Eternity II - Die Rückkehr des Rächers von Purple_Moon (Auch tot noch gefährlich...) ================================================================================ Kapitel 14: Zerrüttete Familien ------------------------------- Kapitel 14: Zerrüttete Familien "Mach das nie, nie wieder mit mir!" säuselte Eikyuu müde. "Wenn du mir versprichst, dich nicht mehr mit bösen Draconer-Allmeistern zu schlagen?" entgegnete Valerian. "Das war nötig, deine Aktion jedoch nicht." Eikyuu zog die Decke ein bisschen höher, um es sich und seinem Kariat bequemer zu machen. Sie hatten wieder ein Schlaflager in ihrem eigenen Turmzimmer, aber leider noch kein neues Bett. "Einer weniger. Schade, dass wir nicht der ganzen Welt sagen können, was er für ein Verbrecher war," entgegnete Valerian. "Ich habe gespürt, dass heute Nacht alle wieder sehr unruhig geschlafen haben. Ich denke, sie wissen es jetzt," bemerkte der Drache. Sein Partner zog ihn etwas näher an sich und küsste ihn auf die Stirn. "Na, zum Glück haben wir ja nicht geschlafen." Das stimmte. Zumindest hatten sie die Fenster geschlossen, so dass ihre Lustschreie nicht der Grund für die unruhige Nacht gewesen waren. Jedenfalls nicht für jeden. Kyuujo hatte sich zweimal beschwert, dass er über ihnen nicht schlafen konnte. Als es dann noch nicht still wurde, hatte man auf einmal durch die Decke eine Frau und eine tiefe Männerstimme ähnliche Töne ausstoßen hören. Irgendwie konnten sie Kyuunan, der dann ganz sicher kein Auge mehr zugetan hatte, nicht bedauern. "Du hast mich gestern sehr an ihn erinnert," gestand Eikyuu. Valerian hob eine Augenbraue. "An Shitai?" "Ja. Einmal war ich dabei, als er jemanden richtete. Er hatte einen Kindermörder gestellt und holte mit seinem Schwert zum Todesstoß aus. Er sagte: *Timarios ist ein Rächer, weißt du? Bestell ihm meine Grüße, wenn du um Einlass in sein Reich bettelst.* Später erklärte er mir, dass es ein indirekter Fluch war. Wenn du dem Erlöser Grüße von einem Rächer ausrichtest, schickt er dich ins Diesseits zurück." "Um wiedergeboren zu werden?" "Ja. Aber als Sterblicher, als kurze Chance, den Fehler wieder gutzumachen. Ein ähnlicher Fluch wie der, den Shisei über die Folterknechte ausgesprochen hat." Der Prinz runzelte die Stirn. "Dann war ich ja direkt gnädig! Ach nee, ich bin kein Rächer, naja. Höchstens symbolisch, zählt das auch? Übrigens war das eben das erste Mal, dass ich dich den Namen deines Totengottes sagen hörte." "Es war nur ein Zitat, aber davon abgesehen hast du damit nicht mehr so ein großes Problem, wenn du ein Verhältnis mit einem Rächer hattest. Die sprechen immer den Namen..." Eikyuu stockte plötzlich. "Oh, verdammt! Jetzt fällt's mir wieder ein! Kyuunan hat den Namen auch gesagt! *Möge Timarios sich seiner erbarmen,* sagte er. Ich dachte immer, das wäre Noxenius gewesen!" "Ich kann dir nicht ganz folgen," bremste sein Kariat ihn. "Was hat Noxenius damit zu tun?" "In dem Traum, als jemand befahl, Shisei die Zunge herauszuschneiden. Derjenige sprach auch den Namen aus. Shisei dachte, es sei der Folterknecht Noxenius gewesen, deshalb dachte ich es auch. Aber vielleicht war es Kyuunan!" "Wenn es Kyuunan war, warum erinnert Shisei sich dann nicht an ihn?" "Weil Kyuunan ein Seelenleser ist. Er kann dem Jungen vorgetäuscht haben, dass er ein anderer war." "Was hatte Kyuunan denn in der Folterkammer verloren? Die Seelenleser wurden doch von der Verhandlung ausgeschlossen. Rächer sind ja angeblich so gefährlich für sie. Und warum hat Kyuunan seine Identität verschleiert? Er konnte doch nicht wissen, dass Shisei überleben würde... oder?" Eikyuu überlegte. "Nein, zu dem Zeitpunkt gab es den Plan wohl noch nicht. Das ergibt alles keinen Sinn... Was wollte er da? Warum gab er sich als ein anderer aus, wenn er glaubte, der Junge könne ihm nicht mehr gefährlich werden? Hatte er Angst, dass sein Geist ihn heimsucht? Aber er konnte doch gar nicht wissen, dass Rächer sich die Auren von Lebewesen einprägen und wieder erkennen können... das heißt..." Der Seelenleser wurde plötzlich sehr blass. "Oh nein. Vielleicht wusste er es von mir!" Valerian hob eine Augenbraue. "Hast du mit ihm über die Rächer gesprochen?" Eikyuu schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. "Verdammt, ja! Ich war noch sehr jung, als Shitai starb. Naja, vielleicht dreihundert..." Valerian rollte mit den Augen. "Sehr jung, he?" "Na, im Vergleich zu heute... Jedenfalls hatte ich damals noch ein inniges Verhältnis zu meinem Großvater, und er war es, dem ich in meiner Trauer mein Herz ausschüttete. Ich sagte ihm, dass Rächer oft wiedergeboren werden und dass ich bei ihnen nach Shitai suchen wollte. Dass er mich gewiss wieder erkennen würde, weil er sich meine Aura eingeprägt hat und das auch noch im nächsten Leben wissen kann. Wenn Kyuunan das wusste, muss er bei Shisei einfach auf Nummer sicher gegangen sein. Er hat sich verstellt für den unwahrscheinlichen Fall, dass seine Tat mal auf ihn zurückfällt." "Hibashi hat ihn nie erwähnt," wandte Valerian ein. "Wir könnten uns irren," gab Eikyuu zu. "Aber vielleicht kam er einfach zu einer Zeit, als nur seine engsten Vertrauten da waren. Wir müssen und Gewissheit verschaffen, indem wir mit Shisei reden und rausfinden, ob Noxenius und Noctifer den Namen des Erlösers benutzen. Verdammt, ich war so ein Idiot...! Vielleicht hat mein eigener Großvater die Rächer auf dem Gewissen." "Nur weil er in der Folterkammer war - wenn es so war - muss er nicht der Mörder dieser Rasse sein." "Stimmt. Aber wir haben keine andere Spur, außer dass mal wieder ein Donnerflügel dabei war, als es passierte, wie wir ja von Shisei wissen. Komm, lass uns nachsehen, ob Taika wach ist!" "Kyuu! Die Sonne geht gerade erst auf!" "Dann können wir ja noch schnell baden." Eine Stunde später, als die Sonne sich ihren Weg durch die Bäume suchte und die ersten Drachen und Draconer aufstanden, trafen Eikyuu und Valerian bei dem Haus ein, in dem Taika und seine Familie wohnten. Ehe sie anklopfen konnten, wurde die Tür von innen geöffnet. "Ah, da seid ihr ja! Ich bin heilfroh, dass du noch lebst, Val." "Äh... Taika! Solltest du nicht im Bett sein?" stammelte der Prinz. Der Flammentänzer trug einen Morgenmantel ähnlich denen, die beim Landen der Drachen verteilt worden waren, als sie hier eingetroffen waren. Er hatte den rechten Arm in einer Schlinge und das rechte Auge war blau, aber nicht mehr verbunden, während das andere schon wieder eine relativ normale Farbe hatte. Er humpelte zum Tisch und setzte sich etwas schwerfällig. Man musste kein Seelenleser sein, um ihm anzusehen, dass er noch starke Schmerzen hatte. "Noxenius hat das Ergebnis der Wahl des Erlösers manipuliert. Ich war verzweifelt, weil ich die Kelche nicht umwerfen konnte, dabei hat sonst alles geklappt, was ich angestellt habe..." plapperte Taika drauflos. "Shisei hat mich nämlich mitgenommen, als mein Körper in diesem Schlaf war, also ehe ihr euch wundert... Hat Spaß gemacht!" "Dann warst du die andere Präsenz, die ich spürte," erkannte Eikyuu. "Ja, ist wohl so. Da war Farbstoff in den Kelchen, Val. Ein Wunder, dass es trotzdem so ausgegangen ist! Arcanus muss das doch im Dunkeln gesehen haben, sogar in einem schwarzen Kelch!" Der Kariat lächelte selbstgefällig. "Nein, Taika. Es war dunkel, sicher, und er war ein Nachtgänger. Aber Nebelsumpfschlangengift neutralisiert alle Farbstoffe, weshalb man es gerne zum Bleichen verwendet. Aus demselben Grund lässt es sich nicht in rotem Wein einsetzen." Der Draconer hob überrascht die Augenbrauen. "Das wusste ich nicht." "Das ist auch nur Färbern und Heilern bekannt," entgegnete Valerian stolz. "Allerdings habe ich es nicht deswegen ausgesucht, sondern wegen seiner langsamen Wirkung. Ich wollte, dass der Kerl leidet, und habe nicht einen Moment daran gezweifelt, dass es so kommen würde." Nachdenklich ließ er sich nun endlich auch auf einen Stuhl sinken. "Das war das erste Mal, dass ich jemanden getötet habe... auch wenn es letztendlich er war, der das Gift gewählt hat. Ich fühle mich nicht schlecht deswegen. Sollte ich nicht Gewissensbisse haben? Aber ich kann immer nur daran denken, dass das noch viel zu milde war für all seine Verbrechen an Shisei." Taika lächelte. "Der Rächer färbt auf dich ab. Auf uns alle." Er berichtete von der Unterhaltung zwischen Arcanus und Kyuunan, die er und der Junge mitgehört hatten. Eikyuu musste sich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass sein Großvater da mit drinsteckte. Er schien sich nicht an den Misshandlungen beteiligt zu haben, war aber ein Mitwisser. Was hatte der Seelenleser damit gemeint, dass er auffliegen konnte? Nicht zuletzt hatte er versucht, Valerian zum Selbstmord zu bewegen. Eikyuu erzählte von den Ideen, die ihm durch den Kopf spukten, seit er wusste, dass Kyuunan Timarios' Namen aussprach. Taika vertiefte sich kurz in ein gedankliches Gespräch mit dem Geist, der unsichtbar im Raum schwebte. "Er sagt, dass er sich nur an dieses eine Mal erinnert, sonst haben alle immer nur vom Erlöser gesprochen, wenn das Thema aufkam," teilte er den anderen dann mit. "Dann wollte Kyuunan offenbar verhindern, dass Shisei ihn bemerkt. Aber wieso nur?" fragte Valerian in die Runde. Eikyuu kam plötzlich ein ganz neuer Gedanke, der ihm Übelkeit verursachte. Er war bisher stehen geblieben, doch nun musste er sich auch setzten. "Hört mal... Shisei wurde doch für Shitais Wiedergeburt gehalten. Wir wissen nicht, ob das jemand in die Welt gesetzt hat oder ob das tatsächlich geglaubt wurde. Oder ob es stimmt. Aber was wäre, wenn Kyuunan befürchtete, dass Shisei ihn wieder erkennt? Er könnte ihn aus einem früheren Leben kennen, oder von einer anderen Gelegenheit." "Das kann sein, aber warum hat er sich dann die Mühe gemacht, wenn er dachte, der Junge würde bald sowieso sterben?" wandte Valerian ein. "Er hätte ihn böse verfluchen können," übermittelte Taika ihnen Shiseis Antwort. "Wenn Shisei in einem der Folterknechte einen Mörder erkannt hätte, den er von früher kennt, hätte er seinen letzten Atemzug darauf verwendet, ihm alles erdenklich Schlechte an den Hals zu wünschen. Der Fluch eines Sterbenden ist besonders mächtig." Eikyuu ließ sein Gesicht auf seine Arme sinken. "Oh nein, nein, nein! Ich habe ihm das gesagt! Ich habe viel zuviel Zeit mit ihm verbracht, nachdem Shitai tot war und ich jemanden brauchte..." Der Flammentänzer versuchte, ihn zu beruhigen. "Hey, das hätten ihm auch tausend andere sagen können, die es wussten, mach dir keine Vorwürfe. Übrigens... Shisei glaubt nicht, dass er Shitai ist. Ich habe ihm erzählt, dass ihr zusammen wart. Er meint mittlerweile, wenn er dich in einem früheren Leben geliebt hätte, müsste er das wissen, selbst wenn er sich im Moment nicht an seine anderen Leben erinnert." Eikyuu stützte frustriert seinen Kopf auf einen Ellenbogen. "Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll... ein Teil von mir hatte Hoffnung." Er hatte vermutet, dass diese Bemerkung Valerian kränken würde, aber der Schwarzhaarige streichelte nur tröstend seinen Rücken. "Kariat... Womit habe ich deine Liebe verdient, wenn ich dauernd an einen anderen denke?" Der Schwarzhaarige lächelte. "Wenn Shitai eines Tages zurückkommen sollte, wird er feststellen, dass du nicht mehr frei bist. Er hatte die letzten Jahrhunderte Zeit, jetzt hat er seine Chance verspielt. Selbst wenn Timarios persönlich dich mir wegnehmen will, werde ich dich nicht mehr hergeben." Taika hob eine Augenbraue. "Wow, starke Worte, Val. Aber anscheinend verstehst du dich mit dem Erlöser ganz gut, sonst hätte er dich ja gestern auslöschen können." Er lachte auf. "Der Kleine meint, ich zucke ja gar nicht mehr, wenn jemand den Namen sagt. Naja, war sowieso nur eine anerzogene Reaktion. Vielleicht stehe ich dem Tod jetzt etwas anders gegenüber." In den anderen Zimmern regten sich die Bewohner. Hiaburi kam als Erster im Morgenmantel herausgetaumelt. "Oh, guten Morgen. Taika, solltest du nicht lieber noch liegen bleiben? Allerdings siehst du schon wieder viel besser aus." "Spar dir das," zischte Taika. "Mir machst du nichts vor." "Aber... was meinst du denn?" Der rothaarige Flammentänzer tat ganz unwissend. "Die Kerle haben über dich gesprochen, als sie dachten, ich sei bewusstlos," log Taika. "Du solltest aus dem Leben meiner Schwester verschwinden, bevor dir am Ende noch auffällt, dass euer junger Enkelsohn ja eine ähnliche Figur hat wie der süße kleine Shisei. Ich warne dich, fass ihn an, und du bist fällig!" Hiaburi lachte nervös. "Aber Schwager... du weißt ja nicht, was du sagst! Du bringst da bestimmt was durcheinander, ich meine, die haben dir hart zugesetzt, du bist verwirrt..." Taika stand vom Stuhl auf, um Shisei mit seinem Körper von seinem ehemaligen Peiniger abzuschirmen. Natürlich konnte den Geist niemand sehen, erst recht nicht Hiaburi, aber er tat es für den Jungen. "Ich gebe dir noch eine Chance. Gestehe vor den versammelten Drachen, sag uns, wer noch dabei war." "Du bist übergeschnappt!" Hiaburi wich zur Tür seines Schlafzimmers zurück. "Ich schiebe das dieses Mal noch auf deine Verletzungen, aber wenn du nicht damit aufhörst, werde ich mich beim Ältesten über dich beschweren!" Er verschwand in dem Zimmer und verschloss die Tür von innen. Taika bebte vor Zorn, riss sich mühsam zusammen. "Tut mir Leid. Ich konnte mich nicht beherrschen. Er hat Shisei mit seinen Feuerkräften gefügig gemacht. Als ob der Junge sich wehren konnte! Ein Wunder, dass er sich mir anvertraut hat." "Kaji und Kaen tun mir Leid," murmelte Eikyuu. "Wenn die Schuldigen bestraft werden, gibt es oft auch Unschuldige, die es auf die ein oder andere Art trifft." Valerian war an Taikas Seite geeilt, um ihn zu stützen, als er taumelte. "Setz dich, du bist noch lange nicht fit genug, um dich so aufzuregen." Der Draconer ließ ihn widerwillig gewähren. "Der Trank hat mich zum Glück schon ganz gut geheilt, aber dabei fast all meine Energiereserven aufgebraucht. Ich habe Hunger, und wie." "Wie schlimm sind die Wunden noch?" erkundigte Eikyuu sich. "Ich werde den Trank heute Nacht noch mal nehmen, das sollte reichen," meinte Taika. "Er ist leider nicht so stark wie der, den ich seinerzeit für dich gemacht habe, weil uns hier ein paar der nötigen Kräuter fehlen. Kyuujo hat sie ersetzt, aber die Wirkung ist nicht dieselbe." "Lass es ruhig angehen, mein Freund." "Ja, ja. Wartet hier, ich ziehe mich nur eben an. Wahrscheinlich muss Kaji mir helfen, es ist schon traurig..." Der Flammentänzer verschwand in seinem eigenen Zimmer. Valerian stöhnte genervt. "Herrje, das mit seinem Schwager ist hart." Eikyuu nickte nur. Sein Großvater hatte auch irgendeine Art von Dreck am Stecken. Er trauerte um die Jahre, in denen er sich so gut mit ihm verstanden hatte. Das hatte sich leider geändert, als er in er Magie immer besser geworden war, um schließlich zum Allmeister aufzusteigen. Kyuunan hatte sich oft beschwert, dass sein Enkel viel zu menschlich war. Nun war es auch dieser Enkel, der ihn zur Strecke bringen würde. Wenn nur nicht immer so viele traurige Angehörige zurückbleiben würden! Hatten nicht selbst Noctifer und Noxenius Frauen und Kinder? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Taika in Begleitung von Kaji zurückkehrte. Der ältere Flammentänzer lächelte kläglich. Seine Weste konnte leider nicht die blauen Flecken auf seinem Körper verstecken, und die hochgebundenen Haare waren ungünstig, da sie das Veilchen nicht bedeckten. "Tja... dieser Zaubertrank heilt das Schlimmste zuerst, also bleiben die äußeren Anzeichen noch eine Weile erhalten..." "Man muss das positiv sehen, er kann wieder laufen und sich beschweren," fügte Kaji hinzu. Langsam machten sie sich auf den Weg zum Palast. Sie würden eine Weile brauchen, da der Verletzte nicht so schnell vorankam. Aber er war hartnäckig. Ab und zu wurden sie von anderen überholt. Wenn es Verwandte und Bekannte waren, grüßten sie ihn und fragten nach seinem Befinden oder wünschten gute Besserung. Aber alle, die er nicht persönlich kannte, gingen vorbei und starrten ihn dabei an, um tuschelnd die Köpfe zusammenzustecken, wenn sie sich außer Hörweite glaubten. "Bist du sicher, dass du es schon verkraftest, unter Leute zu kommen?" zweifelte Valerian. "Ich will denen zeigen, dass ich nicht klein beigebe," verkündete Taika entschlossen. Eikyuu tauschte einen Blick mit seinem Partner. Sie machten sich nichts vor. Der Flammentänzer mochte sich heiter geben, aber in seinem Herzen saß die Demütigung tief. Und es war zusätzlich erniedrigend, dass alle wussten, was man ihm angetan hatte. Hiaburi erschien nicht zum Frühstück, aber Kaen. Sie setzte sich Taika gegenüber und sah ihn giftig an. "Wenn du nicht schon ein blaues Auge hättest, würde ich dir eine scheuern, dass du vom Stuhl kippst! Ich weiß nicht, was du zu Hiaburi gesagt hast, aber er war so aufgewühlt wegen dir, dass er abgereist ist! Am liebsten wäre ich mit geflogen, aber er will, dass ich bei Kaji bleibe. Wirklich, Bruder, du hast viel mitgemacht, aber musstest du deswegen meinen Mann vergraulen? Was im Namen der Himmelsmutter hat dich dazu gebracht?" Die Wut seiner geliebten Schwester traf Taika hart. "Kaen... es tut mir Leid," murmelte er. Wie sollte er ihr sagen, dass der Mann, den sie seit fast sechzig Jahren liebte, ein Vergewaltiger war, der nicht davor zurückgeschreckt hatte, seine Feuerkräfte zu missbrauchen, um den Widerstand seines Opfers zu brechen? Das konnte er nicht. "Deine Entschuldigungen nützen mir jetzt auch nichts mehr," klagte sie ihn an. "Du bist echt das Letzte!" "Kaen, ich bitte dich! Mach hier nicht so einen Aufstand!" schalt Hidane die Jüngere. Ihre Schwester sprang auf. "Vergesst es, ich werde in der Küche essen! Habe sowieso Dienst heute!" "Kaen!" Hidane lief ihr nach. Kaji, der neben Taika saß, blickte zweifelnd zu ihm auf. "Sag mal... Opa ist doch nicht etwa... er hat doch nicht... Shisei..." Sein Großonkel starrte auf seinen noch leeren Teller. Sein Schweigen war Antwort genug. Kaji hatte Tränen in den Augen, wischte sie jedoch weg, ehe sie jemand bemerkte. "Ich hab Shisei nur kurz gekannt, und er hatte immer eine Robe an. Aber ich habe trotzdem die Brandnarben an seinen Armen und Füßen gesehen... einige waren alt, aber nicht alle... Ich... ich dachte... Ich wäre doch nie darauf gekommen... bist du dir sicher?" "Ich habe meine Quellen." Kaji blickte sich vorsichtshalber um, aber in ihrer Nähe waren alle in eigene Gespräche vertieft und achteten nicht auf ihn. "Er hat dich aber nicht... ich meine..." "Nein, er war nicht dabei. Aber ich fürchte, er wollte nur nicht erkannt werden. Tut mir Leid, Junge." Taika sah ihn traurig an. "Wir können ihn nicht davonkommen lassen." "Entschuldige mich," murmelte Kaji. "Ich muss das erstmal verdauen." Er verließ den Saal durch eines der scheibenlosen Fenster. Der ältere Flammentänzer seufzte und belud sich seinen Teller. Es hatte keinen Sinn, Trübsal zu blasen, das konnte er später. Erst einmal musste er wieder zu Kräften kommen, damit Eikyuu und Valerian nicht allein ihren Hals riskierten, wenn es richtig ernst wurde. "Ich wünschte, deine Familie ginge nicht kaputt wegen mir," vernahm er Shiseis Stimme. //"Das ist nicht wegen dir. Hiaburi ist es, der alles kaputtgemacht hat,"// erwiderte Taika. Er verdrängte das beklemmende Gefühl in seinem Bauch, indem er selbigen ordentlich füllte. //"Es ist nicht zu fassen, dass einer, der immer so gut zu seinen Kindern und Enkeln war, zu so etwas fähig ist! Ich habe Angst, dass er sich als Nächstes an Kaji vergeht."// "Das wird er kaum tun, schließlich weißt du jetzt, wie sein wahres Gesicht ist." //"Ich bin froh, dass ich meinen Platz auf der Insel habe, Shisei. Meine Familie wird mich hassen. Manche Wahrheiten sind nicht erwünscht. Ich werde immer der sein, der den Schandfleck sichtbar gemacht hat. Mein bloßer Anblick wird sie an dieses Treffen erinnern, und sie werden erleichtert sein, wenn sie mich nicht sehen. Da ist es gut, dass ich bald wieder Noctivagus sein kann."// Der Rächer sagte nichts mehr dazu, denn ihm fiel keine passende Antwort ein. Die Nachtgänger erschienen nur in geringer Zahl. Die Angehörigen des Ältesten trauerten um ihn, auch wenn allgemeine Spekulationen dem Verstorbenen mögliche Verbrechen unterstellten. Jeder glaubte daran, dass jemand, der bei der Wahl des Erlösers starb, auch schuldig war. Deshalb wurde Arcanus auch nicht so feierlich beigesetzt, wie es sonst üblich gewesen wäre. Seine Leiche sollte am Abend verbrannt und die Asche über dem Meer verstreut werden. Aus diesem Grund wurden erneut alle Unterhaltungsdarbietungen verschoben. Erste Anfragen, ob das Treffen verlängert werden könne, wurden laut, andere Stimmen wollten es am liebsten vorzeitig beenden. Indessen machten sich die Lichtsänger Sorgen um Kaikou. Sie sang jetzt fast immer vor sich hin, und manchmal lächelte sie dabei selig. Ansonsten war sie regelrecht apathisch. Natürlich konnte ihre Familie nicht wissen, dass sie Shisei gesehen hatte und ihn auch jetzt noch ab und zu sah. Er konnte nicht richtig mit ihr sprechen, aber sich mit Bildern einigermaßen verständlich machen. Während Taika aß, was er konnte, hatte der Geist sich wieder einmal zu ihr gesellt und lauschte ihrem Lied. Er kannte es, sie hatte es als Kind selber erfunden, während sie mit ihm zusammen Kräuter gesammelt und Beeren gesucht hatte. Eine Kinderfreundschaft, aus der vielleicht mehr geworden wäre, ungeachtet der Tatsache, dass Verbindungen zwischen verschiedenen Drachenrassen oft kinderlos blieben und deshalb unerwünscht waren. Als Noxenius hereinkam, um den Platz des Ältesten der Nachtgänger einzunehmen und zu diesem Anlass eine kleine Rede zu halten, lenkte Shisei die Aufmerksamkeit seiner Freundin auf ihn. Es schmerzte ihn, ihr Kummer bereiten zu müssen, aber etwas musste geschehen, um diesen Mann und seinen Sohn zu erwischen. Er zeigte ihr ein Bild aus seiner Erinnerung, Noxenius mit einer Peitsche in der Hand, die er gnadenlos gegen ein Kind führte. Sie sah, wie damals seine Brust und sein Rücken ausgesehen hatte, nachdem der Folterknecht mit ihm fertig gewesen war. Er zeigte es ihr aus der Sicht seines über dem Geschehen schwebenden Geistes, da er zu dem Zeitpunkt bereits blind gewesen war. Sie fing an zu weinen. Das zu verursachen tat ihm in der Seele weh, aber er konnte es ihr nicht ersparen. Da es kein Verbrechen war, jemanden zu foltern, der dazu verurteilt worden war, musste er noch weiter gehen. Er zeigte ihr eine Erinnerung aus der Höhle, wie er über seinem eigenen entstellten Körper schwebte, während Noxenius ein perverses Vergnügen darin fand, seinem Bruder zuzusehen. Und sie verstand trotz aller Trauer, was er von ihr wollte. Kaikou sprang urplötzlich von ihrem Platz auf, gerade als Stille eingekehrt war, um Noxenius zu Wort kommen zu lassen. Die Kleine zeigte mit dem Finger anklagend auf ihn. "Er ist ein böser Mann! Er hat Shisei gehauen!" Ihre Mutter zog sie nach einem ersten Schrecken schnell in ihre Arme. "Aber Kind, natürlich hat er das. Er bestraft die Verbrecher. Das ist nichts Böses." "Er hat in der Höhle zugeguckt, wie die anderen Shisei wehgetan haben!" schrie Kaikou. Sie war so aufgeregt, dass von ihrem Körper kleine Lichtpartikelchen ausgingen. Die Erwähnung der Höhle sorgte dann aber doch für Gemurmel. "Kind, was haben die anderen denn in der Höhle gemacht? Wobei hat Noxenius zugesehen?" fragte ihr Vater ernst. Kaikou biss sich auf die Lippe. "Sie haben es so gemacht wie mit Taika," sagte sie schließlich. Der besagte Flammentänzer schloss schicksalsergeben sie Augen, als ein Raunen durch die Menge ging und er zahlreiche Blicke auf sich fühlte. Der neue Älteste hingegen setzte ein überhebliches Gesicht auf. "Das nehmt ihr doch wohl nicht ernst! Jeder weiß, dass das Mädchen krank ist, sie weiß gar nicht, was sie sagt. Wahrscheinlich haben ihr Eikyuu und seine Freunde was eingeredet, während sie mit ihnen zusammen war! Hat sie nicht Taika öfters besucht?" Kouei erhob sich drohend langsam von seinem Stuhl. "Du bezeichnest meine Tochter als Idiotin? Beim letzten Mal stimmte ihre Vision!" "Du missverstehst mich," redete der Nachtgänger sich heraus. "Ich denke nur, dass sie ein paar Sachen durcheinander bringt. Wir wissen doch alle, wie sehr die Ärmste an Shisei hing, und dann diese schlimme Vision von dem Angriff auf Taika, nicht zu vergessen die seltsamen Alpträume..." "Er ist böse!" beharrte die kindliche Lichtsängerin. "Die anderen haben Shisei in der Höhle wehgetan, so wie Taika, und der böse Mann hat dabei so gemacht..." Sie machte einige eindeutige Bewegungen auf Unterleibshöhe und atmete dabei laut hörbar. Ihre Mutter hätte das vielleicht skandalös gefunden, wäre sie nicht eine Angehörige dieser Drachenrasse gewesen. So jedoch nahm sie die Handlungen ihrer Tochter als Teil von deren Visionen hin. Sie wandte sich ernst an Noxenius. "Ich war nicht sicher, ob Eikyuu Recht hatte mit seinen Behauptungen, aber nun scheint es erwiesen, dass es die besagte Höhle gab. Und auch die Verbrechen. Zuzusehen, wie jemand geschändet wird, ohne es zu verhindern, ist so schlimm wie die Tat selbst!" Eine Frau von den Nachtgängern stand auf. "Du behauptest das aufgrund des Gelabers eines Kindes? So eine gemeine Unterstellung, wie kannst du es wagen! Deine Tochter ist zurückgeblieben, sie weiß gar nicht, wovon sie spricht!" "Tatsache ist, dass sie geschwiegen hat, seit Shisei starb. Dass sie jetzt spricht, ist ein Zeichen! Selbst wenn sie zurückgeblieben sein sollte - und das bleibt abzuwarten - so wäre es nicht das erste Mal, dass eine scheinbar Dumme ein besonders großes Talent hat!" erwiderte die Lichtsängerin standhaft. "Ich weise diese Vorwürfe entschieden von mir!" verkündete Noxenius. In diesem Moment flog der Trauerschleier der Rächer in einem nicht vorhandenen Luftzug auf und direkt in seine Arme. "Ich finde das ziemlich aussagekräftig," kommentierte die Lichtsängerälteste. "Deshalb beantrage ich eine Untersuchung. Ich werde mir diese Höhle, oder was von ihr übrig ist, mal ansehen. Eikyuu wird sie mir zeigen." Kyuunan räusperte sich. "Ich gebe zu, dass wir das schon längst hätten tun sollen, um die Behauptungen meines Clanangehörigen zu überprüfen. Lumena, willst du wirklich persönlich fliegen?" "Aber ja, ich werde vielleicht mehr sehen als andere," bestätigte sie. "Ich werde gleich aufbrechen." "Dann schlage ich vor, dass dich ein oder zwei Vertreter jedes Clans als Zeugen begleiten." Lumena nickte. "Gute Idee. Eikyuu, wirst du uns den Weg zeigen?" Der Seelenleser erhob sich. "Natürlich, Ehrwürdige." "Dann ist das geklärt. Jeder Clan möge seinen Vertreter wählen, wir treffen uns jetzt sofort auf der Flugwiese." Die Lichtsängerin verließ ihren Platz und schritt aus dem Saal, gefolgt von mehreren anderen. Taika wollte zu gerne mit, aber das war ihm nicht möglich. Dafür bot sich Kaji an, und er erlaubte es ihm, auch wenn Kaen wahrscheinlich toben würde, wenn sie das erfuhr. Eikyuu schickte sich an, den übrigen zu folgen. "Kommst du, Kariat?" Valerian zögerte. "Kyuu... nein, ich habe eine Ahnung, dass ich lieber hier bleiben sollte." Der Drache hatte nicht damit gerechnet. "Val! Bist du sicher? Du hast doch nicht etwa wieder etwas Dummes vor?" "Ganz im Gegenteil. Ich werde auf Taika aufpassen. Mach dir keine Sorgen. Timarios hat mich schon einmal verschmäht, mir passiert schon nichts. Immerhin bin ich dein Schüler." Eikyuu grinste schief. "Genau das macht mir ja Sorgen." Er griff seinem Geliebten an den Hinterkopf und zog ihn zu einem Kuss an sich. "Pass auf dich auf. Bitte sei vorsichtig. Ich meine es ernst." Er warf einen schnellen Seitenblick auf Kyuunan. "Vielleicht wird er unvorsichtig, wenn du weg bist. Und deine Eltern sind ja auch noch da, die achten schon auf mich," versicherte Valerian. "Ich komme schon klar." Der Seelenleser strich ihm zärtlich über die Wange. "Na gut. Bis dann, Kariat." Er ging schweren Herzens ohne seinen Partner. *** Fortsetzung folgt. Namensbedeutung Lumena: Von lateinisch lumen ("Licht"). Outtakes Zu 13) Gottesurteil Von Purple_Moon *** Kyuunan legte Valerian väterlich eine Hand auf die Schulter. "Du solltest noch einmal darüber nachdenken. Die Drachenbräuche sind dir nicht geläufig, ehe du vorschnell entscheidest, lass es dir noch einmal von deinem Gefährten erklären. Wenn du es dir dann anders überlegst, bekommt Eikyuu seine vierzig Peitschenhiebe und wir vergessen das ganze." Der Prinz drehte sich schweigend um und ging hinaus. Allerdings zu der Tür, die auf den Hof führte. Er warf seine Kleidung von sich und fing an zu singen und zu tanzen. Was er beides nicht gut konnte. Eikyuu: *drop* "Äh... Kariat..." Valerian (singt, tanzt): "Schni-Schna-Schnappi..." Kyuunan: Wahahahahaaaa! *totlach* Arcanus und alle anderen Gaffer: *lach* Valerian (kommt langsam wieder zu sich): He, sollte ich nicht auf den Rächerturm steigen? Argh! Verdammt, was mache ich hier...? Kyuunaaaaan! Kyuunan (unschuldige Mine): Hm...? *** Die Outtakes wurden inspiriert von Jacky Chan, der immer welche am Ende seiner Filme bringt. Wenn euch welche zu dieser Episode einfallen, schickt sie mir bitte per ENS. Die lustigsten erscheinen am Ende der nächsten Folge, natürlich mit dem Namen des Erfinders. Danke! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)