas ein. Sein Vater wäre doch sicher nicht sein Vater gewesen, wenn der nicht irgendwo eine Geldkassette oder etwas Derartiges versteckt hatte. War nie ein Mann gewesen, der Dinge dem Zufall überließ. So ließ er die Fenster erstmal Fenster sein und überlegte, wo der Mann wohl etwas versteckt haben könnte, von dem er sich sicher war, dass dort niemand nachsehen würde.Die Kimonos seiner Mutter wollte er nämlich nur im allerhöchsten Notfall verkaufen. Dann klopfte er die Bodenleiste nach hohlen Stellen ab, wurde aber nicht fündig. Schließlich nahm er sich die Rückseite der Schränke vor. Und dann das Büro seines Vaters und als er schließlich nicht mehr weiter wusste, packte ihn erst recht der Ehrgeiz. Nein, sein Vater war ein kluger Mann gewesen, an den Stellen, an denen er gesucht hatte, rechnete doch jeder damit. Also was könnte das für ein Ort sein, an welchem ein Mann wie er eine größere Summe an Geld versteckte? Denn die Wertpapiere die dieser besaß, konnte er als Totgeglaubter momentan schlecht einlösen, das wäre noch zu früh. Bankotsu stöhnte überfordert auf und lehnte sich gegen eine Wand. "Er wird ja wohl kaum eine Geldkassette im Pferdestall vergraben haben", sagte er schlecht gelaunt vor sich hin und noch ehe er diesen Gedanken vollständig ausgesprochen hatte, beschlich ihn das Gefühl, dass das vielleicht gar nicht so abwegig war. Andererseits ... Er konnte sich nun auch nicht wirklich vorstellen, dass ein Mann wie sein Vater, der vor Würde und Ansehen nur so strotzte, im Pferdestall herumkroch, um da sein Erspartes zu verstecken. Bankotsu zuckte schließlich mit den Schultern und ging dann nach draußen in Richtung der Stallungen. Auch nach zwei Jahren war der angenehme Muff nach Pferdestall nicht gänzlich gewichen und es hatte gleich etwas Vertrautes. Er hatte den Rittmeister immer sehr gemocht als Knabe, auch wenn Reiten nie seine Lieblingsdisziplin gewesen war. Langsam schritt er durch den Mittelgang und blieb dann dort stehen, wo das Lieblingspferd seines Vaters immer gestanden hatte. Dann betrat er die Stelle und sah sich suchend auf dem Boden um.Nichts, keine Kerbe im Boden, keine Unregelmäßigkeit. Sich geschlagen gebend lehnte er sich an das Wasserbecken. Wahrscheinlich hatte er ihn doch falsch eingeschätzt. Wäre ja nicht das erste Mal, dachte er ironisch. Moment mal, hatte das Becken leicht geruckelt, als er sich dagegen gelehnt hatte? Bankotsu runzelte die Stirn. Sein Vater hatte solche Mängel nicht geduldet und schon gar kein lockeres Wasserbecken im Stallplatz seines Lieblingspferdes. Neugierig nahm er es genauer in Augenschein und als er das tat, bemerkte er, dass die Fugen nicht verschlossen waren, wie sie es eigentlich sein sollten. "Er wird doch nicht ...", murmelte er, dann packte er das Becken, ruckelte ein bisschen daran und tatsächlich, der obere Teil löste sich ab, wie ein Deckel und darunter wurde eine Aushöhlung sichtbar. Bankotsu stellte das Beckenteil zur Seite und griff dann beherzt mit einer Hand hinein, tastend, wobei er einen leichten Ekel aufgrund des Schlicks verspürte und dann ... fand er etwas Metallisches, Schweres und er musste mit der zweiten Hand hineingreifen, weil es so glitschig war, dass er es sonst nicht hätte greifen können. Er zog eine Kiste heraus, etwa so groß, wie ein frühgeborener Säugling und da er wenig Lust hatte, den Inhalt hier im kalten Stall zu erforschen, trug er sie zurück zum Haus. Im weiträumigen Wohnzimmer stellte er die Kiste auf den flachen Tisch und probierte dann, den Deckel zu öffnen, doch zu seiner Enttäuschung musste er bald feststellen, dass sie sich nur mit einem passenden Schlüssel öffnen ließ. Sauer betrachtete er das kleine, rostige Schloss und beschloss dann, dass er keine Lust hatte, in diesem großen Haus noch nach einem Schlüssel zu suchen und verpasste der Kiste dann einfach mehrere gezielte Hiebe mit seiner Faust. Das Resultat davon war allerdings nur, dass das Schloss immer noch geschlossen war und ihm nun die Hand wehtat. "Du verfluchtes, dreckiges Miststück ...", beschimpfte er die Kiste und verschränkte dann die Arme vor der Brust. "Du hast gerufen?" Bankotsu sah auf und sah Jakotsu schief grinsend in der Tür stehen. "Wo hast du die Schürze her?", murrte Bankotsu. Jakotsu grinste verhalten. "Aus dem Schrank einer der Bediensteten - ich mach mir doch nicht den einzigen schönen Yukata schmutzig, den ich besitze." Bankotsu rollte die Augen, während der Ältere sich neben ihn setzte und die Kiste neugierig beäugte. "Kriegst du die nicht auf?" "Nein, ich haue nur darauf rum, weil es mir solchen Spaß macht, mir wehzutun!", entgegnete Bankotsu eingeschnappt und beobachtete dann mit verschränkten Armen, wie Jakotsu seelenruhig eine Nadel aus seiner ohnehin schon wirren Frisur zog und begann, in dem Schloss herumzustochern. "Jakotsu, bitte, das funktioniert doch niemals." Jakotsu erwiderte nichts, sondern werkelte ein paar Sekunden konzentriert in dem Schloss herum, ehe es klickte und die Kiste tatsächlich aufsprang. Bankotsu hob eine Augenbraue. "Woher kannst du sowas?" Irgendwie kratzte es an seinem Stolz, das Jakotsu etwas so leicht hinbekam, mit dem er seine Schwierigkeiten gehabt hatte. "Bei Oneesamas Gehältern musste man mit allen Wassern gewaschen sein. Ich hab mich regelmäßig an den Geldvorräten meiner Freier bedient, denn manchmal holten sie mich auch für ein paar Tage mit zu sich nachhause. Und ich hab mir danach ein paar schöne Sachen gegönnt", fügte der junge Mann lachend hinzu und merkte offenbar gar nicht, dass das Thema Bankotsu an den Rande der Weißglut brachte. Wütend biss er sich auf die Unterlippe. Nein, solange er lebte, sollte Jakotsu nie wieder gezwungen sein, solche Dienste feilbieten zu müssen, um überleben zu können. Jakotsu sog überrascht die Luft ein, als Bankotsu ihn plötzlich an sich zog und ihm herrisch in den Hals biss. "Ungh ... Bankotsu, willst du nicht ... lieber sehen, was da drin ist ... hah-" "Hat Zeit", murmelte Bankotsu und fühlte sich während des Bisses von einer eigenartigen Zufriedenheit beseelt. Er küsste die wunde Stelle beinahe entschuldigend, als ihm plötzlich etwas einfiel. "Sag mal ... als es gestern Abend zu diesem Kampf kam, schien der eine Kerl dich zu kennen - wieso?" Jakotsu blickte ihn unschuldig an, als er von ihm abließ. "Der hat mich sicher verwechselt, ich habe den nämlich noch nie in meinem Leben ge-" Ein weiterer, schmerzhafter Biss, ließ ihn innehalten. "Du sollst deinen Anführer doch nicht anlügen", knurrte Bankotsu, sodass Jakotsu wonnevoll erschauerte. "Ich hab mit ihm geschlafen...", sagte er dann und versuchte dabei, reumütig zu klingen. Bankotsu schaute ihn böse an. Wusste aber, dass er kein Recht hatte, Jakotsu deshalb Vorwürfe zu machen. So beschloss er, sich einfach mit etwas anderem abzulenken und während Jakotsu noch bemüht war, seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen, meinte er: "So, jetzt sehen wir mal, was mein alter Herr mir da hinterlassen hat." Damit öffnete er die Kiste und ein warmer, goldener Schimmer drang daraus hervor. Jakotsu wurden die Augen groß, während Bankotsu selbstgefällig grinste. "Ich würde sagen, die nächsten Monate sind locker davon bezahlt." "Monate?", erwiderte Jakotsu verwirrt. "Das reicht doch für mindestens zwei Jahre." "Du vergisst, dass wir einiges an Kleidung werden kaufen müssen. Wir sind zwar Söldner, aber davon gibt es viele. Wenn wir neben einem beeindruckenden Auftreten noch eine einigermaßen edle Erscheinung haben, dann steht uns eigentlich nahezu alles offen. Außerdem brauchen wir noch jemanden, der das Haus hier in Ordnung hält." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)