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Schlaflos

von

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Zwei kleine Mädchen

Während er schwer bepackt den Kinderwagen die Auffahrt hinunter schob, hatte Stiles bereits sein Handy in der Hand und telefonierte ein Taxi herbei, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wohin dieses ihn überhaupt fahren sollte. Begleitend dazu weinte wieder einmal das Baby und er hatte keine Ahnung, was er in diesem Augenblick dagegen unternehmen sollte.

Dann wurde ihm mit einem Mal klar, dass er in seiner Aufregung gerade tatsächlich sein Kaninchen Harvey im Haus vergessen hatte.

Ein Mann, welcher sich anschickte alleinerziehender Vater einer Neugeborenen zu werden, besaß nicht einmal genügend Verantwortungsgefühl, um sich angemessen um sein Haustier zu kümmern?

Er war offensichtlich der mieseste Erwachsene auf der ganzen, weiten Welt!

Jetzt umzukehren und sein Häschen zu holen kam jedoch nicht infrage, nach der Szene, welche sich soeben abgespielt hatte, denn vielleicht war Derek mittlerweile zur Besinnung gekommen und würde ihn kein zweites Mal einfach so ohne Gegenwehr mit Ninja verschwinden lassen. Stiles musste sich also später etwas anderes einfallen lassen, wie seine kleine, tierische Freundin dennoch versorgt werden würde.
 

Als es in diesem Augenblick auch noch heftig zu regnen begann, war die dramatische Kulisse schließlich perfekt. Stiles bastelte schnell das Verdeck, welches dem Kinderwagen beigelegen hatte an, während er selbst im Nu nass bis auf die Haut war. Zum Glück traf in diesem Augenblick das Taxi ein. Die Fahrerin, eine muskulöse, übergewichtige afroamerikanische Mitvierzigerin mit Buzzcut in Jeans, ärmelosem Flanellhemd und Sneakern stieg aus und half ihm dabei, die weinende Ninja in die Babyschale umzubetten, ohne dass die Kleine allzu viel Regen abbekam, sie ins Auto zu verfrachten und dort mit dem Gurt fachgerecht zu sichern. Nachdem der Kinderwagen und das gesamte restliche Gepäck hinten im Kofferraum verfrachtet und alle an Bord waren, schaute die Fahrerin Stiles im Rückspiegel fragend an. Gewiss konnte sie sich auf das Bild, welches sich ihr gerade geboten hatte, keinen Reim machen: Ein verstörter junger Mann mit Baby und Sack und Pack vor einer der teuersten Villen in Beverly Hills? So etwas bekam sie sicherlich nicht alle Tage zu Gesicht:
 

„Und? Wohin soll´s gehen?“ fragte die Fahrerin in diesem Augenblick.
 

Und obwohl Stiles mit dieser Frage natürlich gerechnet hatte, zuckte er zusammen und dann brach er in Tränen aus, denn ihm wurde klar, dass er keine Ahnung hatte, wie er darauf antworten sollte.

„Ich kenne ein familienfreundliches, kleines Hotel nicht weit von hier. Wie wäre es damit für´s Erste?“ schlug die Fahrerin mitfühlend vor.
 

Stiles nickte dankbar und das Taxi setzte sich in Bewegung.
 


 

Derek wanderte durch sein stilles, menschenleeres Haus und versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war?
 

Stiles war fort.
 

Würde er überhaupt jemals wiederkommen?
 

Gerade noch waren sie beide ein frisch vermähltes Paar gewesen, hatten eine unglaubliche, abenteuerliche, romantische, wundervolle Hochzeitsreise um die halbe Welt unternommen und nun sollte alles vorbei sein?

Also hatte die verdammte Kate am Ende doch noch gewonnen?

Vermutlich saß sie gerade feixend in ihrer Zelle, nachdem sie diese Bombe, in Gestalt eines Babys, über seinem Leben abgeworfen hatte.
 

„Fuck, fuck, fuck!“ brüllte Derek ins Leere und prügelte dann mit den Fäusten auf die nächstgelegene Wand ein, bis seine Knöchel bluteten. Dann sank er kraftlos in einen seiner bequemen Sessel und blieb dort reglos hocken, ehe ihn irgendwann der Schlaf übermannte.

Als er die Augen wieder öffnete, stand vor ihm dieses Kind, die Enkelin von Pedro und starrte ihn aus ihren riesigen, dunklen, dicht bewimperten Disney-Augen an:
 

„Was willst du?“ wollte Derek wissen und konnte sogar selbst deutlich hören, dass dies nicht der Tonfall war, in dem man mit einem unschuldigen kleinen Mädchen sprach, welches niemandem etwas getan hatte.
 

Die Kleine zuckte ein wenig zusammen, doch sie wich nicht zurück:

„Tío Stiles schickt mich. Ich soll sein Häschen holen und darauf aufpassen.“ piepste sie.
 

„Ach so? Ja... dann mach das doch. Du weißt ja, wo es ist, oder?“ versuchte Derek es diesmal deutlich sanfter.
 

Die Kleine nickte und rannte los. Wenig später war sie mit dem Transportkorb mit dem Kaninchen darin wieder da und blickte ihn erneut fragend aus ihren runden Kinderaugen an:

„Hast du dir wehgetan, Tio?“ fragte sie und deutete auf Dereks Hände.
 

„Das ist nichts.“ behauptete der Hausherr, obgleich seine Knöchel blutig aufgeschürft und geschwollen waren und schmerzhaft vor sich hin puckerten:
 

Das Mädchen zog skeptisch die Augenbrauen hoch und entschied dann:

„Doch wohl, das ist richtig dolle schlimm! Du musst zum Doktor gehen.“
 

„Ich will aber nicht zum Doktor gehen.“ erwiderte Derek und konnte selbst hören, dass er wie ein trotziges Kind klang.
 

Die kleine Loba schien nachzudenken. Dann entschied sie:

„Also gut, dann mache ich das. Ich bin gleich wieder da.“
 

Derek hatte selbstverständlich widersprechen wollen, denn er wollte gerade einfach bloß allein sein, doch es war zu spät. Das Mädchen war bereits mit dem Kaninchen losgeflitzt und war fünf Minuten später mit einem Erste-Hilfe-Koffer und wichtiger Miene wieder bei ihm.
 

„Ich brauche keine Hilfe. Mir geht es gut.“ versicherte Derek erneut, doch die Kleine war hartnäckig:
 

„Keine Sorge Tío, ich kann das. Du musst keine Angst haben. Ich bin ganz vorsichtig.“ beteuerte sie: „Bei uns tut sich dauernd jemand weh, meine Tíos, meine Brüder, alle. Erst habe ich meiner Mama immer nur zugeschaut, wie sie alles wieder gut macht. Jetzt mache ich es selber. Gib mir deine Hände, Tío!“
 

Das letzte war keine Frage, es war auch keine Bitte, es war ein Befehl. Und Derek konnte selbst nicht fassen, dass er der energischen Siebenjährigen gehorchte, die sich nun auch sofort fachmännisch ans Werk machte. Sie gab ein Desinfektionsspray auf die aufgerissene Haut, was ein wenig brannte und Derek zusammenzucken ließ:

„Stillhalten!“ ordnete das Kind an, legte Wundauflagen auf die offenen Stellen und machte sich dann geschickt daran, einen Verband um die Hand zu wickeln, nicht zu fest, nicht zu locker, sondern genau richtig:
 

„Du machst das aber wirklich gut.“ staunte Derek:
 

„Habe ich doch gesagt. Ich kann das.“ gab das Kind selbstbewusst zurück und als sie ihr Werk vollendet hatte, fügte sie hinzu: „Siehst du? Alles wieder gut!“ und sie streichelte tröstend wie eine kleine Mami Dereks behaarten Unterarm.

Dieser konnte sich ein gleichsam gerührtes, wie belustigtes Schmunzeln nicht verkneifen und bedankte sich artig für die Versorgung.
 

Dann schickte Loba sich an zu gehen, zögerte jedoch, drehte sich wieder zu ihm um und fragte:

„Warum ist Tío Stiles weggegangen? Wann kommt er wieder?“
 

Derek seufzte und zuckte mit seinen Schultern:
 

„Hast du sein neues Baby gesehen? Es ist sehr niedlich und ganz klein und zerknautscht. Es ist ein Mädchen. Stiles hat versprochen, ich darf ihre Tía sein.“
 

„Ja, ich habe es gesehen.“ knurrte Derek knapp.
 

Loba schien unschlüssig, was sie als nächstes tun oder sagen könnte. Schließlich murmelte sie:

„Aber sie ist doch auch dein Baby, oder nicht? Willst du sie denn nicht bei dir haben?“
 

Derek rieb sich die Stirn und bemühte sich um Geduld:

„Ich bin müde, Kleine. Kannst du jetzt bitte wieder nachhause gehen. Deine Mama vermisst dich bestimmt auch schon.“

Wieder sah es so aus, als würde sich Loba zurückziehen, doch sie drehte sich noch ein weiteres Mal um und sagte leise:

„Tío Stiles hat geweint. Das konnte ich am Telefon hören. Warst du gemein zu ihm?“
 

Diese Worte und insbesondere diese letzte Frage bohrten sich in Dereks Brust wie ein Schwert. Er spürte wie wie es hinter seinen Augen zu brennen begann. Er presste seine Lippen so fest aufeinander, dass sie ganz weiß wurden, nur um zu verhindern, dass etwas von den aufgewühlten Empfindungen in seinem Inneren von dort entkommen konnte.
 

Doch dann krabbelte Loba auf seine Sessellehne und legte einen Arm um ihn.
 

Derek erschrak selbst über den schluchzenden, gequälten Laut, welcher seiner eigenen Kehle entstammte. Er krümmte seinen Oberkörper so sehr, als wolle er sich in sich selbst verkriechen und presste beide Hände fest auf sein tränennasses Gesicht, während kleine Kinderhände sacht und beständig seinen Rücken streichelten.
 


 

Stiles blickte sich in seinem Hotelzimmer um. Es war alles da, was sie brauchten: Es gab ein kleines Sofa, einen Tisch mit vier Stühlen, einen Wickeltisch, ein Babybett, einen Wasserkocher mit dem er die Milch für die Kleine zubereiten konnte und sogar einen Kühlschrank und eine kleine Spüle. Die Einrichtung war aus Kiefernholz, die Betten und alle Sitzmöbel waren mit demselben farbenfrohen Stoff bezogen und die Wände waren in einem zarten Pfirsichton gestrichen. Die Fenster vor dem langen, schmalen Balkon waren bodentief und ließen viel Tageslicht herein. Sie waren weit oben im siebten Stock, so dass man den Verkehr von der Hauptstraße vor dem Gebäude nur noch als beruhigendes Hintergrundrauschen hörte und wenn man hinaussah, konnte man in einiger Entfernung sogar den Ozean sehen.

Es war gemütlich und sicherlich konnten seine Tochter und er es hier ein paar Tage aushalten, bis Stiles eine dauerhafte Bleibe für sie beide gefunden hatte.

Seine Tochter?
 

Ja, das war sie wirklich, wusste Stiles tief in seinem Inneren, ganz gleich was Derek, das Gesetz oder sonst irgendwer dazu sagen mochten. Dieses Baby gehörte zu ihm, das spürte er ganz deutlich und er schickte den inständigen Wunsch gen Himmel, dass Derek dies über kurz oder lang auch noch begreifen würde.

Ninja war bei der Taxifahrt eingeschlafen. Vermutlich hatte das Schaukeln des Gefährts sie beruhigt, doch nun begann sie sich im Schlaf zu bewegen, was Stiles als Zeichen deutete, dass sie bald wieder erwachen würde, also hielt er sich besser ein wenig ran und bereitete ein Fläschchen vor.
 


 

Loba hatte sich irgendwann ohne ein Wort einfach zurückgezogen, nachdem Dereks Schluchzen versiegt war. Dieser schämte sich furchtbar, dass das kleine Mädchen ihn so gesehen hatte, doch er hatte es nun mal einfach nicht zurückhalten können.
 

Er tat an diesem Tag nicht mehr viel. In der letzten Zeit war einfach zu viel geschehen; der Überfall, die lange Rückreise über Zeitzonen hinweg, dann direkt zur Arbeit, um die dortigen Katastrophen zu verarzten und dann nachhause kommen, von der erschütternden Neuigkeit überfallen werden, dass er nun eine Tochter habe, welche er nicht wollte und der heftige Streit mit Stiles, welcher nun einfach fort war, der Himmel wusste wohin.

Derek war unglaublich erschöpft!

Er hatte sich den Fernseher angestellt, ließ sich von Gameshows und Telenovelas berieseln und fiel zeitweise in einen wenig erholsamen Dämmerschlaf.
 


 

Das Baby weinte viel und Stiles konnte es der Kleinen wirklich nicht verdenken. Was war das bloß für ein Start ins Leben? Von der Mutter schon vor der Geburt beinahe ermordet, vom Vater verstoßen, kein richtiges Zuhause und die einzige Bezugsperson die sie hatte, war ein dummer Junge, welcher kaum eine Ahnung hatte, was er hier überhaupt tat.

Es war wieder einmal Zeit für ein Fläschchen, doch irgendwie wollte Ninja nicht recht trinken. Stiles hatte den Verdacht, dass die Kleine von dem Milchpulver Koliken bekam und überraschend fand er dies überhaupt nicht, denn immerhin war diese Form der Ernährung ja auch bloß eine Notlösung. Missmutig warf Stiles einen Blick hinab auf seine flache, nutzlose Brust, die niemals sein Kind nähren würde, ganz gleich wie sehr er sich für ihre Familie hielt. Dann kam ihm jedoch ein Gedanke. Sein Körper konnte vielleicht keine Milch für Ninja produzieren, aber doch wenigstens Wärme, welche ja möglicherweise ihrem kleinen Nervensystem helfen mochte, sich zu beruhigen und besser zu verdauen.

Und so zog er sich kurzerhand sein T-Shirt aus und hielt seine Tochter eng an seinem Körper, während er es ein weiteres Mal mit dem Fläschchen versuchte.
 

Und siehe da, das Baby trank!
 

Als das Fläschchen nach einer Weile bis zur Neige geleert war und das Baby mit schläfrigem Blick satt und zufrieden zu ihm hinauf blinzelte, entschied Stiles:

„Du brauchst endlich einen richtigen Namen, süße Maus.“ Und einer Eingebung folgend entschied er: „Ich werde dich Talia nennen. Talia Hale, so wie deine Oma im Himmel. Ich vermute, sie war eine großartige Frau. Wie gefällt dir das, mein Engel?“
 

Das Mädchen griff nach seinem Zeigefinger und hielt diesen erstaunlich fest:
 

„Das nehme ich mal als ein Ja.“ sagte Stiles mit einem kleinen Lachen.



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