Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 40: Flashback V – Takeru -------------------------------- Kari zu finden war schwieriger als gedacht. Wir wussten nicht mal, wo wir anfangen sollten. Tai fiel es schwer, aber er telefonierte zunächst sämtliche Krankenhäuser ab. Nichts. Dann all ihre Klassenkameraden. Keine Spur von ihr. Als ich dann noch die örtliche Polizei übernahm und sie dort auch nicht bekannt war, schwand jegliche Hoffnung. Kari blieb verschwunden. Aber wo konnte sie nur sein? Sie konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen. Die verrücktesten Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab. Dinge, die ich nicht einmal wagte zu denken, geschweige denn sie laut auszusprechen. „Was machen wir nun?“, meinte ich deutlich verzweifelt, nachdem wir noch mal den Weg vom Club zu den Yagamis abgefahren waren und sie auch dort nirgends finden konnten. Nun saßen wir beide in Taichis Wagen und hatten keine Ahnung, wo wir weitermachen sollten. „Ich weiß es nicht.“ Tai ließ den Kopf hängen. Sie konnte überall sein. Und wir hatten nicht die geringste Spur oder auch nur den kleinsten Hinweis. „Meinst du … meinst du, sie ist abgehauen?“, wagte ich zu fragen, woraufhin Tais Miene sich verfinsterte. „Ich hoffe es für sie. Denn dann werde ich sie irgendwann finden und ihr die Standpauke ihres Lebens halten, dass sie …“ „Taichi!“, ermahnte ich ihn. „Ja, ja, ich weiß. Ich mache mir doch nur Sorgen“, sagte er deutlich ruhiger. Frustriert schlug er auf das Lenkrad vor sich. „Verdammt, wo kann sie nur sein?“ Plötzlich öffnete sich eine der Hintertüren und jemand stieg zu uns ins Auto. Erschrocken drehte Tai sich um und sah direkt in das Gesicht von Takeru. Seine Nase hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen. „Was machst du denn hier?“, motzte Tai direkt drauf los. Takeru warf mir einen kurzen Blick zu. Tai sah mich wissend an. „Sei jetzt bitte nicht sauer“, sagte ich und faltete betend die Hände. „Ich habe ihn angerufen.“ „Du hast WAS?“, empörte sich Tai und wäre mir beinahe an die Gurgel gegangen. „Wie kommst du dazu ausgerechnet IHN anzurufen? Er ist doch überhaupt erst schuld an diesem ganzen Theater hier.“ Ich hörte Takeru von hinten verächtlich schnaufen, doch ehe er was erwidern konnte, ergriff ich das Wort. „Jetzt komm mal runter, ja? Ich habe ihn angerufen, weil er Karis bester Freund ist. Und auch wenn du das nicht wahrhaben willst … er hat mehr für Kari getan als wir alle zusammen. Wenn jemand weiß, wo sie ist, dann er.“ Tai warf erst mir, dann Takeru einen bösen Blick zu, verschränkte jedoch die Arme vor der Brust und ließ sich zurück in seinen Sitz fallen. „Tai, ich will wirklich nur helfen. Auch mir tut es leid, was gestern passiert ist“, sagte Takeru versöhnlich. Er klang aufrichtig und ich glaubte ihm. Auch wenn das wohl nicht für Tai galt. „Das kannst du laut sagen“, schnaubte dieser und blickte verbissen in den Rückspiegel. „Und? Hast du eine Idee?“ Takeru lehnte sich zurück und überlegte. „Habt ihr schon bei ihren Klassenkameraden nachgefragt, ob sie jemand gesehen hat?“ „Das haben wir als Erstes gemacht, Schlaumeier“, antwortete Tai und verdrehte die Augen, wofür er einen Schlag gegen den Oberarm von mir kassierte. „Also, wenn sie weder dort ist, noch von der Polizei aufgegriffen wurde und auch nicht im Krankenhaus ist, dann …“, überlegte Takeru laut. Er hatte eine Denkermiene aufgelegt und ich hing gespannt an seinen Lippen. „Dann fällt mir eigentlich nur ein Ort ein, wo sie noch sein könnte.“ Tai wirbelte herum. „Was? Wo? Sag schon!“ „Okay“, sagte Takeru und sah uns bedeutungsvoll an. „Aber bitte lacht nicht. Als das mit unserer „Schein-Verlobung“ noch ganz frisch war, haben wir mal rumgesponnen, wo wir im Fall der Fälle heiraten würden – sozusagen ein Plan C. Natürlich war das nur Spaß, aber … Rückblick „Na, wie war dein Tag?“ Ich brauchte nicht mal von meinem Buch aufsehen, um zu wissen, dass meine beste Freundin gerade durch meine Zimmertür gekommen war, denn sie flog mit einem lauten Knall hinter ihr zu. Ich lag bäuchlings auf dem Bett und blätterte die Seite meines Buches um, als sie ihre Schultasche in die Ecke pfefferte und sich neben mich schmiss. „Er war furchtbar. Großes F, großes URCHTBAR!“ Gequält lächelte ich und schlug das Buch zu. Dann sah ich sie an. „Sag schon, was ist passiert? Haben sie dich wieder gemobbt?“ Kari drückte ihr Gesicht ins Kissen und stöhnte hinein. „Nein, viel schlimmer.“ Bedächtig zog ich eine Augenbraue nach oben. Ich bohrte meinen Blick in sie, bis sie sich auf die Seite rollte und mich endlich ansah. „Sie wollen alle kommen“, sagte Kari kleinlaut. „Wohin?“ Verstohlen nestelte sie an der Bettwäsche herum. „Zu unserer Hochzeit.“ Fast musste ich losprusten vor Lachen. „Und das war so furchtbar?“ Kari stöhnte erneut auf und drehte sich auf den Rücken, um an die Decke zu starren. Vielleicht war es ihr aber auch peinlich, mich weiterhin anzusehen. Das verrieten mir zumindest ihre leicht geröteten Wangen. „Nein, das ist es nicht“, sagte sie geknickt. „Die Mädchen nerven zwar, aber … vorher haben sie mich aufgezogen, weil ich auf ein Mädchen stand und seitdem du mein Freund, na ja, beziehungsweise mein offizieller Verlobter bist, sind sie noch viel schlimmer geworden. Sie lassen mir keine ruhige Minute und quetschen mich in jeder Pause aus – über dich, über unsere Pläne, wann wir heiraten, wo wir heiraten …“ Kari seufzte und griff sich gestresst an die Stirn. „Das ist so anstrengend.“ „Wieso machst du dir darüber überhaupt Gedanken?“, erwiderte ich schulterzuckend. „Wir gehen schließlich erst mal noch ein paar Jahre zur Schule und dann … Ich meine, es wird nie zu dieser Hochzeit kommen.“ „Genau das ist es ja“, antwortete Kari und rieb sich über die Augen. „Wenn sie sich jetzt schon so aufführen, stell dir ihre Reaktionen vor, sobald wir unsere Trennung verkündet haben. Sie werden mir ihr gesamtes Mitleid entgegenschleudern und mich bedauern. Das ertrag ich nicht. Diese Mädchen sind einfach so was von drüber.“ Ich musste grinsen, aber ich konnte auch verstehen, warum Kari so genervt war. Dass diese Schnepfen ihr aber auch ständig auf den Leim gehen mussten. „Hör auf zu grinsen!“, ermahnte sie mich und schlug mir gegen die Schulter. „Tut mir leid“, flötete ich unschuldig. „Für dein Problem gibt’s eigentlich nur eine Lösung.“ Plötzlich hatte ich ihr Interesse geweckt. „Und die wäre?“ „Wir müssen wirklich heiraten“, verkündete ich und sprang über sie hinweg aus dem Bett. Ihre überraschten und zweifelnden Blicke folgten mir, während ich zum Schreibtisch ging. „Was zum Teufel redest du da, T.K.? Wirklich heiraten? Du kannst mich nicht heiraten. Du hast eine Freundin.“ „Jaah, aber das wissen sie ja nicht.“ Ich schnappte mir meinen Laptop und setzte mich im Schneidersitz vors Bett. Ich musste sie unbedingt auf andere Gedanken bringen. Diese Mädchen waren wirklich schrecklich. Dass sie das jeden einzelnen Tag ertrug, bewies wie stark sie war. Kari hatte nicht verdient, sich so viele Gedanken um die Meinungen der anderen machen zu müssen. Sie musste endlich mal wieder an sich denken. Sollten diese Kühe doch reden, was sie wollten. Ich öffnete den Internetexplorer und gab etwas in die Suchleiste ein. „Was hast du vor?“ Kari richtete sich auf und lehnte sich etwas nach vorn, um mir über die Schulter zu gucken. „Wo willst du heiraten?“ „Was?“ „Wo willst du heiraten?“, fragte ich erneut. Ich spürte ihre fragenden Blicke in meinem Rücken. „Ach, komm schon. Jedes Mädchen hat doch eine Vorstellung von ihrer Hochzeit. Gib den Gänsen Futter und sie lassen dich in Ruhe“, witzelte ich. Kari lachte. Und das war alles, was ich wollte. „Also, was ist?“, hakte ich weiter nach und rief ein paar klassische Hochzeitsseiten auf. Sofort sprangen mir Tüll und rosa Torten ins Gesicht. Urgs. Standen Mädchen wirklich auf diesen ganzen Kitsch? „Igitt“, sprach Kari meinen Gedanken aus, als sie mir über die Schulter sah. „Das ist wirklich zu viel des Guten.“ „Allerdings“, bemerkte ich zweifelnd. „Eine riesen Feier, alles ist perfekt dekoriert … ich dachte immer, ihr Mädels steht auf so was.“ „Ich nicht“, widersprach Kari und legte ihren Arm über meine Schulter, um selbst etwas in die Suchleiste einzugeben. Ein neues Fenster öffnete sich. „Hier, darauf steh ich“, verkündete sie. Als ich das Bild sah, welches sie geöffnet hatte, wusste ich nicht, ob ich lachen sollte. War das ihr Ernst? „Das … äh … das sieht so gar nicht nach Hochzeit aus“, meinte ich zaghaft. „Ich weiß.“ Ich betrachtete die Bilder genauer. „Das ist eine winzige Kapelle, irgendwo im Nirgendwo, Kari.“ „Ich weiß. Und sie ist perfekt.“ Zweifelnd warf ich einen Blick über die Schulter. Ich wusste ja, dass sie nicht die Romantikerin vor dem Herrn war, sie war eben nicht wie andere Mädchen. Aber das konnte nicht ihr Ernst sein … Doch Kari ließ sich nicht beirren. „Und Flitterwochen machen wir hier“, sagte sie bestimmt und öffnete ein weiteres Fenster. Ein altes, fast schon ranziges Motel kam zum Vorschein. Nun war es endgültig um meine Selbstbeherrschung geschehen und ich prustete los. „Hey, hör auf zu lachen“, entrüstete sie sich. „Sorry, aber … du willst mich doch auf den Arm nehmen.“ Kari warf mir ein neckisches Grinsen zu. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“ „Wie kommt man überhaupt auf so einen Ort?“, fragte ich neugierig, denn ich hatte noch nie davon gehört. „Das sieht ja fast aus wie eine Geisterstadt.“ Kari ließ sich zurück aufs Bett fallen. „Wir waren dort früher mal wandern. Es ist eigentlich ganz schön dort, auch wenn es nicht besonders modern ist. Eigentlich wirkt dieser Ort eher, als wäre er in der Zeit stecken geblieben. Aber weißt du, was ich am meisten dort genossen habe? Die Ruhe.“ Mein Interesse war geweckt und ich klappte den Laptop zu, um mich zu ihr umzudrehen. Sehnsüchtig blickte sie an die Decke. Als könnte sie es vor ihrem geistigen Auge sehen. „Wenn man einfach mal allein sein und nicht gefunden werden möchte, dann ist das genau der richtige Ort dafür“, seufzte sie. „Ich würde sofort mit dir dorthin durchbrennen. Nur wir beide.“ Ich schwieg, doch ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Wäre nicht die allerschlimmste Vorstellung. „Ich meine … WENN wir wirklich vorhätten zu heiraten“, korrigierte sie sich schnell. „Schon okay“, meinte ich und legte mich wieder zu ihr aufs Bett. „Jetzt hast du wenigstens etwas, dass du diesen Tussis erzählen kannst. Wobei du es vielleicht noch ein bisschen mehr ausschmücken solltest.“ Kari lachte und ich auch. Es tat gut, sie zur Abwechslung mal fröhlich zu sehen. Wir hatten es zwar durch unsere Lüge geschafft, dass sie wieder ein einigermaßen ruhiges Leben in ihrer Klasse führen konnte, doch einer Lüge folgte immer eine Weitere. Die Frage war nur: was war das kleinere Übel? Wir entschieden uns beide für die Lüge. Denn die Wahrheit zu sagen, war definitiv keine Option mehr gewesen … Ein Grinsen huschte über meine Lippen, als Takeru zu Ende erzählt hatte. „Von wegen nicht romantisch.“ Auch Takeru musste bei diesen Erinnerungen lächeln. „Ich habe das damals natürlich nicht so ernst genommen. Aber, wenn ich jetzt so über ihre Worte nachdenke … Sie ist meine beste Freundin und bedeutet mir alles. Wenn es auch nur den Hauch einer Chance gibt, dass wir sie finden, dann dort.“ Wow. Und ich fragte mich, wie Kari sich in Takeru verlieben konnte? Die beiden waren perfekt zusammen. Unfassbar, dass er das nicht sehen konnte. Tai runzelte skeptisch die Stirn. „Und du denkst jetzt, sie wäre in dieser kleinen Kapelle?“ Hmm, wirklich ein etwas absurder Gedanke, da hatte Tai recht. Takeru schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Aber Fakt ist, wenn jemand durchbrennen und nicht gefunden werden will, dann wäre dieses alte Motel genau der richtige Ort dafür. Oder eher: es wäre der richtige Ort für Kari.“ Fragend sah ich zu Tai. Es wäre ein Versuch wert. Und es war der einzige Anhaltspunkt, den wir hatten. Tai überlegte kurz und nickte dann, ehe er den Motor startete. „Okay, dann bring uns dort hin.“ Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden. Irgendwann befanden wir uns in einem kleinen Dörfchen nordwestlich von Tokyo, was ich noch nie zuvor gesehen hatte. „Wow“, meinte ich, als wir die wenig bewohnten Straßen entlangfuhren. Nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in der heutigen Zeit noch solche Dörfer gibt. Das ist geradezu mittelalterlich.“ „Nun übertreib mal nicht“, entgegnete Tai knapp und wies auf ein paar Strommäste. „Immerhin haben sie hier Elektrizität.“ „Jaah, welch ein Wunder.“ Ich drehte mich zu Takeru um. „Und hier wolltet ihr heiraten? Ernsthaft?“ Takeru zuckte grinsend mit den Schultern. „Es war nur Spaß, Mimi.“ „Na, hoffentlich sind wir jetzt nicht nur zum Spaß hier rausgefahren“, murrte Tai. Irgendwie konnte ich seine Skepsis verstehen. Dass Kari sich ausgerechnet hier aufhalten sollte, war fast schon unvorstellbar. Doch ich vertraute T.K. und seiner Intuition. Verstohlen warf ich Tai einen Seitenblick zu. Ob ich ihn auch finden würde? Kannte ich ihn so gut wie T.K. Kari kannte? Tai warf mir einen kurzen, misstrauischen Blick zu, als er bemerkte, wie ich ihn beobachtete. „Was ist?“ Schnell drehte ich mich weg und sah wieder aus dem Fenster. „Ach, nichts.“ „Da vorne ist es.“ Takeru lehnte sich nach vorn und deutete mit dem Finger auf ein paar alte Häuser. Wobei alt noch gelinde ausgedrückt war. Kaum vorstellbar, dass in diesem Motel überhaupt noch irgendjemand übernachten wollte. „Und du bist dir auch ganz sicher, dass es das ist?“, fragte ich zweifelnd nach. T.K. nickte. „Ganz sicher. Ich erkenne es wieder.“ Ich bekam eine Gänsehaut, als Tai abbog und auf den Parkplatz fuhr. Tatsächlich befanden sich außer uns auch noch zwei andere Autos dort. „Die Rezeption scheint besetzt zu sein. Kommt, wir fragen nach, ob Kari hier eingecheckt hat“, sagte Takeru und sprang voller Tatendrang aus dem Wagen. Tai wollte ihm folgen, doch ich griff nach seinem Jackenärmel und hielt ihn zurück. „Was ist denn?“ „Geh da nicht rein“, flehte ich und legte eine sorgenschwere Miene auf. „Bitte. Hier ist es unheimlich.“ Ich war mir nicht sicher, ob Tai lachen oder genervt die Augen verdrehen wollte. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Doch stattdessen sah er mich nur komisch an und riss sich dann von mir los. „Sei nicht albern, Mimi. Warte einfach hier, ich bin gleich wieder da.“ Und noch bevor ich irgendwie protestieren konnte, war er aus dem Auto gestiegen und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Missmutig blickte ich ihm hinterher, während er über den Parkplatz zur Rezeption spazierte. Warte einfach hier? Ja, klar. Was sonst? Dieser Ort war ja auch nur minimal gespenstisch. Dass das Wetter sich trübte und dunkle Wolken am Himmel aufzogen machte es nicht besser. Je länger es dauerte, umso unruhiger wurde ich. Wie kam Takeru nur darauf, dass Kari an so einem Ort sein könnte? Ich würde nicht mal in meinen Albträumen hierher flüchten. Um mich abzulenken, scrollte ich durch mein Handy. Na, klasse. Keinen Empfang. Ich steckte es wieder in meine Hosentasche. Im nächsten Moment flog die Tür zum Fahrzeug auf und ich zuckte zusammen. „So eine Kuh!“, fluchte Tai laut, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und knallte die Tür zu. Takeru schlüpfte wieder auf den Rücksitz. Abwechselnd sah ich beide erwartungsvoll an. „Und?“ „Sie ist nicht da“, maulte Tai und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. „Also, sie ist schon da“, berichtigte Takeru ihn. „Nur nicht im Moment.“ Verwirrt zog ich die Stirn kraus. „Und … das heißt?“ „Sie ist vor ein paar Stunden wandern gegangen und hat ihren Schlüssel vorne an der Rezeption abgegeben. Ich wollte den Schlüssel zu ihrem Zimmer haben, damit sie mir gar nicht erst wieder entwischen kann. Falls sie überhaupt noch mal hierher zurückkommt. Aber diese dämliche Tante weigert sich, ihn mir zu geben. Diese dumme, alte KUH“, schrie Tai nun sein Seitenfenster an, als würde seine Stimme ernsthaft nach draußen und bis zur Rezeption dringen. Seufzend ließ sich Takeru zurück in seinen Sitz fallen. „Uns bleibt wohl nichts anderes übrig als abzuwarten.“ „Das bringt doch nichts“, regte sich Tai weiter auf. Sein Kiefer malmte vor Wut. „Ich bin ihr Bruder. Versteht diese Schrulle denn nicht, dass ich mir nur Sorgen mache?“ Ich legte den Kopf schief und überlegte. Ich konnte seine Wut nur all zu gut verstehen. Wir waren den ganzen weiten Weg hier rausgefahren, um Kari zu finden. Und jetzt war sie nicht da und keiner wusste, ob sie überhaupt vorhatte wiederzukommen. Wir konnten uns hier die Nacht um die Ohren schlagen. Ob sie wieder auftauchen würde, wusste keiner. „Und ihr habt euch einfach so abwimmeln lassen?“ Verständnislos wandte Tai mir den Kopf zu. „Was hätten wir denn tun sollen? Sie verprügeln, bis sie den Schlüssel rausrückt?“ „Oh, man“, stöhnte ich. „Du hast ehrlich zu viele Filme gesehen. Gib mal deine Kreditkarte.“ Fordernd hielt ich die Hand auf, während Tai mich ansah, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. „Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um shoppen zu gehen, Mimi. Und außerdem, ich bezweifle, dass es hier überhaupt …“ „Halt den Mund, Tai“, schnauzte ich ihn an, beleidigt darüber, dass er so etwas von mir dachte. „Shoppen? Dein Ernst? Hier würde ich nicht mal ein paar Socken kaufen. Und nun gib endlich her.“ Unruhig wackelte ich mit den Fingern. Tai musterte mich zwar immer noch zweifelnd, tat dann jedoch, worum ich ihn gebeten hatte. „Fein“, meinte ich, als ich seine Kreditkarte genauer betrachtete. „Damit müsste es gehen. Welches Zimmer hat sie?“ „103“, antwortete Takeru. Ich sah mich kurz auf dem Parkplatz um. Niemand zu sehen. Dann schlüpfte ich aus dem Auto und ging geradewegs auf eines der Häuser am anderen Ende des Parkplatzes zu. „Warte mal“, rief Tai mir hinterher. Ich hörte zwei Autotüren zuschlagen. „Was hast du denn vor?“ Ich vergeudete keine Zeit damit, ihm eine Antwort zu geben, sondern suchte stattdessen nach Zimmernummer 103. Als ich sie fand, blieb ich direkt davor stehen, sah mich noch ein mal um und machte mich dann daran, die Karte durch die Türöffnung zu schieben. „Oh man, Mimi. Was machst du denn da?“, flüsterte Takeru leicht aufgebracht, als sie bei mir ankamen. „Das kannst du doch nicht machen. Das ist Einbruch.“ Ja, höchstwahrscheinlich war es das. Doch hatte ich deswegen ein schlechtes Gewissen? „Halt mir keine Moralpredigt, okay? Steht lieber Schmiere.“ Ich beachtete die beiden nicht weiter, sondern konzentrierte mich stattdessen darauf, die Karte so zu postieren, dass sie im Türschloss griff. Wenige Sekunden später hatte ich es. Das Schloss klackte und sprang auf. „Et voilà“, flötete ich und trat ein, um Tai und Takeru die Tür aufzuhalten. T.K. klappte der Mund auf und er sah sich ängstlich um, ehe er schnell ins Zimmer huschte. Tai folgte ihm und warf mir einen anerkennenden Blick zu. „Wer hat hier zu viele Filme gesehen?“ Ich grinste ihn breit an. Dann schloss ich leise hinter uns die Tür. „Ihre Sachen scheinen noch da zu sein“, stellte Takeru sofort fest, während ich mich suchend im Raum umsah. Neben ihrem Bett stand ein Rucksack, gefüllt mit Klamotten. Das Bett sah nicht benutz aus, doch auf dem Nachttisch lag die Verpackung eines Sandwiches und ein paar Müsliriegel. Oh man, Kari. Wenn man vorhatte zu türmen, sollte man definitiv bessere Verpflegung mitnehmen. „Es ist ein gutes Zeichen, dass ihre Sachen noch da sind. Das heißt, sie wird hierher zurückkommen“, schlussfolgerte Tai. Ich nickte zustimmend. Jetzt mussten wir wirklich nur noch warten. Und das taten wir. Eine Stunde … Zwei Stunden … Drei Stunden … Beinahe wäre ich auf dem Bett weggedöst, während Tai vorne auf der Bettkante saß und durch das Fernsehprogramm zappte. Takeru saß im Schneidersitz neben mir und legte eine ernste Miene auf. „Leute, ich habe eine Bitte an euch“, meinte er plötzlich. Ich sah zu ihm auf. Tai warf einen Blick über die Schulter. „Wenn Kari nachher kommt …“, setzte Takeru an. „Wann auch immer das sein möge“, ergänzte ich gähnend und rieb mir die müden Augen. „Dann möchte ich zuerst mit ihr sprechen.“ „Was?“, platzte es aus Tai heraus. „Was ist das wieder für eine bescheuerte Idee? Wie kommst du dazu, zuerst mit ihr sprechen zu wollen? Sie ist schließlich meine Schwester und ich …“ Oh, bitte. Nicht schon wieder dieses Platzgehabe. Genervt verdrehte ich die Augen. „Aber ich denke doch nur …“ „Nichts da“, maulte Tai weiter. „Ich bin ihr Bruder und wenn jemand zuerst mit ihr redet, dann ja wohl ich. Und außerdem hast du …“ „TAI“, fuhr ich dazwischen. Mit einem Mal saß ich kerzengerade im Bett. „Du lässt ihn ja überhaupt nicht zu Wort kommen.“ Tai presste die Lippen aufeinander, während ich ihn fordernd ansah. „Hör endlich auf, dich hier so aufzuspielen. Wir alle wissen, dass du wütend und enttäuscht bist, weil Kari einfach abgehauen ist, anstatt noch mal mit dir zu reden“, sagte ich. „Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Hätte sie mit dir reden wollen, wäre sie nicht weggelaufen.“ „Ja, aber …“ „Nichts aber! Nur dank T.K. sind wir jetzt hier. Also zeig gefälligst mal ein bisschen Dankbarkeit und lass ihn zuerst mit Kari sprechen. Ich denke, das ist eine gute Idee. Schließlich sind die Zwei beste Freunde.“ Tai wollte ansetzen, um zu wiedersprechen, doch mein mahnender Blick ließ ihn verstummen. Wenn ich noch ein Mal die Worte „Aber“ oder „Ich bin ihr Bruder“ zu hören bekam, wäre ich ihm an den Hals gesprungen. Auch wenn er sauer auf Takeru war und auch allen Grund dazu hatte, konnte er ihm ein wenig entgegenkommen. Zumal es hier nicht um die beiden ging, sondern um Kari. Ich hielt es ebenso wie Takeru für das Beste, wenn er zuerst mit ihr sprach. „Danke, Mimi.“ Takeru warf mir einen erleichterten Blick zu. Ich lächelte zurück, während Tai in sich rein grummelte. Sollte er doch, dieser alte Miesepeter. Im nächsten Moment zuckten wir jedoch alle zusammen und sahen uns überrascht an, denn vor der Tür waren Schritte zu vernehmen. Das musste sie sein! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)