Eternity III - Sklavenhändler und Drachentöter von Purple_Moon (Dieser Drache ist unverkäuflich!) ================================================================================ Kapitel 3: Absturz in die Sklaverei ----------------------------------- Kapitel 3: Absturz in die Sklaverei "Natürlich ist meine Hand in Ordnung, schließlich hast du das Zeug gebraut," beharrte Eikyuu und hielt Kyuujo seine Rechte hin, auf der nun noch eine gerötete Stelle zu sehen war, nichts weiter. "Ich kann die Mission übernehmen." "Ihr habt ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt!" klagte der Drachenheiler den Barden an. Maris hob abwehrend die Hände. "Aber nein, er hat es von selbst mitbekommen! Ich habe heute noch gar nicht mit ihm gesprochen!" Eikyuu und Valerian trugen beide nur je ein Handtuch um die Hüften, da sie gerade vom Baden im Meer kamen. Sie sahen sehr zufrieden aus, kein Wunder, wenn Livitawurz in dem Trank gewesen war... "Ich will mit nach Slarivestos!" kreischte Shisei aufgeregt. Eliza packte sie entsetzt und drückte sie an sich. "Dafür bist du viel zu klein!" "Aber ich kann die Geister sehen!" beharrte das Mädchen. "Ich muss ihnen doch helfen!" "Wir haben jahrelang, sogar jahrzehntelang im Verborgenen gegen die Sklaverei gekämpft, wieso habt ihr es euch jetzt alle in den Kopf gesetzt, dass innerhalb von drei Tagen eine Lösung gefunden werden muss?" regte Kyuujo sich auf. "Ihr könnt nicht einfach eine ganze Regierungsform umstürzen!" "Aber das ist schon gemacht worden," wandte Maris ein. "Man muss nur die Unterdrückten dazu bringen, dass sie auf die Barrikaden gehen..." "Diese Drachen wissen gar nicht, was Barrikaden sind, wenn Ihr versteht, was ich meine!" widersprach der ältere Seelenleser. "Ich muss jetzt nicht mehr den Kelch bewachen, und nur auf der Insel rumzuhängen ist auf die Dauer langweilig," meinte Eikyuu. "Valerian muss mal raus und seine Kräfte erproben. Es ist der ideale Zeitpunkt. Valerian wird sich als reicher Schnösel verkleiden und sich bei den Leuten einschmeicheln! Und ich bin sein ergebener Sklave!" Er kuschelte sich demonstrativ unterwürfig an seinen Kariat. Kyuujo verzog missbilligend das Gesicht. "Junge, das ist kein Spiel! Für einen Seelenleser ist es schwierig in Slarivestos, glaub es mir! Du weißt doch, dass sie ungern *Zweihörner* halten, weil sie als labil und schwierig gelten, was meinst du wohl, woran das liegt? Seelenleser werden verrückt mit all dem Elend, in dem sie leben sollen!" "Es ist nicht so, dass sie alle wie Vieh gehalten werden, viele werden gut gepflegt und wie kostbares Eigentum geschätzt," wagte Maris zu bemerken. Als Barde war er natürlich schon öfter dort gewesen. "Ich kann nicht hier versauern, wenn ich weiß, dass ich an diesen Zuständen etwas ändern könnte," meldete sich Valerian zu Wort. "Als Prinz kann ich es nicht mit ansehen. Als Magier muss ich handeln. Als Kariat eines Drachen dreht sich mir der Magen um bei der bloßen Vorstellung, dass es ein Land gibt, in dem Eikyuu keine Rechte hat. Und meine Seele... meine Seele sehnt sich danach, dieses Unrecht endlich zu beenden. Die Rächer haben schon immer Rache für die Sklaven genommen, die in Slarivestos umkamen, weil sie nicht gut genug behandelt wurden oder einfach einer Laune ihres Herren zum Opfer fielen!" Eikyuu klammerte sich immer noch an ihn. "Ich werde nicht noch einmal meinen Geliebten an sein eigenes Schicksal verlieren, dafür sorge ich." Er befürchtete allmählich, dass Valerian doch zu sehr der Rächer war, der in ihm schlief. "Ich werde Euch begleiten," setzte Maris fest. "Ich kenne mich einigermaßen in Slarivestos aus, weiß über die Bräuche und Gesetze bescheid und spreche die Sprache." "Nehmt mich mit!" verlangte Shisei erneut. "Ich kann nicht hier bleiben und warten, wenn ihr sowas macht!" Alle starrten sie an. Eliza hielt sie immer noch fest. "Du kannst nicht mit, Kleines, sie werden dich einsperren und vielleicht..." Sie wollte gar nicht daran denken, was einem Drachenkind dort alles passieren konnte. "Ich glaube, dass wir sie mitnehmen sollten," meinte Maris. "Es könnte sich herausstellen, dass..." "Dass Ihr ein Sklavenhändler seid, oder was?" unterbrach Noctivagus ihn. "... ihre Anwesenheit vom Schicksal gewollt ist," beendete der Barde unbeirrt seinen Satz. Er wandte sich dem Schattenmagier zu. "Ich weiß, dass Ihr Euch für das Kind verantwortlich fühlt. Warum kommt Ihr nicht auch mit? Ich habe schon eine Idee für eine Story, die wir den Leuten auftischen können. Und ich habe einen Bekannten dort, bei dem wir unterkommen könnten." "Ich erlaube das nicht!" protestierte Eliza mit Tränen in den Augen. "Bevor ich Euch mit meinem Sohn und dem Kind gehen lasse, verlange ich einen Beweis, dass wir Euch vertrauen können," teilte Kyuujo dem Barden mit. "Öffnet mir Euren Geist! Hört auf, Euch zu sperren! Wenn ich sehe, dass Ihr nichts Böses wollt, werde ich dem Plan eventuell zustimmen." "Ich kann Euch nicht erlauben, in meinem Geist herumzuschnüffeln," antwortete Maris sofort. "Reicht es Euch nicht, dass das Mädchen mir vertraut? Und behauptet nicht, sie sei nur ein Kind, das man leicht täuschen könne." "Er ist nicht böse!" rief Shisei. "Wirklich nicht," fügte Maris hinzu, sie freundlich anlächelnd. Er wandte sich wieder den anderen zu. "Wenn alle Stricke reißen, können wir Slarivestos doch wieder verlassen. Lasst mich mit Shisei, Eikyuu, Valerian und Noctivagus gehen. Gebt uns eine bestimmte Zeit, und wenn ihr nichts von uns hört, holt uns zurück." Kyuujo atmete tief durch, versuchte, sich zu beherrschen. "Mein Sohn macht eh, was er will. Aber Shisei ist zu klein... sie kann sich ja nicht einmal an ihr früheres Leben erinnern! Naja, ist vielleicht auch besser so..." "Ich kann die Geister sehen! Sie bitten um Hilfe!" wiederholte das Kind. "Wir verlieren wertvolle Zeit. Ziehen wir uns an," meinte Valerian und verschwand, um seine Kleidertruhe nach etwas Geeignetem zu durchsuchen. "Pack was Einfaches für mich ein," rief Eikyuu ihm nach. Noctivagus verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ich soll dann wohl Euer Sklave sein, oder was?" hakte er nach. "Nun ja..." Maris grinste schief. "Wie gesagt, ich hab schon eine Geschichte auf Lager, die ich Euch unterwegs erzählen könnte. Gehen wir uns auch umziehen?" "Ich auch!" quäkte Shisei ungeduldig. Eliza ließ sie zögernd los. "Bitte... passt auf sie auf! Sie ist nicht von meinem Blut, aber ich habe sie geboren und sie ist wie eine echte Tochter für mich! Ich kann sie wohl nicht aufhalten, ohne sie unglücklich zu machen..." Die Magierin schlug weinend die Hände vor dem Gesicht zusammen. Kyuujo nahm sie tröstend in die Arme. "Mein Sohn geht mit. Es wird sicher alles gut," meinte er und versuchte dabei, überzeugend zu klingen. "Mami... bitte sei nicht böse," bat Shisei. "Geh," schluchzte Eliza. "Sei vorsichtig und komm gesund wieder. Mach immer, was die Erwachsenen sagen." Die Kleine nickte und folgte Maris und Noctivagus. Eikyuu packte ein paar Vorräte für die Reise zusammen, während er auf die anderen wartete. Er selbst zog sich nicht an, schließlich sollte er fliegen. "Bring deinen Schüler in einem Stück wieder, sonst haben wir all die Jahre umsonst auf der Insel verbracht," bat Patrizia ernst. Auch die übrigen Magier hatten Teile der Unterhaltung mitbekommen, hielten sich jedoch weitgehend heraus. "Wir werden vielleicht einen Monat wegbleiben, schätze ich," sagte Eikyuu. "In der Zeit werden wir keine Wunder wirken, aber wir tun, was wir können." Valerian kam bald darauf aus dem Baumhaus, gekleidet in etwas vornehmere Reisekleidung, die jedoch nicht erkennen ließ, dass er ein Magier war. Sein Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Sein brauner Umhang hatte keine Runen am Saum. Er hatte ein Bündel Gepäck dabei, und Eikyuu gab ihm das Vorratspacket dazu. Nicht lange, und die restlichen Mitreisenden waren ebenfalls bereit. Noctivagus übergab sein Gepäck an Maris, der in einer eher unauffälligen Bardenkluft zu reisen gedachte, aber einen Haufen andere Klamotten und sein Instrument dabei hatte. Das Rächerhorn in der neuen Scheide trug er über der Schulter, Valerian das seine wie immer an der Seite. Da Noctivagus auch als Drache größer war als Eikyuu, flog Shisei bei ihm und Maris mit. Das Gepäck trugen die Drachen jeweils an einem Seil um den Hals. Eliza gab ihnen noch ein Bündel mit Kleidung für ihre Tochter und verabschiedete sich unter Tränen von ihr. "Schaffen wir es in einem Stück?" wollte Valerian wissen. "Wenn die beiden fit sind, müsste es gehen," meinte Maris. Eikyuu und Noctivagus stießen sich vom Boden ab. //"Vergiss nicht, deinen Schattenzauber abzulegen, wenn wir ankommen,"// erinnerte der Seelenleser seinen Freund. "Au ja, dann sehen wir Taika wieder," freute sich Valerian. Kyuujo und der Elementarkreis sowie die Familien der Mitglieder standen am Strand und winkten ihnen, dass man meinen könnte, es sei ein Abschied für immer. Die Abreisenden fanden das leicht übertrieben. Die beiden Drachen hatten natürlich Spaß an ihrem Flug. Und ihre Reiter genossen die Reise ebenso. Sie stellten fest, dass Maris die Telepathie beherrschte - was aber für einen in Menschengestalt wiedergeborenen Drachen nicht wirklich verwunderlich war. //"Ich dachte mir, dass Valerian ein verwöhnter Sohn eines reichen Kaufmanns oder sowas sein könnte, der unbedingt mal mit mir nach Slarivestos kommen wollte, weil ich da ja schon so oft war und weil wir uns ja schon aus unserer Kindheit kennen,"// schlug der Barde vor. //"Ich habe bereits ein paar Drachen freigekauft, aber das weiß keiner, also kann ich behaupten, dass ich mit deinem Vater gute Geschäfte mache, Val. Noctivagus habe ich für mich behalten. Du musst dir was ausdenken, woher du Eikyuu hast. Und denk dir einen anderen Namen für ihn aus."// //"Eien. Das hat die gleiche Bedeutung wie sein richtiger Name und eine der alten Runen ist gleich,"// beschloss Valerian sofort. //"Was ist mit Shisei?" wollte Noctivagus wissen.// //"Ich sage einfach, dass ich sie von einem Reisenden gekauft habe, als sie ein Baby war, so dass keiner weiß, was für ein Drache sie ist."// //"Wer ist dieser Freund, von dem du erzählt hast?"// //"Ein Magier, der Halseisen für die Drachenhändler herstellt. Er hat keine Ahnung, was meine wirklichen Motive sind. Wir können bei ihm Eisen für euch erwerben.// //"Du machst wohl Witze!"// empörte sich Noctivagus. //"Willst du einen Rückzieher machen?"// hakte der Barde nach. //"Es wird schon gehen,"// meinte Eikyuu. //"Aber Shisei können wir das nicht zumuten."// //"Kein Problem, sie ist ja noch ein Kind,"// beruhigte Maris die anderen. Die Landschaft, über die sie hinweg flogen, kam Valerian vage bekannt vor von ihrer Reise zum Drachentreffen, nur dass sie dieses Mal bewusst auf das Land der Sklavenhändler zuhielten, anstatt ihm auszuweichen. Eikyuu fiel ein wenig hinter Noctivagus zurück. Seine Flügel kamen kurz aus dem Takt, als er zu ihm aufschloss. Der Prinz musste sich gut festhalten. //"Alles in Ordnung, Kyuu?"// //"Klar, wieso nicht? Bin höchstens etwas nervös."// //"Ich weiß nicht, ob ich das schaffe... deinen Herrn zu spielen und dich wie einen Sklaven zu behandeln, meine ich,"// gab Valerian zu. //"Es ist schließlich nicht nur eins unserer Spielchen um Dominanz..."// //"Du wirst es schon hinkriegen,"// antwortete Maris statt des Drachen. //"Denk daran, dass du überzeugend sein musst. Die Slarivester sind sehr streng und herrisch zu ihren Drachen. Müssen sie auch, damit die Drachen nicht merken, dass sie eigentlich die Stärkeren sind. Fast wie mit Pferden..."// //"Was für ein Vergleich,"// stöhnte Valerian. Unter ihnen zog die Landschaft von Silvania dahin. Sie würden dieses Mal nicht Slarivestos ausweichen. Daher lohnte es sich auch nicht, in Silvania Rast zu machen, obwohl sie gerne ihre Bekannten dort wieder gesehen hätten. Als natürliche Grenze zwischen den beiden Ländern diente das Gerfisgebirge. Von Lacuris trennte Slarivestos ein breiter Fluss, fast schon ein Strom, der Arnet. Wenn man als Sklave aus Slarivestos zu den Nachbarn entkommen wollte, galt es, diesen Fluss oder das Gebirge zu überwinden. Beides war nicht einfach und hatte schon viele Leben gekostet, aber die Zahl der Flüchtlinge hatte in den letzten Jahrzehnten auffällig abgenommen, nämlich seit es keine Rächer mehr gab. Eikyuu strauchelte über Gerfmag, dem größten Berg des Gerfis-Gebirgszugs. Er fing sich wieder, aber nun war deutlich, dass es ihm nicht gut ging. Valerian merkte, dass der Drache schnell atmete, ja geradezu keuchte. Er warf einen Blick zu Noctivagus und seinen Reitern hinüber. Sie hatten es auch bemerkt. //"Geh runter!"// schrie der angehende Allmeister dem Seelenleser in Gedanken zu. Eikyuu sank rasch tiefer, fast zu schnell. Er hatte Mühe, sich gerade in der Luft zu halten. Sie konnten noch nicht landen, denn sie waren noch über den Ausläufern der Berge, aber wenigstens sank er so tief wie möglich, um einen eventuellen Absturz nach Möglichkeit abzuschwächen. Valerian sah sich schon an einer Felswand zerschellen, als sie endlich offenes Gelände erreichten. Eine Anzahl Schafe stob aus dem Weg, als Eikyuu mit einem heiseren Aufschrei zu landen versuchte. Kurz vor dem Boden nahm er seine Menschengestalt an, so dass Valerian von seinem Rücken geschleudert wurde, statt unter ihm begraben zu werden. Der Seelenleser spürte einen scharfen Schmerz von seinem Partner, seinen eigenen ignorierend, dann wurde es schwarz um ihn. *** Das nächste bewusste Gefühl, zu dem Eikyuu fähig war, bestand wiederum aus Schmerzen. Sie waren in all seinem Muskeln, und jeder Knochen schien zersplittert zu sein, jede Sehne gerissen und die Haut verbrannt. Aber er wusste es besser. Gift. Sein Vater hatte doch Recht behalten. Er hätte damit rechnen müssen: Es gab Gifte, die bei Menschen nicht wirkten, auch nicht bei Drachen, wenn sie Menschengestalt annahmen. Aber das Gift blieb im Körper und wirkte nach der Verwandlung. Früher hatten manche Menschenvölker bewusst solche Substanzen eingenommen, damit die Drachen sie nicht fraßen. Oder jedenfalls nicht mehr als einen von ihnen. Aber Drachentöter? Ein anderer hätte sich wieder in den friedlichen Nebel der Bewusstlosigkeit geflüchtet, aber nicht Eikyuu. Er öffnete mühsam die Augen und versuchte festzustellen, wie schlimm er verletzt war. Den Absturz konnte er nicht heil überstanden haben. Und Valerian? Hoffentlich war ihm nichts Ernstes passiert. Es roch nach Kräuterzubereitungen, als ob Kyuujo etwas zusammengerührt hatte. Aber der Raum war kein bekannter. Und Eikyuu merkte schon bald, dass seine Füße mit schweren Ketten gefesselt waren. Seine Hände waren jeweils an eine Seite des Bettgestells gekettet, das ebenfalls aus Eisen bestand und nur mit dem Kopfende an der steinernen Wand stand, zu beiden Seiten war etwas Platz. Das Fenster war vergittert. Jedoch war die Einrichtung ansonsten befriedigend, wie ein Ort, an dem man Gefangene festhielt, denen man keinen Schaden wünschte. Also mussten sie wohl Slarivestos erreicht haben. Dafür sprach auch das Halseisen. Ihm war bekannt, dass die Slarivester solche Eisen verwendeten, um Sklaven als solche zu markieren, aber sie bewirkten auch, dass man nicht seine Drachengestalt annehmen konnten. Als hätte er sein Erwachen bemerkt, betrat ein kleiner, gebeugter Greis mit schütterem Haar das Zimmer. Er stellte einen Kerzenhalter mit drei brennenden Kerzen auf einen Steinblock neben dem Bett. Eikyuu hatte das Licht mit seinen Magieraugen nicht gebraucht. Erleichtert stellte er fest, dass ein Schattenzauber auf ihm lag, der seine Silberaugen grau aussehen ließ. War Noctivagus in der Nähe? Der kleine Mann betrachtete ihn im Kerzenschein. "Der Drache ist wach!" schrie er schrill, dass es Eikyuu in den Ohren schmerzte. Kurz darauf wurde es voll in dem kleinen Raum. Drei Kinder, etwa acht bis vierzehn Jahre alt, stürmten herein, um ihn zu begaffen wie einen seltenen Fisch an der Angel. Die Mutter folgte, gebot ihnen aber nicht, etwas leiser zu sein, was Eikyuu sehr begrüßt hätte. Sie trug Gewänder aus Wolle, so gewebt, dass sie bunte Muster zeigten. Mit einer geübten Bewegung zog sie ihm die Decke weg und entblößte zu seinem Entsetzen seinen nackten Leib. Vor Schreck sog er scharf die Luft ein, und seine Lungen dankten es ihm mit einem heftigen Stechen und Brennen. Die Frau betastete fachmännisch seinen Körper an zahlreichen Stellen, an denen kleine Wunden oder blaue Flecken waren. An seinem rechten Knie war ein dicker, fester Verband, an seinem linken Oberarm ebenfalls. Also war er wohl rein medizinisch gesehen in guten Händen, aber ansonsten ließen die Berührungen kalte Schauer über seinen Körper jagen. Die Frau tat ihre Arbeit, nichts weiter. Sie tat es etwa so, wie man das Dach eines Hauses repariert, mit kalter Sachlichkeit. Ohne mehr für ihn zu empfinden als etwa für ein wertvolles Möbelstück, wechselte sie seine Verbände und rieb ihn mit Salbe ein. Schließlich schloss sie die Kette an seinem linken Handgelenk auf. "Verstehst du meine Sprache?" Slarivestisch. Er nickte schwach. "Ich werde dich auf die Seite drehen, um deinen Rücken zu untersuchen. Verhalt dich ruhig, auch wenn es schmerzt." Sie wuchtete ihn halb herum, schließlich war er nicht schwer. Er gab ihr die Genugtuung eines leisen Wimmerns, aber es entsprang eher geistiger Qual als körperlicher. Offenbar hatte er eine Verletzung am linken Schulterblatt. Sie entfernte ein festgekrustetes Stück Stoff, rieb Salbe auf die Stelle und drückte ein neues, sauberes Stoffstück darauf. Bevor sie ihn wieder auf den Rücken drehte, legte sie eine andere Unterlage unter seinen Unterleib. Hatte man sich um seine körperlichen Bedürfnisse kümmern müssen, während er bewusstlos gewesen war? Wie peinlich. Er hasste den Gedanken, dass fremde Hände ihn gewaschen und verarztet hatten. Wie lange war das her? Letztendlich lag er wieder so wie vorher, und sie fesselte ihn erneut. Als ob er flüchten konnte! Das Gift benebelte ihn noch zu sehr, als dass er seine Magie hätte einsetzen können. Sie flößte ihm Wasser ein, das er gierig trank. Aber sie deckte ihn nicht wieder zu, sondern holte ihren Mann. Dieser war ein großer, kräftiger Kerl mit einem Schnauzbart. Sein Haar leuchtete rot im Kerzenschein. Freundlicherweise scheuchte er die Kinder hinaus, die aufgeregt plappernd dabeigestanden hatten, und auch den anderen Mann. Aber der Blick, mit dem er den Patienten musterte, gefiel selbigem überhaupt nicht. "Ein Menschgeborener, ganz klar. Solche werden nur als Lustknaben gehalten, sind sonst einfach zu schwach, als dass es sich lohnt. Der hier ist aber auch ein hübscher, das muss man zugeben." Er griff Eikyuu zwischen die Beine, als wäre das ganz normal. "Nein, nicht!" entfuhr es dem Drachen, ehe er sich erinnerte, wo er war. Der Mann schlug ihn mit der flachen Hand hart ins Gesicht. Eine weitere Ermahnung hielt er nicht für nötig. Eikyuu verkrampfte sich, während der Fremde ihn mit rauer Hand massierte. Es war eine Überprüfung seiner Tauglichkeit, sonst nichts, und er schluchzte, wo er sonst lustvoll gestöhnt hätte. Das Paar beobachtete ernst seine körperliche Reaktion. Die schien soweit in Ordnung zu sein, auch wenn es ihm nicht gefiel. Der Mann rieb gekonnt weiter, ohne dass er selbst dabei Erregung empfand. Kurz vor dem Höhepunkt nahm die Frau ein Tuch zur Hand, um den Erguss aufzufangen. "Der Herr wird erfreut sein, dass seinem Drachen nichts passiert ist, jedenfalls nichts Dauerhaftes," murmelte der Mann. Eikyuu fühlte sich zutiefst erniedrigt. Ansätze von Tränen glitzerten in seinen Augen. Er wollte fragen, wie es Valerian ging und wo er war, aber einem Sklaven stand es nicht zu, Informationen zu verlangen. Dennoch konnte er sich nicht zurückhalten, er musste es einfach wissen. "Verzeiht... geht es meinem Herrn gut?" Die Frau wandte sich ihm überrascht zu. Sie streichelte etwas spöttisch sein Gesicht. "Interessiert dich das?" "Du bist offenbar geflogen, obwohl du dich vergiftet hattest. Wenn ich dein Herr wäre, würdest du dafür ordentlich Prügel kassieren," drohte der Mann. Seine Partnerin deckte ihren Patienten wieder zu. Sie antworteten ihm beide nicht, sondern verließen ihn einfach und nahmen auch die Kerzen mit. Noctivagus war zutiefst erschüttert von den Zuständen, obwohl er sie nicht zum ersten Mal sah. Aber er hatte noch nie unter Sklaven gehaust. Wenigstens musste er das nicht die ganze Zeit tun. Er nahm seine Mahlzeiten bei den anderen Sklaven der Familie ein, die sie aufgenommen hatte. Tagsüber half er ihnen bei ihren Arbeiten und horchte sich bei der Gelegenheit ein wenig um. Die Familie hatte vier Sklaven, einen Mann und drei Frauen. Noctivagus hatte nicht herausfinden können, was für Drachen sie waren, denn das war kein beliebtes Gesprächsthema. Er wusste aber bereits, dass jede der Frauen ein oder zwei Kinder gehabt hatte, die verkauft worden waren. Drachen wurden normalerweise nicht im Lesen und Schreiben unterrichtet, nur in Ausnahmefällen. Wenn man ein Volk unterdrücken wollte, tat man das am besten, indem man es dumm bleiben ließ. Davon abgesehen sprachen manche Slarivester ihrem Pferd mehr Intelligenz zu als ihrem Drachen. Sie waren Arbeiter und Reittiere, im Falle eines Krieges im Kampf einsetzbar. Dementsprechend war ihre Unterkunft kaum besser als ein Stall, aber wenigstens war es ein guter, sauberer Stall. Sie mussten auf dem Boden auf Decken und Stroh schlafen und hatten nur das nötigste an Kleidung, andererseits jedoch alles, was sie brauchten. Abends und Nachts war Noctivagus bei Maris, der ihm den Namen Vagas gegeben hatte. Natürlich schlief er auf dem Boden und nicht etwa im Bett des Barden. Aber der Blonde gab sich sehr exzentrisch und bestand darauf, dass er seinen Sklaven in seiner Nähe brauchte, weil dieser sich mit seinem Gepäck und allen anderen Angelegenheiten auskannte, und er fand Halseisen unästhetisch, weil sie nicht zu der etwas extravaganten Kleidung passten, mit der er auch seinen Sklaven versah, passend zu seiner eigenen. Außerdem musste Noctivagus auf Shisei aufpassen. Sie folgte ihm immer wie ein Schatten, und das war gut so, denn Jungdrachen waren begehrte Handelsware, wie er ja schon erfahren hatte. Sie trug Maris' Laute oder andere Kleinigkeiten und schwieg meistens, wie ein braves Sklavenkind. Die Familie war recht wohlhabend. Sie hatten den Barden herzlich aufgenommen und den besten Arzt für Valerian kommen lassen. Zufällig waren die Eheleute Kendra und Tronet von Beruf Drachenheiler. Sie kannten sich auch mit Zucht und Züchtigung von Drachen aus. Der Vater von Tronet hatte einen Betrieb, der allerhand Fesselmaterial und magisches Gerät für diesen Zweck herstellte. Dessen Frau verstand sich auf Zauber, um Magie von Drachen zu zerstören, falls sie jemals in ihnen erwachte. Unausgesprochen blieb die Möglichkeit, dass ein Drache zu ihr gebracht wurde, der erwachsen gefangen und davor als Magier ausgebildet worden war... Noctivagus hatte - dank seiner Schattenmagie - mitbekommen, wie sie Eikyuu behandelten. Sie hatten sich gut um ihn gekümmert, das musste man zugeben, und sie verstanden ihr Handwerk, auch wenn sie es anders ausübten als Kyuujo, obgleich es denselben Namen hatte. Es fehlte dabei nicht an Sorgfalt, denn es war ja von Interesse, einen Drachen gesund zu pflegen, den der Besitzer schätzte, wie Maris ihnen versichert hatte. Aber wie sie mit Eikyuu umgingen, war einfach gefühllos. Sie sorgten für seinen Körper, aber nicht für seine Seele. Der Flammentänzer hatte noch ein ganz anderes Problem: Wenn die Frau ihre Mittelchen braute, wollte er ihr zu gerne Verbesserungsvorschläge machen oder seine Erfahrungen mit ihr austauschen, denn manches machte sie anders als er, aber es schien gut zu klappen, anderes war längst überholt. Noctivagus konnte sich nur schwer zurückhalten. Als Maris das merkte, hatte er sogleich eine Lösung. Er begann ein entsprechendes Gespräch und erzählte dann, er habe es anderswo so und so gesehen, wobei er Worte benutzte, die Noctivagus ihm telepatisch übermittelte. Die Leute zeigten sich interessiert und gaben auch gern Auskunft. Sie waren auf ihre Art nett, aber typische Slarivester. Als solche versuchten sie auch, sich bei den Gästen einzuschmeicheln, auch wenn zumindest Valerian es zunächst nicht merkte, denn er war am Kopf verletzt und kam lange nicht zu sich. Sie konnten ihm Nahrung einflößen, aber er bekam es nicht wirklich mit. Als Eikyuu erstmals erwachte, waren sie bereits vier Tage in Slarivestos. Die Nachricht erreichte Maris am nächsten Morgen. "Der Drache Eures Freundes ist zu sich gekommen. Er ist soweit in Ordnung, muss sich nur noch von seinen Verletzungen erholen," sagte Kendra ihm. Der Barde drückte Noctivagus seine Laute in die Hand, auf die er eine neue Saite aufgezogen hatte. "Darf ich nach ihm sehen? Val hängt wirklich sehr an ihm. Wenn er aufwacht, will ich ihm antworten können, denn seine erste Frage wird sein, wo sein Lieblingssklave ist." "Natürlich." Sie führte ihn zu einem kleinen Nebengebäude, das aus einigen Lagerräumen, Vorratskammern und Krankenzimmern für Drachen bestand, denn sie beherbergten manchmal die kranken Sklaven ihrer Kunden, wenn diese nicht zu Hause behandelt werden konnten. Maris ahnte Schlimmes, und tatsächlich fand er Eikyuu in einem Bett vor, an das er gefesselt war. Der Seelenleser sah ihm geradezu ängstlich entgegen. //"Maris! Wo ist Valerian? Ist er in Ordnung?"// Doch er kam nicht dazu zu antworten, denn in dem Moment zog die Frau die Decke weg und präsentierte den Sklaven in seiner ganzen Pracht, sofern man das mit den verbliebenen Verletzungen so nennen konnte. "Wie Ihr seht, ist er bald wieder geheilt." Eikyuu biss sich auf die Lippe und starrte an die Decke. Maris gelang es, sachlich zu bleiben, man merkte ihm nichts an. Er betrachtete die Verletzungen. "Was ist mit seinem Knie und dem Arm?" "Die Stellen sind stark geprellt und haben geblutet, nichts weiter. Er hatte Glück." Maris nickte, nahm die Information zur Kenntnis. "Valerian ist ja noch nicht zu sich gekommen, aber bis es soweit ist, werde ich mich um den Sklaven kümmern. Schickt ihn zu mir, sobald man es verantworten kann. Wenn er zu lange gefesselt ist, liegt er sich wund und seine Muskeln erschlaffen." Damit hatte er heimlich ein paar Informationen übermittelt. //"Er ist verletzt, aber auf bestem Wege,"// fügte er für Eikyuu hinzu. //"Halte noch etwas durch. Es ist in Slarivestos nicht üblich, kranke Sklaven in seine Räume zu lassen."// Der Seelenleser schloss schicksalsergeben die Augen. //"Na gut..."// //"Medizinisch gesehen bist du in guten Händen,"// versicherte der Barde ihm. Er wandte sich an die Frau. "Ist es nötig, ihn die ganze Zeit ans Bett zu fesseln? Er ist das nicht gewohnt, es macht ihn nervös." Nebenbei deckte er Eikyuu wieder zu. "Nun, wenn Ihr meint, dass er dann nicht abhaut? Euer Risiko," lenkte sie ein. Maris nickte und löste die Fesseln mit einem Schlüssel, den sie ihm reichte. Der Drache fühlte sich gleich besser. Aber das war alles kein guter Start für ihre Mission... *** Fortsetzung folgt. Anmerkung: Die Namen der Slarivester habe ich willkürlich kreiert. Allerdings hatte ich mal eine Dozentin, die Kendra hieß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)