Namrael's Seed von DerkhanBlue ================================================================================ Kapitel 1: Death's Messenger ~ I -------------------------------- Eine schwere, aufgedunsene Wolkendecke hing über dem Land und mit jeder Stunde schien es, als sei sie noch weiter herabgesunken. Grau, schier grenzenlos spannte sie sich, Regen verheißend, doch kein einziger Tropfen kam herab. Die Steppengräser raschelten ruhelos, als ein kühler Windstoß in sie fuhr und sich anschickte, sie mit sich zu zerren. Verdrießlich murrend massierte der Medikus seine schmerzende Schulter und starrte auf den Korb voller Fläschchen und Tongefäße, den er nun schon seit guten sieben Stunden unaufhörlich hin und her trug. Er kniff die Augen zusammen. Tatsächlich war seine Ankunft in diesem Dorf auch schon sieben Stunden her. Er wurde alt. Die Reise hatte ihn strapaziert und am Ziel angekommen, hatte er keine ruhige Minute gehabt. Welch einen Fluch hatten sich die Dorfbewohner an Land gezogen? Er hatte nicht viel Zeit zu reden gehabt, doch aus den mit angehörten Gesprächen geschlossen, dass mehr als ein Drittel aller Bewohner - zahlenmäßig nichts überwältigendes - bereits dahin geschieden war. Einige Zeit hatte er sich gefragt, wohin man die Leichname gebracht hatte - und war gleich darauf über einen behelfsmäßigen Friedhof gestolpert, der nur wenige Minuten entfernt lag. Die toten Körper waren nicht gründlich genug verscharrt worden und Verwesungsgestank hatte die sonst saubere Luft des Waldes vergiftet. Der Medikus runzelte die Stirn. War soeben der erste Tropfen Regen auf sein vom Alter zerfurchtes Gesicht gefallen? Er hielt ohne es zu bemerken den Atem an. Nein, nichts weiteres geschah. Er hatte sich getäuscht. Er seufzte resigniert, stemmte einen Arm in sein schmerzendes Kreuz und beugte sich ächzend vor, um den wuchtigen Korb zu heben. Er hätte nicht hierher kommen sollen. Er fürchtete sich nicht vor der unbekannten Krankheit, welche die Menschen hier befallen hatte, nein, da war etwas anderes. Etwas drückte auf sein Gemüt. Etwas schwermütiges hing in der regengeschwängerten Luft, ließ den Himmel noch finsterer wirken, als er es ohnehin schon war. Abermals seufzte der alte Mann. "Medikus?" Er wandte sich um. Eine Frau - sie konnte beim besten Willen nicht einmal halb so alt sein wie er - stand hinter ihm. In den Armen hielt sie ein Lumpenbündel. Mit einem angedeuteten Nicken auf das Bündel fragte der Medikus: "Was ist das? Ein Kind? Ist es deines, Weib?" Sie schüttelte den Kopf. Ein erneuter Windstoß fegte über die beiden Menschen und die sie umgebenden Gräser hinweg. Aus den zu einem Zopf geflochtenen Haaren der Frau lösten sich einige rotbraune Strähnen und wehten ihr ins ausgezehrte Gesicht. "Nach Euch wurde verlangt, alter Mann. Und nein, es ist das Kind meiner Schwester." Ihre Gesichtszüge verzerrten sich zu einer Grimasse. "Welchen Gott haben wir erzürnt, dass er uns solch eine Plage schickt? Warum dürfen unsere Kinder nicht leben? Sind nicht sie es, die am allerwenigsten für unsere Sünden können?" "Sag du es mir." Scheinbar gleichmütig zuckte sie mit den Schultern, verlagerte das zweifelsfrei geringe Gewicht des toten Kindes in ihren Armen auf die andere Seite und drehte sich zum Gehen um. "Wie ich schon sagte - nach Euch wird verlangt." Sie schritt davon. "Warte! Wo gehst du hin, Weib?" "In den Wald.", sagte sie, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. "Wir brauchen keine Leichen im Dorf. Wir haben schon genug." Der Medikus nickte leicht und wandte sich ab. Mit vor Mund und Nase geschlagener Hand durchquerte sie die Lichtung, über der ein Brechreiz auslösender Gestank einem Nebel gleich schwebte. Selbst der immer stärker werdende Wind vermochte ihn nicht zu vertreiben. Ihre Augen begannen zu tränen, als sie eilig nach einer geeigneten Stelle suchte und schließlich eine noch nicht zugeschaufelte Mulde fand, in die sie ihr Bündel fallen ließ. Sie würgte. Ihre Finger krallte sich um ihren Hals, nach Linderung suchend, doch diese nicht findend. Mit dem rechten Fuß scharrte sie in der aufgewühlten Erde herum und trat danach, bis die Mulde zur Hälfte mit feuchter Erde gefüllt war, und wandte sich zum Gehen. Plötzlich glitt ein Schatten über sie hinweg. Sie wirbelte alarmiert herum. Die Baumkronen raschelten im Wind. Ein spitzer Krähenschrei zerriss die Luft und die Augen der Frau weiteten sich unnatürlich. "Es heißt, in letzter Zeit trieben sich seltsame Kreaturen in den nahen Wäldern herum." Der Gemeindevorsteher machte ein grimmiges Gesicht und kratzte sich am bärtigen Kinn. "Was soll mich das kümmern." Der Medikus sah nicht einmal von seiner Arbeit - er mahlte Kräuter zu einem groben Pulver - auf. "Nur Narren kümmern sich um Gerüchte. Tatsache ist, dass Euer Dorf dabei ist, auszusterben." "Ihr solltet die alten Mythen nicht unterschätzen, alten Mann." Der Medikus murrte. "Wie habt Ihr mich genannt?" Ein raues Auflachen antwortete ihm. "Seid Ihr in der Tat so eitel?" "Selbst im Alter wird man nicht zu einem Höheren Menschen, oder wie immer ihr es auch nennen mögt." Er machte eine nachdenkliche Pause. "Seid Ihr Euch so sicher, dass ihr nicht den Zorn eines Gottes - oder gar eines Dämonen - auf euch gezogen habt?" "Ach wo..! Was hätten wir tun sollen, um die Aufmerksamkeit eines solchen auf uns zu lenken?" "Oh, glaubt mir, dazu braucht es nicht viel. Es sind unruhige Zeiten, die Anderen Wesen bekriegen einander. Es braucht nur ein falsches Wort, das Zucken eines Muskels, um sie gegen sich auf zu bringen." "Ihr scheint ja-" "Schweigt!" Der Gemeindevorsteher verstummte und beide Männer lauschten. "Was... Was sollte Euer Geschrei eben bewirken?" Der Medikus bedeutete ihm abermals still zu sein. Hinter ihnen erklangen die gewohnten Geräusche sich bewegender und unterhaltender Menschen - auch wenn die Gespräche an diesem Tage lediglich geflüstert waren. Doch außer ihnen war nichts zu hören. "Medikus..." Ein spitzer Schrei hallte durch den Wand. Irgendwo zwischen den Bäumen flatterte ein Dutzend Krähen auf und flog davon. "Was war das?" Der Medikus sprang erstaunlich behände auf. "Da bin ich überfragt, alter Mann." "Geht und holt Männer, die mit uns in den Wald gehen werden, es scheint, als hätte etwas Unerwünschtes den Weg hierher gefunden..." Der Gemeindevorsteher nickte und machte sich auf die Suche. Nach einigen Minuten hielt der Medikus es nicht mehr aus und machte einige Schritte auf den Waldrand zu. Er taumelte, als ein ungewohntes Schwindelgefühl sich hinter seiner Stirn zu Wort meldete. Er blieb stehen und schüttelte sich. Was war das? Nach einem letzten Blick zurück setzte der Medikus allerdings seinen Weg fort. Der Wald war unvermutet dunkel, die Schatten schienen unnatürlich plastisch, lebendig. Der Medikus schüttelte diesen Gedanken ab. Ein schmaler Pfad wand sich zwischen den Kiefern und Ahornbäumen hindurch und schon nach wenigen Minuten erfüllte ein eigentümlicher Geruch die Luft. Er näherte sich ein zweites Mal an diesem Tag der improvisierten Grabstätte. Etwas nasses berührte seine Haut und nun war es unstreitig Regen, denn andere Tropfen ließen nicht lange auf sich warten. Ein Schauder lief dem alten Mann den Rücken hinunter. "Bei den Göttern hienieden...", murmelte er leise vor sich hin. Die bedrückende Atmosphäre verdichtete sich mit jedem Schritt. Die Lichtung kam in Sicht und mit ihr ein Vogel. Es war ein großer, schneeweißer Vogel. Seine Schwingen brachten es wohl auf nicht weniger als sieben Fuß Spannweite und ein Paar karmesinroter Augen leuchtete aus dem weißen Gefieder hervor. Ein krummer, blutbesudelter Schnabel stieß ein Krächzen hervor. Kurzum hatte es sich eine missratene Krähe mitten auf der Lichtung bequem gemacht und labte sich an den kargen Überresten der Frau. "Bei den Göttern...", begann der Medikus entsetzt. Der Kopf der Krähe fuhr hoch und die roten Augen richteten sich auf ihn. "Seid gegrüßt, Mensch...", schnarrte der Vogel und stieß einen krähenden Ruf aus. Der Medikus stolperte zurück. Der Vogel faltete träge seine Schwingen auseinander und anschließend wieder zusammen. Offensichtlich war seine Beute bereits vergessen. "Macht Euch keine Mühe, Mensch..." Erneut krächzte er leise. "Ihr werdet mir nicht entkommen." "Was... was willst du?", rief der Medikus aus. Der Dämon legte den gefiederten Kopf schief. "Ich... möchte Euch eine Frage stellen... Nun, ich denke, Ihr seid Euch darüber im Klaren, dass ihr die Pest habt..?" Der Medikus riss Mund und Augen auf. "A-Aber es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass..." "Natürlich nicht... Aber sie werden kommen. Und Euch dürfte bekannt sein, dass Ihr mich nicht hättet sehen können, wenn ihr ein gesunder Mensch wäret..." Innerhalb des Schädels des Medikus' hämmerte es. Ein Name lag ihm auf der Zunge... "Ca-Caladrius..." Mit einem Male war seine Kehle staubtrocken. Er wusste, wen er vor sich hatte, wusste es so sicher, wie dass er noch an diesem Tage sein Leben aushauchen würde. Alles in ihm schrie danach, dieses Wissen zu verleumden... Er konnte es nicht. Der Vogel legte erneut seinen Kopf schief und blinzelte den alten Mann an. Blut troff von seinem Schnabel, etwas wie Neugier und eine erstaunliche Intelligenz lag in seinem roten, ausdruckslosen Blick. Und Wahnsinn. Das Herz des Medikus setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus und schlug daraufhin schneller als jemals zuvor. Er taumelte und griff sich an die Brust. "Was-Was willst du?" Ein Blitz spaltete den Himmel. Der Medikus registrierte nun, dass es in Strömen regnete. Wo blieb nur der Gemeindevorsteher mit seinen Leuten? "Alter Mann...", begann der Vogel und eine Spur von Unmut lag in seiner schnarrenden, nicht an das Sprechen angepassten Stimme. "Beantwortet mir eine Frage..." "Warum?!", unterbrach der Medikus ihn laut schreiend. "Was für ein Wesen bist du? Wer gibt dir das recht, über uns Sterbliche zu richten?!" Es hatte den Anschein, als seufze der Vogel. "Es ist wahrlich ehrbar, wie ihr Euch zu verteidigen sucht, doch..." Er schüttelte den Kopf und sein Gefieder verspritzte feine Wassertröpfchen. "Auch ich bin sterblich. Wir alle sind sterblich. Nur... Die einen von uns sind mehr verflucht, die anderen weniger... Und einige Erwählte sind gar gesegnet. Und oftmals liegt es an ihnen selbst, verflucht oder gesegnet oder einfach nur tot zu sein..." Er deutete ein Nicken in Richtung des Frauenleichnams vor sich an. "Sie gehört zu denen, die nichts mehr vor sich haben, weder Himmel noch Hölle... Oder wie nennt ihr Menschen es doch gleich?" Unglauben vernebelte den Geist des Medikus. Welcher Nachtmahr sprach durch kluge Worte zu ihm? Der Regen prasselte rauschend auf die Lichtung im Wald und wühlte die Erde auf. Gliedmaßen ragten aus dem schlammigen Boden auf. Einige winkten, vom Regen hin und her gezerrt. "Vertraut mir Euer Schicksal an, alter Mann." Der Medikus fuhr aus seinen Gedanken auf. "Was-..?" Nur langsam sickerte die Bedeutung der Worte zu ihm hindurch. Er zögerte. Er kannte die Ammenmärchen, die man sich von Caladrius, dem Todesboten, erzählte. Nie hatte er daran gedacht, einmal die Wahrheit erkennen zu dürfen. Er seufzte. "Was erwartet mich, wenn ich abschlage..?" Der Vogel schwieg. Der Medikus ließ sich kraftlos zu Boden sinken. Schlamm spritzte unter ihm hinweg in alle Richtungen davon, Wasser rann an seinem alten Gesicht und seiner verdreckten Kleidung herab. Er sah zum Himmel auf, sah die Regentropfen auf sich zufallen, Sternschuppen gleich. Was mochte ihn erwarten. "Ich bin ein alter Mann... Und nicht sehr wissbegierig, denn mir ist durchaus bekannt, dass zu viel Wissen schlecht fürs Leben ist. Ich habe also die Pest, ich habe mich angesteckt... Sag, Caladrius, wem erscheinst du? Nur Todgeweihten? Oder auch solchen, die noch einen letzten Ausweg haben?" Sein Gegenüber antwortete nicht. "Bei den Göttern, was kann mir schon noch geschehen..? Ja, ich sage-.." Er kam nicht dazu, seinen Satz zu vollenden. Es war keine richtige Bewegung, mehr die Ahnung einer solchen, und dennoch real. Mit einem Mal war Caladrius über dem Medikus, messerscharfe Krallen blitzten im trüben Licht des Gewitters, als ein mächtiger Donnerschlag über die Landschaft hinweg rollte. Ein tiefer, höllischer Schmerz zerriss den Brustkorb des alten Mannes. Noch eine Sekunde saß er aufrecht da, bis sein Körper den Schock überwunden, das Geschehen realisiert hatte. Dann sackte er in sich zusammen und blieb reglos liegen. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, denn es befand sich längst nicht mehr an seinem angestammten Ort. Und indes der Todesbote mit dem rohen Stück Fleisch dem Himmel entgegen flog und somit die Seele des alten Mannes in die Unsterblichkeit trug, wusch der peitschende Regen dessen Blut fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)