The beloved 'Loveless' von LeS ('Loveless' is 'Endless') ================================================================================ Kapitel 12: ENDLESS ------------------- Ihr Kind war tot. Sie spürte, wie es aus ihr herauslief, erst nur in dicken Tropfen. Dann spürte sie, wie der Kopf des Kindes sich durch ihren Unterkörper schob, bis sie ihn zwischen ihren Beinen ertasten konnte. Sie hatte sich die Geburt anders vorgestellt. Nicht dass ihr Kind einfach so aus ihr herausrutschte. Sie hatte sich mit ihrem Babybauch arrangiert. Erst hatte sie sich schlecht gefühlt dabei. Hatte es gehasst, das Kind dieser Person in sich zu ertragen. Doch inzwischen wollte sie das Gefühl nicht mehr missen, wenn sie morgens von sanftem Treten geweckt wurde. Mithilfe Soubis schaffte sie es, sich aufzusetzen. Sie krümmte sich, aber alles half nichts. "Lass mich das sehen, Reika. Du verblutest noch." Er streckte die Hand aus und berührte ihren Bauch. "NEIN. Alles ist in bester Ordnung. Hilf Yamato und Kouya", krächzte sie. Spucke floss ihr übers Kinn. Es konnte auch Magensäure sein, so bitter wie die Flüssigkeit schmeckte. Vielleicht hätte sie doch nicht einwilligen sollen, der kleinen Gruppe zu helfen. Aber jetzt war es für Selbstmitleid schon zu spät. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, und vielleicht war es auch die einzig richtige gewesen, die sie jemals getroffen hatte. Wenigstens hatte sie nicht wieder jemandem vertraut, der sie danach behandelte, als wäre sie nicht mehr als eine Schale, und nur das Innere war verwertbar. Sie hatte noch nie verstehen können, wenn jemand sagte, dass nur das Innere zählen würde, warum dies so eine hochpoetische Weisheit sein sollte. Natürlich waren die inneren Organe wichtiger als das Äußere, das man nur anschauen aber selten lange weiterverwerten konnte. Dagegen konnte man mit inneren Organen so viel anstellen. Das hatte sie von Seimei gelernt. Mit wackligen Beinen stand sie auf. Soubi, der gerade wieder zum Kampffeld hatte laufen wollen, reichte ihr eine Hand, in die sie ihre Nägel grub. Sie presste die Augen zusammen, da ihr augenblicklich weiß vor Augen wurde. Ihr Kind fiel haltlos zu Boden. Sie kniete sich hin und nahm es in ihre Arme. Der Kopf hing schlaff über ihrem Arm, während sie es hin- und herwiegte. Eigentlich hätte es nun schreien sollen. Aber das konnte es nicht. Der Brustkorb war mit hellblauen Adern durchlaufen. Man hätte sie zählen können, wäre der richtige Moment dazu gewesen. Doch sie hatte jetzt keine Zeit dazu. Sie strich über den weichen Bauch, der unter dem leichten Druck nachgab. Eine winzige Narbe zog sich unterhalb der Nabelschnur zu den Schenkeln. Sie erkannte das Zeichen wieder und lächelte. Reika drückte einen Kuss auf die flaumigen Haare ihres Kindes und nahm ein paar schnelle Schritte, um Soubi zu entgehen, der sie schon wieder hatte packen wollen. Sie würde sich nicht noch mal zurückhalten lassen. Blut lief an ihren Beinen herab. Brocken fielen davon ab und blieben an ihren Schuhen hängen. Yamato wandte sich zu ihr um. Ihr entgeisterter Blick brannte sich in Reikas Lächeln, das sich schnell verflüchtigte. "Geh sofort wieder zurück. Wir kämpfen hier!" Just in dem Moment schnallte sich ein Band um Yamatos Hals. Sie würgte und schob eine Hand zwischen das Band und ihre Kehle. Kouya sah sich nicht zu ihr um, sondern schrie Seimei den nächsten Angriff entgegen, der ihn mit Fesseln aus Strom nach hinten zog. Er wurde gegen eine unsichtbare Wand gedonnert und rollte über den Boden. Keuchend und Blut spuckend richtete er sich wieder auf. "Ich sehe, dass hier gekämpft wird", sagte Reika mit einem Nicken gen Seimei, der sie daraufhin irritiert musterte. Er hielt sich den Bauch und schwankte. Blut lief ihm über den Mund wie ihr die Beine hinunter. Er sog einen Großteil aus seinem Rachen und spuckte es auf den Boden. "Was willst du? Du bist schon fast tot, meine Liebe. Willst du, dass ich nachhelfe?" Sie zeigte ihm ihre Zähne, die mit einer bräunlichen Masse überzogen waren. Als hätte sie Kaffeebohnen zerbissen. "Das wird nicht mehr nötig sein." "Bitte geh, wir schaffen das schon!" Yamato packte sie am Arm. Ihr Blick fiel auf das tote Kind. Sie zog die Hand zurück. "Reika, das packen ich und Kouya schon." Zwar war Kouya damit beschäftigt, Seimei wieder auf die Erde zu packen, indem sie ihn mit einem kräftigen Luftzug hochwirbeln und dann wieder runterknallen ließ, doch nickte sie. "Verschwinde! Ich kenne dich nicht, aber Yamato vertraue ich. Wenn sie sagt, du hast hier nichts zu suchen, dann hau ab!" "Hier ist kein Platz für einen Zombie", brachte Seimei röchelnd hervor. "Die Muskeln deines Halses brennen. Ein glühendes Streichholz streift deine..." Bevor er den Angriff auf Yamato zu Ende sprechen konnte, schmiss Kouya ihm mehrere der lila Blitze vors Gesicht. Seine Attacke blieb unbeendet, als sie Elektrizität durch die eigentlich nur farbigen Naturschauspiele schickte. "So bringt ihr ihn nicht um", meinte Reika stoisch. Sie sah Yamato, die schnappend nach Luft rang, in die halb geschlossenen Augen. "Und er selbst wird sich nicht umbringen." "Wenn er genug leidet schon! Verdammt!", sagte Kouya, der ebenfalls langsam der Atem fehlte. "Bevor du dieses Ziel erreichst, bist du heiser." Sie hob die Brauen und marschierte trotz Yamatos weiteren Einwänden auf Kouya zu. "Du bist ein Sacrifice, was kannst du schon ausrichten?" Reika lachte auf. "Meinst du wirklich, ich bin ein Sacrifice?" Kouya wandte irritiert den Blick von Seimei ab und sah Reika an, die sie hämisch angrinste. "Ich bin genau so wenig Sacrifice wie du es bist. Abgesehen davon, dass du das Opfer in dieser Story bist." "Du hast aber niemanden, der mit dir kämpft." Kouya kaute auf ihrer ohnehin schon aufgeplatzten Unterlippe. Reika sah ihr an, dass sie ihr nicht vollkommen Glauben schenkte. Doch das musste sie auch gar nicht. Es ging hier nicht mehr um sie, sondern um Seimei. "Der beste Schutzwall ist ein totes Objekt", sagte Reika, den Kopf in den Nacken werfend. So konnte sie einen guten Blick auf Seimei erhaschen, der sich hinter sie hatte schleichen wollen. "Nie kannst du die Wand zerbrechen um das Kind am Boden", flüsterte sie ihm zu, als er gerade nach Yamato greifen wollte, die vor Erschöpfung zitternd und heulend eingerollt dalag. Seine Hand zerschellte. Sie hielt sich einen Arm vor die Augen, damit ihr keine Knochensplitter hineinsprangen. Kouya wich einen Schritt zurück. "Wie ist das möglich?" "Oh, ich glaube, ich werde keine Zeit mehr haben, dir den Trick zu verraten." Reika zwinkerte ihr zu und war mit drei Sätzen bei Seimei angekommen, der entgeistert seine nicht mehr vorhandene Hand anstarrte. Reika strich ihm über den blutverschmierten Kopf. "Armes Hundchen." Sie beugte sich zu ihm herunter. "Soll ich das mit deinem Herzen tun?" Mit fest geschlossenem Mund sah er zu ihrem toten Kind, das beizeiten die Augen geöffnet hatte. "Es ist nicht ...?" "Mausetot, aber das muss nichts heißen." Sie fuhr ihm durch sein buschiges Haar, packte es dann und zog ihn so hoch wie es ihr möglich war. Sie hielt ihren Kopf ein Stück tiefer, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm war. "Ein totes Objekt ist der beste Schutzwall", hörte sie Kouya hinter sich sagen. Diese wandte sich von Seimei und ihr ab, und ging weiter zu Yamato, die inzwischen ihre Ketten und Bänder losgeworden war. "Du erinnerst mich an Mutter", sagte Seimei, sein Gesicht zu einem hässlichen Lächeln verzogen. "Frauen sind furchtbare Geschöpfe." "Lass sie das besser nicht hören. Ach. Jetzt hab ich total vergessen, dass du heute sterben wirst. Zu schade aber auch." "Red nicht lang und bring mich um, wenn es dir so sehr danach verlangt." Reika trat ihm in die Magengrube. "Ein schneller Tod wäre viel zu nett für einen Psychopathen wie dich. Und eines sei dir gesagt, eigentlich mag ich Psychos." Sein Brustkorb hob sich, und man konnte gebrochene Rippen hervorstehen sehen. "Aber für mich machst du eine Ausnahme." Sie zuckte die Schultern und seufzte. "Ja, ich weiß. Ich bin so ein guter Mensch." Sie tat ihr bestes den ziehenden Schmerz in ihrem eigenen Unterleib zu ignorieren. Für wehleidiges Verhalten hatte sie auch später noch genug Zeit. Nun, vielleicht auch nicht. Sie konnte ja nicht wissen, ob es im Himmel oder der Hölle erlaubt war, wehleidig zu sein. "Jedes Gerüst bricht einmal zusammen", sang sie leise. "Erst ist es der Treppe letzte Stuf', dann brechen ein die and'ren, und bald, sehr bald mein liebes Kind, fall'n die letzten Pfeiler." Aus Seimeis Körper drangen krachende Laute. Dann stachen die Knochen durch seine Haut nach außen und rissen ihn in der Mitte auf. Die violetten Blitze verloren an Farbkraft, zogen sich immer dünner. Reika meinte, in einem Aktenvernichter zu stecken. Dieses Gefühl ließ glücklicherweise nach wenigen Sekunden von ihr ab. Sie sah Ritsuka in Soubis Armen erwachen, sah wie Yamato an Kouya hang, und wie die ZERO-male sich an die Köpfe fassten, augenscheinlich nichts von allem mitbekommen hatten. Dann wurde es schwarz in ihrem Kopf. *** "Ist sie tot?", fragte Youji. Natsuo verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Sie atmet nicht mehr", nuschelte er und zog seinen Partner zurück. Yamato kniete sich neben Reikas leblosen Körper. Ritsuka saß ihr gegenüber, die Hände auf Reikas Halsschlagader gelegt. "Kein Puls, kein gar nichts." Er schlug mit der Faust in die sandige Erde, die rot geworden war von dem vielen Blut, das gleichermaßen aus Reikas wie aus Seimeis Leiche strömte. "Sie kann nicht tot sein", sagte Yamato, die Kouyas Hand wegschlug. "Sie hat doch gerade noch Witze gerissen!" Kouya schlang die Arme um Yamatos Körper und ließ sich nicht vertreiben. "Manchmal passieren solche Dinge." "Das ist nicht fair", entgegnete Yamato. Sie lehnte sich gegen Kouyas Brust. Ebenso wie ihres schlug Kouyas Herz so heftig, dass ihr die Vibration durch den ganzen Körper ging. Kouya presste ihr Gesicht gegen Yamatos Wange, über die salzige Tränen liefen, braun von Blut- und Erdresten. "Weine bitte nicht." Ritsuka schüttelte den Kopf. Er wandte sich an Soubi, der über Seimeis Leiche gebeugt dastand. Es war kein schöner Anblick. Selbst der beste Bestatter hätte den Körper nicht mehr in seinen ursprünglichen Zustand zurückbringen können. Er war vollständig aufgerissen, jeder Knochen stand aus ihm heraus, als wollte er nach den Wolken greifen. Ritsuka schluckte die aufkommende Übelkeit herunter und nahm Soubis Hand. Er drückte sie, sodass Soubi nicht umhin kam, sich ihm zuzuwenden. Ein schmales Lächeln trat auf seine Lippen. "Jetzt ist alles wieder in Ordnung." "Denkst du wirklich so?", fragte Ritsuka nach, den Blick auf die Leichen geheftet. "Ist denn jetzt wirklich alles wieder in Ordnung? Viel wichtiger als das, ist alles geklärt?" Soubi blinzelte ihn an. "Was soll geklärt sein?" "Zwischen uns", flüsterte Ritsuka. Er ging in die Hocke und strich über das eine übriggebliebene Hundsohr Seimeis, das schlaff von seinem Kopf herunterhing. "Ich weiß, das sollte nicht das Thema sein. Nicht in diesem Moment." Er warf Yamato, Kouya und den ZERO-male, die alle über Reika gebeugt standen, einen flüchtigen Blick zu. "Immerhin gibt es zwei Leichen." "Drei", korrigierte ihn Soubi. Dann packte er ihn am Arm und zog ihn wieder in den Stand. "Sie werden alle nicht mehr aufwachen. Warum also sollten wir noch darauf achten, ein Thema einzuhalten?" Ritsuka nestelte an Soubis Mantel, bis der ohnehin schon lose Knopf abfiel. "Da magst du Recht haben." Ein staubiger Windzug wehte von dem eingestürzten Gebäude zu ihnen. Er schloss die Augen, um sich vor dem Sand zu schützen. Als er sie öffnete, senkte er den Kopf auf Soubis Brust, der ihn in seine Arme gezogen hatte. "Wir sollten diesen Ort verlassen", sagte Kouya, augenscheinlich als einzige noch klar genug im Kopf. Ritsuka nickte ihr halbherzig zu. Yamato drückte die Lider Reikas zu, ehe sie aufstand und sich an Kouyas Arm festklammerte. "Was ist mit Reika und dem Kind? Wir können die Leichen nicht einfach hier liegen lassen. Das fällt doch auf. Obwohl ich es diesem Bastard gönnen würde, von den Ratten gefressen zu werden." Ritsuka zuckte unter dem hassvollen Blick, den Yamato Seimeis totem Körper schenkte, reflexartig zusammen. "Er ist jetzt tot", sagte Soubi nachdrücklich. "Niemand wird mehr unter ihm leiden können. Außerdem hat jeder wenigstens im Tod Frieden verdient." "Du willst mir nicht weismachen, dass du tatsächlich noch auf seiner Seite stehst? Ist das wieder so was, dass er dir damals befohlen hat, hm?!" Yamato holte aus und ohrfeigte ihn. Sie war entkräftet, doch durch den Schwung hallte Soubi der Schlag in den Ohren nach. Soubi hob den Kopf, packte ihren Arm und zog sie nah an sich, sodass Ritsuka gegen sie gedrückt wurde. Zitternd sah er zu ihm auf. Sein Blick war eisig, wenn auch nicht so manisch wie es Seimeis leere Augen gewesen waren. "Bis der Tod euch scheidet gilt auch für Fighter und Sacrifice." "Dann ist ein Gelübde also nach dem Tod nichts mehr wert?!", fauchte sie und entriss ihm ihre Hand. Sie rieb sich das Handgelenk, das dank seines groben Griffs rote Flecken zeigte. Soubi seufzte kopfschüttelnd. "Was du meinst, ist nicht, was ich meine. Ein Gelübde ist etwas, das von Herzen kommen mag bei manchen, doch wer dir wirklich wichtig ist, und dem du wirklich wichtig bist, der braucht kein offizielles Versprechen, dass er dir auch über das Leben hinaus treu sein wird." Kouya legte eine Hand auf Yamatos Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie hatte gerade zu einer neuerlichen Tirade angesetzt. Leise flüsterte Kouya in ihr Ohr: "Du glaubst doch nicht ernsthaft, wärest du tot, würde ich nicht mehr loyal dir gegenüber sein? Keine Kirche der Welt kann das Versprechen ersetzen, das mein ganzer Körper dir gibt, ohne darüber nachdenken zu müssen." Ein Grinsen konnte Ritsuka sich nicht verkneifen, als Yamatos Wangen zinnoberrot anliefen. Die ZERO-male, die die Szene im Hintergrund nachstellten, taten ihr übriges dazu. "Ich wusste nicht, dass du so kitschig sein kannst", murmelte Ritsuka in Soubis Schulter. Kouya lächelte den ZERO-male entgegen, die sofort strammstanden. Er konnte sich schon denken, weshalb. Das Lächeln war unverkennbar ein "Später gibt es noch Kopfnüsse für euch"-Lächeln. Natsuo fing sich als Erster wieder. "Jetzt aber mal im Ernst. Wir sollten wirklich irgendwen rufen." "Irgendwen ist gut", sagte Youji und rollte mit den Augen. "Die Polizei wird doch nur dumme Fragen stellen." "Wie wäre es mit Ritsu?" Natsuo hob die Hände. "Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, Soubi, aber er könnte das hier für uns regeln." Soubi grummelte unverständliche unflätige Wörter in seinen Kragen, nickte aber. "Hat irgendwer ein Handy?" Youji sah sich um, als wären noch weitere Personen in der Nähe. Außer Toten ließ sich aber niemand finden. "Selbst wenn, das wäre doch längst zu Bruch gegangen", seufzte Natsuo. Er stemmte die Hände in die Hüften und sah in den Himmel. Tiefgraue Regenwolken hatten sich vor eine schwach strahlende Sonne geschoben. "Wie lange sind wir überhaupt in dieser Dimension gewesen?" "Es kann nicht mehr als ein Tag gewesen sein", meldete sich Kouya wieder zu Wort, die sich die Hand schüttelte, in die Yamato letztendlich gebissen hatte, um ihren Mund wieder frei zu bekommen. Yamato verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du da mal nicht zu optimistisch bist, meine Liebe." "Meine Liebe", Kouya hob die Brauen, "wenn es mehr als ein Tag gewesen wäre, dann stünden hier längst Leute, die sich um das eingestürzte Gebäude kümmern, von dem eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die umliegenden ausgeht." "Mag ja alles sein", schnalzte Natsuo. "Ist allerdings auch egal. Die Leute hier werden uns doch bestimmt mal an ihr Telefon lassen, oder?" Kouya und Yamato tauschten noch einen Moment ihre stutenbissigen Blicke aus, wandten sich dann aber zeitgleich zu den ZERO-male um. "Sicher!", sagten sie im Chor. "Sollten wir dann nicht mal loslegen? Wir können hier ja nicht ewig rumstehen und diskutieren." Youji wandte sich an Ritsuka. "Ich denke, nicht wir haben das zu entscheiden." Natsuo, Kouya und Yamato sahen alle zu Ritsuka, der sich noch immer halb unter Soubis Mantel versteckt hielt. Seufzend senkte der den Kopf. "Youji, Natsuo, ich denke, ihr könnt Leute am besten dazu überreden zu tun, was ihr wollt. Außerdem seht ihr nicht ganz so zerfetzt aus." "Okay!", riefen die beiden, wedelten mit den Armen und wetzten los. In anderer Leute Häuser einzudringen war von Kindesbeinen an ihre Spezialität. "Was machen wir derweil?" Yamato trat einen Stein weg, noch immer die Arme verschränkt. Sie sah wenig gut gelaunt aus, allerdings war eine wütende Yamato immer noch besser als eine aufgelöste. Ritsuka wollte es nicht darauf anlegen, sie daran zu erinnern, dass sie direkt zwischen zwei Leichen stand. "Was sollen wir schon tun?" Er kam unter Soubis Mantel hervor und legte Yamato eine Hand auf die Schulter. Erst da bemerkte er, dass sie zitterte. "Also warten", antwortete sie leise. "Na schön. Ausnahmsweise. Ich würde mich sowieso gerne noch ein wenig hinsetzen. Diese Dimension verschafft einem ganz schön wacklige Beine. Ich nenne sie deshalb Wackelblitzer." "Wie kreativ." Kouya zwinkerte Ritsuka und Soubi zu, und setzte sich dann zu Yamato, die sich auf einem größeren Stück herausgebrochener Wand niedergelassen hatte. Soubi wandte sich mit Ritsuka ab. Dieser sah verwirrt zu ihm herauf. "Ist wirklich alles in Ordnung, Soubi? Du bist blass." "Das könnte man von dir auch behaupten", antwortete er lächelnd. "Seimei ist jetzt tot." Er nickte unschlüssig, was Soubi ihm damit sagen wollte. Dass er tot war, war doch gerade eben das Thema gewesen. Es konnte also nicht daran liegen, dass Soubi sich darüber nicht im Klaren war. Weshalb er es dennoch mit solcher Bestimmung von sich gegeben hatte, war einer erhobenen Augenbraue würdig. "Du bist jetzt mein alleiniger Besitzer", meinte Soubi lächelnd und kniete sich vor Ritsuka. Er warf einen Blick zurück zu Yamato und Kouya, doch die beiden waren miteinander beschäftigt und hatten die ritterliche Aktion augenscheinlich gar nicht mitbekommen. Kouya strich Yamato über den gebeugten Rücken. "Soubi." Er wandte den Blick von den ZERO-female ab und ging ebenfalls in die Knie. "Es stimmt, Seimei ist jetzt tot. Das heißt aber nicht, dass ich dein alleiniger Besitzer bin." Soubi sah verwirrt auf. "Was soll es sonst heißen?" Er versuchte sich an einem Lächeln, wirkte aber immer noch durcheinander. "Das heißt, du gehörst niemandem mehr. Du musst keine Befehle mehr befolgen. Seimei hat dir aufgetragen, mir zu gehorchen. Aus keinem anderen Grund hast du das getan. Aber jetzt ist er nicht mehr am Leben -- und ich habe nicht das Recht, dir irgendetwas zu befehlen." "Natürlich hast du ...!" "Wenn ich es habe, dann kann ich nur einen Befehl aussprechen: Was auch immer Seimei oder jemand anders mit dir begonnen hat, ist jetzt vorbei." Soubi ließ sich auf der Erde nieder. Noch mehr Dreck konnte auch nicht an seinen Mantel kommen. "Hm", war alles, was er sagte. "Ich möchte, dass du tust, was du willst; nicht dass du es nicht schon oft genug so gemacht hättest." Er grinste und setzte sich in Soubis Schoß. "Das hast du sogar öfter gemacht, als meine Befehle zu befolgen, wenn ich es mir genau überlege." "Das sehe ich nicht so." "Ich weiß." Er legte den Kopf zur Seite. Leise seufzend ließ er sich von Soubi in den Nacken küssen. Die feinen Härchen stellten sich ihm auf. Ein wenig ziepte es, wo doch ein paar Haarsträhnen mit Blut beschmiert waren. Trotzdem war das Gefühl insgesamt angenehm kribbelnd. "Du würdest sagen, ich wusste nicht, was ich wollte und daher hast du durchaus alles befolgt ... nur dass ich eben manchmal das Gegenteil von dem gesagt habe, was ich meinte." "Auch die kleinsten Kinder werden mal erwachsen." "Wenn man davon absieht, dass ich immer noch recht klein bin, meinst du wohl", entgegnete er lächelnd. Seine staubigen Lippen befeuchtete er mit der Zunge, ehe er sie auf Soubis presste. "So geht's ja jetzt nicht!" Youji verpasste Ritsuka eine Kopfnuss. "Was fangt ihr mit dem Rumgemache einfach ohne uns an?" Ritsuka stöhnte genervt. "Gut gelaunt wie immer." Er rutschte von Soubis Schoß und stand auf. "Habt ihr wenigstens jemanden dazu bringen können, einen Krankenwagen zu rufen?" "Stell dir vor, das haben wir", sagte Natsuo, der an dem halb verfaulten Zaun lehnte, der wohl einmal das Krankenhaus vor den Blicken der Außenwelt geschützt hatte. "So eine Omi hat uns gleich reingelassen und wollte uns Kekse und Kuchen andrehen." Er verdrehte die Augen und machte ausholende Gesten. Youji grinste diabolisch. "Wir haben sie dann in die Küche gelockt und dort eingesperrt." "Das habt ihr nicht wirklich getan!?" "Reg dich ab!", meinte Natsuo langgezogen. Wir haben sie ja dann wieder rausgelassen, als wir weg sind. Sie schien das auch gar nicht richtig mitbekommen zu haben. Ist vielleicht auch besser so. Die gute Frau hätte nen Herzinfarkt gekriegt, wenn sie Seimei so aufgesplittert hätte da liegen sehen müssen." Soubi legte ihm eine Hand auf die bebende Schulter, doch beruhigend wirkte das auf ihn in keiner Weise. "Ihr könnt doch nicht einfach alte Frauen einsperren!" "Wir haben schon viel schlimmere Sachen gemacht", sagte Youji und lehnte sich vor. Er spürte, wie sich Soubis Finger in seine Schulter bohrten und atmete tief ein und aus. Als er sich sicher war, dass er nicht auf Youjis Provokationen eingehen würde, sagte er: "Na schön. Am wichtigsten ist ja, dass überhaupt jemand kommt." "Die dürften bald da sein", sagte Natsuo. Er hatte sich gerade neben Yamato gesetzt. Wie Kouya streichelte er ihr über den Rücken. Noch immer saß sie da und starrte ihre Knie an. "Es kann wirklich nicht mehr lange dauern." Yamato antwortete ihm nicht, obwohl klar war, dass er sie angesprochen hatte, die die Situation wohl am meisten mitnahm. Sie lehnte sich an Kouya, die reflexartig ihre Arme um Yamato schlang. "Hast du gehört? Bald kommen Doktoren und ... und dann lassen wir uns erst mal bedienen." Yamato nickte zaghaft. Ihr Blick schwang zu Ritsuka. "Loveless -- das ist wirklich kein schöner Name." Er schob Soubis Hand von seiner Schulter und ging zu ihr. "Was meinst du?" Sie streckte die Arme aus und zog ihn zu sich. "Loveless. Ist wirklich kein schöner Name. Aber Wörter haben auch immer nur die Bedeutung, die wir ihnen zugestehen. In deinem Fall, hat Loveless für mich keine hässliche Bedeutung." Lächelnd senkte er den Kopf auf ihren. "Danke, Yamato. Das weiß ich zu schätzen." "Welchen Namen Reika wohl hatte?", fragte Kouya. Ihre Stimme war so leise und gebrochen, dass Ritsuka annahm, sie gar nicht gehört werden wollte. Im Besonderen von Yamato. Doch jeder hatte sie verstanden. Auch Soubi, der sich zu ihnen gesellte. "Bestimmt keinen besonders schönen", sagte Yamato. Kouya verpasste ihr einen Stoß in die Rippen. "Yamato!" "Was denn?" Sie grinste halbherzig. "Sie hat mich von Anfang an unseren kleinen Ritsuka hier erinnert." Zwar stemmte er die Hände in die Hüften, doch grinste er zurück. Von der Straße her konnte er eine Sirene hören, und es klang, als würde das dazugehörige Gefährt immer näher kommen. "Das werden sie wohl sein. Ich hab doch gesagt, wir haben alles perfekt erledigt!", sagte Youji. Stolz reckte er das Kinn empor. "Abgesehen davon, dass ihr eine alte Dame eingesperrt habt." "Spielverderber!" Der Krankenwagen fuhr vor, und für einen Moment standen die Rettungsmänner einfach nur da und starrten von den Leichen zu den Verletzten und zu den Leichen zurück. Erst als Yamato ihnen zurief, dass sie gefälligst dafür sorgen sollten, dass aus drei nicht neun Tote wurden, fingen sie sich. Der Fahrer sorgte dafür, dass noch zwei Wagen kamen. Mit Blaulicht ging es in einer schönen Reihe, die jede Entenmutter stolz gemacht hätte, ins Krankenhaus. Ritsuka, dem von dem grellen Licht im inneren des Wagens schlecht wurde, durfte sich hinlegen. Soubi hielt eine Hand vor seine Augen, um das Licht abzuhalten. Die andere hielt er zu einer Faust geballt in seiner Manteltasche. Er weigerte, sich, den Wagen hinter ihnen anzusehen, in dem Reika, ihr Baby und Seimei abtransportiert wurden. Da sie ja schon tot waren, machte es ihnen nichts, sich einen Wagen zu teilen, hatte der Fahrer argumentiert. Außerdem wären sie ohnehin schon ausgelastet. Soubi schloss die Augen und hörte auf das Holpern des Wagens, als er über die verregneten Straßen seinen Weg zum nächsten Krankenhaus fand, das glücklicherweise nicht in Schutt und Asche lag, und auch nach Betreten keine Psychopathen zu Tage förderte. Widerwillig ließ er sich in ein anderes Zimmer als Ritsuka bugsieren. Der Geruch von Desinfektionsmitteln brannte in seiner Nase, als würden die Härchen dort einzeln angezündet, doch angesichts der Tatsache, dass im Zimmer nebenan eine junge Frau mit schweren Brandwunden lag, sah er darüber hinweg. Er erinnerte sich noch daran, dass ihm der Arm verbunden wurde und es um ihn herum schepperte. Erst am nächsten Morgen war ihm klar, dass er vor Erschöpfung einfach eingeschlafen war. *** Blubbernd und zischend ruckelte der alte Wasserkocher vor sich hin. Kouya war so vertieft in die Morgenausgabe der Zeitung, dass sie nicht bemerkte, wie hinter ihr heißes Wasser verdampfte. Im Mundwinkel hing ihr ein Croissant an dem sie nagte. Ein paar Butterflecke hatte sie schon auf der Zeitung hinterlassen, da Yamato sie aber selten las, war das kein Problem. "Das Wasser kocht", sagte Yamato. Sie trug wieder ihren weiten Pyjama mit den aufgedruckten Laubmotiven, den ihr Kouya in der Nacht ausgezogen hatte. Nach den Ereignissen waren sie beide erst mal eine Woche lang so erschöpft gewesen, dass an Sex nicht zu denken war. Doch jetzt, neun Tage später, sah das schon wieder ganz anders aus. Kouya war am vorigen Tag auf der Lauer gelegen. Sie hatte gespürt, dass Yamato Lust auf sie hatte. Als sie auch abends von ihrer Partnerin noch nicht flachgelegt worden war, fasste sie den Beschluss, selbst dafür zu sorgen, dass sie sich endlich mal wieder "entspannen" konnte. Dank Kouyas eisigen Fingern hatte Yamato laut gekreischt, als sie unter das Oberteil des Schlafanzugs gefasst hatte. Die Spitzen ihrer Brust spannten sich unter der Kälte von Kouyas Händen. Da sie sich nicht umdrehen wollte, schob sie ihren Körper zurück an Kouyas. Lächelnd strich diese einige Haare aus Yamatos Nacken und küsste ihn. Sie spürte, wie sich die Härchen dort aufstellten. Sie hatte sich schon vorher aus ihrem Nachthemd befreit und fühlte, wie Yamatos Gänsehaut ihrer eigenen Haut ebenfalls eine solche bescherte. "Wieso hast du mich nicht angefasst?", fragte Kouya während sie die Knöpfe von Yamatos Oberteil öffnete. "Ich hatte nur darauf gewartet." Yamato schluckte. "Dachte ... du würdest es nicht ... noch nicht wollen." "Wieso sollte ich?" Kouya warf das Oberteil hinter sich. "Du hältst mich doch nicht etwa für so ein verklemmtes Mauerblümchen wie Ritsuka?" "Könnten wir ihn bitte aus unserem Sex raushalten?" Yamato drehte den Kopf zu Kouya, die sie mit skeptisch gehobenen Augenbrauen musterte. "Er ist doch ganz süß." Yamato stöhnte genervt und setzte sich auf. Im sanften Mondlicht konnte Kouya das ZERO-Zeichen auf ihrer Bust erkennen. Sie hatten Wetten abgeschlossen, ob es wieder verschwinden würde. Bis jetzt war dieser Fall nicht eingetreten. Ganz überzeugt war Yamato aber noch nicht. Kouya wusste, dass sie sich deswegen Sorgen machte. Dass sie aber auch so extrem auf Ritsuka reagierte, hatte sie nicht geahnt. "Süß ist aber nicht das gleiche wie sexy." Yamato zog einen Schmollmund. Kouya konnte nur grinsen, schlang die Arme um Yamato, legte ihr Beine, als ob sie einen Schneidersitz machen wollte, zwischen ihre und schob sie auseinander. Mit einer ihrer kalten Hände fuhr sie unter den Bund. Yamato zuckte zusammen und drückte den Rücken leicht durch. Kouya drückte auf die weiche Haut und schob sich an den Seiten entlang. "Er ist sexy. Zwar nicht für uns, aber für Soubi ist er es." "Das will ich auch hoffen." "Du mal wieder." Kouya drehte eine Locke aus Yamatos Haar um ihren Zeigefinger. "Ritsuka bekommt bestimmt keinen hoch beim ersten Mal." "Als ob du damals so angetan gewesen wärst", sagte Yamato. Vermutlich mit einem Grinsen auf den Lippen, doch das konnte Kouya, die das Gesicht in Yamatos Schoß gelegt hatte nicht sehen. Mit den Händen zog sie die Schlafanzughose ein Stück herunter. Den Rest überließ sie Yamato, die das Kleidungsstück zum Oberteil auf den Boden neben dem Bett warf. Yamato roch nach Olivenöl und Getreidefeldern. Kouya leckte über den Stoff der weißen Unterwäsche. Yamato presste die Schenkel zusammen, lockerte den Klammergriff um Kouyas Kopf jedoch nach einer Sekunde wieder. "Die Zeit ändert die Menschen." "Offensichtlich", gab Kouya zurück. *** Ritsuka lag auf dem Doppelbett, starrte an die schwarze Decke. Von seinem Unterleib aus kam eine silberblonde Mähne über sein Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und schob die Haare aus seinem Gesicht. Skeptisch blickte er Soubi an, der sich etwas -- und er wollte nicht wissen, was -- von den Lippen leckte. Ritsuka zog eine Schnute und hob die Brauen. "Was kommt jetzt?" "Bist du dir da auch ganz sicher?" "Wenn du weiter so fragst", sagte Ritsuka und hoffte, dass Soubi in der Dunkelheit seine roten Wangen nicht erkennen konnte, "dann bin ich damit einverstanden, dir weiterhin Befehle zu geben." Soubi lächelte ... ein Lächeln der Sorte, die Ritsuka vor ein paar Jahren noch wahnsinnig gemacht hatte. "Wie würde denn so ein Befehl aussehen?" "Jetzt gerade, oder eher allgemein?" "Hier und heute." Soubi senkte den Kopf. Ritsuka konnte die gleichmäßigen, kühlen Atemzüge auf seinen Lippen spüren. "Weißt du, wie viel Überwindung mich das kostet?", flüsterte er. Ritsuka legte ein Bein um Soubis Hüften und drückte sie an seinen Unterkörper. "Nimm mir meine Katzenohren; aber küss mich die ganze Zeit." Er spürte wie Soubis Zähne an seiner Unterlippe zogen und öffnete den Mund. "Ich liebe dich", sagte Soubi. Ritsuka spannte die pelzigen Ohren an. Er spürte nicht den Moment, in dem sie verschwanden. Schmerz und Schreie lenkten davon ab, als sich mit seinem ersten Orgasmus die Katzenohren in leuchtende, zuckende Schmetterlingsblitze auflösten und zu Lichtkugeln zerbarsten. *** Youji schlug nach dem Schmetterling, der ihm schon seit geraumer Zeit um den Kopf schwirrte. "Das arme Tier", schalt Natsuo ihn. "Insekt", entgegnete Youji und streckte ihm die Zunge heraus. Dafür erntete er einen weiteren bösen Blick, doch vor einem Schlag war er durch die Umstände bewahrt. Er stand vor einem noch offenen Grab, das in wenigen Minuten zugeschüttet würde. Sie hatten zusammengelegt, um ein Begräbnis für Reika ausrichten zu können. Youji rieb die Spitze seines schwarzen Designerschuhs in den Kieselsteinweg. Ritsuka und Soubi standen vor dem Grab und starrten hinein. Die ZERO-female verspäteten sich. Er hatte schon einen Verdacht, wessen Schuld das war. Dass sie sich aber selbst heute nicht darum scherte, rechtzeitig zu kommen, obwohl sie damals diejenige gewesen war, die die Ereignisse am meisten mitgenommen hatten, war ihm unverständlich. Yamato hatte um Reika geweint wie niemand sonst von ihnen, und jetzt kam sie zu spät zu ihrer Beerdigung? Von der sie den Hauptanteil der Kosten trug? Er verstand es nicht. Aber vielleicht hatte sie einfach Angst. Den Sarg zu sehen. Youji hatte ihn gesehen, als er noch offen in der Halle gelegen war. Reikas Kind, in einem weißen Taufkleid, das ihm viel zu lang war, lag auf ihrer Brust. Ihre Hände hatte man, ganz als ob sie das Kind umarmte, um den Leichnam des Babys gelegt. Sie schien zu lächeln. Genau wusste es Youji nicht mehr. Auf ihr Gesicht hatte er nicht lange schauen können. "'tschuldigung!", rief eine wohlbekannte Stimme vom Eingangstor des Friedhofs aus. "Wir sind viel zu spät, oder?", brachte Yamato keuchend hervor, als sie am Grab angekommen war. Youji bemerkte, dass sie es geflissentlich vermied, hineinzusehen. Er schüttelte leicht den Kopf. "Kein Problem", sagte Ritsuka lächelnd. Er drückte sie kurz an sich. Die Begrüßung mit Kouya verlief weitaus reservierter. Sie bevorzugte es, wenn man ihr nur zunickte. Natsuo packte seinen Arm. Erstaunt wandte er sich an ihn. "Stimmt was nicht?" "Das ist so bedrückend. Findest du nicht?" Er warf ihm einen besorgt wirkenden Seitenblick zu. "Ich versteh nicht ganz, was du meinst", sagte Youji. "Das Wetter ist schön. Für eine Beerdigung." Der Himmel war wolkengrau. Es sah aus, als würde gleich Nacht, obwohl es erst Mittag war. Youji konnte solche Tage nicht leiden. Sie kamen beide nicht aus dem Bett, wenn es draußen bewölkt war. Oft konnten sie sich dann nicht wecken, wie es sonst der Fall war, wenn einer von ihnen verschlief. "Du sagst es. Wir sind hier bei 'ner Beerdigung", schnalzte Natsuo ungehalten. "Wenn das nicht eins der bedrückendsten Ereignisse überhaupt ist?" "Zumindest nicht mehr für die Leiche." Natsuo knuffte ihn in die Seite. Obwohl er sich die schmerzende Stelle eine Weile rieb, bemerkte keiner etwas von ihrem Geplänkel. Yamato stand da, als hätte man sie eben erst aus einer Tiefkühltruhe geholt. Von ihren zusammengepressten Lippen wurde Youji eiskalt. Sie sah aus wie einst, als sie sich noch nicht darum scherte, jemanden für Kouya zu töten. Na ja, das hatte sich wahrscheinlich auch nicht geändert. "Yamato?", sagte Kouya leise. Da jedoch eine Totenstille herrschte, war sie so klar zu verstehen, als hätte Spielberg mit einem Megafon gerufen. "Willst du nicht die Grabrede halten?" "Dann können wir endlich hier weg", nuschelte Natsuo neben ihm in seinen Anorakkragen. Er verkniff sich ein Grinsen und legte seinem Partner einen Arm um den Körper. Der Anorak stank noch immer nach Fabrik. "Na schön", sagte Yamato endlich. Sie holte so tief Luft, dass Youji den Eindruck bekam, sie wolle den Sarg leersaugen. "Äh." Sie sah sich um und marschierte dann an das obere Ende des Grabes. Ihre Hände steckte sie in die Taschen des Rocks, den sie trug. Er war schwarz. Und das stand ihr überhaupt nicht. Erwartungsvoll sah er zu ihr hoch. Sie verlagerte ihr Gewicht immer wieder von einem Bein aufs andere, aber den Mund bekam sie außer zum heftigen Ausatmen nicht auf. Kouya ging zu ihr und schob beide Hände in Yamatos linke Rocktasche. Man konnte sehen, wie Yamato zupackte. Kouya lehnte den Kopf an Yamatos Schulter, die noch einmal tief einatmete. "Wir kannten Reika nicht lange", begann sie mit zittriger Stimme, und Youji fragte sich, ob sie wieder losflennen würde. "Und wir wissen nicht viel von ihr. Doch, obwohl sie auch nicht viel von uns wusste, hat sie stets für uns eingestanden. Sie hat uns geholfen und uns beschützt." Er grummelte innerlich. 'Sie hat uns durch die Kloake geschickt, verflucht noch eins!', dachte er. "Und auch wir fassten Vertrauen. Wir beschützten sie. Ohne dass wir wussten, woher sie kam. Wir wurden Freunde." Yamato zog Rotz zurück in ihre Nase. "Und ... und sie war eine Person, die ... die keinen schnell verurteilte." 'Soso?', dachte Youji, 'Da hab ich aber was ganz was anderes mitbekommen.' "Wir behandelten Reika nicht von Anfang an ... nett. Aber das hat ihr nichts ... nichts gemacht." Die Schluchzer vermehrten sich rasend, fand Youji. "Sie hätte uns einfach fallen lassen können. Aber Reika war ein gutmütiger Mensch." Yamato lächelte ins Grab hinab. "Ich konnte sie nicht leiden; aber sie half mir, das Wichtigste in meinem Leben wiederzufinden. Sie war ein Engel. Ein menschlicher, aber ein Engel." Youji rollte mit den Augen, und aus den Winkeln sah er, dass Natsuo ebenso wenig begeistert von der kitschtriefenden Rede war. Er ließ seinen Blick schweifen. Soubi stand wie immer ungerührt da, allein die Hand, die auf Ritsukas Schultern lag und sich in den Mantel gekrallt hatte zeigte so etwas wie Anspannung. Falls er nicht einfach nur dringend mal für Perverse musste. Ritsuka zitterte wie Espenlaub. Das konnte nicht an seiner Kleidung liegen. Der Mantel war dick und flauschig. Ein einzelne Träne kullerte ihren Weg hinunter bis zum Kinn. Ritsuka machte keine Anstalten, sie vorher aufzuhalten, sich die Augen trocken zu wischen. Youji stöhnte. Er mochte den Kleinen ja, aber musste der denn immer so korrekt sein? "Sie ist mit ihrer Rede fertig", sagte Natsuo plötzlich zu ihm. Er sah zu Yamato, die ein Stückchen entfernt auf der Erde saß und den Kopf in Kouyas kleinen Brüsten vergraben hatte. Wie dramatisch. Er gähnte. "Lass uns zu ihr gehen." Natsuo zog an Youjis Hemdsärmel. Er blinzelte ihn an. "Wieso denn das?" "Wir sind doch Schwester und Bruder." Youji stieß einen Pfiff aus. "Wir haben aber keinen Vater, und auch keine richtige Mutter. Demnach kann man wohl kaum von Geschwistern sprechen." "Aber wir mögen sie doch. Alle beide", sagte Natsuo mit Nachdruck. Der Nachdruck traf Youji wie ein Blitz. Er würde später ein eiskaltes Fußbad nehmen. Humpelnd trabte er hinter Natsuo her, der ihn am Ärmel gepackt hinter sich herzog. "Ach, Yamato", sagte Natsuo und ließ sich zu ihr ins Gras plumpsen. Youji blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls hinzusetzen, wenn er nicht vornüber kippen wollte. Yamato hob den Kopf. Das bisschen Make-Up in ihrem Gesicht hatte relativ gut gehalten, nur der schwarze Strich an ihrem unteren Lid hatte mehrere Bächlein auf ihre Wangen gezeichnet. Etwas regte sich in ihm. Der Drang war stark. Er griff dennoch nicht nach dem Tuch in seiner Jackentasche. Natsuo streckte den Arm aus und strich über Yamatos Haar. Er lächelte. "Reika freut sich bestimmt nicht darüber, dass du aussiehst wie ein italienischer Clown." Mühevoll versteckte Youji sein Prusten unter einem gespielten Hustenanfall. Natsuo warf ihm einen schneidenden Blick zu. "Äh", sagte Youji. "Ich glaube, äh." "Musst nix sagen", hickste Yamato grinsend. "Und gib mir gefälligst das beschissene Taschentuch." Er grinste zurück. "Ich hab dich gern. Denk ich", sagte er und hob ihr das zerknüllte Tuch unter die Nase. "Is' ungebraucht." "Wer hat denn heutzutage noch Stofftaschentücher?", fragte Yamato. "Leute, die sich zu schade fürs Briefmarkensammeln sind", sagte Natsuo. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte Youji ihm eine Kopfnuss verpasst. Jetzt beließ er es dabei, ihm die Zunge herauszustrecken. "Verstehe", sagte Yamato und schnäuzte lautstark. Sie reichte ihm das vollgerotzte Tuch. Youji verzog das Gesicht. "Du wirst bestimmt verstehen, dass ich dir die Reinigung nicht zahlen kann. Die Beerdigung war ganz schön teuer für ein junges Lesbenpaar." Kouya errötete kaum merklich. Youji aber hatte einen Blick für so was. Er seufzte theatralisch. "Ja, schon gut. Will mal nicht so sein." Natsuo rückte näher an ihn heran. "Ich hab dich übrigens auch gern." "Ja doch!", sagte Youji. An Kouyas Grienen konnte er ablesen, dass es nun wohl er war, der aussah wie ein junger Krebs. "Ach, Mann." "Streitet ihr euch schon wieder?", fragte Ritsuka. Er ließ sich neben Youji ins Gras plumpsen. Soubi setzte sich im Schneidersitz hinter ihn. "Nee", antwortete ihm Yamato. "Heute nicht." A/N: Damit ist "The beloved 'Loveless'" für's erste beendet. Eine Überarbeitung der kompletten Story wird allerdings noch folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)