Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 10: Ertrinken --------------------- Ich stand in seinem Badezimmer. Er hatte mir ein paar Klamotten von sich rausgelegt, die ich anziehen konnte. Der Regen hatte mich komplett durchnässt und ich zitterte am ganzen Körper. Ich sah in den Spiegel. Das Make Up der letzten Nacht klebte wie schwarzer Pech in meinem Gesicht. Meine Augen waren leer und ausdruckslos. Alles, was ich sah, war ein gebrochenes Mädchen. Ein Mädchen, das aufgegeben hatte. Ich konnte nicht länger dagegen ankämpfen oder Teil dieses kranken Spiels sein. Ich hielt das nicht mehr aus, ich musste raus aus meiner Haut. Meine Finger strichen über meine Arme, verkrallten sich in diese und fügten mir Schmerzen zu. Meine Fingernägel bohrten sich tief ins Fleisch und kratzten an der Oberfläche, kratzten an dem Dreck der meine Haut besudelte, bis es blutete. Schmerzlich biss ich mir auf die Unterlippe, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Was hatten sie nur aus mir gemacht? Ich erkannte mich nicht wieder. Schniefend ließ ich von meinen schmerzenden Armen ab und öffnete das smaragdgrüne Kleid, welches ich immer noch trug. Achtlos ließ ich es auf dem Boden liegen, stieg in die Dusche und stellte das Wasser an. Ich war so müde und doch zu wach, um zu schlafen. Ich wollte nie wieder einschlafen. Dann würden die Erinnerungen dieses Tages mich auf ewig verfolgen. Und ich konnte nichts dagegen tun. So musste es in der Hölle sein. Das heiße Wasser brannte auf meiner aufgekratzten Haut, doch der Dreck ließ sich nicht abwaschen. Er klebte an mir, wie eine zweite Haut. Und das war alles ihre Schuld! Tränen liefen mir über die Wange und ich musste das Gesicht in den Händen vergraben, um nicht laut loszuschreien. Ich biss mir fest auf die Lippe. Wie gerne hätte ich alles raus gelassen. Doch was half das, wenn einem sowieso niemand hörte? Ich nahm das Duschgel und seifte mich damit ein. Es roch nach ihm. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet sein Duschgel verwendet hatte und nicht eins von Kari. Irgendwie verband ich diesen Geruch mit etwas Gutem. Und ein klein wenig hatte ich sogar das Gefühl, dass dieser Geruch es schaffte, ein wenig von dem Dreck abzuwaschen, der so stur an meiner Haut klebte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich unter der Dusche meinen eigenen kläglichen Gedanken nachhing, stellte ich das Wasser ab und stieg nach draußen. Ich wischte mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Das Mädchen darin war immer noch gebrochen… Ich nahm die Sachen, die er mir rausgelegt hatte und zog sie an. Sie waren viel zu groß, aber das machte nichts. Meine Haare waren noch nass, doch das war egal. Langsam öffnete ich die Tür und schaute vorsichtig hinaus. Ich hatte Glück, dass niemand da war. Tai war allein zu Hause und das war gut so. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sah. So verletzlich, so gebrochen. Ich wollte auch nicht, dass Tai mich so sah. Doch er war der einzige Mensch zu dem ich gehen konnte. Der einzige, der mich nicht nur bemitleidete, sondern der sich ernsthaft Sorgen um mich machte. Mein Kopf sagte mir, ich hätte zu Sora gehen sollen. Mein Herz sagte mir, dass ich Tai sehen musste. Warum auch immer. Ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Er wartete in seinem Zimmer auf mich. Er saß auf dem Bett und hatte den Kopf in die Hände gestützt, schaute jedoch auf, als ich reinkam. Ich betrachtete seine viel zu großen Klamotten, die ich anhatte und wollte mich eigentlich bei ihm dafür bedanken. Doch ich brachte kein Wort über die Lippen. Wie sollte ich ihm das alles bloß erklären? Wie erklärt man jemanden, dass man innerlich tot ist? Als ich auf ihn zukam und mich neben ihn setzte, sah er mich an. Ich verschränkte die Beine und setzte mich im Schneidersitz hin, die Hände im Schoß vergraben. Er betrachtete mich kurz und sah dann zu Boden. Wahrscheinlich wusste er nicht, was er sagen sollte. Ich wusste ja selbst nicht, was ich sagen sollte. Plötzlich befreite er meine Hände, die sich fest umklammert hatten und verschränkte unsere Finger miteinander. Ich starrte sie an. Seine Hand. Meine Hand. Sie war so warm. Er drückte sie fest und auch, wenn er nichts sagte, wusste ich in diesem Moment, dass ich ihm vertrauen konnte. Diese winzig kleine Geste, die für andere Menschen wahrscheinlich ganz normal war, war für mich so ziemlich das liebevollste, was ich die letzten Monate erfahren hatte. Ich fing an zu schluchzen und schlug die andere Hand vor den Mund, während ich begann auch seine Hand fest zu drücken. So fest, wie ich nur konnte. Ich brauchte etwas, woran ich mich klammern konnte, damit ich nicht einfach fiel wie ein Stein im Wasser. Ich spürte, wie mir erneut die Tränen übers Gesicht liefen. Zu lange hatte ich es unterdrückt. Zu lang wollten diese Gefühle einfach nur an die Oberfläche. Ich spürte, wie Tai einen Arm um mich legte und mich an seine Brust zog. Er hielt meinen Kopf so fest an seine Brust gedrückt, dass ich sein Herz schlagen hören konnte und ich weinte so heftig, wie ich es noch nie zuvorgetan hatte. Ich schrie. Schrie die ganze Wut und Verzweiflung raus, die mich die letzten Monate aufgefressen hatte. Und er… er war einfach nur da und hielt mich fest. So fest er nur konnte. Ich lag auf seinem Bett. Er lag hinter mir, hatte einen Arm um mich gelegt und hielt mich immer noch fest. Die Tränen ließen langsam nach und nur Tai hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht mehr das Gefühl hatte ins Bodenlose zu fallen. Plötzlich war da eine Hand, die mich festhielt. Und ich wollte sie auch gern halten, aber das konnte ich noch nicht. Fürs erste sollte sie mich einfach nur festhalten. Die ganze Zeit über, als ich weinte, hatte er nichts gesagt. Und das war gut so. Diese Ruhe, die er ausstrahlte war mir neu. Und ich brauchte diese Ruhe, genau in diesem Moment. Ich atmete schwer aus und spürte sofort, wie sein Griff sich um mich verfestigte, als hätte er Angst, ich würde wieder anfangen zu weinen. „Danke“, wisperte ich erleichtert und merkte, wie sein Griff sich wieder lockerte. „Tut mir leid.“ „Was denn?“, fragte er leise. Allein seine Stimme war so beruhigend. Ich seufzte. „Dieser Gefühlsausbruch.“ Was mutete ich ihm hier eigentlich zu? Ich sollte ihn nicht mit meinen Problemen belasten. Und doch tat es so gut, ihn bei mir zu wissen. Er lachte leise auf. „Ich bitte dich. Gefühlsausbrüche gehören zu Mimi Tachikawa wie die Fische zum Wasser.“ Auch ich musste leise lachen. Er und seine Sprüche. Wir schwiegen eine Weile, machten keine Anstalten aufzustehen. Ich hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren. Keine Ahnung, wie lange ich geweint hatte oder wie spät es war. „Wie fühlt es sich an?“, fragte Tai plötzlich. Ich seufzte schwer und drehte mich zu ihm um, so dass wir uns in die Augen sehen konnten. „Es fühlt sich wie ertrinken an.“ Sorgenvoll sah er mich an. „Wie kann ich dir helfen?“ Ich lächelte ihn an. „Du hilfst mir gerade schon genug. Und ich weiß, dass ich das eigentlich nicht von dir verlangen darf.“ „Du darfst alles von mir verlangen“, sagte er und ich sah ihn erstaunt an. „Wir sind Freunde, Mimi“, fügte er schnell noch hinzu. „Und Freunde helfen sich. Egal, um was es geht.“ Ich schloss schmerzhaft die Augen. „Und wenn es nicht egal ist? Wenn es etwas ist, was dich zerstören würde, wenn du es aussprichst?“ Kurz war es still. „Wen hast du mit „sie“ gemeint?“ Ich wusste, was er meinte. Worauf er hinaus wollte. Darauf, was ich gestern Abend auf der Straße zu ihm gesagt hatte. Ich hatte gehofft, er würde es vergessen. Nachdem er mir so sehr geholfen hatte, hätte er wirklich eine Antwort verdient gehabt. Doch ich konnte ihm keine geben. „Du darfst es nicht sagen“, erwiderte er tonlos. Ich nickte. Er hatte recht. Zu niemandem ein Wort, das hatte ich versprochen. „Ein Geheimnis, das du verborgen halten willst, darfst du keinem, auch nicht den Vertrautesten mitteilen. Denn keiner wird das Geheimnis besser bewahren als du selbst.“ Diesen Satz hatte ich mir immer und immer wieder eingeredet, ihn in meinem Kopf immer wieder wie ein Gebet aufgesagt. Doch was war dieses Versprechen noch wert? Er blinzelte kurz und legte dann eine Hand auf meine Brust. Genau dorthin, wo das Herz war. Normalerweise wäre ich zurückgezuckt, doch bei ihm war es was Anderes. Es fühlte sich nicht bedrohlich an. Es fühlte sich gut an. „Wenn du es keinem sagen darfst…“ Seine Stimme war ganz ruhig und sein Blick ruhte auf meinem. „Dann wird es dich zerstören.“ Ich schloss die Augen, denn sie füllten sich erneut mit Tränen und das sollte er nicht sehen. Seine Hand spürte ich immer noch auf meinem Herzen. „Nichts kann dir passieren, wenn du es aussprichst. Denn wenn du es aussprichst, werde ich für dich da sein und dafür sorgen, dass dir nichts passiert. Ich lasse nicht zu, dass es dich zerstört.“ Nun lief mir doch eine stumme Träne über die Wange. Ich wusste nicht, wann ich mich je im Leben so geborgen und sicher gefühlt hatte, wie in diesem Moment. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. In seinem Blick lag so viel Aufrichtigkeit. Tais Augen waren ganz anders als seine. Hayatos Augen waren starr, gefühllos und kalt. Seine Augen hingegen waren warm, freundlich und ehrlich. Und ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. „Sag es mir, Mimi“, forderte er mich mit ruhiger und doch fester Stimme auf. „Ich verspreche, ich lass dich nicht im Stich. Egal, was es ist.“ Er strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr und ich bekam eine Gänsehaut unter dieser Berührung. „Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete ich leise und hörte das erste Mal seit Monaten auf mein Herz. „Ich muss es dir zeigen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)