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Rot wie Blut

Die Legende der Shichinintai
von

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Die Jäger

Der Winter hielt beständig an, erbarmungslos in seiner ganzen Härte. Man konnte es den Göttern danken, dass vor allem Haruyama den Sommer über mehr als genug Holz gesammelt hatte, ehe der Herbst es durch Regen und Kälte hatte faulig werden lassen können.

Während dieser Zeit sprachen Bankotsu und Takanaga sehr viel miteinander. Jakotsu und Tanakaga schienen sich nicht ganz grün zu sein und so standen gelegentliche Spitzen auf der Tagesordnung. Takanaga verabscheute es, wie Jakotsu sich gab, wie er herumlief, wie er so offenherzig mit seiner Sexualität umging und Jakotsu ärgerte sich im Gegenzug dafür maßlos darüber, wenn der Mönch heraushängen ließ, wie klug und gebildet er doch war und ihn somit vor Bankotsu als totalen Vollidioten dastehen ließ.

Und er hasste es, dass Bankotsu und Takanaga sich so gut verstanden, aber das musste er wohl hinnehmen. Außerdem hatte er zu seiner Ablenkung immer noch Haruyama und der war eine angenehme Gesellschaft.

Er übte sich, wenn der Schnee nicht gerade in dichten Flocken zu Boden segelte, darin, seine Waffenfertigkeiten zu verbessern. Bankotsu trainierte manchmal mit ihm und wenn er es nicht tat, dann übte Jakotsu heimlich. Nicht alleine aus dem Grund, Bankotsu zu gefallen.

So langsam war ihm der Gedanke gekommen, wieviel Macht so ein Schwert eigentlich hatte, wenn man es richtig führte. Es war ihm früher immer zuwider gewesen, diese Schwäche, diese Wehrlosigkeit. Natürlich hatte er sich immer gerne als jemand ausgegeben, den man umwerben wollte, anmutig, erotisch und schön, aber diese Eigenschaften musste er ja nicht zwingend aufgeben, wenn er ein Schwert führte.

Und wenn er schrecklich große Langeweile hatte, dann stellte er die Waffen beiseite und durchstreifte die umliegenden Wälder.

Etwas, das für Jakotsu eigentlich vollkommen untypisch war, hatte er doch früher im Winter die warmen Räume des Bordells vorgezogen.
 

Es war mitten am Tag und einer der wenigen Wintertage, an denen die Sonne durch die dichten Wolken brach, die weiße Schneedecke in eine freundliche, sympathische Landschaft verwandelte. Jakotsu war seit einigen Stunden alleine unterwegs.

Er genoss die Ruhe, die Freiheit, die er hier in den Bergen hatte, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, für immer hier zu leben. Es war eine Art Erholung.

Eine Weile ging die Strecke bergauf, dann verlief sie ebenerdig weiter und die Bäume wurden auch immer spärlicher.
 

Er kam bald zu einer abschüssigen Stelle. Wäre man hektisch oder im Dunkeln hier herumgestolpert, wäre man sicherlich leicht in Gefahr gelaufen, einfach herabzustürzen und einen schmerzhaften Tod zu sterben, aber jetzt, wo er sich das hier in Ruhe betrachten konnte, stellte er fest, was für ein atemberaubender Anblick das war. Jakotsu schniefte einmal aufgrund der Kälte und schirmte dann leicht die Augen ab, da die helle Fläche unheimlich blendete. Dort unten konnte er sogar einen einsamen Hirsch erkennen, der seine Wälder durchschritt.

Es sah beinahe so aus, als hätten die Götter hier unzählige Edelsteine hineinrieseln lassen, so gänzlich unberührt und rein.

Ein Lächeln zuckte um seine blassroten Lippen. Dann blinzelte er, als er in der Ferne eine schmale Rauchsäule entdeckte. Wer hielt sich denn mitten im Nirgendwo auf außer ihnen? Das interessierte ihn nun doch sehr. Allerdings konnte es genauso gut sein, dass es sich um einen Trupp Jäger handelte - in den umliegenden Dörfern, so hatte Takanaga gesagt, herrschte im Winter noch stärkere Nahrungsknappheit als sonst schon und manchmal schlossen sich die Männer aus einem Dorf zusammen, um für mehrere Tage auf die Jagd zu gehen. Jakotsu war hin- und hergerissen. Irgendwie zwickte ihn die Neugier und die plötzliche Sehnsucht, einmal andere Gesichter zu sehen, als das Bankotsus und Takanagas, aber wer wusste, ob das nicht irgendwelche Halunken waren, die nur darauf lauerten, dass jemand wie Jakotsu vorbeigeschneit kam, um ihn auszurauben und was noch alles?

Jakotsu verzog das Gesicht. Nein, das war irgendwie absurd. Er könnte ja einfach mal nachsehen und sich dann immer noch entscheiden, was er tun sollte.

Zeit hatte er ja genug.

Er musste unwillkürlich schmunzeln, als er daran dachte, dass Bankotsu es gar nicht so gerne hatte, wenn er sich so in der Gegend herumtrieb.

Ohnehin war es etwas seltsam zwischen ihnen. Jakotsu meinte, in des Jüngeren Miene immer deutlicher und immer öfter so eine Art Verlangen ihm gegenüber aufschimmern zu sehen, aber andererseits war Bankotsu jung und im besten Alter, nicht zu wissen, was er eigentlich wollte. Solche Jungen hatte er im Bordell früher öfter bedient. Taten immer großspurig und wenn es zur Sache ging, waren sie das reinste Häufchen Elend, das man mit ganz viel Zuspruch und Feingefühl aus sich herausholen musste.
 

Jakotsu seufzte. Irgendwie sehnte er sich mal wieder nach einem Mann. Einem richtigen Mann. Einem, der ihn hart anpackte und ihm seine Bedürfnisse befriedigte.

Sex war doch so viel einfacher, wenn keine Gefühle im Spiel waren. Ob er es mit Bankotsu tun wollte, war eine Frage, die er sich seltsamerweise noch nie gestellt hatte.

Es reizte ihn sehr, aber dieser sollte gefälligst erstmal herausfinden, was er selbst eigentlich wollte, ehe sie sich irgendwie näher kommen konnten.

Außerdem wusste er nicht, ob er führen oder Bankotsu die Führung lassen sollte in so einem Fall.

Ihm hatte dessen Geständnis, er sei eifersüchtig gewesen, durchaus imponiert und einer boshaften Seite in ihm reizte es extrem, Bankotsu zu provozieren, indem er sich einfach in den Armen eines starken Kriegers fallen ließ.

Allerdings waren diese Auswahlmöglichkeiten hier oben mehr als begrenzt und deshalb zog er es vor, einfach seinen Gedanken und Fantasien nachzuhängen.
 

Nach etwa einer halben Stunde erreichte Jakotsu jene Stelle, von der der Rauch gekommen war. Er selbst war jetzt auf einer kleinen Anhöhe, relativ gut von Gebüsch verborgen, und spähte nun hinunter; er hatte Recht behalten. Es handelte sich wirklich um eine kleine Gruppe von etwa sechs Männern, welche diese geschützte Stelle komplett freigeräumt und ein Feuer entzündet hatten, um sich zu wärmen. Sein Blick fiel auf ein Bündel Kaninchen und andere Kleintiere, die man auf eine Leine gezurrt hatte. Gefährlich wirkten die Männer nicht. Mehr wie gewöhnliche Bauern oder Dorfbewohner. Jakotsu fröstelte ein wenig, so in seiner zusammengekauerten Haltung, und starrte sehnsüchtig auf das Feuer.

Sollte er sich bemerkbar machen? Es wäre sicher schön, sich ein bisschen aufzuwärmen, ehe er den Rückweg antrat. Außerdem konnte ein bisschen Gesellschaft auch ganz lustig sein.

Er wog diesen Gedanken noch ein wenig ab, dann entschied er sich dafür. Er erhob sich und wollte sein Versteck aufgeben, als er unglücklich mit seiner Kleidung an einem Ast hängenblieb, durch seinen eigenen Schwung das Gleichgewicht verlor und so mit einem leisen Aufschrei den kleinen Hang hinuntersegelte und alle Viere von sich gestreckt im Schnee liegen blieb.

'Bravo, Makoto', dachte er ironisch, 'du verstehst es wahrlich, dich vor Leuten lächerlich zu machen, noch ehe du ein Wort mit ihnen gesprochen hast.'

Er wagte es schließlich, aufzublicken - und sah direkt in die verdutzten Gesichter der Männer, die sich erhoben hatten, teilweise nach ihren Waffen gegriffen, und nun um ihn herum standen.

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf Jakotsus Wangen. "Verzeiht mir bitte mein plötzliches Hereinplatzen, aber ich sah Feuer in der Entfernung und hoffte, mich ein bisschen bei Euch wärmen zu dürfen."

Die Männer warfen sich Blicke zu und brachen dann in Gelächter aus. Einer von ihnen trat zu ihm hin und bückte sich, den Arm ausstreckend, um ihm aufzuhelfen. Jakotsu ergriff ihn und kurz traf ihn der Blick von einem dunklen, aufgeweckten Augenpaar, ehe er schließlich wieder auf den Beinen stand.

Sein Helfer sah amüsiert zu, wie er sich den Schnee von der Kleidung klopfte und meinte dann: "Ihr müsst sehr durchgefroren sein - wir haben innerhalb eines halben Tages, den wir nun unterwegs sind, kein weiteres Dorf mehr gesehen."

Jakotsu lief in Richtung des Feuers und nahm frech zwischen zwei der Männer Platz, die sitzengeblieben waren, nur um dann seine Handflächen in Richtung der Hitze zu halten. Eine wahre Wohltat.

"Ich stamme nicht aus einem Dorf", sagte er dann freimütig, während die anderen hinzukamen und sich ebenso wieder niederließen.

Der Mann, welcher ihm aufgeholfen hatte, fragte: "Verzeiht mir die Neugier, aber wer seid Ihr und woher stammt Ihr? Hey - Genma, füll mal ein bisschen was von der heißen Suppe in eine Schüssel, ich glaube, unser Freund hier kann etwas Heißes gerade gut gebrauchen", wandte er sich an den Mann, der dem kleinen Kesselchen, das über dem Feuer befestigt war, am nächsten saß.
 

Dankbar nahm er die Schüssel mit der Suppe entgegen und wärmte sich an ihr ein wenig die Finger, ehe ihm einfiel, dass man ihm eine Frage gestellt hatte.

"Ich ... lebe mit meinem Reisegefährten vorübergehend bei dem Mönch, in diesem heruntergekommenen Tempel, etwa vier Stunden von hier entfernt."

Er nahm einen Schluck von der Suppe, allerdings entging ihm dabei nicht, wie die

Männer bedeutungsvolle Blicke untereinander tauschten.

"Sagtet Ihr gerade, der abgebrannte Tempel?" Einer der Männer, ein älterer mit einem ziemlich bärbeißigen Äußeren, war aufgesprungen und stierte Jakotsu nahezu an.

Der Mann, welcher neben Jakotsu saß, offenbar der Anführer des Trüppchens warf dem Mann einen tadelnden Blick zu. Dann wandte er sich wieder an Jakotsu. "Nehmt es ihm nicht übel, er ist wohl, wie wir alle, überrascht, dass der Tempel noch bewohnt ist, nach der Tragödie, die damals dort geschah. Wollt Ihr mir nicht auch Euren Namen verraten?" Jakotsu entging nicht, dass der Mann schnell das Thema wechselte. Auch hatte er das Gefühl, dass dieser etwas näher zu ihm aufgerückt war als vorhin. Allerdings empfand er diese Tatsache keinesfalls als unangenehm - der muskulöse Körper gab Wärme an seinen ab.

Jakotsu überlegte kurz, ob er ihnen seinen richtigen Namen oder den neuen Namen, den er nun angenommen hatte, nennen sollte. Kurzerhand entschied er sich für den neuen.

"Jakotsu", sagte er knapp. Sein wahrer Name sollte nur von den wenigen Menschen gekannt werden, die ihm wichtig waren. Und momentan war das so gesehen nur Bankotsu.

"Und mein Name ist Nakamura Kenji - meine Gefährten und ich sind momentan auf der Suche nach Nahrung, da in unserem Dorf die Vorräte schneller zur Neige gehen als gedacht."

Also hatte Jakotsu richtig gelegen. Er nickte, als ob ihn das alles mächtig interessieren würde, dann meinte er direkt, wie es eben seine Art war: "Von welcher Tragödie habt Ihr vorhin gesprochen?"

"Nun", begann Nakamura kategorisch, "es ereignete sich vor etwa drei Jahren. Zu dieser Zeit war der Tempel sehr belebt - viele Mönche lebten dort. Sie taten, was Mönche so eben tun. Sie beteten, brachten den Göttern Opfergaben, halfen den Menschen in Not, die an die Türen klopften, gaben ihnen zu essen und ein Obdach. Desweiteren sagt man, dass vor etwa 25 Jahren ein Kleinkind vor den Tempelstufen ausgesetzt worden war. Die Mönche in ihrer Güte nahmen es auf und zogen es wie einen der ihren groß. Schon bald stellte sich heraus, dass dieses Kind ein Übermaß an Intelligenz besaß und mit Staunen beobachteten die Mönche, wie es sich entwickelte. Es habe sich selbst ein enormes Wissen über Feuerwaffenkunst angeeignet, etwas, das eigentlich von den Mönchen, die sich streng an ihre pazifistischen Lehren hielten, strikt abgelehnt wurde.

Es kam scheinbar immer öfter zu Auseinandersetzungen, aber den freundlichen Mönchen wäre im Traume niemals eingefallen, ihn deshalb fortzujagen.

Und dann geschah die Tragödie. Der Junge konnte es wohl auf einmal nicht mehr ertragen, unter der Fuchtel der Mönche zu stehen, hörig und fromm zu sein und - zugegeben, so ein Leben in der Einöde und der Abstinenz kann sicherlich ziemlich aufs Gemüt drücken - und er wurde vollkommen wahnsinnig, sagt man. Es war Nacht, als die Dorfbewohner, welche noch keinen Schlaf gefunden hatten, plötzlich einen lohenden Schein am Himmel sahen - er kam aus der Richtung des Tempels. Sie machten sich auf, um vielleicht zu helfen, aber als sie da waren, brannte der Tempel schon lichterloh und die Todesschreie waren längst verstummt. Als das Feuer bei Einbruch des Morgens zurückgegangen war, konnte man nur mehr die verbrannten Überreste der Tempelbrüder bergen. Von dem Jungen fehlte seit jeher jede Spur."
 

Jakotsu hatte eine Gänsehaut bekommen während dieser Geschichte. Er hatte ja gewusst, dass Takanaga nicht ganz so unscheinbar war, wie er immer tat, aber das ...

"Wartet, die Geschichte geht noch weiter", knüpfte Nakamura an. "Vor einem Jahr etwa, sollen drei Männer aus dem Dorf in die Nähe des Tempels gekommen sein und Rauch gesehen haben. Also den Rauch eines Kaminfeuers, nicht den eines Brandes. Nur einer dieser Männer kehrte zurück und er berichtete ganz wirr, dass ein Mann, halb Mensch, halb Maschine, diesem Mönch diente, der damals die anderen ermordet hatte."

Jakotsu schüttelte den Kopf. "Also das ist ...", murmelte er. Ihm fehlten die Worte. Das war einfach ungeheuerlich. So wenig er Takanaga mochte, hätte er ihm dennoch nie so etwas zugetraut. Wer wusste, was er mit ihnen anstellte, sobald sie etwas taten, das ihm missfiel? Er musste dringend zurück und mit Bankotsu sprechen, damit sie diese Stätte so schnell wie möglich verließen.

Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Oberschenkel und er konnte erst nicht zuordnen, ob es nur ein freundlicher Klaps, oder eine anzügliche Berührung war. "Es ist sehr spät geworden - wenn Ihr möchtet, dann bringe ich Euch zu Pferd zurück, sonst geratet Ihr ins Dunkel."

Jakotsu lächelte kokett. "Ach, nun ja, weiter schlimm ist das ja nicht, der Schnee ist so weiß, dass es sogar des Nachts taghell wird."

Nakamura ließ ein verschmitztes Lächeln über seine Lippen blitzen und Jakotsu stellte fest, wie sympathisch dieses Lächeln wirkte.

"Was wäre ich für ein Mann, wenn ich verantwortete, jemanden wie Euch allein durch die Wälder streifen zu lassen?", gluckste er und Jakotsu bemerkte aus dem

Augenwinkel, wie der Mann, der zuvor aufgesprungen war, die Augen verdrehte. Das nicht weiter beachtend, meinte Jakotsu schließlich: "Wenn das so ist, dann habe ich wohl kaum eine Wahl und nehme Euer Angebot gerne an."
 

Wenig später schmiegte er sich an den muskulösen Leib vor ihm auf dem Pferd und träumte so ein bisschen vor sich hin, während sie die Strecke, für die Jakotsu zu Fuß vier Stunden gebraucht hatte, locker in zwei schafften.

Die Dämmerung war noch nicht hereingebrochen, als man in der Ferne eine zarte Rauchsäule erkennen konnte - Haruyama hatte wohl wieder Feuer gemacht. Noch ehe sie den Tempel erreicht hatten, zog Nakamura an den Zügeln, sodass das Pferd stehen blieb.

Jakotsu ließ sich heruntergleiten, der andere Mann tat es ihm im nächsten Moment gleich.

"Wollt Ihr nicht mit hinein kommen und Euch einen Moment aufwärmen?"

Nakamura lehnte die Zügel des Pferdes über einen tief hängenden Ast, dann trat er näher an Jakotsu heran. "Ich denke, es wäre besser, ich kehre ab hier um. Dieser Tempel mit seiner Geschichte ist mir nicht sehr geheuer", lachte er.

Einen Moment schien er zu zögern, dann fügte Nakamura hinzu, während er Jakotsu sanft bei den Schultern packte: "Hört zu, ich bin vorhin nicht ganz ehrlich gewesen."

"Ich verstehe nicht ganz ..."

"Ich nahm es auch als Vorwand um einen Augenblick noch mit Euch alleine zu sein ... Ihr seid einfach so … atemberaubend schön ..."

Um Jakotsus Lippen spielte ein süffisantes Lächeln. "Ihr mögt Knaben also, ja? Und Eure Gefährten sollen das nicht wissen?"

Nakamura machte ein komisch-ertapptes Gesicht. "Nicht ganz. Manche von ihnen sind ja selbst nicht anders. Wenn man so lange unterwegs ist und keine Familie mehr hat, dann fängt man irgendwann an, sich umzusehen ... und so hübsch ein Knabe wie Ihr auch sein mag, so wird man nicht in Gefahr laufen, einem ein ungewolltes Kind zu schenken ..."

Das letzte hatte er nur noch gemurmelt, ehe sich die von der Kälte trockenen Lippen auf die Seinen gesenkt hatten. Jakotsu schloss die Augen und er ließ es zu. Ließ zu, wie die maskulinen Hände lüstern seinen Körper erkundeten, wie die Zähne, der Mund dominant seinen Hals bearbeiteten und er erwiderte und ließ sich gehen, weil er es einfach gerade brauchte und er stöhnte leise, als der Mann ihm zwischen die Beine griff und sich dann einen Weg unter die dickte Winterkleidung Jakotsus suchte und als er ihn gefunden hatte und sich an ihn presste, bemerkte Jakotsu mit Wonne die Härte an seinem Leib und wenig später spürte er einen kühlen Luftzug und dann die Männlichkeit, die sich in ihn zwängte.
 

Schnell und hart und heiß und als er schließlich von ihm abließ, fühlte sich Jakotsu auf eine wohlige Weise befriedigt. Sie verabschiedeten sich ohne viele Worte, und, sich immer noch leicht zittrig fühlend, machte Jakotsu sich auf den Rückweg zum Tempel.
 

Ein heißes Bad wäre jetzt sicherlich wundervoll, dachte Jakotsu verträumt, während er genüsslich an diese kleine Verabschiedung zurückdachte.

Als er das Gelände betrat, hielt er zuerst nach Haruyama Ausschau. Der würde ihm sicherlich ein Bad herrichten, das war jetzt genau das Richtige.

Er passte den Hünen ab, während dieser Holz von dem kleinen Lager, das für den Winter angelegt war, hinüber zur Wohnstube trug.

"Richtest du mir ein Bad her?", bat der junge Mann und sah ihn mit einem treuherzigen Blick an, der es Haruyama unmöglich machte, sich dem zu entziehen.

Der Hüne nickte nur und Jakotsu hatte ganz kurz den leisen Verdacht, dass er versuchte, die Vorstellung seines nackten Körpers nicht als erotisch zu empfinden, und ging dann in den Wohnbereich, um zuerst das Holz abzulegen und nachzuheizen.

 

~*~
 

Während das Wasser heiß wurde, trottete Jakotsu, der mittlerweile schon die Müdigkeit in seinen Knochen spürte, in sein Zimmer, das er sich mit Bankotsu teilte, um die schwere Winterkleidung abzulegen. Bankotsu war nicht da, wie er feststellte, als er die Schiebetür aufzog und langsam wieder schloss. Irgendwie hatte er gerade jetzt auch keine Lust auf ein Gespräch. Er musste dringend seine Gedanken ordnen und überlegen, wie er Bankotsu diese Geschichte am ehesten zugänglich machte, ohne dass es so wirkte, dass er ihm das einzig und allein aus dem Grund erzählte, Takanaga in einem schlechten Licht dastehen zu lassen.

Bald hörte er ein Knarzen auf dem Flur und im ersten Moment dachte er schon, dass es sich um Bankotsu handelte, der zurückkehrte, doch als die Schritte näher kamen, stellte er fest, dass diese viel zu schwerfällig für den gerade mal 1,63m großen und vielleicht 65 Kilo leichten jungen Mann waren und schließlich war es dann doch nur Haruyama, der ihm bedeutete, dass das Bad fertig war.

Jakotsu nickte dankbar und griff dann nach einem Yukata und warmen Tabi zum Wechseln.

Im Grunde war er froh, dass er Bankotsu auf dem Weg zum Bad nicht begegnete, denn falls dieser bemerkte, dass er etwas ... nun, brachte man es auf den Punkt, durchgefickt aussah, würde er sich wieder erklären müssen und das würde unweigerlich zu zwei Dingen führen: Nämlich einmal, dass er sofort mit der Sprache herausrücken musste, was er herausgefunden hatte und dass Bankotsu vermutlich eifersüchtig und verständnislos reagieren würde, wenn er herausfand, dass er für einen Wildfremden - und das dann auch noch ohne Bezahlung - die Beine breit gemacht hatte.
 

Als er seine müden Glieder im heißen Wasser streckte und die Augen schloss, ließ er die Gedanken schweifen. Erneut in die Richtung dessen, was er heute erfahren hatte.

Jakotsu war nie gläubig gewesen, aber ein gewisser Grundrespekt vor dem Götterwesen und dem Priesterkult war dennoch vorhanden. Einen ganzen Tempel auszulöschen, bei dem Gedanken daran sträubten sich ihm die Nackenhaare. Mittlerweile verstand er auch, warum nur ein Teil des Tempels wieder aufgebaut worden war. Natürlich war es schwere Arbeit und Takanaga und Haruyama hier alleine.

Er hatte einfach genau gewusst, dass mit diesem Mönch etwas nicht stimmte. Das war schon immer so gewesen. Wenn Jakotsu jemanden nicht gemocht hatte, hatte sich früher oder später ein triftiger Grund ergeben, warum das so war.

Er wägte ab. Sollte er strategisch vorgehen, so wie er es sich von Bankotsu abgeschaut hatte, oder einfach, wie es sonst so seine Art war, mit dem herausplatzen, das ihn beschäftigte?

Jakotsu seufzte und ließ den Kopf soweit ins Wasser gleiten, dass nur noch sein Gesicht an der Oberfläche war. Die Hitze, die von seinen Poren aufgesogen wurde, tat unbeschreiblich gut.

Nein, diesmal musste er es anders angehen ...

 

~*~
 

Es war bereits dunkel geworden und Takanaga hatte ein paar Lampen entzündet - helle Lampen, die länger brannten als gewöhnliche Kerzen, die er selbst konstruiert hatte. So ließ es sich auch bei Dunkelheit gut lesen. Sorgsam lagen seine Dokumente vor ihm ausgebreitet: Schreibfeder, Zirkel, Lineal. Ihm spukte etwas im Kopf herum, eine neue Konstruktion. Eine Art Kanonenrohr, nur mit weniger Rückstoß und weniger Aufwand beim Nachladen.

Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie die Schiebetür zu seinem Arbeitszimmer sich öffnete und dann nur lapidar wieder geschlossen wurde.

Erst als ein sinnlicher Duft von Ylang-Öl in seine Nase stieg, hielt er inne.

Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da stand. Ein spöttisches Lächeln zuckte kurz um seine Mundwinkel.

"Kann ich irgendetwas für Euch tun?"

Jakotsu, welcher sich am Kamin angelehnt und gewartet hatte, dass man ihn bemerkte, meinte nur: "So viel Respekt aufbringen, mir in die Augen zu sehen, während Ihr mit mir sprecht."

Takanaga streckte den Körper und erhob sich dann. Jakotsu hatte wohl vorhin ein Bad genommen - deshalb auch der Duft - und gerade jetzt lehnte er schamlos an der Ablage seines Kamins, wobei das flackernde Feuer Schatten auf sein Gesicht zeichnete. Der Yukata war ihm auf einer Seite von der Schulter gerutscht und Jakotsu verfügte nicht über so viel Schamgefühl, sich wieder zu bedecken. Zugegeben, wenn Takanaga Knaben gemocht hätte, dann wäre er wohl nicht umhin gekommen, angetan zu sein, aber jetzt musterte er ihn nur mit ausdrucksloser Miene und kühlem Blick.

"Was habt Ihr mir zu sagen, Jakotsu?"

Der Blick des jungen Mannes verengte sich und wurde nahezu kalt. Takanagas Mine blieb stoisch.

"Ich denke, Ihr seid es, der mir und meinem Gefährten eine Erklärung schuldig ist", zischte Jakotsu, wirkte dabei wie eine lauernde Schlange und das erste Mal wohl wurde Takanaga misstrauisch. War dieser Junge vor ihm doch nicht so dumm wie er ihn eingeschätzt hatte?

"Ich wüsste nicht, was ich Euch zu erklären hätte", erwiderte der Mönch kühl und wandte sich daraufhin wieder um, um seine Zeichenmaterialien zu sortieren.

Nun war es an Jakotsu zynisch zu lächeln. Sie spielten hier ein kleines Spielchen, belauerten sich wie Katzen, die den Geruch der jeweils anderen nicht ausstehen konnten, jederzeit bereit, zuzuschnappen.

"Tatsächlich nicht?"

Der fing langsam wirklich an, Takanaga auf die Nerven zu fallen. Brüsk klappte er die kleine Truhe zu, in welcher er seine Materialien aufbewahrte und wandte sich zu Jakotsu um. "Wenn Ihr mir nicht sofort sagt, was Ihr von mir wollt, dann-"

Er hielt irritiert inne, als er Jakotsu lachen hörte.

"Schon gut", meinte dieser. "Ich hab mich nur gefragt, was Bankotsu wohl davon hielte, wenn ich ihm erzählen würde, wer dafür verantwortlich ist, dass der Tempel mitsamt seinen Bewohnern abgebrannt ist."
 

Das war es. Die Katze war aus dem Sack. Mit innerer Befriedigung beobachtete Jakotsu, wie Takanagas sonst so eisiges Minenspiel aus dem Gleichgewicht kam:

Einen Augenblick wirkte er überrascht, ungläubig und schließlich verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen und Jakotsu konnte gar nicht so schnell schauen, wie der Mönch mit schnellen Schritten bei ihm war und ihn brutal am Kragen packte, um ihn grob gegen das Bücherregal neben dem Kamin zu stoßen.

Aus den schmalen, dunklen Augen sprühten der Hass und der Zorn und einen Hauch unterschwelligen Wahnsinns konnte Jakotsu auch ausmachen.

"Woher weißt du von dem Brand?", giftete er und Jakotsu versuchte, seine Fassung zu bewahren, als er antwortete: "Ich bin im Wald auf ein paar Jäger getroffen und die haben mir davon erzählt."

"Du lügst doch!"

"Nein, sicher nicht!", schnappte Jakotsu und versuchte, sich aus dem eisernen Griff zu befreien, doch Takanaga hielt ihn so fest, dass er keine Chance hatte.

Trotz dieser prekären Situation entging Jakotsu nicht, wie ein kleiner, winzig kleiner, Anflug von Angst über Takanagas Miene flackerte.

Und da kam ihm ein Gedanke, welchen er, kaum gedacht, sofort aussprach. "Hast du etwa Angst, weil man nach dir sucht und dich töten würde, wenn man von deinem Überleben wüsste? Dieser Ort hier ist der einzige, an den niemand herkommt, weil sie fürchten, dass er verflucht ist?"

Abrupt ließ Takanaga Jakotsu los. Dann lachte er abgehackt. "Du Dummkopf hast doch keine Ahnung, was hier wirklich passiert ist."
 

Jakotsu legte den Kopf schief. Und irgendwie ... sah er Takanaga plötzlich in einem anderen Licht.

"Was ist denn passiert?" Er konnte seine Neugier nicht unterdrücken und seine Neugier hatte schon immer über allem anderen gestanden.

"Das geht dich nicht das Geringste an."

"Würdest du es Bankotsu erzählen?"

Takanaga wandte sich herum und starrte Jakotsu hasserfüllt an. Ehe er jedoch antworten konnte, erklang eine ruhige Stimme: "Würde er mir was erzählen?"

Jakotsu und Takanaga wandten sich fast gleichzeitig um, nur um Bankotsu im Türrahmen stehen zu sehen, der sie mit neugierigem Blick musterte.

“Ich hab laute Stimmen gehört und jetzt wüsste ich gerne, was hier vor sich geht.”

Und Bankotsu schaffte es mal wieder. Obgleich er hier weder der Herr des Anwesens war, noch dass Takanaga ihn als Anführer akzeptiert hatte, war deutlich die Autorität zu spüren, die dieser Junge mit seinen gerade mal 15 Jahren ausstrahlte.

Takanagas und Jakotsus Blicke trafen sich kurz und beinahe war es, als könne man einen hellen, elektrischen Blitz dazwischen sehen, doch dann schien es, als gab Takanaga seinen Widerstand auf.

Er gestand es sich nicht gerne ein, aber man hatte ihn wohl in die Enge getrieben. Das kam auch davon, dass man Fremden hier Eintritt gewährte.

“Ich hätte euch beide wegjagen sollen, als ich noch die Gelegenheit hatte”, murmelte der Mönch und trat zum Fenster, um einen Moment hinaus in die Nacht zu blicken.

Oder war es etwa doch an der Zeit, das Geheimnis, mit dem er sich umgab, zu offenbaren? Hatte er noch etwas zu verlieren? Schließlich wandte er sich wieder um und strahlte so viel Würde aus, wie es in diesem Moment möglich war.
 

“Das was du gehört hast-”, dabei lag sein Blick kurz strafend auf Jakotsu, welcher so tat, als fühle er sich nicht angesprochen, “-stimmt. Oberflächlich gesehen, stimmt es. Die Mönche, die hier lebten, fanden mich als Säugling und zogen mich als einen der ihren auf. Das Leben hier war sorglos und da ich meine Freiheiten hatte, begann ich Waffenbau zu studieren. Heimlich natürlich, versteht sich, da dieser Mönchsorden nicht sonderlich viel für Kampfkunst übrig hatte.

Manchmal gingen wir hinunter in die umliegenden Dörfer, wenn wir wussten, dass die Menschen an Krankheit und Hunger litten, um ihnen ein wenig von dem, was wir hier oben anbauten, zu überlassen.

Als ich eines Tages mit diesem Dienst dran war, traf ich eine Frau. Wir sprachen miteinander, trafen uns wieder und verliebten uns. Teilten das Lager. Zwei Jahre ging es gut, ehe einer meiner Brüder uns erwischte und da der nicht gut auf mich zu sprechen war und die Zusammenkunft mit Frauen einer der höchsten Frevel war, die einer der unseren begehen konnte, beschloss man, mich zu bestrafen.”
 

Er machte eine Pause. Der Blick verhärtete sich bei dem folgenden Teil der Geschichte erheblich.

“Aber anstelle mich auszupeitschen, mir Wasser und Nahrung zu entziehen oder etwas dergleichen, entschloss man sich, ein einmaliges Exempel zu statuieren. Sie nahmen Yuzurihana gefangen und zwangen mich, dabei zuzusehen, wie sie sie hinrichteten, um den Göttern ein Opfer zu bringen, sie zu besänftigen, wo ich sie erzürnt hatte. Wie ihr seht, ist diese Geschichte weniger ereignisreich, als ihres euch erhofft habt. Als Yuzurihana starb, erkaltete mein Herz, ich schwor Rache und eines Nachts, als meine Brüder schliefen, legte ich das Feuer. Sie erwachten nie wieder, da der Rauch sie schon in tiefe Ohnmacht hatte fallen lassen. Ein Teil des Tempels brannte vollkommen aus. Ich bereue bis heute nicht, dass ich das getan habe. Es erfüllt mich …. mit unendlicher Befriedigung, wenn ich daran denke.”

Der Blick Takanagas hatte etwas Entrücktes angenommen und Jakotsu verstand nun

im Stillen, was die Männer damit gemeint hatten, als sie vom Wahnsinn gesprochen hatten.

“Nachdem ich mich kurze Zeit in den Wäldern herumgetrieben hatte, verschlug es mich dorthin zurück. Ein halbes Jahr später stieß Haruyama zu mir. Ich fand ihn fast gevierteilt vor den Toren. Ich schuf ihm einen neuen Körper aus Metall, der seine Glieder daran hinderte, gänzlich auseinander zu fallen."
 

“Ihr ganz alleine wart das?”, murmelte Bankotsu feststellend.

Jakotsu schwieg. Aber irgendwie war es mal wieder typisch Menschen. Für die meisten gab es nur Schwarz und Weiß. Jemand, der den Göttern diente, würde natürlich niemals etwas Schlimmes tun. Ein Mensch, der begann, eigenständig zu denken und zu fühlen, wurde auf dieser Welt nicht lange glücklich.

Er mochte Takanaga immer noch nicht und er bezweifelte, dass sich das irgendwann ändern würde. Aber wenigstens konnte er ihn jetzt etwas besser verstehen und wenn Bankotsu unbedingt wollte, dass er mit ihnen kam, würde er sich damit schon irgendwie arrangieren können.
 

Bankotsu ließ die Geschichte einen Moment auf sich wirken und wandte sich dann an Takanaga. “Akira”, sprach er ihn bei dessen Vornamen an, eine Vertrautheit, so ohne Namenssuffix, die in der Öffentlichkeit als ungeheure Unverschämtheit gegolten hätte, doch Takanaga schien sich im Moment nicht daran zu stören.

“Wieso nur bist du hier geblieben? Was war es, das dich hier gehalten hat?”
 

Überraschenderweise war es Jakotsu, der für den Mönch antwortete. Seine Stimme klang dabei gedämpft: “Wahrscheinlich derselbe Grund, aus dem ich nicht aus dem Bordell von Oneesama weggelaufen bin.”

“Auch Jakotsu und ich haben unsere Vergangenheit zu tragen. Auch wir sind niemand, der von der Gesellschaft als Einzelner gerne gesehen wird. Aber stell dir nur mal vor - deine Fähigkeiten sind beeindruckend; wenn wir uns nun zusammenschlössen. Wir könnten uns als Söldner verdienen und ein gutes Leben leben. Niemand wäre mehr Gefangener seiner eigenen Vergangenheit und wir könnten uns einen Namen machen, uns Respekt verschaffen - man könnte uns sogar fürchten!”

Und vielleicht war es das entschlossene Funkeln in Bankotsus Augen, das Takanaga schließlich zu seiner Entscheidung bewog.



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