Eternity II - Die Rückkehr des Rächers von Purple_Moon (Auch tot noch gefährlich...) ================================================================================ Kapitel 6: Flugreise -------------------- Kapitel 6: Flugreise Endlich war es soweit. Das große Drachentreffen, das alle zehn Jahre stattfand. Valerian erwachte früh. Er betrachtete Eikyuu, während er schlief, und weckte ihn damit. Der Magier lächelte selig. "Mein Kariat." Valerian entglitten für einen Moment alle Gesichtszüge vor Überraschung. "Kyuu... meinst du das ernst?" "Kariat. Ein Mensch, der von einem Drachen oder Draconer gleichen Geschlechts als sein Partner erwählt wurde. Ja. Ich erwähle dich." Valerian kannte den Begriff. Er hatte darüber gelesen, und sowohl Kyuujo als auch Nimburia und Noctivagus hatten ihm davon erzählt. Nicht jeder Drache, der ein Verhältnis mit einem Menschen anfing, machte ihn zu seinem Kariat. Doch wenn er es tat, beanspruchte er ihn damit für sich allein und schenkte sich gleichzeitig nur ihm. Es war wie Heiraten. "Ich dachte, wir sollten das klären, bevor wir die anderen treffen. Ist es dir recht?" "Ob es..." Valerian lachte glücklich. "Also wirklich, Kyuu! Du weißt es doch. Ich will dich. Und ich will, dass du mich willst." "Dann wollen wir dasselbe." Eikyuu zog das Gesicht seines Geliebten - seines Kariat - etwas näher zu sich. "Wenn du nicht schon unsterblich wärst, würde ich jetzt dafür sorgen." "Ich will nicht, dass du dir das je wieder antun musst." Der Prinz überwand die Distanz zwischen ihren Lippen. Ihr Kuss begann zaghaft und drohte nicht nur leidenschaftlicher zu werden, sondern auch weitere Folgen nach sich zu ziehen. "Hey, Kinder. Eure übersprudelnden Emotionen können ja Tote aufwecken," beklagte Kyuujo sich. Er verschloss die Luke zum Obergeschoss wieder. "Gebt gefälligst Ruhe." Valerian fing fast laut an zu lachen. Er breitete einen Zauber über den Raum aus, so dass sein Lehrer nichts mitbekam. Was anschließend geschah, hätte ihn sonst ganz sicher wach gehalten. Als Kyuujo etwa zwei Stunden später aufstand, waren sein Sohn und dessen Bettgefährte wieder eingeschlafen, beide einen sehr zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht. Der Seelenleser schüttelte ein wenig missbilligend den Kopf. Er hatte wirklich nichts gegen Valerian, aber ein paar Enkelkinder von seinem Jüngsten wären ihm noch lieber gewesen. Wenigstens benahm sich Eikyuu wieder normal. Nach Shiseis Tod war er ja für eine Weile völlig von der Rolle gewesen, aber das hatte sich wohl wieder eingerenkt. Er sprach jetzt öfter als sonst mit Noctivagus. Vielleicht teilten die beiden ein damit zusammenhängendes Geheimnis. Oder sie konnten einander einfach gut verstehen, weil sie ähnliche Probleme hatten - Eikyuu hatte Shiseis Erinnerungen gesehen, und Noctivagus hatte den Großvater, der den Rächer gefoltert hatte. Kyuujo sah nicht ein, warum die jungen Leute weiterschlafen sollten, wo sie doch die dafür vorgesehene Zeit hätten nutzen können. Er holte einen Eimer kaltes Wasser und kippte ihn auf die beiden schlafenden Turteltauben. Die daraufhin alles andere als schliefen. "Waaah! Wer... Ah, Paps! Hättest du mir nicht anders sagen können, dass ich aufstehen soll?" kreischte Eikyuu, sich nicht darum scherend, dass er keinen Faden am Leibe trug, während er vor den Augen seines Erzeugers nass und frierend im Raum stand. Auch Valerian hatte sein Schamgefühl weitgehend eingebüßt, seit er kein Kronprinz mehr war und mit Drachen zu tun hatte, die immer nackt waren, wenn sie sich verwandelt hatten. Er hatte jedoch nicht gleich aufspringen können, weil Eikyuu auf ihm gelegen hatte. Kyuujo musterte die Male, die die zwei einander zugefügt hatten, und zwar überall am Körper, einige frisch, andere einen oder mehrere Tage alt. Er seufzte schicksalsergeben. "Tut was gegen all die Flecken! So könnt ihr euch doch nirgends sehen lassen!" Valerian trat verwirrt neben seinen Drachen. "Wieso, gehen wir nackt zu dem Treffen? Kyuu hat doch extra was für mich schneidern lassen!" Nun musste Kyuujo gegen seinen Willen grinsen. "Dann hast du die Sachen wohl noch nicht gesehen? Glaub mir, die Flecken werden garantiert nicht alle verdeckt." Nun errötete Valerian doch. Vor Leuten, die er gut kannte, Haut zu zeigen war eine Sache, aber vor Fremden? "Wart's ab, du wirst total klasse aussehen," versprach Eikyuu. Er zog sich hastig eine Robe über und suchte ein bisschen Brot zum Frühstück aus dem Regal zusammen... und ein Mittel gegen Blutergüsse. Von draußen kam der Duft von gebratenem Fisch herein. "Beeilt euch, wir haben nicht ewig Zeit. Am Nachmittag sollten wir dort sein," drängte Kyuujo. Sie begaben sich zu den anderen ans Feuer, wo das Essen wartete. Erst beim Anblick der Bratfische merkten sie, wie hungrig sie nach der morgendlichen Anstrengung doch waren. Eikyuu und Valerian nahmen sich einen Fisch und fingen von verschiedenen Seiten an, daran zu knabbern. Cyrus, der in der Nähe saß, amüsierte sich über Kyuujos Stirnrunzeln. Auch Patrizia, Fabulas, Undan und Eliza saßen noch dabei und grinsten alle unterschiedlich breit. Der Seelenleser war in einer Zwickmühle: Er liebte seinen Sohn und schätzte Valerian sehr, aber er wollte gerne, dass beide sich eine Frau nahmen. Als der Fisch fast alle war, überließ Eikyuu seinem Partner den Rest und blickte seinen Vater über die Flammen hinweg an. "Du solltest meinen Kariat lieber gleich akzeptieren. Bevor wir zu dem Treffen gehen." Er legte Besitz ergreifend einen Arm um Valerians Schultern. Kyuujo starrte ihn fassungslos an. Zunächst fand er keine Worte, dann... "Wie kannst du nur! Ich wollte dir Sakyuu vorstellen, das heißt ja nicht, dass du sie gleich zur Frau nehmen musst! Aber wie stehe ich denn vor ihrer Familie jetzt da, wenn ich mit dir und deinem *Kariat* ankomme?" "Du hättest eben mit mir reden sollen, ehe du ihnen irgendetwas versprichst," entgegnete Eikyuu. Er grinste frech. Kyuujo stand von seinem Platz auf, trat neben seinen Sohn und blickte von oben auf ihn herab. "Was ich jetzt tun werde, tut mir wirklich sehr leid, mein Junge. Aber ich kann nicht dulden, dass du so mit mir umspringst." Eikyuu runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippe. //"Paps?"// Der ältere Drache wandte sich dem Baumhaus zu und machte dem jüngeren Gesten, dass er ihm folgen sollte. Eikyuu seufzte. "Val, warte kurz auf mich. Nein, komm zu mir, wenn er mit mir fertig ist, ja?" "Äh... sicher, aber was hat er denn vor?" "Er will mich übers Knie legen." "Echt witzig, Kyuu." Doch Eikyuu folgte seinem Vater, ohne sich noch einmal umzusehen. Valerian blickte fragend in die Runde. "Drachen züchtigen ihre Kinder, solange sie es für richtig halten, auch wenn das Kind schon tausend Jahre alt ist," bemerkte Eliza. "Wenn Kyuujo allerdings so weit geht, muss er echt sauer sein." Kurz darauf hörten sie aus dem nahe gelegenen Baumhaus, wie Eikyuu wiederholt "Au, au!" schrie, und dazu passend gab es klatschende Geräusche. Die Mehrheit derer, die dies bezeugten, mussten sich das Lachen verkneifen. Auch Valerian fand es einigermaßen lustig. Eine Tracht Prügel machte Eikyuu doch gewiss nichts aus. Nach einigen Minuten war Kyuujo mit seiner Strafe fertig und kam zu den anderen zurück. Er nahm sich einen Fisch und tat, als wäre nichts gewesen. Valerian dagegen verließ den Kreis, um wie versprochen an die Seite seines Drachen zu eilen. Als er Eikyuus und seine Behausung betrat, erblickte er seinen Geliebten, der sich mit Tränen in den Augen auf die Lehne eines Stuhls stützte. Bei Valerians Anblick lächelte er kläglich. Er überwand die Entfernung zwischen ihnen, als ginge er auf Eiern, und umarmte den Schwarzhaarigen vorsichtig. "Kyuu, er hat dich nicht wirklich übers Knie gelegt, oder?" hakte Valerian nach. Der Magier musste lachen, zugleich machte er den Eindruck, als hätte er Schmerzen. "Nein, dafür bin ich zu groß. Aber halb über den Tisch, und er hat seinen Gürtel benutzt." "Ist nicht dein Ernst!" "Es war eine Frechheit von mir, einen Kariat zu erwählen, obwohl er mich einer möglichen Braut vorstellen wollte. Egal, ob diese Verbindung zwischen mir und Sakyuu zustande gekommen wäre, hätte ich zumindest höflich sein und mich mit ihr beschäftigen müssen, um ihr eventuell schonend beizubringen, dass ich sie nicht will. Du wirst möglicherweise ein Schock für sie sein." "Wieso haben dich seine Schläge so hart getroffen?" fragte Valerian entgeistert. "Deine Schmerzgrenze sollte höher sein als das..." "Er ist ein Seelenleser. Und mein Vater. Ich habe mich nicht gegen seine Gabe gewehrt, das wäre eine weitere Frechheit gewesen. Mein Hintern wird mir deshalb für die nächsten drei Tage von den Schlägen wehtun. Natürlich bilde ich mir das nur ein, doch das macht es nicht besser." "Du weißt, dass du es dir einbildest, tust aber nichts dagegen?" "Er hat das in mein Unterbewusstsein gepflanzt, und ich habe es zugelassen. Also kann ich nichts dagegen tun, außer mich von dir bemuttern zu lassen." "Nun... da lässt sich bestimmt was einrichten, immerhin hast du diesen Ärger wegen mir." "Dann hat das ja alles noch eine gute Seite!" grinste der Drache. "Wird Kyuujo für den Rest deines Lebens das Recht haben, dich zu schlagen?" wollte Valerian wissen. "Es gibt einen alten Brauch bei Drachen," antwortete Eikyuu. "Solange ich nicht in einer festen Bindung bin, kann er mich strafen wie ein Kind, ohne dass jemand ihn schief ansieht. Aber wenn ich eine Bindung eingehe, egal was für eine, und diese ein Jahr lang gehalten hat, kann er beim nächsten Mal, wenn er das versucht, von mir oder meinem Partner herausgefordert werden. Traditionsgemäß sollte mein Kariat meinen Vater herausfordern. Wenn ich eine Frau hätte, würde sie sich mit meiner Mutter anlegen. Das ganze dient dazu, offiziell zu zeigen, dass man nun unabhängig ist und seine eigene Familie gegründet hat. Auch wenn wir keine Kinder haben werden." Valerian verzog das Gesicht. "Ich soll mich mit Kyuujo schlagen? Dein Vater ist ein verdammt großer, breitschultriger Drache!" "Du kannst ihn auch zu einem Schachspiel oder sonst etwas herausfordern. Oder du überlässt das mir. Als Mensch musst du ihn nicht herausfordern. Aber es wird dein Ansehen immens stärken, wenn du unsere Tradition achtest. Vater wird einen Vorwand finden, eine entsprechende Situation heraufzubeschwören, in der du ihm zeigen kannst, was du drauf hast." "Kyuuuuuu! Hättest du mich nicht vorher warnen können? Das stand in keinem Buch!" "Wärst du dann nicht mein Kariat geworden?" "Doch, aber ich hätte schon mal angefangen zu trainieren!" Noctivagus und Kaji hatten die Insel schon verlassen, um mit ihren Verwandten zu dem Treffen zu reisen. Auch Sensui war fort, ohne seine Familie. Nimburia und Annemone blieben mit den übrigen Mitgliedern des Elementarkreises zurück, um Shiseis Geheimnis nicht zu gefährden. Eikyuu hatte seine und Valerians Kleidung für das Treffen in einem Rucksack, den er Valerian übergab. Auch Kyuujo trug eine Tasche bei sich. Für die Reise trugen sie aber noch normale Kleidung, denn in den oberen Luftschichten konnte es kalt werden. Eikyuu nahm am Strand seine Drachengestalt an und ließ die anderen beiden auf seinen Rücken steigen. Da Kyuujo größer war, setzte er sich hinter Valerian. "Halt dich gut fest, Junge. Die Reise wird etwas turbulent werden, wenn mein Sohn immer noch so fliegt wie vor zehn Jahren." //"Wenn's dir nicht passt, warum, fliegst du dann nicht selber?"// entgegnete Eikyuu. "Ach, halt die Klappe und heb ab." Eikyuu startete ziemlich unelegant, nur um Kyuujo zu ärgern. Doch schnell fand er eine Luftströmung, die ihn gleichmäßig und rasch voran trug. Er musste seine Kraft sparen, denn der Weg war lang. Zwei bis drei Zwischenlandungen waren eingeplant. Valerian hielt seine geistigen Barrieren aufrecht, damit Kyuujo nicht merkte, dass er sich Sorgen machte, wie ein eventueller Kampf in einem Jahr zwischen ihnen wohl ausgehen würde. Der Blauhaarige würde ihm nicht wirklich etwas tun, oder? Immerhin kamen sie doch sonst ganz gut miteinander aus. Er zwang seine Gedanken in andere Richtungen. Was wohl bei dem Treffen auf ihn zukam? Würden die Drachen ihn verachten, weil er ein Mensch war? Wurde irgendetwas von ihm erwartet? Er hätte wohl genauer nachfragen sollen. Nun musste er es auf sich zukommen lassen. Die Reise ging nach gut drei Stunden über dem Festland weiter, aber es war nicht das Land, das Valerian kannte. Eikyuu ging ein bisschen tiefer, damit seine Reiter die Landschaft bewundern konnten. Selbige bestand hauptsächlich aus Wald. //"Das ist Silvania. Die Leute hier leben in den Wäldern als Nomaden, so dass sie der Natur immer Gelegenheit geben, sich zu erholen, wenn sie eine Weile an einem Ort gelebt haben. Die Athryaner würden sie vielleicht als Primitive bezeichnen, aber sie haben eine hohe Intelligenz und eine alte Kultur,"// erläuterte der Drache für seinen Kariat. //"Wir werden etwas weiter im Landesinneren Rast machen. Slarivestos müssen wir umfliegen, deshalb machen wir einen Abstecher über Lacuris."// "Stimmt etwas nicht mit Slarivestos?" hakte Valerian nach. "Drachen werden dort als Sklaven gehalten," führte Kyuujo anstelle seines Sohnes aus. "Manche Rassen werden sogar gezüchtet, um an die Hörner heranzukommen, daraus werden dann teure Artefakte hergestellt, die überall begehrt sind." Valerian war entsetzt. "Aber... tut denn keiner was dagegen?" "Natürlich arbeiten wir daran," versicherte Kyuujo. "Aber es ist nicht einfach. Die Rächer waren eine große Hilfe, obwohl sie sich die meiste Zeit in ihrem Dorf verschanzten. Aber die Geister derer, die in Slarivestos starben, kamen häufig zu ihnen, und sie wurden gerächt. Auch wenn der Rächer, der die Rache ausführte, dabei umkam, und das geschah nicht selten. Aber Rächer haben eine andere Einstellung zum Leben als wir - und zum Tod. Sie sterben bereitwillig für eine gute Sache." "Kein Wunder, dass sie auszusterben drohten," meinte Valerian ironisch. "Wenn Shisei seine Art wieder beleben will, wird er seine Einstellung ein bisschen ändern müssen." //"Ich hoffe, dass er klarkommt, sobald er sich wieder erinnert, aber das ist ja noch ein paar Jahre hin,"// überlegte Eikyuu. "Baut ja keine Scheiße bei der Versammlung," warnte Kyuujo. "Ich kann praktisch riechen, dass du was vorhast!" //"Uh, versohlst du mich dann wieder?"// Eikyuus Stimme klang leicht spöttisch, und er drehte sich im Flug einmal um die eigene Achse. Zum Glück hatten sich seine beiden Reiter beide gut an seinen Hörnern festgehalten. "Verflixt! Lass das!" kreischte Valerian entsetzt. Eikyuu lachte in seinem Kopf. //"Val, wie willst du der Kariat eines Drachen sein, wenn du Luftangst hast?"// "Hab ich gar nicht! Mir wird nur ganz normal schlecht, wenn sich die Welt unter mir plötzlich über mir befindet!" erwiderte der Schwarzhaarige. "Spinnst du, Junge? Wenn du nicht zufällig ein Seelenleser mit schönen, langen Hörnern wärst, lägen wir jetzt unten!" beschwerte sich auch der Mann hinter ihm. //"Du magst meine Hörner, Paps? Oh, danke!"// "Schluss jetzt, können wir einfach weiterfliegen?" bettelte Valerian, der Angst um sein Frühstück hatte, das in seinem Körper weit nach oben gerutscht zu sein schien. Eikyuu erbarmte sich und hörte mit den Faxen auf. Nicht lange danach erreichten sie ein Gebiet, das nicht aus Wald, sondern aus Grasland bestand. Dort hatten sich zu Valerians Erstaunen zahlreiche Menschen versammelt. Sie hatten große Lagerfeuer, und ein paar Gruppen tanzten in der Nähe. Eikyuu stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus und ging tiefer, um inmitten der feiernden Leute zu landen. Sofort waren sie von einer jubelnden Menge aus braunhäutigen Menschen umgeben. Valerian verstand überhaupt nichts. "Dies ist Silvania, das Land, in dem Drachen als Schutzgeister verehrt werden," erklärte Kyuujo. "Sie wissen, dass alle zehn Jahre Drachen in diese Richtung fliegen. In manchen Sippen gibt es Drachen oder Draconer, die dort als Beschützer gelten und diese Rolle auch gern spielen." Valerian und der größere Mann waren zu Boden gesprungen und bekamen sofort Lederbänder mit Federn und kleinen Holzfiguren dargeboten. Der ehemalige Prinz machte es Kyuujo nach und neigte würdevoll den Kopf, damit ihm die Geschenke umgehängt werden konnten. Er beobachtete fasziniert, wie Frauen ihre Babys und Kinder zu Eikyuu brachten und sie ihm wie Opfergaben darbrachten. Die ältesten waren etwa zehn und knieten vor dem geschuppten Wesen, während die kleineren von ihren Müttern hochgehalten wurden, die selbst in demütiger Haltung knieten. Der Drache sah sich alle Kinder an, dann holte er tief Luft und blies seinen Atem auf sie. Das war offenbar so etwas wie ein Gunstbeweis, der Glück bringen sollte. Valerian weigerte sich, weggeführt zu werden. Er blieb in der Nähe und sah schließlich, wie eine junge Frau an Eikyuu herantrat und ihm ein großes, rotes Stück Stoff präsentierte. Der Drache musterte es kurz, dann nahm er menschliche Gestalt an und akzeptierte die Gabe. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine locker sitzende Robe mit weiten Ärmeln handelte. Nachdem er sich angezogen hatte, ging Eikyuu vor einigen Kindern in die Hocke, um seinen Anteil an selbst gemachten Schmuckstücken entgegenzunehmen. Die Kinder gehörten zu denen, die er eben mit seiner Gunst beglückt hatte. Nachdem Eikyuu sich mit einer Halskette und einem Armband beschenken lassen hatte, erhob er sich wieder und machte mit ausgestreckter Hand eine Geste in Valerians Richtung. "Kariat." Die Kinder quiekten vor Begeisterung. Der Begriff schien ihnen geläufig zu sein. Sie zogen die beiden zu einem der Feuer und bewirteten sie mit Suppe, Fleisch und Fladenbrot sowie Obst, das Valerian noch nie gesehen hatte. Eikyuu setzte sich vorsichtig - seinen schmerzenden Hintern schonend - neben ihn auf eine Wolldecke und kuschelte sich demonstrativ an ihn. "Die Religion dieser Leute betrachtet Drachen als Schutzgeister - oder böse Geister, je nachdem. Sie bieten einem Drachen alle Kinder an, die geboren wurden, seit zum letzten Mal einer da war. Wenn ich die Kinder gefressen hätte, wäre das ein sehr schlechtes Omen gewesen," erläuterte der Magier. Valerian hob eine Augenbraue. "Aber so hast du sie gesegnet?" "Ja. Den Atem eines Drachen zu teilen, macht einen Jungen zu einem starken Mann und ein Mädchen zu einer schönen Frau. Aus dem Grund wuseln auch die ganze Zeit nur Kinder um uns rum. Die Leute glauben, dass wir ihre Gesellschaft bevorzugen, weil sie noch rein und unverdorben sind. Und du... du bist ein Günstling des Schicksals, Kariat." Ein kleines Mädchen brachte zwei tiefe Schalen mit einem alkoholhaltigen Getränk. Sie ging sehr bedacht, um ja nichts zu verschütten. Sie nahmen ihr die Schalen ab und bedankten sich, worüber die Kleine sich sehr freute. Valerian fiel endlich bewusst auf, dass die Menschen alle in verschiedene Lederarten und Wolle gekleidet waren, alles in Braun- und Beigetönen. Eikyuus Robe war das einzige rote Kleidungsstück. "Sprechen die eigentlich unsere Sprache?" wunderte der Schwarzhaarige sich. "Nein, aber wir ihre," meinte Eikyuu leichthin. "Siehst du?" Er deutete zu einem der anderen Feuer, wo Kyuujo sich angeregt mit einer Gruppe Kinder unterhielt. Sie zeigten ihm, wie sie ihren hübschen Lederschmuck anfertigten. Zu Valerian und seinem Drachen gesellte sich eine kräftige, junge Frau. Sie hatte dichtes, staubbraunes Haar, das von ein paar Lederbändern gebändigt wurde, und hellbraune Augen. In einer Sprache, die anscheinend nicht einmal die Kinder verstanden, redete sie auf Eikyuu ein. Er kannte sie offensichtlich von früher. Kurz darauf bemerkte Valerian die spitzen Ohren. Sein Geliebter schlich sich in seinen Geist und bat um eine Erlaubnis. Da ihm diese erteilt wurde, wurde es Valerian kurz schwindelig, dann verstand er plötzlich, was die Frau sagte. Und ihm wurde klar, dass es eine alte Drachensprache sein musste, die sie nur untereinander sprachen. Wahrscheinlich konnte Bruna kein Athryanisch. "... und ich hätte wetten können, dass du dieses Mal mit einer Frau und Kindern ankommst, aber dieser Kerl ist auch nicht zu verachten!" Eikyuu lächelte. "Er heißt Valerian. Val, darf ich dir Bruna vorstellen? Sie ist ein Steinbrecher. Wir werden sie mitnehmen." Valerian nickte. "Freut mich." Steinbrecher hatten keine Flügel, also mussten sie entweder früh ihre Reise zu dem Treffen antreten oder sich eine Mitfluggelegenheit sichern. Wenn Eikyuu und Kyuujo alle zehn Jahre hier Rast machten, war das vielleicht Brunas übliche Vorgehensweise. Während die Frau von einigen Dingen berichtete, die sich in letzter Zeit hier ereignet hatten, gab sich der Kariat den kulinarischen Genüssen hin, so einfach sie auch sein mochten. Er hatte längst vergessen, dass ihm vor kurzem noch fast schlecht geworden war. Das Getränk war ein gegorener Fruchtsaft, ähnlich wie Wein. Dieses Land gefiel ihm bisher. Vielleicht konnte er ein andermal mit Eikyuu herkommen und etwas Urlaub machen? Er war gespannt, wie diese Menschen lebten, wenn sie keinen Drachen erwarteten. Sie hatten sicher im nahen Wald ihre Behausungen, vielleicht Zelte oder Hütten. Doch fürs Erste konnte er das nicht herausfinden, denn sie mussten weiter. Bruna nahm hinter Kyuujo auf Eikyuus Rücken platz. Die Kinder winkten begeistert, als der Drache abhob und dabei eine Menge Wind verbreitete. Silvania lag hinter den Reisenden, und sie kamen in einem großen Bogen, mit dem sie Slarivestos auswichen, nach Lacuris. Am Landeplatz, einem idyllischen Ort mit einem kleinen Wasserfall, begrüßte sie nur eine Person: Kawa, eine Schwimmerin mit dunkeltürkisfarbenen Haaren und Klamotten, die nur deshalb so viel bedeckten, weil sie wusste, dass sie in kalten Höhen fliegen würde. Kawa hatte Beeren für sie gesammelt und Fische über einem Feuer gebraten. Sie unterhielt sich mit den anderen Drachen in der Drachensprache. Zwar lebte sie meistens in ihrer Drachengestalt im Wasser, aber sie hatte auch ein kleines Häuschen in einem Dorf flussabwärts. Dort stellte sie ihre Kleidung her. Sie hatte aber keinen Ehemann, weil alle sie für eine Flusshexe hielten. Zwar wurde sie deshalb nicht diskriminiert, aber die Leute wollten auch nicht mehr als nötig mit ihr zu tun haben. Dennoch wussten viele zu schätzen, dass sie Heilmittel aus Wasserpflanzen und Landkräutern herstellen konnte, denn sie beherrschte einen Teil der Drachenheilkunst und hatte gelernt, sie bei Menschen anzuwenden. Valerian wusste nicht, was ihm besser gefallen sollte: Lacuris oder Silvania. Soweit er Lacuris von oben gesehen hatte, schien es aus besonders vielen Seen zu bestehen, die durch Flüsse miteinander verbunden waren. Es gab große Städte und noch mehr kleine Städte, aber auch viel unberührtes Land. Sicher würde es Spaß machen, mit Eikyuu hier eine Zeit der Einsamkeit zu verbringen... Der Drache zwinkerte ihm zu, als er von einer Unterhaltung mit den beiden Frauen aufblickte. Entweder hatte er gerade das gleiche gedacht oder die Gedanken seines Kariat aufgeschnappt. Oder auch beides. Wie Valerian vermutete, nahmen sie auch Kawa mit. Das waren dann aber alle. Eikyuu trug die Gruppe problemlos bis an ein anderes Meer, zu einer anderen Insel. Diese war viel größer als seine eigene. In der Mitte thronte auf einer leichten Erhöhung das gigantischste Schloss, das Valerian je gesehen hatte. Und er hatte auf seines Vaters Höflichkeitsbesuchen, an denen er als Thronerbe hatte teilnehmen müssen, einige gesehen. Dieses hier bestand ganz aus weißem Stein und die Dächer der zahlreichen Türme glänzten in verschiedenen Farben in der Sonne. Während sie das Gebäude umkreisten, erkannte Valerian, dass jeder Turm eine Fahne trug, auf der ein Drache oder ein Teil eines Drachen, etwa eine Klaue, zu sehen war. Offenbar hatte jede Rasse ihren eigenen Turm. Auf einem der Dächer, das mit schwarz schimmerndem Schiefer bedeckt war, wehte die Fahne jedoch nicht, statt dessen war ein schwarzer Schleier und ein rotes Band am Fahnenmast befestigt. //"Der Turm der Rächer,"// teilte Eikyuu seinem Partner auf Athryanisch mit. //"Du wirst noch mehr Dinge und Orte sehen, die ihnen gehört haben und nun verschleiert sind. Schwarz und Rot sind Symbolfarben für ihr gewaltsames Ende."// //"Nicht mehr lange,"// kommentierte Valerian. //"In zehn Jahren wird es anders aussehen..."// *** Fortsetzung folgt. Namensbedeutung: Kariat: Wenn ich mich recht erinnere - Desde hat mir den Tip gegeben - ist das Walisisch und heißt "Herz". So im Sinne von "Liebling." Silvania: Abgeleitet von "silva" (Wald), lateinisch. Slarivestos: Von englisch "slave" (Sklave). Hab nur ein paar Buchstaben reingemischt. Lacuris: Ist nicht wirklich von irgendwas Bestimmtem abgeleitet... sieht aber ein bisschen nach "lake" (See) aus. Also doch irgendwie durchdacht... Bruna: Ein alter friesischer Name, der sich von einem althochdeutschen Wort (brun) für "braun" ableitet. Kawa: Japanisch "Fluss". Outtakes Zu 5) Schmerzen der Lust Von Purple_Moon *** "Sie sind leiser geworden, bestimmt hat er ihn schon fast umgebracht!" jammerte Shisei. Sie gingen näher heran, wobei Noctivagus sich mit einem Schattenzauber tarnte. Musste ja nicht jeder sehen, dass er Eikyuus und Valerians Liebesspiel lauschte. "Ja... ja, Val... noch ein wenig..." hörte er Eikyuus heisere Worte. Noctivagus (schleicht sich im Schutze seines Schattenzaubers zu einem Guckloch): "Hehehe... Ja, macht weiter so, uh..." Regisseur (kloppt ihm das Manuskript auf den Kopf): "Das stand so nicht im Text, schäm dich!" Noctivagus: "Menno! Shisei darf auch!" *** Valerian hatte eine Wundsalbe vom Regal geholt. Er wusste, dass das Zeug in offenen Wunden brannte wie Feuer. Eikyuu (weicht mit dem Rücken zur Wand vor ihm zurück): "Oh nein, bleib mir damit vom Leib! Hilfe!" Valerian (grinst): "Na los, dreh dich um." Noctivagus (draußen): "Vielleicht hatte Shisei Recht und ich sollte eingreifen..." Eikyuu: "Uaaaaaaaaaaah! Gnaaadeeeeee!!!" *** Valerian zögerte. Eikyuu hatte versprochen, ihn nie wieder zu manipulieren. Aber er fragte ihn ja. Dann war da natürlich noch die Neugier. Er nickte schließlich, und schon spürte er kurz die Präsenz des anderen in seinem Geist, ein Seelenleser, der sich zu erkennen gab. Und dann... dann wusste Valerian nichts mehr außer... ...dass er schrecklichen Hunger hatte. Er rannte (nackt!) in den Wald, sammelte ein paar Greisenhäupter, kochte sie in Schlammwasser und verschlang sie gierig. Eikyuu: "Das ist für die Salbe. Rache ist ja sooo süüüüß..." *** Die Outtakes wurden inspiriert von Jacky Chan, der immer welche am Ende seiner Filme bringt. Wenn euch welche zu dieser Episode einfallen, schickt sie mir bitte per ENS. Die lustigsten erscheinen am Ende der nächsten Folge, natürlich mit dem Namen des Erfinders. Danke! 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