Erinnerungen an ein Palastleben von C-T-Black ================================================================================ Kapitel 30: Eine neue Chance ---------------------------- „Bist du noch am Leben?“   „Bist du noch bei mir?“   „Ich- kann dich spüren…Also bitte, halt noch ein klein wenig länger durch…“   Der zaghafte Tritt gegen ihre Hand, ließ Kasumis Augen flattern. Es war noch hier. Ihr Kind war immer noch am Leben. Das ließ sie erleichtert aufseufzen und eine einzelne Freudenträne stahl sich ihren Weg über ihre Wange. Es war ein Kämpfer und genau das, wollte Kasumi auch sein. Genau das war sie. Mit jedem Schlag, jedem Tritt, war ein Stück ihrer Vergangenheit zu ihr zurückgekehrt. Sie erinnerte sich an alles, bis zu dem Moment, in dem sie von Wölfen getötet worden war. An ihr Leben. Das kurze Leben als Mensch in einer menschlichen Welt. Alles danach lag im Nebel. Abgesehen von den Bruchstücken, die sie bereits entdeckt hatte. Ihr zweites Leben. Das unter Yōkai, das neben dem der Menschen funktionierte. Sie war ein Mensch, daran bestand kein Zweifel, doch die Gesetze dieser menschenfeindlichen Welt der Yōkai waren für sie gebeugt worden. Sie war dort aufgenommen worden und besaß ihren Platz darin. Auch wenn sie an diesen vielleicht nicht mehr zurückkehren könnte. Mühsam hob sie ihre Hand und legte sie zu ihrer anderen auf ihren Bauch. Sie spürte ihr Kind, dass aus ihr unbekannten Gründen, vom Angriff des Taishō verschont geblieben war. Sie lebten. Beide. Und sie würde alles daran setzen um an die Seite ihres Ehemanns zurückkehren zu können.     „Kasumi?! Was um alles in der Welt ist mit dir geschehen?“ Sie kannte diese Stimme. Irgendwo in ihrem Hinterkopf wusste sie, wer mit ihr sprach. Ihr kamen die Hände bekannt vor, die ihre hielten. Die Wärme, die von ihrem Gegenüber ausging und der Geruch. Wer war er nur? Kasumi wollte fragen, doch sie fand ihre Stimme nicht und nahm auch kaum ihren Körper war. Geschweige denn, dass sie dieses in Watte gepackte Etwas nach ihrem Willen bewegen konnte. Alles was sie außer ihrem Gegenüber spürte, war Schmerz. Allein der Gedanke einen Teil ihres Körpers bewegen zu wollen, ließ sie qualvoll zusammenzucken. „Wachen! Ich verlange, hierfür eine Erklärung und dass ihr sie auf der Stelle freilasst!“, sprach die Stimme in einem herrischen Ton. So kannte sie diese Stimme nicht. Diese kalte Autorität. Sie passte irgendwie nicht zu dem verschwommenen Bild, das in Kasumis Kopf herumgeisterte. Wer war er nur, dass er glaubte sie retten zu können? Wo es doch Kasumis eigener Fehler war, hier gelandet zu sein. Sie hatte unterschätzt, wie stark der Hass eines einzelnen Menschen sein konnte. Hatte vergessen, dass dieser Hass einen Mann sogar in einen Yōkai verwandeln konnte. Nur ihre eigene Dummheit hatte sie in diese Lage gebracht. Wie hatte sie auch annehmen können, mit einem Yōkai-verachtenden Mann über Frieden mit eben diesen verhandeln zu können? Sie hatte vergessen, wie aussichtslos ein solcher Kampf sein konnte und das es möglicherweise nur einen Weg gab, diese Angelegenheit für immer zu klären. „Es tut uns Leid ehrwürdiger Tennō, aber auf Befehl des Taishō ist es uns verboten die Gefangene zu Befreien.“ „Was soll das bedeuten? Ich bin der Tennō! Mein Wort-“ „Kann hier nicht berücksichtig werden. Wir unterstehen dem direkten Befehl des Taishō. Vergebt uns, aber es wäre das Beste, wenn ihr euch in eure Räumlichkeiten zurückzieht…“ „Danke, dass du für mich kämpfst. Aber es ist schon gut.“, wollte Kasumi sagen, doch ihre Lippen gehorchten ihr nicht. Sie hörte Schritte, die sich entfernten und heftigen Widerspruch dabei, dann war es wieder still. Vielleicht hatte sie ein Stück tannengrünen Kimono aufblitzen sehen, aber vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen, bevor der Schmerz sie zurück in dieses schwarze Nichts zog.     „Hey, Menschenkind? Was liegst du hier so nutzlos in der Gegend herum? Du willst doch nicht etwa sagen, dass dich eine Tracht Prügel in die Knie zwingt! Da hatte ich ein bisschen mehr erwartet.“ Eine weibliche Stimme riss Kasumi aus dem Nebel ihrer Schmerzen. Sie konnte sie nicht zuordnen, doch sie klang verärgert oder enttäuscht oder beides. „Tomoko, sie ist trotz allem nur ein Mensch. Menschen sterben, wenn sie zu viel aushalten mussten. Ich finde es erstaunlich, dass sie überhaupt noch atmet.“, entgegnete eine weitere, weibliche Stimme der Ersten. Tomoko… irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört. Nur wo? Kasumi konnte den Gedanken nicht genau greifen. Es war immer noch der Schmerz, der ihren Körper gefangen hielt und ihren Verstand vernebelte. „Tsk. Dann erklär mir, wieso wir hier sind? Sehen wir ihr beim Sterben zu, um uns dann endlich den Lord zu schnappen?“, fragte eine dritte Stimme abfällig. Kasumi wollte protestieren. Wollte sich erheben und dieser Frau gehörig die Meinung sagen, doch außer einem schmerzvollen Laut drang nichts über ihre Lippen. Wie erbärmlich. Sie hasste sich in diesem Moment selbst so sehr, dass Zornestränen in ihr aufstiegen. Wäre sie ein Yōkai, wäre sie den Grenzen ihres schwachen Körpers nicht ausgesetzt. Dann wären ihre Wunden längst verheilt und sie könnte ihren Ehemann finden. „Aiko!“, fauchte die Zweite. „Gar keine schlechte Idee, Aiko. Vielleicht sollten wir ihr den Abschied etwas erleichtern. Es bräuchte nur eine kleine Bewegung meiner Hand…“ „Schluss jetzt damit! Habt ihr beide etwa vergessen weshalb wir hier sind?“ Kasumi spürte plötzlich Wärme in ihrer Nähe und hörte das Flackern von Feuer. Was ging hier nur vor sich? Wollten die drei Yōkai sie etwa in die Hölle verschleppen? Das würde sie auf gar keinen Fall zulassen. Nicht solange sie hier noch so viel zu erledigen hatte. „N-Noch nicht…“ All ihre Kräfte zusammennehmend zwang Kasumi ihre Lippen dazu, sich zu bewegen. Ob ein Laut über sie gedrungen war, konnte sie nicht sagen, doch im nächsten Moment spürte sie eine zierliche Hand auf ihrer Wange. Die Berührung schmerzte und sie zuckte unwillkürlich zusammen. „Keine Sorge. Wir sind hier um dir zu helfen. Es könnte allerdings etwas wehtun. Aber wenn du dich nicht wehrst, wird das schnell vergehen.“, sagte die Zweite, bevor sie Kasumis Lippen verschloss. Panisch wollte sich Kasumi wehren, doch ihr Körper reagierte nicht auf sie. Er zuckte nur zusammen, als etwas ihren Mund füllte und schließlich ihre Kehle hinunter ran. In ihrem Mund noch kühl wurde – was auch immer es war – immer wärme, je tiefer es in ihren Körper eindrang. Als es ihren Magen erreichte, brannte es und es fühlte sich an, als würde es sich durch ihren Magen brennen. Und dann wurde ihr Mund erneut verschlossen und zum zweiten Mal gefüllt. Es fühlte sich wie ein großes rundes Stück Gelee an. Mit einem festen Kern in dessen Innern. Je weiter dieses Gelee jedoch verschwand, umso heißer wurde der Kern und setzte diesmal jede einzelne ihrer Blutbahnen in Flammen. Noch mit der Wirkung der ersten und zweiten Kugel kämpfend, wurde eine weitere in ihren Mund gelegt. Diese nahm von ihren Knochen besitz und tobte wie ein flammender Orkan in ihrem Körper, bis es sich anfühlte, als würde selbst ihre Haut in Flammen stehen. Kasumi wollte das nicht. Sie wollte lieber sterben, als diesen Schmerz zu ertragen. Sie wollte diesem Feuer entgehen, das scheinbar ihren Körper von ihren Knochen schmolz. Sie wollte schreien, sich wehren, diesem Grauen ein Ende setzen. Doch ihr Körper gehorchte ihr immer noch nicht. Und dann sah sie eine kleine blaue Flamme vor sich. Wie sie unbehelligt in diesem roten Feuersturm vor sich hin brannte. Unscheinbar und ungestört. Sie wirkte fast unbeteiligt. Als würde sie das Inferno um sie herum überhaupt nicht betreffen. Eine ruhige konstante, die sich nicht beirren ließ. Kasumi wollte sie ergreifen. Wollte diese Ruhe für sich, die ihr vielleicht endlich Frieden versprach. Frieden mit sich und dieser Welt und ihrem Schicksal. Mit aller Kraft streckte sie ihre Hand nach dieser Flamme aus. Den Schmerz ignorierend, kämpfte sie sich voran und erreichte die Flamme schließlich mit den Fingerspitzen. Sofort erlosch das Feuer um sie herum und übrig blieb nur diese kleine blaue Flamme, die in ihren Händen tanzte, wie eine kleine Seele, die ihren Platz in der Welt noch suchte. Vorsichtig drückte Kasumi die Flamme an sich und in diesem Moment drang sie in ihren Körper ein und brachte den Schmerz zum Erlöschen. Zum ersten Mal, seit einer langen Zeit, spürte Kasumi Frieden. Und mit diesem, erwuchs ein Wunsch in ihr, der ihre Lebensgeister wachrüttelte.     Überrascht nahm Kasumi einen tiefen Atemzug und schlug die Augen auf. Über ihr zogen weiße Wolken über den blauen Himmel. Um sie herum erkannte sie Gebäude des Kaiserpalastes und unter ihr, den edlen Steinboden den man in der gesamten Anlage fand. Ein Pflock in ihrem Rücken hielt sie in ihrer sitzenden Position aufrecht. Genauso wie ein Eisenring um ihren Hals, dessen Kette mit dem Pflock verbunden war. Kasumi hob ihre Finger an den Ring und fand diesen geöffnet. Sie ließ ihren Blick einmal über ihre nähere Umgebung gleiten und öffnete den Ring, als sie keine Wachen ausfindig machen konnte. Es war seltsam ruhig, dafür dass sie als Gefangene des Taishō sicherlich bewacht werden müsste. Oder nahmen sie an, dass sie sich in ihrem Zustand nicht würde befreien können? Diesen Gedanken verwarf Kasumi sofort wieder. Sie befand sich unter freiem Himmel. Das bedeutete, dass sie als Köder dienen sollte. Sonst wäre sie nach dem Besuch beim Taishō zurück in ihre Zelle gebracht worden. Nein, sie war hier um ihren Ehemann anzulocken. Das konnte sie sich nur zu gut vorstellen. Nur wurde sie hier auch von zahlreichen anderen gesehen. Wie den Fuchsschwestern, die ihr dieses Feuer gebracht hatten. Ein Feuer, das sie jetzt völlig frei atmen ließ. Ungläubig tastete Kasumi ihre Rippen ab. Nach dem Besuch beim Taishō waren einige ihrer Rippen gebrochen und hatten sich unangenehm in ihre Lunge gebohrt. So, dass jeder Atemzug eine Qual wurde. Doch nun spürte sie nichts mehr davon. Nicht eine kleine Erhebung oder einen Bruch. Ihre Knochen waren vollständig wiederhergestellt. Sie ließ ihre Hände zu ihrem Gesicht wandern. Nur um dort ebenfalls nichts Ungewöhnliches vorzufinden. Keine aufgeplatzte Lippe, eingeschwollene Augen oder Platzwunden. Alles an ihr fühlte sich normal an. Als wäre nie etwas geschehen. Das war unmöglich und doch saß sie hier, als hätte sie sich nur nach einem kleinen Spaziergang ausgeruht. Als wäre nie etwas vorgefallen und die Zeit im Kerker ohne eine Spur an ihr vorüber gegangen. Kasumi wusste nur zu gut, wem sie für diese Chance danken musste, als sie ihren O-Mamori-Stab heraufbeschwor und sich mit dessen Hilfe erhob. Sie würde diese Chance nutzen und sie nicht noch einmal ungenutzt verstreichen lassen. Mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Weg zum Hauteingang der Palastanlage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)