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Rot wie Blut

Die Legende der Shichinintai
von

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Der verlassene Tempel

Es roch nach Öl. Nach Öl und rostigem Eisen.

"Haruyama, ich hab dir doch letztens erst gesagt, dass es keine gute Idee ist, wenn du deinen Körper dem Seewasser aussetzt."

Ein tadelnder Blick, den der Angesprochene mit Schweigen kommentierte. Aber es war ein gewohntes Schweigen, Akira Takanaga kannte es nicht anders von seinem Gefährten.

Seelenruhig griff er, nachdem er die Handschuhe angelegt hatte, nach einem Fläschchen mit einem durchsichtigen, dünnflüssigen Gemisch. Ein beißender Geruch stieg auf, kaum hatte er es entkorkt, eine leidige Notwendigkeit, dieses Mittel. Haruyama hatte vermutlich ohnehin keinen Geruchssinn mehr. Mit flinken Händen wischte er mit dem Tuch über jene Stellen des Körpers, die angerostet waren.

Er musste sich etwas Nachhaltiges einfallen lassen gegen den Rost.

„Du musst wirklich besser aufpassen“, führte er seinen Monolog fort und die einzige Antwort, die er bekam, war ein Geräusch, das an „Gish“ erinnerte, begleitet von ein paar gemurmelten Worten, die er nicht verstand.

Takanaga wertete das als Zeichen der Zustimmung.

Es wäre ungünstig, wenn Haruyama seinen Arm nicht mehr heben oder das verstärkte Gebiss nicht mehr nutzen konnte.
 

Am späten Nachmittag schickte er Haruyama fort, er sollte etwas zu Essen auftreiben. Es kamen wenige Menschen her, um Opfergaben zu bringen, die hatten sie früher für sich genommen.

So walzte der Riese sorglos durch den Wald und verschreckte dabei wohl mit seiner Masse und seiner nicht vorhandenen Fähigkeit, leise zu sein, mehr Tiere, als dass er sie anlockte. Aber Haruyama war von Natur aus ein eher langsamer und begriffsstutziger Mensch.

Takanaga hätte es nicht gewundert, wenn dieser schon auf der Hälfte der Strecke wieder vergessen hatte, was er tun sollte. Allerdings hatte der Mönch so auch seine Ruhe.
 

Haruyama mochte die Natur. Es war so friedlich. So still und angenehm. Er hielt sich nicht gerne in der Gegenwart von anderen Menschen auf, er mochte ihre Blicke nicht. Die seltsamen Blicke, die sie ihm zuwarfen, weil sein Körper zur Hälfte aus Metall bestand.Und weil er ein bisschen langsam im Kopf war.

Eine eiserne Kugel hatte ihm in einer Schlacht einst den Kiefer zerschmettert und er wäre ewig entstellt geblieben, ja, nicht mal mehr fähig, richtig Nahrung aufzunehmen, wäre Akira Takanaga nicht gewesen und hätte ihm einen neuen Kiefer gebaut aus Metall.

Und den verstärkten Arm, da seiner nach einer Wunde Wundbrand bekommen und sonst amputiert hätte werden müssen.

Oder die eiserne Brustplatte, weil ihm ein Feuerwerk die Haut buchstäblich bis auf die Knochen niedergebrannt hatte. Das war eine sehr schmerzhafte Angelegenheit gewesen, aber so konnte er wenigstens sicher sein, nicht urplötzlich von dem Schwert eines Feindes durchbohrt zu werden.

Dass das Feuerwerk eigentlich Akiras Schuld gewesen war, hatte der Hüne schon längst wieder vergessen. Irgendwie war bei dem Kieferbruch auch sein Kopf in Mitleidenschaft gezogen worden. Vermutete Takanaga zumindest. Im Grunde war es dem Mönch auch egal.
 

Ab und an war ein Gish zu hören, während sich der Koloss vorwärts bewegte, der ein oder andere Vogel wurde aufgeschreckt. Sonst schien niemand unterwegs zu sein.

Das war gut.

Keine Menschen, die Angst bekamen und schreiend davonliefen.

Er konnte es nicht leiden, wenn Menschen schrien und laut waren. Er mochte die Ruhe des Waldes.

Bald kam er an einen kleinen Fluss, der ein paar Meter weiter eine Biegung machte, und er beschloss, sich erst mal hinzusetzen und das Wasser zu beobachten.

Das tat er gerne. Wasser hatte etwas Beruhigendes, Angenehmes. Wie es beinahe lautlos dahinfloss, nur ab und an ein leises Plätschern, wenn ein Fisch die Wasseroberfläche durchbrach und danach wieder hineintauchte.

Mit einem dumpfen Knirschen ließ er sich in den Schneidersitz hernieder.

Eine ganze Weile starrte Haruyama nur auf das Wasser, seltsam entrückt, und einem Fremden hätte das wohl ein seltsames Bild geboten.
 

Doch dann ... Plötzlich ließ ihn ein lauteres Plätschern aufmerken. Das war kein Fisch. Das klang eher nach einem Menschen, der sich die Füße kühlte, sich wusch, oder sonst etwas.

Irgendwie machte es Haruyama neugierig und mit einem leisen Ächzen erhob er sich und ging langsam die paar Meter bis zu der Biegung, um die er sonst nicht herum sehen konnte. Dann spähte er herum. Was er erblickte, war eine relativ zierliche Frau, die mit dem Rücken zu ihm und den rosafarbenen Yukata erhoben, mit den nackten Füßen in das seichte Uferwasser des Flusses eingetaucht war.

Sie schien alleine zu sein. Haruyama erstarrte. Mit Frauen kannte er sich nicht aus. Er wollte sie ein

Weilchen betrachten, sie einfach nur anschauen, vielleicht auch von Nahem. Eine ganze Weile beobachtete er sie. Sie war wirklich sehr hübsch. schwarzes, seidiges, zu einem Dutt hochgestecktes Haar, blasse, reine Haut und eine zierliche Figur ...

Zu gerne wollte er sie näher betrachten. Aber wenn er näher kam, dann würde sie ihn gewiss bemerken und sicherlich würde sie sich dann erschrecken. Bis jetzt waren alle Mädchen vor ihm fortgerannt, denen er sich genähert hatte.

Sie hatten ihn als Monster, als Ungetüm, als Halbdämon und was sonst noch bezeichnet. Dabei war er früher ein gar nicht so unstattlicher Mann gewesen.

Bevor die schweren Verletzungen seinen Körper entstellt hatten und es keine andere Lösung gab, nicht zum Krüppel zu werden, als ihn halb zur Maschine zu machen.

Noch einen Schritt. Nur einen kleinen und ...

Plötzlich knackte es, er war versehentlich auf einen Ast getreten und die Frau warf sofort den Kopf herum, um in seine Richtung zu starren.

Einen Augenblick starrte sie ihn an und er hörte schon ihren Schrei in den Ohren, doch zu seiner Verwunderung, seiner großen Verwunderung, stemmte sie schließlich die Arme in die Seiten und zeterte: "Was fällt dir eigentlich ein, mich so zu erschrecken!?"

Ein wenig irritiert registrierte Haruyama, dass ihre Stimme einen Hauch zu tief klang für eine Frau, nur einen kleinen Tick. Oder?

"Wie lange hast du mich eigentlich schon von da aus beobachtet, hm? So was nennt man spannen!"

Sie kam ein, zwei Schritte auf ihn zu und da bemerkte er, dass es eigentlich ... ein Er war.

Er hob leicht die Arme, wollte eine beschwichtigende, entschuldigende Geste andeuten, doch man musste sich vorstellen, was für eine Wirkung es hatte, wenn ein mehr als zwei Meter großer, kräftiger Mann so etwas tat.

Auf Jakotsu hatte es zumindest eine sehr einschüchternde und plötzlich blieb er stehen.

“Ähm, ich ...”

Haruyama wollte ihm bedeuten, dass es ihm leid tat und ging ein paar Schritte auf den jungen Mann zu, allerdings erreichte er so ziemlich das Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte, und Jakotsu schrie erschrocken auf, da es auf ihn wirkte, als wolle der fremde Hüne ihm irgendetwas Böses und stolperte ein paar Schritte zurück.

Haruyama zuckte bei dem Schrei zusammen - er mochte es nicht, wenn Menschen laut waren und wurde dabei meistens selbst leicht nervös und so wusste er sich nicht anders zu helfen und langte nach Jakotsu, weil er ihn beschwichtigen wollte, ihm bedeuten wollte, dass er nichts tat. Er bekam ihn mühelos zu fassen und als dieser begann, zu zetern und sich zu winden hielt er ihm in seiner Panik den Mund zu.

“Ni ... cht”, sagte er unter Anstrengung, denn er sprach nicht oft und auch nicht gerne, versuchte, das Gezappel zu dämpfen.
 

Als Bankotsu Jakotsus gedämpften Schrei vernahm, rollte er mit den Augen und murmelte ein “Was ist denn jetzt schon wieder?”, sprang dann auf und eilte in die Richtung, aus der er den Schrei vernommen hatte. Was er dann allerdings sah, ließ ihn eingestehen, dass dieser Schrei durchaus berechtigt war.

Hastig warf er einen Blick zurück, es wäre Zeitverschwendung, wenn er jetzt seine Banryū holen würde.

Bankotsu änderte also spontan seine Taktik und schlich sich ein Stückchen durchs Gebüsch, sodass man ihn nicht kommen sah. Dann sprintete er mit einem Mal los, zückte noch während des Laufens einen scharfen, kleinen Dolch und nutzte schließlich einen, aus dem seichten Flussbett ragenden, Stein dazu, sich abzustoßen.

Mit Schwung landete er auf dem Rücken des Riesen und während er sich mit einer Hand irgendwo festkrallte, presste er den Dolch gegen dessen Kehle.

“Lass ihn sofort los – wird’s bald!”, knurrte er böse.
 

Haruyama erschrak sehr, als er plötzlich die Klinge an seiner Kehle spürte, das Platschen, das Bankotsu im seichten Uferwasser verursacht hatte, hatte er zwar vernommen, aber dessen Gewicht hatte er kaum gespürt, er war zu sehr mit dem jungen Mann beschäftigt gewesen. Langsam ließ er ihn los und Jakotsu lief schnell ein paar Schritte fort, brachte sich auf Abstand.

Der Schrecken steckte ihm noch in den Gliedern.

“Brav so”, knurrte Bankotsu, dachte aber nicht daran, loszulassen. “Wer bist du und was willst du von uns?”

Den letzten Teil des Satzes hätte er sich im Grunde sparen können - wahrscheinlich war Jakotsu mal wieder für eine Frau gehalten worden.

Oder der Kerl stand einfach auf hübsche Knaben und hatte seine Chance gewittert. Wie auch immer.

“Also?”, sagte er mit Nachdruck.

“Haru ... yama”, murmelte der Riese nach einer Weile zögerlich und Bankotsu wunderte sich doch etwas, dass dieser nicht einmal Anstalten machte, sich von ihm zu befreien. Entweder er hatte tatsächlich Angst vor ihm oder er war einfach nur dumm.

Wie dem auch war, Bankotsu beschloss, es zu seinem Vorteil zu nutzen.

“Also, Haruyama ... wo kommst du her, wem dienst du?”

Der Hüne antwortete nicht, sondern hob langsam den Arm, um in eine bestimmte Richtung zu zeigen.

“Tempel”, sagte er.

Bankotsu und Jakotsu warfen sich kurz einen vielsagenden Blick zu. Vielleicht hatten sie ja Glück. Mönche waren immer hilfsbereit. Was allerdings jemand wie Haruyama in einem Tempel verloren hatte ... diese Vorstellung passte irgendwie nicht so ganz.

“Kannst du uns dorthin bringen?”

Haruyama nickte wortlos.

“Guut ... ich nehm den Dolch jetzt weg, aber glaub ja nicht, dass du mich deshalb jetzt angreifen kannst. Jakotsu, du hast es gehört, wir brechen auf.”

 

~*~
 

Tatsächlich hatte Haruyama kein einziges Mal Anstalten gemacht, sich zu wehren, obgleich er es locker gekonnt hätte. Irgendwie gefiel Bankotsu das. Er mochte Menschen, die nachdachten und das taten, was vernünftig war, ehe sie sich blindlings irgendwo hineinstürzten.

Unbewusst warf er Jakotsu, der ein paar Schritte hinter ihnen lief und einen missmutigen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, einen Blick zu.

Haruyama führte sie eine dreiviertel Stunde lang durch den Wald, einen Weg entlang, der leicht den Berg hoch führte.
 

Bald kam ein Tempel in Sicht und Bankotsu sah auf den ersten Blick, dass der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. Als sie näher kamen, bemerkte er sogar Brandspuren in einem Teil der Anlage und einige Bäume im Umkreis waren ebenfalls abgestorben.

Hier schienen nicht viele Mönche zu leben. Wenn überhaupt.

Haruyama führte sie zu einem kleinen Häuschen, welches ebenso auf der Anlage untergebracht war.

Die Schiebetür war offen. Und daraus trat im nächsten Moment ein Mann hervor, welcher eine Glatze und Kleidung trug, ähnlich der Mönche.

“Seid gegrüßt, Houshi-sama”, sagte Bankotsu, sich seiner guten Manieren entsinnend - immerhin waren sie diejenigen, die etwas wollten.

Während er eine leichte Verbeugung andeutete, glitt sein Blick schnell über die Erscheinung des Mannes. Er war sehr hochgewachsen, hatte ein schmales Gesicht und hohe Wangenknochen, die Augen waren zu Schlitzen verengt, doch bei genauerem Hinsehen merkte man, dass das wohl ihr natürliches Aussehen war, der Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Geringschätzig wurde Bankotsu gemustert und dieser sagte schnell: “Dieser Mann hier hat meinen Gefährten angegriffen und als Entschuldigung möchte ich gerne Eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.”

Der Blick des Mannes ruhte einen Moment tadelnd auf Haruyama. Ganz so, als wäre es ein schreckliches Vergehen, Fremde hier her zu bringen. Allerdings trug Takanaga sein Herz nicht auf der Zunge. Das sollte später in Ruhe geklärt werden.

“Es ist ungewöhnlich, dass hier Gäste sind”, erwiderte der Mönch zögerlich und die von Natur aus kühle Stimme ließ Jakotsu einen Schauer über den Rücken laufen. Bankotsu allerdings ließ sich davon nicht rühren.

“Für wie lange gedenkt Ihr, hier zu bleiben, Herr?”

Bankotsu spürte mit jedem Wort, dass sie hier unwillkommen waren, doch er ließ sich davon nicht beeindrucken.

"Für eine Weile. Die Wintermonate halten Einzug und wir wissen noch nicht, wohin wir als nächstes reisen werden."

Die Miene des Mönches blieb unbewegt, dennoch meinte Bankotsu, sich einbilden zu können, wie es in dessen Kopf arbeitete. Sie waren zwei Fremde, gut bewaffnet und wirkten auch nicht gerade wie der japanische Hochadel. Sie könnten, wenn man es so nahm, wirklich jeder sein.

Sollte Takanaga wirklich einen solchen Gedanken gehegt haben, so ließ er ihn nicht nach außen dringen. Er nickte nur.

"Ihr könnt eine Weile bleiben. Das bin ich Euch schuldig, wo mein Untergebener Euch solche Unannehmlichkeiten gemacht hat. Ich bitte, dieses Verhalten zu verzeihen, Herr. Bitte folgt mir."

Während der ganzen Zeit, da er gesprochen hatte, hatte er nur Bankotsu angesehen, welcher das mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Immerhin war er derjenige, der das Sagen hatte.

Sie folgten dem Mönch über den Tempelhof, welcher, wie Bankotsu feststellte, ein klein wenig verwahrlost wirkte. Lebten hier keine anderen Mönche? Das war ungewöhnlich.
 

Wenig später kam das Wohnhaus in Sicht und eine zweite Ungewöhnlichkeit fiel Bankotsu auf. In ganz Japan hatte man vor oder hinter beinahe jeder Tür Hausschuhe, es war eine Ungehörigkeit mit dem Schuhwerk, das man draußen trug, in die Wohnräume zu gehen.

Takanaga war offenbar wirklich nicht auf Besuch ausgerichtet und wie er feststellte, schien ihn dieses Versäumnis auch nicht wirklich unangenehm zu sein.

Sie liefen einen Flur entlang und vor der dritten Tür auf der rechten Seite hielt er inne und wandte sich zu seinen Gästen um, nachdem er die Tür aufgezogen hatte.

Zu Bankotsus Überraschung umspielte ein schmales Lächeln die Lippen des Mönches, etwas, was nicht so sehr in dessen Mimik passte und es wirkte ein wenig gezwungen. Wie als wolle man keinen Verdacht aufkommen lassen, dass hier etwas nicht stimmte.

"Ich bitte zu entschuldigen, dass die Gasträume nicht im besten Zustand sind, ich werde Haruyama sagen, dass er sich darum kümmern soll, ich bin leider viel beschäftigt. Mahlzeiten gibt es morgens zur achten Stunde und abends zur sechsten Stunde. Nach der neunten herrscht hier Nachtruhe."

"Herrje, wie kann man nur so ein langweiliges Leben führen?", platzte es schließlich aus Jakotsu heraus, der das nicht mehr länger aushielt. "Da wird man doch schwachsinnig im Kopf."

Bankotsu hätte sich am liebsten die Hand vors Gesicht geschlagen. Takanagas Lächeln verschwand.

"Ihr wollt meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, so seid Ihr auch verpflichtet, den Regeln nachzukommen, die unter diesem Dache herrschen. Vergesst nicht, dass dies ein heiliger Ort ist."

Bankotsu schielte verstohlen von einem zum anderen und jetzt schon merkte er, dass die beiden sich wohl niemals grün werden würden. Das konnte ja spaßig werden.
 

"Hast du gehört, wie der mit mir geredet hat?", schimpfte Jakotsu später. "Das kann der sich doch nicht erlauben, für wen hält er sich eigentlich?"

"Für den Herrn des Hauses?", feixte Bankotsu und knuffte Jakotsu dann sanft gegen die Schulter. "Hör auf, dich zu beschweren, wie haben ein warmes, trockenes Fleckchen, wo wir eine Weile der Kälte ausharren können, außerdem hat er Recht mit dem, was er gesagt hat."

Jakotsu ging die Kinnlade herunter. "Du bist auf seiner Seite?", schnappte er beleidigt.

"Ich bin nur auf meiner Seite, Jakotsu, ob es dir passt oder nicht, du wirst dich benehmen müssen, verstanden?"

Jakotsu hatte noch etwas entgegnen wollen, aber die Kälte in Bankotsus Worten ließ ihn verstummen.

Sein Blick wandelte sich in etwas leicht Unbehaglich und mit vor ironischer Stimme entgegnete er ein "Ja, Herr", und ging dann wortlos aus dem Raum und Bankotsu stöhnte innerlich. Wie sollte das bitte weitergehen, wenn sie sich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare bekamen?

Jakotsu war schon wirklich anstrengend. Wie viel leichter wäre es nur ohne ihn? Vielleicht, dachte er in einem Anflug von Ironie, konnte er Takanaga Jakotsu ja als Haushaltshilfe dalassen, genug zu tun gab es immerhin. Es wäre sicher lustig mit anzusehen, wer nach einer Woche noch lebte.
 

Jakotsu stampfte wütend und beleidigt aus der Wohnanlage und lief ziellos über den Tempelhof. Wenn er jetzt auch noch Takanaga über den Weg liefe, dann würde er sicherlich explodieren. Irgendwann blieb er unschlüssig stehen.

Dort, wo er gerade war, schien die Anlage noch weniger genutzt zu werden, die Bäume, die die Anlage säumten, hingen mit ihren Ästen schon längst über dem Boden der Anlage und auch hatte dichter und kräftiger Wurzelwuchs dafür gesorgt, dass der Boden an einigen Stellen schon Risse abbekommen hatte.

Jakotsu seufzte und schlang die Arme um den Körper. Und jetzt?

"Heiße Quelle", ließ ihn plötzlich eine Stimme zutiefst erschrecken. Er wirbelte herum und sah Haruyama. Wie nur schaffte es so ein montrös großer Mann, sich dermaßen anzuschleichen, dass man ihn erst bemerkte, wenn er direkt hinter einem stand?

Jakotsu verzog missbilligend das Gesicht. "Was?"

"Heiße Quelle", wiederholte er und deutete mit dem Arm in eine bestimmte Richtung und nach genauem Hinsehen erkannte Jakotsu einen Trampelpfad, welcher zwischen den Bäumen hindurchführte.

Plötzlich hellte sich seine Miene auf. "Hier gibt es wirklich heiße Quellen?"

Haruyama nickte.

"Bringst du mich hin?"

Abermals ein Nicken.
 

Wenig später stiefelte er hinter Haruyama her durch den Wald. Irgendwie war ihm dieser schweigsame Hüne lieber als Takanaga. Er konnte sich nicht helfen, aber er traute Takanaga einfach nicht über den Weg. Er hatte so etwas ... Kaltes, Hartherziges an sich. Er schien etwas zu verbergen. Jakotsu hatte im Laufe seiner Karriere, wenn man es so nennen konnte, schon die Bekanntschaft von so einigen Männern geschlossen und er hatte ganz gut gelernt, die Zeichen zu deuten.

Nicht nur Bankotsu war aufgefallen, dass hier etwas nicht stimmte. Dieser Ort hatte etwas Schauriges an sich, er bildete sich ein, dass sogar die Vögel, die man eigentlich hören sollte, einen gewissen Radius um den Tempel schwiegen.

Er meinte, irgendwo die Reste von einem Feuer gesehen zu haben, als sie über die Anlage gelaufen waren.

Hatte es hier mal gebrannt? Vielleicht konnte er Haruyama fragen, auch wenn er bezweifelte, dass dieser ihm groß Auskunft geben konnte oder würde.

Nach etwa 20 Minuten Fußmarsch kam bereits der Dampf der Quelle in Sicht. Jakotsus Laune hob sich, das war genau das, was er brauchte.

Wenig später streifte er den Überwurf ab, den er der Kälte wegen anhatte und löste dann die Bänder seines Yukata. Beides legte er auf einem Felsen ab, damit sie nicht nass wurden, und kurz darauf ließ er sich mit einem wohligen Stöhnen ins Wasser gleiten.

Er schloss kurz die Augen.

"Verdammt, tut das gut...", ächzte er und öffnete dann die Augen wieder, um einen Blick zu Haruyama zu werfen, welcher zu seiner Überraschung stocksteif stehengeblieben war und den Blick abgewandt hatte. Täuschte er sich oder war auf dem bisschen Wangenhaut, das im Gesicht noch geblieben war, ein Hauch von Röte zu erkennen?

"Haruyama?", fragte er und selbiger zuckte zusammen und wandte beinahe schüchtern den Kopf zu ihm hin.

"Du hättest nicht wegsehen brauchen, da gibt es nichts, was du nicht schon mal gesehen hättest", meinte Jakotsu sanft. Das hatte er auch noch nicht erlebt.

Scheinbar hatte er Haruyama völlig falsch eingeschätzt. Plötzlich kam ihm ein Gedanke und er legte den Kopf schief.

"Lass mich raten - du magst Knaben, aber als jemand es erfahren hat, hat man dich dafür gerügt? Hat man dich deshalb geschlagen vielleicht? Weil du dir gerne Knaben ansiehst?"

Haruyama sah ihn überrascht an, starrte eine Weile, dann nickte er langsam.

"Hab ichs mir doch gedacht", sagte Jakotsu unbekümmert und sah zum Himmel auf.

"Mach dir deshalb keine Sorgen. Es ist nicht so abartig, wie sie alle immer sagen. Menschen wie du und ich werden es niemals leicht haben, das ist wohl einfach so vorherbestimmt. Man muss einfach das Beste daraus machen."

Haruyamas Blick wurde noch größer. Hatte dieser junge Mann ihn gerade wirklich als Menschen bezeichnet?

Sein Herz schlug mit einem Mal seltsam schneller.

Jakotsu lachte. "Na, ist das jetzt so eine Überraschung? Hast du etwa gedacht, du wärst der einzige?"

Haruyama zuckte mit den Schultern. Irgendwie hatte er das gedacht, ja.
 

Jakotsus Blick wurde mit einem Mal gedankenverloren, ja, fast sogar ein wenig traurig. Haruyama entging das nicht.

Er machte ein Geräusch, das leicht nach einem 'Gish' klang.

Jakotsu konnte eigentlich gar nicht verstehen, was er ihm damit hatte sagen wollen, aber trotzdem sprach er: "Weißt du ... Bankotsu und ich streiten fast nur und er sagt oft solche Sachen ... manchmal hab ich wirklich das Gefühl, ihm wär es lieber, wenn wir uns niemals begegnet wären."

Er wirkte niedergeschlagen. Haruyama zögerte kurz, dann trat er näher und ließ sich unmittelbar neben der Quelle an der Stelle, wo Jakotsu saß, in den Schneidersitz sinken.

Ein stummes Zeichen des Trostes, dass er zuhören wollte, auch wenn er ihm keinen Ratschlag geben konnte.

Jakotsu lehnte sich zurück und wandte den Blick abermals nach oben. Es begann bereits leicht zu dämmern.

"Fühlst du dich auch manchmal so, als würdest du niemals zur Ruhe kommen? Einfach nicht ankommen im Leben? Ich fühl mich so."

Die Stimme zitterte ihm ein wenig. "Ich bin so froh, dass ich Bankotsu getroffen habe, aber was ... wenn ich ihm wirklich nur eine Last bin? Ich meine, was verspricht er sich davon?"

Dann schnaubte er abfällig. "Vielleicht wartet er auch nur auf die erstbeste Gelegenheit, um mich loszuwerden, wer weiß. Allerdings ..."

Er brach ab.

"Ich könnte niemals getrennte Wege gehen ... Ich … ich hab doch sonst niemanden…"

"Haruyama versteht das", erklang plötzlich eine leise Stimme. Sie klang angestrengt, als wäre sie das Sprechen nicht mehr gewohnt. „Haruyama hat auch niemanden außer Akira.“

 

~*~
 

Bankotsu vertrieb sich die Zeit, indem er im Tempelhof ein paar Übungen machte. Nur herumsitzen hatte er noch nie können.

Er hatte sich ein wenig umgesehen und in einem Raum einige alte Übungswaffen gefunden. Es war ja nicht unüblich, dass die Mönche eines Tempels diesen auch selbst verteidigten, viele entwickelten sogar eigene Kampfstile.

Am berühmt-berüchtigsten waren wohl die chinesischen Shaolin-Mönche. Als Kind hatte man ihm einmal davon erzählt.

Bankotsu hatte sich für zwei Bambusstäbe entschieden, welche das Gewicht und die Größe von Kurzschwertern hatten.

Die meiste Zeit trug er ja nur seine Banryū bei sich und er wusste, dass es wichtig war, dass er auch die Führung von anderen Waffen nicht vernachlässigte. Es war nicht immer von Vorteil, wenn man so eine auffällige Waffe mit sich herumtrug.

Zwar hatte er verschiedene Techniken beigebracht bekommen, aber der Feinschliff fehlte ihm teilweise und er hatte sich nun geschworen, jetzt, wo sie ohnehin bald nicht mehr weit kommen würden, seinen Fokus darauf zu legen.

Bankotsu war so vertieft in seine Übungen, dass er gar nicht bemerkte, dass sich ihm jemand genähert hatte.

"Bankotsu-san."

Selbiger hielt inne. Takanaga. "Ja, Houshi-sama?"

Ein musternder Blick lag auf ihm. "Ich hörte vor einigen Jahren mal von einer Fürstenfamilie", begann er behutsam,„eines Tages sind sie bestialisch ermordet aufgefunden worden, nur die Leiche des jüngsten Sohnes fand man nie."

Bankotsu zuckte einen Augenblick zusammen, dann starrte er Takanaga an, einen Moment, einen kurzen Moment, hatte er die Kontrolle über seine Mimik verloren.

"Und warum erzählt Ihr mir das?", fragte er schließlich bemüht gleichgültig.

Takanaga schüttelte lächelnd den Kopf. "Verzeiht mir, es war wohl etwas weit hergeholt. Man sagte mir nämlich, dass dieser junge Mann einst eine Waffe bekam, die Eurer sehr ähnlich sein dürfte. Ich bitte um Nachsicht, wahrscheinlich ist er schon lange tot."

Ein Blitzen in den Augen des Mönches und daraufhin ließ dieser ihn verwirrt zurück.

Bankotsu brach plötzlich der Schweiß aus. Wusste er es? Das war ... unmöglich. Er hatte sich solche Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen.



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