Rot wie Blut von abgemeldet (Die Legende der Shichinintai) ================================================================================ Kapitel 9: Bankotsu ------------------- "Takeshi! Takeshi, wo steckst du denn?" Der Junge saß mucksmäuschenstill in seinem Versteck. Er wollte nicht. Er wollte ihn nicht sehen. Er fürchtete sich vor ihm. Jeder andere Junge in seinem Alter sah zu seinem Vater auf. Aber er nicht. Wobei das nicht so ganz richtig war. Er wusste, dass er seinen Vater lieben und ehren musste, weil er sein Vater war, doch sein Vater war seit jener Schlacht am Kandeo-Pass nicht mehr derselbe. Man hatte damals die Nachricht, das gesamte Regiment sei verschollen und die Familie war in tiefer Trauer. Als Suguro zwei Monate später, es müsste im Frühling gewesen sein, zu seiner Familie zurückkehrte, hatte Takeshi hatte sofort eine Veränderung gespürt. Suguro wirkte abgespannt, gereizt und abgekämpft und eine ganze Woche hatte er sich vor seiner Familie und den Angestellten zurückgezogen und in seinem Zimmer verbracht. Takeshi hatte irgendwie verstanden, dass es was mit dem Krieg zu tun hatte. Alle sagten immer, der Krieg verändere die Seele der Menschen. Der damals siebenjährige Takeshi hatte sich in das Zimmer seines Vaters geschlichen, aber als er den abgedunkelten Raum betreten hatte, hatte Suguro ihn angeschrien, hatte sogar einen schweren Gegenstand nach ihm geworfen, sodass er voller Angst vor ihm geflohen war. Weinend hatte er sich seiner Mutter in die Arme geworfen und sie hatte ihn beschwichtigt. Schh, er meint es nicht so, gib ihm Zeit. Das waren ihre Worte gewesen. Takeshi hatte das nur schwer verstehen können, aber er hatte es versucht. Doch es war immer schlimmer geworden, Suguro hatte von diesem Tage an nicht das geringste Fünkchen Vatergefühl mehr für ihn und seinen Bruder übrig. Er hatte begonnen, ihn zu schlagen, wenn er nicht spurte, ihn anzubrüllen und wenn er deshalb weinte, setzte es gleich die nächste Ohrfeige hinterher. Und wenn er ihn ansah, dann war es mehr als sah er durch ihn hindurch. Nein, Takeshi wollte seinen Vater wirklich nicht sehen. "Takeshi!" Er zuckte zusammen als plötzlich die Schrankwand vor ihm mit einem Schwung aufgerissen wurde. "Hier steckst du also!" Seine Kinderfrau stand dort mit in die Hüften gestemmten Armen. "Also wirklich, wenn du dich richtig versteckt hättest, dann müsste ich dich nicht dazu zwingen, mitzukommen - dein Vater wünscht, die ganze Familie am Abendtisch zusammen zu haben. "Nana-san, ich hatte überhaupt keine Zeit, mich richtig zu verstecken!", jammerte er vorwurfsvoll. "Ich kam ja nicht mehr aus dem Haus hinaus, ohne dass man mich gesehen hätte!" Die Frau rollte nur mit den Augen und zog ihn in die Waschräume hinein, wo man schon einen Badezuber mit warmem Wasser vorbereitet hatte. "Muss ich wirklich baden?", jammerte er. "Ja, mein Schatz, das muss jetzt leider sein, du willst doch von deinen Geschwistern nicht der Einzige sein, der schmutzig vor dem edlen Herrn steht!" Takeshi sparte sich einen Kommentar dazu und ließ sich unwillig entkleiden und in den Badezuber stopfen. Er mochte es nicht, mit seinen Geschwistern verglichen zu werden. Er war das mittlere von fünf Kindern und hatte es als solches nicht gerade leicht. Das älteste Kind war seine 12-jährige Schwester Tomoko, die bereits versprochen war, dann folgte sein Bruder Hideo mit zehn Jahren, dann kam er und schließlich die beiden dreijährigen Zwillingsmädchen Momo und Ume. Für die beiden Kleinen war es normal, dass ihr Vater für sie kaum präsent war, sie kannten es nicht anders. Tomoko war das stille und artige, tugendhafte Mädchen, das sich alle Eltern wünschten. Hideo war immer bemüht, es seinem Vater recht zu machen, da er als ältester männlicher Nachkomme ja einmal in dessen Fußstapfen treten sollte. Er verdrängte die Hiebe und die Spitzen, versuchte immer mit einer beharrlichen Verbissenheit, die man keinem Kind in diesem Alter zugetraut hätte, zu gefallen und zu imponieren. Nur er, Takeshi, war der ewige kleine Rebell, den Mund voller Fragen, den Kopf voll Unsinn und Eigenwill. Als Takeshi wenig später als letzter an den Tisch trat, war er sich des stechenden und missbilligenden Blickes seines Vaters bewusst und er schluckte, um ihn nicht trotzig zu erwidern. Zu groß war die Angst vor einer Strafe. Ehe er jedoch den Mund öffnen konnte, um sich zu rechtfertigen, bemerkte er, dass sie Besuch hatten. Er war gekleidet wie ein Samurai, ein adliger noch dazu, das erkannte Takeshi sofort. Er musste ihn eine ganze Weile mit offenem Mund angestarrt haben, denn die Stimme seines Vaters ließ ihn plötzlich zusammenzucken. "Ich bedauere das ungebührliche Verhalten meines Sohnes zutiefst, Tanaka-sama." Er spürte den hämischen Blick seines Bruders auf sich ruhen. Takeshi wusste nicht, warum, aber die beiden hatten niemals ein wirklich gutes brüderliches Verhältnis gehabt. Während er geduckt an seinen Platz schlich, wandte Suguro sich an seine Familie und verkündete: "Wir haben heute hohen Besuch. Tanaka-sama, der einst an der Seite unseres verehrten Kaisers selbst kämpfte, erweist uns die Ehre mit seiner Anwesenheit. Hideo, Takeshi. Nach dem Essen erwarte ich euch draußen im Hof. Tanaka-sama wünscht eine Kostprobe eurer bisher erworbenen Fähigkeiten mit dem Schwert." Nun sah Takeshi auf und einen Moment starrte er den fremden Mann verwundert an. Er war doch nur ein Kind und dieser Mann augenscheinlich einer der großen Samurai mit denen sein Vater Seite an Seite gekämpft hatte. Wieso wollte er ...? Plötzlich wurde seine Kehle trocken. Könnte das tatsächlich sein? Manche Samurai, die selbst keine Kinder hatten, sahen sich in anderen Familien nach würdigen Nachfolgern um und nahmen sie dann als Schüler und Erben auf, was eine große Ehre war für die Familie. "Starr doch nicht so!", zischte Hideo ihm plötzlich aus dem Mundwinkel zu und Takeshi klappte schnell den Mund wieder zu und wandte den Blick leicht errötend wieder auf sein Essen. Irgendwie bildete er sich dabei ein, den Blick Tanakas auf sich ruhen zu haben. Plötzlich bekam er keinen Bissen mehr herunter vor Aufregung. Sein Herz klopfte schneller. Während der gesamten Abwesenheit seines Vaters hatte er Unterricht gehabt und auch außerhalb dieses Unterrichtes hatte er immer geübt und jetzt sollte er wirklich die Gelegenheit bekommen, seinem Vater zu beweisen, dass doch etwas in ihm steckte? ~*~ Etwas später an diesem Tag stand er seinem Bruder gegenüber in Kampfposition. Natürlich übten sie nur mit stumpfen Schwertern, ansonsten wäre es zu gefährlich gewesen, aber Takeshi war trotzdem nervös für zehn. Hideo dagegen machte einen sehr selbstsicheren Eindruck. Ja, fast schon zu sicher. Takeshi schluckte noch einmal und schwor sich, nun die Zähne zusammenzubeißen und sein Bestes zu geben. Auch wenn er genau wusste, dass Hideo ihm in den Übungsstunden meistens überlegen gewesen war. Der Kampf begann. Hideo griff an, ungestüm und direkt, wie es seine Art war.Er wich aus, setzte zum Gegenschlag an. Kam jedoch nicht dazu, da er einen abermaligen Hieb parieren musste und genauso ging es die meiste Zeit weiter. Immer verzweifelter parierter er und versuchte eine Lücke in Hideos Deckung zu finden, doch es gab einfach kein Durchkommen. Er startete einen letzten verzweifelten Versuch und dann spürte er, wie ihm das Schwert aus der Hand geschlagen wurde, so heftig, dass sein Handgelenk schmerzte und im nächsten Moment hielt Hideo ihm das Schwert zum Zeichen seines Sieges gegen die Kehle. Er grinste triumphierend. Takeshi keuchte und sah seinen Bruder mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut an. Ein Klatschen ließ beide Haltung annehmen. "Gut. Wie sieht es im Nahkampf aus?" Takeshi horchte auf. Nahkampf war etwas, das er zweifelsohne beherrschte, sein Lehrer hatte ihn immer sehr gelobt. Er warf einen Seitenblick zu selbigem hin und dieser lächelte ihn aufmunternd an. Hideo und Takeshi verbeugten sich beide. Die Schwerter wurden beiseite gelegt. Sie nahmen beide eine Kampfposition ein. Aber Takeshi war nicht so dumm, anzugreifen. Er war der Auffassung, wenn man selbst zuerst angriff, wirkte man, wie ein in die Enge getriebenes Tier, das sich verteidigte und suggerierte dem Gegner sofort dessen Überlegenheit. Hideo schien da allerdings anderer Auffassung zu sein. Beschwingt von seinem Sieg eben hatte er wohl beschlossen, noch einmal richtig ranzugehen und nachdem das Startsignal für den Kampf ertönt war, machte er auch schon ein paar gezielte Bewegungen und Schläge in Richtung seines jüngeren Bruders. Und Takeshi merkte wieder einmal, dass Hideo viel zu ungestüm war, das hatte dieser von ihrem gemeinsamen Lehrer auch oft genug zu hören bekommen. Und er nahm sich die Worte seines Lehrers, wie es aussah, immer noch nicht zu Herzen. Eine ganze Weile wich er nur aus, wich zurück, beobachtete die Bewegungen Hideos. "Na, was ist?", keuchte dieser irgendwann, nur für sie beide zu hören. "Hast du etwa Angst? Solltest du auch!" Genau in diesem Moment führte Hideo einen offensiven Schlag gegen ihn aus, der, wenn er denn getroffen hätte, ihn sicherlich außer Gefecht gesetzt hätte. Und genau das nutzte Takeshi gnadenlos aus, denn führte man einen solchen Schlag aus, musste man seine eigene defensive Position aufgeben, für einen kurzen Moment war man angreifbar. Takeshi wich blitzschnell zur Seite, ergriff Hideos Arm und nutzte dessen Schwung aus, um ihn nach vorne zu ziehen und ihm im nächsten Moment einen schmerzhaften und gezielten Handkantenschlag zwischen die Schultern zu setzen. Hideo keuchte auf, fiel zu Boden, dachte jedoch nicht daran, einfach aufzugeben und setzte einen gezielten Tritt gegen Takeshis Kniescheibe, was diesen dazu brachte, leise aufzujaulen und dabei zu Boden zu gehen und fast im selben Moment war Hideo wieder über ihm.. Verdammt, das war ein ganz gemeiner Trick und so wütend darüber, dass Hideo ihn ein zweites Mal zu Fall gebracht hatte, vor dem versammelten Haushalt und dazu noch einem fremden Samurai, dachte er einen Augenblick nicht nach, griff mit der Hand reflexartig neben sich, nur um Hideo dann mit voller Inbrunst eine Ladung Dreck ins Gesicht zu schleudern. Dieser zischte erschrocken auf und diese vorübergehende Blindheit nutzte Takeshi aus, um wieder auf die Beine zu kommen und sich ganz unformell auf den Älteren zu stürzen, der, natürlich beschäftigt damit, seine Sicht wieder zu erlangen, daraufhin das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. "Du bist so ein Riesenarsch!", schrie Takeshi. "Das hast du dir so gedacht, mich hier vor allen bloßzustellen, na warte!!!" Ein ungebührliches Verhalten, wie er selbst nur zu genau wusste. In diesem Moment allerdings war die Demütigung, die er zuvor durch seinen Bruder erfahren hatte, viel größer, viel präsenter, dessen selbstsicheres Gehabe ging ihm so dermaßen auf die Nerven, dass er alles andere um sich herum ausblendete. "Takeshi, es reicht!" Einzig und allein die herrische Stimme seines Vaters brachte ihn in die Wirklichkeit zurück und ließ ihn dessen gewahr werden, was er da gerade getan hatte. Er sah hinab auf seinen Bruder, der benommen vor ihm lag und sich nur noch versucht hatte, abzuschirmen, die Nase blutete ihm, sah nicht gut aus. "Mazaki, bring meine Söhne ins Haus und sieh zu, dass sie sich dabei nicht benehmen wie die Hottentotten." Ein stechender Blick ruhte auf den beiden Jungen und Mazaki, ihr Lehrer, tat schnell, wie ihm geheißen. Er zog den Älteren der beiden Brüder auf die Beine und half ihm beim Laufen, während Takeshi niedergeschlagen und trotzig hinter ihnen hertrottete, seltsamerweise spürte er dabei den musternden Blick Tanakas im Nacken. Da hatte er wohl eine einmalige Gelegenheit, sich von dieser Familie zu lösen und zu Ruhm zu gelangen, versiebt. ~*~ "Ihr müsst das Temperament meiner Söhne verzeihen, Tanaka-sama. Manchmal geht es einfach mit ihnen durch." "Temperament ist ein vorzüglicher Diener, aber ein schrecklicher Herrscher", äußerte sich Tanaka mit nachdenklichem Gesichtsausdruck dazu. "Ich bin sicher, Ihr wollt bald aufbrechen und Euch an anderer Stelle umsehen. Diese Lektion sollten meine Söhne wohl lernen." Tanaka hob die Hand. "Er hat mir gefallen", sagte er nur und Segawa sah ihn überrascht an. Sicherlich redete er von seinem Ältesten. "Es freut mich zu hören, Hideo hat sich schon immer ..." "Ich rede von Eurem jüngsten Sohn." "Takeshi?" Völliges Unverständnis lag auf dem Gesicht des Familienoberhauptes und auch ein leiser Groll war herauszulesen. Takeshi war seit jeher das schwarze Schaf der Familie gewesen, hätte Tanaka es nicht ausdrücklich gewünscht, beide Söhne zu sehen, dann hätte er Takeshi wohl befohlen, sich zurückzuhalten mit seiner Anwesenheit. Der Junge machte ihm trotz seines Alters nur Kummer mit seiner rebellischen Art. ~*~ Takeshi riss sich von seinem Lehrer los, welcher ihn mit einer Hand leicht auf der Schulter Richtung Haus dirigiert hatte, und lief in Richtung des weitläufigen Gartens. Hideo wollte protestieren, doch Mazaki-sensei gebot ihm Einhalt. "Lass ihn", sagte er nur und Hideo tat wie ihm geheißen, nicht, ohne seinem kleinen Bruder noch einmal böse hinterher zu starren. Er saß im Gesträuch in einer kleinen Höhle, oder wie man es nennen mochte, und hatte den Kopf auf die angewinkelten Knie gestützt. Niedergeschlagen starrte er das Gesträuch vor sich an. Immerhin würde ihn hier niemand finden, da niemand wusste, dass weit in den Büschen so viel Platz war. Außer ihm kannte niemand dieses Versteck. So wollte er keinem unter die Augen treten. Er würde warten, bis es dunkel war, und sich dann in sein Zimmer schleichen. Er hoffte nur, dass dieser Tanaka nicht über Nacht blieb, es wäre ihm sicher ein Unwohles, ihm noch einmal unter die Augen zu treten. Wenn Hideo ihn nur nicht so gereizt hätte, dachte er mit leichtem Groll. Dann wäre die Situation nicht so eskaliert. Immerhin war eine der Grundeigenschaften eines Samurai ein beherrschtes Wesen. Und jetzt saß er hier in den Büschen und bemitleidete sich selbst, anstatt sich dem zu stellen, was er falsch gemacht hatte. Aber darüber wollte er jetzt lieber nicht nachdenken. Er konnte weder das Gesicht Hideos noch das seines Vaters ertragen. Er sah hoch zum Himmel, der ein klein wenig durch das Gestrüpp durchblitzte. War es wirklich das, was er für sein Leben wollte? Sich immer der Disziplin unterwerfen, sich immer anpassen? Viel lieber wäre er sein eigener Herr, das tun und lassen, was er wollte, aber er war ja noch viel zu jung. Und er hatte nichts. Im Grunde blieb ihm nichts anderes, als auszuharren, bis er endlich sein 15. Lebensjahr und damit die Volljährigkeit erreichte. Wie ein geprügelter Hund schlich Takeshi später in der Dämmerung zurück zum Anwesen seiner Familie. Vorsichtig sah er sich um - er mochte es nicht, zuerst gesehen zu werden, wenn er die anderen noch nicht sah. Wenig später schlief er niedergeschlagen und kreuzunglücklich ein. ~*~ Takeshi und Hideo gingen sich die nächsten Tage aus dem Weg und besonders Takeshi war sehr abgeneigt, seinem Vater zu begegnen, sodass er wie ein Einbrecher durch das Anwesen schlich. Es war irgendwann seine Mutter, die das nicht mehr mit ansehen konnte. "Takeshi", sagte sie sanft, "das kann so nicht weiter gehen. Du hast einen Fehler gemacht, aber die machen wir alle. Du weißt doch, wie dein Vater ist, nimm dir das doch nicht so sehr zu Herzen." Takeshi brummte leise. "Hideo ist an allem Schuld. Ich wünschte, ich wäre der einzige Junge in dieser Familie!" Seine Mutter lachte daraufhin leise, bemühte sich dann aber um eine ernste Miene. "Takeshi, das ist wirklich nicht sehr nett. Er ist immerhin dein Bruder." "Na und?", erwiderte der Junge trotzig. "Deswegen muss ich ihn ja noch lange nicht mögen." Ama no Uzume seufzte. "Ich bin sicher, in einigen Jahren wirst du anders denken. Es ist normal, dass Geschwister ihre Differenzen haben, aber, Takeshi, eines musst du mir versprechen." Damit nahm sie sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn so, ihr in die Augen zu sehen. Einmal mehr ließ er sich von ihren dunklen, warmen Augen gefangen nehmen. "Bitte erhebe niemals in deinem Leben dein Schwert gegen deinen Bruder. Eine Familie ist dazu da, sich gegenseitig zu beschützen, nicht, sich zu bekämpfen." Takeshi versprach es ihr. Und er würde sein Versprechen halten. Denn er liebte seine Mutter. Sie war so eine schöne und warmherzige Frau und sie tat alles für ihre Kinder. Auch wenn er das Gefühl nicht loswurde, dass sie sich manchmal sehr einsam fühlte. Er schlief diese Nacht sehr schlecht. Er träumte viel und unruhig und sehr wirr. Er träumte von einer Waffe, die er erhielt, die aber so riesengroß war, dass er sie unmöglich hätte halten können. Dann träumte er, dass er damit seinen Bruder erschlug, der aber plötzlich nicht mehr sein Bruder, sondern ein Dämon war - oder von einem besessen. Noch als er mitten in diesen Träumen war, spürte er, wie man ihn rüttelte und er brauchte eine Weile, um zu sich zu finden. Verwirrt blinzelte er in das aufgeregte Gesicht seiner Kinderfrau. "Na, wach schon auf, dein Vater will dich sehen, er hat dir wohl etwas Wichtiges zu sagen." "Mhh ... Kann das nicht warten, bis ich ausgeschlafen habe?", murmelte der Junge unwillig, erhob sich aber dennoch, um sich von seiner Amme beim Ankleiden helfen zu lassen. "Hat er gesagt, was er will?", murmelte er schlaftrunken. "Nein, hat er nicht", erwiderte sie geschäftig, "aber ich bin sicher, es ist nichts Schlechtes, hab keine Bange." "Was macht dich da so sicher?", murrte der Knabe und blickte die Frau verständnislos an. Diese schmunzelte. "Weibliche Intuition. Und jetzt komm, wir sollten keine Zeit verlieren." Takeshi mochte es nur ungern zugeben, aber er war aufs Äußerste nervös. Es kam nicht oft vor, dass ihn sein Vater zu sich zitierte und dann noch nach dieser Sache, die da vor einer Woche passiert war. Er schluckte, als er in das Zimmer seines Vaters eintrat. "Ihr wolltet mich sehen, Chichi-ue?", kam seine Stimme viel zu scheu und zu piepsend aus seinem Mund und er wagte es nicht Suguro anzusehen. Eine Antwort ließ auf sich warten. Stattdessen spürte er den musternden Blick seines Vaters auf sich ruhen, als suche dieser nach der Ursache für etwas, das er sich nicht erklären konnte. "Nun", sagte er dann schließlich steif, "ich weiß nicht, wieso, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hat sich Tanaka-sama sich dafür entschieden, dass du derjenige bist, der sein Erbe antreten soll , nicht Hideo, wie ich es eigentlich erwartet hatte." Die letzten Worte versetzten ihm einen Stich, doch plötzlich merkte er auf. Hatte sein Vater gerade wirklich gesagt, dass man sich für ihn entschieden hatte? Er starrte ihn ungläubig an. Aber wieso nur lag da kein Stolz, sondern eher Missmut in der Miene seines Vaters? War er ihm wirklich so zuwider? "In einer Woche wirst du abreisen. Ich werde alles in die Wege leiten. Und mach mir ja keine Schande." Takeshi verneigte sich und auch wenn Enttäuschung und Wut über das Verhalten seines Vaters in ihm grollten, so sagte er artig: "Ja, Chichiue-san." ~*~ Als es schließlich so weit war, staunte er nicht schlecht, als er das Anwesen Tanaka-samas betrat. Er hatte immer geglaubt, seine eigene Familie sei wohlhabend, aber das war ja nichts dagegen. Man brachte seine Habe auf ein Zimmer, über das er sich nicht beklagen konnte, und dann zeigte man ihm ein wenig das Anwesen, nur um ihn bis zum Abend hin allein zu lassen. Dieses Anwesen war nicht sehr weit von dem seines Vaters entfernt, weniger als einen halben Tagesritt, sollte er also irgendwann einmal Sehnsucht nach seiner Familie bekommen, dann wäre sie erreichbar. Allerdings verspürte er momentan noch nicht das geringste Bedürfnis, nachhause zurückzukehren. Seine Mutter, sie tat ihm schon leid, sie hatte geweint beim Abschied und sein Bruder hatte ihn nur mit regloser Miene angesehen und Takeshi hatte immer noch so das dumpfe Gefühl, dass dieser es ihm mehr als übel nahm, dass er ausgewählt worden war. Als ob Takeshi es sich ausgesucht hatte. So saß er nun ein wenig in seinen Gemächern und wollte sich ausruhen, aber die Nervosität ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er hatte ja noch kaum ein Wort mit Tanaka-sama gesprochen. Beim Abendessen würde er ihn das erste Mal, seit er damals bei ihnen zu Gast gewesen war, zu Gesicht bekommen. In seinem Inneren herrschen gemischte Gefühle. Einerseits erfüllte es ihn mit Stolz, von so einem bedeutenden Mann als sein Nachfolger auserkoren worden zu sein, andererseits fiel es ihm schwer, Tanaka nach dieser kurzen Begegnung einzuschätzen. Als man ihn schließlich wenige Stunden später zum Abendmahl rief, schluckte er schwer und lief den Weg fast, als wäre es der Weg zum Galgen. Ihm wurde mit einem Mal schlecht und am Liebsten wäre er umgekehrt und davongerannt, hätte sich am liebsten wieder in den Büschen versteckt, aber diese Möglichkeit hatte er hier nicht. Als er schließlich eintrat, verneigte er sich höflich, wie man es ihn gelehrt hatte, und sagte: "Guten Abend, Tanaka-sama." Noch immer nicht wagte er es, den Blick zu heben, und sein Herz pochte in der Höhe des Adamsapfels. "Keine Scheu, mein Junge, tritt näher und setz dich." Takeshi sah überrascht auf; diese freundliche Stimme passte ganz und gar nicht zu der Vorstellung, die er von Tanaka gehabt hatte. Und jetzt, wo er langsam näher kam, hatte er auch Gelegenheit die Erscheinung Tanakas zu betrachten. Das Gesicht war sehr edel, mit hohen Wangenknochen, einem schmalen Mund und nicht zu eng beieinander sitzenden Augen. Irgendwas jedoch störte an diesem Anblick. Ja, es war die Nase. Sie war krumm und schien nicht wirklich in das feine Gesicht zu passen - es wirkte so, als sei sie einmal gebrochen gewesen und danach nicht richtig versorgt worden. Tanaka wirkte gar nicht so alt, auch wenn er schon Mitte 40 sein mochte, er hatte freundlich zu ihm gesprochen, dennoch lagen Autorität und eine gewisse Strenge in seinen Zügen. Takeshi wirkte leicht überrascht als sein Blick neben ihn wanderte und eine Frau erblickte, die Anfang 20 sein mochte und sittsam neben ihrem Gatten saß, der Blick war ebenfalls auf ihn gerichtet. Sie wirkte auf den ersten Blick eher unscheinbar mit ihren etwa knapp 1,50 m, dem blassen Gesicht unddem knabenhaften Körperbau, aber ihre Augen strahlten Wärme und Freundlichkeit aus. Tanaka verkniff sich ein Schmunzeln. "Meine Gattin, Kubichi. Nimm Platz." Takeshi nickte hastig. "Verzeihung, ich habe nicht starren wollen", murmelte er und eilte sich dann, sich an dem ihm zugewiesenen Platz niederzulassen. "Du musst hungrig sein von deiner langen Reise", sagte Kubichi und ihre zarte, leise Stimme vollendete die fragile Erscheinung der jungen Frau. “Bitte iss, ich habe unseren beiden Köchinnen gesagt, dass sie sich heute besonders viel Mühe geben sollen.” Takeshi lächelte unsicher, tat es dann jedoch den beiden Erwachsenen gleich und griff nach seinen Stäbchen, um etwas Fleisch und Gemüse zu sich zu nehmen. Erst fürchtete er, sein Magen würde rebellieren, aber diese Sorge war unbegründet, denn nach dem ersten Bissen spürte er, wie hungrig er wirklich war. Seit er das letzte Mal etwas gehabt hatte, war schon ein wenig Zeit vergangen. Während des Essens schwieg man, aber Takeshi fühlte sich bei weitem nicht so unwohl, wie noch kurz zuvor. Allerdings war er ein wenig aufgeregt bei dem Gedanken daran, was ihn wohl erwarten würde. Wie als habe er seinen Gedanken erraten, sagte Tanaka kurze Zeit später: “Ich möchte dir zwei Tage geben, um dich einzugewöhnen, dann werden wir mit dem Unterricht beginnen. Erwarte nicht, dass es einfach wird und du so ein leichtes ... Spiel haben wirst. Der Weg, ein Samurai zu werden, erfordert sehr viel Geschick, Selbstdisziplin und vor allem Zähigkeit. Du hast Strafen zu erwarten, wenn du nicht meinen Anforderungen gerecht wirst, aber auch wirst du gelegentlich einen Lohn erhalten, wenn du dich gut machst. Aber bei allem was wir tun, erwarte ich absoluten Respekt und vor allem Hörigkeit mir gegenüber. Ich werde dich auch gelegentlich testen, ohne dass du es bemerkst. Denkst du, dass du dem gewachsen bist?” Takeshi nickte bekräftigend mit dem Kopf. “Ja, Herr!”, sagte er, bestrebt darin, es allen zu beweisen. Tanaka nickte. “Dann bist du für heute entlassen.” Takeshi nickte und erhob sich, doch dann hielt er noch einmal kurz inne. “Darf ich ... etwas fragen, Herr?” Tanaka nickte. “Warum ... ich, warum habt Ihr Euch nicht für meinen Bruder entschieden?” Zu seiner Überraschung lächelte der Mann. “Weil du einen überlebenswichtigen Zug an dir hast, der vielen Aristokraten verwehrt bleibt.” “Und ... der wäre?”, wagte Takeshi vorsichtig nachzufragen. “Du bist dir nicht zu fein dazu, all deine dir gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dein Überleben zu sichern…” ~*~ Seit dieser Zeit waren inzwischen einige Jahre ins Land gegangen. Takeshi war gerade 12 geworden. Die erste Zeit war die Hölle gewesen. Tanaka hatte ihm alles abverlangt, was ging, und selbst wenn er heulend am Boden lag, zwang er ihn, weiterzumachen. Er hatte ihm damals aufgetragen, jeden Morgen eine Stunde zu laufen, um seine Kondition aufzubessern. Dann ging es mit Nahkampf weiter und später am Nachmittag schließlich mit Schwertkampf, dreimal die Woche gab es Unterricht in Allgemeinbildung und später wich dieser der Dämonenkunde. Ihm wurden verschiedene Kampfstile gezeigt, verschiedene Waffen, aus denen er später würde wählen können - jeder hatte so seine Stärken und Schwächen und Tanaka würde ihm später gerne die Wahl lassen, nur die erste Zeit hatte er sich an allem zu versuchen. Katana, Kurzschwert, Doppelschwerter, Hellebarde. Einmal hatte Tanaka gelacht und gesagt, sobald er die Hellebarde mit ihrem enormen Gewicht mühelos führen könne, würde er ihn sofort in den Rang eines Samurai erheben lassen. Takeshi hatte daraufhin die Zähne zusammengebissen und versucht das ‘verfluchte Mordsteil’ anzuheben, aber er hatte Übergewicht bekommen und war auf den Boden geplumpst.Seitdem hatte er noch mehr Muskeltraining gemacht als vorgeschrieben, was Tanaka mit stillschweigendem Wohlwollen zur Kenntnis genommen hatte. Er hatte sich in dem Knaben nicht getäuscht. Nein, noch viel mehr, er hatte seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Diesbezüglich hatte er sich zwar nur seiner Gattin geäußert, aber diese war sofort zu Takeshi gegangen und hatte ihm davon berichtet. Sie hatte sich sehr für ihn gefreut. Überhaupt mochte Takeshi Kubichi-sama sehr gerne. Sie war so eine ehrliche, offene Seele. Im Laufe der Jahre hatte er auch erfahren, dass Kubichi keine Kinder bekommen konnte, durch eine Krankheit, die sie als junges Mädchen einmal im Unterleib gehabt hatte. Takeshi hatte sich gewundert, dass Tanaka sie dennoch geehelicht hatte, aber dann war der Verdacht in ihm aufgekeimt, dass es wohl eine Hochzeit aus Liebe gewesen sein mochte. Etwas Ungewöhnliches, vor allem da Tanaka sicher die Mittel gehabt hätte, sich die beste und schönste Frau des Landes zu wählen, aber Takeshi konnte nach einiger Zeit verstehen, warum er sich für sie entschieden hatte. Sie war treusorgend, liebevoll, aufrichtig, sittsam und sehr klug. Takeshi nahm sich vor, dass er später lieber so eine Frau nehmen mochte, als eine wie seine Schwester, die nur still und stumm da saß und zu nichts eine eigene Meinung hatte. Natürlich wusste er im Stillen auch, dass manche der Samurai es sogar als passabel ansahen, sich Knaben ins Bett zu holen und ein, zwei Mal hatte er auch junge Männer ins Haus kommen und gehen sehen. Doch seltsamerweise hatte Kubichi sich niemals daran gestört. Takeshi hatte in dieser Zeit seine Familie nur sehr selten besucht. Die Distanz zu seinem Vater war inzwischen zu einer unüberwindbaren Kluft herangewachsen, die ihn schmerzte. Sein Bruder hingegen schien mit den Jahren ein wenig reifer geworden zu sein, dennoch wechselte er nicht viele Worte mit ihm. Takeshi hatte das Gefühl, dass dieser es ihm immer noch nicht verziehen hatte, dass er damals ausgewählt worden war und nicht Hideo. Irgendwann war es Takeshi, der seine Sturheit überwand und sich ein Herz fasste, das Gespräch suchte, als er wieder einmal zu Besuch daheim war. Er hatte Hideo zu einem Spaziergang überreden können. Schweigend zogen sie über die Ländereien ihres Vaters, bis er endlich das Wort ergriff. "Hideo, soll das jetzt ewig so weitergehen?" Seine Stimme war leise dabei und ein geübter Zuhörer hätte die Betrübnis heraushören können. Um Hideos Mund lag ein verkniffener Zug, seine Augen wurden schmaler. "Was meinst du?", fragte er steif. "Naja, wir waren mal so etwas wie Brüder, aber jetzt kommt es mir vor, als seien wir Fremde - hör mal, wenn ich gewusst hätte, dass die Möglichkeit bei Tanaka-sama in die Lehre zu gehen bedeuten würde, keinen Bruder mehr zu haben, dann hätte ich mich mit Zähnen und Klauen geweigert!" Nun war es an Hideo ihn überrascht anzusehen. "So denkst du wirklich?" Takeshi nickte und ihm fiel dabei auf, um wie viel größer Hideo jetzt als er war. Hatten sie früher nur wenige Zentimeter getrennt, so war es jetzt fast ein ganzer Kopf. Hideos Gesicht wurde etwas ernster. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich dir das nicht noch lange nachgetragen habe, aber ... das ist es nicht, was mir momentan Sorge bereitet." "Wie meinst du das?" "Es geht um Vater ..." "Was ist denn mit ihm?" "Er verhält sich eigenartig." "Eigenartiger als sonst, meinst du?" "Er ist mit den Jahren immer schlimmer geworden, du bekommst das gar nicht mehr so richtig mit. Tomoko heiratet ja jetzt bald und es kann ihm gar nicht schnell genug gehen. Ich bin ... misstrauisch geworden und habe ... in seinen Sachen ... herumgeschnüffelt", gab er widerwillig zu. "Und dabei bin ich auf ein Pergament gestoßen. Ich hab mir eine Kopie davon angefertigt." Er blickte sich kurz um, dann sagte er noch leiser: "Takeshi, ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich glaube, dass Vater vor einigen Jahren mit Dämonen paktiert hat." Takeshi blieb wie angewurzelt stehen und sah seinen Bruder mit großen Augen an. "Das ... meinst du doch jetzt nicht ernst, oder?" Hideo nickte. "Doch, leider. Ich wage es natürlich nicht, ihn darauf anzusprechen, aber ... ich hab das Gefühl, dass dieser Familie bald ein großes Unglück geschehen wird. Also, Takeshi, bitte ... Tu mir einen Gefallen, ja?" Takeshi nickte starr. "Was wünscht du?" "Halt dich ... von dieser Familie fern, ich will nicht, dass dir etwas geschieht. Ich versuche mich hier um die anderen zu kümmern." „Worum bittest du mich da!“, rief er bestürzt aus, „Ich werde mit Tanaka-sama sprechen, er weiß sicher, was zu tun ist!“ Hideo legte ihm eine Hand auf den Oberarm und schüttelte ihm den Kopf. „Ich fürchte, dass es bereits zu spät ist. Takeshi setzte erneut dazu an, etwas zu sagen, doch Hideo unterbrach ihn. Er blieb dabei stehen und sah ihm direkt in die Augen. „Takeshi, ich war wirklich hässlich zu dir. Ich habe mich lange nicht verhalten, wie ein großer Bruder sich verhalten sollte. Lass mich das bitte… auf diese Weise wieder gut machen. Bei Tanaka-sama bist du in Sicherheit.“ Takeshi schwieg. Er wusste nichts darauf zu sagen, doch eine fürchterliche Angst umkrallte plötzlich sein Herz. ~*~ Am nächsten Morgen ließ der Samurai schon ganz früh nach ihm schicken. "Ihr habt mich gerufen, Sensei?" Tanaka nickte. "Ich war sehr zufrieden mit dir in der letzten Zeit. Zudem habe ich dich beobachtet - auch oft, wenn du meintest, alleine zu sein. Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass du eine Belohnung verdient hast, die ich dir anlässlich deines Geburtstages gerne überreichen möchte." Takeshi sah Tanaka mit großen Augen und offenem Mund an. Wirkliche Geschenke hatte er ja sonst nie bekommen, deshalb war er gerade besonders neugierig, was es denn sein könnte. Tanaka erhob sich, gefolgt von dessen Hofmeister, und Takeshi trippelte beinahe nervös hinter den beiden her. Sie gingen zur Waffenkammer, wie der Junge irgendwann bemerkte. Sollte er etwa ...? Ihm konnte es plötzlich gar nicht schnell genug gehen, aber er ließ sich von dieser Ungeduld nichts anmerken. Inzwischen hatte er ganz gut gelernt, wenn es wirklich angebracht war, seine wahren Gefühle zu verbergen. Takeshi konnte seinen Augen kaum trauen, als er sah, was das war, das man für ihn vorgesehen hatte. Die Waffe war wohl nicht neu geschmiedet, aber hergerichtet worden. Von der Gesamtlänge her glich sie einer Hellebarde, mit der Takeshi oft heimlich geübt hatte, aber optisch wirkte sie mehr wie ein riesenhaftes Schwert mit eigentümlich mattem Schimmer. Das war doch kein Metall. Wie als habe er seinen Gedanken erraten, meinte Tanaka schmunzelnd: "Ich habe sie für dich aus dem Knochen des Himmelsdrachen anfertigen lassen, den du vor zwei Monaten zur Strecke gebracht hast. Drachenknochen eignen sich durch ihre außergewöhnliche Härte und Schärfe, wenn man sie schleift, hervorragend für Waffen solcher Art, du musst sie nur zu führen lernen. Aber ich warne dich, unterschätze sie nicht, ein Drachenschwert sollte immer bedachtsam verwendet werden. Oft sind noch die Energien des Wesens darin eingeschlossen und nicht selten passiert es, dass diese Einfluss auf den Geist nehmen. Wenn sie sich nicht für würdig erachten, wird dich dein eigenes Schwert in die Knie zwingen. Takeshi, glaubst du, du bist stark genug, diese Waffe zu meistern?" Takeshi nickte entschlossen. Ja, er war stark genug. Und er würde sie meistern. Und dann würde er sich einen Namen machen. Irgendwann. ~*~ Zwei Jahre später hatte Takeshi einen Traum. Die Welt war in Rot getaucht. Blutiges Rot. Es schneite. Er war auf dem Weg zu seiner Familie. Roter Schnee. Er fühlte Unruhe. Schneller, schneller! Er trieb sein Pferd an. Bald kam das Haus seiner Familie in Sicht und schon aus der Ferne hörte er ihre Todesschreie. Nein, nicht! Er riss die Tür auf. Stürzte hinein. Und da sah er den Dämon. Ein finsterer hochgewachsener Yōkai, inmitten der Leichen seiner Verwandten. Der Dämon erblickte ihn und stieß ein triumphierendes Lachen aus. "Jetzt hab ich euch alle!" Mit diesem heiser gewisperten Satz stürzte er sich auf ihn und Takeshi wachte mit einem heiseren Schrei auf den Lippen auf. Das Herz raste ihm, dass er glaubte, es zerspringe gleich in seiner Brust. Er war nass geschwitzt, fuhr sich durch das wirre Haar. Draußen war es noch stockdunkel. "Nur ein Traum", sagte er sich. Er fühlte sich hundeelend. Der Tod von Menschen, die einem etwas bedeuteten, in Träumen hinterließ immer einen fahlen Nachgeschmack nach dem Aufwachen. Takeshi fühlte sich nicht so, als könne er wieder schlafen. Nein, im Gegenteil. Er hatte diese Unruhe in sich, die er auch in seinem Traum gehabt hatte. Diese verdammte Unruhe, dieses miese Gefühl. Eine Viertelstunde später preschte sein Pferd in der fahlen Morgendämmerung vom Hof. Es war gefährlich, vor allem im Winter, so im Dunklen zu reiten, aber das war ihm egal. Er musste nachhause, so schnell es ging! Sollte sich dieser Traum einfach nur als Traum herausstellen, dann würde er umkehren und sich eine passende Entschuldigung für Tanaka-sama ausdenken, aber wenn nicht dann ... Daran mochte er gar nicht denken. Banryūs Gewicht spürte er schwer auf seinem Rücken. Ihm schlug das Herz bis zum Halse. Sein Pferd scheute, beinahe wäre es gestürzt und hätte ihn unter sich begraben, aber es fing sich im letzten Moment gerade noch so. Takeshi trieb und trieb es weiter an, bis ihm vor Anstrengungen bereits Schaum aus dem Maul trat, doch er blieb unerbittlich. Er musste zu ihnen, er musste ... sehen, was er noch verhindern konnte, er musste ... er musste etwas tun! Schon in dem letzten Abschnitt der Strecke traten ihm Tränen in die Augen, da er plötzlich die Gewissheit hatte, dass dieser Traum nicht nur ein Traum war. Es war real, es war alles real. Er stieß einen verzweifelten Schrei aus, als er dem Tier noch einmal die Hacken in den Bauch rammte, um ihm auch das Letzte abzuverlangen, sein eigener Körper schmerzte vor Anstrengung. Bitte ... Bitte ... Er wusste nicht einmal, um was er flehte. Vielleicht das Unausweichliche nicht sehen zu müssen? Dem Ungeheuer, das er fürchtete, nicht in die Augen blicken zu müssen. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als der Hof seines Vaters in der Ferne auftauchte. Schon von weitem erkannte er es schwelen, die vereinzelten Rauchsäulen, die aufstiegen. Nein, ihr Götter, bitte, Nein! Er zügelte sein Pferd erst auf den letzten zehn Metern und es war noch nicht ganz stehen geblieben, als er auch schon absprang und auf das Anwesen seiner Familie zurannte. Sein ledernes Schuhwerk ließ den Schnee knirschen, die Stille die ihm entgegenschlug, war gespenstisch und dieser grässliche Geruch ... Es roch nach Feuer und nach etwas Fauligem. Das Wort Yōkai schoss ihm plötzlich durch den Kopf. Er konnte kein Feuer sehen. Und doch lag der Geruch von Tod in der Luft. Die Tür stand offen. Takeshi stoppte an der Schwelle. Mittlerweile wusste er, was ihn erwartete. Und auch, wenn er wusste, dass es seine Pflicht war, nachzusehen, so zögerte er diesen letzten Schritt zu überwinden. Wenn er jetzt einfach wieder umdrehte und zurückkehrte ... er könnte vielleicht sogar zurück sein, ehe man sein Verschwinden bemerkte oder bemängeln konnte. Einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Nein. Er konnte nicht in einer Lüge leben. Dann betrat er das Haus. Stille schlug ihm entgegen. Unerträgliche Stille. Und dieser widerliche Geruch. Dieser widerliche, drückende Geruch. In einer Blutlache wäre er beinahe ausgerutscht. Takeshi zog wie betäubt die Schiebetür zur Seite, unter der sie hervorgetreten war. Und da sah er Tomoko in ihrem eigenen Blut liegen, drei Tiefe Schnitte oder Kratzer über ihre Brust hatten sie verbluten lassen. Ihre Augen ... waren herausgerissen worden. Einen Moment war Takeshi nicht fähig sich zu rühren ... wer ... was ... beging so eine Abscheulichkeit? Noch zu sehr unter Schock stehend, um das eben Gesehene zu verarbeiten, verließ er das Zimmer, lief weiter. Weiter in den Wohnraum. Es versetzte ihm einen Stich, einen so tiefen Stich ins Herz hinein, als er seine Mutter dort liegen sah. Und WIE er sie dort liegen sah, Takeshi wurde speiübel. Man hatte sie praktisch skalpiert und auch ihr waren die Augen entfernt worden, ausgestreckt auf dem Rücken lag sie da, unlängst ihrer Hand noch ein Kodacchi. Die Zwillinge hatte man ähnlich brutal ermordet, sie waren beide mit dem Schürhaken aufgespießt worden. Auch ihnen fehlten die Augen. Die ersten Tränen perlten über seine Wange, ohne dass er es bemerkte. Er sah sich weiter um. Irgendjemand - irgendjemand musste doch überlebt haben! Plötzlich hörte er ein leises Ächzen. Sein Herz tat einen nervösen Schlag und Takeshi eilte sich, in die Richtung zu gehen, aus der es gekommen war. Es war nur ganz leise gewesen, aber in dieser Stille hörte man wohl sogar noch einen Grashalm fallen. Er brauchte nicht lange zu suchen, als er seine Kinderfrau fand, ihr waren die Augen nicht entrissen worden, dennoch war sie schwer verletzt. "Nana-san", rief er leise aus, mit Tränen in den Augen und beugte sich zu ihr herab, "Nana-san, was ist hier bloß passiert?" "Takeshi-kun, bist du ... das?" Ihre Stimme war ein heiseres Röcheln und dennoch warunmissverständlich Erleichterung herauszuhören, dass Takeshi hier war. "Ich bin so froh, dass ..." Sie hustete. "E-er hat sie alle ... u ... mgebracht..." "Wer, Nana-san, wer hat sie umgebracht?", hakte er verzweifelt nach, nicht wissend, wie er sie vor dem Sterben bewahren konnte, ihr blieben nur noch wenige Momente. "D-der ... Dämon ... Alle ... niedergemetzelt ..." Ihre Augen flackerten. "Ta ... keshi, dein Vater ... er hat ... ihn hergebracht ..." Ein letztes Mal flackerten ihre Lider, dann lag sie still.Sie war tot. "Nana-san ..."Takeshi zitterte, brauchte einen Moment, um zu realisieren, wassie ihm da gerade gesagt hatte. Sein Vater ... Hideo hatte Recht gehabt, so recht! Kalte Wut begann in ihm zu wachsen, als er sich langsam erhob, umdrehte und zu seinem Pferd ging. Banryū hatte er dort zurückgelassen. Er würde diesen verdammten Dämon umbringen. War er noch hier? Takeshi hatte sich seine Waffe gegriffen dann lauschte er einen Moment in die Stille. Plötzlich schrie er: "Zeig dich, du Hund!!! Oder hast du Angst???" Seine kräftige Stimme hallte über das leere Anwesen, wie das Echo eines Verstorbenen. Doch plötzlich ... Ein Schatten, der schnell rasend auf ihn zukam und Takeshi verdankte es einzig und allein seinen schnellen Reflexen, dass er ihm um Haaresbreite noch auszuweichen vermochte. Hektisch wirbelte er herum und dann sah er ihn. Seinen Vater. Oder das, was er mal gewesen sein mochte, denn es erschien ganz so, als habe er eine gräuliche Wandlung durchgemacht - Takeshi zweifelte plötzlich keine Sekunde mehr daran, dass sein Vater seinen Körper und die Seelen seiner Familie an einen Dämon verkauft hatte. "Das schwarze Schaf kehrt also heim", ein gackerndes Lachen, die Stimme seines Vaters drang nur mehr verzerrt aus seinem Mund. Sein ganzer Körper wirkte seltsam entstellt - ihm waren Dornen und Hörner gesprossen, wo sie unmöglich sein sollten, die Farbe der Augen hatte sich zum Schwarz hin verändert. Mit einem Anflug von blanken Entsetzen starrte Takeshi seinen Vater kurze Augenblicke mit aufgerissenen Augen an. Dann besann er sich wieder. Er ist kein Mensch mehr. Er erwiderte nichts auf die offene Provokation und ging in Kampfstellung. Das Wesen kommentierte dies mit einem höhnischen Gelächter. "Was, du willst dich wirklich gegen deinen eigenen Vater stellen?" "Du bist schon lange nicht mehr mein Vater", sagte Takeshi eiskalt und plötzlich war es da: Das Lodern in seinen Augen, das auch in späteren Jahren so manchen Gegner starr werden lassen sollte vor Ehrfurcht. Selbst das Wesen zögerte einen Augenblick. "Die Dörfler, sie sind auf dem Weg hierher...", sagte es zischend. "Zu welchem Zweck hat mein Vater einen Pakt mit dir geschlossen?" Er ging auf das eben Gesagte gar nicht ein. Ein abermaliges Zischen, wie, wenn man nasses Holz anzündete. Dann lachte es. "Dein Vater war genauso machthungrig und einfältig, wie der Rest von euch Menschen auch. Ich versprach ihm einen Sieg um den anderen, wenn ich nur in seinen Körper schlüpfen könne: Das war die Bedingung. Je öfter er kämpfte, durch jede Schlacht, die er bestritt, wurde ich um ein weiteres genährt, bis ich einst so stark war, dass ich ausbrechen konnte." "Ich werde dich töten", sagte Takeshi mit einem leisen Flüstern, aus welchem der reine Hass tropfte. "Versuch es, Menschenjunge ..." Es stürzte sich auf ihn und nahezu im selben Moment hatte Takeshi seinen defensiven Standpunkt verlassen und stürzte ihm ebenso entgegen. Die Banryū schwang er dabei mit einer Leichtigkeit, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. Der Hass, der Schmerz und die unendliche Wut auf alles trugen ihn dabei und es dauerte keine zwei Sekunden, ehe sich ein Regen aus Blut über den jungen Mann ergoss. Blutiger Regen, der sich mit den Tränen auf seinen Wangen vermischte und aus der Ferne hörte er bereits die entsetzten Schreie der Menschen und er wusste, dass er zum jetzigen Zeitpunkt ein Verfolgter war… ~*~ Die nächsten Tage hatte Takeshi irgendwie wie in einem Wachtraum verbracht. Er hatte nur gewusst, dass er fort musste. Er konnte nicht zurück zu Tanaka. Wollte nicht zurück. Er hatte seinen Vater getötet. Er war jetzt sowas wie ein Ronin. Ein Samurai? Unerreichbar. Er verließ den Teil des Landes, in dem man ihn und seine Familie kannte. Er verließ alles, was er kannte. Das erste Geld, das er zum Überleben so dringend brauchte, gewann er in der nächsten größeren Stadt in einem Boxkampf. Sein Gegner war doppelt so alt, drei Köpfe größer und mindestens fünfmal so breit wie er. Er kam nicht einmal ins Schwitzen als er ihn mit drei gezielten Schlägen k.o. schlug. Dann versuchte er, sich als Söldner zu verdingen, was anfangs von mäßigem Erfolg gekrönt war. Doch es wurde. Irgendwie … irgendwie musste er ja überleben. Er wollte jemand sein. Nicht der, der seine Familie hingemetzelt hatte. Er konnte seinen Namen nicht mehr tragen. Er brauchte einen neuen Namen. Einen Neuanfang. Und so wurde aus ihm Bankotsu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)