Schlaflos von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 23: Flashback --------------------- Von den Personen in Malias Schlafzimmer fand einen Moment lang niemand die richtigen Worte. Derek war, während das Videotestament seines Onkels lief, in sich zusammengesackt und hatte auf einer Bettkante Platz genommen. Als Stiles erkannte, dass er still zu weinen begonnen hatte, war er hinter ihn getreten und hatte ihm warm und Trost spendend die Hände auf die Schultern gelegt. Doch auch Malia Augen schwammen in Tränen. Sie starrte immer noch mit ausdruckslosem Blick auf den Bildschirm, auf welchem mittlerweile nur noch unzählige Lichtpunkte tanzten und Lydia stand an ihrer Seite und hatte die Arme um sie gelegt. Stiles war verblüfft, denn törichter Weise hatte er irgendwie angenommen, dass seine toughe, oft auch recht barsche Freundin sicherlich gar nicht fähig wäre zu weinen. Der Rechtsanwalt war schließlich derjenige, welcher das Schweigen brach: „Ich habe hier einige Papiere, die sie unterschreiben müssten, Miss Tate und schon gehört das Geld, dass ihr Vater ihnen hinterlassen wollte, ihnen. Überdies habe ich auch noch einige Andenken für sie dabei; Fotos, Briefe und so weiter; Dinge, die ihnen helfen könnten, ihren Vater besser kennenzulernen. Mr. Hale hat gewollt, dass sie das alles bekommen.“ Jacobs legte Malia einen dicken Ordner und einige Papiere vor und reichte ihr einen Kugelschreiber aus echtem Sterlingsilber. Sie wirkte wie in Trance, als sie artig alles unterschrieb, ohne es sich überhaupt durchzulesen. Irgendwann schien es, als würde sie sich selbst aus ihrer Betäubung reißen. Sie straffte die Schultern, schüttelte Lydias Umarmung ab und sagte mit trotzig zur Schau gestellter Munterkeit: „Was sollen die Trauermienen? Dies hier ist eine Party, oder nicht? Also los, feiern wir! Immerhin bin ich jetzt Millionärin und wie sich darüber hinaus herausgestellt hat, hatte ich zusätzlich zu dem Vater und der Mutter, die mich immer nur fertig gemacht und mir mein Leben zur Hölle gemacht haben, auch noch einen Elternteil, der mich geliebt hat, auch wenn der jetzt Futter für die Würmer ist. Yeah!“ Sie verließ das Schlafzimmer mit einem grimmigen Lächeln und die anderen folgten ihr zögerlich. Im Wohnzimmer hatte niemand etwas von den Vorkommnissen des heutigen Abends mitbekommen und die Party war noch immer in vollem Gange. Gerade spielten einige Gäste, die in einem kleinen Kreis zusammen saßen ein Trinkspiel mit braunem Tequila: Sie tranken die Shots in einem Schluck, leckten das Salz von der Haut ihres Sitznachbarn und erhielten den dazugehörigen Limonenschlitz aus dessen Mund, indem sie ihn küssten. Lydia hatte noch schnell den Rechtsanwalt zur Tür gebracht und schloss sich dann Malia an, welche gerade dabei war, wild tanzend den Schock zu vertreiben, der ihr in den Knochen saß. Derek schien sich unterdessen wenigstens wieder ein kleines bisschen gefasst zu haben. Er, Stiles und Scott nahmen wieder auf ihren vorherigen Plätzen bei Allison und Chris Platz: „Wer war denn der Typ gerade und warum macht ihr denn alle solche langen Gesichter? Ist irgendetwas passiert?“ wollte Vater Argent wissen. Ehe jemand anderes antworten konnte, erwiderte Derek: „Wir haben gerade unglaubliche Neuigkeiten erhalten, aber ich mag geraden nicht darüber sprechen, sondern muss das erst mal sacken lassen. Ich erzähle dir ein anderes Mal in Ruhe davon, einverstanden?“ Chris rang ein wenig mit seiner Neugier, erkannte dann jedoch offensichtlich, dass nun nicht der rechte Augenblick war, weiter nachzubohren, zuckte mit den Achseln und steckte sich stattdessen eine Zigarre an. Stiles gesamte Aufmerksamkeit lag gegenwärtig auf Derek, denn der wirkte immer noch recht blass war und ein wenig so, als habe er einen Geist gesehen. Und wenn man es sich genau überlegte, dann war es ja auch genau so gewesen, oder nicht? Stiles schlang die Arme um den Älteren und legte eines seiner Beine quer über dessen Schoß, weil er das Gefühl hatte, ihn schützen und irgendwie ein wenig abschirmen zu müssen. Derek ließ es sich gefallen und so saßen sie eine Weile einfach bloß so da und schauten dem bunten Treiben um sich herum zu. Einige der Gäste tanzten, andere hockten in dunklen Ecken des Raumes und knutschten und die Gruppe, die das Trinkspiel gespielt hatte, hatte sich nun offenbar auf einen jungen Mann in ihrer Mitte eingeschossen, den sie unbedingt betrunken machen wollten. Die Anderen grölten, lachten und johlten, während eines der Mädchen auf seinem Schoß saß und versuchte, ihm mit sanfter Gewalt den Alkohol einzuflößen. Stiles Aufmerksamkeit entging nicht, dass Derek der ganze Trubel nun offenbar zu viel wurde, denn er wurde immer unruhiger und zappeliger in seiner Umarmung und schließlich schlug der Jüngere vor: „Na komm´! Lass´ uns einfach nachhause fahren, in Ordnung, Baby? Du kannst doch sicher eine Pause brauchen, richtig?“ „Ich will dir aber nicht den Abend mit deinen Freunden verderben! Ich kann auch allein gehen und du kommst später nach!“versicherte Derek schnell: „Spinnst du? Kommt nicht in Frage! Ich bleibe bei dir!“ stellte Stiles klar und erhob sich: „Komm´ schon! Wir gehen jetzt.“ Sie verabschiedeten sich von Allison, Scott und Chris und gingen dann hinüber zu Lydia und Malia: „Nimm´ es mir nicht übel, dass wir schon los wollen!“ sagte Derek ein wenig geistesabwesend zu der Cousine, von der er bis zum heutigen Tag noch nicht das geringste geahnt hatte: „Vielen Dank für die Einladung. Wir sollten bald mal reden. Vielleicht morgen? Und... uhm... wenn es dir Recht ist, dann würde ich gern auch mal einen Blick auf die Fotos und so werfen, denn durch das Feuer habe ich die meisten Erinnerungsstücke an meine Onkel verloren. Es würde mir wirkich viel bedeuten!“ Malia nickte und erklärte, dass es ihr morgen Abend Recht sei. Kurz sah es aus, als wolle sie Derek umarmen, doch dann überlegte sie es sich scheinbar im letzten Moment doch noch anders. Dafür drückte dann aber Lydia Derek und Stiles noch kurz an sich und brachte sie anschließend zur Tür. Unten auf der Straße fragte Stiles mit einem skeptischem Blick auf den verstörten Derek: „Soll ich vielleicht lieber fahren? Du siehst gerade irgendwie nicht so aus, als solltest du ein Fahrzeug steuern!“ Zu seiner Überraschung überließ der Ältere ihm tatsächlich den Platz hinter dem Steuer seines heißgeliebten Lieblingswagens. Während der Fahrt wirkte Derek noch immer rastlos und nervös. Stiles hatte sogar den Eindruck, er würde ein wenig zittern und so bestimmte er, nachdem sie bei Derek zuhause angekommen waren: „Ich werde dir jetzt erst einmal ein Bad einlassen. Was sagst du, Baby!“ Er war beinahe überrascht, dass Derek keine Einwände erhob, sondern lediglich dankbar nickte, aber noch mehr verwunderte Stiles nun dessen schüchternen Frage, ob er sich nicht vielleicht zu ihm gesellen würde: „Sicher Baby! Rutsch doch mal!“ bestätigte der Jüngere rasch, kletterte hinter Derek, ließ diesen sich zwischen seinen Beinen einrichten und bettete dessen Kopf auf seiner Brust. Er streichelte ihn, bis von Derek langsam die Spannung abzufallen schien und irgendwann stellte Stiles zufrieden fest, dass er sogar eingenickt war. Leider war der Frieden nur von kurzer Dauer, denn bereits nach etwa zehn Minuten schreckte der Schlafende wieder auf und blickte sich gehetzt um: „Ist in Ordnung, Baby! Du bist zuhause und ich bin bei dir!“ versicherte Stiles also sanft und kraulte dem Älteren beruhigend den Nacken. „Was denkst du, wie lange man so eine Vergewaltigungsdroge im Blut nachweisen kann, Stiles?“ fragte Derek nun aus heiterem Himmel. Stiles zuckte ratlos die Achseln: „Ich habe keine Ahnung? Ich weiß noch nicht einmal, ob man das überhaupt kann.“ „Ich muss ganz schnell zu einem Arzt!“ verkündete Derek und erhob sich aus dem Wasser: „Jetzt?“ fragte Stiles verwirrt: „Aber es ist doch schon nach Mitternacht. Da hat doch kein Arzt mehr auf.“ „Ich will ins Krankenhaus! Ich habe einen Bekannten, der dort arbeitet.“ gab Derek zurück und begann, sich abzutrocknen. Stiles tat es ihm gleich und beobachtete Derek stirnrunzelnd. Irgendetwas musste hier gerade seiner Aufmerksamkeit entgangen sein? Mach einer Weile traute er sich dann zu fragen: „Darf ich wissen, was deine Meinung geändert hat, Derek? Als ich gestern angedeutet habe, dass die Erfahrung, von der du mir berichtet hast mich an GHB erinnert, hättest du mir beinahe den Kopf abgerissen. Was ist inzwischen anders?“ Derek holte tief Luft und im ersten Moment wirkte es, als wolle er Stiles Fragen gnz einfach ignorieren, doch dann sagte er schließlich: „Es waren zwei Dinge: Zum einen war es Peter. Ihn vorhin in diesem Videotestament zu sehen, hat mich daran erinnert, wie damals alles gewesen ist. Er und Kate hatten eine kurze Affäre, weißt du? Als er es mir irgendwann gebeichtet hat, hat er mich in gewisser Weise auch vor ihr gewarnt. Er hat sich nicht volkommen klar ausgedrückt, doch er hat angedeutet, dass sie... ich weiß nicht... irgendwie gefährlich sein könnte? Ich habe es damals bloß als Schuldgefühl von ihm abgetan und gedacht, er würde sich dadurch nach dem Betrug selbst ein wenig wohler in seiner Haut fühlen, indem er Kate etwas anhängt, doch als ich vorhin Peters Gesicht wiedergesehen habe, war ich mir dessen plötzlich einen kurzen Moment lang nicht mehr vollkommen sicher. Und dann ist da noch etwas anderes auf Malias Party passiert. Da waren diese Kids... ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, doch da war dieser eine Junge, der von einem Mädchen gezwungen wurde, Alkohol zu trinken. Als ich eben in der Badewanne eingeschlafen war, hatte ich eine Traum. Ich habe geträumt, ich sei an seiner Stelle und Kate war diejenige, die mich abfüllen wollte. Doch das war nicht das einzige, was ich im Traum gesehen habe.“ Derek stockte ein wenig: „Ich... uhm... ich habe auch gesehen, wie sie...“ er gab einen gequälten Seufzer von sich: „ ...wie sie auf mir gesessen hat und mich angefasst hat, verstehst du was ich meine?“ Stiles blickte ihn sorgenvoll an und bestätigte: „Ja, ich denke schon. „Aber ein Traum ist keine Erinnerung, richtig?“ fügte Derek hastig hinzu: „Kate hat ja sicherlich nicht... ich meine, das würde sie doch nicht tun! Das wäre ja fast, als hätte sie mich...?“ Er schüttelte heftig den Kopf: „Nein, das ist mit Sicherheit nicht passiert! Ich meine... wer tut denn so etwas? Das ist ja wie in einer schlechten Seifenoper!“ Er schaute Stiles eindringlich an, mit einem Blick der darum flehte, dass ihm widersprochen werden möge. Stiles zuckte unschlüssig mit den Achseln: „Ich weiß es nicht, Baby! Aber vielleicht kann eine Blutuntersuchung dir ja wirklich Gewissheit verschaffen?“ Derek sah plötzlich gar nicht mehr so entschlossen aus. Er hielt seine Hose in Händen, ohne sie anzuziehen, als sei er in der Bewegung eingefroren worden. Vielleicht wurde ihm ja gerade klar, dass manche Gewissheiten schwer zu ertragen waren. Stiles behielt seinen Freund und Arbeitgeber fest im Blick, während er langsam in seine Kleider schlüpfte und sich dann die Haare kämmte. Schließlich hatte er das Gefühl, Derek einen kleinen Stoß in die richtige Richtung geben zu müssen: „Na, komm´ Süßer! Lass´ uns gehen!“ forderte er ihn auf. Derek schluckte schwer, nickte und zog sich fertig an. Während Stiles ein zweites Mal an diesem Abend am Steuer des BMW saß, rief Derek den befreundeten Arzt an um sich zu vergewissern, dass dieser auch tatsächlich heute Nacht Dienst hätte, doch wie es das Schicksal so wollte, hatten sie Glück. Als sie den Arzt in dem großen Krankenhaus endlich gefunden, war dieser gerade damit beschäftigt, die Augen eines etwa fünfzehn Jahre alten Jungen zu untersuchen, der ein deutlich sichtbares Veilchen auf der rechten Seite hatte: „Mr. Hale! Wie nett sie zu sehen!“ begrüßte ihn der Doktor. „Hallo, Dr. Geyer!“ erwiderte Derek und wollte dann von dem Jungen wissen: „Was hast du denn nun schon wieder angestellt, was Liam?“ Der Bursche schenkte ihm lediglich einen finsteren Blick, also antwortete der Arzt für ihn: „Mein Sohn hat sich wieder einmal geprügelt. Ich weiß wirklich nicht, was dieser Unsinn soll und was das da für eine eigenartige Sache zwischen ihm und diesem Jungen aus seiner Schule ist?“ „Theo hat angefangen! Er hat mich provoziert und beleidigt!“ trotzte der Junge. Stiles stutzte. Diese beiden waren also Vater und Sohn? Die Ähnlichkeit war nicht sonderlich groß. Dr. Geyer war ein schmächtiger Afroamerikaner Ende dreißig und sein Sohn ein nicht sehr großer, aber dafür durchtrainierter und breitschultriger Junge mit blonden Haaren und riesigen blauen Kinderaugen. Vater und Sohn diskutierten noch eine Weile über Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung und vertraten dabei offensichtlich recht entgegengesetzte Standpunkte. Schließlich erklärte Dr. Geyer genervt: „Du hast Glück gehabt, Junge. Deine Augen weniger abgekriegt, als zunächst angenommen. Wir reden Morgen weiter! Fahr´ jetzt bitte ohne Umwege nachhause, Liam! Deine Mutter wartet schon auf dich. Ich komme in zwei Stunden nach!“ Er drückte dem Jungen Geld für´s Taxi in die Hand und schob ihn aus dem Behandlungszimmer. Als sie unter sich waren, wandte er sich Derek zu: „Tut mir leid, dass sie diesen kleinen familiären Zwist gerade mitbekommen haben. Was kann ich denn für sie tun, Mr. Hale?“ Derek winkte ab. Er wirkte ausgesprochen unbehaglich, als er antwortete: „Die Angelegenheit ist ein wenig heikel, Doktor. Kann ich mich voll und ganz auf ihre Verschwiegenheit verlassen?“ Der Arzt lächelte und versicherte: „Selbstverständlich können sie das. Alles was wir hier besprechen, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.“ Als Derek finster vor sich hin starrend nicht sofort mit der Sprache herausrückte, fragte Dr. Geyer, zwischen Stiles und Derek hin- und herblickend: „Wenn ich raten müsste, würde ich tippen, sie haben da neuerdings ein Jucken und Brennen an pikanter Stelle und würden nun gern den Grund dafür wissen?“ Derek lächelte gequält: „Nein, Doc, das ist es nicht. Aber... uhm... es ist dennoch nicht so einfach! Ich habe leider Grund zu der Annahme, jemand... jemand könnte mich gestern unter Drogen gesetzt haben.“ stammelte er. Dann berichtete, was ihm gestern widerfahren war. Dem Blick des Arztes war deutlich zu entnehmen, dass er mit so etwas nicht gerechnet hatte. Er erklärte: „Ich verstehe! Wir werden ihnen Blut abnehmen und dann werden wir die Probe auf unterschiedliche Drogen und Toxine untersuchen. Wenn ich gleich noch unsere Laborantin erwische, dann haben wir die Ergebnisse bereits morgen früh, doch leider muss ich ihnen ehrlicherweise schon vorher sagen, dass insbesondere GHB, und darüber reden wir hier ja wohl, so schnell abgebaut wird, dass es in den meisten Fällen bereits nach wenigen Stunden nicht mehr nachweisbar ist. Wir hätten später noch die Möglichkeit, eine Haarprobe zu nehmen und zu untersuchen. Dieses Verfahren war in einigen Fällen in der Vergangenheit erfolgreich.“ Er desinfiziert Dereks Armbeuge, befestigte einen Abbinder an seinem Oberarm und stach ihm dann ein Kanüle in eine seiner deutlich hervortretenden Venen. Derek bekam ein Pflaster, bedankte und verabschiedete sich. Er hatte um Fassung gerungen, solange der Arzt noch bei ihnen gewesen war, doch kaum dass sie das Krankenhaus verlassen hatten, hockte Derek sich erst einmal auf die Stufen vor dem Gebäude und starrte mit glasigem, entsetztem Blick ins Leere. Stiles setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. Er ahnte, dass sie eine lange, schlaflose Nacht vor sich haben würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)