Rot wie Blut von abgemeldet (Die Legende der Shichinintai) ================================================================================ Kapitel 4: Der Schwarze Tod --------------------------- Hayato konnte den Gestank des Schwarzen Todes schon wahrnehmen, ehe er in das Dorf hinein ritt. Es war gespenstisch. Ihm war wohl klar, in welche Gefahr er sich selbst dabei begab, denn selbst das Tragen der Pestmasken schützte nicht immer vor einer Ansteckung. Aber wie konnte er es mit sich vereinbaren, diese armen Leute hier ihrem Schicksal zu überlassen? Er war Arzt und er musste sich um die Kranken kümmern, selbst wenn keine Hoffnung auf Heilung mehr bestand. Er hatte irgendwann einmal einen Eid geschworen und lieber starb er selbst, als ihn zu brechen. „Herr!“ Ein schmutziges junges Mädchen trat an ihn heran, sodass er sein Pferd zum Stillstehen brachte. „Die Götter haben unsere Gebete erhört … sie erschießen jeden, der versucht, von hier zu entkommen…“ Er warf dem Mädchen einen prüfenden Blick zu. „Wie viele leben noch?“ „Nicht viele. Der Großteil des Dorfes ist tot. Wir haben angefangen, die Leichen in die Pestgruben zu werfen, aber seitdem sie draußen die Schützen aufgestellt haben, sind wir gezwungen, sie mitten im Dorf zu verscharren.“ Hayato stieg von seinem Pferd ab und betrachtete das Mädchen prüfend. Sie hatte keine Beulen, kein Rasseln im Atem. Vielleicht gehörte sie zu den gesegneten wenigen, denen die Pest nichts anhaben konnte. Wenn das der Fall war, dann musste sie dringend hier fort. „Bitte Herr, mein Vater und mein Bruder sind tot, aber meine Mutter, sie…“ Sie brach ab. „Wo ist sie?“ „Bitte, bitte folgt mir, ich zeige es Euch, es ist nicht weit…“ Sie brachte ihn bis zu einer unscheinbar wirkenden ärmlichen Hütte. „Warst du die ganze Zeit bei ihr?“ „Ja, Herr…“ „Und du fühlst dich nicht krank?“ „Nein, Herr, bisher waren die Götter gnädig mit mir…“, antwortete sie mutlos und der Arzt seufzte lautlos und strich ihr mit einer behandschuhten Hand über den Kopf. „Würdest du bei meinem Pferd warten, bis ich wieder komme?“ Sie nickte tapfer und Hayato nahm seinen Medizinbeutel und näherte sich der Hütte. Er kontrollierte die Verschlüsse seiner Maske und als er festgestellt hatte, dass alles noch saß, wie es sitzen sollte, betrat er schließlich die Hütte und zog die Tür hinter sich wieder zu. Selbst durch seine Maske hindurch drang der Geruch von Tod und Verwesung, Fäkalien und Eiter. Hayato zuckte zurück als eine fette Ratte quietschend, durch seine Schritte aufgestört, über den Boden huschte. „Widerwärtige Biester“, fluchte er leise. Wenn er diesen Leuten doch nur endlich begreiflich machen könnte, wie wichtig Sauberkeit und Körperhygiene waren. Die armen Leute wechselten nur selten das Stroh, mit dem sie ihre Hütten ausstreuten, weil sie einfach die Notwendigkeit nicht begriffen hatten. Und das schmutzige Stroh zog die Ratten an. Und dort wo Ratten waren, war der Schwarze Tod. Hayato hatte schon lange den Verdacht, dass die Ratten eine zentrale Rolle spielten. Denn in den vornehmen Häusern, dort wo es keine Ratten und wenig Schmutz gab, dorthin kam der Schwarze Tod viel seltener. Nachdem die Ratte fortgehuscht war, konnte der Arzt ein leises Stöhnen vernehmen von der provisorisch aufgestellten Trennwand im hinteren Bereich der Hütte. „Megumi … bist du das…?“ „Kimura Hayato, gute Frau“, sagte er leise und trat an den Futon, auf der die Frau lag. Ein Blick auf sie genügte, um zu sehen, dass es keine Rettung mehr für sie gab. Die Frau war womöglich höchstens 22 Jahre alt, doch die Krankheit hatte ihr Alter auf das Antlitz gemalt. Ihr Gesicht war fahl und glänzte vor kaltem Schweiß und die Augen, in denen ein letzter Funke Hoffnung glomm, sahen flehend zu ihm auf, doch es war so, als sei ihre Seele bereits dabei, hinüber zu gleiten. Ihre Finger und Zehen waren bereits schwarz verfärbt, das Obergewand und der Futon waren voll von schwärzlich-blutigem Auswurf. Hayato biss die Zähne aufeinander. Er hasste den Anblick von Blut. Lungenpest. Keine Hoffnung mehr auf Rettung und trotzdem wollte Hayato niemals aufhören, auf ein Wunder zu hoffen. Er kniete sich nieder und öffnete die Tasche, die er bei sich trug. Mit einem Messer schnitt er das Gewand der Frau auf. Rasselnder Atem. Hayato besah sich prüfend ihren Körper. Beulen in Achselhöhlen und Leistengegend. Vorsichtig drückte er gegen eine der Beulen, was der Frau ein gequältes Stöhnen entlockte. „Ich werde Eure Beulen aufschneiden“, sagte er behutsam. „Macht … Euch keine … keine Mühe …“, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. Hayato zückte eines seiner kleineren Messer, ein steriles, scharfes Instrument. Dann schnitt er. Blutiger Eiter quoll aus dem Schnitt hervor und sogar durch die Dichte seiner Maske drang der Übelkeit erregende Gestank und Hayato schloss einen kurzen Moment die Augen, ehe er fortfuhr. Er schnitt jede Beule auf, desinfizierte die Stellen mit einem selbst hergestellten Gemisch aus Alkohol und Kräutern und versuchte das gequälte Stöhnen zu ignorieren,das ihn an ein sterbendes Tier erinnerte. Verbrenn es, verbrenn das ganze Dorf! „Sei still“, flüsterte der junge Arzt, während er sich ein wenig schwankend einen Weg ins Freie bahnte – er verspürte den Drang, sich die Maske vom Gesicht zu reißen und frische Luft zu atmen. Doch alles, was er hier atmen würde, wäre der Tod. Hayato schloss einen Moment die Augen und sammelte sich, ehe er zu dem Mädchen zurückging, welches dem Pferd ein wenig den Mähnenkramm gestreichelt hatte. „Sie ist tot, oder…?“, murmelte sie tonlos und Hayato verspürte Wut in sich, eine solch unbeschreibliche Wut… „Ja“, sagte er nur und ergriff die Zügel des Pferdes. „Sind sonst noch welche hier? Gesunde, so wie du?“ „Nur noch ein Alter und ein kleines Kind…“ „Bring mich zu ihnen. Ihr werdet mit mir dieses Dorf verlassen.“ Sie schaute ihn mit großen Augen an. „Ihr macht das möglich, Herr?“ Hoffnung. „Ja.“ „Aber…“ „Hör zu“, sagte er plötzlich und legte ihr die Hände auf die mageren Schultern. „Du musst etwas für mich tun und für deine Leute. Du musst jedes einzelne meiner Worte so befolgen, wie ich es dir sage. Du bist ein großes Mädchen und schaffst das, nicht wahr?“ Es tat ihm in der Seele weh, diesem Kind noch mehr abzuverlangen, aber sie war die einzige vielleicht. Sie nickte tapfer. „Dann hör mir gut zu. Du wirst mir jetzt genau sagen, wo diese beiden Menschen sich befinden und ich werde zu ihnen gehen, um sie zu holen.“ Während er sprach, holte er aus seiner Tasche ein paar Stücke Kreide. „Dann wirst du zu jedem Haus gehen, und mir ein Kreuz auf die Tür malen, wo jemand ist, der noch kein Blut hustet und der noch kein Fieber hat und wenig Beulen, wo die Anzeichen noch gering sind – es gibt ein Siechhaus im Wald, wenn ich sie dorthin bringen kann, dann kann ich sie dort behandeln und vielleicht retten. Schaffst du das?“ Er sah sie direkt an und sie nickte. „Ja, Herr, das kann ich.“ Das Siechhaus war eine Zuflucht für Kranke und Aussätzige. Der einzige Ort in der Umgebung, an den sie noch gehen konnten. Der einzige Ort, an dem er sie noch vernünftig behandeln konnte. An diesem Ort waren Mikos, die sich aufopferungsvoll kümmerten, heilkundig waren und Hayato ließ ihnen so oft es ihm möglich war, Geld und Lebensmittel und andere Dinge zufließen, die sie benötigten. Ja, Hayato Kimura war in der ganzen Gegend als Wohltäter, als Arzt und als guter Herr bekannt. Wo er hinkam, da gab es Hoffnung und Hayato tat, was er konnte. Denn auf seiner Seele lastete Schuld. Eine dunkle Seite, blutrünstig, grausam und berechnend, eine zweite Persönlichkeit, die er fürchtete, denn wenn sie sich seiner bemächtigte, klebte schließlich Blut an seinen Fingern. Blut, das er nie mehr abwaschen konnte. Und deshalb tat er Buße, in dem er denen Hoffnung gab, die schon lange keine Hoffnung mehr hatten, in der Hoffnung, selbst Erlösung für seine grausamen dunklen Taten zu finden, dem Monster zu entfliehen, das tief in ihm schlummerte.   ~*~ „Habt Dank für Eure Hilfe, Miko-sama“, richtete er das Wort an die Ober Miko, nachdem er die Kranken zum Siechhaus gebracht hatte. Die alte Miko schüttelte den Kopf, „Wir haben Euch zu danken.“ Hayato sah einen Moment lang zu, wie die Mikos den Kranken halfen, sich draußen am Brunnen zu waschen, ehe sie sie hinein brachten. Es war eine gute Entscheidung. Sie hatten hier für die Kranken einzelne Zimmer, was recht ungewöhnlich war, aber es war Tatsache, dass durch die Separierung der Kranken deutlich weniger neue Krankheitsfälle auftraten. „Was geschieht nun mit den Toten im Dorf, Herr?“ „Das ganze Dorf ist verseucht“, antwortete Hayato bitter, „Ich fürchte, uns bleibt keine Wahl, als es kontrolliert nieder zu brennen.“ „Es ist ein Jammer. So viele, die ihr Leben verloren … wir versuchen immer, ihnen beizubringen, dass sie ihre Hütten so oft wie möglich reinigen, dass sie sich selbst jeden Tag waschen sollen, aber…“ „Sie hören nicht auf Euch, ich weiß“, schloss er bitter. Sie nickte betrübt. „Und dann ist da noch diese Sache mit den Kindern…“ „Sagt nicht, es sind schon wieder welche verschwunden?“ Die Yōkai nutzten die momentane Schwäche der Menschen schamlos aus, um sich in die Dörfer zu schleichen und die Wanderer vom Weg zu entführen. Besonders die wilderen Yōkai hatten das früher nicht gewagt. Hayato dachte einen Moment schmerzlich an die kleine Kimiko – ein Mädchen, das er, wie einige andere vor einiger Zeit in seinem großen Herrenhaus aufgenommen hatte. Sie und ein Junge, Sojiro, waren vor wenigen Tagen spurlos verschwunden und ehe er sich aufgemacht hatte, um nach den Kranken zu sehen, hatte er sich mit einigen Männern aus dem Dorf auf die Suche gemacht. Erfolglos. Man hatte keine Leichen gefunden, aber auch keine Knochen, denn die Yōkai fraßen nur das zarte Fleisch, die Knochen ließen sie liegen, weil Knochen eine starke reinigende Macht innewohnte – nur die Knochenfresserin fraß die Knochen, aber die war hier in diesem Teil des Landes noch nie gesehen worden. „Herr, wollt Ihr Euch einen Moment ausruhen, ehe ihr nachhause reitet?“ Der junge Arzt schüttelte müde den Kopf. Er war gerademal 26 Jahre alt und fühlte sich jetzt schon wie ein alter Mann und allein mit so viel Verantwortung. „Ich danke Euch, gute Miko-sama, wenn ich mich jetzt jedoch hinsetze, so stehe ich bis zum nächsten Morgen nicht mehr auf. Und es wird bald dunkel, ich sollte mich auf den Weg machen.“ Sie schwieg einen Moment und sagte dann: „Dann erlaubt mir, wenigstens einen Segen über Euch zu sprechen“, und ließ Hayato mit dem unangenehmen Gefühl zurück, dass sie ahnte, welche finstere Seite in seiner Seele wohnte.   ~*~ Es dämmerte bereits, als Hayato wieder zurück kehrte und er freute sich schon sehnsüchtig auf sein Bett, als ihm eines „seiner“ Kinder entgegengelaufen kam. „Kimura-san, Ihr habt Gäste, ich meine … das sind … Fremde… Sojiro…” “Moment mal, komm erstmal wieder zu Atem”, entgegnete der junge Arzt ruhig obgleich er hellhörig geworden war. Die Kleine stützte die Hände auf den Knien ab und atmete ein paar mal aus- und ein, dann berichtete sie: “Heute Nachmittag sind zwei Fremde in das Dorf gekommen - und sie haben Sojiro gefunden…” “Wo sind sie?” “Wir haben sie in Euren Gästeräumen untergebracht, Nanako und ich haben…”, doch kaum dass das Mädchen ihren Satz hatte beenden können, war Hayato davongestürzt. “… Ihn etwas hergerichtet…”, fügte sie hinzu, während sie sich an der Nase kratzte, dann die Schultern zuckte und sich eiligen Schrittes mühte ihrem Herrn hinterher zu kommen - Neugier war der Mädchen Zier. Hayato legte den kurzen Weg über den kleinen Innenhof, welcher die Räume für die Gäste und die Kinder und seine eigenen Wohnräume abtrennte, in Windeseile zurück und wenig später riss er bereits die Türen auf. Es handelte sich um zwei Personen, zwei junge Männer, von denen ihn einer mit einem Blick aus winterkühlen blauen Augen musterte und einem, mit auffallend feinen, ansatzweise femininen Zügen, der sich auf einen der Futons gelegt hatte, um sich etwas auszuruhen. Hayato machte eine unbeholfene Verbeugung und nahm dann vor dem Fremden Platz. "Bitte entschuldigt, dass ich Euch solange warten ließ. Die Pest wütet in der Gegend und außer mir hat jeder Arzt und Bader das Weite gesucht … mein Name ist Kimura Hayato-", der junge Arzt hielt kurz inne um Luft zu holen und fuhr dann kurz darauf fort, "Man sagte mir, Ihr habt den kleinen Sojiro im Wald gefunden, und es wäre aus gewesen, ohne Euer Zutun ... Habt Dank dafür... Kimiko-chan ist noch immer verschwunden…" Bankotsu wartete ungeduldig den Redeschwall Hayatos ab. Der Mann wirkte auf eine seltsame Weise nervös und angespannt. Dann sagte er, ein Gähnen unterdrückend und als würde es ihn auch nicht so recht interessieren: "Ja, da seid Ihr richtig informiert worden, aber von einem Mädchen weiß ich nichts… Mein Gefährte hat eine Armverletzung von einem Yōkai, dem wir gestern über den Weg gelaufen sind - man sagte mir Ihr seid ein Arzt und als Gegenleistung für die Rettung dieses Jungen halte ich eine kostenlose Behandlung für angemessen." Was für ein unhöflicher Bengel. Der war doch noch nicht einmal im Mannesalter. Aber er verzog keine Miene. Wenn auch das Anliegen unhöflich vorgetragen war, so hatte die Forderung durchaus ihre Berechtigung. Hayato nickte beschwichtigend, während sein Gegenüber sich zu der dösenden Gestalt beugte und sie unsanft rüttelte, "hey, der Arzt ist hier, er will sich deine Verletzung ansehen, Jakotsu..." Jakotsu?, dachte der Arzt bei sich, das war ein wirklich seltsamer Name - Schlangenfertigkeit, welche Mutter gab ihrem Kind einen derartigen Namen...? Vielleicht war es auch nur ein Pseudonym, das kam ja heutzutage öfter vor. Vor allem unter Söldnern und Vogelfreien … Je weniger er wusste, desto besser eigentlich. "Ich werde mir das gleich mal ansehen", sagte er nur höflich, dann stand er auf und ging zur Tür. Draußen in gebührendem Abstand kauerte das Mädchen von vorhin, welches er bat, das was er für die Behandlung benötigte zu holen ehe er sich an die Fremden wandte, "Ihr habt mir Euren Namen noch nicht verraten", sagte er freundlich und blickte den jungen Mann abwartend an. Dieser schaute kurz misstrauisch, meinte dann aber kurz angebunden, während er seinem Gefährten nochmal einen unsanften Stups gab, damit dieser endlich aufstand: "Man nennt mich Bankotsu." "Darf ich?", sprach der Arzt dann den anderen jungen Mann an, der sich gerade schwerfällig erhoben hatte und ihn nun aus müden Augen ansah – dabei griff er nach einem Handgelenk um den Puls zu erfühlen. Er war nicht besonders hoch. „Ayumi, bitte mische die beiden Kräuter zur Stabilisation des Blutes zusammen, wie ich es dir neulich gezeigt habe.“ Das Mädchen nickte eifrig, froh darüber etwas zu tun zu haben, und begann mit gelernten Händen die Kräuter zusammen zu mischen, während Hayato sich daran machte, den Verband den Jakotsu trug, zu öffnen. Behutsam meinte er "nicht bewegen", denn Jakotsus Arm hatte verdächtig gezuckt und sich auf die Lippe beißend hielt er still. Sorgsam wickelte Hayato den Stofffetzen ab, den man provisorisch als Verband umfunktioniert hatte und als er die Wunde freilegte, runzelte er verstimmt die Stirn. Ein seltsamer Geruch ging von der Wunde aus – es handelte sich jedoch keinesfalls um Wundbrand, sondern um eine Art Gift, das durch den Dämon in die Wunde gelangt sein musste. "Ich werde Euch eine Salbe anrühren und dann einen richtigen Verband anlegen, dann können wir hoffen, dass sich die Wunde schließt - schaut nicht so entsetzt, Heilmittel sind mein Spezialgebiet, aber ich muss das nun leider desinfizieren, das könnte etwas schmerzhaft werden...", warnte der Arzt den jungen Mann vor, welcher ihm schon beinahe mit ruhiger Gelassenheit seinen Unterarm hinstreckte. „Macht einfach Eure Arbeit, ich bin nicht aus Zucker.“ Dabei begegneten sich ihre Blicke kurz und Hayato fühlte sich leicht unwohl – irgendetwas in den dunklen Augen wirkte verstörend gefährlich. Eine Schlange, die ihr Opfer taxierte, lauernd auf den geringsten Fehler. Wenig später brachte Ayumi das Schälchen mit der Medizin. „Trinkt das“, ordnete Hayato an, „das stärkt Euer Blut.“ Jakotsu nahm das Schälchen von ihm entgegen. Dabei berührten sich ihre Fingerspitzen einen Hauch, nicht mehr wie die Berührung eines Schmetterlings auf der Haut. Und irgendetwas in dieser kurzen, unschuldigen Berührung weckte plötzlich die wilde tiefe Lust des Monsters in ihm. Hayato musste sich regelrecht zwingen, sich loszureißen und stand ruckartig auf. Er musste dringend Abstand zwischen sich und diesen Mann bringen. Wenig später goss sich Hayato mit zittrigen Händen Branntwein in eine Schale um ihn kurz darauf in einem Zug herunter zu stürzen. Es schüttelte ihn als der beißende Alkohol seine Kehle hinab rann und Hitze machte sich breit. Doch nun fühlte er sich klarer. Er atmete einmal tief ein- und aus. Was nur war das eben gewesen? Der andere in ihm hatte sich nie derart leicht reizen lassen. Hayato wusste, welche Situationen er vermeiden musste, um ihn nicht zu reizen, er wusste, dass er sich von Blut fernhalten musste, es sei denn, es handelte sich um eine harmlose Wundversorgung wie gerade eben. Er wusste, dass er sich von verführerischen Frauen fernhalten musste, denn die Begierde weckte ihn. „Was hat es eigentlich auf sich mit den verschwundenen Kindern?“, ließ ihn eine ruhige Stimme plötzlich zusammen zucken. Hayato sah auf, entspannte sich jedoch gleich wieder als er sah, dass es nur Bankotsu war. Der junge Mann schaute ihn aufmerksam und eine Spur musternd an und jetzt, wo sie sich gegenüberstanden wirkte er gar nicht mehr so jung. Irgendetwas Einnehmendes lag in seiner Aura. Zumindest schien ihn das ein wenig nervös zu machen. Hayato seufzte ergeben und deutete zu einer einfachen Sitzgelegenheit. „Bitte setzt Euch, ich will versuchen, es zu erklären…“ Nachdem sie sich beide niedergelassen und Hayato zuvor noch den billigen Branntwein gegen eine Flasche etwas weniger billigen Sake ausgetauscht hatte, begann er: „Es fing vor wenigen Wochen an. Zuerst verschwand mal hier ein Kind, mal dort. Es fiel zuerst nicht auf, denn die Pest wütet immer noch und die Kinder, die ihre Eltern längst verloren haben, werden auch erst viel später vermisst gemeldet, wenn überhaupt. Ich habe den Verdacht, dass sich die niederen Dämonen, die hier in diesen Wäldern und Bergen leben viel näher an die Dörfer wagen, jetzt, wo die Menschen so geschwächt und beschäftigt damit sind, gegen einen unsichtbaren Feind anzukämpfen.“ Hayato nippte an seinem Sake, Bankotsu hatte den seinen nicht angerührt, sein Blick ruhte während der ganzen Zeit auf dem Arzt, während dieser sprach. „Früher wurden sie von dem reinigenden Schutz der Mikos ferngehalten, aber auch in den Reihen der Mikos gibt es viele Verluste und die Schutzbarrieren sind lange nicht so stark wie früher. Wir sagen den Kindern immer, sie sollen, wenn sie schon unbedingt nach draußen wollen, sollen sie immer mindestens zu Dritt sein oder im besten Falle einen Erwachsenen bei sich haben. Sojiro … der Knabe, den Ihr aufgefunden habt, war einer von den Verschwundenen. Er ist noch nicht ansprechbar, aber ich werde sobald wie möglich versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen.“ „Um es kurz zu fassen, Ihr habt also ein gewaltiges Dämonenproblem, dem Ihr hier selbst nicht mehr Herr werdet.“ Der Arzt nickte ernst. „Und ich weiß mir keinen Rat. Ich bin Arzt, kein Krieger, ich kann mich mit einem Schwert bestenfalls gegen einen unbewaffneten Räuber verteidigen - die Mikos, die der Heilkunst mächtig sind und ich tun alles, um die Pest zu bekämpfen und die Kranken zu versorgen… wir sind alle erschöpft.“ „Aus welchem Grund seid Ihr diesen Menschen hier verpflichtet?“ Hayato sah Bankotsu einen Moment in die Augen. „Sie haben niemanden außer mir und den Mikos. Jedes Leben, das ich retten kann gibt mir die Kraft, nicht aufzugeben.“ „Ich verstehe“, erwiderte Bankotsu, obgleich er diesen Kampf auf verlorenem Posten nicht nachvollziehen konnte, „nun, ich will Euch einen Vorschlag machen. Ich bin Söldner und Yōkaibekämpfung ist mir nicht fremd. Ich kann Euch bei Eurem Problem unter Umständen helfen. Vorausgesetzt, Ihr könnt mich angemessen entlohnen.“ „Ich zahle Euch jeden Preis, den Ihr wollt, wenn diesen armen Menschen dafür nur endlich geholfen wird…“ „Dann haben wir eine Vereinbarung. Wir brechen morgen früh auf.“   ~*~ "Aber warum darf ich nicht mitkommen?" Beleidigt und streitlustig hatte der feminine junge Mann seine Hände in die Hüften gestemmt - es passte ihm so gar nicht, dass Bankotsu alleine mit einem fremden Mann durch die Wälder zog und das brachte er auch ziemlich deutlich zum Ausdruck. Bankotsu, welcher das Verhalten seines Gefährten gerade mehr als beschämend fand steckte sich demonstrativ die Zeigefinger in die Ohren und knurrte, "Das habe ich dir schonmal gesagt, erstens, du bist verletzt und Zweitens kannst du noch nicht so gut kämpfen, also wärest du uns mehr ein Hindernis, denn eine Hilfe! Und jetzt gib um Himmelswillen endlich Ruhe, ich-" "Aber ich hab ein Schwert!" jammerte Jakotsu und sah Bankotsu mit tränengefüllten Augen an. Gut, das war vielleicht ein bisschen übermäßig theatralisch, aber Jakotsu war ein guter Schauspieler, er konnte auf Kommando heulen. Dumm nur, dass Bankotsu das so ziemlich kalt ließ, denn er antwortete kühl: "Ja, und wenn wir alle Glück haben, vierteilst du dich noch selbst damit - hör mal", fügte er hinzu und versuchte dabei etwas sanfter zu klingen, was ihm nur mit Mühe gelang, "du musst deine Verletzung auskurieren und ich weiß schon, was ich tue, deine Besorgnis in allen Ehren und jetzt sei so gut und hör auf mich vor Kimura-san hier zu blamieren-" er deutete mit dem Daumen über die Schulter zu dem Arzt, welcher peinlich berührt wegsah, "und halte hier die Stellung, ja?" Jakotsu schob die Unterlippe vor, gab sich aber dennoch geschlagen – im nächsten Moment verschwand er mit erhobenem Näschen türeknallend im Haus. Der Arzt sah ihm eine Weile unsicher hinterher und wandte sich dann zögerlich an Bankotsu, "Euer Gefährte scheint ziemlich ungehalten zu sein über..." Ein Blick von Bankotsu brachte ihn dazu, seinen Satz unvollendet im Raum stehen zu lassen. Letzterer marschierte mit zügigen Schritten nach draußen, wo man zwei Pferde gesattelt hatte. Das Wetter war heute recht mild und klar - eigentlich ganz gute Vorausetzungen und Bankotsus Laune stieg an –das altbekannte Kribbeln von Vorfreude auf einen nahenden Kampf machte sich langsam bemerkbar. Sie hatten entschieden, dass Hayato Bankotsu so weit begleitete, wie möglich, ohne in unmittelbare Gefahr zu geraten, denn er kannte sich in den Wäldern aus und hatte einen ungefähren Verdacht geäußert, wo der Ursprung dieser Yōkaiplage liegen konnte. „Sagt“, sprach er den jungen Arzt an, welcher neben ihm auf seinem Pferd saß und einen leicht angespannten Eindruck machte, „habt Ihr eine Idee um welche Form von Yōkai es sich handeln könnte?“ „Ich bin kein Experte“, erwiderte Kimura langsam, „aber ich weiß zumindest, dass spinnen- und schlangenartige Yōkai sich in den letzten Monaten auffallend vermehrt haben.“ Bankotsu verzog das Gesicht. Also die angenehmsten Sorten von allen. Aber er wusste nun zumindest, dass sie sich vor eventuellen Giftattacken in Acht nehmen mussten. Er warf einen Blick zum Himmel, der, wie es schien, sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, ob er sonnig oder wolkenverhangen sein mochte und hoffte, dass die Sache bis Einbruch der Dämmerung erledigt war. Töte sie alle! Hayato zuckte leicht zusammen und keuchte leise auf. Dann schüttelte er den Kopf und warf Bankotsu einen Blick zu, aber der schien nichts bemerkt zu haben. "Seid Ihr sicher, dass wir den richtigen Weg einschlagen?", meinte Bankotsu irgendwann plötzlich etwas skeptisch, als der Weg, dem sie folgten langsam immer unbefestigter und schlammiger wurde - auch die Gegend umher, welche bis vor Kurzem noch in schöne herbstliche Farben und ein angenehmes Sonnenlicht getaucht war, wurde immer nebliger und die Bäume umher immer kahler. "J-ja, ich glaube schon...", meinte der Arzt zögerlich und blickte sich ein wenig um, wobei er zusehends nervöser wurde, "ich war zwar selbst noch nie hier, aber man sagt, dass diese Yōkai sumpfige und abgestorbene Gebiete bevorzugen..." Bankotsu nickte, wobei er sich das selbst schon hatte denken können - unfruchtbarer Boden und schlechte Luft waren eigentlich immer ein Zeichen dafür, dass Yōkai in der Nähe waren - und zog an den Zügeln seines Pferdes, welches ob der groben Behandlung empört schnaubte. "Wir sollten besser zu Fuß weitergehen", gab er zu bedenken, "Wenn die Pferde nervös werden und durchgehen, hilft uns das auch nicht weiter." Kaum hatte er dies gesprochen, hatte er auch schon ein Bein mehr oder minder elegant über den Rücken des Pferdes geschwungen und landete sicher auf dem Boden, während Hayato es ihm gleich tat. Der junge Mann schnupperte leicht und bemerkte sofort den leicht fauligen Geruch. Ohne Zweifel: Yōkai. "Ab jetzt ist Vorsicht angesagt", meinte Bankotsu, "am besten nicht mehr sprechen und Augen und Ohren offen halten.“ Hayato schluckte, nickte dann und folgte Bankotsu, welcher, obgleich er ja die Gegend nicht kannte, ziemlich zielsicher voranschritt. Und mit einem Mal bekam er wieder fürchterliche Kopfschmerzen ... wie jedes Mal, wenn er bald auftauchte…   ~*~ Jakotsu langweilte sich. Er hatte die undankbare Aufgabe bekommen, ab und an mal nach dem Bengel zu sehen, den sie gestern unfreiwillig gerettet hatten, und welcher nun noch zur Überwachung bei dem Arzt nächtigte. So saß er nun neben dessen Futon und starrte aus dem Fenster. Mit einem tiefen Seufzer streckte der junge Mann sich und wollte schon aufstehen, um sich die Beine etwas zu vertreten (denn er sah gar nicht ein, warum er stundenlang neben diesem Kind sitzen sollte, wenn ohnehin nichts passierte), als besagter Junge plötzlich ein Geräusch von sich gab und mit flatternden Lidern schließlich die Augen aufschlug. "Was bitte?" sagte Jakotsu, wobei er für den Moment den Zustand des Jungen nicht bedachte und sich prompt wieder neben diesen im Schneidersitz hinfallen ließ um ihn aufmerksam anzuschauen. "K-Kimiko...", kam es mit schwacher Stimme, was aber in einem röchelnden Husten unterging. "Nicht anwesend", kommentierte Jakotsu das, "hier gibt's nur mich." Sojiro richtete den Blick leicht auf Jakotsu und dieser bekam unwillkürlich ein wenig Mitleid, machte der Junge doch einen gar so hilflosen Eindruck, und etwas weniger zynisch fragte er: "Willst du Wasser?" Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen oder tun können und ohne eine Antwort abzuwarten, griff Jakotsu nach der Karaffe und einer sauberen Schale um etwas einzugießen. Der Junge indes richtete sich leicht auf und nahm die Schale entgegen, aus welcher er mit gierigen Schlucken trank. „Vielen Dank“, meinte er schließlich und stellte die Schale zur Seite – er machte gleich einen etwas lebhafteren Eindruck als kurz zuvor. Jakotsu verschränkte die Arme vor der Brust, dabei musterte er Sojiro eingehend - die dunklen Augen wirkten matt und müde, aber dennoch konnte man einen leicht rebellischen Kampfgeist darin erkennen, während das dichte Haar wirr bis auf die Schultern fiel - obgleich seines Alters von etwa zwölf Jahren wirkte er doch schon recht kräftig und auch nicht gerade wie ein Feigling. "Gehts dir jetzt besser? - Gut, dann könntest du mir vielleicht mal erzählen, wer oder was dich da im Wald so zugerichtet hat - mein Gefährte und euer komischer Arzt sind nämlich vor zwei Stunden aufgebrochen um nach dieser kleinen Göre zu suchen und wenn Bankotsu etwas passiert, dann muss irgendjemand dafür leiden...", ein Funkeln trat in Jakotsus Augen, was dem Jungen etwas gespenstisch erschien. So getraute er sich keinen Widerspruch und begann langsam und zögerlich zu erzählen... Zuerst waren sie beide entschlossen dem Weg gefolgt, welcher immer unkenntlicher wurde und auch die Gegend war nicht gerade die einladendste. Ein schlechter Geruch hatte sich breit gemacht und Kimiko war es immer mulmiger geworden, hatte Sojiro im Gefühl gehabt. Irgendwann war der Weg dann gänzlich verschwunden und sie sanken bis zu den Fußknöcheln im Morast ein. Kimiko hatte irgendwann nicht weiter wollen. Den Rest wusste er nur noch bruchstückhaft, aber er wusste dennoch noch genug um ein abgrundtief schlechtes Gewissen zu haben. Plötzlich hatten sie Geräusche gehört, wie von vielen Insekten und als sich Kimiko verschnaufend an einem Baumstamm abgestützt hatte, hatte sie in etwas Klebriges gegriffen. Spinnweben, glaubte er sich zu erinnern und daraufhin war das, sonst so mutige Mädchen in Panik verfallen und war kopflos davon gestürmt und in dem Nebel hatte sie Sojiro bald aus den Augen verloren. Dann war der Junge alleine gewesen und er hatte angefangen zu zittern - aus der Ferne war plötzlich Kimikos markerschütternder Schrei ertönt und Sojiro hatte eiskalte Panik erfasst, dann war Stille eingetreten. Und wieder das Huschen von vielen, vielen Beinen - er wusste, dass er weggelaufen war, in die entgegengesetzte Richtung in die sie gelaufen waren, sein einziger Gedanke galt dem Unbekannten, das da irgendwo lauerte und Kimiko nun in seiner Gewalt hatte, das Mädchen,das er anbetete und dann war es irgendwann schwarz um ihn geworden und das nächste an das er sich erinnerte, war die Stimme Bankotsus gewesen... Jakotsu hatte nachdenklich den angewinkelten Arm auf seinem Oberschenkel abgestützt und lauschte der Geschichte des Jungen - das klang nicht gerade erbaulich. Nein, es klang nach riesigen Insekten und Insekten waren ja schon schlimm genug, wenn sie klein waren. Unbewusst schüttelte es den jungen Mann, dann bemerkte er die deprimierte Mimik Sojiros und meinte, wobei er versuchte zuversichtlich zu klingen, "Bankotsu wird sie sicher retten können, mach nicht so ein Gesicht, ich vertraue ihm..." Sojiro hob den Kopf, "Danke, aber so wie sie geschrien hat... Ich hätte umkehren sollen, ich hätte sie retten sollen...", die Stimme des Jungen wurde immer brüchiger und irgendwann meinte Jakotsu ein Glänzen in dessen Augenwinkeln erkennen zu können. "Wenn ich doch nur nicht so feige gewesen wäre...", nun kullerten ihm endgültig die Tränen über die Wangen und beschämt wandte er den Blick ab. Jakotsu indes fasste sich ein Herz und zog den Jungen in seine Arme, streichelte ihm liebevoll über den Kopf. "Ich weiß, wie du dich fühlst ... Ich war noch viel jünger als du, da hab ich meinen ganze Familie verloren... ich war alleine und hatte Angst... Ich habe es mir niemals verziehen, dass ich nicht zurückging, um nach ihnen zu sehen..." Sojiro, welcher die Umarmung schlussendlich zuließ und sein Gesicht leicht im Yukata Jakotsus vergraben hatte, meinte irgendwann mit leiser Stimme, "Warum erzählt Ihr mir das...?" Jakotsu schwieg einen Moment lang. Ja, warum eigentlich? "Nun ... Wenn du möchtest ... dann...", Jakotsu schluckte, denn das was er jetzt sagen würde, würde ihn mutiger klingen lassen, als er es war, "dann gehen wir nochmal in den Wald und suchen sie, ich helfe dir." "Das würdet Ihr tun? Seid Ihr denn ein Krieger?" "Natürlich", log Jakotsu ungeniert und grinste den Jungen aufmunternd an. Innerlich war er gar nicht so heldenhaft, wie er tat. Aber wenn er nichtmal gegen ein paar niedere Spinnenyokai ankam… wie könnte er Bankotsu auf Dauer ein würdiger Gefährte sein? Außerdem… hatte er das Gefühl, eine Schuld wieder gut machen zu können. Es war an der Zeit, Jakotsutō endlich zum Einsatz zu bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)