Eternity Special von Purple_Moon (Kleine unwichtige Episoden aus dem Leben meiner Helden - Leserwünsche willkommen!) ================================================================================ Kapitel 1: Shitai ----------------- Eternity Special ist - oder soll werden - eine Ansammlung kleiner Geschichten, meist aus der Ich-Perspektive eines Charas aus Eternity, die einfach nur aus Spaß an der Freude entstehen, weil sie mir gerade so einfallen. Sie sind nicht wichtig für das Verständnis der Hauptgeschichte, können aber durchaus etwas Licht in bisher nicht näher beleuchtete Aspekte bringen. Ich hoffe, sie sind auch lustig. Da dies keine Fortsetzungsgeschichte ist, gebe ich "abgeschlossen" an, obwohl es hin und wieder in unregelmäßigen Abständen eine neue Episode geben wird. Jede wird aber in sich abgeschlossen sein und ihr könnt sie in beliebiger Reihenfolge lesen. Zugleich habt ihr hier Gelegenheit, eure eigenen Wünsche einzubringen. Fragt mich irgendwas, was ihr schon immer über Eternity wissen wolltet, z.B. wie Kyuujo und Choukyuu sich kennen lernten oder wie Taika auf die Idee kam, ein Schattenmagier zu werden. Ich werde dann versuchen, eine kleine Episode darüber zu schreiben, um die Frage zu beantworten. Allerdings bitte ich um etwas Geduld, denn ich will demnächst auch versuchen, an der Uni meine Zwischenprüfung in Japanologie zu machen (was mich, wenn ich Ideen habe, nicht wirklich vom Schreiben abhält...). Davon abgesehen kann es sein, dass mir zu der Frage erst einmal nichts einfällt... Aber Anregungen sind immer willkommen.^^ Zum besseren Verständnis dieser Episode solltet Ihr Eternity II gelesen haben. Eternity Special: Shitai Timarios ist ein Rächer. Davon sind zumindest wir überzeugt, die wir zu den Drachen gehören, die sich *die Rächer* nennen. Aber die Windsegler behaupten ja auch, Caelis sei eine Windseglerin. Jede Art hat eine Gottheit, die sie als zu ihrer Art gehörig beansprucht. "Du schon wieder. Naja, du bist eigentlich eine der Letzten." "Ich muss zurück!" Meine Forderung ist vielleicht etwas übertrieben hitzig, wenn man bedenkt, dass ich sie an einen Gott richte. Aber ich bin gerade zusammen mit meiner ganzen Sippschaft umgebracht worden, und als Rächer kann ich das nicht einfach durchgehen lassen. Timarios seufzt gedehnt. Er zeigt sich in der Drachengestalt meines Großvaters, den ich immer sehr geschätzt und verehrt habe. "Du weißt so gut wie ich, dass das nicht geht. All deine Stammesgenossen sind tot. Das heißt, bis auf einen. Aber ob dieser noch Kinder zeugen wird, ist fraglich." "Ich kann nicht dulden, dass der Verbrecher ungestraft davonkommt!" rufe ich aus, schreie ihn in meiner Verzweiflung fast an und benehme mich dabei wie ein hysterisches Weibsbild, obwohl ich immer recht maskulin war, selbst wenn ich als Weibchen wiedergeboren wurde. "Ich kann dich zurückschicken," lenkt Timarios ein. "Aber nicht als Drache. Und wenn du kein Rächer bist, wirst du dich an nichts erinnern. Weder an deine ermordeten Kameraden noch an den kleinen Seelenleser, um den du so getrauert hast. Wieso hast du dich ihm nie zu erkennen gegeben?" Ich blicke betreten auf meine Füße. Da ich als Menschenfrau gestorben bin, habe ich diese Gestalt noch. "Ich war als Geist eine Weile bei ihm, wie du weißt, damals, nachdem ich umgekommen war. Sein Leid hat mir das Herz gebrochen. Ich wollte zu ihm zurück, aber als ich mich nach meiner Wiedergeburt daran erinnerte, entschied ich mich dagegen, denn es war vernünftiger, ihn in Ruhe zu lassen. Er hätte mich wieder verloren, und ich wollte ihm diesen Schmerz ersparen. Rächer neigen nun einmal dazu, sich für ihre Berufung aufzuopfern und zu opfern. Das ist der Grund, warum wir unter uns bleiben und warum es dumm von mir war, diese Beziehung mit ihm überhaupt anzufangen." Die Erinnerung an Eikyuu ist fast mehr, als ich ertragen kann. Ich wusste all die Jahre, dass ich ihn verloren hatte, dass ich ihn zurückbekommen könnte, ihn aber wieder traurig machen würde. Also habe ich entschieden, mich ihm nicht zu zeigen. Zu Anfang kam er in unser Dorf, wahrscheinlich, um nach mir zu suchen. Ich hatte ihm erzählt, dass wir wiedergeboren werden können. Er ging durch das Dorf und sah sich hoffnungsvoll um, und ich sah ihm dabei zu und schwieg. Mein Schmerz quälte mich, aber ich sagte mir, dass seiner nachlassen würde, wenn er jemand anderen findet. "Timarios. Schick mich als Mensch zurück. So kann ich mich Eikyuu nähern, ohne befürchten zu müssen, dass mein Schicksal uns wieder trennt!" bitte ich meinen Gott. "So einfach ist das nicht. Selbst wenn du ihn triffst, wirst du ihn nicht erkennen," widerspricht er. "Und außerdem... Wenn du Rache willst, wirst du dich erneut in Gefahr begeben." "Aber ich glaube daran, dass ich mein Ziel erreichen kann. Ich will mein Dorf rächen und Eikyuu zurückgewinnen - falls er noch frei ist. Selbst als Mensch werde ich es schaffen." "Nun, wenn du dir dessen so sicher bist. Aber denk daran, ein Menschenleben ist knapp bemessen, du hast nicht viel Zeit." Ich nicke bedächtig. Vielleicht würde ich mehrere Versuche brauchen, aber Aufgeben kommt nicht in Frage. Eine Frage habe ich noch. "Der Rächer, der noch lebt, wer ist das?" "Der eine, der noch nicht hier war, ist ein Junge, Shisei." "Shisei hat überlebt?" Ich sinke zusammen und weine vor Freude, wie es nur eine Mutter tun kann. "Dann ist meine Art doch noch nicht verloren! Wo ist er, geht es ihm gut?" Timarios nimmt die Menschengestalt meines Großvaters an, um mir bedauernd in die Augen blicken zu können. Wahrscheinlich weiß niemand, wie er wirklich aussieht. "Du weißt doch, dass ich dir darüber keine Auskunft geben kann, selbst wenn ich es wüsste." Er schreitet nachdenklich auf und ab. "Es gibt etwas, das ich für dich tun könnte. Aber es wird schwer für dich sein, denn irgendwann wirst du dich daran erinnern und geschockt sein. Doch du wirst erkennen, dass es nötig war." Ich blicke stirnrunzelnd zu ihm auf. "Was meinst du?" "Ich muss dich mit Wissen versorgen, das du später brauchen wirst. Vertrau mir. Du wirst die Kraft haben, das zu schaffen, wenn die Zeit reif ist." "Sofern dein Plan funktioniert." "Hab ich mal erwähnt, dass du von allen Rächern die frechste bist?" "Kann ich wieder ein Mann werden?" "Siehst du, was ich meine... Aber ja, da wo ich dich hinschicke, wärst du als Frau im Nachteil. Verzeih, mein Kind, aber das wird eine harte Probe für dich werden. Willst du es tun?" Ich nicke eifrig, denn das würde sich kein Rächer entgehen lassen, und er weiß es. Ein Spezialauftrag von Timarios, sozusagen. Und die Chance, Rache zu nehmen und meinen Geliebten zurückzubekommen... "Danke, Tim, ich werde dich nicht enttäuschen!" "Nenn mich noch einmal so, und ich lege dich über's Knie!" Wir starren einander in die Augen. Er weiß, dass ein Rächer vor einer solchen Herausforderung nicht zurückschreckt. Und ich weiß, dass er seine Drohung wahr machen würde. Normalerweise würde ich... aber ich halte es für angemessen, ihn in diesem Fall gewinnen zu lassen. "Wir sehen uns sicher bald wieder, Timarios." Er setzt einen hochmütigen Blick auf. "Lieber nicht so bald." Dann zeigt er mir einen Weg, den ich beschreiten soll, und ich gehe, ohne mich noch einmal umzublicken oder mich zu verabschieden. Licht, Luft! Ich atme tief ein und schreie aus Leibeskräften. Jemand packt mich in ein Tuch und reicht mich meiner Mutter. "Ich gratuliere, es ist ein gesunder Sohn." "Oh, ich bin so froh," weint meine Mutter. Mein Vater blickt auf mich herab. "Ein strammer Knabe! Er wird einmal der einflussreichste Mann von Slarivestos sein!" "Vater, warum sind Drachen unsere Sklaven?" "Junge, wie kommst du auf so eine Frage?" "Sie können sprechen und sind intelligent, sie..." "Es spricht nichts dagegen, kluge Sklaven zu haben." "Aber Vater...!" Die Bilder wirbeln durcheinander, bis ich schließlich keuchend und schwitzend aus dem Schlaf hochfahre. Alles nur ein Traum? Oder vielleicht eher... Erinnerungen? Mein Geliebter räkelt sich neben mir. "Ist was?" "Schon gut, Towa. Schlaf ruhig weiter." Das tut er, nicht ohne mich vorher fragend anzusehen. Ich stehe auf, um mich draußen zu erleichtern. Wir sind in einem Gasthaus einquartiert, und ich verlaufe mich fast, finde aber dann doch den privaten Raum für mein Geschäft. Seufzend trete ich anschließend wieder auf den Hof, stehe nur mit einem dünnen Hemdchen bekleidet da und starre zu den Sternen. "Tim, was hast du getan... was hast du getan..." Aber ich begreife langsam. *** ~Ende~ Das war ja recht kurz... Mögt ihr Timarios? Wie gesagt wird diese Reihe fortgesetzt, wobei alle Kapitel in sich abgeschlossen sind. Bin gespannt auf eure Meinungen und Vorschläge. Kapitel 2: Klein Eikyuu ----------------------- Hab eine neue fertig! Damit hatte ich gestern erst angefangen! Diese Episode könnt ihr theoretisch ohne Vorwissen lesen, aber es ist sicher schöner, wenn ihr Eternity II schon gelesen habt. ramirez666 hat sich eine Episode über Shitais und Eikyuus gemeinsame Zeit gewünscht. Das Ergebnis ist nicht ganz passend, aber seht selbst.^^ Eternity Special: Klein Eikyuu "Hey, du bist wohl zum ersten Mal auf einem Treffen, was?" Ich fahre erschrocken herum. Vor mir steht ein älterer Junge mit schiefergrauen, schulterlangen Locken, der an seiner Kleidung als Rächer zu erkennen ist. Sie tragen nur einen Lendenschurz aus schwarzem Leder und ein bauchfreies und ärmelloses Oberteil aus sehr dünnem, grauschwarzem Stoff, dazu etwas Silberschmuck, unter anderem einen gewundenen Stirnreif, der dem Horn auf der Stirn nachempfunden ist, und Sandalen. Dieser hier trägt mehrere Paar kleiner, silberner Kreolen in beiden Ohren, doch am linken Ohr hängt eine Feder aus Silber an dem untersten Ohrring. Federn sind typisch für die Rächer, genau wie gewundene Muster. Von den Rächern habe ich schon viele unheimliche Geschichten gehört, meistens von anderen Kindern, deshalb muss ich mein Gegenüber wohl eine Weile sprachlos angestarrt haben, denn im Alter von neun Jahren habe ich ein bisschen Angst vor ihnen. Schließlich sagt man ihnen nach, dass sie den Totengott anbeten und ihm das Blut ihrer Opfer auf einem Altar darbieten. Sicher sind das teilweise nur Gerüchte, aber als Kind glaubt man so einiges. "Ich bin Shitai. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben," sagt er lächelnd. Ich merke, dass mein Gesicht rot anläuft. "Hab ich gar nicht!" lüge ich. "Ich heiße Eikyuu. Ich bin neun, aber eigentlich war ich beim letzten Treffen auch da, nämlich ganz klein im Bauch meiner Mama!" "Ah, dann bist du ein Menschgeborener. Aber kein Draconer, oder?" erkundigt Shitai sich. Er hat sehr blaue Augen, stelle ich fest, mit einem ganz leichten Grünstich, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel in sie fällt. "Warum willst du das wissen?" gebe ich patzig zurück. "Na, du hast doch gesagt, dass du im Bauch deiner Mutter warst, also hab ich nur nachgehakt," entgegnet er. Er betrachtet mich neugierig. "Hm, ich hab noch nie einen Seelenleser mit roten Augen gesehen." "Meine Großtante hat auch solche." Es gefällt mir nicht, wie er abschätzend auf mich herabblickt. Vielleicht stimmt es ja, dass Rächer die bösen Kinder fressen. Aber ich war ganz artig, und außerdem ist er auch fast noch ein Kind und ich kann nur freundliches Interesse von ihm spüren. "Dann ist deine Großtante sicher sehr schön," geht er auf meine Bemerkung ein und lächelt breit. Wie meint er das denn, was hat meine Tante damit zu tun? Jedenfalls sieht er ganz harmlos aus, wenn er lächelt, gar nicht so fies, wie manche behaupten. Ich bin bis jetzt den Rächern immer aus dem Weg gegangen, vielleicht sehen sie ja alle nett aus? Ob sie es auch wirklich sind? Shitai hat mich auf einer Bank im Schlossgarten erwischt. Ich ärgere mich, dass er sich unbemerkt anschleichen konnte, aber ich war wohl zu sehr in die Betrachtung der bunten Blumen vertieft. Noch nie habe ich so viele an einem Ort gesehen. "Ich hab dich von weitem doch glatt für ein Mädchen gehalten, du siehst aber auch aus der Nähe so aus!" meint er. Ich seufze gedehnt. "Alle sagen das. Manche merken gar nicht, dass ich ein Junge bin." Er lacht leise. "Ehrlich gesagt war ich mir auch nicht wirklich sicher!" Ich kann nicht anders, als auch zu lachen, obwohl ich es sonst hasse, dass man mich immer für ein süßes, kleines Mädchen hält, bloß weil ich ein Menschgeborener bin. Manchmal werde ich verspottet, weil ich nicht so stark aussehe wie andere Drachen. Menschgeborene Kinder zu haben gilt eigentlich nicht als erstrebenswert unter Drachen, wenn man es vermeiden kann. Wenn meine Mutter ein Mensch wäre, sähe das anders aus, dann wäre es nicht anders gegangen. Aber meine Mutter wollte eine menschliche Schwangerschaft und Geburt erleben, das ist der einzige Grund in meinem Fall. Vielen Dank. Nun ja, vielleicht wird tatsächlich einmal der Tag kommen, an dem mir das egal ist, weil man mich trotzdem schätzen wird. Das zumindest meint meine Mutter. Aber wie soll ich jemals ein Weibchen finden, wo die doch alle nicht viel zierlicher aussehen als ich? Natürlich würde ich mir darüber normalerweise noch gar keine Gedanken machen, aber meine Spielkameraden ziehen mich immer damit auf. "Solche wie dich muss es auch geben," unterbricht Shitai meine Gedanken. "Du bist ein Seelenleser, deshalb ist körperliche Kraft für dich zweitrangig. Und falls du doch lernen willst zu kämpfen, wirst du bestimmt ein sehr schneller und wendiger Kämpfer, so dass du gegen einen stärkeren durchaus eine Chance haben dürftest." Ich hebe erstaunt die Augenbrauen. Er meint das anscheinend wirklich so. "Aber warum sollte ich kämpfen lernen? Die Seelenleser sind keine Kriegerrasse." "Es kann aber nicht schaden. Wir Rächer lernen von klein an, uns zu verteidigen, und nicht viel später, wie man angreift. Auch, wie man hinterhältig jemanden überfällt." "Macht ihr das wirklich?" "Manchmal. Wir töten Leute, die andere Leute ermordet haben. Deshalb wollen viele Drachen nichts mit uns zu tun haben. Wie sieht es aus, traust du dich?" Meine Augen verengen sich herausfordernd, ich nicke. Shitai setzt sich neben mich, pfläzt sich auf die Bank, als wäre es seine. Er hat etwas, eine Art, die Kinder wie ich faszinierend finden und nachahmen wollen. Ich verspüre den Wunsch, mal so zu werden wie er. "Ich bin heute zum zweiten Mal hier," erzählt er. "Letztes Mal war ich sieben. Ich hab mich ziemlich gelangweilt, weil die meisten Kinder nicht gerne mit mir spielen wollten, und von meinem Clan waren nicht viele dabei. Rächer haben immer nur wenige Kinder, es gibt auch nur noch etwa 400 von uns..." Er sieht mich neugierig an. "Du bist anders. Vielleicht, weil die Kinder dich auch als Außenseiter betrachten." "Ich bin kein Außenseiter, ich werde nur manchmal geärgert." "Ach, und warum tun sie das? Weil du anders bist, ein Menschgeborener, also ein Außenseiter. Es wird vielleicht mal eine Zeit kommen, in der Menschgeborene und Draconer mehr respektiert werden, aber davon sind wir wohl noch weit entfernt." Wieder mustert er mich, und ich merke, dass ihm gefällt, was er sieht. "Du bist ein hübscher Kerl, ich frage mich, wie du in zehn Jahren aussiehst." Seine Gedanken kann ich nicht recht deuten. "Warum? Vielleicht hast du dann schon längst ein Weibchen..." Er schweigt, lächelt aber leicht amüsiert. "Ich glaube nicht," meint er schließlich, ohne das näher zu erläutern. Ich wundere mich. Warum sollte er keine Partnerin finden, er sieht doch gut aus? Hat ein schönes Gesicht und glänzende Haare, einen muskulösen, durchtrainierten und von der Sonne gebräunten Körper, strahlende Augen... Ich stelle fest, dass ich ihn bewundere, und erneut möchte ich später mal wie er sein. Seine leicht verruchte Art fasziniert mich. Ob die wohl allen Rächern zu Eigen ist? Es ist fast Mittag und daher Zeit zum Essen. Mit einem Seitenblick auf Shitai, der sich lässig ein paar Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen lässt und dabei die Augen genüsslich geschlossen hat, entscheide ich, dass ich im Moment noch keine Lust habe wegzugehen. Welches andere Kind kann schon von sich behaupten, mit einem Rächer gesprochen, ja sogar mit ihm zusammen auf einer Bank gesessen und die Begegnung überlebt zu haben? Aber wird mir das jemand glauben? Vielleicht werden sie denken, der Menschgeborene hätte sich ein kleine Angebergeschichte ausgedacht. Davon abgesehen verspüre ich auch gar nicht den Wunsch, dieses Erlebnis mit jemandem zu teilen. Diese Erinnerung soll nur mir gehören. Er scheint zu merken, dass ich ihn ansehe, denn er wendet mir erneut seinen Blick zu. "Was ist?" Ich bin ein bisschen erschrocken. "Oh, gar nichts. Ich habe nur noch nie einen Rächer so aus der Nähe gesehen." Shitai steht auf und dreht sich langsam um sich selbst, damit ich ihn von allen Seiten betrachten kann. "Na, gefällt's dir?" Er weiß, dass er schön ist. Meine Seelenlesergabe zeigt mir ein Selbstbewusstsein, das schon an Arroganz grenzt, und das in diesem jungen Alter. Wenn meine Spielkameraden selbstbewusst tun, spüre ich bei ihnen oft Unsicherheit hinter der Fassade. Deshalb trifft es mich auch nicht so hart, wenn sie mich hänseln. Ich weiß, dass sie eigentlich nur einen Schwächeren suchen, und ich freue mich schon darauf, groß zu sein und es allen zu zeigen. "Shitai, ich möchte auch so cool sein wie du," sage ich plötzlich und merke erst hinterher, dass ich das laut ausgesprochen habe. Aber ich gebe mir Mühe, mir diese Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Der Rächer grinst selbstgefällig. "Warte zehn Jahre. Du wirst bestimmt mal so. Da hast du gar keine andere Wahl, weil du nicht so viele Muskeln haben wirst, um damit zu prahlen, also musst du ein selbstsicheres Auftreten annehmen und deinen Verstand als Waffe benutzen. Aber falls das nicht reicht... hast du gerade Zeit?" Ich zögere. Mutter und Vater erwarten mich beim Essen. Doch ich will mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen und nicke. Shitai freut sich ehrlich. "Fein! Komm mit, Kleiner." Es stört mich nicht einmal, dass er mich *Kleiner* genannt hat, denn ich merke, dass er es nicht böse meint. Ich folge ihm aus dem Schlossgarten hinaus, wobei uns die beiden Wachposten verwundert nachblicken, und gehe ihm hinterher bis zu einer felsigen Klippe am Meer. Obwohl die Sonne vom Himmel brennt, ist es hier angenehm kühl, der Wind wirbelt mein Haar auf und bläst mir salzige Tropfen ins Gesicht. Gut zehn Meter unter uns krachen die Wellen auf den Strand, manchmal bis an die Felswand. Das Meer ist aufgewühlt trotz des guten Wetters. Ich stelle mir vor, Shitai wäre mein großer Bruder, so begeistert bin ich mittlerweile von ihm. Wenn der Wind seine dunkle Mähne zerzaust, sieht er noch verruchter aus. Er atmet eine Weile die frische, salzige Luft, kostet den Augenblick voll aus, als wäre es sein letzter, und sieht dem Spiel der Wellen zu. Dann konzentriert er sich wieder auf mich, betrachtet mich nachdenklich. "Wir Rächer gehen nicht davon aus, dass wir ewig leben. Auch wenn wir unsterblich sind, kennen wir den Tod. Wir bringen ihn anderen, bis er zu uns kommt. Nur wenige von uns sterben, ohne dabei Blut zu vergießen. Doch wir verkaufen unser Leben so teuer wie möglich. Ich kann dir zeigen, wie du dich vor einem Angriff schützt. Und wie du selbst angreifst." "Mein Vater hat mir schon ein bisschen beigebracht," teile ich ihm mit. Er soll nicht denken, dass ich ein totaler Anfänger bin. Er nickt. "Wäre traurig wenn nicht. Zeig mir, was du gelernt hast." Ich demonstriere die Verteidigungspose und erkläre ihm Schritte und Handgriffe, die ich von meinem Vater gelernt habe, um mich vor allem gegen Menschen zu verteidigen, denn ich lebte die meiste Zeit unter ihnen. Es kommt mir nicht seltsam vor, dies einem Rächer vorzuführen, der vermutlich über meine Leistung nur lachen kann, da er in meinem jetzigen Alter schon eine tödliche Waffe war. Aber er beobachtet mich ernst und ohne sich über mich lustig zu machen. Als ich ihm alles gezeigt habe, woran ich mich erinnern kann - hauptsächlich grundlegende Ausweichtaktiken und Maßnahmen zu Abwehr - ahmt er meine erste Pose nach und fordert mich auf, einen Angriff vorzutäuschen. Wir haben nicht die idealen Bedingungen, weil ich viel kleiner bin als er, aber ich tue so, als hätte ich eine Waffe in der Hand und stürze mich mit verlangsamten Bewegungen auf ihn. Ich wäre jetzt ausgewichen und weggelaufen, aber Shitai packt meinen Waffenarm und drückt ihn zur Seite, zugleich schlägt er mit dem Handballen gegen meine Brust und tritt mir die Beine weg. Natürlich alles ganz langsam. "Wenn du jemandem so vor die Brust schlägst..." Er zeigt die Bewegung noch einmal. "...dann bleibt ihm glatt die Luft weg und er stolpert fast von selbst, wenn du ihn trittst. Leg deinen ganzen Arm in die Bewegung, dreh den Oberkörper. So hast du mehr Kraft dahinter." Ich staune ihn an. "Aber ich bin erst neun! Geht das schon?" Er lacht fröhlich. "Nee, du kommst ja kaum an die Brust deines Angreifers. Es sei denn, er ist ein Kind. Im Moment wäre es für dich noch besser zu fliehen. Aber es kann sein, dass es mal nicht geht. Komm, ich zeige dir, wie du deinen Gegner ganz sicher außer Gefecht setzt, auch wenn du kleiner bist. Jedenfalls, wenn der Gegner ein Mann ist." Und so unterrichtet mich Shitai für die nächsten paar Stunden, bis ich glaube, all die neuen Informationen gar nicht behalten zu können. Er warnt mich, dass er mich den Kampfstil der Rächer lehrt und dass ich lieber meinen eigenen finden soll, denn seiner ist teilweise rücksichtslos, was das Risiko für die eigene Gesundheit betrifft. Und ich muss ihm versprechen, dass ich niemandem davon erzähle, denn es ist nicht gerade üblich für Rächer, Angehörige anderer Rassen in ihre Kampftechniken einzuweihen. Er könnte deswegen Ärger kriegen, und ich fühle mich vom Schicksal auserwählt, weil er sich trotzdem mit mir abgibt. Außerdem komme ich mir jetzt auch ein bisschen verrucht vor, weil ich ein Geheimnis mit ihm teile. "Wir treffen uns morgen nach dem Mittagessen wieder bei der Bank," schlägt Shitai vor, während wir zur Festung zurückgehen. "Es ist wichtig, dass du genug isst." Seine Erwähnung von Essen lässt meinen Magen aufhorchen. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich so hungrig bin. Wir gehen zusammen in die große Halle mit den hohen Fenstern, was mich etwas nervös macht. Rächer haben ja nun nicht gerade den besten Ruf. Aber dann entscheide ich, dass ich mich wegen dieser Freundschaft nicht schämen werde. Shitai hat sogar den Mut, mich persönlich bei meinen Eltern abzuliefern, die bereits am Tisch sitzen. Er stellt sich höflich vor, und meine Eltern sagen ihm ihre Namen. "Wir haben von den Wachen erfahren, dass du mit einem Rächer weggegangen bist, aber vorher haben wir dich überall gesucht," beschwert sich Kyuujo, mein Vater. "Sag uns demnächst Bescheid, wenn du nicht zum Essen kommst! Wir machen uns sonst Sorgen!" "Du liebe Zeit, hast du dir wehgetan?" erschrickt meine Mutter Choukyuu, als sie einen Blauen Fleck an meinem Arm entdeckt, dann noch ein paar weitere an meinem ganzen Körper. "Wo warst du bloß?" Ich blicke Hilfe suchend zu Shitai auf. Er versteht den Wink. "Wir haben an der Küste nach Vogeleiern gesucht," erklärt er ruhig. "Leider haben wir keine gefunden. Dafür haben wir uns an den Felsen gestoßen." Meine Eltern sehen ihn skeptisch an, dann mich. "Ist das wahr, Junge?" hakt mein Vater nach, und ich nicke eifrig. Kyuujo sieht erneut zu dem Rächer auf, der eine Hand auf meine Schulter gelegt hat und dem Blick standhält. Doch meine Eltern sind Seelenleser. Sie wissen, dass Shitai lügt, und ihm ist klar, dass sie es wissen. Verdammt! "Wollt ihr morgen wieder Eier suchen?" fragt meine Mutter. Shitai lächelt freundlich. "Ja, da ist noch ein Stück, das wir nicht abgesucht haben." Choukyuu nimmt es zur Kenntnis. "Seid vorsichtig, dass ihr nicht noch fallt. Eikyuu, setz dich, du hast doch sicher Hunger." Da hat sie Recht. "Bis morgen, Shitai!" Ich setze mich zwischen meine Eltern und belade meinen Teller, während der Rächer sich verabschiedet und zu seinem Clantisch hinübergeht. Ich erwarte eine Standpauke, zumindest von meinem Vater, doch weder er noch meine Mutter äußern sich weiter zu dem Vorfall. Mir ist etwas unbehaglich deswegen. Ich habe Shitai mein Wort gegeben, doch es gefällt mir nicht, dass ich meine Eltern belogen habe. Plötzlich legt meine Mutter einen Arm um mich und drückt meine schmale Schulter mit ihrer kräftigen Hand. "Die Rächer sind ein geheimnisvolles, ehrenhaftes Volk, auch wenn viele dunkle Gerüchte über sie kursieren. Vielleicht hat es einen schicksalhaften Grund, dass du dich mit einem angefreundet hast. Aber pass auf dich auf. Ihre Gegenwart ist nicht ungefährlich." Mein Vater grummelt mit vollem Mund zustimmend vor sich hin. Und ich begreife, dass sie gar nichts weiter wissen wollen. *** ~Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)