Schlaflos von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 13: Vergangenheit und Zukunft ------------------------------------- Beim Frühstück blickte Derek immer wieder verstohlen zu Stiles hinüber, bis dieser sich irgendwann ein wenig genervt erkundigte: „Ist irgendwas?“ Ertappt schüttelte der Ältere den Kopf. Nach einer Weile schob er hinterher: „Wegen letzter Nacht... Danke nochmal!“ Stiles blickte auf und grinste: „Jederzeit!“ Dann wurde seine Miene jedoch ganz plötzlich wieder ernst: „Ich würde übrigens gern noch eine kleine Sache mit dir besprechen“ Er wirkte dabei irgendwie verlegen. Derek musterte ihn stirnrunzelnd und Stiles bat: „Nach dem Essen, in Ordnung?“ Und so setzten sie sich nach dem Frühstück hinüber ins den Salon, wo Stiles sich in eine Ecke des Sofas quetschte und nervös mit seinen Fingern spielte. Auch Derek begann nun ein wenig unruhig zu werden, doch er wartete geduldig ab, bis der Junge bereit war. „Ich habe mir da etwas überlegt.“ begann Stiles nach einer Weile schüchtern, wobei er dem Blick seines Gegenübers auswich: „Etwas wegen meiner Zukunft!“ Wieder eine Pause: „Ich würde mich gern hier in L.A. am College einschreiben. Die Fristen laufen noch einen Monat und es wäre wirklich mein Wunsch! Wie denkst du darüber, Derek? Also, wenn du findest, dass es sich nicht mit meinem... uhm... Arbeitsverhältnis bei dir verträgt, dann lasse ich es natürlich, aber ich würde es wirklich gern tun!“ Erst jetzt traute er sich aufzuschauen. Derek strahlte über das ganze Gesicht: „Das ist alles? Ich hatte schon Angst und habe sonst was erwartet! Aber das ist doch eine wunderbare Idee, Kleiner! Tu es! Bewirb dich! Ich freue mich für dich! Und wenn du dabei finanzielle Unterstützung brauchst...?“ Stiles atmete erleichtert auf und rückte an Derek heran, um ihn zu umarmen: „Nicht nötig!“ versicherte er: „Du bezahlst mich doch bereits reichlich. Damit kann ich mein Studium mehr als finanzieren. Danke, dass du nichts dagegen hast!“ „Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Du bist nicht mein Leibeigener, Stiles! Dein Leben gehört dir und du musst mich doch nicht um Erlaubnis fragen. Und im Grunde ist es doch sogar gut für uns, denn es macht unsere Lüge gegenüber Deucalion ein bisschen kleiner. Außerdem bist du so wahnsinnig schlau. Du solltest also UNBEDINGT studieren! Ich freue mich ehrlich über deine Entscheidung!“ Eine Weile blieben sie aneinander geschmiegt sitzen, etwas, was sie für gewöhnlich lediglich taten, wenn es ans Schlafen ging, oder wenn sie irgendwem etwas vormachen mussten, doch dies hier gerade war echt. Es war Ausdruck von Freundschaft und Verbundenheit und Stiles genoss jede Sekunde, ehe er erklärte: „Jetzt muss ich es nur noch Scott irgendwie beibringen. Ich denke, er wartet bereits auf mich. Irgendetwas sagt mir, dass er die Neuigkeiten nicht ganz so freudig aufnehmen wird.“ Er seufzte und wollte dann wissen: „Wie machen wir es heute Abend? Kommst du da zu mir nachhause? Ich will Scott nicht schon wieder allein lassen.“ Derek war einverstanden. Sie verabschiedeten sich und er brachte seinen Gast noch zur Tür. Scott lag mit einer Tüte Chips vor der Glotze und schaute sich gelangweilt spanische Telenovelas an. Als Stiles hereinkam, lächelte er. „Hey, Bro! Wie hast du geschlafen?“ erkundigte dieser sich bei dem Freund und flegelte sich gemütlich neben ihn: „Wie ein Baby! Und du?“ fragte Scott zurück. Stiles berichtete von der vergangenen Nacht, davon in welch fürchterlichen Zustand Derek gewesen sei und dass er darum kurzerhand ihren Vertrag geändert habe. „Das heißt, du wirst nun jede Nacht bei ihm schlafen?“ fragte Scott missmutig. Stiles schüttelte den Kopf: „Heute Nacht kommt er zum Beispiel hierher. Aber er braucht mich eben und zwar mehr, als er selbst zugeben will. Ich mache mir echte Sorgen um ihn. Du hättest ihn gestern sehen sollen. Er war vollkommen fertig und verstört.“ „Liebst du ihn?“ wollte Scott wissen. Stiles zuckte unzufrieden mit den Schultern und so bohrte sein bester Freund noch ein wenig weiter: „Und liebt ER DICH?“ „Ich schätze, ich bin ihm zwar nicht vollkommen egal, aber Liebe...? Nein, eher nicht!“ antwortete Stiles mit einem traurigen Kopfschütteln. „Armes Baby! Aber dafür liebe ich dich immerhin!“ schnurrte Scott zärtlich und zog den Freund auf sich: „Hey! Nicht! Du bist voller Chipskrümel!“ beschwerte sich Stiles sich kichernd: „Die pieksen!“ „Du kannst sie mir ja von Bauch und Brust lecken!“ bot sein Freund grinsend an. Stiles schenkte ihm einen wissenden Blick: „Und du bist sicher, dass du willst, dass ich das tue und nicht lieber dieses Mädchen?“ Scott verschluckte sich fast an seinen Knabbereien und als er endlich nicht mehr hustete, fragte er entsetzt mit hochrotem Kopf: „Welches Mädchen denn?“ „Was glaubst du denn, von welchem Mädchen ich spreche? Das Mädchen, dass dir auf der Party von Chris ihre Telefonnummer gegeben, welche du seitdem hundert Mal täglich anglotzt, ohne die Kleine anzurufen. Denk´ bloß nicht, dass hätte ich nicht bemerkt! Wie heißt sie noch gleich? Allison?“ erwiderte Stiles mit wissendem Blick. „Ach, hör´ schon auf!“ murrte Scott: „Was denkst denn bloß? Ich werde Allison doch nicht anrufen!“ „Und wieso nicht?“ fragte sein Kumpel ratlos: „Sie ist doch total süß und ihr habt euch gut verstanden! Immerhin habt ihr den ganzen Abend lang miteinander geredet!“ Scott vergrub unbehaglich sein Gesicht an Stiles Hals und murmelte: „Aber sie ist ein Mädchen! Und ich bin doch eigentlich... du weißt schon! Ich war doch noch nie mit einem Mädchen zusammen. Und wenn sie erst einmal erfährt, wie ich mein Geld verdient habe, wird sie mir mit Sicherheit sowieso angewidert vor die Füße kotzen!“ Stiles blickte auf seinen Freund hinab und erwiderte dann schulterzuckend: „Ist doch egal, dass du noch nie mit einem Mädchen geschlafen hast. Nur, weil du dich von Kerlen für´s ficken hast bezahlen lassen, heißt das doch noch lange nicht, dass du schwul bist! Und wer sagt, dass du dieser Allison erzählen musst, dass du angeschafft hast? Du und ich, wir haben die Chance auf einen echten Neuanfang und die sollten wir endlich nutzen! Und genau darüber würde ich gern mit dir reden. Ich habe nämlich auch etwas Neues vor und möchte deine Meinung dazu wissen.“ Scott wirkte überhaupt nicht begeistert, als er von Stiles College-Plänen erfuhr: „Dann sehen wir uns ja überhaupt nicht mehr!“ klagte er: „Und was mache ich in der Zwischenzeit, während du im Unterricht sitzt, oder deinem reichen Gönner zu Diensten bist? Zuhause sitzen, mir die Nägel lackieren und für Teleshopping-Produkte DEIN GELD ausgeben, oder wie hast du dir das vorgestellt?“ „Aber das habe ich doch gerade gesagt! Die Uhr ist auf Null zurückgedreht! Du kannst neu beginnen und alles machen, was du immer schon tun wolltest. Vielleicht willst du arbeiten gehen, oder eine Ausbildung beginnen? Oder du kommst mit mir auf´s College?“ entgegnete Stiles ein kleines bisschen enttäuscht von der Reaktion seines Freundes. Scott lachte bitter: „Das mag für dich ja alles schön und gut sein, aber mein Leben ist eine Einbahnstraße, verstehst du? Alles was ich kann, ist meinen Arsch verkaufen! Ich habe ja nicht einmal einen Highschool-Abschluss!“ „Oh!“ machte Stiles erstaunt und auch ein wenig erschüttert. Wie war es möglich, dass er so etwas Wichtiges nicht von seinem besten Freund wusste? Allerdings war er keineswegs bereit, Scotts Argumentation zu folgen. Er hatte eine Idee und so schlug er aufgeregt vor: „Dann ist es das! Du wirst wieder auf die Highschool gehen und deinen Abschluss machen. Dafür ist es noch längst nicht zu spät!“ Scotts Miene verschloss sich: „Geht nicht!“ behauptete er und setze sich auf, wobei er den Freund, welcher immer noch auf ihm gelegen hatte, ein wenig unsanft abschüttelte,. „Warum geht das nicht?“ fragte Stiles verständnislos und richtete sich ebenfalls auf. Scott schwieg eine halbe Ewigkeit lang. Sein Freund dachte bereits, dass er gar nicht mehr mit der Sprache herausrücken würde, als er doch noch unvermittelt in die Stille hinein sagte: „Ich bin dumm, verstehst du? Ich kann nicht einmal lesen, Stiles! In dem Heim, in dem ich groß geworden bin, hat es niemanden interessiert, was aus uns Kindern wird. Ich habe mein Leben doch längst verkackt!“ Stiles nahm sanft das Gesicht seines Freundes in seine Hände und hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen: „Bro! Du bist alles, aber doch nicht dumm!“ versicherte ernsthaft: „Du bist wundervoll! Du bist lieb, lustig, schlau, sexy und verdammt noch mal der beste Freund, den ein Mann sich nur wünschen kann! Du hast die Hölle hinter dir und hast es trotzdem geschafft, ein echter Engel zu bleiben! Das schaffen nur ganz besondere Menschen und ich will nicht hören, wie du dich selbst niedermachst!“ Er küsste die Tränen fort, die sich in Scotts Augenwinkeln gebildet hatten und versicherte: „Ich kann dir das Lesen und Schreiben beibringen! Es ist echt nicht so schwer, wie es dir vielleicht vorkommt. Du wirst es im Nu gelernt haben. Wir fangen heute noch damit an, in Ordnung? Und sobald du das Lesen und Schreiben gelernt hast, werden wir eine Schule für die finden und ich werde dir Nachhilfe geben. Ich war damals ziemlich gut in der Schule und hatte überall bloß Einsen; also mal abgesehen von Sport vielleicht. Das wird ganz toll werden, du wirst sehen! Aber erst mal wirst du diese Allison anrufen!“ Er zeigte mit dem Finger in Richtung Telefon. „Ich soll dir also nicht nur weiterhin auf der Tasche liegen, sondern dir auch noch deine Freizeit stehlen, während du versucht ein wenig Wissen in meinen Holzkopf zu prügeln? Was meinst du, wie mies ich mich dabei fühle? Lass´ mich wenigstens einen Job suchen, um etwas zum Haushaltseinkommen beizusteuern!“ erwiderte Scott trotzig und schniefend. „Also erstens ist jede Minute, die ich mit dir verbringe ein Geschenk für mich, denn zufällig liebe ich dich, du Blödmann!“ antwortete Stiles mit liebevoller Strenge: „Und zweitens werde ich nur erlauben, dass du arbeitest, wenn du nebenher trotzdem noch das Unterrichtspensum schaffst, denn das geht nun einmal vor! Und ich kann es mir schließlich neuerdings leisten, ein Kind zur Schule zu schicken!“ „Ich bin aber kein Kind! Und was meinst du bitteschön mit `Erlauben´?“ ereiferte sich Scott: „Du kannst mir nicht verbieten, arbeiten zu gehen! Bist du etwa mein Boss?“ Stiles grinste listig: „Das vielleicht nicht, aber ich bin dein älterer Bruder und damit habe ICH das Kommando!“ „Du bist nicht einmal zwei Monate älter!“ gab Scott trotzig zurück, doch Stiles behauptete: „Das sind entscheidende sieben Wochen! Lass´ es uns so machen, ja? Biii-ttee Bro!“ Scott ärgerte sich selbst, weil er sich von dem wahnsinnig süßen Lächeln seines Freundes anstecken ließ. Und Stiles hatte es ernst gemeint, als er sagte, sie würden sofort mit dem Unterricht beginnen. Bis zum Nachmittag klebte an jedem Ding in der Wohnung der Freunde ein Zettel, auf welchen in Druckbuchstaben der Name des Gegenstandes geschrieben stand – zu Übungszwecken! Und Scott war da bereits in der Lage, einfache Sätze zu lesen; stockend zwar, aber immerhin! Es gab ihm die Zuversicht, dass er es tatsächlich irgendwann vollständig beherrschen könnte. Stiles war ein verdammt guter Lehrer. Außerdem hatte Scott ein Date mit Allison für den nächsten Tag. Er hatte sie auf ein Picknick am Santa Monica Pier eingeladen Gegen acht Uhr kam Derek in ihre Wohnung. Stiles hatte für ihn und Scott gekocht. Es war nicht Besonderes, bloß Pasta Pesto und ein gemischter Salat, aber immerhin hatte er das Pesto selbst gemacht und seinen beiden Männern schmeckte es großartig. Ehe es danach ins Bett ging, machten es die Drei sich mit Mikrowellenpopcorn im Wohnzimmer vor der Glotze gemütlich. Sie schauten einen albernen Teenagerfilm aus den Achtzigern. Michael J. Fox mimte da einen dürren Loser, der sich in einen Werwolf verwandelte und daraufhin über Nacht zum Star seiner Schule und einem gefeierten Basketball-As wurde. So ein Blödsinn! Danach folgte Derek Stiles in sein Schlafzimmer, während Scott, der nun tatsächlich Feuer gefangen hatte, noch wach blieb, um ein paar Schreibübungen zu machen. Nachdem es Derek und Stiles heute irgendwie nicht gleich gelingen wollte einzuschlafen, fragte Stiles irgendwann in die Dunkelheit hinein: „Erzählst du mir von deiner Familie, Derek? Was waren sie für Menschen? Und wie kommt es, dass du damals als einziger das Feuer überlebt hast? Hast du deswegen diese wiederkehrenden Alpträume? Sind es Erinnerungen, die dich heimsuchen?“ Der Ältere versteifte sich bei diesen unangenehmen Fragen auf der Stelle „Darüber spreche ich nicht!“ antwortete er unterkühlt. Stiles setzte sich auf, schaltete die Nachttischlampe ein und nahm seinen Bettnachbarn kühl ins Visier: „Und wieso nicht? Du denkst doch nicht etwa immer noch, ich könnte deine Geheimnisse an die Regenbogenpresse verkaufen, oder? Zum Beispiel unter folgender Schlagzeile: `Das Leben und Sterben der Hale-Dynastie – Jetzt spricht Derek Hales männliche Hure!´ Ich dachte echt, du vertraust mir mittlerweile ein bisschen!“ „Also erstens solltest du mindestens einen Buch-Deal aushandeln, falls du wirklich so etwas planen solltest, denn sonst lohnt sich diese ganze Sache nicht!“ brummte Derek unzufrieden und richtete sich ebenfalls auf: „Und zweitens: Nein, ich denke nicht, dass du mir so etwas antun würdest. Ich vertraue dir, Stiles. Immerhin schlafe ich mit dir in einem Bett. Welchen Vertrauensbeweis brauchst du noch? Aber darum geht es auch gar nicht! Ich kann nicht über meine Familie, oder das Feuer sprechen. Es... es tut einfach zu weh! Ich will diese ganze Sache einfach nur vergessen, verstehst du das nicht?“ „Das verstehe ich sogar leider viel zu gut!“ versicherte Stiles traurig: „Ich bin nur überzeugt, dass das nicht funktioniert! Der Schock darüber, dass meine Eltern damals so plötzlich verstorben sind, hat mich ganz einfach umgehauen. Wann immer die Erinnerungen an sie hochkamen, habe ich sie sofort verdrängt, weil ich dachte, ich überlebe den Verlust sonst einfach nicht. Aber dann habe ich irgendwann doch damit angefangen, Scott von ihnen zu erzählen und da wurde es tatsächlich besser. Über Mum und Dad zu sprechen, mich an sie zu erinnern bewirkt, dass ich das Gefühl habe, dass sie nicht so ganz verschwunden sind. Etwas bleibt von ihnen...“ Stiles Stimme brach und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er setzte noch einmal an: „... Etwas bleibt von ihnen, solange ich an sie denke!“ „Du hast mir nie etwas von deiner Vergangenheit erzählt!“ stellte Derek fest und nahm Stiles Hände in seine eigenen: „Dann machen wir jetzt einen Deal!“ schlug der Jüngere vor, atmete tief durch und straffte sich: „Wir erzählen uns gegenseitig etwas von unseren Familien. Und nun bist du dran, Kumpel!“ Derek starrte angestrengt über Stiles rechte Schulter an die Wand und schwieg so beharrlich, dass sein Gegenüber gar nicht mehr mit einer Antwort, welcher Art auch immer rechnete. Und so kam es, dass er erschrocken zusammenzuckte, als Derek schließlich doch noch zu sprechen begann: „Mein Vater war der sanfteste Mensch, den du dir vorstellen kannst. Er hatte stets eine Engelsgeduld mit uns Kindern, ganz gleich was wir angestellt hatten. Er hat stundenlang mit uns gespielt, gezeichnet oder uns vorgelesen. Das Familienunternehmen hat er mit meiner Mutter zusammen geführt, bis mein Onkel es später übernommen hat.“ Aus den Medien wusste Stiles, dass Derek zwar mit seiner eigenen Computerfirma ein Riesenvermögen gemacht und damit das Unternehmen seiner Familie noch überflügelt hatte, doch er entstammte dennoch einer langen Ahnenreihe des Geldadels. Was vor über zweihundert Jahren Jahren mit einem einzelnen Geschäft für Kolonialwaren begonnen hatte, war im Laufe der Zeit zu einer überaus erfolgreichen, landesweit verbreiteten Supermarktkette geworden, die ein Vermögen einbrachte, bis Derek sie nach dem Tod seiner Familie abgestoßen hatte. Seitdem ging es mit dem Unternehmen, welches immer noch den Traditionsnamen `Hale´führte irgendwie den Bach hinunter. „Mein Vater war kein Geschäftsmann im wirklichen Sinne.“ fuhr Derek fort. Seine Sprechweise war monoton, so als habe sein Bericht überhaupt nichts mit ihm zu tun, doch an seinem matten Lächeln konnte Stiles erkennen, dass dies keineswegs der Wahrheit entsprach: „Dad kümmerte sich viel lieber um seine zahlreichen Wohltätigkeitsprojekte und so weiter, aber immerhin hat er ein großartiges Händchen bei der Partnerinnenwahl bewiesen. Meine Mutter war eine fantastische Frau; eine echte Anführerin mit Ellenbogen und Cleverness! Thalia Hale konnte wirklich ungemütlich werden! Auch mit uns Kindern war sie oft streng und im Geschäftsleben machte ihr niemand etwas vor. Das Geschäft allerdings war nie so erfolgreich, wie von dem Moment an, als sie eingestiegen ist. Doch so unnachgiebig sie im Arbeitsleben auch gewesen sein mochte, meinem Vater gegenüber war sie eine liebevolle Gefährtin. Die beiden haben sich über alles geliebt und ich habe meine Eltern nie auch nur ein einziges unfreundliches Wort miteinander wechseln hören. Die Zwei gehörten einfach zusammen. Es war Bestimmung, verstehst du?“ Stiles nickte. Er verstand, denn er dachte dabei an seine eigenen Eltern. „Und dann war da mein Onkel Peter! Von ihm hast du sicherlich aus den Medien gehört.“ fuhr Derek fort. Und das hatte Stiles tatsächlich. Die Hale-Familie, obwohl so reich und mächtig, hatte sich immer sehr aus der Öffentlichkeit ferngehalten. Die einzige Ausnahme bildete Peter Hale. Die Klatschspalten waren immer wieder voll gewesen von den wildesten Geschichten, welche sich um diesen Mann rankten. Er soll etwas mit beiden Hilton-Schwestern gehabt haben und zwar zur selben Zeit! Bei seinen legendären Partys soll es zugegangen sein wie im alten Rom; Sex, Drogen, Schlägereien und einmal wurde sogar ein Hotelzimmer in Brand gesteckt. Dann war da diese Blitzhochzeit mit irgendeinem Hollywood-Sternchen, dessen Namen Stiles bereits wieder vergessen hatte, welche gleich am nächsten Tag, als beide wieder nüchtern waren annulliert worden war. Und dennoch hatten die Klatschblätter wochenlang kein anderes Thema. „Natürlich war Peter kein Engel!“ fuhr Derek fort: „Aber die meisten Geschichten, die man über ihn lesen konnte, waren heillos übertrieben. Sicher, er hatte Affären, liebte Sex, schnelle Autos und Alkohol. Er war eben einfach eine von diesen `Larger-Than-Life-Persönlichkeiten´. Wir sind praktisch zusammen aufgewachsen. Er war nur wenige Jahre älter als ich und nachdem meine Großeltern gestorben waren, hat meine Mutter ihren Bruder aufgenommen und großgezogen. In Peters Schatten groß zu werden konnte manchmal ein Alptraum sein. Ich war ein wirklich hässlicher Teenager und er hat mir regelmäßig die Mädchen ausgespannt. Aber dennoch habe ich ihn geliebt. Mit seinem Charme und seinem Humor hat er einen vieles einfach vergessen lassen. Er war mein Idol und wahrscheinlich der beste Freund, den ich jemals hatte.“ „Du bist irgendwann mal hässlich gewesen?“ schaltete sich nun Stiles grinsend ein: „Weißt du, dass es unheimlich beruhigend ist, zu hören, dass der schönste Mann unter der Sonne auch mal eine abstoßende Episode hatte? Da fühle ich mich gleich ein kleines bisschen weniger eingeschüchtert von dir.“ Derek lächelte und legte einen Arm um die Schulter des Jüngeren, ehe er fortfuhr: „Mit Peter fühlte sich das Leben leicht an. Er hatte so etwas Unbeschwertes und Unverwüstliches an sich; das mir irgendwie Halt und Sicherheit gegeben hat. Und deswegen ist es für mich auch immer noch so schwer zu glauben, dass er wirklich tot sein soll, denn irgendwie war er mehr Legende als Mann! Und wenn er jetzt hier wäre, würde er mich schallend dafür auslachen, dass ich so über ihn spreche.“ Stiles gab Derek einen kleinen Kuss auf die Wange und kommentierte: „Ich wünscht, ich hätte ihn kennengelernt.“ Derek lachte: „Ich bin froh, dass du das nicht hast, denn er hätte unter Garantie alles daran gesetzt, dich flachzulegen!“ Stiles blickte überrascht auf: „Dein Onkel war schwul?“ Derek schmunzelte in sich hinein: „Peter hat in kein Schema gepasst. Wie gesagt liebte er Sex! Frauen fand er großartig, aber für süße, schlaue, lustige Jungs wie dich hatte er definitiv auch eine Schwäche.“ Stiles lächelte verlegen. Derek fand also, dass er süß sei? Wärme breitete sich auf seinem Gesicht aus. Derek berichtete noch eine Weile von seinen zahlreichen Geschwister; sechs an der Zahl und Stiles konnte sich Bemerkung nicht verkneifen, dass seine Eltern sich wohl WIRKLICH sehr geliebt haben mussten. Insbesondere schwärmte Derek von seiner jüngsten Schwester und ein unglaubliches Strahlen lag auf seinem Gesicht, als er von ihr erzählte: „Cora war mein größter Schatz! Praktisch vom Tag ihrer Geburt an hat sie immer meine Nähe gesucht. Von all meinen Geschwistern war sie mir sicherlich am Ähnlichsten. Sie war nicht so ein Sonnenschein wie Peter und die Anderen, aber wir beide haben uns immer verstanden. Sie und meine Mutter haben sich andauernd gestritten. Da flogen die Fetzen, kann ich dir sagen! Und wenn Cora hinterher Trost suchte, oder sich auskotzen wollte, dann kam sie zu mir. Am Tag des Feuers waren wir auch zusammen.“ Hier schlug Dereks Stimmung um. Sein ganzer Körper spannte sich an und sein Lächeln gefror: „Ich habe ihre Hand gehalten und wir haben versucht in Freie zu gelangen. Plötzlich hat sie sich losgerissen. Sie wollte unsere Familienkatze retten. Ich habe sie gesucht Stiles! Ich habe nach ihr gerufen, doch da war der ganze Qualm, das Brüllen der Flammen, die Hitze... ! Ich dachte ich würde ersticken, oder verbrennen, also bin ich schließlich allein nach draußen gerannt. Ich hatte gehofft, sie und die blöde Katze seien schon dort, doch sie hat es nicht geschafft. NIEMEND hat es geschafft. Ich war ganz allein!“ In Dereks Miene spiegelte sich Verzweiflung. Sein Schmerz wirkte, als sei er ganz frisch und dann kamen endlich die lange zurückgehaltenen Tränen: „Sie... sie war erst vierzehn Jahre alt! Sie war mein Baby und... und ich habe sie sterben lassen!“ stammelte Derek mit erstickter Stimme und brach darauf in ein herzzerreißendes, markerschütterndes Wehklagen und Schluchzen aus. Stiles wickelte sich mit allem was er hatte und war; seinen Armen, Beinen und dem Leib um den hilflos bebenden Körper, um einen Kokon für ihn zu sein, in dem der Trauernde sich verbergen konnte. Stiles wiederholte mantraartig immer wieder: „Es ist nicht deine Schuld, Derek! Du hättest es nicht verhindern können! Ich bin bei dir! Du bist nicht mehr allein!“ Derek kam ihm vor wie jemand, der überhaupt keine Erfahrung darin hatte, seinen Schmerz auszudrücken. Die Tränen des Älteren flossen nicht einfach; nein, sie suchten sich unter großen Schmerzen ihren Weg an die Oberfläche. Es schien den großen, starken Kerl beinahe zu zerreißen! Stiles kam es vor, als habe er Derek bis zu diesem Tag überhaupt nicht gekannt. Erst heute konnte er ermessen, was dieser alles verloren hatte und falls Stiles bis jetzt noch Zweifel gehabt hatte, ob er ihn liebte, so waren diese in dieser Minute verschwunden. Er liebte ihn mit allem, was er hatte; mit jeder einzelnen Faser seines Körpers und er wollte ihm all´ die unmöglichen Dinge geben, die Derek so nötig brauchte: Sicherheit, Liebe, Familie und ein warmes Zuhause... Doch alles was Stiles für ihn hatte, war dieser `Faking-It´-Deal und die Nächte gemeinsam im selben Bett, welche bloß ein Geschäft waren und nicht Liebe! Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Derek sich wieder einigermaßen gefangen hatten. Eine Zeit lang war er sogar derart außer sich gewesen, dass man annehmen könnte, er würde ersticken, doch Stiles machte sich keine Sorgen. Dies hier war ein Reinigungsprozess, wusste er. Und der hatte gerade erst begonnen! Schließlich versiegten endlich die Tränen und zurück blieb ein Derek, der zwar einerseits unendlich erschöpft wirkte, doch andererseits schien er wie von einer tonnenschweren Last befreit. Nie hatte Stiles die schönen Gesichtszüge so gelöst und weich gesehen: „Das hast du sehr gut gemacht! Ich bin stolz auf dich!“ flüsterte er dem Älteren zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe: „Und nun lass´ uns ein wenig schlafen!“ Er zog Derek neben sich und breitete eine Decke über sie beide. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)