Eternity II - Die Rückkehr des Rächers von Purple_Moon (Auch tot noch gefährlich...) ================================================================================ Kapitel 17: Geschichten eines Kelchhüters ----------------------------------------- Kapitel 17: Geschichten eines Kelchhüters Im Laufe des Tages kamen die restlichen Drachen von ihrem Flug zu der besagten Höhle zurück. Sie waren einigermaßen schlecht gelaunt, weil sie nur zertrümmerte Felsen vorgefunden hatten, aber andererseits war die Tatsache, dass jemand die Klippen einstürzen lassen hatte, ein Indiz, dass etwas vertuscht werden sollte. Die neuesten Todesfälle schockierten sie, und sie begriffen, dass Eikyuu Recht gehabt hatte mit seiner Befürchtung, dass Valerian etwas passiert war. Die meisten aus der Gruppe besuchten ihn, um sich nach dem Befinden des Menschen zu erkundigen. Kaji war besonders erschüttert, da er den jungen Magier ja schon länger kannte. Doch es war auch nicht leicht für ihn zu erfahren, dass Hibashi gestorben war. Mit Taika auf seinem Rücken flog er aufs Meer hinaus, um die Asche seines Ururgroßvaters dort zu verstreuen. Die Nachtgänger hatten Noxenius noch nicht verbrannt, aber bereits auf einem Scheiterhaufen aufgebahrt. So einfach war es mit Noctifer nicht gelaufen. Unter Einsatz zahlreicher freiwilliger Helfer hatte man die Wände der Clanräume abgebaut. Es waren zum Glück nur leichte, nachträglich eingebaute Wände in einem größeren Saal gewesen. Am Ende hatten sich zwei Nachtgänger in Drachen verwandelt und ihren Angehörigen hinausgetragen. Da es kaum möglich war, einen Scheiterhaufen von ausreichender Größe zu errichten, mussten sie ihn mit ihrem Drachenfeuer verbrennen. Die Beteiligung des ganzen Clans war dazu nötig, damit die Sache schnell erledigt war. An diesem Tag roch es auf der ganzen Insel nach Rauch. Noxenius war der Letzte, dessen Asche verstreut wurde. Bei Valerian versammelten sich indessen die Heiler, insgesamt fünf an der Zahl. Kyuujo passte es nicht, dass sich die anderen einmischten, aber er wertete es als gutes Zeichen, dass sie ihre Hilfe anboten, also hörte er sich ihre Vorschläge an. Während sie am Tisch saßen und ihre Untersuchungsergebnisse und Heilmethoden diskutierten, saß Eikyuu noch immer an Valerians Bett. Er gab ihm Wasser und Haferbrei, wenn er aufwachte. Das Fieber war durch Kyuujos Kräutertees schon etwas zurückgegangen. Der Prinz war müde, wachte aber oft auf. Er redete manchmal wirres Zeug und schien Eikyuu für seine Mutter zu halten, doch wenn er klar bei Verstand war, freute er sich über die Gesellschaft seines Partners. "Es scheint mich schlimm erwischt zu haben... mir ist ganz schwindelig," murmelte er. Der Drache streichelte ihm Haare aus dem Gesicht und wusch das Tuch, das auf seiner Stirn lag, neu aus. "Deine kleineren Verletzungen haben sich zum Teil böse entzündet. Du hattest Fieber, und es ist noch nicht ganz weg." "Ich hab Shitais Horn benutzt... ist das schlimm?" Eikyuu hob eine Augenbraue. "Wieso?" "Nun ja, vielleicht... ist sein Horn ein Heiligtum oder so was... Aber in dem Moment schien es mich regelrecht zu rufen. Noctifer dachte, nur ein Rächer könne es führen... Das Schwert hat ihn auch wirklich abgewehrt..." "Du hast es in einen Racheakt geführt, dafür ist es da," versicherte Eikyuu. "Taika hat mir berichtet, wie wild du gekämpft hast. Shitai wäre sehr stolz auf dich gewesen. Ich jedenfalls bin es." Valerian lächelte erleichtert. "Ich dachte, du würdest schimpfen." "Weil du das Schwert benutzt hast oder weil du dich mit einem Drachen angelegt hast?" "Noctifer hat angefangen," verteidigte der Schwarzhaarige sich. "Er wollte mich strangulieren. Und zum Schluss hat er versucht, mich zu zertreten." "Soweit ich gehört habe, hast du ihn fachmännisch erledigt. Vielleicht sollte ich Angst vor dir haben... Bist du sicher, dass du das noch nie gemacht hast?" erkundigte Eikyuu sich scherzhaft. Doch Valerian dachte ernsthaft darüber nach. "Vielleicht in meinem letzten Leben." Sein Geliebter runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu. Allerdings hatte er sich schon des Öfteren über seinen Kariat gewundert, seit sie hier waren. Beispielsweise hatte er nie erfahren, wer ihm von der Wahl des Erlösers erzählt hatte. Weder Taika noch Kyuujo hatten sich dazu bekannt, und sie hatten ja keinen Grund zu lügen. Selbst Valerian war sich nicht sicher. Vielleicht hatte er es in einem der Bücher aus den Clanräumen gelesen. "Ich hatte so seltsame Träume," erzählte der Prinz. "Manchmal kamst du drin vor... aber manche waren sehr blutig. Ich kämpfte gegen irgendwelche Typen... weiß nicht mehr genau... Vielleicht hat dieses Schwert das bewirkt. Könnte doch sein, dass darin noch irgendwelche Erinnerungen stecken, oder?" Er blickte den Drachen fast hoffnungsvoll an, als wollte er hören, dass er nicht verrückt wurde. "Nach allem, was du erlebt hast, wundert mich das nicht," tröstete Eikyuu ihn. "Ich hoffe, die Träume von mir waren... angenehm?" "Naja..." Der Schwarzhaarige dachte scharf nach. "Nicht wirklich. Du hast mich immer so traurig angesehen. Und wir hatten leider keinen Sex. Da fällt mir ein, dass wir wahrscheinlich demnächst auch für eine Weile keinen haben können... Mist!" Eikyuu hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. "Val! Ich mache mir Sorgen, ob du je wieder richtig laufen kannst, und du denkst nur an sowas!" "Dafür muss ich ja nicht laufen können." "Kariat, das ist ein ernstes Thema." "Na gut. Haben die da draußen schon was für mich geplant? Ich fürchte mich ein bisschen... Kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie sie meine Knochen gerichtet haben, aber das tat ziemlich weh, soviel weiß ich noch. Ich... bin in dieser Hinsicht nicht so stark wie du, Kyuu." Bittend sah Valerian seinen Geliebten an. Dieser streichelte zärtlich seine Wange. "Keine Sorge. Das ist ein Kinderspiel für mich. Du wirst nichts spüren, falls sie sowas noch mal vorhaben." Der junge Mann schloss erleichtert die Augen. "Okay. Das beruhigt mich. Ich mache mir im Moment noch keine Sorgen um meine Beine, bestimmt findet sich da eine Lösung, nicht wahr?" Eikyuu nickte. "Na klar. Es sind schon welche mit solchen Verletzungen wieder gelaufen, die keine Magier zu Hilfe holen konnten." Valerian lächelte. "Da habe ich ja großes Glück. Die Ewigkeit möchte ich nicht als Krüppel verbringen, obwohl ich es sicher aushalten könnte mit dir als meinem Pfleger... Ich könnte einen Schwebezauber benutzen, um mich fortzubewegen." Es fiel ihm leichter, die Situation zu ertragen, wenn er darüber Witze machte. "Erzähl mir von den sechs Jahren, in denen du weg warst. Von den Leuten, mit denen du *nur Sex* hattest, und was sonst noch alles so war," bat er schließlich. "Ah ja, das hatte ich dir ja versprochen. Also eine Geschichte zum Einschlafen?" "Ich höre dir schon zu, keine Sorge." "Hm..." Eikyuu überlegte, wo er am besten anfing. "Der Ort, wo der Kelch versteckt ist, befindet sich auf einem sehr hohen, steilen Berg über den Wolken. Man kommt dort nur auf einem Drachen hin, denn zu Fuß ist es zu gefährlich. Kein Weg führt hinauf, und wer versucht zu klettern, hat mit so großen Schwierigkeiten zu kämpfen, dass seine Ausdauer erschöpft ist, ehe er oben ankommt. Da ist es leichter, einen Drachen zu bitten, mit ihm hinauf zu fliegen. Die Winde sind in dieser Gegend so stark, dass man auch mit einem geflügelten Pferd nicht dort hinkommt. Nur ein Drache kann sich den Winden entgegenstellen. Wer also nach dem Kelch sucht, muss sich bei seinem Wächter einschmeicheln. Dazu muss der Abenteurer einen benachbarten Berg bezwingen, was jedoch relativ einfach ist, denn ein steiler, aber begehbarer Weg führt hinauf, und dieser Berg ist nicht besonders hoch. Oben findet er eine geräumige Hütte vor, in der er willkommen geheißen wird. Von mir, dem Drachen in Menschengestalt. Manchmal begegne ich den Leuten auch schon unterwegs, um sie mir anzusehen und sie zu beurteilen. Ich kann sie vor ein paar Proben stellen, um ihren Charakter zu prüfen. Manchmal bitte ich sie, für mich Früchte zu ernten oder ein Feld umzugraben. Ich baue am Hang Trauben an, die ich mit den Leuten aus dem nächsten Dorf gegen andere Dinge tausche. Oben in der Hütte ist erstaunlich viel Reichtum vorhanden. Kleine Dinge aus Gold und Silber, Edelsteine, die einfach zur Zierde herumliegen. Ich tue so, als bedeute mir das alles nicht wegen des Wertes etwas, sondern aus sentimentalen Gründen. Ist beinahe wirklich so, Gold bedeutet mir nichts, nur dass man ohne es manchmal alt aussieht. Naja. Wenn die Kandidaten etwas mitgehen lassen, sind sie schon mal so gut wie durchgefallen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass seltsamerweise diejenigen am meisten stehlen, die es am wenigsten nötig haben. Aber das ist wohl eine Eigenart der Menschen... Ich verabschiede mich unter einem Vorwand und arrangiere eine Begegnung mit dem Drachen, also wiederum mir, wenn ich es für angemessen halte. Dann bringe ich diejenigen, die ich für würdig befunden habe, auf den Berg des Kelches, den man scherzhaft Schokoladenberg nennt. Spätestens dort zeigen die Menschen ihr wahres Gesicht. Viele haben schon versucht, den Kelch zu stehlen. Sie wissen, dass sie ohne mich nicht von dem Berg wegkommen, und verstecken ihn unter ihrem Gewand. Nur dass ich dann nicht wegfliege und sie halb versauern lasse, ehe ich mich wieder erbarme. Davon abgesehen habe ich viele Kelche, es ist also gar nicht so einfach, den richtigen zu erwischen. Aber das siehst du dir am besten irgendwann selbst an." "Ja... wenn du mich nicht wieder zurücklässt," murmelte Valerian schläfrig. Eikyuu kraulte ihn am Kopf. Der Prinz lächelte genüsslich. Sein Drache fuhr fort: "Im dritten Jahr kam ein junger Hüpfer aus dem Dorf, um mir Käse zu liefern. Ich kannte ihn noch nicht. Er war wirklich hübsch. Das dachte er wohl auch über mich, denn er sprach bewundernd über mein Äußeres, dichtete sogar einige etwas unbeholfene Verse darüber. Als Seelenleser merkte ich, dass er mich attraktiv fand und entsprechend schmutzige Gedanken hegte, aber er war zu jung, um ihnen Ausdruck zu verleihen, und schockiert darüber, Gelüste für einen Mann bei sich zu entdecken. Also machte ich deutlich, dass ich zu einem kleinen Abenteuer bereit wäre, und umgarnte ihn ein bisschen. Nicht ohne schlechtes Gewissen, aber ich gab ihm von Anfang an zu verstehen, dass es wirklich nur ein Abenteuer wäre. Mein Körper sehnte sich danach. Der Junge hatte jedoch zu große Scheu und ging unverrichteter Dinge. Ich schlug ihm vor, mir am nächsten Tag Wolle zu liefern, als Chance, es sich zu überlegen. Er hätte jemand anderen schicken können, aber er kam persönlich. Dieses Mal ließ er sich verführen. Er war schüchtern und ängstlich, etwas, das mich reizte, denn ich hatte so etwas noch nicht oft erlebt. Aber er wollte diese Erfahrung, und so gab ich sie ihm. Ich glaube nicht, dass er das Erlebnis perfekt fand, doch er war froh, es getan zu haben. Er gestand mir später, dass er Interesse an einem anderen Mann hatte, und er wollte diesem nicht ganz ohne Vorkenntnisse entgegen treten. Somit war uns beiden geholfen, und ich sah ihn nicht wieder." "Wäre ja noch schöner gewesen," kommentierte Valerian gespielt beleidigt. "Was war mit deiner Magie, sagtest du nicht, dass sie zu gefährlich war?" "Ja, deshalb trug ich eine Halskette, die meine Kräfte im Zaum hielt. Wenn ich allein war, legte ich sie ab und arbeitete daran, meine neue Macht zu beherrschen," erklärte Eikyuu. "Erzähl mir von den anderen," forderte sein Partner ihn auf. "Ich will es wissen, das ist alles. Denk nicht, dass ich dir deswegen böse bin oder so..." "Das tue ich nicht." Der Drache grinste frech. "Der Nächste besuchte mich etwas später in demselben Jahr. Er war ein Mann Anfang dreißig, der sehr viel auf sich hielt. Somit sagte er mir geradeheraus, dass er mich gerne flachlegen wolle. Ich fragte, warum er sich denn nicht statt dessen für mich hinlegen wolle. Er fand das erregend und erwiderte, ich könne ja mal versuchen, ihn dazu zu bringen. Das tat ich. Anscheinend gefiel es ihm in gewisser Weise, denn er kannte bisher nur unterwürfige Liebhaber." Der Prinz kicherte amüsiert. "Das hätte ich gerne gesehen." "Zusehen hat in der Tat seinen Reiz," stimmte der Seelenleser zu. "Du solltest jetzt noch etwas schlafen. Den Rest kann ich dir immer noch erzählen." Valerian nickte. "Ich werde drauf zurückkommen. Denk nicht, dass du dich drücken kannst." Er kuschelte sich so bequem wie möglich in sein Kissen und schloss die Augen. Wenig später verriet sein gleichmäßiger Atem, dass er schlief. Eikyuu deckte ihn sorgfältig zu. Er verließ für eine kurze Zeit seinen Kariat, um die Heiler nach ihren Fortschritten auszufragen. *** Der viele Schlaf und die Heilkräuter-Tees sorgten dafür, dass Valerian sich rasch von seinem Fieber erholte. Das Treffen wurde aufgrund der traurigen Ereignisse um eine Woche verlängert. Alle Clans hatten extra für diesen Anlass Vorführungen ihrer Künste eingeübt, und es war nur fair, dass sie diese dann auch vorführen durften. Eikyuu wich selten von der Seite seines Kariats, außer wenn es unbedingt nötig war. So verpassten beide leider die Luftakrobatik der Windsegler und das Wasserballett der Schwimmer, aber Taika berichtete ihnen in allen Einzelheiten davon. Kaikou formte zu seinen Berichten Bilder aus Licht. Sie wurde immer besser darin und übte fleißig, seit sie an jenem Morgen Shiseis Körper mit ihrer Gabe sichtbar gemacht hatte. Valerian regte sich zunehmend darüber auf, dass er nicht einmal alleine seine Notdurft erledigen konnte. Er hatte immer Heiler in der Nähe, die ihm halfen, denn er wollte nicht, dass seine Freunde ihn so sahen, wenn es sich vermeiden ließ. So oder so war es ihm sehr unangenehm, aber mit zwei gebrochenen Beinen hatte er keine große Wahl. Ohne das Fieber konnte er nun manchmal vor Schmerzen nicht schlafen. Besonders der linke Fuß machte ihm zu schaffen, weil dieser noch nicht gerichtet werden konnte und deshalb nicht zur Ruhe kam. Ihm graute vor dem, was die Heiler damit vorhatten. Bis auf weiteres gaben sie ihm Mittel, die die Schwellung linderten. Kaum zu glauben, dass alles innerhalb von so wenigen Tagen passiert war, aber die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen. Und so war es erst der sechste Tag nach ihrer Ankunft, als Valerian mit dem Plan zu seiner Heilung konfrontiert wurde. "Wir haben entschieden, dass wir es besser langsam angehen lassen, damit dein Körper nicht so viele Reserven verbrauchen muss," erklärte Kyuujo. "Der Trank, den Taika bekommen hat, sollte eigentlich nur im Notfall und nur bei Drachen verwendet werden. Ich werde dir aber eine etwas schwächere Variante brauen, die Aurelius' Kräfte unterstützen soll." Aurelius war der honigblonde Heiler der Lichtsänger. "Ich kann durch meinen Gesang die Knochen in deinem linken Fuß erfühlen, und mit Hilfe der Erdmagie, die ich mal gelernt habe, werde ich in der Lage sein, sie zu richten," erläuterte er. "Meine Kollegin Ishiyama wird mir dabei helfen, die Steinbrecher sind Spezialisten in Knochenbrüchen. Da uns Magie zur Verfügung steht, werden wir deinen Fuß wahrscheinlich nicht aufschneiden müssen. Du bist ja selbst ein Magier, somit können wir deine eigenen Kräfte anregen, die Heilung voranzutreiben..." "Aufschneiden?" Valerian wurde schlecht, obwohl sie ihm an diesem Morgen nichts zu essen gegeben hatten. Er wusste, dass man manche Knochenbrüche nicht einfach von außen behandeln konnte, aber er wollte sich das lieber nicht genauer vorstellen. Ishiyama lächelte ein kühles Heilerlächeln. "Natürlich, was glaubst du, wie sowas gemacht wird, wenn kein Magier in der Nähe ist? Dann muss man alles von Hand umständlich schienen und..." "Ich weiß, Entschuldigung," unterbrach er sie, ehe sie das noch genauer beschreiben konnte. "Ich schlage vor, ihr fangt einfach an. Tut, was ihr für richtig haltet." Und so wurde sein Bett in die Mitte des Raumes geschoben und ein großes Tuch über ihm gespannt, so dass er seinen eigenen Unterleib nicht mehr sehen konnte. Das war vielleicht auch besser so. Wenn er schon wach sein musste, weil sie seine Magie eventuell brauchten, wollte er sich zumindest nicht übergeben müssen. Er war ein unglaublich schlechter Patient. Seit das Fieber gesunken war, hatte er gejammert und genörgelt, bis alle genervt seine Nähe gemieden hatten. "Du benimmst dich wie ein Rächer," hatte Eikyuu ihn geneckt. "Die sind auch nicht glücklich, wenn sie nicht rumlaufen und ihrer Berufung nachgehen können." Auf Valerians Drängen hin hatte er ihm dann ein paar entsprechende Episoden aus Shitais Leben erzählt. Der Seelenleser hatte ohnehin viel Zeit damit zugebracht, seinem Kariat alles mögliche zu erzählen, nur um die Zeit totzuschlagen. Der Prinz wusste jetzt alles über die kleinen "Abenteuer" seines Partners und genug über das Bewachen des Schokoladenkelches, dass er den Job hätte übernehmen können, wenn er ein Drache gewesen wäre. Auch war er nun darüber informiert, dass Shitai ein gefürchteter Kämpfer gewesen war, der sich hin und wieder in einen regelrechten Rausch hineingesteigert hatte, wenn er einen ebenbürtigen Gegner gehabt hatte. Nur hatte das leider immer zur Folge gehabt, dass er höhere Risiken eingegangen war als sonst und meistens für ein paar Tage seine Freunde und Verwandten genervt hatte, während sie ihn gesund gepflegt hatten. Einmal hatten sie ihn tatsächlich festbinden müssen, um seinem Körper die nötige Ruhe zu verschaffen. Eikyuu hatte zu Anfang nur ungern über seinen früheren Geliebten gesprochen, aber schon bald hatte er gemerkt, dass es ihm gut tat. Es erleichterte seine Seele, wenn er den Schmerz nicht länger verdrängte, und Valerian war ihm eine große Hilfe. Er zeigte mehr Verständnis, als der Seelenleser es von demjenigen, der Shitais Platz eingenommen hatte, erwartet hatte. Der Prinz musste damit leben, dass im Herzen seines Geliebten immer eine kleine Ecke Shitai gehören würde, aber er gab sich mit dem Rest zufrieden. Denn in der Gegenwart gab Eikyuu ihm alles von sich, was er zu geben hatte, und das war mehr als genug. "Hör auf zu grübeln," drang die geliebte Stimme in sein Ohr. "Du musst sich konzentrieren. Denk daran, dass du geheilt werden willst." Eikyuu kniete am Kopfende des Bettes, seine Arme hatte er schützend um Valerians Haupt gelegt. Er drang in dessen Geist vor und löste ihn von den Schmerzen seines Fleisches, schirmte ihn wirkungsvoll ab. Valerian konnte spüren, dass die Heiler etwas mit seinem Fuß anstellten, und er hörte Aurelius einen sanften Gesang anstimmen. Hinter dem Tuch flogen die typischen Lichtpunkte auf. Er griff fast ängstlich nach Eikyuus Händen und verkrampfte sich nervös. "Nicht, du darfst dich nicht so verspannen." Die Stimme seines Geliebten klang leise und beruhigend. "Ist schon gut... sie wissen, was sie tun. Bleib locker. Merkst du, wie das Licht Wärme hervorbringt?" Es stimmte, Arelius' Kräfte hatten den Nebeneffekt, dass sich eine beruhigende Wärme über seine Beine legte. Eikyuu hielt seine Hände und streichelte sie mit den Daumen. Valerian ließ willig zu, dass der Seelenleser seine Gabe einsetzte, um ihm die Aufregung zu nehmen. Er entspannte sich allmählich und fiel in eine Art Wachtraum, in dem der Drachenheiler in ihm die Oberhand gewann. Es gelang ihm, seinen eigenen Körper sachlich zu betrachten und sich auf die Heilung zu konzentrieren, während Aurelius und Ishiyama ihren Teil dazu beitrugen. Irgendwann ging dieser Zustand in einen echten Schlaf über, und er hieß ihn gerne willkommen. Zeit zum Ausruhen nach der unangenehmen Prozedur. Eikyuu lächelte, als er Valerian ins Reich der Träume entschwinden fühlte. "Das hast du dir verdient, Kariat," flüsterte er. Die Heiler bauten ihren Vorhang wieder ab. Sie hatten die Knochen im Fuß und den Beinen ihres Patienten provisorisch zusammenwachsen lassen, so dass sie nicht wieder verrutschten, aber dennoch war alles sorgfältig geschient und verbunden. "Er sollte jetzt so lange wie möglich schlafen, damit sein Körper sich von der Anstrengung erholen kann. Wenn er aufwacht, gib ihm von Kyuujos Trank," ordnete Aurelius an. "Schaffst du es?" hakte Ishiyama nach. Eikyuu nickte, obwohl ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Er konnte Valerian jetzt nicht verlassen. Standhaft schützte er den Prinzen weiter vor den Schmerzen, um ihm einen erholsamen Schlaf zu ermöglichen. Nach einer Weile gesellte sich Kyuujo zu ihm. "Ich könnte dich mal ablösen." "Danke, Vater. Aber wir können Val nicht fragen, ob er das will, und ich glaube nicht, dass er sich von mehreren Seelenlesern abwechselnd im Hirn herumpfuschen lassen möchte. Mich kennt er, doch es könnte sein, dass er dich instinktiv abwehrt," lehnte sein Sohn höflich ab. Der Drachenheiler grinste. "Du willst ihn doch nur nicht hergeben. Ich bin mit Taika im Vorraum, wenn du mich suchst. Der Trank ist fast fertig." "Ich weiß das wirklich zu schätzen, was du und die anderen für ihn tun," versicherte Eikyuu. "Ach, hör auf, Dankeschöns habe ich schon mehr als genug im Schuppen," winkte Kyuujo verlegen ab. "Sieh zu, dass er wieder in Ordnung kommt, damit er seine Lehre fortsetzen kann." "Ja, Vater," strahlte Eikyuu. Kyuujo grummelte etwas vor sich hin und verschwand aus dem Raum. Sein Sohn machte es sich bei Valerian bequem, indem er sich auf ein Kissen neben das Bett setzte und seinen Kopf auf das Laken sinken ließ, die Hand auf der Brust des Schlafenden. "Kariat... sei stark." Er strich noch einmal über Valerians Stirn und erlaubte sich, ein wenig die Augen zu schließen. Der Seelenleser hatte nicht lange gedöst, als er eine Stimme vernahm, die er hier ganz gewiss nicht hören wollte. Taika versuchte, den Besucher abzuwimmeln, doch dieser war hartnäckig. Eikyuu stand gerade von seinem Platz auf, als Kyuunan hereinkam. "Was willst du denn hier, Ältester?" entfuhr es dem Jüngeren. Kyuunan lächelte väterlich. "Ich wollte nur nachsehen, wie es dir und deinem Kariat geht, immerhin bist du ein Angehöriger meines Clans." "Wie haben alle Hilfe, die wir brauchen," gab Eikyuu ihm zu verstehen. Sein Großvater behielt sein Lächeln bei. "Du solltest außerdem wissen, mein lieber Enkel, dass du dich in Zukunft lieber nicht in fremde Angelegenheiten einmischen solltest. Denk doch nur daran, wie viele Leute deiner dummen Geschichte von dieser Höhle zum Opfer gefallen sind! Einige sind sogar tot, das wäre nicht geschehen, wenn du das Thema nicht angeschnitten hättest. Und erinnere dich, was Taika zugestoßen ist, nicht zuletzt deinem geliebten kleinen Menschen..." "Die Toten fielen einer rechtmäßigen Rache zum Opfer, oder willst du das etwa abstreiten?" widersprach Eikyuu mühsam beherrscht. "Ich weiß nicht, was du damit zu tun hast, aber ich finde es schon noch heraus. Der wahre Verbrecher hinter der Vernichtung der Rächer wird dafür zahlen, früher oder später werde ich ihn erwischen!" "Du solltest dich lieber nicht mit mir anlegen, Junge. Angenommen, ich hätte etwas zu verbergen. Du könntest es nie beweisen, weil ich nicht so unvorsichtig bin wie Arcanus und seine Sippschaft. Also gib lieber gleich auf, wenn dir dein Leben lieb ist. Ohne deine magischen Kräfte kannst du gar nichts ausrichten, und das weißt du. Beschütz lieber deine Freunde, so gut du kannst!" Kyuunan drehte sich um, die Drohung im Raum hängen lassend. Taika hatte in der Tür gestanden und alles gehört, aber das störte ihn nicht weiter. "Pass auf deinen Hintern auf," flüsterte er dem Flammentänzer wohlwollend lächelnd zu, als er an ihm vorbeiging. Die beiden Männer warteten, bis der Störenfried verschwunden war. Taika verschloss die Haustür von innen, dann auch die zum Schlafzimmer. "Wenn das mal kein Geständnis war... zu dumm, dass wir nicht wissen, wofür." "Ja, und leider sind uns die Hände gebunden. Wenn wir etwas unternehmen, wird er Valerian oder einen der anderen, die uns nahe stehen, angreifen," stellte Eikyuu fest. Hinter ihm atmete Valerian zischend ein. Zuerst dachte der Drache, er hätte seinen Schutz gegen die Schmerzen vernachlässigt, doch dann spürte er glühenden Zorn von seinem Geliebten. Der Schwarzhaarige stützte sich auf den Ellenbogen ab und brachte sich in eine sitzende Position. "Der Mörder, ich bringe ihn um! Er soll Timarios dreifach meine Grüße ausrichten!" schrie er aufgebracht. Eikyuu packte ihn und drückte ihn auf das Laken zurück, ehe er aufspringen konnte, um dem Ältesten zu folgen und ihm an die Gurgel zu gehen. "Val! Deine Beine sind gebrochen, du kannst ihm jetzt nicht nachlaufen!" "Und ob ich kann! Er muss dafür bezahlen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue! Lass mich los!" "Ich glaube, ich habe dir zu viele Geschichten von Shitai erzählt! Soll ich dich auch ans Bett fesseln?" Valerian hörte auf, sich zu wehren. Seine Augen funkelten vor Zorn, und er atmete keuchend. "Lasst ihn nicht davonkommen! Nimm mein Schwert und erledige ihn!" "Kariat, du fantasierst, oder was ist mit dir los? Beruhige dich," flehte Eikyuu. "Wir können ihm im Moment nichts nachweisen; wenn du gesund bist, können wir es wieder versuchen. Er soll sich nicht genötigt fühlen, dir etwas anzutun. Bitte, Val, gedulde dich!" Taika sah die Szene und blickte Shisei fragend an. //"Sollten wir vielleicht doch mal seine seltsamen Auraveränderungen erwähnen?// Der Geist nickte bedächtig. "So langsam mache ich mir auch Sorgen." Valerian ergriff beschwörend Eikyuus Handgelenk. "Er war es, ich bin ganz sicher! Towa, er hat die Rächer auf dem Gewissen!" *** Fortsetzung folgt. *fg* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)